Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Wilhelm, Abt von Hirsau“ von Friedrich Lauchert in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 43 (1898), S. 221–224, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Wilhelm_(Abt_von_Hirsau)&oldid=- (Version vom 25. November 2024, 05:56 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
<<<Vorheriger
Wilhelm von Montfort
Nächster>>>
Wilhelm von Herle
Band 43 (1898), S. 221–224 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Wilhelm von Hirsau in der Wikipedia
Wilhelm von Hirsau in Wikidata
GND-Nummer 118987216
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|43|221|224|Wilhelm, Abt von Hirsau|Friedrich Lauchert|ADB:Wilhelm (Abt von Hirsau)}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=118987216}}    

Wilhelm, Abt von Hirsau, † am 5. Juli 1091. In Baiern als Sohn frommer Eltern geboren, wurde W. schon als Knabe dem Kloster St. Emmeram in Regensburg dargebracht. Eine genauere Bestimmung der Zeit seiner Geburt und des Beginnes seines Lebens im Kloster läßt sich nach den alten Quellen nicht geben; der aus den Quellen nicht belegbaren Angabe des Trithemius, wonach er ein Alter von 65 Jahren erreicht hätte, also ca. 1026 geboren wäre (Trith. Annales Hirsaug. p. 293), kommt keine Glaubwürdigkeit zu. Im Kloster zeichnete sich W. besonders durch seinen Eifer für die wissenschaftlichen Studien aus und erlangte in den späteren Jahren der in St. Emmeram zugebrachten Zeit den Ruf eines hervorragenden Gelehrten, besonders in den nach dem mittelalterlichen Lehrsystem im Quadrivium zusammengefaßten Wissenschaften, Arithmetik, Geometrie, Musik, Astronomie. Eine astronomische Uhr, die er nach dem Bericht seines Biographen verfertigte, scheint zu seiner Zeit Aufsehen erregt zu haben. Nach dem Berichte eines andern Zeitgenossen (Aribonis Scholastici Musica; Migne, Patrol. lat. T. 150, p. 1334) hat er auch eine neue Art von Flöte erfunden. Er war jedoch hauptsächlich auch schriftstellerisch auf diesen Gebieten thätig. Zwei Werke können ihm mit Sicherheit beigelegt werden: die „Astronomica“, wovon der Prolog gedruckt ist bei Pez, Thesaurus Anecdotorum novissimus, T. VI (1729), pars 1, p. 259–264 (auch bei Migne, Patrol. lat. T. 150, p. 1639–1642); und die Musica gedruckt bei Gerbert, Scriptores ecclesiastici de musica sacra potissimum, T. II (St. Blasien 1784), p. 154 bis 182; daraus wieder abgedruckt bei Migne, Patrol. lat. T. 150, p. 1147 bis 1178. Mit den genannten Astronomica wird häufig das unter dem Namen Wilhelm’s von Hirsau zu Basel 1531 gedruckte Werk identificirt: „Philosophicarum et astronomicarum institutionum Guilhelmi olim Hirsaugiensis abbatis libri III“. Nach den neueren Untersuchungen von Val. Rose und Helmsdörfer (s. besonders die unten zu nennende Schrift des letzteren) ist jedoch dieses Werk, dessen Echtheit noch Prantl entschieden behauptete und gegen Rose vertheidigte, [222] und auf Grund dessen er dem W. von Hirsau eine große Bedeutung für die Geschichte der Philosophie im Mittelalter zuschrieb (Prantl in den Sitzungsber. der k. b. Akad. d. Wiss. zu München, Jahrg. 