ADB:Tiarks, Johann Ludwig
*): Johann Ludwig T., geboren zu Waddewarden in der Herrschaft Jever am 10. Mai 1789, † zu Jever am 1. Mai 1837, war der Sohn des zweiten Predigers in Waddewarden, Johann Gerhard T., der im J. 1792 zum Conrector an der Provinzialschule zu Jever ernannt wurde. Diese Anstalt besuchte der junge T.; schon früh betrieb er neben den alten auch die neueren Sprachen mit unermüdetem Fleiß, namentlich aber legte er sich mit solchem Eifer auf die Mathematik, daß er bereits in seinem dreizehnten Jahre mit der Analyse der unendlichen Größen sich beschäftigte. Mit 17 Jahren (Michaelis 1806) bezog er die Universität Göttingen, um Theologie zu studiren. Nach einem Jahre (Michaelis 1807) stellte er dieses Studium zurück und widmete sich seinen Lieblingsfächern, der Mathematik, Physik und Mineralogie, in denen Thibaut, Gauß, Harding und Stromeyer seine Lehrer waren. Am Schlusse des Jahres 1808 wurde er zum Doctor der Philosophie promovirt. Häusliche Verhältnisse traten seinem Plan, der akademischen Laufbahn zu folgen, hindernd entgegen, veranlaßten ihn vielmehr, eine ihm von Gauß angetragene Hauslehrerstelle in Hamburg anzunehmen, die, wenngleich sie anfänglich seinen Neigungen wenig zusagte, ihm den Vortheil bot, angenehme und seine allgemeine Ausbildung fördernde Verbindungen anzuknüpfen. Die infolge der Vereinigung seines Heimathländchens Jever mit dem französischen Kaiserreiche (10. Juli 1810) eintretende Conscription bewog ihn, Deutschland zu verlassen und sich nach England zu begeben, ein Schritt, der ihm die Möglichkeit entzog, eine ihm angetragene Professur der Physik in Marburg anzunehmen. In London war T. anfänglich nur als Lehrer thätig, erhielt aber bald die Stelle eines Unterbibliothekars bei dem Erdumsegler Sir Joseph Banks, der er bis zum Jahre 1816 vorstand. Nach einem Besuche in Deutschland wurde er auf den Vorschlag von Banks von der englischen Regierung zum Astronomen bei der englisch-nordamerikanischen Grenzcommission ernannt, welche nach den Bestimmungen des Friedens zu Gent vom 24. December 1814 über einige streitige Grenzpunkte entscheiden sollte. Die Aufgabe der Astronomen bestand wesentlich darin, den 45. Grad nördlicher Breite von St. Regis am St. Lorenzstrom bis zum Champlainsee und von dort bis zum Connecticut, sowie die Wasserscheide zwischen [93] dem Gebiete des St. Lorenzstroms und den zu den Baien des atlantischen Oceans in östlicher und südlicher Richtung strömenden Gewässern zu ermitteln. Im Juni 1817 begab sich T. über Halifax und Newyork nach dem Schauplatz der ihn erwartenden Aufgaben, wo er theils allein, theils in Verbindung mit dem amerikanischen Astronomen, seinem Freunde Haßler, einem gebornen Schweizer, der später durch Ellicot ersetzt wurde, theils endlich in Gesellschaft der Grenzcommission seine Messungen und Beobachtungen auszuführen hatte. Die Arbeiten erforderten einen häufigen Wechsel des Standorts; die zum Theil noch unwirthlichen canadischen Districte südlich des St. Lorenzstroms und die nördlichen Bezirke der Staaten Newyork, Vermont und New-Hampshire mußten durchzogen werden; in St. Regis, Williamsburg und Cornwall, am Champlainsee, in Burlington, am Memphramagogsee wurden längere Aufenthalte genommen. Den Winter 1817/18 brachte T. in Montreal, den Winter 1818/19 in Newyork zu. Gegen Ende 1819 machte er einen Besuch in London und in Jever; aber schon im Juni 1820 war