ADB:Prantl, Carl von
*): Carl von P., Philosoph und Philolog. – Carl P. wurde geboren am 28. Januar 1820 zu Landsberg am Lech als Sohn eines Kaufmanns. Seine Gymnasialstudien machte er in München, wohin sein Vater übergesiedelt war. Im Alter von 17 Jahren bezog er die Münchener Universität, um sich dem Studium des classischen Alterthums zu widmen. Der vielseitige Friedrich Thiersch, der Begründer des philologischen Seminars und Reorganisator des humanistischen Unterrichts in Baiern, Leonhard Spengel, von dem P. in die Aristotelischen Studien eingeführt wurde, und der Philosoph Andreas Erhard waren die Lehrer, welcher er in der Widmung seiner Doctordissertation „De Solonis legibus“, mit deren Vertheidigung er im August 1841 seine vierjährigen Münchener Universitätsstudien abschloß, dankbar gedenkt. Nach vorzüglich bestandener philologischer Staatsprüfung widmete er sich vorübergehend in München dem praktischen Schuldienste. Eine kleine Abhandlung über eine Horazische Ode (carm. I, 28), die er einem Abschiedsgruß Namens des philologischen Seminars an den nach Heidelberg übersiedelnden Lehrer Leonhard Spengel beifügte, ist zwar sachlich nicht von besonderer Bedeutung, zeigt aber, daß ihr Verfasser von vornherein nicht gesonnen war, in den Aufgaben des praktischen Lehrberufs aufzugehen. Seine auf Höheres gehenden Absichten auszuführen, setzte P. ein Reisestipendium, das er wohl der Empfehlung von Friedrich Thiersch verdankte, in den Stand. Er ging für das Studienjahr 1842/43 nach Berlin, um dort als Schüler Böckh’s, des führenden Vertreters der realen Auffassung der Alterthumswissenschaft, und Trendelenburg’s, des feinen Aristotelikers und scharfsinnigen Gegners der Hegel’schen Philosophie, sein Wissen und Können zu vertiefen. Seinem Lehrer Trendelenburg hat P. später bei dessen Tode (1873) als auswärtigem Mitgliede der Münchener Akademie eine Gedächtnißrede gewidmet, in der er besonders der anregenden Stunden in Trendelenburg’s philosophischem Seminar gedenkt, sowie der hingebenden Herzensgüte, mit welcher jener dort die Jüngeren anleitete. Auch über die Alterthumswissenschaft hinaus suchte P. in Berlin seinen Gesichtskreis zu erweitern. Der Besuch juristischer Vorlesungen bezeugte das schon früh sich regende Interesse Prantl’s für rechtsphilosophische Fragen, dem später seine Festrede über „die geschichtlichen Vorstufen der neueren Rechtsphilosophie“ (1858) und manches in seiner akademischen Abhandlung „Zur Causalitätsfrage“ (1883) auch litterarischen Ausdruck gab. Daneben hörte er auch physiologische Vorträge bei Johannes Müller, der in feinsinniger Weise exacte Beobachtung mit philosophischem Geiste vereinte und durch seine Theorie der specifischen Sinnesqualitäten der Kant’schen Lehre von den apriorischen Bewußtseinsformen eine neue Stütze zu geben schien. Auch schriftstellerisch bethätigte P. sich während seines Berliner Studienaufenthalts. Vom Fortschreiten und von der Richtung seiner philologischen Studien zeugen die seinem Gönner Thiersch noch von Berlin aus als Geburtstagsgabe gewidmeten „Symbolae criticae in Aristotelis physicas auscultationes“ (Berlin 1843), in denen er eine Anzahl von Stellen der Aristotelischen „Physik“ kritisch und exegetisch behandelt.
Prantl[855] So vorbereitet, habilitirte sich P. am 18. November 1843 mit einer Abhandlung: „De Aristotelis librorum ad historiam animalium pertinentium ordine atque dispositione“ (München 1843), sowie dem Probevortrag – er hatte die Physik des Aristoteles zum Gegenstande gewählt – und der herkömmlichen Vertheidigung von Thesen. Auch die Habilitationsschrift bewegt sich, gleich den „Symbolae“, in den Bahnen seines Lehrers Spengel. Mit großem Fleiß sammelt P. die gegenseitigen Verweisungen in den naturwissenschaftlichen Schriften des Aristoteles und sucht vornehmlich hieraus Kriterien für ihre zeitliche und systematische Ordnung zu gewinnen. Als Privatdocent erhielt P. von vornherein dadurch eine feste Stellung, daß er schon wenige Monate nach seiner Habilitation zum zweiten Vorstand des unter der Oberleitung seines Begründers Thiersch stehenden philosophischen Seminars ernannt wurde (10. März 1844), aus dem auch er selbst hervorgegangen war. Seiner Dankbarkeit gegen den Begründer gab er noch weit später durch eine ihm gewidmete Festschrift zum vierzigjährigen Bestande der Anstalt am 11. März 1852: „Ueber die dianoetischen Tugenden in der Nikomachischen Ethik des Aristoteles“ Ausdruck, in der er nicht ohne Scharfsinn darzuthun sucht, daß die übliche Aufstellung der fünf dianoetischen Tugenden: Vernunft, Wissenschaft, Kunst, Weisheit, praktische Einsicht, nicht nur unsystematisch sei, sondern auch der Absicht des Aristoteles nicht entspreche. Die Vorlesungen Prantl’s waren in der ersten Zeit seiner Lehrthätigkeit vorwiegend philologischen Inhalts. Eine oft gehaltene Vorlesung über die Geschichte der griechischen und römischen Philosophie bildete den Uebergang zur eigentlichen Philosophie und zu Vorlesungen über specifisch philosophische Gegenstände, wie über Moral. Darauf gestützt, erstrebte P. lebhaft den philosophischen Lehrstuhl, der durch den Tod seines ehemaligen Lehrers Andreas Erhard († am 27. November 1847) frei wurde. Man braucht nicht gleich mit Prantl’s Biographen W. v. Christ auf die „Zeiten des Abel’schen Regiments“ sich zu berufen, um es erklärlich zu finden, daß der siebenundzwanzigjährige junge Mann, der erst drei Jahre Privatdocent war, nicht sofort ein Ordinariat erhielt. Aber für P., der nach desselben Christ Zeugniß „bei dem ausgesprochenen Idealrealismus seiner philosophischen Lebensrichtung durchweg die Schwärmerei des Ideologen von sich wies, besonders aber in seiner Gelehrtenlaufbahn mit größerer Ungeduld als andere Beförderung und Auszeichnung anstrebte“, mochte das Scheitern seiner Hoffnungen eine schmerzliche Enttäuschung bedeuten. Doch schon wenige Wochen darauf ward ihm eine Entschädigung zu Theil, freilich in der Art, daß er dadurch erst recht in den Streit der Parteien versetzt wurde. Unter dem neuen Ministerium war Ernst v. Lasaulx wegen seines Auftretens im Senat beim Abgang des Abelschen Ministeriums von seinem Lehrstuhl entfernt. An seiner Statt wurde P. am 14. April 1849 zum außerordentlichen Professor ernannt, und zwar, wie es der Stelle und Prantl’s bisherigen litterarischen Arbeiten entsprach, „zunächst für die Lehrvorträge der Philologie“.
Nunmehr suchte P. auch litterarisch sich als Philosophen zu erweisen. Während die Schrift: „Aristoteles über die Farben, erläutert durch eine Uebersicht der Farbenlehre der Alten“ (München 1849) – eine Ausgabe mit kritischen und erklärenden Anmerkungen, sowie mit einer längeren, als fleißige Materialsammlung auch jetzt noch werthvollen geschichtlichen Zusammenstellung – noch ausschließlich philologischer Natur ist, sucht er in dem im gleichen Jahre erschienenen Werkchen: „Die Bedeutung der Logik für den jetzigen Standpunkt der Philosophie“ durch eine längere kritische Auseinandersetzung und eine kurz skizzirte systematische Entwicklung seine Position als Philosoph darzulegen. [856] Der Standpunkt, welchen P. in dieser Schrift einnimmt, ist zwar im einzelnen weder der Hegel’s noch der der Identitätsphilosophie des jungen Schelling. In der Grundanschauung jedoch, der Entwicklung des Absoluten im dialektischen Proceß durch Natur und Geist hindurch zum absoluten Wissen, in dem Objectives und Subjectives bewußt vereinigt sind, stimmt er mit dem Grundgedanken jener überein. Ablehnend dagegen verhielt sich P. in jener Zeit wie zeitlebens gegen jede Verbindung des Offenbarungsglaubens mit der Philosophie. Nicht nur gegen jede Beengung der philosophischen Bewegungsfreiheit durch das Dogma, nicht nur gegen confessionelle Bestrebungen in der Philosophie hat er sich stets aufs neue gewandt, sondern auch die spätere Philosophie Schelling’s und der Schellingianer, die als „positive Philosophie“ der rationalen oder „negativen“ Philosophie eine Philosophie der Mythologie und Offenbarung entgegenstellte, ist ihm als „Mystik“ durchaus widerwärtig. Aus dieser Gegnerschaft gegen die „positive Philosophie“ des späteren Schelling dürfte es, wie nebenbei bemerkt sei, sich erklären, daß man die Philosophie Prantl’s als „negative Philosophie“ bezeichnete, eine Bezeichnung, die später freilich, als Schelling’s „positive Philosophie“ aus dem Gesichtskreis verschwunden war und andere Gegensätze sich geltend machten, wohl auch mißverstanden wurde. In München aber, wo Franz v. Baader gewirkt und auf die Hinwendung Schelling’s zur positiven Philosophie einen entscheidenden Einfluß ausgeübt hatte, wo Schelling’s Traditionen nicht vergessen waren und Schüler von ihm Lehrstühle bekleideten, war auch am Ende der vierziger und in den fünfziger, ja noch in den sechziger Jahren der Geist der späteren Schelling’schen Philosophie weit verbreitet, nicht so sehr als reiner Schellingianismus, wie in verwandten Bestrebungen. Er verband sich zum Theil mit kirchlicher Rechtgläubigkeit, wie bei dem Mediciner Joh. Nep. v. Ringseis. War doch selbst Joseph v. Görres, auch nachdem er vom Pantheismus der Schelling’schen Identitätsphilosophie sich abgewandt hatte, doch stets innerhalb der Gedankenwelt der Schelling’schen Naturanschauung verblieben. Und auch der in Freising, München und Dillingen wirkende Martin Deutinger, dessen siebenbändige „Grundlinien einer positiven Philosophie“ (1843/53) den Ausdruck „positive Philosophie“ in kirchlich denkenden Kreisen befestigte, war nicht unbeeinflußt von Schelling. So stand P. in Gegensatz nicht nur zu den Theologen und zu der theologischen Censur seiner Lehre, sondern auch zu den außerhalb der theologischen Facultät verbreiteten Stimmungen.
