ADB:Thurn-Valsassina, Matthias Graf von
*): Heinrich Matthias Graf Th.-V., Freiherr zum Kreuz u. s. w., der „Urheber des dreißigjährigen Krieges“. Eine der meistgenannten Persönlichkeiten der wichtigsten Epoche der Geschichte Böhmens hat bisher ihren Biographen nicht gefunden. Es hält schon deshalb schwer, ihrem Gedächtnisse mit wenigen Zeilen gerecht zu werden, um so mehr, als sie bei Lebzeiten – eine Kampfnatur wie nur wenige – fast immer und überall inmitten des heftigsten, ja wildesten und rohesten Parteigetriebes stand. Womöglich in noch höherem Maaße als von Wallenstein, dem jüngeren Zeitgenossen, gilt einem Th. gegenüber das Wort von „der Parteien Haß und Gunst“. Er war der Sprosse eines sehr alten, frühzeitig über beinahe ganz Europa verbreiteten Adelsgeschlechtes, ursprünglich de Turri, dann de la Tour, in Italien della [71] Torre, in Spanien de las Torres in Deutschland noch im 16. Jahrhundert „vom Thurm“ genannt. Von der Mitte bes 13. bis zum Anfange des 14. Jahrhunderts, also vor den Visconti, waren die Thurn die herrschende Familie in Mailand, den berühmtesten Geschlechtern Italiens gleichgeachtet. Von Mailand gingen sie nach Aquileja, wo sie zu wiederholten Malen die Stelle des Patriarchen bekleideten; von dort nach Görz, Krain und Kärnten, wo Veit v. Th. einen größeren Grundbesitz erwarb und, vielverdient um das Haus Oesterreich, im J. 1541 in den Grafenstand erhoben wurde. Sein Sohn Franz war der Erste, der sich das Incolat in Böhmen und Mähren verschaffte, ersteres durch Kauf der schönen Trczka’schen Besitzung Lipnitz und Deutschbrod im J. 1561. Als Erblandhofmeister in Krain und der windischen Mark, Erbburggraf zu Lienz, Statthalter zu Görz und Hauptmann zu Tulmino (Tolmein) in Friaul, vorzüglich aber als Geheimer Rath der Erzherzöge Karl und Ferdinand von Steiermark, war Graf Franz Th. nur selten in der Lage, sich in Böhmen aufzuhalten. Gleichwohl hinterließ er dort, auf seinem Grund und Boden, mehr als ein Zeichen menschenfreundlicher, volksthümlicher Gesinnung. Er gab u. A. am 16. Mai 1565 der Bürgerschaft der Stadt Deutschbrod aus freien Stücken ein Privilegium, mit dem er sie auf ewige Zeiten von der erblichen Leibeigenschaft lossprach. Leutseligkeit, „Liberalität“ war auch der Grundzug im Charakter seines Sohnes Heinrich Matthias, der als der jüngste von fünf Brüdern am 24. Februar 1567 auf Schloß Lipnitz das Licht der Welt erblickte.
Thurn-ValsassinaDie erste Erziehung fand Heinrich Matthias nicht im väterlichen Hause, sondern bei seinem Oheim Hans Ambrosius Grafen Th., dem Landeshauptmann von Krain, einem strenggläubigen Katholiken. Ein aufgeweckter Knabe, zeigte er frühzeitig eine lebhafte Lernbegierde und nahm er schon als Kind, was seine Zeit an Druckschriften zu bieten vermochte, in sich auf, wobei allerdings, gewiß zu seinem Nachtheil, von einer Auswahl nicht die Rede sein konnte. Zum Jünglinge herangewachsen, fühlte er ein unbezähmbares Verlangen, den Schauplatz alles dessen zu sehen, was er in seinen Büchern, besonders in den Classikern und in der Heiligen Schrift, gelesen hatte. Vater und Oheim konnten seinem Drängen um so weniger widerstehen, als ja das Reisen in ferne, fremde Länder damals wie später in adeligen Familien zu den unerläßlichen Erziehungsmitteln gerechnet wurde. So ging er, siebzehn Jahre alt, mit einer Anzahl Gefährten und Aufwärtern in die weite Welt. Sein Weg führte ihn zunächst in die Bergstädte von Oberungarn, alsdann nach Siebenbürgen, in die Moldau und Walachei, nach Griechenland und der Türkei, wo er in Constantinopel längere Zeit verweilte und die Verfassung und die sonstigen Verhältnisse des Landes aufmerksam studirte. Die ansehnlichsten Herren bei Hofe würdigten ihn ihres Umganges; von dem griechischen Patriarchen wurde er über den Zustand der morgenländischen Christen unterrichtet. Was er gesehen und gehört hatte, konnte ihn nur bestärken, seine Reise auch auf Asien auszudehnen. Er besuchte die Kleine Tartarei, Armenien, Syrien, Persien und Arabien, vor allem aber Palästina und die heiligen Stätten, die einen tiefen, nachhaltigen Eindruck auf ihn ausübten. Von Asien wandte er sich nach Afrika, nach Egypten, das er nilaufwärts bis zum „Mohrenlande“ und Abessinien durchwanderte. Nachdem er noch flüchtig die Berberei bis Tripolis und Tunis gesehen, schiffte er sich nach Italien ein, wo er fast alle bedeutenderen Städte aufsuchte und besonders in Venedig einige Monate verblieb. Die öffentlichen Einrichtungen dieser Republik nahmen sein Interesse höchlich in Anspruch; mit großem Fleiße widmete er sich seiner Vervollkommnung in der italienischen Sprache und allen ritterlichen Leibesübungen. Endlich im Herbste 1586 brach er von Venedig wieder auf und kehrte über Tirol, Salzburg und Oesterreich in sein Vaterland zurück. Zu Hause [72] empfing ihn die erschütternde Nachricht, daß sein Vater vor einem halben Jahre gestorben sei, auf dem Todtenbette aber seiner mit großer Sehnsucht verlangt habe. Als Resultat der weiten Reise, von der er später oft und gern, zum nicht geringen Vergnügen und Verwundern seiner Zuhörer, selbst noch im hohen Alter erzählte, darf für ihn, ganz abgesehen von der Weltkenntniß, die sie mit sich brachte, in erster Linie eine gewisse Vertiefung seines religiösen Sinnes betrachtet werden, genährt durch die lebendige Erinnerung an das Gelobte Land, die ihm das Studium der Bibel fortan zur Lieblingsbeschäftigung machte. Die Bibel aber machte ihn, entgegen der Tendenz seiner ersten Erziehung (es ist noch keineswegs sichergestellt, ob nicht sein Vater, gleichwie der Oheim Hans Ambrosius, Katholik gewesen), zum Protestanten, zum überzeugungstreuen Verfechter der „evangelischen“ Sache, der er zeitlebens mit schwärmerischer Begeisterung anhing. Das Land des Husitismus und Utraquismus, der sich vor kurzem erst, unter dem duldsamen Regimente eines Maximilian II., zur „Böhmischen Confession“ entwickelt hatte, um bald nachher im neueren Lutherthum beinahe vollständig aufzugehen, war der geeignete Boden, solche Begeisterung zu wecken und auch wach zu erhalten. Von Anfang an scheint Th. als entschiedener Lutheraner aufgetreten zu sein, doch mehr im Interesse der allgemeinen Glaubensfreiheit, als dieser oder jener akatholischen Confession.
Im J. 1588 trat Th. in österreichische Kriegsdienste, in denen er ein ganzes Menschenalter zubrachte. Seine Sporen holte er sich in Ungarn unter der Führung Christoph’s v. Tiefenbach. Die erste Gelegenheit zur Auszeichnung fand er als Hauptmann bei der Eroberung von Gran (1595); eine noch glänzendere vor Raab (1598), wo er bereits als Oberstlieutenant ein Regiment commandirte. Mit Melchior v. Redern zwang er (1600) die meuterische Besatzung von Papa zum Gehorsam. Nicht nur von Tiefenbach, auch von den folgenden Oberbefehlshabern, den Grafen Karl Mansfeld und Adolf Schwarzenberg, und anderen Generalen liegen Zuschriften an Kaiser Rudolf II. vor, welche die Qualitäten des jungen Th. rühmend betonen und ihn als einen brauchbaren Kriegsmann dem kaiserlichen Wohlwollen bestens und wärmstens empfehlen. Rudolf II. bezeugte ihm denn auch wiederholt seine besondere Gnade. So ernannte er den kaum Dreißigjährigen zum Hofkriegsrathe und bestellte ihn am 17. April 1601 „in gnädigster Erwägung der Ehrbarkeit und Kriegserfahrenheit, fürnämlich aber der redlichen, tapferen Dienste, die er bisher wider den Erbfeind, den Türken, und sonsten in andere Wege mit treuem Fleiß und Nutz allerunterthänigst erzeigt hat,“ als „Obristen über eintausend deutscher gerüsteter Arkebusier- oder Schützenpferde“. Als solcher that er besonders – von einer (1602) bei Gran empfangenen schweren Wunde genesen – im Kampfe gegen Stephan Bocskai (1604–1606) vortreffliche Dienste, wie gleichfalls etliche kaiserliche Gnadenbriefe beweisen. Unter ihm und Johann Bubna focht der zwanzigjährige Wallenstein, zuerst als Fähnrich, dann als Hauptmann; ebenso stand in seinem Regiment, erst siebzehn Jahre alt, Graf Heinrich Schlick, der spätere Hofkriegsrathspräsident. Bereits im J. 1592 war Th. die Auszeichnung zu theil geworden, die Wittwe Erzherzog Karl’s – die Mutter des nachmaligen Kaisers Ferdinand II. – mit ihrer Tochter Anna als Brautführer nach Krakau zu geleiten, wo Letztere dem Könige Sigismund III. von Polen vermählt wurde. Nach Anna’s Tode wählte ihn (1605) Erzherzogin Marie zum gleichen Ehrenamte für ihre Tochter Constantia. Er wußte sich dessen in einer Weise zu entledigen, daß ihm dadurch auch Ferdinand besonders verpflichtet wurde, und wol mit Recht durfte sich Th. nachmals rühmen: „Die hochlöbliche Frau Mutter Ihrer kaiserl. Majestät haben mich über mein Verdienst geliebt, … also daß Ihrer Majestät mein aufrichtiges Gemüth unverborgen war.“ Cardinal Khlesl schrieb in der Zeit seiner ministeriellen [73] Allmacht die beglaubigten Worte: „Der Graf v. Th. ist bei dem Hause von Oesterreich so wohl meritirt und verdient, daß er nicht wisse, was er von demselben begehren könnte, daß sie nicht schuldig wären zu geben.“
Die erste Dissonanz in dieses Verhältniß brachten die Auftritte, die zur Ertheilung des bekannten Majestätsbriefes vom Jahre 1609 führten. Der Bruderzwist in Habsburg gab den böhmischen Ständen eine starke Waffe in die Hand, um von dem schwachen, schwankenden Kaiser für die Sicherheit ihrer Stellung in religiösen Dingen die denkbar weitestgehenden Garantien zu erzwingen. Man war nicht wählerisch in den Mitteln. Am wenigsten glaubte offenbar Th., der in der Gunst des Kaisers sich durchaus sicher fühlen mochte, viele Rücksicht nehmen zu müssen. Bei Seinesgleichen genoß er, obgleich nicht zu den Vermöglichen zählend, bedeutenden Einfluß. Die Erbtheilung mit seinen Brüdern hatte ihm keines der väterlichen Güter zugewendet; durch Heirath war er seither Besitzer des Gütchens Loosdorf in Niederösterreich, doch erst durch Kauf der Herrschaft Welisch von Johann Rudolf Trczka (1606) Ständemitglied des Königreiches Böhmen geworden. Als zu Beginn des Jahres 1609 Stephan v. Sternberg von der Führung der lutheranischen Partei zurücktrat, gelangte Th. ohne Widerrede an dessen Stelle. Von nun an steht er in Böhmen während eines Decenniums ohne Frage im Mittelpunkte aller wichtigen Ereignisse, und wahrlich, jene Zeit war eine ereignißreiche; gerade Böhmen aber beanspruchte in ihr eine welthistorische Bedeutung.
