Cantabri (Κάνταβροι) und Cantabria, Volk und Landschaft im nördlichen Teil von Hispania citerior. Der Name der Kantabrer wird zuerst genannt, weil sich das Quellgebiet des Hiberus in ihren Bergen befand (Cato orig. VII p. 28, 4 Jord. Poseidonios bei Strab. III 159. Plin. III 21), 40 Millien entfernt vom Hafen von Iuliobriga (s. d., Plin. IV 111); ebenda entspringt auch der Minius (Strab. III 153, s. d.) Von hier beginnt das Gebirge Idubeda (s. d.), zwischen
[1492] dem und den Pyrenaeen der Hiberus fliesst (Strab. III 161). Poseidonios berichtete ferner von ihrer ärmlichen Lebensweise, ähnlich der ihrer keltiberischen Nachbarn (auch das von Catull. 37, 20 verspottete Zähnereinigungsmittel benützten sie, Strab. III 164), von ihren den kerretanischen gleichkommenden Schinken (III 162), und besonders von ihren Sitten, wonach Asklepiades von Myrlea Lakonen unter ihnen vermutete (Strab. III 157; s. Lacobriga). Sie hatten eine Art von Gynaikokratie: die Männer geben den Frauen eine Mitgift, die Töchter erben und geben ihre Brüder in die Ehe. Gross ist ihre Todesverachtung: im kantabrischen Kriege haben Mütter ihre Kinder umgebracht, damit sie nicht gefangen würden; ein Knabe hat auf Befehl des Vaters mit dem Schwert seine gefangenen und gefesselten Eltern und Brüder alle getötet; ein anderer, zu Betrunkenen gerufen, stürzte sich in einen brennenden Holzstoss. Sie geloben sich unter einander Treue bis zum Tode, und führen für unerwartete Fälle ein schmerzloses Gift bei sich (so auch Flor. II 33, 50). Kriegsgefangene, ans Kreuz genagelt, sangen Siegeslieder (Strab. III 165). Den ersten Feldzug gegen sie führte L. Lucullus im J. 603 = 151 (Vaccaeos et Cantabros et alias adhuc incognitas nationes in Hispania subegit Liv. ep. XLVIII). Den Numantinern kamen sie dann zu Hülfe (Appian. Hisp. 8). Wir hören sodann, dass Kantabrer in Gallien mit den Aquitanern gegen Caesars Legaten Crassus fochten (Caes. b. G. III 26, 6. Oros. VI 8, 22) und des Pompeius Legat Afranius Mannschaften bei ihnen aushob (Caes. b. c. I 38, 3). Zu ihrer Unterwerfung aber führten erst die Feldzüge des Augustus und Agrippa. Die Kantabrer, Vaccaeer und Asturer standen schon im J. 725 = 29 v. Chr. im Kampf gegen die Römer (Dio LI 20, 5); darauf bezieht sich des Horaz Cantaber indoctus iuga ferre nostra (c. II 6, 2) und der Cantaber bellicosus (c. II 11, 1). Die steigende Gefahr nötigte den Augustus im J. 728 = 26 v. Chr. den lange geplanten Feldzug gegen Britannien aufzugeben und selbst die Kriegführung gegen die Kantabrer und Asturer zu übernehmen (Liv. epit. CXXXV – danach kurz Suet. Aug. 21. Strab. VI 287. XVII 821. Ampel. 47, 4. Vict. epit. 1, 7. Fest. brev. 5, 3. Oros. VI 21, 1–5. Iordan. Roman. 249 – ausführlich Flor. II 33. Dio LIII 22, 5. 25, 2; vgl. Plut. de fort. Rom. 9 p. 322 C. Joseph. bell. Iud. II 374). Den Anlass gaben wohl ihre wiederholten räuberischen Einfälle in das Gebiet der benachbarten Vaccaeer, Turmoger und Vasconen (Flor. III 33, 47). Augustus kam selbst nach Segisama (s. d.; Flor. II 33, 48) und suchte durch Dreiteilung des Heeres unter den Legaten C. Antistius Vetus und C. Furnius, sowie von der See her durch die Flotte unter M. Agrippa die Kantabrer einzuschliessen (Flor. III 33, 51). Die erste Schlacht fand unter den Mauern des Castells Bergidum (s. d. Nr. 2) statt (Flor. III 33, 49); die folgenden am Berge Vindius (s. d.), bei Araceli (s. d.) und am Berg Medullus (s. d.). Krankheit zwang den Augustus in Tarraco zu überwintern (Suet. Aug. 26. 81). Die vorläufige Beendigung des Krieges fällt in das folgende J. 729 = 25 v. Chr. (Dio LIII 25, 5. Flor. II 33, 52) durch die scheinbare Unterwerfung der Kantabrer. In diesem Feldzuge