Die Festrede, welche P. am 27. März 1852 in der Akademie der Wissenschaften über „die gegenwärtige Aufgabe der Philosophie“ hielt und in ausgeführter Form herausgab, verschärfte noch die Gegensätze. Zwar betont auch hier P. seine Gegnerschaft gegen Hegel. Aber doch verbindet ihn vieles mit diesem. Mit Hegel faßt er die Religion – die nicht mit Kant auf die Ethik zurückgeführt werden soll – als Vorstufe der Philosophie. Und wenn er jetzt sein System auch als „Anthropologismus oder „Historismus“ bezeichnete und damit den Schwerpunkt auf eine andere Seite hinübergleiten läßt, so sind durch die vorsichtigen Erörterungen hindurch doch auch seine alten Anschauungen noch zu erkennen. In der entschiedenen Ablehnung jedes Dualismus von Geist und Natur, von Idealem und Realem, in der Verwerfung einer außergöttlichen Materie – er polemisirt dabei u. a. gegen den ihm auch sonst höchst unsympathischen Schleiermacher – tritt der Monismus deutlich zu Tage. So wurde das Verhältniß zwischen P., der es auch seinerseits an bittern Reden nicht fehlen ließ, und seinen Gegnern ein sehr gespanntes. In der Presse und in Broschüren wurde P. als Pantheist und Gottesleugner bekämpft. Die theologische Facultät verwahrte sich gegen seine Thätigkeit und [857] verlangte in ihrer Majorität (der berühmte Orientalist Abt Haneberg ging hier nicht mit) eine Untersuchung und ein Einschreiten der Behörde. Wie die theologische Facultät, so hatte P. auch den größeren Theil des übrigen Professorencollegiums gegen sich. Dieser Stimmung entsprach der Ausgang der Sache. P. wurde im October 1852 auf das Lehrfach, für das er zunächst angestellt war, die griechische und römische Philologie beschränkt; philosophische Vorlesungen zu halten wurde ihm dagegen verboten. Ja es wurde ihm – was bei den eigenartigen Rechtsverhältnissen der bairischen Universitäten ja möglich war – im Falle des Ungehorsams Versetzung an ein Lyceum oder die gänzliche Quiescirung angedroht. Die nach den Stürmen von 1847/49 wieder zur Herrschaft gelangte Partei war gewillt, P. dasselbe Schicksal zu bereiten, wie es unter der entgegengesetzten Strömung wenigstens für einige Zeit E. v. Lasaulx betroffen hatte, dessen so erledigten Stuhl damals P. einnahm.
P. hat in jener Zeit sich in Wort und Schrift auf die Philologie und die rein geschichtliche Betrachtung der Philosophie zurückgezogen. Indeß auch in seiner rein philologischen Lehrthätigkeit gelangte er neben dem 1847 nach München zurückgekehrten Leonh. Spengel, neben dem reactivirten Lasaulx und neben dem 1853 an die Universität berufenen Karl Halm nicht recht zur Geltung. Fleißig schaffte er dagegen auf litterarischem Gebiete. Nicht von sonderlicher Bedeutung ist die „Uebersicht der griechisch-römischen Philosophie“ (Stuttgart 1854, ²1863), eine Frucht seiner Vorlesungen über den Gegenstand, bei der besonders die Darstellung der Stoa und noch mehr die des von P. als unphilosophische Mystik aus der Geschichte der Philosophie ganz herausgeworfenen späteren Platonismus und Neuplatonismus zu wünschen übrig läßt, während der Verfasser von dem von ihm hoch geehrten Aristoteles eine des wissenschaftlichen Interesses nicht entbehrende eigenartige Darstellung gibt. Das Werkchen war eigentlich eine von buchhändlerischer Seite veranlaßte Gelegenheitsschrift, verfaßt für die bei Hoffmann in Stuttgart erscheinende Bibliothek deutscher Uebersetzungen griechischer Autoren. Solche Gelegenheitsarbeiten sind auch die Ausgaben und Uebersetzungen, mit denen sich P. an der Sammlung griechisch-deutscher Ausgaben von Engelmann in Leipzig und der Sammlung deutscher Uebersetzungen von Hoffmann in Stuttgart betheiligte. Sie erweisen P. als tüchtigen Gräcisten und sind an sich recht nützlich, bringen aber im übrigen weder nach der kritischen, noch nach der exegetischen Seite hin wesentliche Förderung und können mit den Aristotelischen Arbeiten von Trendelenburg und Bonitz nicht verglichen werden. Es sind griechisch-deutsche Ausgaben von Aristoteles Physik (1854) und von den Aristotelischen Büchern über das Himmelsgebäude und vom Werden und Vergehen (1857); ferner Uebersetzungen von Platos Phädon (1854), Phädrus (1854), Gastmahl (1855), Staat (1857), Apologie (1858). – Die eigentlich selbständige Arbeit Prantl’s war in dieser Zeit der Geschichte der Logik zugewandt, deren systematischer Aufbau ihn schon lange beschäftigt hatte. Eine Vorarbeit war der Aufsatz: „Ueber die Entwicklung der aristotelischen Logik aus der platonischen Philosophie“, der 1853 in den Abhandlungen der Münchener Akademie der Wissenschaften veröffentlicht wurde. Im Jahre 1855 erschien dann der erste, das Alterthum behandelnde Band der „Geschichte der Logik im Abendlande“, mit dem P. das Hauptwerk seines Lebens, seine eigentliche Lebensarbeit, eröffnete.
Prantl’s unausgesetzte Bestrebungen um Wiederzulassung zu philosophischen Vorlesungen und um Verleihung einer philosophischen Professur (eine solche war zweimal kurz nacheinander, 1854 und 1855, frei geworden) waren in Folge der – auch im Schoße der Universität – bestehenden Widerstände zunächst [858] mehrere Jahre lang ebenso vergebens, wie seine Bemühungen um die Verwandlung seiner außerordentlichen Professur in ein Ordinariat. Erst am 28. Januar 1857 wurde ihm die Abhaltung philosophischer Vorlesungen neben den philologischen wieder gestattet, und am 26. Juli 1859 wurde er auch zum Ordinarius befördert. Endlich wurde auch sein Wunsch, sich ausschließlich der Philosophie widmen zu können, erfüllt. Am 26. April 1864 wurde ihm, unter gleichzeitiger Entbindung von seinen Lehrverpflichtungen am philologischen Seminar, das Ordinariat der Philosophie übertragen. Zum außerordentlichen Mitgliede der bairischen Akademie der Wissenschaften war er schon im Jahre 1848, zum ordentlichen im Jahre 1857 erwählt. Seit 1873 bekleidete er zugleich die Stelle eines Secretärs in der philosophisch-philologischen Classe und hat in dieser Eigenschaft eine große Anzahl von Nekrologen gehalten, die in den Sitzungsberichten der Akademie veröffentlicht sind. Die preußische Akademie der Wissenschaften ernannte ihn 1874 zum correspondirenden Mitgliede.
Mit der Ernennung zum Professor der Philosophie hatte P. die Stellung erreicht, in der er seine größte Wirksamkeit entfaltet und in Wort und Schrift einen weitgehenden Einfluß ausgeübt hat. Zwar eigentliche Schule hat er nicht gemacht, weder als Philosoph, noch als Philosophiehistoriker. Den Schwerpunkt seiner akademischen Lehrthätigkeit sah er in den allgemeinen Vorlesungen, auf die er, wie man aus der Autobiographie seines Schülers Spicker (Gideon Spicker, Vom Kloster ins akademische Lehramt. Schicksale eines ehemaligen Kapuziners. Stuttgart 1908, S. 87 f.) sieht, gleiches Gewicht legte, ob sie von einigen Wenigen oder von Hunderten von Zuhörern besucht wurden. Logik und Encyklopädie der Philosophie, Geschichte der Philosophie bis Kant und von Kant an, Rechtsphilosophie waren die Hauptvorlesungen. Die seminaristischen Uebungen dagegen, die er nach dem Vorbilde Trendelenburg’s über Plato und Aristoteles, über Spinoza und Kant zeitweilig abhielt, gab er bald wieder auf; und auch sonst lag ihm die opferwillige persönliche Bemühung um den Einzelnen und seine wissenschaftliche Arbeit, durch die er in seinem eigentlichen Arbeitsgebiete, der Philosophiegeschichte, leicht hätte selbständige Schüler heranbilden können, ziemlich fern. Freilich kam wohl hinzu, daß er gerade auf dem Felde, auf dem seine bleibenden Verdienste liegen, nämlich dem der mittelalterlichen Philosophiegeschichte, zu dem Gegenstande selbst keinerlei inneres Verhältniß besaß, vielmehr des öfteren nachdrücklich betonte, daß er hier so viel Unnützes nur deshalb lese, damit Andere es nicht mehr zu lesen brauchten. Eine solche Auffassung der selbstgestellten Aufgabe konnte natürlich nicht zur Mitarbeit anlocken. Immerhin verdankten auf anderen Gebieten einzelne namhafte Philosophen P. mancherlei Anregung, wie namentlich Friedrich Jodl und Gideon Spicker, von denen freilich der letztere von der Richtung, die P. in seinen späteren Jahren vertrat – aus dem hegelianisirenden Metaphysiker war ein entschiedener Antimetaphysiker geworden – sich bald abwandte.