Der ersten ständischen Deputation, die in den keimenden Zwistigkeiten bei Rudolf vorsprach, gehörte auch Th. an. Sie ging so weit, dagegen zu remonstriren, daß sie der Kaiser umgeben von seinen Kronbeamten empfange; der Oberstkanzler genüge. Man spricht von Th. als Urheber dieser Tactlosigkeit oder Anmaßung, und es kann nicht geleugnet werden, sie sieht ihm ähnlich. Nahm er sich doch ebenso heraus, in den ständischen Versammlungen, gegen alle herkömmliche Sitte, in Reitstiefeln und Sporen zu erscheinen, was unerhörtes Aufsehen erregte. Die kaiserliche Antwort auf die gestellten Propositionen zu betreiben, stürmte er eines Tages mit mehr als fünfzig Personen in die kaiserliche Kanzlei und drohte, wenn binnen 24 Stunden nicht willfahrt werde, mit seinen Freunden Prag zu verlassen, ohne jedoch diese Drohung auszuführen. Auf seine Anregung beschlossen die Stände schon zu Anfang Juni 1609 die Organisirung einer Landesbewaffnung, und sie selbst pflegten ihre Berathungen im Landtage, entgegen strenger gesetzlicher Bestimmung, in voller Rüstung. Es kam zur Einsetzung von dreißig Directoren, denen die Leitung des Aufstandes, zu dem man für alle Fälle bereit war, vertraut werden sollte. Th. war nicht unter ihnen, dagegen erhielt er bei der Wahl des Heerescommandos die höchste Stelle, die eines Generallieutenants, indem ihm Bernhard Colonna v. Fels als Feldmarschall und Johann d. J. v. Bubna als Generalquartiermeister untergeordnet wurden. Diese Bestallung fand sogar die kaiserliche Genehmigung. Ende des Monats ging man noch weiter und ordnete außer der Landesbewaffnung auch Werbungen fremder Söldner an, zunächst in der Höhe von 3000 Mann zu Fuß und 1500 zu Pferd. In drei Tagen hatte Th. 500 Mann beisammen. Nur das Zustandekommen des Majestätsbriefes vom 9. Juli und eines Vergleiches der katholischen und protestantischen Stände vom selben Tage verhinderte damals das Aeußerste. Mit Zustimmung des Kaisers erfolgte die Wahl von 24 Defensoren, welche die Rechte der Stände bei dem Consistorium und an der Universität vertreten sollten. Auch Th. zählte zu ihnen. Sowohl dem Defensor als auch dem Generallieutenant Th. fehlte es nicht an Anlaß, seine Befähigung zu erweisen. Schon das Verhältniß Rudolf’s zu Matthias sorgte dafür in reichem Maaße. Dieser betrachtete Th. ganz als Vertrauensmann. Schon bei den ersten [74] Vorbereitungen zum Angriffe gegen den Bruder schrieb an ihn Matthias: „Aus dem, was ich sowol an die böhmischen Landesofficiere als Vertheidiger ihrer Freiheiten, als auch an mein Land unter der Ens erlasse, werdet Ihr vernehmen, in welche Ungleichheit wir gerathen und wie viel sich auf diese Leute (- den Kaiser und seine Räthe! –) zu verlassen, welchen trotz Brief, Handschrift und Siegel und allen Betheuerungen nicht zu trauen ist.“ Der Einfall des Passauer Volkes in Prag (1611) brachte das erste Blutvergießen. Der Kaiser hatte thatsächlich sein Wort verpfändet, das vom Erzherzogbischof Leopold von Passau gesammelte Volk abzudanken, und ließ ihn doch gewähren. Nicht einen Augenblick zögerte Th., welche Partei zu nehmen, obgleich er klug genug war, sich zu gestehen: „unsere Sachen sehen an allen Orten aus gefährlichen und bösen Augen.“ An der Spitze einer Anzahl Truppen wehrte er den zügellosen Rotten das Eindringen in die Altstadt Prag. Ein Lanzenstich in die Achsel machte ihn kampfunfähig; im Hause des Oberstkanzlers fand er, wie später Slawata, mit Hülfe der heldenmüthigen Polyxena v. Lobkowitz, Zuflucht und Rettung vor unmittelbarer Todesgefahr. Dem Erzherzog, der ihn für sich zu captiviren suchte, gab er zur Antwort, er halte es mit den Nonnen, deren tägliches Gebet laute: „Herr, gieb uns den Frieden in unseren Tagen“. Wegen angeblichen Einverständnisses mit Th. ließ Oberst Ramee, der Commandant der Passauer, nach seinem heimlichen Abzuge von Prag neun seiner Officiere in Budweis enthaupten und deren Leichen öffentlich ausstellen; die gleiche Procedur hatte er Th., Colonna v. Fels und Lobkowitz zugedacht.
König Matthias, um dessen Herrschaft es sich handelte, erwies sich dankbar. Am 24. August 1611 erneuerte er die Bestallung Thurn’s zum kaiserlichen Obersten mit einem „Wartegeld“ von 2000 Thaler. Außerdem aber verlieh er ihm die ebenso einflußreiche, wie einträgliche Stelle eines Burggrafen von Karlstein und damit die Würde eines Hüters der Reichskleinodien und Landesprivilegien. Es ist ein Widerspruch mit offenkundigen Thatsachen, wenn Th. gleichwol in einer späteren Apologie behauptet, es habe „der hochlöbliche Kaiser Rudolphus keinen größeren Mangel gehabt, als daß er in die hitzigen Rathschläge der Religionsverfolgung als ein weitausgehender Herr nicht hat eingehen wollen“ – er und die Böhmen aber hätten „nimmer darein willigen wollen, sondern standhaft bei ihrem gesalbten und von Gott fürgesetzten Herrn bis an den Tod gehalten“. Derartiger Widersprüche zwischen seinen Thaten und seinen nachträglichen Worten machte Th. sich nicht selten schuldig. Im J. 1612 (9. März) starb Hieronymus Graf Schlick, der vormalige Oberkämmerer und erste Staatsrath des Kurfürsten von Brandenburg, den man den Gründer der preußischen Macht genannt hat. Er hinterließ unserem Th. als einem Sohn der jüngeren Schwester seines Vaters, außer der märkischen Besitzung Hohenfinow sammt Tornow, die er bald wieder verkaufte, das böhmische Dominium Winteritz mit der Stadt Radonitz, so daß nun Th. (der später, doch nur vorübergehend, auch die mährische Herrschaft Göding erwarb) als ein Mann von außergewöhnlichen Einkünften gelten durfte.
Weitaus die größte Aufmerksamkeit richtete Th. unausgesetzt auf die religiösen Angelegenheiten des Landes, die unter Matthias so wenig zur Ruhe kommen wollten, wie unter Rudolf. Die mehr oder minder begründeten Klagen und Beschwerden aller derer, die sich in ihrer Gewissensfreiheit gekränkt erachteten, fanden in Th. einen energischen, rückhaltlosen Vertreter; so insbesondere die Protestanten in Braunau und Klostergrab. Man kennt die Bedeutung dieser Städtenamen in der angedeuteten Verbindung. Seit 1612 führte Th. mit Unermüdlichkeit ihre Sache, die jedoch bei Matthias kein geneigtes Gehör fand. Die Verhältnisse spitzten sich mehr und mehr zu. Im Namen der Stände überreichte [75] Th. gemeinschaftlich mit Fels dem Kaiser eine Denkschrift (1614), in welcher dessen Politik einer eingehenden kritischen Besprechung unterzogen, vor allem aber die Mahnung ausgesprochen wurde, von der beabsichtigten Aufstellung eines Heeres abzusehen, „weil dies die größten Gefahren heraufbeschwören und für den Kaiser den Verlust aller seiner Kronen zur Folge haben dürfte“. Schon damals soll Th., wenn den sonst nicht gerade verläßlichen Angaben eines diplomatischen Agenten zu trauen ist, sich nicht nur mit dem Gedanken einer Absetzung der Habsburger vom böhmischen Throne getragen, sondern diesen Gedanken auch offen ausgesprochen haben. Der Generallandtag vom Juni 1615 zeigte bereits eine Kluft zwischen Matthias und den böhmischen Ständen, die nur ein Wunder auszufüllen vermochte; die besonneneren Elemente hielten sich ferne, Th. aber war der unumschränkte Herr der Opposition. Für ihn bedurfte es kaum mehr der barschen Erledigung einer neuen ständischen Beschwerdeschrift, wie sie der Kaiser im Mai 1616 zu Brandeis ihm mündlich zu Theil werden ließ, um zum Bruche zu drängen. Er war dazu entschlossen, wenn er im Landtage vom Juni 1617, auf dem es sich um die Nachfolge Ferdinand’s II. in Böhmen handelte, den Muth besaß, entgegen dem Votum aller übrigen Kronbeamten seine Stimme wider die vom Kaiser begehrte Substituirung des Wortes „Wahl“ durch „Annahme“, sowie dawider erhob, daß diese „Annahme“ nicht, wie dies seit jeher üblich gewesen, auf einem Generallandtage, mit Einschluß der Nebenländer, sondern ohne deren Mitwirkung erfolge. Er drang mit seiner Stimme nicht durch – Ferdinand wurde gekrönt – noch mußte die Entscheidung hinausgeschoben werden. Aber schon büßte Th., indem er im October 1617, unter dem Vorwande einer „Beförderung“ (man machte ihn zum Obersthoflehnrichter), trotz seiner Einwendung von dem weit besser dotirten und ansehnlicheren Posten eines Burggrafen von Karlstein entfernt wurde.
Es kam, was kommen mußte. In seinen letzten Lebensjahren rechtfertigte Th. sein Verhalten in den Maitagen 1618 mit der Berufung darauf, daß, da in Prag „was von der Rejicirung geredet und gerathschlagt“ wurde, er „um Gottes willen“ gebeten, „man solle solches nicht thun, man würde einen Krieg auf sich laden, dessen Kindeskinder gedenken und beweinen würden“. Möglich, daß er zu irgend einer Zeit und an irgend einem Orte diese Aeußerung gethan; seine Handlungsweise steht auch hier mit seiner späteren Rede in unlöslichem Widerspruche. Er rieth am 22. Mai, in vertraulicher Berathung, zur Ermordung der Statthalter. Es ist trotzdem zu glauben, wenn er versichert, man habe „dies nicht so leichtsinnig überlaufen. sondern mit niedergefallenen Knien, aufgehobenen Händen, seufzigen Herzen und schwitzenden Augen, mit einhelliger Stimme Gott zugleich angerufen, er wolle seiner Gnaden Geist geben, was in diesem Nothzwang das Beste sei, zu deliberiren.“ Es war nicht das erste und nicht das letzte Mal, daß vor der Ausführung einer Blutthat der Name Gottes angerufen wurde. Sie war aber beschlossene Sache, bevor sich Th. mit seinem ständischen Anhang am Morgen des verhängnißvollen 28. Mai auf die Prager Burg begab. Im Gefühle der ungeheueren Verantwortung, die er an diesem Schicksalstage auf sich lud, verweilt er in der „Defensionsschrift“ seines Lebens am ausführlichsten bei ihm und kehrt er immer wieder zu ihm zurück. Die Schilderung der Tragödie des Fenstersturzes, die sie giebt, ist eine drastische und bemerkenswerthe. Die Thatsachen, die sie vorführt, mögen auch richtig sein; die Hauptsache jedoch verschweigt sie, und dadurch wird sie unwahr. Gewiß, die Antwort der drei Statthalter auf die kategorische Frage nach dem kaiserlichen Drohbriefe, der die unmittelbare Veranlassung des ganzen Auftrittes bot – „es gebürete ihnen nicht, aus dem Rathe zu reden“ – war eine ungeschickte und beleidigende, weil eben keine Antwort. Sind aber die bei dieser Gelegenheit [76] ausgestoßenen Drohungen der „großen Gemeine“, die anfangs außerhalb stand und erst später „mit großer Furie nach der Kanzlei drang,“ auch nur zur Hälfte wahrheitsgetreu in jener „Defensionsschrift“ wiedergegeben, dann muß es doch wol einen nachgerade komischen Eindruck hervorbringen, wenn mit der kurzen Ausflucht geschlossen wird: „Hätten nun obgedachte drei Personen Ja oder Nein gesagt, so hätte man keine so eilende Procedur vorgenommen.“ Die armen Opfer mochten sagen, was sie wollten, sie wären der ihnen angekündigten „Execution“ sicher nicht entgangen. Mit keiner Silbe meldet übrigens Th. das unleugbare Factum, daß er es war, der sich an dem ihm bestverhaßten Slawata thätlich vergriff und denselben eigenhändig in den mehr als sechzig Ellen tiefen Burggraben „nach altböhmischer Sitte“ zum Fenster hinauswarf. – Wenige Stunden zuvor nach Wien berufen, entschuldigte er Tags darauf sein Nichterscheinen einem vertrauten Freunde gegenüber brieflich mit den Worten, „wenn er kommen wollte, müßte er zwei Köpfe – den einen in Salz – mit sich bringen“. Der Witz wurde in Wien nicht anders verstanden, „als daß er sich allbereits dazumal schuldig gewußt, den einen zu verlieren“.