[1493] that Tiberius die ersten Kriegsdienste als Tribun (Suet. Tib. 9); auch die von Horaz genannten Concaner (s. d.) wurden durch diesen Feldzug bekannt (c. III 4, 34. Sil. III 361). Aber schon 732 = 22 v. Chr. erhoben sich die Kantabrer von neuem gegen den Legaten C. Furnius; von ihm geschlagen, steckten sie ihre Verschanzungen selbst in Brand und kamen in den Flammen oder durch gemeinsam genommenes Gift um (Dio LIV 5, 1). Erst im J. 735 = 19 v. Chr. gelang es dem gegen sie gesendeten M. Agrippa die Mannszucht der Legionen, die sich weigerten, gegen die Kantabrer zu kämpfen – die Legio I Augusta verschwindet seitdem aus der Reihe der Legionen (CIL II p. LXXXVIII) –, wiederherzustellen, fast die ganze waffenfähige Mannschaft zu vernichten oder nach Abnahme der Waffen zur Aufgabe ihrer festen Castelle zu zwingen und in der Ebene anzusiedeln (Dio LIV 11, 1–5), und damit den fünfjährigen Krieg zu beenden (Oros. VI 20, 9). Der überstandenen Beschwerden des Feldzugs gedenken Horaz (Cantaber Agrippae virtute cecidit ep. I 12, 26; Cantabrica bella tulisti ep. I 18, 55) und Sueton (Aug. 29); bis zum kantabrischen Krieg reichten des Augustus Aufzeichnungen über sein Leben (Suet. Aug. 85). Seitdem bildet Kantabrien einen Bestandteil der Tarraconensis, ohne teilsweis getrennte Verwaltung wie Asturien (s. d.) und Kallaikien (s. Callaici, vgl. Oros. VI 8, 21. Nom. prov. p. 129, 5. Dimens. prov. p. 13, 5). Auf die durch den kantabrischen Krieg gewonnene Kenntnis ihrer Sitten (s. o.) gehen zurück die Erwähnung ihrer kleinen Waffen bei Lucan (VI 259), ihrer Schuhe, an die den Seneca die der Korsen erinnerten (dial. XII 7,9), von ihrer Ausdauer und Kriegstüchtigkeit bei Silius (III 326. 639. IX 232), ihrer dichten Wurfspeere (X 16. XV 412. XVI 46; vgl. Isid. orig. IX 2, 113). Zwei kantabrische Cohorten dienten seitdem im römischen Heere, die II. im J. 86 in Iudaea (Eph. epig. V p. 168); auch die ala Campagonum (s. o. S. 1433 und Bd. I S. 1236) scheint asturischen oder kantabrischen Ursprungs. Cantabri erscheinen danach unter den Truppen (bei Hygin. de munit. castr. c. 29. 30). Aus dem kantabrischen Feldzuge des Augustus stammt wohl die Bezeichnung einer Form des Aufmarsches und Angriffes der Reiterei als Cantabricus [impetus] in der Rede des Hadrian vom J. 128 an die Truppen von Lambaesis (CIL VIII 2532 A a 7), Κανταβρικὴ ἐπέλασις und Κανταβρικὸς κύκλος (Arrian. tact. 40, 1. 6), Cantabrum hiess vielleicht deshalb eine zuerst bei Tertullian erwähnte Standarte (apolog. 16; ad nat. I 12. Minuc. Felix Octav. 29, 7) und cantabrarius ihr Träger (Cod. Theod. XIV 7, 3). Münzen des Gallienus nennen einen Io(vis) Cantab(rorum) (Cohen Monn. de l’emp. V² 378). Von den römischen Strassen des Gebietes (Itin. Ant. 439, 15) ist noch nichts genauer bekannt. Die Küstenflüsse Kantabriens bis zur Salia (jetzt Sella, s. d.) hat nach Varros Küstenbeschreibung Melas Text nicht ohne Lücken und Verderbnisse erhalten (III 15; vgl. Plin. IV 111); als Orakelquelle nennt Plinius die fontes Tamarici, die vielmehr nach Kallaikien gehören (XXXI 23). Das Meer an der Nordküste Hispaniens hiess danach der kantabrische Ocean (Plin. XXXIV 149. Ptolem. II 6, 3. 73. VIII 4, 2. Marcian. II 16.
