Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Hafen- und Handelsstadt in Süd-Illyrien
Band V,2 (1905) S. 18821887
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Dyrrhachion (Δυῤῥάχιον, Dyrrachium), in vorrömischer Zeit Epidamnos (Ἐπίδαμνος) genannt. jetzt albanesisch Durěssi, türkisch Drasch, italienisch Durazzo, eine im Altertum und Mittelalter hochbedeutsame Hafen- und Handelsstadt in Süd-Illyrien. Die Stadt liegt an der zwischen der Mündung des Drilon und dem akrokeraunischen Vorgebirge von Norden nach Süden gerichteten Westküste Albaniens, und zwar 52 km. von ersterem, 100 km. von letzterem Punkte entfernt. An dieser Küste streichen die nordnordwestlich gerichteten Ketten der albanischen Gebirge in spitzen Winkeln gegen das Meer aus, und zwischen ihnen haben die wasserreichen Bergflüsse fruchtbare, aber jetzt vielfach versumpfte und ungesunde Küstenebenen aufgeschüttet. Die Küste zeigt also einen Wechsel von nach Nordnordwest vorspringenden

Gebirgsspornen und dazwischen in Bogen zurückweichenden Schwemmlandsebenen. Einer dieser Bergsporne (heute das Manezegebirge genannt, zwischen den Ebenen der Flüsse Arzen im Norden, Kapaja und Darschi im Süden) setzt sich seewärts in einem inselhaften, von Norden nach Süden gestreckten, bis 184 m. hohen Felsrücken fort, der jetzt den Namen Dures trägt und durch zwei schmale Sandnehrungen, die eine im Norden, [1883] die andere im Süden, mit dem Festlande zusammenhängt, dazwischen aber durch ein von Schwemmland eingefasstes Haff von dem Lande getrennt wird. Dieser Rücken fällt steil nach Westen zum Meere, sanfter nach Osten zum Haff ab. Die südliche Nehrung wird von dem Ausfluss des Haffs durchschnitten, über den eine Holzbrücke führt; weiterhin legt sie sich an den Fuss des Manezegebirges an, so dass hier der schmale Küstenpass Petra entsteht, der Schauplatz der kriegerischen Ereignisse zwischen Caesar und Pompeius. So ist der Zugang des fast insularen Bergrückens Dures schwierig und leicht zu verteidigen. Die Halbinsel schützt im Süden eine breit geschwungene Bucht gegen die Nordwinde. Wo das Südende des Halbinselrückens gegen diese Bucht ausläuft und sich die südliche Nehrung an ihn ansetzt, lag und liegt die Stadt D., verbindend eine von Natur feste Lage mit einem besonders im Sommer leidlich guten, freilich gegen die Südstürme offenen und heute sehr versandeten Hafen (v. Hahn Alban. Studien 74ff.), immerhin dem besten an der ganzen Küste. Dazu kommen andere natürliche Vorteile dieser Stelle. Die weiteren Umgebungen D.s, nicht blos die Ebenen, sondern auch die Gebirgsabhänge, bilden den fruchtbarsten und bevölkertsten Teil Illyriens, im Altertum das Gebiet des illyrischen Volkes der Taulantier; auf dem Handel mit diesem Hinterlande beruhte zunächst die Blüte von Epidamnos (Kiepert Alte Geogr. 356). In der Mitte zwischen D. und dem südlicher gelegenen Apollonia öffnet sich ferner der einzige leidlich bequeme Pass weg von der Westküste ins Innere Illyriens und nach Makedonien: das Thal des Flusses Genusus (jetzt Skumbi), dem in römischer Zeit die Via Egnatia, die grosse Heerstrasse zwischen Italien und Makedonien-Thrakien, folgte. D. und Apollonia waren beide Ausgangspunkte derselben, aber schon lange vor dem Ausbau dieser Strasse müssen sie den Handel Griechenlands mit dem Innern Illyriens vermittelt haben. Erst in römischer Zeit trat der Übergangsverkehr zwischen Italien und der Balkanhalbinsel hinzu. Solange dieser Verkehr im wesentlichen durch die griechischen Städte um den Golf von Tarent und westlich davon vermittelt wurde, schlug er südlichere Wege, von Kerkyra westlich, ein. Erst als der Schwerpunkt Italiens sich nach Mittelitalien und Rom verschob und damit Brundusium als Hafen für den östlichen Verkehr der Halbinsel hervortrat, wurden naturgemäss Apollonia und D. die entsprechenden Landeplätze der Gegenseite. Denn von Brundusium aus kann man sowohl bei den vorherrschenden Nordwestwinden, als bei den im Winter häufigen südlichen Winden leicht nach Apollonia und D. und umgekehrt segeln, während der Verkehr von Brundusium mit südlicheren Häfen nur in einer Richtung leicht, in der entgegengesetzten aber sehr schwierig ist. Durch diese leichtere An- und Absegelung im Verkehr mit Brundusium ist D. noch besonders vor Apollonia ausgezeichnet, so dass es dieses allmählich als Landeplatz verdrängt hat, während in der ersten Zeit der römischen Herrschaft noch Apollonia bevorzugt wurde (Zippel Röm. Herrschaft in Illyrien 90). Die Bedeutung D.s als Übergangshafen ist also eng mit der Brundusiums [1884] verbunden; es tritt daher gleichzeitig mit diesem erst im späteren Mittelalter wieder in den Hintergrund, als sich der Seeverkehr Italiens immer mehr nach seiner Westseite (Amalfi, Pisa, Genua) einerseits, nach Venedig andererseits zog, zudem das Innere Illyriens immer wilder und unzugänglicher wurde.