1861, Bd. I, S. 1–21: Ueber des Abtes Wilhelm v. Hirsau Philosophicae et astronomicae institutiones; s. auch dessen Geschichte der Logik, Bd. II, 1861, S. 83–85), keineswegs mit dem astronomischen Werk Wilhelm’s zu verwechseln, dessen Prolog Pez veröffentlicht hat, und kann überhaupt weder von W. noch auch nur aus dessen Jahrhundert sein, sondern ist identisch mit der dem folgenden Jahrhundert angehörenden Philosophia prima oder minor des Guilelmus de Conchis. Daß W. in St. Emmeram die Stelle des Priors bekleidet habe, wie Trithemius erzählt, berichtet der alte Biograph Wilhelm’s nicht. 1069 wurde W. als Abt in das Kloster Hirsau berufen, an Stelle des abgesetzten Abtes Friedrich. Da er aber nach seiner Ankunft daselbst erkannte, daß sein Vorgänger unrechtmäßiger Weise abgesetzt worden war, so übernahm er wol die Geschäfte, aber nicht den Titel des Abtes, so lange jener lebte; erst nach dessen Tode ließ er sich 1071 am Feste Christi Himmelfahrt, den 2. Juni, vom Bischof von Speier installiren. Von Anfang an ließ er sich angelegen sein, seinem Kloster die volle Freiheit und Unabhängigkeit von den Grafen von Calw zu sichern; dies gelang ihm endlich, nachdem Graf Adalbert von Calw zuerst versucht hatte, ihn zu hintergehen; er erlangte auch eine königliche Bestätigungsurkunde darüber vom 9. October 1075 (Württemb. Urkundenbuch I, 276). Um auch die päpstliche Bestätigung der Privilegien des Klosters zu erlangen, reiste W. noch im Herbste des Jahres 1075 nach Rom. Ueber die Zeit seines Aufenthaltes in Rom wird nur berichtet, daß er daselbst in eine schwere Krankheit verfiel, an der er (nach Berthold) etwa 5 Monate litt, so daß er nicht vor dem Sommer 1076 nach Deutschland zurückgekehrt sein kann. Es wird aber mit Grund angenommen werden dürfen, daß er in dieser Zeit jene näheren Beziehungen zu Papst Gregor VII. anknüpfte, durch die seine Person in den folgenden Jahren eine so große historische Bedeutung erlangte. In dem um diese Zeit beginnenden Investiturstreit steht W. mit dem Kloster Hirsau in erster Reihe unter den Anhängern des Papstes; Paul v. Bernried, der Biograph Gregor’s VII., nennt ihn unter den vier Säulen der Gregorianischen Partei in Deutschland (nämlich Bischof Altmann von Passau, der Cluniacenser-Prior Ulrich und die Aebte Wilhelm v. Hirsau und Siegfried v. Schaffhausen). Das Kloster Hirsau wird ein Mittelpunkt für die Anhänger des Papstes und die Gegner Heinrich’s IV.; so feierte der Gegenkönig Rudolf selbst im J. 1077 dort das Pfingstfest; auch von Besuchen kirchlich hervorragender Männer wird vielfach berichtet; andererseits ging von Hirsau selbst ein bedeutender Einfluß auf das klösterliche Leben und das religiöse Leben in Schwaben überhaupt aus, von dem nachher noch besonders zu sprechen ist. Daß der Papst selbst die Bedeutung Wilhelm’s für seine Sache in Deutschland richtig erkannte und schätzte, zeigt das an B. Altmann von Passau und W. zusammen gerichtete Schreiben Gregor’s vom J. 1081 (Registrum Greg. VII., I. IX, ep. 3). Wenn die Person Wilhelm’s bei politischen Actionen nicht in den Vordergrund tritt, so hat er durch seinen moralischen Einfluß um so mehr zur Stärkung der Gregorianischen Partei in Deutschland beigetragen. Uebrigens werden unter den damaligen Parteihäuptern in Deutschland auf beiden Seiten wol wenige so rein in der Geschichte dastehen, so durchaus frei von selbstischen und weltlichen Interessen, wie der Abt W.; dies wird von Historikern der verschiedensten Richtung anerkannt. „Bei einer unermüdlichen Thätigkeit, die von den glänzendsten Erfolgen gekrönt