[1494] Oros. 12, 73. Aethici cosmogr. II 34 p. 98, 8 Riese). In den von Augustus vervollständigten Listen des Agrippa waren als zum Bezirk von Clunia gehörig (vgl. das Wunderzeichen für den in Clunia zum Kaiser erhobenen Galba, Suet. Galba 8 in Cantabriae lacum fulmen decidit) sieben Gemeinden der Kantabrer aufgezählt (III 26), Plinius nennt davon aber nur die Neugründung des Augustus Iuliobriga (s. d.), da schon Mela (nach Varro) ihre Namen für unaussprechlich erklärt hatte (III 15 quae nostro ore concipi nequeant); auch Octaviolca (s. d.) war vielleicht eine nach ihm oder einem seiner Angehörigen benannte Stadt. Ptolemaios nennt ausser diesen beiden noch sechs Gemeinden der Kantabrer (II 6, 50), deren Zuteilung an das eigentlich kantabrische Gebiet nicht ganz sicher scheint (CIL II p. 397. 934, wo die älteren Schriften angeführt sind). Auf Inschriften werden Kantabrer nicht selten genannt (CIL II 2926. 3061. 4191); die gens Cantabrorum war durch einen Flamen und eine Flaminica beim Altar des Augustus in Tarraco vertreten (CIL II 4192. 4233. 4240). Auch als Cognomen, das auf Abstammung deutet, ist Cantaber nicht selten (CIL II 2953. 2957. 2971 = 5832. 3125. 3199. 5772. 5795. VI 14366. 14367. XI 214. 3612. XII 1892. 1976. 4169. 5364. XIII 5013. XV 442. Hydatius p. 33, 229 Momms. Suevi Conimbricam dolore ingressi familiam nobilem Cantabri spoliant et captivam adducunt matrem, cum filiis); davon abgeleitet Cantabrinus (CIL III dipl. LXXII. CIL II 5495; Κανταβρηνοί Agath. hist. II 17). Iuvenal braucht Cantaber im Sinn der naturwüchsigen und einfachen Bewohner Hispaniens überhaupt (15, 108 sed Cantaber unde stoicus?).
Von Erzeugnissen des Landes werden genannt das plumbum nigrum (Plin. XXXIV 158) und der Magnet (Plin. XXXIV 148 hic lapis et in Cantabria nascitur non ut ille magnes verus caute continua, sed sparsa bullatione; ita appellant); dass der kantabrische Ocean bei der Geburt der Serena Edelsteine ausgeworfen habe, wie Claudian sagt (laus Serenae 74), ist kaum wörtlich zu nehmen. Ausser den schon erwähnten kantabrischen Schinken (Strab. III 162. Athen. XIV 658 a) werden als Erzeugnisse ferner angeführt die heilkräftige herba Cantabrica (Cels. V 27, 10), per divi Augusti tempora a Cantabris reperta (Plin. XXV 85. 101) und die Kleie (cantabrum Apic. 7, 260. 291. Cael. Aurel. acut. II 9, 53. III 3, 16; chron. III 4, 63. IV 3, 47. Cass. Felix p. 8, 11 u. s. w. Pelagon. 1, 6. 7, 132. 31, 461 und andere Ärzte); davon der sucus Cantabricus (Veget. mulomed. V 56, 3) und die Krankheit cantabries (Cass. Felix 6). Im 5. Jhdt. machen die Kantabrer wieder von sich reden (Hydatius chron. a. 465 p. 28, 171 Momms. Cantabriarum et Vardulliarum loca maritima; vgl. Venantius Fortunatus carm. X 19, 11; append. carm. 2, 30. Sisebutus Br. an Isidor v. 8). Seitdem bleibt der Name nur noch den Gelehrten bekannt.