War in Prantl’s schriftstellerischen Arbeiten das Philologische schon lange an die zweite Stelle gerückt, so ist seit der Zeit, wo ihm die Abhaltung philosophischer Vorlesungen wieder gestattet war, sein litterarisches Schaffen, wenigstens soweit es eigener Initiative entsprang, so gut wie ausschließlich auf die Philosophie gerichtet gewesen. Was er außerdem schrieb, war meist von außen angeregt; wie denn, nach Christ’s Zeugniß, P. überhaupt gern zur Betheiligung an Unternehmungen, die von außen her an ihn herantraten, sich bereit finden ließ, vielleicht mehr, als im Interesse seiner selbständigen Pläne zu wünschen war. Solch fremder Anregung entsprang es, wenn P. noch einmal [859] kurze Zeit philologisch thätig war. Für die Teubnersche Bibliothek griechischer und lateinischer Autoren besorgte er Textausgaben einiger Aristotelischer Schriften: der Physik (1879), der Bücher De caelo und De generatione et corruptione (1881) und der drei pseudo-aristotelischen Werkchen De coloribus, De audibilibus und Physiognomica (1881). Mit Ausnahme der letzten beiden Schriftchen sind es wesentlich nur Wiederholungen früherer Arbeiten, alle ohne selbständige Bedeutung. Die geniale Intuition divinatorischer Kritik fehlte P. ebenso sehr, wie der Sinn für die Ordnung und Werthung der handschriftlichen Unterlage. – P., der in seinen Vorlesungen so viele künftige Lehrer vor sich gesehen hatte und in der Zeit seiner Thätigkeit am philologischen Seminar in unmittelbarer persönlicher Beziehung zu so vielen stand, hatte sich ein lebhaftes Interesse für das Unterrichtswesen bewahrt. So lieferte er gern für die „Bavaria“ (I. 1860) einen Beitrag: „Geschichte der Volksbildung und des Unterrichts in Baiern“. Auf das Gebiet der Universitätsgeschichte führt der Aufsatz: „Ueber eine Parteispaltung an der Universität Ingolstadt“ (Sitzungsber. d. bair. Ak. 1863 I.). Mit der Universitätsgeschichte in höherem Stile sich zu befassen, wurde er durch einen äußeren Umstand veranlaßt. Es war seitens der Universität beabsichtigt, zur vierhundertjährigen Jubelfeier der bairischen Landesuniversität eine größere Festschrift erscheinen zu lassen. P. wurde im Jahre 1868 durch das Vertrauen des Senates mit der Abfassung derselben betraut. Mit Energie besorgte er die Ordnung des Universitäts-Archivs, durcharbeitete dasselbe wie auch das Münchener Archiv-Conservatorium, und pünktlich erschien die „Geschichte der Ludwig-Maximilians-Universität in Ingolstadt, Landshut, München“ (München 1872) in zwei starken Bänden, von denen der erste die Darstellung, der zweite die (fast ausnahmslos bis dahin ungedruckten) Urkunden sowie einen biographisch-bibliographischen Theil enthielt: neben der „Geschichte der Logik“ Prantl’s zweites Hauptwerk. Dasselbe brachte P. auch äußere Anerkennung. Aus Anlaß der Stiftungsfeier erhielt er laut Ministerial-Entschließung vom 6. August 1872 das Ritterkreuz des Verdienstordens der bairischen Krone und damit das Recht, sich in die bairische Adelsmatrikel eintragen zu lassen.
Das Werk gibt Zeugniß von einer gewaltigen Arbeitskraft und einer unermüdlichen Sorge um das Große und um das Kleine und Kleinste. Es wird, nicht zum wenigsten wegen seiner reichen Urkundensammlung und wegen seiner biographischen und bibliographischen Nachrichten, stets eine höchst schätzenswerthe Fundgrube für die Geschichte der Universitätsverfassungen und für die Gelehrtengeschichte sein. Manchmal auch, wie bei der Darstellung der humanistischen Periode, geht es in dankenswerther Weise über den engeren Rahmen der Universitätsgeschichte hinaus und bringt Zusammenstellungen von allgemeinem culturgeschichtlichen Inhalt. Freilich werden diese Vorzüge durch verschiedene Mängel nicht unerheblich beeinträchtigt. Es fehlt dem Verfasser einigermaßen an der Fähigkeit zu anschaulicher Synthese. Er versteht es nicht, die jedesmalige Epoche in ihrer Eigenart vor uns lebendig zu machen. Statt dessen handelt er in stets gleicher Weise nach einem abstrakten Schema an der Hand der Urkunden die verschiedenen Punkte ab, nach denen gefragt werden kann. Sein Geist ist zu starr, um sich in das Fremde einzufühlen und es so nachempfindend und nachschaffend in seiner Eigenart anschaulich vor uns hinzustellen. Damit ist ein zweiter Mangel schon gegeben, der auch sonst bei P. hervortritt. Seine Darstellung entbehrt der reinen Objectivität, die sich in erster Linie bemüht, das Vergangene aus seinen eigenen Bedingungen heraus zu verstehen und in seiner relativen Bedeutung zu würdigen. Gewiß hat auch der Historiker nicht nur Thatbestände festzustellen, [860] sondern auch sie zu werthen. Er hat nicht nur für die Auswahl und Sichtung des Stoffes Werthmaßstäbe anzulegen, sondern es gehört auch die Abgabe von subjectiven Werthurtheilen zu seiner Aufgabe. Aber diese subjectiven Werthurtheile dürfen weder eine objective Würdigung verhindern, noch, wie bei P., zu einem fortwährenden Dreinreden ausarten. Jenes unablässige Kritisiren, das zudem im Tone sich nur zu häufig aufs ärgste vergreift, wirkt nicht nur störend selbst bei dem, der sachlich mit P. übereinstimmt; es hat leider auch nicht selten zu Ungerechtigkeiten im Urtheil und zur Einseitigkeit in der Auswahl dessen, was dargestellt und was übergangen wird, geführt. Schon Leonhard Spengel hatte in einem Facultätsgutachten über den ersten Band der „Geschichte der Logik“ tadelnd auf die vielen überflüssigen Ausfälle in dem Buche hingewiesen: eine Eigenthümlichkeit, die auch für Prantl’s mündliche Vorträge charakteristisch war (Spicker S. 76). Im Alterthum sind es besonders die Stoiker und Neuplatoniker, auch Cicero, die seinen Grimm tragen müssen; im Mittelalter sind es die Lateiner (im Gegensatz zu den Byzantinern) im allgemeinen und die Theologen insbesondere; in der Geschichte der Ludwig-Maximilians-Universität sind es die Jesuiten. Ein sehr großer Theil dieses Buches ist Prantl’s Auseinandersetzung mit den Jesuiten. Sie dienen ihm zur Periodisirung der geschichtlichen Entwicklung; die Streitigkeiten zwischen ihnen und den übrigen Lehrern, insbesondere den Juristen, werden bis in die kleinsten Katzbalgereien verfolgt. Nun hat P. gewiß Recht mit dem Vorwurf, daß der durch die Obern veranlaßte fortwährende Wechsel der jesuitischen Lehrer einer ruhigen Entwicklung nicht förderlich war, Recht auch wohl damit, daß die Zwiespältigkeit in der Organisation eine nothwendige Quelle von Mißhelligkeiten war; wer wollte überhaupt den dominirenden Einfluß des Ordens auf die gesammte bairische Landesuniversität für glücklich halten? Aber wenn P. stets wieder von „Vergiftung der Universität durch die Jesuiten“, von „jesuitischem Verderben“ und „jesuitischem Unheil“ sprach und für die jesuitischen Lehrer das Schlagwort „Jesuiten-Nullen“ prägte – neben denen er indeß Männer wie einen Scheiner, einen Gretser, einen Balde durchaus anerkannte –, so sprach daraus nicht der objective Historiker, sondern der Parteimann. Begreiflich ist es schon, daß sich dagegen in Baiern eine lebhafte Bewegung erhob, und es ist nur zu bedauern, daß die Ausgestaltung der Schrift zur Parteischrift die Freude an der vielen soliden Arbeit, die darin steckt, nothwendig beeinträchtigen muß. – Von Prantl’s anderen historischen Arbeiten war die Festrede zur Vorfeier des Wittelsbachjubiläums im Jahre 1880: „Das Wittelsbachische Regentenhaus und die Ludwigs-Maximilians-Universität“ eine Frucht seiner Studien für die Festschrift. Die zahlreichen Artikel in der Allgemeinen deutschen Biographie und in Bluntschli’s Deutschem Staatswörterbuch dagegen betreffen durchweg Philosophen und Philosophiegeschichte und gehören darum zu Prantl’s eigentlichem Arbeitsgebiet, der Philosophie und der Philosophiegeschichte. Wenden wir uns nunmehr zu diesem.
