Textdaten
Autor: Hermann von Bezzel
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Titel: Pflichten in ernster Zeit
Untertitel: Vortrag gehalten am Sonntag Judica 1914 in Ansbach
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Erscheinungsdatum: 1914
Verlag: Komm. Verl. Carl Junge
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Erscheinungsort: Ansbach
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Quelle: Commons
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Pflichten
in ernster Zeit.




Vortrag gehalten am Sonntag Judica 1914 in Ansbach, von Oberkonsistorialpräsident
D. Dr. v. Bezzel.




Sonderabdruck aus dem Evangelischen Gemeindeblatt für den Dekanatsbezirk Ansbach. – Der Reinertrag ist für das Ledigenheim des deutsch-evangelischen Frauenbundes in Ansbach bestimmt.






[Kommisio]nsverlag Carl Junges Buchhandlung,
Gustav Oppel in Ansbach.


| Der heutige Sonntag hat seit alten Tagen den Namen Passionssonntag, weil an ihm die Kirche besonders sich rüsten soll, ihren Herrn in Seine hohe Passion zu begleiten, in das „liebe Kreuz“, wie Luther sagt, das ist in „die Schmach und große Schande, welche Christus unschuldig um unsertwillen erlitten hat“. Es ist für die Seele das trostvollste Wissen, daß einer all ihre Not, die Tiefen ihrer Sünde und die Größe ihrer Schuld kennt und weiß und so wenig an ihr irre wird, daß er vielmehr Tiefen durchmißt und die Größe der Tat willig auf sich nimmt, um die Seele zu erretten. Für gerechte Sache und große Ziele reiner Art, für Vaterland und Ehre hat manch einer sein Leben nicht geliebt bis in den Tod, sondern es eingesetzt und geopfert. Aber für solch verlorene Sache, als eine in Schuld und Schande versunkene Menschenseele es ist, hat nur Einer sein Leben gewagt und verloren, und zwar ein heiliges, reines, göttliches Leben. Nun versteht man etwas von dem „Also“ in der „kleinen Biblia“ und dem „süßen Evangelium“ Joh. 3, 16, von der Größe des Opfers, bewiesen an der Unwürdigkeit des Gegenstandes, dem es gilt, und der Hoheit der Gabe, die es leistet. Was aber der einzelnen Seele den größten Trost bietet, muß für die Kirche, die Gemeinschaft der fehlenden und fallenden, aber auch glaubenden und hoffenden Seelen, das Liebste sein. Denn nicht eine Schar Suchender ist die Kirche noch eine Schule von Denkern und Forschern, sondern eine Gemeinschaft von Erlösten und darum von selig Besitzenden, die Jesus zu seinem Eigentum erworben und dem Vater zugeeignet hat. In dieser Gemeinschaft gilt nur ein Bekenntnis, daß Christus Jesus kommen ist in die Welt, zur Sünde, ja zum Fluch zu werden, um Sünder selig zu machen. Das böse Gewissen, das auch die Kirche mit ihren Dienern, Wächtern und Hirten ängstet und quält, daß es „wohl durch einen eisernen Berg flöge, wo es möglich wäre, so greulich erschrickt es und fürchtet sich, so oft ihm eine Not begegnet“, wird nur durch den Glauben getröstet. „Anfang, Mittel und Ende aller Irrtümer ist, daß man aus den einfältigen Worten Gottes tritt und will mit der Vernunft in göttlichen Wundern handeln und die Sache bessern.“ Aber Gott sei Dank!| „Der Katechismus wird Meister bleiben und das Regiment in der christlichen Kirche behalten und Herr bleiben[“]. Denn „so eine kleine und geringe Monstranz auch der Glaube ist, er birgt solch edle Kleinode, Perlen und Smaragde im Innern, das Himmel und Erde nicht behalten kann“. Nicht neue Tröstungen, sondern Seine Tröstungen ergötzen und erquicken die Kirche, daß sie den Weg seiner Gebote läuft. Man nehme der Kirche das alte Evangelium, das die Stürme der Völkerwanderung vor 1600 Jahren überdauert, an der Wiege des heiligen römischen Reiches segnend und betend die Wache gehalten, an der Bahre tröstend und trauernd Treue erzeigt hat und uns das neue Deutsche Reich einläutete, man nehme die heilige Weihe der Wahrheit und erbarmenden Liebes aus unserer Kirche, so wird sie ein weittönender Sprechsaal mit unruhig flackernden Lichtern, die nicht die Heimat verkünden, sondern in die Ferne weisen, nicht heilige Stille ins Herz legen, sondern zu Unrast und Unmuß hinaustreiben. Laßt uns an dem Bekenntnis halten, das der Glaube darreicht, „der Heiligen Schrift bester Schlüssels“, nicht ein Bekenntnis wählen und wünschen, wie wir’s gerne möchten, als ob eigne Wahl und Wille uns aus dem Leid herausheben könnte, in welches eigne Wahl uns senkte und vergrub, sondern an dem Bekenntnis, das die Jahrhunderte starkmächtig, voll stiller Heldenkraft, sicher und getrost überdauert und den Sieg bis aus die gegenwärtige Stunde wirkt und gesichert hat.