Über die Topographie des antiken und mittelalterlichen D. berichtet Heuzey (Mission en Macédoine 349ff. mit Plan, vgl. ferner über das moderne Durazzo v. Hahn a. a. O.). Die Überreste der griechischen und römischen Stadt sind so unbedeutend, dass sie zwar genügen, um die Lage derselben beim heutigen Durazzo sicher zu stellen, nicht aber über die genauere Örtlichkeit und Ausdehnung der antiken Stadt sichere Auskunft geben. Dagegen ist die mächtige Ringmauer der mittelalterlichen Stadt erhalten; eine Inschrift versetzt den Bau eines Turmes derselben in das J. 1235 unter den Despoten Theodoros Angelos von Epirus; die Mauer selbst dürfte älter sein. Sie verläuft mit der Westfront auf der Höhe des südlichen Ausläufers des Duresrückens und bildet dort (98 m. über dem Meer) eine Citadelle. Von der Höhe zieht sich die Umwallung in Form eines Trapezes nach Osten die Hügelabdachung hinab in die Strandebene, diese zum grössten Teil einschliessend. Die jetzige Stadt, von einer türkischen Mauer umgeben, hat sich in den südöstlichen Winkel der mittelalterlichen Stadt zurückgezogen, da, wo der Hügelzug gegen den Landeplatz hin in eine von Sand umgebene Spitze ausläuft. Auch der Südabfall der Stadthöhe ist von einer schmalen Strandebene begleitet; dort entspringt eine starke Quelle, die einige Gärten bewässert; die Quelle dürfte wohl, wie Heuzey annimmt, von der antiken Mauer eingeschlossen gewesen sein. In der grösseren Ebene im Nordosten der Stadthöhe gegen das Haff hin, ausserhalb der mittelalterlichen Mauer, fand Heuzey undeutliche Reste einer älteren Umwallung, die er für römisch hält.

Die Angaben der Alten über das räumliche Verhältnis des römischen D. zum griechischen Epidamnos und über die Entstehung dieser zweifachen Benennung widersprechen sich. Nach der einen Annahme wurde der alte Name der Stadt Epidamnos wegen seiner im Lateinischen übeln Bedeutung (damnum Schaden) von den Römern durch den neuen Namen D. ersetzt, der von der mächtigen Brandung am Felsgestade der Halbinsel abgeleitet sei (Plin. III 145. Pomp. Mela II 56. Etym. M.). Nach anderen gehen aber beide Namen schon von Anfang an neben einander her. Nach Stephanos von Byzanz (s. Δυῤῥάχιον und Ἐπίδαμνος] hiess die Halbinsel D. (noch jetzt Dures!), auf der die Stadt Epidamnos gegründet wurde. Appian (bell. civ. II 39) erzählt, ein barbarischer König Epidamnos habe die gleichnamige Stadt gegründet; dessen Tochter hatte von Poseidon einen Sohn Dyrrhachos, der die nach ihm benannte Hafenstadt gründete. Es ist wahrscheinlich, dass schon von alters her der griechische Name Epidamnos und der illyrische (Kiepert a. a. O.) Name D. (Dures), der zuerst der Halbinsel zukam, neben einander in Gebrauch waren; unter den Römern wurde dann der letztere der herrschende. Aus der von Appian mitgeteilten [1885] Gründungssage schliesst Heuzey, dass die Stadt von Anfang an eine doppelte mit doppeltem Namen gewesen sei. Auch berichten Cass. Dio XLI 49 und Pausanias VI 10, 8, dass D. von Epidamnos getrennt sei, aber, wie letzterer sagt, nicht weit davon liege, und Anna Comn. III 12 lässt die Normannen in den Ruinen des alten Epidamnos ausserhalb der Mauern von D. lagern. Nach Heuzey lag wahrscheinlich das alte Epidamnos auf der Höhe der mittelalterlichen Stadt, den Südabhang mit der Quelle einschliessend, D. gleichzeitig am Südostzipfel am Landeplatz, wo [1886]

das heutige Durazzo liegt. In der römischen Glanzzeit breitete sich die Stadt in der nordöstlichen Ebene aus, wo Heuzey die ältere Umwallung fand, räumlich getrennt von der Oberstadt, und dies veranlasste die Nachrichten von Dio und Pausanias, dass D. nicht mit Epidamnos identisch sei. In byzantinischer Zeit wurde dieser Stadtteil wieder verlassen, und seine Ruinen, die man nun als das alte Epidamnos ansah, waren der Lagerplatz der Normannen Guiscards.