Für Alles, was nun weiter folgte, lehnt Th. einfach jede Verantwortung ab, indem er sie Jenen aufhalst, deren Befehle er ausführte und ausführen mußte. „Durch den Willen Gottes“, erklärt er, „und Berufung meines allergnädigsten Kaisers und Königs Rudolphi bin ich der löblichen Krone Böhmen zum General-Lieutenant benennet und mit der Stände einhelliger Einwilligung bestellet worden … Lebt auch kein Mensch auf Erden, der mich könnte bezichten, daß ich aus eigensinnigem Kopf etwas vorgenommen, sondern als ein Diener des ausdrücklichen Commandos und Befehls, als ein reversirter erwartet, demselben schuldige Folge gethan. Wie kann denn das sein, daß man einen verbundenen Diener wollte zu einem Haupt machen?“ … Daß er, wenn die Befehle, die ihm zukamen, gegen sein Gewissen gingen, denn doch auch als ständischer Generallieutenant noch immer so viel freien Willen hatte, sein Commando niederzulegen und sich ins Privatleben zurückzuziehen, wird dabei absichtlich oder unabsichtlich übersehen. Das Eine muß zugestanden werden, daß, als nunmehr ein Unabänderliches vorlag und die Stände Böhmens sich von Oesterreich förmlich losgesagt hatten, bei der Vertheilung der Machtbefugnisse, die da vorgenommen werden mußte, Th. einen nicht geringen Grad von Bescheidenheit, ja Selbstverleugnung bethätigte. Er vor Allen hatte die neue Lage der Dinge geschaffen; ganz Böhmen war darin einig, und auch der Wiener Hof konnte darüber nicht zweifelhaft sein; von der Dynastie hatte er für seine Person nichts mehr zu hoffen. Das machte ihn zum populärsten Mann in Prag und auf dem Lande. Es lag in seiner Hand, sollte man glauben, die Regierungsgewalt an sich zu reißen und – ein zweiter Georg v. Podiebrad – so lange festzuhalten, bis eine neue Königswahl getroffen war. Ob er daran gedacht? Es steht zu bezweifeln; niemals verrieth er eine ähnliche Absicht, im Gegentheil. Bei Constituirung der provisorischen Regierung trat er nicht nur nicht an deren Spitze, sondern lehnte er die Wahl zu einem der dreißig Directoren ab und begnügte sich mit seiner bisherigen militärischen Stellung. Am 25. Mai erfolgte seine neuerliche Berufung als Generallieutenant, während Colonna v. Fels wieder Feldmarschall, Johann v. Bubna aber Generalwachtmeister und Paul Kappler v. Sullewitz Generalquartiermeister wurden. Sämmtliche Generale erhielten Sitz und Stimme im Directorium. So hatte man, wie vor neun Jahren, ein Armeecommando; es fehlte nur noch die Armee. Innerhalb der Landesgrenzen stand kein Soldat auf den Beinen, es gab keine befestigten Plätze, keine Zeughäuser und Kriegsvorräthe; und doch wußte man sehr wohl, ohne das Alles, zunächst ohne ein Heer, war nichts gewonnen, vielmehr Alles verloren. [77] Die nächste Zukunft hatte zu zeigen, ob Th. das Genie nicht nur eines Feldherrn, sondern auch, was unter den gegebenen Verhältnissen noch mehr werth war, eines Organisators in sich vereinigte.
Anfänglich, in der ersten Begeisterung, ließ sich die Sache ziemlich günstig an. Innerhalb weniger Wochen waren 3000 Mann zu Fuß und 1100 Reiter geworben und ausgerüstet. Am 16. Juni marschirte Th. mit ihnen gegen die österreichische Grenze. Auf dem Wege dahin wurde Krummau genommen und die kaiserliche Besatzung zum Abzuge genöthigt. Doch schon bei Budweis stockte der Siegeslauf; es mußte zu einer Belagerung geschritten werden, die sich bei vollständigem Mangel an Geschützen sehr in die Länge zog. Inzwischen überschritten unter Heinrich v. Dampierre die kaiserlichen Truppen im Südosten die böhmische Grenze: ihm folgte Buquoy auf dem Fuße. Sie drangen bis Czaslau vor, wenige Meilen von Prag. Aber noch schlechter als um das böhmisch-ständische war es in Hinsicht der Ausrüstung und Verpflegung um das kaiserliche Heer bestellt. Dasselbe war geraume Zeit zur Unthätigkeit verurtheilt. Th., der die Belagerung von Budweis aufhob, eilte nach Prag. In der Person des Grafen Georg Friedrich Hohenlohe bestellten dort die Directoren eine Art Kriegsminister; am 30. August wurde Ernst v. Mansfeld, der Söldnerführer, in ständische Dienste genommen. Als sich hierauf Buquoy veranlaßt sah, den Rückzug gegen Neuhaus und Budweis anzutreten, während Dampierre bei Pilgram ein Lager schlug, ersah Th. am 3. November die Gelegenheit, durch einen schlesischen Zuzug verstärkt, das Lager anzugreifen und Dampierre mit Verlust gleichfalls zum eiligen Rückzuge zu nöthigen. Nicht zufrieden damit, richtete er sofort seinen Angriff auch gegen Buquoy, den er zwischen Wesseli und Lomnitz bei Budweis einholte. Hier brachte er diesem am 9. November eine namhafte Niederlage bei und zwang ihn, hinter den Mauern von Budweis Schutz zu suchen und seiner empfangenen Wunden zu pflegen. Als sich ihm aber wenige Tage später Dampierre, der einige Verstärkungen an sich gezogen hatte, nochmals, bei Neuhof, entgegenstellte, schlug er ihn nochmals und warf ihn bis Krems zurück. Beinahe gleichzeitig (21. November) nahm Mansfeld nach mehrwöchentlicher Belagerung die Stadt Pilsen ein. Von Budweis aus richtete Buquoy ein Schreiben an den Kaiser mit der eindringlichen Mahnung, den Böhmen gegenüber friedliche Wege einzuschlagen, da seine Hülfsmittel, so meinte der General, den ihren nicht gewachsen seien. Am Ende des Jahres 1618 durfte Th. mit sich zufrieden sein, obgleich seine Bemühung im December d. J., die Mährer für den Anschluß an den Aufstand zu gewinnen – er hatte sich einer Prager Deputation an den Brünner Landtag mit einer Reiterescorte angeschlossen – vorläufig nicht gelungen war. Die ersten Monate des Jahres 1619 wurden dazu benützt, neue Kräfte zu sammeln. Vergebens bestrebte sich jetzt der Kaiser, die böhmischen Stände auch nur zum Abschlusse eines Waffenstillstandes zu bewegen. Während dieser Verhandlungen starb Matthias. Th., welcher damals wieder vor Budweis lag, erhielt den Befehl, nach Mähren aufzubrechen. Den Grafen Hohenlohe mit dem größten Theil des Heeres zurücklassend, zog er nach Deutschbrod, vereinigte sich dort mit einem Theil des mittlerweile organisirten Landesaufgebotes und hielt so, etwa 10000 Mann stark, seinen Einzug in Iglau, wo er von der Bevölkerung „mit großem Frohlocken und Freuden“ aufgenommen wurde. Die gleiche Aufnahme fand er in Znaim. Die mährischen Truppen, unter dem Oberbefehle des Cardinals v. Dietrichstein, lagen ruhig in ihren Quartieren; die Versuche der beiden Obersten Georg v. Nachod und Albrecht v. Wallenstein, sie zum Abfall zu bewegen und dem kaiserlichen Heere zuzuführen, mißglückten. Mit Mühe und Noth gelang es bekanntlich letzterem, sich selbst und seine Regimentscasse [78] nach Wien zu retten. In tiefster Seele empört, berichtet Th., „was für einen Meineid und Treulosigkeit der hoffährtige v. Wallenstein begangen. … Mir schreibt man für gewiß, daß er von dem König zu Wien auch soll übel angesehen sein. Da sitzt die hoffährtige Bestie, hat die Ehr verloren, Hab und Gut und die Seel, so er nit Buß thut. Darf wol in’s Purgatorium kommen!“ – Am 5. Mai beschloß der Landtag zu Brünn, unter den Waffen Thurn’s, ein Bündniß mit den Böhmen abzuschließen und seine Truppen mit den ihren zu vereinigen. Hochbefriedigt von diesen Fortschritten. befahl das Directorium Th., mit so verstärkter Macht in Oesterreich einzurücken. Seine Meinung und sein Wille war, wie er versichert, „auf Krems zu gehen, weil man dort einen guten Fuß bei der Donau setzet, Mähren an der Hand und dem Königreich Böhmen wohl gelegen, im Nothfall aller Orten Succurs zu geben.“ Er wurde überstimmt; der Zug ging nach Wien. So wollte man in Prag. Es war gegründete Hoffnung vorhanden, auch die österreichischen Stände für den Anschluß zu gewinnen. In Linz war dies bereits geschehen, und der Befehlshaber der oberösterreichischen Truppen, Gotthard v. Starhemberg, mahnte Th. selbst, eilends nach Niederösterreich vorzugehen, wo er wie ein Messias erwartet werde. Es geschah. Der erste niederösterreichische Platz, der berührt wurde, das Städtchen Laa, war von der kaiserlichen Besatzung verlassen worden und bot somit einen Stützpunkt. Im Einverständnisse mit dem Besitzer von Fischament gelang es auch dieses Postens sich zu bemächtigen und so das rechte Donauufer zu erreichen. Einige Haufen ungarischer leichter Reiterei, die sich entgegenstellten, wurden zurückgetrieben. In der Nacht zum 6. Juni erschien Th. vor den Mauern von Wien.
Er stand auf dem Höhepunkte seiner militärischen und politischen Laufbahn. Vor seinen Kugeln war selbst König Ferdinand in seiner Hofburg nicht ganz sicher. Eine Eroberung Wiens war allerdings nicht beabsichtigt, wenn auch gehofft wurde, durch eine Verständigung mit der protestantischen Bewohnerschaft vielleicht Einlaß zu finden. „Was mich verursachte, mit einer so starken Armee so nahe an Wien zu logiren?“ frägt Th. sich selber. „Darauf war meine Antwort: Ich begehrte ohne gegebene Ursach niemand zu beleidigen, wäre allein verordnet, Liebe, Friede und Einigkeit aufzurichten.“ Das Bündniß mit den niederösterreichischen Ständen wurde nicht perfect, das Conförderationswerk aber dennoch gefördert. Eine mit Zustimmung des Königs abgesandte ständische Deputation vereinbarte mit Th. die Einberufung eines allgemeinen Ständetages in Prag und richtete an Ferdinand II. geradezu die Mahnung, die Waffen niederzulegen und „den Grafen Th. in seiner Friedensmission nicht weiter zu stören“. Die formelle Erledigung dieser Forderung konnte Th. freilich leider nicht abwarten. Das Prager Directorium berief ihn eilig in die Heimath, da Buquoy gegen Hohenlohe mehr und mehr Vortheile erlangte und am 10. Juni bei Zablat dem Mansfeld eine empfindliche Niederlage beibrachte. Auf die Nachricht davon brach Th. in der Nacht zum 14. Juni sein Lager ab und ging bei Schwechat über die Donau zurück. Noch vor dem Aufbruch aber fand er Gelegenheit, seinen Landsleuten einen wichtigen Dienst zu leisten. Graf Stanislaus Thurzo, ein einflußreicher ungarischer Magnat, der ihn im Lager besuchte, wurde von ihm gewonnen, seinen ganzen Einfluß dahin geltend zu machen, den ungarischen Reichstag, was bisher von Prag aus vergebens versucht worden war, Böhmen günstig zu stimmen, ebenso aber nach Siebenbürgen zu gehen und den ihm wohlgeneigten kriegerischen Bethlen Gabor zur Unterstützung zu vermögen. Thurzo hielt Wort und brachte eine Bundesgenossenschaft zu Stande, deren Bedeutung nicht unterschätzt werden konnte.