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 Die Kirche weiß, daß sie mit diesem Bekenntnis (Hebr. 13, 13) aus dem Lager der Welt hinausgedrängt wird, zu einem Felsen, der draußen vor dem Tore einsam ragt. Denn „dieser Artikel, daß Christus wahrer, natürlicher Gott und Mensch ist, bleibt solch ein Fels, darauf wir getauft sind, leben und sterben“. Draußen vor dem Lager, in dem Weltbildung glänzt und Weltmeinung klingt, nur der Verneinende gilt und der Widersprechende ein Mann ist, steht die bekennende, dankende, betende Kirche: „Ich will hier bei dir stehen. Verachte mich doch nicht“. Denn es ist ihr um nichts so viel als um die Treue zu tun. Auf lustigen Höhen in voller Freiheit zu wohnen ist anmutig und ergötzlich, aber auch gefährlich und die Lawine stürzt leicht die freien Gebäude zusammen. Doch der Fels hält den Sturz auf und aus, und die zu ihm halten, werden errettet. Wir| verhehlen uns nicht, daß Treue nie ohne Schmähung geleistet wird, aber, so sagt der Apostel, es ist Seine Schmach. Das Joch ist sanft und diese Last ist leicht. Man nimmt gerne auf sich, was der Treue, dem ehrlichen Danke, dessen Wort sich ändert, wie sein Grund ewig der gleiche bleibt, widerfahren soll. Und schließlich wird draußen vor dem Lager all das bereitet und zusammengefügt, erbetet und erglaubt, was die Seele wahrhaft trösten, die Welt wirklich retten kann.

 Wir wollen die Treue halten. Das ist unsre Pflicht in der ernsten, scheidungs- und entscheidungsvollen Zeit, die uns umdrängt, denn die Treue ist göttlichen Ursprungs, voll göttlicher Kraft und göttlicher Verheißung gewiß und gedenk.

 An dem Tage, an dem unser Gott, der Vater des ewigen Erbarmers aufhörte, treu zu sein, würde er sterben. Denn das ist Sein Ehrentitel, daß er, was er von Alters her heißt und ist, Vater und Erlöser, bis in die fernsten Zeiten bleibt. Ein Abraham hat unter dem nächtigen Sternhimmel nichts anderes erfahren als Moses am Gestade des Roten Meeres und in der schweigenden Einsamkeit der Wüste. Die lieben Propheten alle sind durch die Treue gerettet worden, die sie priesen, und im Preise der Treue haben sie ihr Leben verzehrt. Ja, Gott wäre nicht der Gott der Geschichte, in deren wirre und krause Fäden Er seine goldnen Fäden mit kundiger und fester Hand einwebt, wenn er nicht treu, Ja und Amen wäre. Darum nennt ihn die Offenbarung das A und O, der alles, was zwischen dem ersten und dem letzten Buchstaben von Weltwesen und Weltentwicklung, von dem ersten „Es werde“ bis zu dem letzten „Es ist geschehen“ – getan und erlebt wird, umschließt und erfüllt. Wenn man an dieser Treue nicht mehr halten könnte, so wäre alles im Himmel tot und auf Erden verloren. Sein Ja wäre so wenig verlässig wie sein Nein, Gebetserhörungen wären nichts und Wundertaten geschähen nicht. Sondern vom blinden Ungefähr käme alles und in dieses weite wüste Tote Meer kehrte alles zurück. Der Fromme führe mit dem Gottlosen eine Straße und der Verächter wäre gleichen Loses wie der ein enges Gewissen hat.

 Weil aber Gott treu ist, und wir das ewig rühmen wollen und dürfen, so wollen auch wir Treue halten. Zuerst dem Gotteswort! Es ist ein armes, geringes| Wort und wer es oberflächlich ansieht, dem verbirgt die arme Gestalt und das mühselige Gewand den kostbaren Inhalt. Er entdeckt allerlei Risse und Mängel, Schäden und Schatten, dort einen Widerspruch, hier eine Unglaublichkeit. Und die den größten Widersinn, wenn er gegen die Heil. Schrift geht, bereitwillig glauben, eisern gegen das heilige Wort, als sei es nicht verlässig. Wer aber an das Wort mit dem Gebet geht: Rede, Herr, dein Knecht hört, tue mir kund, was du meinst und wie du es meinst, öffne mir die Augen, daß ich sehe die Wunder an deinem Gesetz, dem bringt das Wort eine reiche Geschichte aller derer nahe, die ihm getraut und ihre Anliegen ihm gestanden, ihren einigen Trost von ihm geholt haben. Wie in den alten Kirchenbüchern Blatt an Blatt sich reiht, darauf die ehrenfesten Pfarrherren vergangener Zeiten die Geschicke ihrer Gemeinde an Gottes Wort erläutert haben, wie in den ehrwürdigen Hausbibeln, etwa in der Kurfürstenbibel, oder in Arndts Paradiesgärtlein Hochzeits- und Leichentext in schweigender Folge aneinander sich reihen, der eine Text zur Bestätigung des andern, so hat jedes Gotteswort seine Geschichte. Der Wahlspruch des großen frommen Feldmarschalls Albrecht von