Gewissermaßen Prantl’s Abschiedsgruß an die Philologie, zugleich aber auch an die Philosophie seiner Jugend ist die Friedrich v. Thiersch, „dem Lehrer der Lehrer“, zum fünfzigjährigen Doctorjubiläum gewidmete Festschrift: „Die Philosophie in den Sprichwörtern“ (München 1858). Es ist eine wunderliche Mischung hegelianisirender Abstraktionen in abstrusester Terminologie und philologischer Untersuchungen. P. sucht darin zu zeigen, daß die philosophische Funktion des menschlichen Geistes schon im volksthümlichen Sprichwort zu erkennen sei. Denn wenn die Philosophie die Identität des Realen und Idealen in vermittelter Weise erfasse, indem sie durch die gesammte uns zugängliche Welt der Natur und des Geistes hindurch den dialektischen Proceß der Vereinigung, [861] Entzweiung und Rückvereinigung verfolge, so leiste das wahre Sprichwort dieses in unmittelbarer Weise. In einem solchen nämlich, z. B. „Auf einen Hieb fällt kein Baum“, „Besser ein Spatz in der Hand, als eine Taube auf dem Dache“, fasse der einzelne Fall unmittelbar, wie durch einen ursprünglichen Instinkt, die analogen Fälle zusammen. Während die Philosophie das Ideale und Reale mittelbar vereine, treffe dagegen auf diese Weise „im Sprichwort die wesentliche Allgemeinheit und Einheit des Idealen einerseits, und die wesentliche Einzelnheit und Vielheit des Realen andererseits in unmittelbarer Weise zusammen“. In der aus dem Sprichwort erwachsenen allgemeinen Sentenz sei darum auch historisch bei den Sieben Weisen Griechenlands der Anfang der Philosophie gegeben. Für den modernen Leser, der aus der Psychologie der Sprache und des Volksgeistes das Verständniß derartiger Erscheinungen zu gewinnen sucht, sind solche Geistreichigkeiten ungenießbar geworden. Aber die Schrift ist gleichwohl nicht ohne historisches Interesse. Sie zeigt, wie lange das Bestreben der Romantik und Hegels nachwirkt, den ganzen Culturbesitz der Menschheit in den Zusammenhang eines Alles umfassenden Systemes des Geistes einzufangen. Zugleich aber läßt sie deutlich erkennen, wie dieses Bestreben trotz alles Berechtigten und Tiefsinnigen darin doch immer wieder zu qualvollen Vergewaltigungen und zum Spiel mit bloßen Analogien führt, nicht anders, wie dies bei der constructiven Naturphilosophie der Fall gewesen. So ist die Schrift ein zeitgeschichtliches Document. Für P., dessen nüchtern verständiger Sinn jene ganze Richtung zuletzt doch wie etwas Angequältes empfinden mußte, wurde die Schrift gewissermaßen wie eine Krisis. Wenngleich er den „Idealrealismus“ auch in der Folge noch stets vertreten hat, so gewinnt derselbe doch allmählich einen anderen Sinn. Von der „absoluten Philosophie“ wendet er sich mehr und mehr ab und wird allmählich zum Antimetaphysiker, der zuletzt nur noch im abweisenden Sinne von der „sogenannten Metaphysik“ redet (in der Abhandlung über die mathematische Logik, 1886).
Eine allgemeine Weltauschauungsfrage behandelt die Rede über „die Berechtigung des Optimismus“, mit der P. 1879 sein Rectorat antrat. Gegenüber dem Schopenhauer-Hartmann’schen Pessimismus, der in den siebziger Jahren anfing Mode zu werden, weist er hin auf die idealen Werthe des Lebens, insbesondere auf den Werth der Arbeit, um das junge Geschlecht zu freudiger Zuversicht im Lebenskampfe anzufeuern, nach des Dichters Wort: „Erst dann genieß ich meines Lebens recht, wenn ich mir’s jeden Tag auf’s neu erbeute.“ Im übrigen concentrirt sich jetzt sein Interesse mehr und mehr auf das, was von Anfang an seinem selbständigen philosophischen Arbeiten Richtung gab, auf logische, methodologische und erkenntnißtheoretische Fragen, wie denn auch die Vorlesung über Logik und Encyklopädie der Philosophie sein vielbesuchtes Hauptcolleg wurde. Doch liebte er es auch jetzt, nach dem Muster seiner logischen Jugendschrift vom Jahre 1849, in die Behandlung der logischen Fragen Erörterungen allgemeinerer Art einzuflechten, aus denen sein philosophischer Standpunkt, wie auch G. Spicker (Zeitschr. für Philos. und philos. Kritik Bd. 69 S. 165) hervorhebt, für den Kundigen deutlich erkennbar ist. So vor allem in den „Reformgedanken zur Logik“ (Sitzungsber. d. bair. Ak. d. Wiss. 1875 I), in denen er entsprechend dem „Ideal-Realismus“ seines Systems, die Idee seiner sprachlichen Logik näher zu begründen sucht. Die Abhandlung über „Verstehen und Beurtheilen“, eine Festgabe zum fünfzigjährigen Doctorjubiläum von Leonhard Spengel (München 1877), gibt den Inhalt eines Capitels aus seiner Vorlesung über Logik und Encyklopädie wieder, nämlich der zwischen Logik und Encyklopädie eingeschobenen Methodologie. In Prantl’s [862] Nachweis der Verkettung der psychischen Funktionen beim Auffassen steckt an sich manche feine Bemerkung. Der Leser von heute freilich, der solche allgemeine Fragen vom psychologischen Standpunkte der Associationstheorie aus zu betrachten gewohnt ist und die eigentliche Methodenlehre im Zusammenhange mit der Methodik der einzelnen Wissenschaften weniger abstract gestaltet, weiß mit dem zopfigen Schematismus nichts anzufangen, der ihn nach dem Dreischlag zuerst beim Verstehen durch die drei Stufen: Allgemeines, Individuelles, Allgemeines im Individuellen führt, dann beim Beurtheilen wieder durch die drei gleichen Stufen, um ihn endlich bei der Synthesis von Verstehen und Beurtheilen landen zu lassen. Eine seitdem oft behandelte logische Frage bespricht der Aufsatz: „Ueber das Sprachmittel der Negation“ (Stzber. d. b. Ak. 1869 II). Der Aufsatz: „Die mathematische Logik“ (ebd. 1886), Prantl’s letzte Arbeit, bringt seine kritische Auseinandersetzung mit einer damals von England und Nordamerika her sich auch nach Frankreich und Deutschland verbreitenden logischen Richtung. – Erkenntnißtheoretische Studien werden in der Abhandlung: „Zur Causalitätsfrage“ (Stzb. d. b. Ak. 1883) geboten. Durch Heranziehung eines reichen Materials sachlicher Beispiele aus den verschiedensten Wissenschaften, u. a. auch aus der des Rechtes, erhält der Aufsatz zugleich methodologische Bedeutung. Die Erörterungen über den Zweckbegriff in der Natur sind interessant als Versuch, unter Abweisung alles Anthropomorphistischen dem Zweckbegriff doch eine objective Bedeutung zu sichern.
Die erfolgreichste Hauptarbeits Prantl’s aber lag auch in dieser Zeit auf philosophiegeschichtlichem Felde. Hatte der 1855 erschienene erste, das Alterthum behandelnde Band seiner „Geschichte der Logik im Abendlande“ eine bereits vielfach bearbeitete Periode zum Gegenstande, wenngleich der specifisch logische Stoff auch hier fast überall neu aus den Quellen geschöpft werden mußte, so galt es nun beim Uebergange zum Mittelalter einen noch wenig bebauten Boden in Angriff zu nehmen, auf dem bis dahin fast nur französische Gelehrte, denen die Schätze der Pariser Bibliotheken („Parisius quae est civitas philosophorum“, sagte Albert d. Gr. De natura locorum tr. 3 c. 2) zu Gebote standen, als selbständige historische Forscher thätig gewesen waren; und je mehr die Arbeit vorrückte und der späteren Scholastik sich zuwandte, desto mehr war es nöthig, aus unzähligen alten Drucken der Münchener Hof- und Staatsbibliothek ein wissenschaftliches Neuland zu erobern. P. hat diese Arbeit mit bewundernswerthem Fleiße geleistet; auch mit großer Selbstentsagung, da ihm der Stoff so unsympathisch wie möglich war – wofür er sich denn freilich in unablässigem Tadel Luft macht, der nicht selten in einen merkwürdigen polternden Ton verfällt. In den fünfzehn Jahren von 1855 bis 1870 vollendete er die dem ersten folgenden drei das Mittelalter behandelnden Bände seiner Geschichte der Logik (II Leipzig 1860, III 1867, IV 1870), von denen der der Frühscholastik gewidmete Bd. II 1885 noch einmal in erweiterter Form zum Abdruck kam. Schon wegen der ungeheuren Fülle des hier in concisester Form verarbeiteten Materials wird Prantl’s Logik des Mittelalters, deren sachliche Würdigung für den Schluß dieses Artikels aufbewahrt sei, noch lange in der wissenschaftlichen Forschung lebendig bleiben, wenn vielleicht auch die Mehrzahl seiner sonstigen Arbeiten nur noch ein geschichtliches Interesse erregen kann. – Um die Geschichte der mittelalterlichen Logik gruppiren sich mehrere Aufsätze, welche der Vorbereitung oder Ergänzung des Hauptwerks dienen. Es waren die Aufsätze „Ueber den Abt Wilhelm von Hirschau“ (Stzb. d. b. Ak. 1861 II) – freilich ein Fehlgriff, da die in dem von P. benutzten Basler Drucke dem Wilhelm von Hirschau beigelegte Schrift in Wahrheit Wilhelm von Conches[WS 1] [863] zum Verfasser hat und darum auch der von P. behauptete vereinzelte Einfluß, den die arabische Wissenschaft auf Deutschland schon im 11. Jahrhundert ausgeübt haben sollte, ein Trugbild war –; „Ueber den Universalistenstreit im 13. und 14. Jahrhundert“ (ebd. 1864 II), sowie eine kritische Auseinandersetzung mit Thurot und Val. Rose: „Michael Psellus und Petrus Hispanus“ (Leipzig 1867). – P. scheint die Absicht gehabt zu haben, sein Werk noch über den Ausgang des Mittelalters hinaus durch die Periode der Renaissance und der neu sich entwickelnden mathematischen und exakten Wissenschaften hindurch bis auf die Zeit von Descartes durchzuführen. Daraus ist leider nichts geworden. Doch haben wir dankenswerthe Vorarbeiten dazu: „Galilei und Kepler als Logiker“ (Stzb. d. b. Ak. 1875 II) und eine Abhandlung „Ueber Petrus Ramus“, den Gegner der aristotelischen Logik (ebd. 1878 II). Auf „Die zwei ältesten Compendien der Logik in deutscher Sprache“ – von Fuchsperger von Ditmoning (Augsburg 1523) und von M. W. Bütner (Eisleben 1574) – hatte P. schon früher hingewiesen (Abh. d. b. Ak. 1856). – Kleinere Aufsätze über „Daniel Wyttenbach als Gegner Kants“ (Stzb. 1877) und über „Leonardo da Vinci in philosophischer Beziehung“ (ebd. 1885) zeigen die Vielseitigkeit von Prantl’s philosophiegeschichtlichen Interessen.