Th. wandte sich nach Böhmen und vereinigte seine Streitkräfte nördlich [79] von Budweis mit denen Hohenlohe’s, um sodann bei Lomnitz ein Lager aufzuschlagen. Man zählte 30000 Mann – allerdings in denkbar schlechtester Verfassung. Die zumeist frisch geworbenen und völlig ungeübten Söldner waren schlecht verpflegt und noch viel schlechter bezahlt. Die Kriegsverwaltung in Prag ließ Alles und Jedes zu wünschen übrig, und weder Hohenlohe noch Th. vermochten daran etwas zu ändern. Mit höchster Anstrengung wurde die gänzliche Auflösung des böhmischen Heeres verhindert. Buquoy behauptete das Feld, nahm einige Städte und bedrohte schon Prag. In diesem kritischen Augenblicke kam von Osten her die Hülfe, die Th. klugerweise vorbereitet hatte. Der Einfall einer siebenbürgischen Armee in Ungarn und deren rasches Vorrücken bis nach Preßburg nöthigte Buquoy abermals zum Rückzuge nach Oesterreich. Ein Schreiben Bethlen Gabor’s an die böhmischen Stände ging dem voraus; eine Gesandtschaft folgte nach. Es war die Zeit der förmlichen Absetzung Ferdinand’s II. als Königs von Böhmen und der Wahl Kurfürst Friedrich’s von der Pfalz an seiner Stelle. Dabei war selbstverständlich auch Th. betheiligt, mit Leib und Seele, obgleich er dadurch seine Position nicht erhöhte. Unmittelbar nachher sah er sich vielmehr veranlaßt, den Oberbefehl, den er bisher innegehabt, an den Fürsten Christian d. Ae. von Anhalt abzutreten und sich mit dem Range eines Generallieutenants der mährischen Stände zu begnügen. Die näheren Umstände, unter welchen dies erfolgte, sind nicht aufgeklärt. Nach Jahren beschwerte sich Th. mündlich und schriftlich über das Unrecht, das ihm widerfahren, als er „durch Anhalt und Hohenlohe vom Commando über das böhmische Heer verdrängt wurde“.
Es spricht für die seltene Gutmüthigkeit im Charakter Thurn’s, daß eine solche Zurücksetzung ihn in seiner Hingebung an die gemeinsame Sache keineswegs irre machen konnte. Nach wie vor ist er der Unermüdlichste von Allen, das Begonnene auch zu vollenden. Am 18. September verließ er Böhmen, um sich ins Lager der mährischen Truppen bei Neumühl zu begeben. Er kam in Begleitung seiner Leibgarde zur rechten Zeit, um einen Ueberfall Dampierre’s auf das Lager zu vereiteln. Dampierre und Buquoy zogen an Neumühl vorüber in der Richtung von Wien. Die ganze Hoffnung Thurn’s beruhte auf Bethlen. Sie wurde nicht getäuscht. Am 13. October – „heut in dieser Stunde“, meldet er überglücklich nach Prag – traf Bethlen’s Oberst Redey („ein freier, wackerer Mann“) mit 12 000 Mann zu Roß und Fuß bei ihm ein. Th. zog ihm „mit dem ganzen Lager in Bataglie entgegen“ und wurde „überaus freundlich und cortesisch empfangen“, indem auch Redey die Seinen in Schlachtordnung aufstellte, und zwar in Form eines Halbmondes, in der Mitte aber einen „trefflichen Kern von Volk“ behaltend. Mit kindlicher Freude malt Th. jede Einzelheit des entwickelten Gepränges aus, als wäre dies mehr werth als alles Uebrige. Doch war er ohne Zweifel bereit, alsbald einen Hauptschlag zu wagen. „Morgen“, schließt er, „ist es Gottes Wille, so wird es heißen Rath und That.“ Bethlen selbst verweilte aber länger, als zu vermuthen gestanden, bei Preßburg. Th. mußte ihm näher rücken und zog über Loosdorf, seine Besitzung, ohne Aufenthalt bis Wülfersdorf, wo am 28. October, früh am Tage, die Vereinigung Bethlen’s und Thurn’s bewerkstelligt wurde. Man zählte 35 000 Mann: eine Armee, wie sie größer seit Menschengedenken nicht beisammen gewesen. „In Wahrheit“, konnte Th. ausrufen, „beide hohen Befehlshaber, der Conte Buquoy und Dampierre, befinden sich in einem gefährlichen Spiel. Ihr Gewissen kann ihnen den Trost nicht geben, und der Herr hilft uns aus diesem Allen.“ Zweihundert ungarische Reiter aus dem kaiserlichen Heere gingen mit fliegenden Fähnlein zu Th. über und versicherten, „daß die Ungarn, alsobald wir fortrücken, sämmtlich zu uns fallen werden“. „Gott erweiset seine Allmacht“, fügt Th. [80] hinzu, „daß auch die Feinde müssen erkennen, daß dies sein Werk ist, der es zu dem Ende führen wird, daß unsere Augen werden sehen, wie es den Gottlosen vergolten wird.“ – Man kann die Denk- und Redeweise Thurn’s unmöglich deutlicher kennzeichnen, als mit diesen seinen eigenen Worten. Sie blieben, den jeweiligen Verhältnissen entsprechend, im Grunde immer dieselben: fast dithyrambisch, um nicht zu sagen: phrasenhaft, doch voller tiefen, unumstößlichen Gottvertrauens. Aber auch seine Opferwilligkeit, seine Selbstlosigkeit war und blieb jederzeit die gleiche. Das zeigt u. A. auch das obenerwähnte Schreiben, in welchem schließlich mit kurzen Worten seines niederösterreichischen Besitzes gedacht wird, den er soeben flüchtig wiedergesehen hatte. „Mein Gut Loosdorf“, meldet er, „ist ruinirt von meinen Feinden. Ich befehle es Gott, habe nicht Zeit, mich darum zu bekümmern … Darüber ich keinen Seufzer thue, wenn nur durch Hülfe des Allerhöchsten dieses heilige Werk glückselig ausgeführt wird.“
Es kann hier nicht der Ort sein, weitere Details zu bieten. Zum unverwindlichen Nachtheile für seine Pläne gelang es Th. nicht, wie er wollte, Buquoy und Dampierre vor ihrem Eintreffen in Wien zum Schlagen zu zwingen. Die Schlacht, die er am 24. October bei Ulrichskirchen anbot, wurde nicht angenommen. Ein Nachweis, inwieweit hiebei auf seiner Seite gefehlt wurde, dürfte nicht leicht zu erbringen sein. Damit aber war die denkbar günstigste Gelegenheit für Th., das Spiel zu enden, das furchtbar ernste Spiel, das er heraufbeschworen hatte, unwiederbringlich verloren. Es war ein bloßer Scheinerfolg, daß er mit überlegenen Streitkräften nochmals vor Wien erschien und in den strengen Wintertagen vom 26. November bis 5. December die Residenz des neuen Kaisers in Angst und Schrecken versetzte. Höhere Mächte, denen Niemand gewachsen ist, zwangen ihn auch diesmal, ohne sein Verschulden, unverrichteter Dinge wieder umzukehren. Nichts desto weniger war er nicht ganz umsonst gekommen. Wenige Wochen nach seinem Abmarsche beschlossen die niederösterreichischen Stände in Horn, wohin sie sich aus Wien zurückgezogen hatten, dem Kaiser abzusagen und mit Böhmen gemeinschaftliche Sache zu machen. Daheim fand Th. vieles verändert. Böhmen hatte wieder seinen König – einen „Winterkönig“. Bei seiner feierlichen Einholung an der Landesgrenze und vor den Thoren Prags hatte Th. so wenig zugegen sein können, wie bei der prunkvollen Krönung am 4. November. Der jugendliche Herrscher übersah ihn darum nicht; bei der Vertheilung der Landesämter gab er ihm die Burggrafschaft von Karlstein zurück. Vielleicht noch mehr als diese Genugthuung erfreute Th. die Bestallung seines (einzigen) Sohnes Franz Bernhard, eines wackeren, hoffnungsvollen jungen Mannes von 27 Jahren, zum königlichen Obersten und Regimentsinhaber. Im übrigen gab es der Sorge mehr als genug. Es war die Zeit sehr eifriger und durchwegs erfolgreicher Verhandlungen, die von Wien aus gleichzeitig mit Spanien und der katholischen Liga, mit Polen und Kursachsen, mit Frankreich, Toscana und dem Papste zu dem ausgesprochenen Zwecke gepflogen wurden, die vorhandenen Mittel zur Bekämpfung der rebellischen Böhmen und ihres Trutzkönigs zu stärken, bis zur Uebermacht zu stärken. Th. hatte mehr oder minder genaue Kenntniß von allen Abmachungen und unterließ es nicht, seine Kenntniß an den Mann zu bringen, damit bei Zeiten Gegenmaßregeln getroffen werden. Da blieb aber viel, sehr viel zu wünschen übrig. Die diplomatischen Versuche, die nach allen Seiten angestrengt wurden, hatten nur in Holland, bei der protestantischen Union und in England, da wie dort jedoch nur mäßigen Erfolg. Welchen Antheil daran Th. beanspruchen durfte, läßt sich sehr schwer bestimmen. Nachweislich gab er sich damals viele Mühe, die Republik Venedig für ein Bündniß mit Böhmen zu gewinnen, und ließ er deren Gesandtschaft [81] durch den Grafen Nagarol, der sich als Geisel bei ihm befand, die Wichtigkeit eines solchen Schrittes auseinandersetzen.
Seins Bleibens in Prag war nicht lange. Er ging nach Mähren. Dort lag er längere Zeit krank in Brünn. Hierauf begab er sich ins böhmische Lager bei Eggenburg, nachdem erst kurz vorher Fürst Anhalt daselbst eingetroffen war. Es galt vor allem, die gewaltigen Lücken, welche die Kämpfe und die Strapazen der letzten Monate im böhmischen Heere gerissen hatten, bestmöglich wieder auszufüllen. Es gelang dies insofern, als im Frühjahr 1620 etwa 30 000 Mann zusammengebracht wurden. Th. ließ es sich gefallen, unter dem Oberbefehle Anhalts über diese Truppen erst als „Maréchal de camps“, dann (seit 10. Juni) als „Generalfeldmarschall der verbündeten Länder“ zu commandiren, während Hohenlohe den Titel eines „Generalfeldmarschalls des böhmischen Heeres“ führte. Sie kämpften anfänglich, bei Sinzendorf und Gars, mit wechselndem Glücke, dann, in der Nähe von Hadersdorf, nicht ohne Vortheile davonzutragen, so daß es Anhalt wagen konnte, Buquoy neuerdings, wie früher Th., eine Hauptschlacht anzubieten, der aber klugerweise wieder ausgewichen wurde. Eine offene Meuterei im ständischen Heere infolge Nichtbezahlung hinderte weitere Schritte, als noch die Hülfstruppen der Liga entfernt standen. Diesen den Weg nach Böhmen zu bahnen, hatten die Kaiserlichen längs des „Goldenen Steiges“, der von Passau her ins Land führte, vorzüglich in der Nähe von Wallern und Salnau, starke Verschanzungen angelegt. Th., der sich in letzter Zeit in Prag aufhielt, um zur Instandsetzung der Befestigungen der Landeshauptstadt das Nöthigste vorzukehren, woran es bisher vollständig gefehlt hatte, eilte von dort am 24. Juli mit einer Handvoll Leute nach dem Böhmerwald, zog Mansfeld an sich und begann drei Tage später die Belagerung der von Aldringen vertheidigten Wallerner Schanze. Sie fiel nach zweitägigem schweren, blutigen Kampfe gegen freien Abzug der Besatzung in seine Hände. Am 1. August war er schon wieder in Prag. Maximilian von Baiern hatte inzwischen mit seinem Heere die Grenze von Oberösterreich überschritten, um auf anderem Wege seine Operationen gegen Böhmen zu eröffnen. Ein kaiserliches Decret sprach bereits über die Häupter des Aufstandes in Niederösterreich die Reichsacht aus und erklärte sie „für Ihrer Majestät und des Vaterlandes Feinde und daß sie in dero Strafe und Ungnade, auch in das abscheuliche Laster der Rebellion und beleidigten Majestät und also Ihrer Majestät mit Verwirkung Leib, Hab, Ehre und Gut heimgefallen.“ An erster Stelle in der langen Reihe der hiemit Verurtheilten prangte der Name Heinrich Matthias Thurn’s. Das war der Anfang vom Ende. Ein unabwendbares Verhängniß zog sich über Böhmen zusammen. Die Weltgeschichte zählt die einzelnen Momente auf, welche die endliche tragische Entscheidung auf dem Weißen Berge herbeiführten.