Roon und der des sel. Pfarrers Löhe war derselbige: Ps. 25, 21. – Ich greife das herrliche Lied Gottfried Arnolds heraus: So führst du doch recht selig, Herr, die Deinen (Nr. 262). Das ruht auf dem 4. Psalm. Albert Knapp hat es das tiefsinnigste, erfahrungsreichste, gedankenreichste Kirchenlied voll majestätischer Weisheit genannt und der große Weltweise Schelling, der Lehrer unseres unvergessenen Königs Max II. hat es zu seinem Lieblingslied erwählt. Wenn man den 8. Psalm ansieht, so mag man wohl daran denken, wie Luther seinen verzagten Freund tröstete: Sei gutes Mutes, Philipp, die Kinder beten für uns. Und Hans Egede, der Apostel der Grönländer († 1758) wurde in schweren Anfechtungen von diesem Worte erquickt. Die betenden Kinder in Schlesien, jetzt vor zweihundert Jahren, beteten um die ihren Eltern geraubten Kirchen. 121 Kirchen haben sie im Frieden zu Altranstädt 1707 zurückerobert. – Am Samstag vor Misericordias 24. April 1632, zog Gustav Adolf von Lechhausen in die Stadt Augsburg ein zur St. Annakirche, die allein von den sieben Stadtkirchen unsren Vätern| gelassen war, und in ihr predigte Jakob Fabrizius über Ps. 12, 6: Weil denn die Elenden verstört werden, will ich auf. Der 126. Psalm ward der Text zur Friedenspredigt, die Balthasar Schuppius im Oktober 1648 hielt. Der gleiche Psalm steht auch über der Anstaltskirche zu Bethel in Bielefeld, wie über der Blödenanstalt in Neuendettelsau: den Blödens ist Er hold. Der dritte und der fünfte Vers (die mit Tränen säen – und der Herr hat Großes an uns getan) stehen, rot angestrichen, in der Handbibel Kaiser Friedrichs III., des königlichen Dulders. Die letzte Predigt des gottseligen Johann Arndt († 1621) ward über den dritten Vers gehalten. Welche Geschichte redet aus dem einen Psalm an uns! Die größte Geschichte aber hat der Psalter doch im Leben dessen, der ihn (Luk. 24, 44) den Jüngern öffnete. „Der Herr Jesus selbst hat mit seinen Jüngern den Lobgesang, der aus etlichen Psalmen besteht, gesprochen, am Ölberg hat er mit seiner Bangigkeit mit einerlei Worten dreimal gebetet, und am Kreuze hat er etliche Reden mit eben den Worten, wie sie in den Psalmen stehen, wiederholt. Sofern könnte man den Psalter des Messias Gebetbuch nennen“, sagt Albrecht Bengel. Gottes Wort – welche Größe in der Einfalt, welche Schönheit in der Schlichtheit, welche Fülle in dem kleinsten und geringsten Gefäß! Wie sollte dieses Gotteswort unsre Treue mehr empfinden und genießen! Man nehme doch jeden Tag ein Gotteswort auf den Weg, betrachte, lerne, übe es, mache Ernst mit seiner Verwirklichung, sei bedacht, es zu erleben. Dann wird der Zweifel schwinden und die Freudigkeit wird das Herz beherrschen. Vieles wissen macht unruhig und unstät, aber das Eine, was not ist, festhalten, das gibt starken Willen. Diese Treue gegen Gotteswort müssen unsre Eltern recht üben, denn „christliche Erziehung beginnt an den Wiegen“. Wohl dem Kinde, das die Mutter in Gottes Wort einführt und gesegnet die Hausfrau, die an ihrem Kinde also einen Himmelserben erzieht. Nicht darauf kommt es an, daß man mit allerlei Wü[r]ze und Zutat das Gotteswort und die heilige Geschichte dem Kinde schmackhaft macht. Die moderne Erzählungskunst streift von den Gottesblumen, die eine barmherzige Hand in den weiten Garten der Christenheit gepflanzt hat, Duft und Blüte ab, läßt die heiligen Männer Gottes reden, als wären| sie ihresgleichen, nimmt ihnen ihre sonderliche Würde, phantasiert, wo nichts geschrieben steht und irrlichteliert, wo geschrieben steht, weiß das Vorleben des Heiligen Gottes, über das die Weisheit den Schleier gebreitet hat, schmückt das Einfache wunderlich aus und beraubt das Wunder seines Schmucks, baut eine Märchenwelt aus den Steinen auf, welche die göttliche Wahrheit gegründet hat. Und doch hören die Kinder nichts lieber als die knappen, kunstlosen Worte der Heiligen Schrift und leben in der Passionsgeschichte ihres Heilands. Es ist keusche Treue, Bibelwort und Christuswerk wortgetreu und einfach zu erzählen. Wenn dann das Kind in der kleinen Schule aus dem Munde des Lehrers nach dem Gottbüchlein dieselbe Geschichte vernimmt, die ihm die Mutter berichtete, so gewinnt es Lehrer und Mutter noch lieber, jenen, weil er so gut, diese, weil sie so gescheit ist. – Aber der Jüngling und Mann verlernen und verlassen zwar das Kindische, nicht aber den Kindessinn. Unsre