war, legte er doch auf sein eigenes Werk kein Gewicht, sondern sah in allem nur die unmittelbaren Thaten Gottes. Die vollendete Selbstlosigkeit seines Thuns erzwang ihm die allgemeine Achtung; [223] er beherrschte die Gemüther wie mit Naturnothwendigkeit. Er war eine streitbare Natur und ließ sich wol im Streit trotz seiner Klugheit von blindem Eifer fortreißen, aber immer war es ihm dabei, wie jeder fühlte, nur um die Sache zu thun, welche ihm als Gottes Sache galt“. (Giesebrecht.) In der gleichen Geistesrichtung, die W. zu einem so begeisterten Anhänger Gregor’s VII. machte, weil dessen Sache ihm die Sache der Kirche und Gottes war, ist dasjenige Werk gegründet, in welchem sein Wirken am dauerndsten fortlebte, nämlich die Einführung der Cluniacensischen Klosterreform in Deutschland. Zwar hatten um dieselbe Zeit und schon etwas vor Hirsau die Klöster Sigeberg im Erzbisthum Köln und St. Blasien von dem oberitalienischen Cluniacensischen Kloster Fructuaria aus die Cluniacensische Regel bekommen; das erste deutsche Kloster, das mit Clugny direct in Beziehungen trat, war aber Hirsau unter Abt W. Die Geschichte der Reform seines Klosters erzählt W. selbst im Prolog seiner „Constitutiones Hirsaugienses“. Darnach geht seine erste Bekanntschaft mit der Cluniacenser-Regel auf den Besuch des Abtes Bernhard von St. Victor in Marseille zurück, der als päpstlicher Legat nach Deutschland kam und sich 1077 längere Zeit bei W. in Hirsau aufhielt. Um dieselbe Zeit kam auch Wilhelm’s Jugendfreund, der Cluniacenser Prior Ulrich von Zell nach Hirsau, der auf Wilhelm’s Bitte für ihn eine schriftliche Aufzeichnung der Cluniacensischen Gebräuche entwarf. Um sich über Manches noch genauer zu informiren, schickte W. zudem noch drei Mal je zwei Mönche nach Clugny selbst, welche sich dort genau mit Allem vertraut machten und mit dem Auftrage des Abtes Hugo von Clugny zurückkamen, W. solle nach den besonderen Bedürfnissen seines Klosters an der Regel von Clugny ändern, was etwa die Verhältnisse des Klimas und die Sitte des Landes zu ändern verlangen. In diesem Sinne arbeitete W. seine „Constitutiones Hirsaugienses“ in zwei Büchern aus (gedruckt bei Herrgott, Vetus disciplina monastica, Paris. 1726. p. 371–570; daraus abgedruckt bei Migne T. 150, p. 927–1146). Eine mit dieser Reform in Verbindung stehende Einrichtung ist die Einführung der Laienbrüder (fratres conversi, fratres laici, converses laici, exteriores, auch fratres barbati), als eines von den eigentlichen, geistlichen und gelehrten Mönchen unterschiedenen Standes von dienenden Brüdern in Deutschland, welche die häuslichen Arbeiten im Kloster, den Dienst im Armen- und Krankenhause, auch die Dienstleistungen bei Kirchen- und Klosterbauten zu übernehmen hatten. Von Hirsau aus verbreitete sich die Cluniacenser Regel weiter in Schwaben und andern deutschen Ländern, in Klöstern, welche von W. oder unter seiner Mitwirkung gegründet wurden und durch ihn ihre ersten Mönche und Vorsteher erhielten, aber auch in bereits bestehenden Klöstern. Die Klostergründungen Wilhelm’s sind Weilheim unter der Teck, später nach St. Peter auf dem Schwarzwald verlegt; Reichenbach auf dem Schwarzwald (cella S. Georgii); St. Georgen; Blaubeuren; Zwiefalten; Comburg in Franken; Vischbachau in Baiern, später in Scheyern; St. Paul im Lavanterthal in Kärnthen; Reinhardsbrunn