Mit trüben Ahnungen begab sich Th. am 6. September nach Neuhaus, um mit Mansfeld zusammenzukommen. Von Tabor aus sandte er ein Mahnschreiben nach Prag und schalt die Landesbeamten wegen ihres Kleinmuthes. Er ging nach Niederösterreich und stieß zu der auf dem Rückzuge nach Znaim befindlichen Armee. Dann eilte er nach Brünn, das mährische Landesaufgebot vollends zu organisiren. Im October ist er wieder in Prag, nochmals die dortigen Vertheidigungsmaßregeln zu betreiben. Dem gleichzeitig daselbst auftauchenden Gerücht, daß Manfeld mit den Feinden verrätherische Unterhandlungen pflege, trat Th. mit Energie und Wärme entgegen. Obwol mit Mansfeld keineswegs befreundet, ja von demselben wiederholt offen angefeindet, litt doch sein offenes Gemüth keine Beschimpfung des Kampfgenossen, ohne von dessen Schuld überzeugt zu sein. Vor Rackonitz traf er wieder beim Heere ein, wo auch der König sich eingefunden [82] hatte. Hinter Redouten und Schanzen lagen die Gegner bereits einander gegenüber. In einem hitzigen Gefechte, das am 30. October geliefert wurde, hielten Th. und Heinrich Schlick mit ihrer Infanterie dem überlegenen Feinde tapfer Stand und bewährten eine außerordentliche Bravour, so daß sie beinahe in Gefangenschaft geriethen. Am Abende des 5. November war der Feind plötzlich verschwunden – er hatte sich, was Th. für eine Unmöglichkeit erklärte, mit gesammter Macht direct gegen Prag gewendet. Noch in der Nacht wurde Th. beordert, ihm mit seinem Fußregimente nachzurücken; als Burggrafen von Karlstein kam ihm vor allem die Aufgabe zu, die in Prag befindliche Krone zu beschützen. Mit unverdrossenem Pflichteifer kam er auch diesem Befehle nach. Ohne zu rasten oder Speise und Trank zu sich zu nehmen, legte er mit den Seinen einen nächtlichen Eilmarsch von sieben Meilen zurück und erreichte so vor Tagesanbruch die Landeshauptstadt, noch ehe der Feind in Sicht war. Es kam der 8. November, der Tag des Verderbens. Alle wichtigeren Anordnungen auf Seite des böhmischen Heeres trafen Anhalt und Hohenlohe, ohne Th. zu fragen, der erst von Prag berufen wurde, als in der Hauptsache nichts mehr zu ändern war. Dennoch verschmähte er, was für Andere so nahe gelegen wäre, nachträglich mit Berufung darauf gegen seine Widersacher im eigenen Lager Vorwürfe zu erheben. „O wie unzählig weiß ich“, erklärte er vielmehr später, „daß man unrecht schreibt und ausgiebt, daß bei dem campo formato – daraus ich zwar ausgeschlossen – so wenig oder gar nichts fürnehmes ausgerichtet wird.“ Er „bezeugt es mit Gott, daß die Herren Generale an ihrer Treue, Fleiß, Mühe und Sorge nichts erwinden lassen“. Er hat kein Wort des Tadels gegen Anhalt oder Hohenlohe, nur gegen „feindselige Discurrenten“ außerhalb der Heeresleitung, die „einen solchen Verdruß und Unlust bei den Generalen und dem Kriegsvolk erwecket, daß sie herzlich gewünscht, dieses beschwerlichen Krieges ledig zu sein“; es erfüllte sich, meint er, das Sprichwort: „Keinem Zuseher ist das Spiel zu hoch.“ – Es war in Wirklichkeit für alle Partner hoch genug. – Th. focht die Schlacht als bescheidener Officier mit, gleich seinem Sohne, der vier Compagnien des alten Regiments Th. commandirte. Einstimmig wird ihnen Beiden von Freund und Feind die Anerkennung zu Theil, daß ihre Haltung an Muth und Tapferkeit das höchste Lob verdiente. Th. selbst befand sich auf dem linken Flügel des ersten böhmischen Treffens, gegen den sich voraussichtlich der erste und heftigste feindliche Angriff richtete. Und so kam es. Im ersten Zusammenstoß aber war das Glück auf böhmischer Seite. Die Arkebusiere Iselstein’s und Bubna’s attakirten „resolut“; dicht vor den feindlichen „wohlbewappneten Kürassieren“ gaben sie eine Salve, die ihre Wirkung nicht verfehlte. „Mit der Hülfe Gottes“ wurde der Feind zertrennt; Graf Meggau kam ihm mit vier Schwadronen zu Hülfe. Die Bubna’schen Reiter konnten nicht widerstehen und schwankten. Da erhielten 6 Fähnlein des Regiments Th. Befehl zum Vorrücken. Sie griffen muthig an – Graf Meggau fiel – plötzlich wenden sie sich und „gerathen in eine ganze Flucht“. Das älteste Regiment im Heere gab vor den Augen seines Führers ein Beispiel schmählicher, erbärmlicher Feigheit und wurde so die nächste Ursache einer der schrecklichsten Niederlagen. Die Verwirrung war bald eine allgemeine. Hohenlohe’s Regiment versuchte kaum einen Widerstand. Herzhaft bemühte sich der jüngere Anhalt, seine Reiter zum Stehen zu bringen; sie waren nicht zu halten, als mit einem Male die gesammte ungarische Reiterei, fast ohne Schwertstreich, das Weite suchte. „Die vier Fähnlein aber“, durfte Th. berichten, „da mein Sohn als Oberst selbst gewest, haben das Ihrige, wie Andere sagen, redlich und wohl gethan.“ Graf Bernhard Th. schlug sich als Held und hielt allein auf dem Schlachtfelde die Ehre der böhmischen Waffen aufrecht. Vom äußersten linken zog er sich kämpfend [83] mit seinem Häuflein Getreuer, unter denen sich noch ein anderer Bernhard – Herzog von Weimar – befand, bis an den rechten Flügel heran, wo die Mährer unter Heinrich Schlick und die Oberösterreicher unter Georg Pechmann den letzten, äußersten Widerstand zu leisten suchten. Vergebens. Die böhmische Ständerevolution war besiegt, die Herrlichkeit ihres Winterkönigs zu Ende. „Die Hülfe des Allerhöchsten“, der Th. so felsenfest vertraut hatte, war von ihm gewichen. Es machte ihn das nicht irre. „Also daß diese hohe Strafe Gott auf uns hat fallen lassen“, tröstete er sich, „haben unsere Soldaten, so deutsch als ungarisch, mit ihrem unchristlichen und vorher niemals erhörten gottlosen Leben, so sie mit Plündern, Rauben, Brennen und Morden verübt, tausendfältig verschuldet.“ Sein Glaube war unverwüstlich.
Die nächste Frage war, ob König Friedrich sich in Prag halten oder die Stadt ohne Zögern verlassen solle. Th. war aus triftigen Gründen für die sofortige Flucht des Hofes. Er, der in letzter Zeit der Einzige einen schwachen Versuch gethan hatte, die Landeshauptstadt vertheidigungsfähig zu machen, wußte am besten, daß „der situs in Prag also beschaffen und übel versehen gewest, daß es unmöglich, bei einer solchen unerhörten Confusion und Trennung des Volkes, welches nit hat zusammen können gebracht werden, der Ungehorsam und Unwillen auch eingerissen, daß auch der Hradschin durch den ersten Anlauf wäre eingenommen worden, folgend das Schloß und die Kleine Stadt sich nit mehr hätten halten können.“ Sein junger Sohn war anderer Ansicht und sprach im Kriegsrath, von den Bitten der Prager Bürger unterstützt, für die weitere Vertheidigung. Die Meinung des Vaters siegte. Er oder Anhalt ertheilte dann ohne weiteres den Befehl, die größten Kostbarkeiten und wichtigsten Papiere zu packen und nach der Altstadt zu schaffen. Er nahm die Krone aus der Wenzelscapelle des Doms und brachte sie in einer Kiste mit den Landesprivilegien auf das Altstädter Rathhaus. Am folgenden Morgen verließen Friedrich von der Pfalz und die Seinen, von Anhalt, Th. und Hohenlohe und einem unabsehbaren Zug Flüchtiger geleitet, die Mauern Prags. Der Abschied, welchen Th. von seiner Gemahlin nahm, war ein Abschied für immer. Sein Sohn aber, der an der Seite der Pfalzgräfin gleichfalls ausgezogen war, erbat sich von der Herrin eine halbe Stunde Weges hinter Prag wieder Urlaub, mit dem Gelöbnisse, sein Leben einzusetzen, um die Prager Brücke gegen die verfolgenden Feinde zu vertheidigen und auf solche Weise ihre Flucht zu sichern. Alle Anstrengungen des braven jungen Mannes, die zersprengten oder in der Stadt zurückgebliebenen Truppen zu sammeln und zu neuem Kampfe zu begeistern, waren jedoch erfolglos. Es war Alles verloren.
Das Strafgericht, das über Böhmen hereinbrach, war ein gewaltiges; es traf – eine Naturnothwendigkeit – vor allen Anderen Th., „so alles Uebels und Unheils Autor und Anfänger allein gewesen“, wie sogar einer seiner Partei- und Schicksalsgenossen, Graf Joachim Andreas Schlick, dem Vollstrecker jenes Strafgerichtes gegenüber zu behaupten keinen Anstand nahm. Und dennoch gab sich Th. im vollen Ernste der Hoffnung hin, bei dem siegreichen Kaiser für sich und seine Angehörigen Begnadigung zu finden. Man muß „Gott mehr gehorchen als den Menschen“, damit glaubte er selbst vor dem Kaiser Alles, was er gethan hatte, vollauf rechtfertigen zu können. Er gab es zu, daß seine Gemahlin mit dem Sohne nach Wien reiste; ja er fand diesen Schritt so unauffällig und natürlich, daß er sich nicht scheute, dem Exkönige Friedrich, der ihm ja doch noch immer König war, hievon Nachricht zu geben. Die Antwort war eine selbstverständliche, die des Königs und des Kaisers. Bitter genug beklagte sich Jener, daß nun von einzelnen eine Aussöhnung gesucht werde, ohne Rücksicht auf ihn, der nur dem Rufe der Stände gefolgt und dabei Alles in [84] die Schanze geschlagen. Namens des Kaisers aber wurde Th. im Februar 1621 zum zweiten Male geächtet und seiner Güter verlustig erklärt, sodann zum Tode verurtheilt und – in effigie – an den Galgen geschlagen. So etwas hatte er, trotz alledem, für ein Ding der Unmöglichkeit gehalten. Er klagte es „Gott, dem gerechten Richter“, daß er – so heißt es wörtlich in seiner „Defensionsschrift“ – „uncitirter und ungehörter also geurtheilt und schändlich ehrenrührig angegriffen worden; welche Ungerechtigkeit mir als einem Cavalier zu ertragen unmöglich.“ In Wirklichkeit aber war gegen ihn, wie gegen jeden „Rebellen“, ein förmlicher gerichtlicher Proceß angestrengt und war er (die fraglichen Edicte, Decrete u. s. w. wurden sorgfältig aufbewahrt) thatsächlich nicht nur „citirt“, sondern auch ordnungsmäßig „geurtheilt“ und bloß nicht „gehört“ worden – Letzteres aus dem einfachen Grunde, weil er vorsichtig genug gewesen, nicht, wie einige Directoren und sonstige Rädelsführer, in Prag zu bleiben und den Ausgang abzuwarten oder, wie Graf Joachim Andreas Schlick und viele Andere, sich fangen zu lassen. Man hätte ihn sonst sicherlich so gut wie Schlick und seine Leidensgefährten, vielleicht noch besser, ja peinlicher als diese, verhört, ebenso sicher aber auch ihm, wie dem Genannten und vielen anderen Schlachtopfern, am 21. Juni 1621 Kopf und Hand auf den Richtblock gelegt, falls ihm, dem „Hauptrebellen“, wie zu vermuthen steht, nicht eine ganz besondere Todesstrafe zugesprochen worden wäre. „Wenn Ihre kaiserliche Majestät“, behauptet Th., „hätten wahren Bericht bekommen, es würde zu dieser Tyrannei und Schmähung nicht gekommen sein“. Er schwört dem Kaiser und den Kaiserlichen Rache. „Habe darauf mir vorgenommen“, ruft er aus, „nichts zu unterlassen, was zu einer solchen verursachten Rache gehört. Ich für meine Person“, fügte er bei, „habe an der Rache, weil es kein Privatwerk, nichts ermangeln lassen.“
Th. hielt getreulich Wort. Sein ganzes ferneres, vielbewegtes Leben ist ein unablässiger Versuch, seinem unbändigen Rachedurst genug zu thun: einem, man möchte sagen: dämonischen Triebe, der doch, wie Jeder, der sich von Aeußerlichkeiten nicht täuschen läßt, zugestehen muß, seinem inneren Wesen, seiner Veranlagung und seinen Herzensneigungen völlig fremd war und daher im Grunde widerstrebte. Das Zeugniß derer, die ihm jemals näher gestanden, bestätigt: er war „ein guter, lieber Herr“. So hatte er, wie nun die Dinge gekommen waren, beinahe allen Halt verloren, und er verlor ihn immer mehr, je weiter die Möglichkeit, endlich Genugthuung zu erlangen, in nebelhafte Ferne gerückt wurde. Von Jahr zu Jahr tritt mit dem nahenden Alter in seinen Zügen ein eigenthümlicher, häßlicher Zug immer mehr hervor, das ist der Schwulst, die Phrase an Stelle der früheren Thatkraft, die ihm nicht abgesprochen werden konnte. Ueber die letzten zwanzig Jahre seines Lebens ist mit verhältnißmäßig wenigen Worten zu berichten.