heranwachsende Jugend erfährt wohl viel von der Bibel, was der gesagt und jener gemeint habe, aber in den eigentlichen Inhalt dringt sie kaum mehr ein. So ist auch die Bibelfestigkeit bedenklich in Abnahme. Und es gehört nimmer zu den Mängeln an Bildung, die man nicht nachsehen kann, wenn die auffälligste Unkenntnis in der Heiligen Schrift von einem dritten Korintherbrief, von dem unbekannten Hiskia spricht und in Jakobus sucht, was in Johannes steht oder den Hebräerbrief im Alten Testamente vermutet. Es wäre auch Treue, wenn der religiöse Memorierstoff, mit dessen Besitz unsre Vorfahren uns so sehr beschämen, fleißiger eingeprägt und nicht er zuerst dem Schrei der Überbürdung geopfert würde. Wie kann unser Geschlecht in trüben Tagen sich noch trösten, an festen Stäben sich aufrichten, wenn es diese Stäbe nimmer kennt! Wir wollen nicht vergessen, wie viel der Religionsunterricht in Kirche und Schule leisten will und noch leistet. Gott vergelte alle hier angewandte Treue. Aber besonders in unsren Mittelschulen, aus denen der Bürger-, der Beamtenstand hervorgeht, ist die Freude am Gotteswort nimmer so vorhanden als es ehedem war. 1877 hatte ich das Glück, den Religionsunterricht des sel. Oberkonsistorialrats D. Seybold († 1891) zu genießen, an dessen Grab im alten nördlichen Gottesacker zu| München ich so manchmal stehe. Nicht so sehr, was er uns gab als wie er gab, mit der Wärme persönlicher Überzeugung, in der Hingenommenheit von den Kostbarkeiten der Heil. Schrift, hat uns das Herz gewonnen. Am vorigen Dienstag aber stand ich am Grabe eines gottbegnadeten und reich gesegneten Religionslehrers, des Kirchenrats D. Friedrich Boeckh, der 28 Jahre lang die Gymnasialjugend zu begeistern, zu beleben verstand und mit Liebe zu Gottes Wort erfüllt und evangelisches Christentum ihr teuer gewahrt hat. Um noch eines Mannes zu gedenken, der aus dem nahen Hennenbach stammt, meines teuren Mitschülers Friedrich Eckerlein, gestorben 1905 – wie oft haben mir seine Nürnberger Schüler gesagt, daß von allen Eindrücken ihrer Jugendzeit der größte der war, wenn er die Konfirmanden unter seinen Schülern zu sich berief, um mit ihnen ein letztes Wort zu reden. Eckerlein war kein „liebenswürdiger“ Lehrer, aber die Treue mit ernstem Verantwortlichkeitsgefühl verbunden, die Heiligung des Willens und der Respekt vor dem Heiligtum lag auf seinem Wesen und adelte es und alle, die ihm anhingen und zuhörten. In den Aufzeichnungen des Gymnasialdirektors Dr. Oskar Jäger findet sich die Behandlung der Stelle 2. Sam. 18, 14, wie Joab dem abtrünnigen Absalom drei Speere ins Herz stößt. „Drei Speere, einen dem Verräter seines Vaters, den andern dem Aufrührer gegen seinen König, den dritten dem Frevler gegen seinen Gott! Mag dies auch eigenwillige Erklärung sein, – wenn man die Schrift so ernstlich liest und nimmt, ihr sein ganzes Interesse zuwendet, so muß man Freude am Schriftwort erwecken und erhalten. Um gute, anregende, fesselnde, innerliche Religionslehrer zu beten soll niemand sich gereuen lassen. Sie tun der Kirche, dem Vaterland den besten Dienst.
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 Treue gegen Gottes Wort und gegen den, von dem es zeugt, gegen Jesum Christum, unsren Herrn. Es ist neuerdings der Kampf um seine Person auch in unsrer Landeskirche entbrannt. Wir wissen und bekennen dies mit tiefem Weh. Aber wir können nicht anders, wir müssen bei dem bleiben, was unser Katechismus im 2. Artikel von Jesu Christo aussagt. Die Herrlichkeit des Menschensohnes, die Niedrigkeit des Gottessohnes, des Königs, der ein Knecht, des Priesters, der ein Opfer| war, des Heiligen von Gott und für Gott, ist zu gewaltig, als daß man ungestraft sie umdeuten und umschreiben dürfte. Und soll die Einheit der Landeskirche, ja diese selbst gefährdet sein, höher als die Einheit und Ruhe steht Wahrheit und Treue. Unsre Väter haben nicht umsonst gesagt, sie wollten lieber das Ärgernis der Spaltung und Trennung tragen und veranlassen als die Wahrheit verletzen. Wir sprechen denen nicht die gute Meinung ab, welche das Schriftzeugnis bemängeln, die Wundertätigkeit Jesu Christi bemißtrauen, seine Göttlichkeit in ihrer Einzigartigkeit beanstanden, aber wir können in solchen Aufstellungen, wie sie seit vielen Jahrhunderten immer wieder auftauchen, wie sie etwa vor 80 Jahren der Gunzenhäuser Dekan Stephani, dem ja