So war P. als Lehrer, wie als Schriftsteller bis zu späteren Jahren rastlos thätig. Der Heimathsuniversität, an der er herangewachsen war und an der er festen Boden gewonnen hatte, blieb er treu. Einen Ruf nach Leipzig lehnte er ab, wofür die Amtsgenossen ihm den Dank der Universität durch Erwählung zum Rector für das Jahr 1879/80 abstatteten. Auch eines glücklichen Familienlebens erfreute er sich und erlebte noch das Emporkommen seines 1849 geborenen Sohnes Karl, eines hervorragenden Botanikers, der leider früh (1893) als Professor in Breslau gestorben ist. Erst in den letzten Jahren trat Krankheit und häusliches Leid unter den Seinen an ihn heran. Doch las er noch rüstig im Sommersemester 1888 bis zum Schluß. In den Ferien, auf einem Landaufenthalt in Oberstdorf im Allgäu, traf ihn ein Schlaganfall, dem er am 14. September 1888 erlag. –
Was noch übrig bleibt, ist eine Analyse von Prantl’s Entwicklungsgang als Philosoph und eine Würdigung seiner philosophiegeschichtlichen Arbeiten. Als Philosoph war P. kein genialer Geist von ursprünglicher Eigenart und spontan hervorbrechender Triebgewalt. In kritischer Orientirung und kritischer Auseinandersetzung an und mit den ihn umgebenden Geistesrichtungen hat er seine Welt- und Lebensanschauung entwickelt. Nur auf einem Specialgebiete, der Logik, entwarf er, wenn auch nicht ohne Vorgänger, so doch in selbständiger Durchführung, einen eigenen Plan; die großen Linien seines Denkens dagegen erinnern überall an Bekanntes. Nicht als ob er Anhänger irgend einer Philosophenschule gewesen wäre; aber die Kraft seiner geistigen Bethätigung zeigt sich doch mehr in der Synthese des Vorhandenen und in der Durcharbeitung und Modification im einzelnen, als daß es ihm gelungen wäre, ein wahrhaft Ursprüngliches zu geben. Will er in der Gedächtnißrede auf Trendelenburg doch auch nicht darin die allumfassende Aufgabe der Philosophie erblicken, daß sie neue Systeme anstelle; vielmehr liegt ihm dieselbe „in einer möglichst tiefen Verwerthung der reichen Errungenschaften aller bisherigen Philosophie und der Förderung des idealen Sinnes“. Und da nun die geistige Umwelt während Prantl’s Entwicklungsgang sich wandelte, so hat auch sein Denken tiefgreifende Wandlungen erfahren. So ist Prantl’s philosophische Entwicklung interessant als Spiegel der Umwandlungen, welche die allgemeine Denkweise in Deutschland in der Zeit von der Herrschaft des Hegelschen Systems bis in die achtziger Jahre des 19. Jahrhunderts erfuhr.
[864] Sein erstes philosophisches System bietet P. als Skizze in der Schrift über die Bedeutung der Logik (1849). Sie zeigt ihn noch ganz unter dem Einfluß der Hegel’schen Strömung stehend. Trotz aller Aenderungen in der Terminologie und trotz mancher sachlichen Verschiedenheiten im Einzelnen erkennen wir doch überall die Grundlinien und die Denkmittel der herrschenden Zeitphilosophie. Nur gegen die Construction des Historischen durch apriorische Ableitung hat er von allem Anfang an sich ablehnend gestellt und Hegel die Unfähigkeit vorgehalten, Natur, That und Wollen anders als durch Sprünge und Lücken zu erklären. Nicht zu eigen gemacht hat er sich auch die besonderen Kategorien der Hegel’schen Logik, auf die er wenigstens nirgendswo eingeht. Aber von der Möglichkeit, alles Allgemeingesetzliche in der Natur und der Geisteswelt in den Zusammenhang eines Gesammtsystems einzufügen und dieses System in Form einer Entwicklung des Absoluten zu deduciren: von dieser Grundtendenz der Hegel’schen Strömung, auf deren Durchführung ihr Urheber eine imponirende Geistesarbeit verwendet hatte, ist auch er ganz erfüllt. Und wie bei Hegel, so dient auch bei ihm der in formelhaft stets gleichem Gange voranschreitende „dialektische Proceß“ diesem Zwecke. Natürlich soll auch bei ihm dieser „dialektische Proceß“ die naturgeschichtliche und geistesgeschichtliche Entwicklung nicht nach ihrem historischen Verlauf bewirken, sondern nach ihrem inneren Sinn verstehen lehren. Wenn P. für die Stufen dieses Processes statt der sonst üblichen Bezeichnungen Thesis, Antithesis, Synthesis den Dreischritt von Synthesis, Thesis und Antisynthesis setzte – er erklärte das später (Philos. i. d. Sprichw. 8) als unmittelbares Vereinigtsein, Heraustreten zur Besonderung und Rückvermittelung –, so war dies gerade keine Verbesserung. Jener dialektische Proceß nun soll die Formel für die Totalentwicklung des Seins enthalten. Es soll durch ihn ebensowohl der universale Verwirklichungsproceß, wie die Verwirklichung der besonderen Stufen begriffen werden. Ausgegangen ist P. dabei, ähnlich wie schon der junge Schelling in seiner Identitätsphilosophie, von dem Absoluten als der ursprünglichen Einheit von Object und Wissen, von unbewußtem und subjectivem Vernünftigem, von absoluter Substanz und von dem „Sich-als-absolute-Substanz-wissen“, oder kurz von Natur und Geist. Später (z. B. in „Philos. d. Sprichw.“) sprach er statt dessen lieber von der ursprünglichen Synthesis des Idealen und des Realen, die den Impuls ihrer Verwirklichung in sich trage. Die Entwicklung des Absoluten erfolgt durch drei Ideen, die im abstracten Begriffsjargon der Zeit das Sichverschiedensetzen, das Inverhältnißsein und das Sichmitsichidentischsetzen heißen und in räthselhafter Weise mit den „populären Begriffen“ des Schönen, Wahren und Guten identificirt werden. Indem diese Ideen nach zwei Seiten thätig sind, nach der unbewußten und der bewußten, entwickelt das Absolute sich nach den zwei Seiten der Natur und des Geistes. So lange diese Entwicklung der Ideen (der dialektische Proceß) im Reiche des reinen Gedankens verbleibt, so lange ist sie zeit- und raumlos. Aber der Proceß – wir werden wieder lebhaft an Hegel erinnert – verbleibt nicht im Reiche des Alles noch einenden reinen Gedankens; er kommt zur Erscheinung in einer unterschiedlichen Vielheit. Hier untersteht er dem Raum und der Zeit, dem ersteren als der Offenbarung der ewigen Substanz, der zweiten als der Offenbarung des ewigen Wissens. So kommt es im Gegensatz zur Zeit- und Geschichtslosigkeit des Absoluten in den beiden Entwicklungsreihen der Natur und des Geistes zu einer Geschichte.
Wie Natur und Geist im Absoluten, dem Ausgangspunkte der Entwicklung, ihre ursprüngliche und absolute Synthesis haben, so kommt die Entwicklung durch die Entzweiung (Thesis) hindurch zu einer neuen Einheit, der Antisynthesis. [865] Diese neue Einheit von Natur und Geist ist der Mensch. Im Menschen kann der dialektische Proceß nicht still stehen. Zuerst muß die wesenhaft in ihm liegende Vereinigung von Natur und Geist auch in die Erscheinung treten. Das geschieht in der Sprache, in der das naturhafte äußere Wort und der innere geistige Gedanke vereinigt sind als zwei Seiten eines an sich Identischen. Hier ist der Ort, wo Prantl’s Sprachphilosophie einsetzte. Weiterhin muß die menschliche Entwicklung in die zwei Seiten, Natur und Geist, auseinanderfallen, um so durch die Entzweiung hindurch wieder zu höherer Rückvereinigung zu gelangen. So ist in der Menschheitsentwicklung eine Doppelreihe, eine äußere und eine innere. Der äußere Entwicklungsproceß, welcher der Natur im Menschen entspricht, vollzieht sich in den drei Momenten: Familie, Cultus und Staat; der innere, dem Geiste entsprechende in der Dreiheit von Kunst, Religion und Wissenschaft. Aber da immer das durch die Entzweiung herbeigeführte zweite Glied nur dazu da ist, um zu dem die neue Einheit enthaltenden dritten hinüber zu führen, so sind die drei Momente jeder Reihe nicht gleichgeordnet. Das mittlere ist in das letztere „zurückzunehmen“, der Cultus in den Staat, die Religion in die Wissenschaft. Dieses „Zurücknehmen“, so verlangt es die Formel des dialektischen Processes, darf aber bei dem letzten jener Glieder, der Wissenschaft, nicht auf das unmittelbar ihr voraufgehende Glied beschränkt bleiben. Es muß sich vielmehr auch auf die ganze voraufgehende Entwicklung erstrecken. So wird das Objective – eben jene Entwicklung – in bewußter Weise mit dem Subjectiven – der Wissenschaft – vereinigt und es entsteht so eine neue Synthese, das Wissen. Das Wissen aber verwirklicht sich in sprachlicher Form. Auf diese Weise gelangt die ursprüngliche Synthesis der Sprache, in der die Einheit von Natur und Geist im Menschen zuerst in die Erscheinung trat, und die höhere Synthesis des Wissens abermals zu einer neuen Vereinigung. Doch damit ist der dialektische Proceß noch nicht zu Ende. Wie die Sprache in die Einzelsprachen der verschiedenen Völker zerfällt, so gliedert das Wissen sich in die Vielheit der Wissenschaften: in die Mathematik als das „Wissen um die Idee der mit sich identischen Zeiträumlichkeit selbst“, in die Wissenschaft von der Natur und in die Wissenschaft vom Geiste oder die Geschichte. Aus dieser Getheiltheit und Diremtion aber stellt sich die höhere Einheit wieder her. Das ist die absolute Synthesis, in welcher der dialektische Proceß vollendet ist, nämlich die Philosophie des Menschengeschlechts.