in Thüringen; St. Peter in Erfurt. Schaffhausen und Petershausen bei Constanz wurden durch W. im Cluniacensischen Sinne reformirt. Einzelne von den Tochterklöstern Hirsaus wirkten ihrerseits im gleichen Sinne, wenn auch in geringerem Maßstabe, für die weitere Ausbreitung der klösterlichen Reform, so besonders St. Georgen unter dem Abte Theoger oder Dietger, dem Schüler Wilhelm’s. (Aehnlich wie Hirsau wirkte auch St. Blasien, wenn auch nicht in so großem Umfange.) Der Versuch Wilhelm’s, die von ihm gegründeten oder reformirten Klöster dauernd unter der Oberleitung Hirsaus zu behalten, oder eine der Cluniacenser Congregation entsprechende Hirsauer Congregation zu gründen, mißlang jedoch; nur Reichenbach blieb dauernd als Priorat unter Hirsau, bis zu seiner Auflösung. Die Zahl der Mönche im [224] eigenen Kloster Hirsau hatte unter Wilhelm’s Leitung sich so vermehrt (nach dem Codex Hirsaugiensis zählte das Kloster bei seinem Tode über 150 Mönche ohne die Laienbrüder), daß der Bau eines neuen Klosters am andern (linken) Ufer der Nagold nöthig wurde, das nach neunjähriger Bauarbeit im J. 1091 vollendet wurde. W. erlebte noch die Einweihung der neuen Kirche durch Bischof Gebhard von Constanz, aber nicht mehr die Uebersiedlung der Mönche in das neue Kloster. Er selbst starb noch im gleichen Jahre wenige Wochen nach der Einweihung der Kirche nach kurzer Krankheit. Als sein Todestag ist der 5. Juli am besten bezeugt, gegen die Angabe der Vita, welche den 4. Juli nennt.

Vita Beati Wilhelmi Hirsaugiensis Abbatis (auctore Haimone oder Heymone, den die Ausgaben nach des Trithemius Angabe als Verfasser annehmen; Helmsdörfer verwirft die Angabe als unglaubwürdig, worin er „doch vielleicht zu weit geht“, s. Wattenbach); erste Ausgabe von Stengel, Augsburg 1611; sodann in den Acta Sanctorum Julii T. II (1721), ad 4. Jul., p. 155 ss.; bei Mabillon, Acta Sanct. Ord. S. Ben., saec. VI, pars 2 (1701), p. 717–741, mit einer historischen Einleitung; Migne, Patrol. lat. T. 150, p. 889–924; Ausgabe von Wattenbach in den Monumenta germaniae hist., Script. T. XII (1856), p. 209–225. – Codex Hirsaugiensis, herausg. im 1. Band der Bibliothek des Litt. Vereins, Stuttgart 1843; herausg. von E. Schneider in den Württemb. Geschichtsquellen I. 1887. – Bertholdi Annales, ad ann. 1075, Mon. Germ. hist., Script. T. V, p. 281. Bernoldi Chron., ad ann. 1091, ib. p. 451. – Jo. Trithemii Annales Hirsaugiensis, St. Gallen 1690. – Mabillon, Annales Ordinis S. Benedicti, T. V (1713). – Martin Gerbert, Historia Nigrae Silvae, T. I, St. Blasien 1783. – Stälin, Wirtemberg. Geschichte, 2. Theil (1847), S. 685–688. – Kerker, Wilhelm der Selige, Abt von Hirschau. Tüb. 1863. (Dazu die Recension von Wagenmann, Gött. gel. Anzeigen, 1865. 35. Stück, S. 1361 bis 1376.) – Helmsdörfer, Forschungen zur Geschichte des Abtes Wilhelm von Hirschau. Gött. 1874. – Giesebrecht, Geschichte der deutschen Kaiserzeit, Bd. III (4. Aufl. 1876), S. 632 ff. – Wattenbach, Deutschlands Geschichtsquellen im M. A., Bd. II (5. Aufl. 1886), S. 45–47. – Giseke, Die Hirschauer während des Investiturstreites. Gotha 1883. – Witten, Der sel. Wilhelm, Abt von Hirsau. Bonn 1890. – Bruno Albers, Hirsau und seine Gründungen vom Jahre 1073 an; in: Festschrift zum elfhundertjähr. Jubiläum des deutschen Campo Santo in Rom (Freiburg i. B. 1897), S. 115–129.