Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Stadt in Hispania citerior oder Tarraconensis
Band X,1 (1918) S. 99101
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Iuliobriga, Stadt im Gebiet der Cantabri, in der römischen Provinz Hispania citerior oder Tarraconensis, in der Gegend der heutigen Ortschaft Retortillo bei Reinosa, Provinz Santander. Kiepert CIL II Suppl. tab. I Ck und FOA XXVII ABf. Der Name I. setzt sich zusammen aus dem Personennamen Iulius und dem keltischen Wort brīga oder brīca, d. h. Hügel, Burg (Holder a. a. O. I 533. 529. III 935f. 931). Wenn nun auch Iulius zu den Namen gehört, wo lateinische und keltische Sprache zusammenfließen (Keune Lothr. Jahrb. 1903, XV 428), so darf doch für I. ebenso wie für Iuliobona und Iuliomagus angenommen werden, daß ihr Name gewählt ist zu Ehren des C. Iulius Caesar oder, wie in unserem Falle, seines gleichnamigen Adoptivsohnes, des späteren Augustus. Diese Namen sind also zusammenzustellen mit den Städtenamen Caesarobriga, Augustobriga (zwei Ortschaften) und, zu Ehren des Vespasianus benannt, Flaviobriga (am Cantabrischen Meerbusen, nordöstlich von I.), alle vier in den spanischen Provinzen gelegen, sowie mit anderen zu Ehren von Kaisern oder Angehörigen des Kaiserhauses geschaffenen Ortsnamen, welche zusammengesetzt sind mit den keltischen (latinisierten) Wörtern -bona (Bau, Stadt; Augustobona), -dunum (Berg oder Wallburg; Caesarodunum, Augustodunum), -durum (Festung; Augustodurum), -magus (Feld, Ebene), -nemetum (geweihter Hain, Heiligtum), -ritum (Furt); vgl. Keune Korrbl. Westd. Ztschr. XVII (1898) 215 und o. Bd. II S. 2367-2369. III S. 1304. 2662. V S. 1742. VI S. 2515. VII S. 1251. Die mit -briga zusammengesetzten Ortsnamen waren aber gerade auf der Pyrenäenhalbinsel sehr häufig (über ihr Verbreitungsgebiet vgl. Kiepert Lehrb. d. alt. Geogr. 483, 1), woher sich die Wahl der genannten hispanischen Neubenennungen erklärt, während in Gallien die doch wohl gleichwertigen Wörter -dunum oder -durum vorgezogen wurden. Plinius n. h. III 21 erwähnt die Stadt I. gelegentlich von kurzen Angaben über den Fluß Hiberus (Iberus, jetzt Ebro), dessen Quelle unweit I. sei: Hiberus amnis .. . ortus in Cantabris hautprocul oppido Iuliobriga (vgl. o. Bd. IX S. 807), und III 27 nennt er sie allein von den sieben Gemeinden der Cantabri (vgl o. Bd. III S. 1494): in Cantabricis VII populis Iuliobriga sola memoretur. Vom selben Plin. IV 111 wird als Seehafen dieser Binnenstadt zwischen dem flumen [100] Sauga (jetzt Saja) und einem portus Blendium erwähnt: portus Victoriae Iuliobricensium (Santander oder Santoña?, vgl. Kiepert FOA XXVII Af und o. Bd. VIII S. 1989); ab eo loco fontes Hiberi XL p. (= XL milia passuum). Auch Ptol. II 6, 50 führt Ἰουλοβρίγα unter den (acht, im Binnenland gelegenen) πόλεις der Κανταβροί auf. Vier bei Retortillo gefundene Grenzsteine, termini, dienten zur Abgrenzung des Wiesen- und Weidelandes der Legio IIII (Macedonica, welche seit der Zeit des Augustus bis zu Claudius in Hispania stand) gegen das Gemeindegebiet von I., CIL II 2916 a-d: Ter(minus) August(alis) dividit prat(a) leg(ionis) IIII et agrum Iuliobrig(ensium); ein fünfter, einem anderen, entfernten Fundort entstammender Terminus, CIL II (Suppl.) 5807, bezeichnete die Grenze derselben prata gegen den Bann von Segisamo (Sasamon, wnw. von Burgos). Auf zwei (verschollenen) Ehreninschriften, welche von der Provinz Hispania citerior in deren Hauptstadt Tarraco (Tarragona) errichtet waren, ist I. als Heimat der Geehrten angegeben, CIL II 4192: C. Annio L. f. Quir. Flavo Iuliobrigens(i) ex gente Cantabrorum provincia Hispania citerior ob causas utilitatesque publicas fideliter et constanter defensas und 4240: Q. Porcio Q. fil. Quir. Vetustino Cantabr(o) Iuliobrig(ensi) praefec(to) c(o)hor(tis) pilato[rum .... (beide waren wohl vom Provinziallandtag gewählte Flamines, über welche vgl. Hübner im CIL II p. 540. 541. Marquardt Röm. Staatsverwaltung I² 259). Aus diesen zwei Inschriften ergibt sich, daß I. der Tribus Quirina zugeteilt war, einer Tribus, der übrigens viele Städte der spanischen Provinzen, vielleicht durch Vespasianus, zugewiesen worden waren (Kubitschek a. a. O. 168f.). Nun ist aber in der Grabschrift eines Soldaten zu Lambaesis in der afrikanischen Provinz Numidia, CIL VIII 3245, welche als Heimatort des Verstorbenen gleichfalls I. nennt, eine andere Tribus angegeben: C. Stabilius Pom(ptina tribu) Maternus Iuliobriga mil(es) leg(ionis) VII g(eminae) f(elicis) usw. Man hat daher in diesem I. eine zweite, gleichnamige Stadt vermutet. Zweimalige Benennung von Städten mit demselben Namen I. ist zwar durchaus nicht unmöglich, wie ja auch die Ortsnamen Augustobriga (s. o.) und Caesaromagus je zweimal nachweisbar sind; wahrscheinlicher jedoch ist, daß hier, wie oft, eine von der heimatlichen Tribus abweichende, persönliche Tribus vorliegt, die dem Soldaten mit dem römischen Bürgerrecht zuerkannt wurde (man beachte den vom Beinamen Stabilis abgeleiteten Geschlechtsnamen Stabilius, wozu vgl. Bd. I A S. 1134). Als Heimatangabe findet sich I. schließlich noch in einer verschollenen, mangelhaft überlieferten Grabschrift eines Soldaten, gefunden bei Chaves in Portugal = Aquae Flaviae in Hispania Tarraconensis, CIL II 2480. Für die spätrömische Zeit wird I. im Staatshandbuch, Not. dign. occ. XLII 30 genannt als Standort eines Truppenbefehlshabers, der von Brigantia oder Flavium Brigantium, in der von der Tarraconensis damals abgesonderten Provinz Callaecia (s. o. Bd. III S. 847. 1359), nach I. verlegt war: Tribunus cohortis Celtiberae, Brigantiae, nunc Iuliobriga (vgl. o. Bd. IV S. 263). Als Beleg [101] für den oben genannten Seehafen von I. ist gefälscht CIL II 242*. - Holder Altcelt. Sprachschatz II 87. Hübner im CIL II p. 397 zu nr. 2916 und (Suppl.) p. 932. Kubitschek Imperium Roman. tribut. discr. (1889) 196. Vgl. auch Kiepert Lehrb. d. alt. Geogr. 493, 1.

[Keune. ]