Von Mähren, wohin er sich zunächst gewendet hatte, lenkte Th. seine Schritte zu Bethlen Gabor. Mit ihm erschien er wieder im Sommer 1621 vor Neuhäusl, dann vor Preßburg und streifte bis tief nach Mähren hinein, als der Nikolsburger Friede diesem Unternehmen ein Ende machte. Vergebens hatte man in Wien bei den vorausgegangenen Verhandlungen die Auslieferung Thurn’s als eine der ersten Friedensbedingungen aufgestellt. Ueber ein Jahr lang vertheidigte Bernhard Th., der Sohn, das feste Glatz mit vielem Erfolge, bis er am 25. October 1622 zu ehrenvoller Uebergabe gezwungen wurde. Damals war Th., der Vater, in – Constantinopel. Gemeinschaftlich mit dem Markgrafen von Jägerndorf hatte er Bethlen so lange bearbeitet, bis er sich neuerdings zum Kriege gegen den Kaiser entschloß, diesmal vereint mit den Türken. Da der Jägerndorfer durch Krankheit daran verhindert wurde, entschloß sich Th. zu [85] der beschwerlichen Reise an den Bosporus, die er im August (1622) antrat. Sie hatte einen durchschlagenden Erfolg; ob Dank der Ueberredungsgabe Thurn’s oder der reichen Geschenke Bethlen’s, die er dem Großvezier überbrachte, soll dahingestellt bleiben. Ein Anerbieten Venedigs, das ihm in jenen Tagen eben in Constantinopel gemacht wurde, ein Commando im Heere der Republik zu übernehmen, lehnte Th. mit dem Hinweise auf seine Verpflichtungen gegen Bethlen dankend ab, nicht ohne die Hoffnung auszusprechen auf den baldigen Ausbruch „eines allgemeinen Krieges gegen den Kaiser, dessen unversöhnlicher Feind er lebe und sterbe“. Und wirklich noch einmal gelang es Th., dem Kaiser gefährlich zu werden. Als Bethlen um Mitte August 1623 mit einer Armee von 50 000 Mann, größtentheils türkischer Reiter, den Feldzug in Oberungarn eröffnete, wurde Ferdinand II. vollständig überrascht. Das Heer der Liga unter Tilly stand fern im westlichen Deutschland. Fast gänzlich wehrlos standen dem Feinde die kaiserlichen Erbländer offen. Schon durfte Bethlen, an der Grenze von Mähren angelangt, in Gegenwart Thurn’s und des Paschas von Bosnien sich zu der Aeußerung versteigen, „er gedenke die Martinsgans in Prag zu verzehren“. Und ernste Männer nahmen die Rede nicht als frivolen Scherz auf. Graf Th., dem Friedrich von der Pfalz ausdrücklich aufgetragen hatte, in Bethlen’s Nähe zu bleiben, „um auf die Länder einwirken zu können,“ unterließ nichts, durch persönliches Eingreifen in Böhmen und Mähren zu einer neuerlichen Erhebung und thatkräftiger Unterstützung Bethlen’s aufzureizen. Wallenstein, der unter Hieronymus Caraffa de Montenegro mit wenigen Regimentern dem vielfach überlegenen Feinde sich entgegengestellt sah, unterließ nicht, die ganze Größe der Gefahr erkennend, dem Kaiser die Sorge für Böhmen eindringlich ans Herz zu legen. Bei Göding gelang es Wallenstein und seinem Glück und Geschick, unter den denkbar ungünstigsten Verhältnissen die Fluth zu stauen, bis sich die Wasser verlaufen hatten, allerdings nicht ohne furchtbare Verheerungen angerichtet zu haben. Am 21. November schloß Bethlen, da ihn die türkischen Truppen nach dem Demetriustage wieder verlassen hatten, einen Waffenstillstand, dem nach langwierigen Verhandlungen am 8. Mai 1624 ein neuer Friede folgte.
Die schönsten Hoffnungen Thurn’s wurden dadurch zunichte; er begab sich nach dem Haag zu Friedrich von der Pfalz, wo auch sein Sohn verweilte, der dort, bei Stadtlohn (6. August 1623) schwer verwundet, Zuflucht gefunden hatte. Im October trafen daselbst neue Anerbietungen der venetianischen Signoria ein, in deren Dienste zu treten, wie erst vor kurzem auch Ernst Mansfeld gethan hatte. Diesmal erklärte sich Th. hiezu bereit; er wurde, während sein Sohn zur selben Zeit nach Schweden ging und von Gustav Adolf die Bestallung als Generalwachtmeister empfing, „capo da guerra“ der Republik San Marco, trotz lebhafter Mißbilligung von Seite des Wiener Hofes, der schon vor Jahren, bei den ersten Bemühungen Venedigs in gleicher Richtung, sich dahin geäußert hatte, „es habe den Anschein, als ob die Republik alle Hauptrebellen bei sich vereinigen wolle, um Böses zu stiften“. In der Ernennung Thurn’s erblickte man in Wien eine Herausforderung; ein allgemeiner Krieg in Italien schien nunmehr unvermeidlich. Im Auftrage des Kaisers, „der sich in hohem Grade verletzt fühlte“, erschien Graf Werdenberg bei Padavin und verlangte Auskunft und Aufklärung. Der Senat rechtfertigtr sich damit, daß Th. dem Kaiser „in keiner anderen Bestallung weniger gefährlich sein könne, als in Diensten der Republik, die nie eine andere Absicht verfolge, als ihren Besitzstand zu wahren“. Der Gesandte behielt Recht. Während der nächsten anderthalb Jahre war Th. für Ferdinand II. so viel wie nicht vorhanden. Es kam nicht zu einem offenen Kriege Venedigs, und Th. fand keinerlei Gelegenheit, die dort auf ihn gesetzten [86] Erwartungen auch zu erproben. Das konnte ihm aber auf die Dauer unmöglich behagen. Als im April 1627 der englische Gesandte im Auftrage Friedrich’s von der Pfalz sich um seine Entlassung verwendete, wurde dieselbe mit Zustimmung beider betheiligten Parteien ohne Schwierigkeiten bewilligt.
Auf Andringen Friedrich’s folgte Th. einem Rufe des Königs von Dänemark, der ihm am 22. August das Patent als Feldmarschall ausstellte. Als Th. dasselbe in Empfang nahm, hatte er bereits einen ersten großen Mißerfolg in seiner neuen Stellung aufzuweisen. Mit der Aufgabe betraut, eine bei Boizenburg von den Dänen aufgefahrene Schiffbrücke und die zu deren Schutze errichteten Schanzen gegen Tilly zu vertheidigen, diesem aber den Uebergang über die Elbe zu wehren, war er, freilich mit völlig ungenügenden Hülfsmitteln versehen, am 10. August genöthigt worden, Boizenburg zu verlassen, nachdem Tilly mit großer Uebermacht in einem nächtlichen Angriff die Brückenschanze genommen und oberhalb Bleckede die Elbe überschritten hatte. Von einem gleichen Unstern waren alle weiteren Unternehmungen Thurn’s im dänischen Kriege begleitet. Er zog sich in die Nähe von Hamburg mit 8000 Mann zu Roß und Fuß, darunter aber wenigstens 2000 Bauern, und trug sich mit der Absicht, bei Vilsbüttel zwischen der Alster und Hamburg für alle diesseits der Elbe befindlichen Truppentheile des Königs und das bewaffnete Landvolk ein festes Lager zu errichten. Thatsächlich hielt er daselbst die ihm untergebenen Truppen eine Zeit lang bei einander. Die Annäherung Wallenstein’s nöthigte ihn aber wieder aufzubrechen und sich in die Umgebung von Wandsbeck zu wenden. Als in der ersten Septemberwoche Wallenstein seine Armee von Pinneberg gegen Elmshorn führte, stieß er unmittelbar vor dieser Stadt auf etliche Regimenter unter Th. und dem Rheingrafen, die es jedoch nicht wagten, ihm die Spitze zu bieten. Sie steckten die Quartiere in Brand und ergriffen die Flucht. Von den Kaiserlichen bis nach Steinburg verfolgt, suchten sie dort wieder Stand zu halten, wichen jedoch auch dort sehr bald zurück, nachdem sie ebenso diesen Ort beinahe vollständig verwüstet hatten. Drei Wochen später wurde Th. wider Willen in das Erzstift Bremen verschlagen. Er verweilte einige Zeit in Bremervörde, wo er Zeuge der grenzenlosen Verwirrung war, welche mit dem Herannahen der Dänen und Ligisten über dieses Stift hereinbrach; vor seinen Augen wurde (5. October) von Ersteren Bremervörde bis auf wenige Häuser eingeäschert. Sein persönliches Eingreifen erleichterte den Rückzug der Dänen unter General Morgan nach Stade. Die ganz unglaubliche Unordnung, die in allen Heerestheilen herrschte, schrieb er in seinen Briefen an den König den bösen Einflüssen der französischen und englisch-schottischen Söldner zu. Auch größere Feldherrntalente, als sie Th. zu Gebote standen, wären derartigen Verhältnissen nicht gewachsen gewesen. In Stade pflegte Th. mit Morgan und dem Generallieutenant Norprath über das Schicksal ihrer Scharen Berathungen. deren Ergebniß er dem Könige mittheilte, um bald darauf wieder den Kriegsschauplatz zu verlassen und sich nach Ueberwindung zahlloser Hindernisse zur See in die Niederlande zurückzubegeben, wo er vor Ende des Jahres eintraf.