Es ist leicht ersichtlich, wie hier im wesentlichen Gedanken wiederholt werden, welche der constructiven Philosophie der nachkantischen Periode überhaupt eigen waren. Insbesondere klingt, trotz mancherlei Verschiebungen im Einzelnen, Hegel überall an. Ein Unterschied freilich tritt bereits hier hervor. Familie, Gesellschaft, Staat sind bei Hegel als Formen der substantiellen Sittlichkeit Entwicklungsstufen des Geistes, u. zw. des objectiven Geistes, wie Kunst, Religion und Philosophie solche des absoluten Geistes. Bei P. dagegen gehören Familie, Cultus (der wenig organisch an die Stelle der Hegel’schen Gesellschaft gesetzt wird) und Staat nicht der Entwicklung des Geistes, sondern der Entwicklung der Natur im Menschen an. Sie sind die Stadien der äußeren Entwicklungsreihe, während erst Kunst, Religion und Wissenschaft als Stadien der inneren Reihe die Stufen des Geistes im Menschheitsleben ausmachen. Schon hier tritt die stärkere Betonung des Materiellen gegenüber der Hegel’schen idealistischen Geistesphilosophie deutlich hervor. Ob sich der Einfluß der Identitätsphilosophie des jungen Schelling hier geltend macht? Oder vielleicht der Spinozas und seiner Lehre vom Parallelismus in der Entwicklung der beiden Attribute der einen Substanz, Ausdehnung und Denken, vermöge welches [866] Parallelismus Ordnung und Verbindung der Ideen dieselbe ist, wie die der Dinge (res), d. h. der Körper? So würde es sich wenigstens am besten erklären, daß P. später sein System mit Vorliebe mit einem zu jener Zeit auch bei Anderen beliebten vieldeutigen Worte als „Idealrealismus“ bezeichnete. Denn bei P. soll der im „Idealrealismus“ steckende „Realismus“ nicht bloß ein transubjectives Sein außerhalb des Bewußtseins anerkennen, sondern er will dieses Sein im Gegensatz zu der geistigen Welt des Idealen als ein materielles fassen, so daß der „Idealrealismus“ die Vermittlung der beiden Extreme Geist und Materie sich zur Aufgabe stellt. Freilich gehört die schärfere Betonung der materiellen Seite erst Prantl’s späterer Philosophie an.
Noch in der Schrift über „die Philosophie in den Sprichwörtern“ (1858), die echt Hegelisch einen Beitrag zur „Phänomenologie des menschlichen Geistes“ liefern will (S. 6), gibt P. einen Abriß dieses Idealrealismus. Aber freilich hat sich da der Gehalt desselben gegenüber seiner neun Jahre früher vertretenen Form schon wesentlich verschoben. Den Gang und Sinn dieser Verschiebung ersehen wir aus der Festrede über „die gegenwärtige Aufgabe der Philosophie“ vom Jahre 1852. Zweck dieser Abhandlung ist es, den Idealrealismus in kritischer Auseinandersetzung mit den Extremen des Idealismus und des Realismus zu begründen. Der subjective Idealismus vernachlässigt das Concrete und ist darum „antihistorisch“; der empiristische Realismus verliert die ideale Triebfeder und kann darum nicht dem ganzen Menschen genügen, ist „antimenschlich“. Nur der Idealrealismus verwirklicht beide Aufgaben; er wahrt das Ideale und läßt doch das Allgemeine nur in seiner Entfaltung im Particulären und Vielen als wirklich gelten. Was nun der Inhalt dieses, Idealismus und Realismus vereinenden Systems sein solle, das hat P. in jener Abhandlung im einzelnen freilich nicht entwickelt. Nirgendwo nimmt er Ausführungen der älteren Schrift zurück, und vieles weist darauf hin, daß er die Grundzüge des Systems von damals auch jetzt noch inhaltlich festhält. Und doch hat sich im Geiste des Ganzen eine große Veränderung vollzogen. Völlig neue Momente drängen sich vor und zeigen, wie sehr Prantl’s Gedanken im Fluß waren. Der tiefste Grund dafür liegt darin, daß P. nunmehr nicht mehr mit der Schelling-Hegel’schen Philosophie beim Absoluten beginnt, sondern daß er seinen Ausgangspunkt vom Menschen nimmt. Die allgemeinen metaphysischen Gedanken heben nicht mehr mit dem Absoluten an, um beim Menschen und dem Menschheitsleben zu endigen, sondern sie gehen vom Menschen aus rückwärts. Man verspürt deutlich den Einfluß Ludwig Feuerbach’s, dessen Einseitigkeit ihm zwar nicht gefällt, auf den als Wegweiser er aber selbst deutlich hinweist (S. 21, 29). Weil im Menschen – die Sprache als „umfassendste Erscheinung der Identität des Idealen und Realen“ (S. 32) beweist es – eine Einheit von Idealem und Realem ist, so vereint die vom Menschen als ihrer Grundlage ausgehende Weltanschauung Ideales und Reales. Dieser wahren Menschennatur werde sein System gerecht, und daher nennt er es nunmehr „Anthropologismus“. Indem aber P. jetzt vom Menschen ausgeht, werden bei ihm, so sehr er auch noch mitten in der Metaphysik steht, doch zugleich auch antimetaphysische Motive lebendig. „Der Mensch als solcher kommt über den Menschen nicht hinaus“ (S. 31). „In schlechthiniger Objectivität“, heißt es bei ihm, „werden Gott, Unsterblichkeit und Weltganzes, der Gegenstand der drei unmöglichen Wissenschaften Kant’s, nie gewußt. In diesem Sinne kann die Philosophie nie mehr hinter Kant zurückfallen.“ Auch auf Trendelenburg’s Polemik gegen Hegel beruft er sich. Er kann es wohl verstehen, „warum in neuester Zeit“ (das schrieb Prantl 1852, also lange bevor E. Zeller[WS 2] im J. 1862 den Ruf „Zurück auf Kant“ erhob) „zuweilen [867] der Gedanke ausgesprochen wurde, der Philosophie thue vor allem eine Rückkehr zu Kant, aber zugleich auch zu Aristoteles, welcher mit Kant zu verbinden sei, Noth“ (daß „von der ganzen Philosophie nur Aristoteles und Kant übrig blieben, auf die man immer wieder zurückkäme“, war auch später Prantl’s Meinung; Vgl. Spicker S. 109). Der philosophirende Mensch, betont P. ähnlich wie Feuerbach, „denkt alles nach Menschen-Maß sub specie aeterni.“ Darum nennt er anderswo (Ueber die Entw. d. arist. Log. u. s. w. [1853] S. 6) einmal den Satz des Protagoras, daß der Mensch das Maß aller Dinge sei, die „magna charta“ des Anthropologismus.
Aber, fragt es sich, wie kommt der Mensch überhaupt zum Philosophiren? Indem P. diese Frage sich stellt, wird er auf die Bestimmung des Verhältnisses der Philosophie zu Kunst und Religion geführt. Vor aller mittelbaren Erfassung des Idealen im Realen, wie die Philosophie sie erstrebt, liegt die unmittelbare, nicht reflectirende Erfassung desselben durch die Kunst und durch die Religion. Die Religion ist nicht, wie Kant wollte, mit der Sittlichkeit identisch. Sie ist ebensowenig eine abstracte Idee, etwa die der Humanität. Sie erfaßt vielmehr in symbolischer Unmittelbarkeit die Einheit des Idealen und Realen. Indem nun aus dem unmittelbaren religiösen Bewußtsein das vermittelte Wissen hervorgeht, wird die Religion die Mutter der entwickelten Intelligenz. Kunst, Religion und Wissen, die drei Phasen des geistigen Entwicklungsprocesses im Menschheitsleben, stehen nicht gesondert neben einander. Ein und derselbe ideale Impuls vielmehr bethätigt sich auf all diesen Stufen in continuirlichem Fortgange. Damit glaubt P. nun auch den Inhalt der Religion (deren Zurückführung auf das Gefühl durch Schleiermacher er entschieden mißbilligt) in das Wissen aufnehmen zu können. Trotz aller Anerkennung Kant’s will er die theoretische Erkenntniß von Gott, Unsterblichkeit und Universum nicht aufgeben. Freilich ist diese Erkenntniß niemals eine absolute, im Sinne des absoluten Wissens bei Hegel. Sie bleibt eben immer eine menschliche, und zwar entspricht sie der jedes Mal erreichten Stufe der historischen Entwicklung. Der „wahre Anthropologismus“ erkennt an, daß durch die Continuität des „idealen Impulses“ Gott, Unsterblichkeit und Weltganzes immer von den Menschen erkannt wurden. Aber diese Erkenntniß erfolgte doch nur „jedes Mal in der Epoche und bei jedem Volke in der menschlich historisch bedingten möglichen Weise“. So geht der wahre Anthropologismus nicht etwa auf einen abstracten Menschen, sondern auf den Menschen in seiner historischen Entwicklung. Darum nennt P. sein System auch „Historismus“. Gestützt auf die Continuität des Idealen will dieser Historismus „das Ideale erkennen, wie es von Poesie und religiösem Bewußtsein angefangen alle Verhältnisse ohne Ausnahme und die ganze Geschichte durchzieht“.