Ansbach eine Gedächtnistafel gewidmet hat, in seinem wundersamen Katechismus dargelegt hat, einen religiösen Fortschritt nicht anerkennen, sondern nur einen Rückschritt beklagen. Wenn unsere Gebildeten sich den Anschauungen anschließen, deren letzter Schluß in der Johannisfrage sich zusammendrängt: Bist du, der da kommen soll oder sollen wir eines anderen warten?, so mögen wir dafür danken, daß die Frage um Christi Person und Werk wieder die Herzen bewegt und uns freuen, daß viele mit dem Geheimnis in Jesu wieder ringen. Aber wir dürfen nicht von dem alten Evangelium weichen, weil wir sonst aufhören, Christen in dem Sinne zu sein, in dem es die Kirche aller Zeiten verstand und die Apostel sein wollten und waren. „Dr. Martin Luthers kleiner Katechismus nach der reinen Lehre des Evangeliums für unsere Zeiten umgearbeitet“ heißt das bei Palm in Erlangen 1830 erschienene Büchlein Stephani’s, in dem der Schüler fragt und der Lehrer antwortet. In diesem Katechismus, der von Luther nur noch den Namen hat, lautet der 2. Glaubensartikel: „Ich glaube, daß Gott uns Menschen den größten Beweis von seiner Vaterliebe dadurch gegeben hat, daß er seinen eingeborenen Sohn Jesus von der Jungfrau Maria hat geboren werden lassen und ihm den Auftrag erteilte, einen neuen alle Völker der Erde umfassenden Bund oder Verein zwischen Gott und den Menschen zu stiften, christliche Kirche genannt, der den Zweck hat, uns alle immer mehr zu erleuchten, zu heiligen und zu beseligen“. Es wird die ganze Lebensarbeit des Herrn auf ein geringstes| Maß zurückgeführt. Nicht der Heiland, der mich Todkranken errettet, nicht der Hohepriester, der durch sein stellvertretendes Opfer mich gewonnen hat, wird hier bekannt, sondern der gute Lehrer, der mich mit etlichen gemeinnützigen Kenntnissen bereichert, wird gepriesen. Es ist die tiefste Klage der trauernden Kirche vor manchen Lehrstühlen, über manche Kanzeln: Sie haben meinen Herrn weggenommen und ich weiß nicht, wo sie ihn hingelegt haben (Joh. 20, 13). Gerade unsere evangelische Frauenwelt, die Jesu Christo nicht nur ihre Heiligung und Erlösung sondern auch die ganze soziale Stellung verdankt, daß sie gleichbürtig und gleichwertig im Hause, in der Familie gilt und geehrt wird, sei herzlich gebeten, sich des alten Christus und des alten Evangeliums, der Katechismuswahrheiten erst dann zu entschlagen, wenn sie ihre Wahrheit ganz ermessen hat. Ich weiß gewiß, sie wird dann das alte Evangelium nimmer lassen können. Es liegt zu Tage, daß unsere gebildeten Frauen in großen Scharen von dem Evangelium, nicht wie ein starres kaltes Lehrgebäude in tote, leere Begriffe es gebannt hat, sondern von dem apostolischen Evangelium sich abwenden. Die Größen, die ihr Herz erfüllen, sind lichter, glänzender, weltfroher und feiner. Umsomehr danke ich, wie man seiner Mutter für ihr erbauliches Leben, Leiden und Scheiden nur danken kann, allen denen, die uns Männer im heißen, ermüdenden Kampfe mit ihren Gebeten stärken und mit uns die Schmach der Rückständigkeit, der Verkehrtheit und Unweltläufigkeit tragen. Ich sehe aber mit großer Sorge auf ein Christentum, das etwa aus der „Christlichen Welt“ seine einige Nahrung zieht. Treue gegen Jesum bleibt beim Alten, weil es nie veraltet. Und ist das Altmodische immer das Geringere? Sind die Kulturfortschritte Rettung gegen die Sünde? Ist der Neid und die Mißgunst geschwunden, weil wir im Auto durch die Erde und im Aeroplan über sie hineilen? Hat der Milliardensegen von 1873 wirklich Besserung gebracht? In Deutschland sterben jährlich 14 000 Menschen durch Selbstmord, jeder dreißigste Mann ist ein Selbstmörder! Hat die hohe Intelligenz, die mit den feinsten Mitteln ärztlicher Wissenschaft umzugehen weiß, einen Hopf in Frankfurt besser werden lassen und hat all der bewundernswerte Fortschritt in der Hygiene wirklich| unsrem Volke Frieden gebracht? Kurz gesagt, ist mit dem Begriff der Sünde ihr Wesen und ihre Existenz verschwunden? Ist mit der Leugnung der Erlösung auch die Erlösungsbedürftigkeit dahingefallen? Ich ehre die ernste sittliche Arbeit in den vom alten Glauben fernen Kreisen hoch, so schwer ich an dem Mangel sittlichen Ernstes in sog. altgläubigen Kreisen trage, glaube auch, daß um des schreckhaften Widerspruchs willen zwischen Glauben und Kirchlichkeit – und Leben und Zucht Gott unsre Landeskirche in den jetzigen Kampf ums Dasein gestürzt hat. Aber ich werde nicht fehl gehen, wenn ich sage, daß der Neu- und Freiprotestantismus, sobald er von seinem Edelmetall genug gezehrt hat, den tiefen sittlichen Verirrungen nicht steuern, aber dann nicht mehr die Gegenkraft aufrufen und anbieten kann, die der alte Glaube trotz aller Verkehrtheit seiner Vertreter immer wieder in sich beschließt. Darum Treue, gegen den Christus der Kirche und sein Evangelium! Wahre Treue macht fromm und frei, wahr und echt. Das ist nicht Buchstabendienst und Formelknechtschaft, sondern die Willigkeit, dem Lamme zu folgen, wohin es geht (Offenb. 