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 Es ist auch Treue, wenn der evangelische Frauenbund hier ein Heim für alleinstehende Mädchen, für Fabrikarbeiterinnen gründen will. Manchmal will es ja dem Mann der Kirche zur Sorge und Anfechtung werden, daß eine Unternehmung die andre nicht nur überholt – das wäre ein edler Wettkampf und echt evangelisch, – sondern erdrückt und ertötet. Das aber ist nicht evangelisch und nicht praktisch. Wenn man auf dem Acker die Gräben zu nahe bei andern zieht, so fallen die Grenzen zusammen, und es entsteht mehr Sumpf und Morast als Segen und Vorteil. Wir in Bayern haben besonders in der Jugendpflege zu viele Veranstaltungen, so daß der Wissende kaum sie unterscheiden kann. Man möchte zuweilen sagen: „Wer seinen Willen hat und tut, der ist gewißlich wider Gottes Willen“ und mahnen: „Einigkeit ist ein köstlicher Edelstein, besser, denn kein Rubin“. Es sind auch der Missionsanstalten zu viele, die jetzt von uns haben wollen; dazu die vielen Kollektanten und Predigten für alle möglichen Reichsgotteszwecke, ich fürchte, wir tuen uns weh!

 Aber dem edlen Unternehmen hiesigen Frauenbundes wünsche ich alles Gute. Es ist mir wie ein Gehorsamswerk gegen das Wort des Passionsherrn: (Luk. 23, 28) „Ihr Töchter Jerusalems, weint über euch und über eure Kinder!“ Das herzliche Mitleid mit den gefährdeten Töchtern unseres Volks und unsrer Kirche hat die edlen Frauen bewegt, Hilfe zu tun. Gott segne die gütige Meinung. Denn die wahre Vaterlandsliebe ruht nicht auf hochtönenden Reden und glänzenden Programmen, sondern in der hilfsbereiten Tat und in der ernsten Willigkeit. Wie ganz anders das Wort des Kaisers Mark Aurel, „Verissimus“, des überaus Wahrhaftigen († 180): „Weint nicht über mich! Weint über die Pest und das allgemeine Elend!“ Der Philosoph heißt über das Gesamtelend klagen, weil er für diese Erscheinung keine Hilfe weiß und in der Verwünschung der Welt die einzige Tröstung sieht. Der Herr aber weist auf den Zusammenhang von Leid und Schuld hin und heißt Abhilfe suchen und tun.

 Ich fasse zusammen. Daß schwere Zeit ringsum ist, weiß jeder, der die Zeichen der Zeit mit dem von Gottes Wort geschärften Auge prüft. Es ist, wenn nicht die letzte, so doch eine letzte Stunde in Gottes Haushalt angebrochen. Wir aber dürfen und wollen uns ihr nicht

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Hermann von Bezzel: Pflichten in ernster Zeit. Carl Junges Buchhandlung, Ansbach 1914, Seite 15. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_von_Bezzel_-_Pflichten_in_ernster_Zeit.pdf/15&oldid=- (Version vom 8.8.2016)