Die in dem Uebergang zum „Anthropologismus“ sich regenden antimetaphysischen Tendenzen haben sich bei P., wie schon oben hervorgehoben wurde, zusehends verschärft. Hatte er 1853 sich nur gegen die Meinung gewandt, daß Gott, Unsterblichkeit, Universum in „schlechthiniger Objectivität“ erkannt werden könnten, so verwirft er 1873 in der Gedächtnißrede auf Trendelenburg den Objectivismus in der Erkenntnißtheorie, wenn auch mit vorsichtiger Zurückhaltung, überhaupt. In den „Reformgedanken zur Logik“ (1875) erscheint es ihm nicht nur überflüssig, gegen das „reine Denken“ Hegel’s – das in Prantl’s eigener erster Philosophie noch eine nicht geringe Rolle gespielt hatte – überhaupt zu polemisiren (Stzb. d. bayr. Akad. 1875, I, 163); es ist in dem ganzen Aufsatz, trotzdem derselbe wiederum eine Darstellung des Prantl’schen Systemes in die Behandlung des speciellen Problems [868] einflicht, von metaphysischen Speculationen, die hinter die Frage nach der Natur des Menschen zurückgingen, nicht mehr die Rede. Nur der allgemeine Grundgedanke des Monismus wird wiederholt, daß im ganzen Universum „Natürliches“ und „Geistiges“ eine Wesenseinheit bilden (S. 162) – entsprechend Spinoza’s Parallelismus der zwei Attribute Ausdehnung und Denken in der einen Substanz. P. hatte sich von der Metaphysik so weit abgewandt, daß sein Schüler G. Spicker damals von seiner „unüberwindlichen Abneigung gegen alle Metaphysik“ sprach (Ztsch. f. Philos. u. philos. Krit. Bd. 69, S. 267). Er theilte in der Erkenntnißtheorie im ganzen den neukantischen Standpunkt von Alb. Lange, dessen „Geschichte des Materialismus“ er, wie uns berichtet wird, besonders hochschätzte. Sein Gang war von Hegel durch Feuerbach zum Kant’schen Kriticismus vorangeschritten: ein typisches Bild der damaligen Geistesentwicklung. Zu diesen innerphilosophischen Strömungen kam damals eine starke Bewegung, die von den Naturwissenschaften ausging. Die Psychologie verband sich mit der Physiologie, und der Entwicklungsgedanke erhielt durch Darwin eine neue Form. Beides hat mächtig auf P. eingewirkt. Infolgedessen fällt jetzt bei ihm der Schwerpunkt noch mehr auf die natürliche Entwicklung. Der Hegel’s Geistesphilosophie entstammende „dialektische Proceß“ bleibt nur noch als ein unorganisches Residuum aus früherer Zeit. Das letzte System ist naturalistisch. Aber P. will nicht Materialist sein. So ringt er mit der Aufgabe, Monismus und Idealismus zu vereinen. Mancherlei Wege sind dazu eingeschlagen. Der Prantl’s hat einige Besonderheiten und sei darum noch kurz skizzirt.
Leib und Seele sind nicht zwei Substanzen. Den Cartesianischen Dualismus verwirft P. Die Seele ist nicht ein substantielles Wesen, sondern „eine immanente Kraft des wesenseinen, unzerstückelten Menschenwesens“. Die physischen Thätigkeiten faßt P. durchweg als identisch mit den Nervenprocessen, ohne daß er die hier offenbar zu Grunde liegende metaphysische Parallelismustheorie näher ausführte. Der Mensch hat sich aus dem Thier entwickelt; P. bezieht sich dafür auf Darwin. Die physischen Vorgänge, die beim Menschen in höchster Vollendung sich finden, sind im Thier bereits angelegt. Nicht nur Empfindungen und Bewegungsreactionen hat das Thier, sondern auch Wollen, Fühlen (selbst Reue) und Denken. Auch die Sprache wurzelt schon im Thierreich. Aber alles das ist beim Thier doch nur in unvollkommener Weise. Sein Denken ist noch ein bloßes Auffassen, sein Wollen entbehrt der Freiheit, seine Sprache beschränkt sich auf bloße „Signale“. Wodurch wird nun trotzdem ein so einschneidender Unterschied zwischen Mensch und Thier herbeigeführt? Wie kommt es, daß das Denken des Menschen logische Gesetze erfaßt und abstracte Begriffe bildet, während das Thier zwar nicht unlogisch, aber ohne Logik denkt und zur wissenschaftlichen Abstraction sich nie erhebt? Woher der Unterschied der inhalt- und bedeutungsreichen menschlichen Sprache von den bloßen Signalen des Thieres? Woher die Freiheit des menschlichen Wollens? Daher, antwortet P., daß der Mensch allein den Zeitsinn besitzt; „d. h. die Gehirnthätigkeit des Menschen ist befähigt, auch die reine Succession als solche und die reine Intensität des Geschehens überhaupt zu erfassen“ (S. 173). Das Thier dagegen besitzt nur den „Raumsinn“, der das ausgedehnte, „expansive“ Sein zur Perception bringt. Aus dem Zeitsinn läßt P. – hier, wie öfter, Kant’sche Gedanken eigenthümlich umformend – die dem Menschen eigenthümliche Fähigkeit des Zählens hervorgehen. Und noch Anderes leitet er daraus ab. Weil der Mensch den Zeitsinn besitzt, so ist er fähig, das identische Beharren in der Zeit zu erfassen. Er besitzt den „Continuitätssinn“. Vermöge des letzteren erkennt das Ich sich als identisch in den verschiedenen [869] Punkten des Zeitverlaufs. Das ist das unwandelbare Ichbewußtsein, welches P. mit Kant’s transcendentaler Apperception identificirt. Indem diese nun weiter mit dem Verstande gleichgesetzt wird, ergibt sich, daß der Verstand als eine dem Menschen eigenthümliche Fähigkeit aus dem Zeit- oder Continuitätssinn hervorgeht.
Indem der Mensch durch den Zeitsinn über die Gegenwart und über das bloß passive associative Gedächtniß des Thieres hinausgehoben wird, ist er durch die spontane Rückerinnerung Herr über die Vergangenheit, durch die Voraussicht Herr über die Zukunft. Er gestaltet das vorgefundene Reale nach seinen Zwecken um. Sein Denken ist nicht mehr bloße Auffassung des unmittelbar gegebenen Einzelnen. Es ist vielmehr „von der Continuität durchwoben“ und gelangt darum zur Erfassung des Abstracten und Allgemeinen oder des Idealen; denn „das Allgemeine erscheint dem Menschen als das Ideale, als das wahrhaft Angemessene“ (Verst. u. Beurth. S. 21). Dies ist der dem Thiere fehlende „ideale Sinn“. Seine Function liegt überall vor, wo der Blick über das Momentane hinausreicht. So können denn auf dem Grunde des Zeitsinns die einzelnen besonderen idealen Funktionen im Menschenleben: Familien-, Rechts- und Staatstrieb, Kunst-, Religions- und Wissenstrieb eine Welt nicht concret-materieller, sondern idealer Güter aufbauen, die dem Optimismus Recht gibt und den Pessimismus überwinden lehrt (Rectoratsrede von 1879). Während also P. den „Zeitsinn“ selbst nach seinem Sein ausdrücklich in eine Fähigkeit der Gehirnthätigkeit verlegt und daher die gleiche Folgerung für den damit im Grunde identischen „idealen Sinn“ ziehen muß, erkennt er in den Inhalten, die dieser ideale Sinn vorstellt, etwas dem concret Materiellen gegenüber Verschiedenartiges an. Die „sensual-physiologischen Impulse“ und die „idealen Impulse“ sind nach ihm „heterogen“, ähnlich wie Raum und Zeit heterogen sind. In dieser Heterogeneität sieht P. eine durchschlagende Abwehr des Materialismus. Aber „sowie wir trotz dieser Heterogeneität von Raum und Zeit es gewiß nicht unternehmen, das Universum dualistisch in Raum und Zeit zu spalten, so werden wir auch jene Wesenseinheit nicht zerstücken, welche der mit Raum-Sinnen und mit Zeit-Sinn ausgerüstete Mensch ist“ (Stzb. d. b. Akad. 1875, I, 174 f.). So glaubt er den Monismus gewahrt zu haben.