14, 4). Auch wenn es einmal aus der Landeskirche hinaus gehen sollte. Denn nicht die Landeskirche ist die Hauptsache, so wenig wie meine Erdenheimat, sondern mit dem Christus der Kirche die Kirche Christi und die Heimat im Vaterhaus. Wir sind nicht von denen, die, um mit Harleß zu reden, allen Unrat der Landeskirche, alles Unrechte und Unreine zusammenklauben, um sagen zu können: Seht, das ist die Landeskirche. Fliehet aus Babel! (Jer. 51, 6). Wir lieben unsere Landeskirche von ganzem Herzen; in ihrem Schatten sind wir aufgewachsen, in ihren Mauern wurden wir getauft und konfirmiert. Ihre Kirchenoberen haben uns mit Gebet und Auflegung der Hände zum heiligen Amte verordnet und gesegnet, in ihren Schulen haben wir gelehrt und gelernt. Ihre Liebeswerke haben wir gesehen, mit Bewunderung und Dank gesehen, vielleicht auch ein wenig verstanden, ihre Ehre war und ist die unsere und ihr Leid bewegt uns tief. Wir wissen, daß der Anlauf gegen die Landeskirche zumeist nicht deshalb erfolgt, weil sie unfromm ist, sondern weil sie zu fromm noch ist. Aber wir würden an dem Tage die Landeskirche ob auch blutenden Herzens zu Grabe tragen, wenn sie| in ihrer ganzen Verfaßtheits von der heiligen christlichen Kirche sich lossagen und einem Ich- und Gemeindechristus in bewußter und gepriesener Willkürlichkeit dienen wollte. Ich persönlich bin der guten Zuversicht, daß das Gottgemäße in der schmerzlich empfundenen Bewegung, mit welchem Namen sie genannt werden mag, Segen bringen und das Unrecht an ihr nicht siegen wird. Unsere bayerische Landeskirche hat eine Geschichte der Tränen hinter sich und in sich. Wie viele Salzburger Emigranten sie bevölkern, hat Pfarrer Clauß-Schwabach in vorzüglicher Genauigkeit nachgewiesen. Unsere Diaspora in Unterfranken weiß von Julius Echter von Mespelbrunn, die in der Oberpfalz von Wolf von Neuburg und dem Pater Yselin zu erzählen, sie hat sich durch manche Not hindurchgerungen und wird, wenn sie Jesum bekennt, von ihm auch fernerhin nicht vergessen werden. Ihr Leid ist ihre Kraft. Wenn sie aber die Treue vergäße, würde sie vielleicht, ja zweifellos geistreichere, vielseitigere, gewandtere, viel mehr gefeierte Persönlichkeiten an „leitender Stellung“ haben, wie man zu sagen liebt, aber sie wäre doch innerlich verarmt. – Wenn aber eine Landeskirche zerfällt, fällt die Kirche Christi noch lange nicht, denn sie ist feuerfest, gegen Verwundung und Versehrung gefeit. Sie ist übergeschichtlich, aus der Ewigkeit gegründet, für die Ewigkeit bestimmt, sie ist trotz aller Zwistigkeiten eins in Anfang und Ziel, im Heilsgut und Heilshoffnung, trotz der Erdenmängel, die ihr, der in die Welt eingeführten, anhangen und nachgehen, heilig, weil stets zur Buße bereit und stets zur Heiligung geschickt. Sie verlassen heißt sich um das Glück des Lebens bringen, sie verachten ist größte Torheit, denn sie ist die größte, ja die einzige Kulturmacht. Ein Volk, das der Kirche sich entzieht, hört auf, ein Kulturvolk zu sein. Der Blick in die Geschichte kann es lehren. Wenn Gott stirbt, kommen die Gespenster. Auf 1792 und die Absetzung Gottes in Paris folgte die Tyrannei Napoleons I. Und Friedrich d. Gr. sagte mit Grund: „Wenn ein Volk nicht mehr Religion haben wird, dann steht nichts mehr fest. Darum schaffe man Religion ins Land, sonst holt uns alle der Teufel.“ Die Massenaustritte, wie Berlin sie sah, wie sie von unreifen, unkirchlichen Gemeinden gedroht werden, da für Tanzbelustigungen, Kirchweihen, Schützen- und| Turnerfeste Geld genug, für die Kirche nie Mittel vorhanden sind, berauben nicht die Kirche, sondern die Scheidenden und bringen das große bittere Weh der Tränen Jesu über sein mißleitetes und selbstmörderisches Volk der Kirche in ernste Erinnerung und Pflicht (Luk. 19, 41 u. 42).