Die Stadt Epidamnos wurde als griechische Colonie im J. 627 von Korkyraeern und Korinthiern gegründet und wuchs zu Grösse und Wohlstand (Thuk. I 24–26) durch den Handel mit den benachbarten Taulantiern, also wohl durch die Einfuhr griechischer Industrieerzeugnisse nach Illyrien und die Ausfuhr illyrischer Rohproducte. Ihre Verfassung war oligarchisch; der Handel mit den Eingeborenen wurde durch einen besonderen Beamten (πωλήτης) geleitet (Arist. Pol. II 4. III 11. IV 33. V 1, 3. Plut. quaest. graec. 29. Aelian. v. h. XIII 16). Innere Verfassungskämpfe, in die sich die Illyrier, Korkyraeer und Korinther mischten, gaben die Veranlassung zum peloponnesischen Krieg (Thuk. a. a. O.). Wir hören dann wieder von Epidamnos, als Kassander im J. 314 die Stadt einnahm, sie bald darauf an die Korkyraeer verlor, die sie dem Taulantierkönig [1887] Glaukias übergaben (Polyaen. IV 11. Diodor. XIX 70. 78). Später geriet sie unter die Herrschaft der Ardiaier (der Liburner nach Appian bell. civ. II 39, Zippel Röm. Herrsch. in Illyrien 35). Im J. 229 von den Illyriern belagert und von den Römern befreit, wurde sie nun in die römische Bundesgenossenschaft aufgenommcn (Polyb. II 9ff. Zippel a. a. O. 56).

Über die Stellung D.s zu Rom s. Zippel a. a. O. 88ff. D. entwickelte sich als Freistadt (Cic. ad fam. XIV 1) unter römischer Herrschaft zu seiner grössten Blüte. Ihre Einwohner, deren Hauptgöttin Venus war (Catull. 34, 11), waren als ausschweifend und lasterhaft bekannt (Plautus Men. 258ff.). In der ersten Zeit weniger als Landeplatz benützt (von P. Sempronius 205 [‌Liv. XXIX 12] und M. Lucretius 171 [Liv. XLII 48]) als Apollonia, wurde es vom 1. Jhdt. v. Chr. an der üblichste Übergangshafen, und hat als solcher in den Bürgerkriegen eine Rolle gespielt. Im J. 48 war D. der Waffenplatz des Pompeius, den Caesar vergeblich von hier zu vertreiben suchte (Caes. b. c. III 42. 76. Appian. b. c. II 40ff. Cass. Dio XLI 39. Lucan. VI 29–63). Vgl. ferner Strab. V 283. VI 316. 323. 327. Ptolem. III 12. Plin III 101. IV 36. 42. 46. VI 217. XIV 30. XIX 144. XXXII 18. Skylax 26. Skymn. 435. Tacit. hist. II 83. Appian. Ill. 7. 13. Liv. XLIV 30 u. a. m.

Im J. 314 n. Chr. durch ein Erdbeben zerstört, blühte die Stadt doch wieder von neuem auf als Hauptstadt der Provinz Epirus nova, später eines Themas des oströmischen Reiches und als Metropolis. Ihre für den Verkehr wichtige Lage setzte sie aber oft kriegerischen Ereignissen aus; so wurde sie 481 von Theodorich, im 10. und 11. Jhdt. wiederholt von den Bulgaren belagert; besonders für die Normannen bildete im 11. und 12. Jhdt. die Stadt, die auch damals noch durch Handel blühte und zahlreiche Colonisten aus Amalfi und Venedig in ihren Mauern barg (Anna Comn. IV 125), das wichtigste Tor für ihre Einfälle in die Balkanhalbinsel. 1081 besiegte hier Robert Guiscard den Kaiser Alexios und nahm die Stadt; 1107–1108 Belagerung durch Boemund; 1185 Einnahme durch Wilhelm II. Unter dem lateinischen Kaisertum bemächtigte sich der Despot Michael von Epirus D.s; sein Nachfolger Theodoros erneuerte die Mauern. Mit dem zerstörenden Erdbeben von 1273 scheint der Verfall der Stadt zu beginnen, der unter dem Hause Anjou und unter der venetianischen Herrschaft (1386–1501) fortdauerte. Unter den Türken ist D. zu einem gänzlich unbedeutenden, von Fiebern heimgesuchten Örtchen von 1200 Einwohnern herabgesunken (Geogr. Rav. Guido 113. 117. Itin. Ant. 317. 337. 339. 497. 520. Hierokl. 653. Prokop. b. Vand. I 1. 11. Const. Porph. d. adm. imp. p. 96. 99. 101; de them. II p. 26. Cedren. ed. Bonn. I 522. 638. II 529. Niceph. Callist. XVII 3. Niketas Choniat. ed. Bonn. I p. 385. 472. Anna Comn. passim. Cyriacus Anconit. epigr. 21f. Lequien Oriens christ. II 240).