er wieder am Connecticut thätig, dessen Quelle er erforschte, machte einen Abstecher nach Quebeck, ging dann über Portland nochmals an den Connecticut bis nach Stewardstown und besuchte die östlichen Häfen Lübeck und Eastport in Maine. Das Jahr 1821 verlebte er in Newyork und England, um die Resultate seiner Untersuchungen mit den Commissaren zu erörtern, und ging im Herbst nach Jever, wo er sich mit einer Tochter des Arztes Toel verheirathete. Aber schon im J. 1822 veranlaßte das Längenbureau (board of longitude) in London die Admiralität, T. mit der Bestimmung der Länge verschiedener Orte durch Chronometer-Beobachtungen zu beauftragen. Im Sommer 1822 bestimmte er an Bord der Fregatte „Owen Glandower“ den Längenunterschied zwischen Greenwich und Madeira, im Sommer 1823 führte er an Bord der Fregatte „Seringapatam“ ähnliche Beobachtungen zwischen Dover, Portsmouth und Falmouth aus, und im J. 1824 befuhr er in Begleitung von Sir Humphry Davy auf dem Dampfboot „Komet“ die Nordsee und das Kattegat, um die englischen Längenbestimmungen mit denen der hannoverisch-dänischen Gradmessung zu verbinden. Nach Erledigung dieser Arbeiten verweilte T. wieder in Jever und erhielt dann im J. 1825 den Auftrag, den nordwestlichsten Punkt des Wälderses (Sea of the woods) zu bestimmen, dessen Lage über den Besitz eines Bezirks zwischen dem Winipegsee und dem Obern See entscheiden sollte. Von dieser mit den größten Beschwerden verbundenen Reise kehrte er im J. 1826 zurück, arbeitete in England, bis im J. 1830 der nordamerikanische Grenzstreit der schiedsrichterlichen Entscheidung des Königs der Niederlande überwiesen wurde, und begab sich dann nach dem Haag, um dort die etwa nöthigen Aufklärungen zu geben. In Holland blieb er ein Jahr, stattete in England der Regierung Bericht ab und ging endlich nach Jever zurück (1832), wo er, fortwährend zur Disposition der englischen Regierung, nach einem längeren Aufenthalt am Rhein, dauernd sich niederließ und von wo er England nur noch ein Mal im J. 1834 besuchte. Infolge eines Schlagflusses starb er am 1. Mai 1837. – T. hat zahlreiche Abhandlungen verfaßt, die in englischer Sprache geschrieben und in englischen Zeitschriften (den Philosophical Transactions, den Transactions of the astronomical society, dem Philosophical Magazin u. a.) gedruckt sind; abgesehen von den über die in den Jahren 1822/24 ausgeführten Längenmessungen erstatteten Berichten, über welche in den unten zu erwähnenden biographischen Mittheilungen Nachweisungen gegeben sind, ist nur eine Abhandlung besonders erschienen: „Tables for easely determining the arbitration of exchanges between London and the principal commercial towns of Europe“ (London 1817). Seine Arbeiten über die amerikanische Grenzfrage sind in einem gedruckten, aber nicht veröffentlichten Werke von fünf Bänden enthalten. – Mit den ausgezeichnetsten [94] Gelehrten Englands und Amerikas stand T. in lebhaftem wissenschaftlichen Verkehr, mit Bessel, Gauß, Harding, Olbers, Schumacher und anderen deutschen Gelehrten in ununterbrochenem Briefwechsel. Von der königlichen Societät in London war er bereits im J. 1825 zum Mitglied erwählt worden.
Tiarks- Biographisches über T. findet sich im Londoner Athenaeum von 1837, Nr. 499 (von James Hudson, Secretär der kgl. Societät), in den Oldenburgischen Blättern von 1837, Nr. 48, 49 und von 1838, Nr. 42, 43.
[92] *) Zu Bd. XXXVIII, S. 240.