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 Die Kirche Jesu Christi tritt in konfessioneller Bestimmtheit uns entgegen. Wir glauben, daß die Liebe des Heilands, sein heiliges Wesen und Wirken nirgends reiner, klarer und herrlicher geehrt und dargestellt wird als in der Kirche, die nicht Luther, sondern der Apostel Paulus gegründet hat. Wir Lutheraner waren tolerant ehe dieser Name, der in dem Instrument des Westfälischen Friedens zum erstenmal in der Rechtssprache vorkommt, geprägt ward – denn wir wissen von den vielen Wohnungen im Vaterhaus und kennen nur Eine seligmachende christliche Kirche, nicht eine allein seligmachende Konfession. Aber eben weil wir, des eignen Besitzes froh und gewiß, gerne alles Gute, das anderwärts sich findet, anerkennen, sind wir nicht gewillt, unsren Besitzstand zu verringern, um einen anderen zu vergrößern und Charakterschwäche Toleranz zu heißen. Wir wollen nicht das Fremde zuerst und das Eigne zuletzt fördern, sondern unser eignes Haus zunächst versorgen. Toleranz ist ein edles Wort und eine noch edlere Sache. Aber wenn sie auf Verkennung der nächsten Pflicht beruht und auf kritiklose Bewunderung des Fremden hinausgeht, ist es Untreue. Treue gegen die evangelisch-lutherische Kirche im Bekenntnis des Wortes und in der Tat des Bekenntnisses gilt es zu üben. Diese Treue zeige sich in allem guten Werk! Unser Amt ist jetzt, schreibt Luther, ein andres Ding geworden. [„]Denn das ist das erste und höchste Werk der Liebe, das ein Christ tun soll, daß er andre Leute auch herzu zum Glauben bringe, wie er dazu gekommen ist“. Wenn nur wieder ernste, treue, fromme Jünglinge zu dem teuren Amte hinzukommen wollten, das so große und köstliche Verheißungen hat. „Die das Wort haben, sollen dahergehen in der Heerspitze, das Schwert in der Faust haben und das Volk hinter sich herziehen, gerüstet sein und allerwege auf die Angriffe warten, wie in einer rechten Schlacht“. Denn „wir wollen das Evangelium nicht aufheben noch anders predigen, sondern als einen Spiegel verehren,| der verfinstert und verdorben war und wollen das Evangelium predigen und den Leuten helfen, darum auch scharf sein und Salz in die Wunden reiben.“ Betet doch alle um rechte Geistliche!

 Die Not der Zeit, ihre Dürftigkeit bei allem Glanz, die verwaisten Kinder, die verlorenen Mütter, die heimatlosen und die heimatfernen Wanderer auf der Straße, die Siechen und die Kranken, die Blöden und die Blinden rufen nach Hilfe. „Wenn du einem armen Mann zu seiner Nahrung hilfst mit einem Gulden, tust du mehr, denn daß du allen Heiligen eine goldne Kirche bauest!“ Welchen Segen haben durch sechzig Jahre unsre beiden bayerischen Diakonissenhäuser über Bayern gebracht, große ethische Werte, sagte ein Arzt am Grabe D. Boeckhs, der Selbstlosigkeit, der Dienstwilligkeit, des Opferlebens. Vor vierzig Jahren lagen die Blöden an Ketten, waren in elende Ställe eingesperrt, menschenunwürdig behandelt, herumgestoßen und verachtet. Die Krankenpflege lag zumeist in den Händen besoldeter Pfleger und Wärterinnen, deren Gedeihen im umgekehrten Verhältnis zu dem der Patienten stund. Die Spitalsuppe war ja sprichwörtlich und der alte Abraham a Sankta Klara vom Augustiner-Barfüßerorden († 1709) wünschte jeder Jungfrau, sie müsse einer Spitalsuppe gleichen, die „nicht viel Augen habe“. – Die Diakonie ist alles Dankes wert; sie zu fördern, ihr Haus und Obdach zu erweitern und zu bieten, nicht wohlfeile Vergleiche zwischen dem einen und dem andern „Hause“, noch mehr zwischen ihnen und den kathol. Pflegeorden anzustellen – ist Ehre der Kirche. So viele Jungfrauen stehen müßig am Markte auch noch zu einer Zeit, wo es geraten wäre, den Markt zu verlassen, warten auf Dinge, die nicht kommen wollen und die wirklich kommen, wollen sie nicht. Unsre Diakonissenhäuser bitten um kraftvollen, kernhaften Ersatz, wenn nun die alten und müden Diakonissen zur Ruhe sich rüsten. Aber selten kommen aus den sog. gebildeten Kreisen Jungfrauen, sintemal es gebildeter ist, Kritik zu üben und sich dienen zu lassen als selbst Hand anzulegen. Die protestantische Gemeinde Ansbach hält das Amt des Wortes und den Dienst der Barmherzigkeit noch in Ehren. So darf man hoffen, daß es der Diakonie hierorts nicht fehlen werde, wenn sie ihre Zelte weiter steckt, wie sie soll und will.