Auch jetzt war dort seines Bleibens nicht lange. Alle Enttäuschungen ließen ihn nicht verzweifeln. Er ging nach Schweden, wo die Kriegstüchtigkeit seines Sohnes im Kampfe Gustav Adolf’s gegen Preußen und Polen den Namen Th. zu Ehren gebracht hatte. In der Schlacht bei Walsau schwer verwundet, hatte Bernhard Th. bald darauf nach einem glücklichen Gefechte gegen den polnischen König die Stadt Mewe entsetzt und war nach einem gleichfalls siegreichen Gefechte bei Christburg an der Seite seines Königs abermals verwundet worden, um trotzdem noch im selben Jahre an der Eroberung der Schanzen von Käsemarck im Danziger Werder rühmlichen Antheil zu nehmen. Im August 1628 [87] nahm er Marienwerder ein, am 14. September überrumpelte er Neuburg, das den Soldaten preisgegeben wurde. Eine verheerende Krankheit, die unter seinen Truppen wüthete, wurde auch ihm verderblich. „Nach vorhero ausgestandener Schwachheit“ sank er zu Strasburg in Preußen, in der Blüthe seiner Jahre, auf das Sterbelager. Das Schicksal fügte es, daß Th., der Vater, mit einem schwedischen Succurs am Todestage seines Sohnes – es war am 14. October 1628 – in Strasburg einlangte, um dort ein schmerzliches, letztes Wiedersehen zu feiern. Es war aber Th. kaum in Strasburg eingetroffen, als die Stadt von den Polen eingeschlossen und belagert würde. Vergebens wandte sich Th. an den feindlichen Befehlshaber um die Verstattung freien Geleites für sich und die Leiche des Sohnes. Er wurde abschlägig beschieden, ließ sich jedoch dadurch nicht einschüchtern. Begleitet von einer Anzahl Reiter, führte er den ihm theueren Todten aus der gefährdeten Stadt und hatte Glück im Unglück, indem er, „ungeachtet der Feind um und um gelegen, mit sonderbarer List, wiewohl vielmals Polen auf ihn gestoßen, davongekommen und weiter denn zwanzig Meilen Weges, sonder Absitzen von den Pferden, ehe er in Ihrer Excellenz des Herrn Reichskanzlers Quartier kommen können, reiten müssen“. Dort holte später Feldmarschall Wrangel den Leichnam auf Geheiß des Königs feierlich ein, um ihn zu Elbing in der Pfarrkirche mit vielem Pomp zu bestatten. Dem früh Verstorbenen hatte Gustav Adolf, der ihm besonders geneigt war und sein Gedächtniß mit warmen Worten der Anerkennung ehrte, als „Grafschaft Pernau“ ansehnliche Güter in Livland zum Geschenke gemacht, die seinem alternden, gebeugten Vater nach Jahren eine erwünschte Zufluchtstätte wurden.
Noch aber war der Vielgeprüfte nicht gebeugt, ja noch fühlte er kaum die Last der Jahre. Es scheint vielmehr, als hätte die Berührung mit Gustav Adolf ihm neue, höhere Lebenskraft eingeflößt. Wie bald das ganze protestantische Deutschland hat auch er seine volle Zuversicht auf den thatkräftigen „nordischen Glaubenshelden“ gestellt, der schon vor Jahren zum Kriege gegen das Haus Habsburg entschlossen gewesen und nur durch die eigenthümliche Haltung Dänemarks daran gehindert worden war. Wenn es nach Abschluß des Lübecker Friedens noch einer Ueberredung bedurfte, den alten, wohl vorbereiteten Plan zur Durchführung zu bringen: in der Umgebung Gustav Adolf’s war gewiß nicht Einer so eifrig dabei wie Th., der bereits in den ersten Tagen des Jahres 1629 vom Könige mit dem Titel eines Generallieutenants förmlich in Dienst genommen worden war. Er zog mit ihm in den „deutschen Krieg“ und war in seiner Begleitung bei der Landung auf Usedom am 6. Juli 1630. Schon die genaue Bekanntschaft Thurn’s mit dem Kriegsschauplatze mußte Gustav Adolf zu statten kommen. Er scheint ihm anfänglich als militärischer Beirath gedient zu haben und erst später mehr zu politischen Zwecken verwendet worden zu sein. Im Frühjahr 1631 fungirt er am kurbrandenburgischen Hofe zu Berlin als „von Sr. königl. Majestät ordinari Ambassador verordnet“. Seine Behausung in der „Heiligen Geistgasse“ daselbst war aber von Anfang an der Sammelpunkt einer Anzahl Männer, die, landesflüchtig und geächtet wie er, dem Hause Oesterreich die gleiche unversöhnliche Rache geschworen hatten, die Exulanten Bubna, Raschin, Rabenhaupt, Zaruba, Zlunitz und viele Andere, die z. Th. wieder mit einzelnen Unzufriedenen in der Heimath in fortwährender Fühlung standen und das Geeignete vorzubereiten suchten, um bei dem anzuhoffenden Umsturze aller bestehenden Verhältnisse die Selbständigkeit des Königreiches Böhmen wieder herzustellen und ihre eigenen confiscirten Güter zurückzuerlangen. Mitglieder von Familien wie Kinsky und Trczka, die zu den reichsten und einflußreichsten im Lande zählten, wurden für die Verschwörung gewonnen. Der Phantasie eines Th. erschien es nicht als ein Ding der Unmöglichkeit, [88] auch noch einen anderen, ungleich werthvolleren Bundesgenossen zu gewinnen, eine damals gestürzte Größe: Wallenstein. Mit Hülfe Raschin’s und Trczka’s (s. A. D. B. XXXVIII, S. 537) wurden, ganz selbstverständlich mit äußerster Vorsicht und in strengster Vertraulichkeit, die erforderlichen Schritte eingeleitet – scheinbar nicht aussichtslos. Es ist unmöglich, dem greisen „Hauptrebellen“, als den sich Th. hier so recht eigentlich erst erweisen sollte, auf diesen seinen vielverschlungenen Wegen zu folgen. Er war nur consequent, wenn er, nachdem von ihm seit mehr als zwölf Jahren die halbe Welt gegen Ferdinand II. zum Vernichtungskriege aufgeboten worden war, nun auch den Herzog von Friedland zum Abfalle zu bewegen suchte; es war sein fester Wille, wie mit seiner eigenen Handschrift nachgewiesen worden ist. Wenn er trotzdem, am Ende seiner Tage, den Versuch unternahm, dies in Abrede zu stellen, ja sogar jede „vertrauliche Correspondenz“ mit Wallenstein rundweg zu leugnen, so muß dergleichen jetzt, nachdem diese Correspondenz kein Geheimniß mehr, als eine Art von nachgerade ungeheuerlicher Gedächtnißschwäche oder – Naivetät erscheinen. Zwei Jahre lang setzte er sozusagen Himmel und Erde in Bewegung, Wallenstein in die Rebellion hineinzuziehen; es war umsonst.
Bessere Dienste leistete Th. Kur-Brandenburg und -Sachsen gegenüber. Der Anschluß Beider an Schweden erfolgte nicht ohne sein Zuthun. Und noch von anderen, mehr oder minder geheimen Relationen Thurn’s werden wir sogleich hören. Aber auch mit den Waffen war er noch bei der Hand. In der Entscheidungsschlacht bei Breitenfeld commandirte er im zweiten Treffen eine schwedische Brigade. Bevor jedoch Sachsen daran ging, in Böhmen einzufallen, hatte Th. sich bei Gustav Adolf erboten, Schritte zu thun, „um zu sehen, ob er bei der durch jüngst von Gott verliehene Victorie besorgten Veränderung der Gemüther seine Landsleute – bei welchen“, so schaltet der König ein, „wir ihn in großer Reputation und Ansehen zu sein wissen – animiren möchte, daß sie uns, gemeiner Wohlfahrt zugute, cooperiren wollten“. Nachdrücklicher als jemals dachte Th. die protestantische Bevölkerung Böhmens, besonders aber die Bauernschaft, zu insurgiren und, selbständig oder in Gemeinschaft mit der sächsischen Armee, gegen die Kaiserlichen zu führen. „Es ist landkundig“, erinnert er später die schwedische Regierung, „daß ich mich anerboten damals, zehntausend Mann zu werben und in gar Kurzem auf den Fuß zu bringen“. Gustav Adolf selbst erklärte sich damit vollkommen einverstanden und beglaubigte Th. zu diesem Zwecke bei Johann Georg. Doch Sachsen war entschieden dagegen, und als gleichwol Th. an die Verwirklichung seines Gedankens ging, verstand es Arnim vortrefflich, dies zu verhindern. In einer Begegnung des sächsischen Marschalls mit Wallenstein auf dem Schlosse Kaunitz wurde u. A. ausdrücklich vereinbart, „die Exulanten und Bauernaufwiegler“ (das hieß mit einem anderen Worte: den Grafen Th.) „nicht zu unterstützen“. Hier war entschieden Th. der Düpirte. Wenige Tage zuvor war er mit der Invasionsarmee Arnim’s nach Prag – zum ersten Male seit elf Jahren – zurückgekehrt, doch nicht um dieser Rückkehr froh zu werden. Sein Verhältniß zu Arnim wurde bald fast unerträglich. „Man muß den Schweden nicht so hoch kommen lassen, das Dominium in Deutschland zu führen“, so hatte dieser geäußert; das war für Th. ein Greuel. Nach Versicherung des Grafen Solms, damaligen schwedischen Gesandten in Dresden, war es vor allem dem „ehrlichen alten Herrn Grafen von Th.“ und „dessen Vigilanz und Dexterität“ zu danken, daß Arnim’s „teuflische Praktik an den Tag gebracht“, d. h. dessen Bemühung, nach Gustav Adolf’s eigenen Worten: „Kursachsen zu gefährlichen Tractaten und Friedenshandlungen zu verleiten“, vereitelt wurde. Th., der im Frühjahr 1632 den „Egerischen Sauerbrunnen“ (das heutige Franzensbad) gebrauchte, kehrte von dort in das [89] schwedische Hauptquartier zurück. Hier wirkte er nunmehr dahin, Gustav Adolf zu einer Annäherung an Bethlen’s Nachfolger in Siebenbürgen, Georg Rakoczi, zu bewegen. Der König ging bereitwillig darauf ein und betraute seinen Gesandten bei der ottomanischen Pforte mit der Eröffnung solcher Verhandlungen, die von Seite Gustav Adolf’s und Thurn’s durch schriftliche Ausführungen unterstützt wurden. Zur Beschleunigung dieser Angelegenheit ertheilte Jener dem Grafen Th. förmliche „Plenipotenz, eine Conföderation mit dem Fürsten in Siebenbürgen und den Ständen des Königreiches Ungarn zu tractiren“.
Die Kriegsereignisse traten störend dazwischen. Th. war auch an ihnen lebhaft betheiligt, so insbesondere vor Nürnberg und bei Lützen. Wie bei Breitenfeld befehligte er hier eine Brigade und wurde, bevor der König fiel, verwundet.