G. Spicker unterzog alsbald in einer Abhandlung „Mensch und Thier. Eine psychologisch-metaphysische Abhandlung mit besondrer Rücksicht auf Carl von Prantl’s Reformgedanken zur Logik“ (Ztschr. f. Philos. u. philos. Krit., Bd. 69 [1–76], S. 193–270) diese Anschauungen seines Lehrers einer scharfen Kritik und suchte zu zeigen, daß dieselben entweder zum Materialismus hin oder zum Dualismus zurück führten. P. war, wie Spicker in seiner Autobiographie (S. 116) erzählt, hierdurch sehr erregt. Wenn aber Spicker seine Kritik mit dem Wunsche schloß, daß „der berühmte Verfasser der Geschichte der Logik durch diese eingehende Kritik seiner Anschauungen sich veranlaßt fühlen möge, in einer umfangreicheren Arbeit seine Gedanken weiter auszuführen und die hier gemachten Einwürfe zu widerlegen“, so hat P. dieser Erwartung nicht entsprochen. Neues brachte er seitdem nur noch in Specialuntersuchungen über historische oder sachliche Fragen; sein letztes naturalistisches System dagegen ließ er stehen. Unverändert stellte er es in der Abhandlung vom „Verstehen und Beurtheilen“ (1877), wie in der Rede über den Optimismus (1879) und in der Abhandlung über die Causalität (1883) wieder hin. Die letztere Abhandlung gibt ihm zugleich Veranlassung, entgegen dem Neukantianismus die realistische Grundlage seiner Philosophie zu betonen. Raum und Zeit sind nicht ausschließlich subjective Anschauungsformen; und ebensowenig darf aus [870] der Subjectivität der Sinnesqualitäten geschlossen werden, daß dem System dieser subjectiven Zeichen überhaupt keine objective Geltung zukomme (Stzb. d. b. Akad. 1883, S. 119). – So bleibt Prantl’s Kantianismus, ebenso wie der E. Zeller’s, der gleichfalls von Hegel herkam, ein gemäßigter.
War es nöthig, bei den Grundanschauungen Prantl’s, die eine seine Gesammtentwicklung umfassende genetisch-systematische Darstellung bislang noch nirgendwo gefunden haben, länger zu verweilen, so genügen für seine Thätigkeit in philosophischen Specialgebieten einige wenige Bemerkungen. Die Logik, und im Zusammenhange damit die Sprachphilosophie waren es, die P., wie als Historiker, so als Systematiker, zeitlebens beschäftigten. In seiner ersten Schrift über „Die Bedeutung der Logik“ u. s. w. vom Jahre 1849 stellt er den Entwurf eines deductiven logischen Systems als Lehre von Urtheil, Begriff und Schluß auf, die nach dem Schema von Synthesis, Thesis und Antisynthesis unabhängig von Hegel und doch in stark hegelianisirender Weise abgeleitet und mit Grammatik und Metaphysik in Beziehung gesetzt werden. Die „Reformgedanken zur Logik“ und andere oben angeführte Abhandlungen der späteren Zeit entwickeln die Stellung der Logik im wissenschaftlichen System und bemühen sich, durch den Versuch, auf Grund einer monistischen Weltansicht die Wesenseinheit von Gedanken und Sprache zu erweisen, eine neue Grundlegung der Logik zu entwerfen. Die Logik darf nicht in traditioneller Weise bloß als Mittel betrachtet werden, den Irrthum zu vermeiden, so wenig wie das Recht aus dem Mißfallen am Streit oder die Kunst aus dem Mißfallen am Häßlichen abgeleitet werden kann. Sie ist ein Positives und aus dem Wissenstrieb abzuleiten. Dieser sucht allem gegebenen Inhalt die abschließende Gestalt und Form zu verleihen. So hat die Durchführung des Wissenstriebes die zwei Fragen zu erledigen: 1. wie verwirklicht sich die Form der Wissenschaft überhaupt? – Wissenschaftslehre oder Logik; und 2. wie entwickelt sich systematisch der in dieser wissenschaftlichen Form gewußte Inhalt – Encyklopädie der Philosophie. Der Encyklopädie schickte P. dann noch, wie oben bereits erwähnt wurde, die Methodologie als Einleitung voraus, die er in seiner Schrift „Verstehen und Beurtheilen“ behandelt. Die logische Betrachtung aber muß sich mit der sprachlichen verbinden. Denn die Sprache ist nicht ein bloßes Kleid des Gedankens. Das Denken ist vielmehr „untrennbar wesenseinheitlich mit der Sprache verbunden“ (Verst. u. Beurth. S. 7). P. hat sich ein nicht geringes Verdienst durch den Hinweis auf die enge Beziehung von Sprache und Gedanken erworben, die schon Plato sich aufdrängte. Hat doch auch die moderne Psychologie gezeigt, daß die sprachliche Formulirung nicht bloß der Mittheilung des Gedankens dient, sondern zugleich für die Entstehung und Bildung desselben wesentlich ist. Es ist nur zu bedauern, daß P. seinen Satz nach der psychologischen Seite hin gar nicht verfolgte, sondern ihn ausschließlich im Zusammenhang mit seinem universellen und anthropologischen Monismus entwickelt. Die Sprache ist ihm eben von Anfang an „die umfassendste Erscheinung der Identität des Idealen und Realen“ (Aufg. d. Philos. S. 32). So wird ihm eine Sache, die bei empirischer Behandlung zu den fruchtbarsten Ergebnissen hätte führen können, zum Object metaphysischer Deduction. Dadurch ist ein richtiger und werthvoller Gedanke manchmal übertrieben und verzerrt.
Die aristotelischen Arbeiten Prantl’s und seine Geschichte der Philosophie sind schon bei Aufzählung der Werke gewürdigt. Hier sei nur sein philosophiegeschichtliches Hauptwerk, seine das Alterthum und das Mittelalter umfassende „Geschichte der Logik im Abendlande“, noch einmal ins Auge gefaßt. Dasselbe ist nirgendwo ein Werk aus zweiter Hand; es ist kein bequemes Compendium, [871] sondern Forscherarbeit für den Forscher, ein gründliches, von unermüdlicher Arbeit und staunenswerthem Fleiße zeugendes Werk, das der Forschung noch auf lange hin die werthvollsten Dienste leisten wird. Unermüdlich geht es der weitverzweigten Entwicklung der logischen Lehren nach und verfolgt den Gang des Ganzen und des Einzelnen von der ersten Wurzel bis zu den letzten Verästelungen. So entsteht ein geschichtliches Netzwerk von filigranartigem Linienverlauf, dem gleichwohl die feste Führung und die charakterisirende Zusammenfassung nicht fehlt. Reichliche Anmerkungen bieten zu dem knappen Texte nicht nur werthvolle Erweiterungen, sondern vor allem auch die bei der schweren Zugänglichkeit vieler Quellen doppelt willkommene documentarische Gewähr. Daß dabei im einzelnen hie und da ein Mißverständniß unterlaufen ist, nimmt bei der Fülle des zu bewältigenden Materiales kein Wunder. Mehr zu bedauern ist es, daß die schon oben hervorgehobenen Mängel des Historikers P. auch in der Geschichte der Logik wiederkehren. Was ihm auch hier fehlt, das ist einmal die Gabe, das Historische in seinem Werden glaubhaft zu machen und es begreiflich werden zu lassen, wie Vergangenes einmal lebendig war. Und zweitens nimmt sich auch hier wieder die Geschichtsdarstellung ein thema probandum, das dann, obwohl anscheinend Ergebniß reiner Induction, doch rasch dogmatische Gestalt annimmt und zu einer apriorischen Construction der Geschichte führt. Für das Mittelalter ist dies zu beweisende Thema der Satz, daß das lateinische Abendland eines wissenschaftlichen Gedankens überhaupt unfähig gewesen und das daher jeder philosophische Gedanke nur von auswärts gekommen sein könne. P. wird nicht müde, diesen Satz in den stärksten Ausdrücken zu wiederholen. Daher seine unverhohlene Mißachtung so ziemlich ausnahmslos von allem, dessen Geschichte er darstellt. „Oft dachte ich bei meinen Arbeiten“, so beginnt er die Vorrede seines letzten Bandes, „an Lessings Ausspruch: Keine Mühe ist vergebens, die einem Andern Mühe ersparen kann; ich habe das Unnütze nicht unnützlich gelesen, wenn es von nun an dieser oder jener nicht weiter lesen darf.“ Ebendaher auch die schroffen Urtheile über fast alle sonst höher geschätzten Geister des Mittelalters, bei denen P. zudem gar keine Rücksicht darauf nimmt, daß doch die von ihm behandelte und ganz isolirt betrachtete formale Logik für den Gesammtorganismus des mittelalterlichen Denkens nur von untergeordneter, propädeutischer Bedeutung war. Nun ist es gewiß durchaus richtig, daß das Denken des Mittelalters durch vorwiegende Receptivität charakterisirt ist, daß in Theologie nicht nur, sondern auch in Philosophie Tradition und Auctorität eine maßgebende Bedeutung besitzen, und daß auch bei den selbständigeren Geistern die Eigenart mehr in einer besonderen Art der Synthese vorhandener Strömungen und im Ausdenken, als im Neudenken und im selbständigen Entwerfen besteht. Aber P. übertreibt doch die Sache gewaltig. Das zeigt sich namentlich in seiner Behandlung der von ihm so genannten byzantinischen Logik und seinem Versuche, die bescheidene Eigenarbeit, deren schließliche Resultate uns in den logischen Summen eines Petrus Hispanus und Anderer vorliegen, als Entlehnung aus Psellus zu erweisen. So vielfache Zustimmung P. anfangs auch fand: heute wissen wir, daß Thurot und Valentin Rose hier richtiger sahen. Heutzutage würden wir für das frühere Mittelalter auch eine eindringlichere Benutzung des noch unedirten Handschriftenmateriales, als sie P. noch für ausreichend hielt, für unerläßlich halten. Aber über dem, was wir vermissen, möge das viele Werthvolle nicht vergessen bleiben, was die aufopferungsvolle Arbeit des Verfassers der „Logik im Abendlande“ uns geboten hat.
- [872] W. v. Christ, Gedächtnißrede auf Carl von Prantl, gehalten in der Sitzung der k. bayr. Akademie d. Wiss. zu München am 28. März 1889. München 1889. – Ferner die beiden im Text citirten Arbeiten von Gideon Spicker.
[854] *) Zu Bd. LIII, S. 106.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Wilhelm von Conches, lateinisch Guilelmus de Conchis; (* um 1080/1090–† nach 1154); war ein mittelalterlicher Philosoph. Er gehörte zu der als „Schule von Chartres“ bezeichneten Gelehrtengruppe.
- ↑ Eduard Gottlob Zeller (1814–1908); war ein deutscher Theologe und Philosoph.