|  Es ist auch Treue, wenn der evangelische Frauenbund hier ein Heim für alleinstehende Mädchen, für Fabrikarbeiterinnen gründen will. Manchmal will es ja dem Mann der Kirche zur Sorge und Anfechtung werden, daß eine Unternehmung die andre nicht nur überholt – das wäre ein edler Wettkampf und echt evangelisch, – sondern erdrückt und ertötet. Das aber ist nicht evangelisch und nicht praktisch. Wenn man auf dem Acker die Gräben zu nahe bei andern zieht, so fallen die Grenzen zusammen, und es entsteht mehr Sumpf und Morast als Segen und Vorteil. Wir in Bayern haben besonders in der Jugendpflege zu viele Veranstaltungen, so daß der Wissende kaum sie unterscheiden kann. Man möchte zuweilen sagen: „Wer seinen Willen hat und tut, der ist gewißlich wider Gottes Willen“ und mahnen: „Einigkeit ist ein köstlicher Edelstein, besser, denn kein Rubin“. Es sind auch der Missionsanstalten zu viele, die jetzt von uns haben wollen; dazu die vielen Kollektanten und Predigten für alle möglichen Reichsgotteszwecke, ich fürchte, wir tuen uns weh!

 Aber dem edlen Unternehmen hiesigen Frauenbundes wünsche ich alles Gute. Es ist mir wie ein Gehorsamswerk gegen das Wort des Passionsherrn: (Luk. 23, 28) „Ihr Töchter Jerusalems, weint über euch und über eure Kinder!“ Das herzliche Mitleid mit den gefährdeten Töchtern unseres Volks und unsrer Kirche hat die edlen Frauen bewegt, Hilfe zu tun. Gott segne die gütige Meinung. Denn die wahre Vaterlandsliebe ruht nicht auf hochtönenden Reden und glänzenden Programmen, sondern in der hilfsbereiten Tat und in der ernsten Willigkeit. Wie ganz anders das Wort des Kaisers Mark Aurel, „Verissimus“, des überaus Wahrhaftigen († 180): „Weint nicht über mich! Weint über die Pest und das allgemeine Elend!“ Der Philosoph heißt über das Gesamtelend klagen, weil er für diese Erscheinung keine Hilfe weiß und in der Verwünschung der Welt die einzige Tröstung sieht. Der Herr aber weist auf den Zusammenhang von Leid und Schuld hin und heißt Abhilfe suchen und tun.

 Ich fasse zusammen. Daß schwere Zeit ringsum ist, weiß jeder, der die Zeichen der Zeit mit dem von Gottes Wort geschärften Auge prüft. Es ist, wenn nicht die letzte, so doch eine letzte Stunde in Gottes Haushalt angebrochen. Wir aber dürfen und wollen uns ihr nicht| entziehen, sondern in und an ihr tun, was recht ist. Neue Mittel gibt es nicht und braucht es nicht: es heilt weder Kraut noch Pflaster, sondern das Allheilmittel des göttlichen Wortes, das denen, welche es aufnehmen, Gewalt gibt, Gottes Kinder zu werden. Neue Offenbarungen brauchen wir nicht. In Ihm, in welchem Gott am letzten zu uns geredet hat, wohnt alle Fülle der Gaben für die Not und der Kräfte gegen das Leid der Zeit. Möge darum die Treue in uns allen aufwachen und wach bleiben, indem jeder in seinem Stand und Beruf ganz vor sich hinsieht und des Seinen treulich wartet. Die soziale Frage wird nicht in die Weite gelöst, sondern indem man seinen Stand nach den zehn Geboten ansieht und anhält und tut, was zu tun man schuldig ist. Wo die Eltern ihrer Erzieherpflicht in Gebot und Vorbild ernstlich warten, Dienstherren und Dienstfrauen in ihren Dienstleuten Miterben der Seligkeit ehren und achten, Vorgesetzte und Untergebene dem Pflichtgebot gleicherweise sich unterordnen, Geistliche als Haushalter über Gottes Geheimnisse den Glaubensschatz und das Kirchengut mit heiligem Ernste bewachen und behüten, da wird die kranke, todwunde Zeit mit Heilkräften angetan.

 Der Gott aller Treue wird die Verheißung einlösen, welche er der Beständigkeit gegeben hat und diejenigen, die das Wort der Geduld behalten (Offenb. 3, 10), in der Sichtungszeit gnädig bewahren, Er wird die Getreuen im Lande das Glück Jerusalems sehen lassen.

 Von ganzem Herzen erbitte ich den evangelischen Gemeinden in hiesiger Stadt und Umgegend die hohe Gabe der Beharrlichkeit, deren Früchte sie jetzt noch ernten. Die Passionszeit, in der wir stehen, rühmt einen treuen, starken, ernsten Gehorsam bis zum Tode, ja zum Tod am Kreuze. In der herrlichen Schwanenordenkapelle, diesem wenig gekannten Kleinod hiesiger Stadt leuchtet das herrliche Bild aus Scheuffelins (?) Schule: Jesus der Keltertreter, über dessen Gehorsam der Vater das selige Darum der endlichen und ewigen Erhöhung geredet und geschenkt hat. Die Passion der Kirche wird auch in eine österliche Herrlichkeit ausmünden, die denen zu erleben und mit Lobsagung zu begehen vergönnt werden wird, welche der armen Kreuzesgestalt seiner Kirche sich nicht schämten und an ihr teil zu haben sich nicht weigerten.