Weder die frische Wunde noch selbst der Tod Gustav Adolf’s bestimmten ihn, sich ins Privatleben zurückzuziehen, um endlich auszuruhen. Seine Ausdauer und Spannkraft war von seltener Art. Im Frühjahr 1633 brachte er die Wittwe seines Sohnes mit ihren Kindern nach Pernau in Livland, deren Besitzung. Er widerstand der Versuchung, in ihrer Pflege zu verbleiben – nicht zur Erhöhung seines Nachruhmes. Von seiner Fahne war das Glück gewichen. Entgegen seinem Wunsche wurde er von der schwedischen Heeresleitung mit einer Anzahl Regimenter nach Schlesien beordert, um dort gemeinschaftlich mit Arnim vorzugehen, wol auch, um dessen Schritte gewissermaßen zu beaufsichtigen, da man demselben ebenso mißtraute, wie man von Thurn’s bedingungsloser Verläßlichkeit überzeugt war. Als daher Arnim mit den Feinden, d. h. mit Wallenstein, kaum daß die Feindseligkeiten wieder eröffnet waren, Verhandlungen eröffnete, durfte Graf Th. nicht als müßiger Zuschauer bei Seite stehen. Bekanntlich waren die Bemühungen Beider erfolglos. Gleichzeitig aber unterhandelte Th. nach wie vor auch mit Rakoczi, dem gegenüber ihm vom Kanzler Oxenstierna dieselbe Vollmacht wie vom verstorbenen Könige übertragen wurde. Unbekannt war bisher, was Th. nach dieser Richtung versuchte. Er setzte eine Art Bundesacte auf, die, von ihm selbst und elf anderen böhmischen Cavalieren – sämmtlich Exulanten – „nomine Bohemiae regni et incorporatarum provinciarum“ unterzeichnet und besiegelt, an Rakoczi adressirt, dem Herzog von Liegnitz mit der Bitte übersendet wurde, dieselbe „dem evangelischen Wesen zum Besten“ gleichfalls mit Unterschrift und Siegel zu versehen, um das Schriftstück alsdann sofort seiner Adresse zuführen zu können. „Ich hoffe“, schloß diese Einladung, „zu dem frommen Herrn und hülfreichen Gott, es werde die Hilfe von dem Fürsten von Siebenbürgen und Ständen in Hungarn, so schon in Bereitschaft und gemustert, schleunigst erfolgen und eine solche Diversion gemacht werden, daß man dem Feind durch des Höchsten Hilfe und Segen die letzte Oelung ertheilen und nachmalen wieder diesen betrübten Landen der edle Religions- und Prophanfriede zuwege gebracht werden wird.“ Wir wissen nicht, ob der Herzog dieser verfänglichen Einladung Folge geleistet; sicher ist nur, daß Th. auch dieses Conföderationsproject, wie so manches andere, nicht zu Ende führte. Der gewichtigste Hinderungsgrund, wenigstens auf Seite Thurn’s, war offenbar der schwere Schlag, von dem er bei Steinau getroffen wurde (11. October 1633). Die Kriegskunst Wallenstein’s, die sich daselbst, nach Arnim’s Entfernung, mit der gesammten kaiserlichen Hauptmacht plötzlich gegen den völlig isolirten, zehn Mal schwächeren Th. kehrte, zwang ihn nach kurzem Kampfe, sich und sein ganzes, aus sächsischen, schwedischen und brandenburgischen Regimentern zusammengesetztes Armeecorps auf Gnade und Ungnade zu ergeben (s. A. D. B. XXXVIII, 544). Nach Thurn’s Versicherung wäre die Niederlage, die ihn hier traf, ein abgekartetes Spiel zwischen Wallenstein und Arnim gewesen; [90] es hätte Letzterer eben nur zu diesem Zwecke seinen Abzug genommen und zu seiner Rückendeckung überdies Th. genöthigt, einen Theil der Mannschaft bei Liegnitz halten zu lassen. „Der Fürst von Wallenstein war schon neun Meilen Weges von mir gegen Böhmen“, rechtfertigt sich Th. „Wer ihm alsdann gerathen, daß er zurück bei Tag und Nacht gezogen, die sächsische Armee verlassen und auf uns sich zu begeben, das ist dem Allmächtigen bekannt, es sollen’s die Blinden greifen können.“ Das war unzweifelhaft eine fälschliche Beschuldigung Arnim’s, wie wenig der auch sonst gegen Th. von Schuld freigesprochen werden kann. Im übrigen wurde dem kaiserlichen Herzog-Generalissimus bei seinen offenen und heimlichen Gegnern in Wien und anderwärts nichts so sehr verargt, als daß er, wie dem Todten nachmals vorgeworfen wurde, „den Hauptrebellen, aber doch seinen alten vornehmsten Confidenten, den bei der Steinau gefangenen alten Th., als welcher seine Sachen bei den Schweden negotiirt, … sammt vielen Anderen mehr, und noch dazu mit einer Verehrung, wiederum losgelassen!“
Noch einmal trat Th., mit ungeschwächtem Eifer, in Action, unmittelbar vor Wallenstein’s Ende. Der traurigsten Erfahrungen ungeachtet, stand er, als sich der Friedländer – die zweite, schmähliche Entlassung in den Händen – wieder mit Anerbietungen näherte, sofort auch wieder zur Verfügung. Er glaubte für seinen Theil ohne weiteres der Aufrichtigkeit dieses nothgedrungenen Schrittes und schrieb, wie der von Pilsen flüchtige Wallenstein wünschte, „bittlich und hochbeweglich“ an Bernhard von Weimar: „er wolle nicht säumen, sich auf die böhmische Grenze näher zu begeben“. Ihm wurde die nach seiner Aeußerung „unerfreuliche“ Antwort: „Gott hätte wol andere Mittel, dem allgemeinen Wesen zu helfen, als gleich durch den Fürsten von Wallenstein.“ Die Egerer Blutthat setzte auch seiner Thätigkeit ein Ziel. Unter dem niederschmetternden Eindruck dieses Ereignisses gab er es auf, das Schicksal ferner auf die Probe zu stellen. Sein Thatendurst war gestillt, seine Rache gekühlt oder erlahmt – Leib und Seele sehnten sich nach Ruhe. (Der Name Th. tritt während des späteren Krieges zwar noch öfter auf, so insbesondere in Regensburg, bei Nördlingen und in Würzburg; der Träger war jedoch nicht unser Heinrich Matthias, sondern dessen Vetter Hans Jakob Graf v. Th., vormals Besitzer von Groß-Niemtschitz in Mähren, seit Jahren aber Exulant und in schwedischen Diensten, gleichwie jener.) Nicht ohne Schwierigkeiten trat Th. die Reise nach Schweden an, wo er am Hofe der Königin Christine ungefähr ein Jahr zubrachte. Während dieser Zeit schrieb er die oben ofterwähnte „Defensionsschrift“, sein politisches und militärisches Testament, das er unter dem Titel „Abgenöthigte, doch rechtmäßige und wahrhafte Verantwortung und Ablehnung der Calumnien und Injurien, damit ich hernach Benannter in der ausgegangenen Deduction, welche eine Justification sein soll der Execution, so mit dem Fürsten von Wallenstein vorgangen, ehrenrühriger Weise bin angegriffen worden …“, in Stockholm herausgab. Er kam am 15. August 1636 in Pernau an, wo er die Tochter und die Enkelkinder wohlbehalten und in blühendem Wohlstande antraf. Hier lebte er in stiller Zurückgezogenheit noch wenige Jahre. „Er dankte Gott, daß er ihn aus den Händen seiner Feinde errettet und an einen sicheren Ort gebracht, wo er im Schoße seiner Familie, von Allen geachtet und geehrt, die Wohlthaten dankbarlich betrachten konnte, welche die Krone Schweden seinem Hause bewiesen hatte.“ Wie immer die Welt sein Thun und Lassen beurtheilen mochte, sich selber sagte er: „Ich habe meinem Vaterlande treulich gedient, wie ein treuer Patriot; das wird Gott erkennen, daß ich Glauben und gut Gewissen behalten. also daß keiner in der Welt mich eines andern bezeihen kann, als daß ich ehrlich und redlich gelebet und nun begehre selig zu sterben.“ Als die [91] schwerste Kränkung seines Lebens empfand er sonderbar genug den Vorwurf eines „Hauptrebellen“, den er nicht gelten lassen wollte. Eine Aussöhnung mit seinem Monarchen, gegen den er sich versündigt, blieb noch sein letzter Wunsch. „Sage hiemit der Welt Ade“, schloß er sein Testament, „auch meinem Vaterlande, segne mich mit der jetzigen kaiserlichen und königlichen Majestät mit dieser letzten Bitte: so ich in der erzeugten Injurie in der Sache, die uns Menschen angeboren, der Sachen zu viel gethan und das Ziel überschritten, sie wolle mir solches verzeihen und ja nimmermehr vermeinen, daß ich eigensinniger Weise mich aus den Diensten des hochlöblichen Hauses Oesterreich begeben, sondern gedenken, daß ich – verstoßen worden.“ Er starb nach kurzer Krankheit am 28. Januar 1640, im 73. Lebensjahre, und wurde in der Domkirche zu Reval feierlich beerdigt. Ihn überlebten die Enkel Christian und Heinrich. Sein Wahlspruch lautete: „Libertatem nemo bonus nisi anima sua amittit“ – Nur mit dem Leben giebt der Brave seine Freiheit dahin.
Fassen wir das Gesagte kurz zusammen, so darf unser Endurtheil vielleicht dahin lauten: Th. war kein unbedeutender Mensch. Unmöglich wäre er sonst lange Jahre hindurch in Böhmen, Mähren und weit darüber hinaus im höchsten Ansehen gestanden; unmöglich hätte er Männer von nicht gewöhnlicher Klugheit und Menschenkenntniß, wie in der Heimath, so auch in Ungarn, Siebenbürgen, Dänemark, Schweden u. s. w. – man denke von ihrer Parteistellung, wie man wolle – ganz für sich einzunehmen vermocht. In Norddeutschland feierte man ihn bis 1620 als „das Schwert des Protestantismus“ und fand er Aufnahme in den Johanniterorden der Ballei Brandenburg. Pietro Gritti, der venetianische Resident am Wiener Hofe, stellte seinem Talent und Charakter (1622) in geradezu überschwänglichen Worten das glänzendste Zeugniß aus. Aber auch Gustav Adolf duldete ihn nicht nur in seiner Nähe, sondern würdigte ihn, wofür urkundliche Belege vorhanden, seines Vertrauens. Hans Ulrich Fürst Eggenberg, einer seiner zahllosen Gegner, der soweit ging, ihn mit „Banditen“ auf die gleiche Stufe zu stellen, konnte doch nicht leugnen, daß er „ein sehr tapferer und kluger Soldat“ sei. Franz Christoph Khevenhiller, der Annalist, sein Todfeind, mußte gestehen, er war „ein Herr von großen Intraden, liberal, schenkte viel weg und ward vom Volke sehr geliebt“. Seine Leidenschaft waren diplomatische Geschäfte, und doch fehlte ihm zum Diplomaten so ziemlich Alles. Ihm war die Sprache nicht gegeben, seine Gedanken zu verbergen – beileibe nicht. Dagegen muß ein Unparteiischer seiner militärischen Begabung die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß er, solange ihm in seiner vollen Manneskraft ein selbstständiges Commando anvertraut war (für die nicht wenigen Fehler, Begehungs- und Unterlassungsünden seines Vorgesetzten Anhalt oder des Prager Directoriums bleibt er unverantwortlich), manche, z. Th. bedeutsame Einzelnerfolge aufzuweisen hatte und sich z. B. einem Dampierre, ja selbst einem Buquoy gegenüber als Taktiker und Stratege durchaus ebenbürtig zeigte. Moderne Schriftsteller gewöhnten sich, von ihm geringschätzig zu sprechen. Doch älteren, gewissenhaften Forschern erscheint er auf Grund umfassender, quellenmäßiger Studien unter vielen, sehr vielen seiner Zeitgenossen als „der ritterliche, glaubensfreudige Th., der Einzige vielleicht, der es mit der Sache ehrlich meinte, dem es recht vom Herzen ging“. Für ihn – das bestätigen seine zahlreichen Briefe und Denkschriften beinahe Zeile um Zeile – für ihn war der Krieg, den er führte, in dieses Wortes ganzer Bedeutung ein Religionskrieg. Sein Thun und Lassen war vom Anfang bis zum Ende von einem höheren Gedanken beseelt, wodurch allein schon seine Individualität über die meisten Mitstrebenden thurmhoch emporgehoben wird. Mehr Gemüths- als Verstandesmensch, war er ein Idealist, doch kein Phantast, wenigstens nicht in seinen guten Tagen. Gewiß auch kein [92] schöpferischer „großer“ Mann, wurde er vom Geschick vor eine übergroße Aufgabe gestellt. Das war sein Unglück.
- Nach Urkunden der kaiserl. Archive in Wien, des Gubernial-Archivs in Prag und des königl. Hauptstaatsarchivs in Dresden. – Vgl. insbesondere Fr. Chr. Khevenhiller, Conterfet II, 184 sq. – Friedr. Conrad Gadebusch, Von dem Grafen Heinrich Matthias v. Thurn und seinen Nachkommen. (Versuche in der livländischen Geschichtskunde und Rechtsgelehrsamkeit, 1. Bd., 2. Stück, 1779.) – Carl Aug. Müller, Fünf Bücher vom Böhmischen Kriege I (1841). – J. Fiedler, Correspondenz des Pfalzgrafen Friedrich V. und seiner Gemahlin mit H. M. Thurn (1864). – A. Gindely, Rudolph II. und seine Zeit (1863–65). – Chr. v. Stramberg, Rheinischer Antiquarius, III. Abth., 13. Bd. (1867). – Christian d’Elvert, Beiträge zur Geschichte der Rebellion, Reformation etc. (1867 fg.) – A. Gindely, Geschichte des dreißigjährigen Krieges (1869 fg.). – J. Krebs, Die Schlacht am Weißen Berge (1879). – H. Hallwich, H. M. Thurn als Zeuge im Proceß Wallenstein (1883). – H. v. Zwiedineck-Südenhorst, Graf H. M. Thurn in Diensten der Republik Venedig (1885). – E. Hildebrand, Wallenstein und seine Vereinbarungen mit den Schweden (1885).
[70] *) Zu Bd. XXXVIII, 224.