Wilhelm Löhes Leben (Band 2)/Antwort des Kirchenregiments und neue Petitionen
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Inzwischen war die langerwartete Antwort des Oberkonsistoriums auf die verschiedenen im Laufe des Jahres 1849 eingereichten Petitionen und Eingaben in einem vom 17. April 1850 datierten Reskript bekannt gegeben worden. Wir lassen sie hier folgen:
Ad Num. 246.
Im Namen Seiner Majestät des Königs.
Die in Anregung gebrachte Frage über das
kirchliche Glaubensbekenntnis betreffend.
Die Generalsynode vom Jahre 1849 hat sich veranlaßt gefunden, die in neuerer Zeit wieder mit großem Ernste hervorgetretene Frage über das kirchliche Glaubensbekenntnis zu einem ihrer Beratungsgegenstände zu machen. Sie hat in erfreulicher Übereinstimmung sich dahin ausgesprochen, daß sie fest auf dem Grunde des Evangeliums stehe und mit unverbrüchlicher Treue bei der Lehre der evangelischen Kirche lutherischen Bekenntnisses zu beharren gedenke. Sie hat dieser Erklärung gemäß einen ihr von Dr. Ghillany, Platner und anderen aus Nürnberg zugegangenen Antrag zur Abänderung der bestehenden Kirchenlehre in gebührender Weise von sich gewiesen, und zu gleicher Zeit in einer durch den Druck veröffentlichten Ansprache ihre Überzeugung darzulegen und zu bethätigen gesucht. Endlich hat sie auch noch in ihrer letzten Sitzung mit großer Stimmenmehrheit den Antrag an das Oberkonsistorium gestellt, es wolle dasselbe
- 1) alle lutherischen Geistlichen bei ihrer Ordination und alle Lehrer der Religion bei ihrer Diensteinweisung verpflichten, die geoffenbarte Lehre des Evangeliums nach dem in sämtlichen symbolischen Büchern niedergelegten Bekenntnis der Kirche treu und lauter zu predigen und
- 2) in allen vorkommenden Fällen streng auf die Bekenntnistreue der Pfarrer und Religionslehrer sehen, die davon abweichenden aber belehren, ermahnen, warnen und bei beharrlichem Widerstande vom Amte entfernen.
Diesem Antrag haben sich späterhin noch andere Geistliche und Gemeindeglieder angeschlossen, deshalb gesonderte Vorstellungen bei dem Oberkonsistorium eingereicht, und sich in denselben zum Teil darauf beschränkt, nur ihre Zustimmung im allgemeinen auszusprechen, zum Teil aber haben sie dem Verlangen der Synode eine noch weitere Ausdehnung zu geben versucht.
| Das Oberkonsistorium hat jedoch bisher schon thatsächlich bewiesen, daß es die Aufrechterhaltung des kirchlichen Glaubensbekenntnisses zu den wichtigsten seiner Pflichten zählt, und gewissenhaft bemüht ist, freches Abweichen von demselben mit den ihm zu Gebote stehenden Mitteln zu verhindern. Es bedarf daher auch nicht erst einer Aufforderung, um die ihm obliegenden Pflichten gewissenhaft zu erfüllen.Inzwischen hat es doch sämtliche Eingaben und Verhandlungen über den fraglichen Gegenstand einer sorgfältigen Erwägung unterzogen, und erteilt darauf nachstehende Entschließung:
- I. Es handelt sich in denselben zuvörderst um die Verpflichtung der Geistlichen und Religionslehrer auf das kirchliche Bekenntnis, um die Wiederholung dieses Aktes bei jedesmaligem Dienstwechsel und um seine Ausdehnung auf Nichtgeistliche, welche bei irgend einem kirchlichen Amte verwendet werden sollen.
- 1) daß eine Verpflichtung der Geistlichen überhaupt rätlich und notwendig sei, ist bisher schon von keiner Seite bestritten worden, und wird auch für die Zukunft einem Anstande nicht unterliegen, da sie, richtig aufgefaßt, der den Grundsätzen der evangelischen Kirche gemäß gestatteten wissenschaftlichen Forschung keinen Eintrag thut, für die Handhabung der kirchlichen Ordnung unentbehrlich ist, und noch überdies dem Verpflichteten selbst eine dringende Aufforderung zum treuen Festhalten an seiner Kirche und eine feste Stütze in den Stunden der Versuchung gewährt. Sie wird daher, wie bisher, so auch künftig bei der Ordination der Geistlichen stattfinden, das Oberkonsistorium aber außerdem noch Sorge dafür tragen, daß auch den Kandidaten schon dann, wenn sie ihre Aufnahmsurkunde durch die Dekane erhalten, das Versprechen abgefordert werde, bei allen denjenigen geistlichen Verrichtungen, zu deren Vornahme sie vermöge bestandener Prüfung berechtigt sind, nach dem von der Kirche angenommenen Bekenntnisse zu lehren.
- 2) Der Antrag, diese Verpflichtung bei jedesmaligem Dienstwechsel von neuem vorzunehmen,[1] kann um deswillen nicht für zweckmäßig erachtet werden, weil das bei der Ordination geforderte Gelöbnis nicht für einzelne Jahre, sondern für die ganze Zeit des kirchlichen Dienstes abgelegt wird, eine Wiederholung demnach an sich schon| überflüssig wäre, außerdem aber den Eindruck mehr schwächen als verstärken würde, ja in mancher Beziehung sogar verletzen dürfte, und ohnehin bei jeder Installation eines Geistlichen auf das früher geleistete Versprechen hingewiesen wird.
- 3) Auch eine Verpflichtung der Religionslehrer auf treue Wahrung des kirchlichen Bekenntnisses ist da überflüssig, wo Pfarrer oder bereits verpflichtete Kandidaten diesen Unterricht erteilen. Wo denselben aber Lehrer nicht geistlichen Standes erteilen, wird das Oberkonsistorium nicht unterlassen, das Erforderliche da anzuordnen, wo bis jetzt hiefür die nötige Sorge noch nicht getroffen worden sein sollte.
- 4) Noch weiter zu gehen, und wie von manchen Seiten, jedoch nicht von der Generalsynode beantragt worden ist, die feierliche Verpflichtung auf das kirchliche Bekenntnis auch auf solche Personen auszudehnen, welchen kein Lehramt anvertraut ist, sondern die überhaupt nur in kirchlichem Dienste verwendet werden, und von allen diesen die Erklärung zu verlangen, daß sie wenigstens mit dem kleinen lutherischen Katechismus und der Augsburgischen Konfession in ihrer Denk- und Sinnesweise übereinstimmen, muß für eine allzuweit getriebene, zum Teil sogar verletzende und unausführbare Vorsichtsmaßregel angesehen werden, und es ist um so mehr davon Umgang zu nehmen, als schon die Generalsynode eine Wahlordnung für solche Personen in Antrag gebracht hat, die nur gehörig in Anwendung gebracht zu werden braucht, um Unwürdige oder Ungläubige vom Dienste der Kirche fern zu halten.
- 5) Was endlich die Verpflichtungsformel für die Geistlichen betrifft, so lautet dieselbe gemäß eines unter dem 3. November 1841 ergangenen Ausschreibens von Seiten der obersten Kirchenstelle folgendermaßen:
- „Ich gelobe, die geoffenbarte Lehre des heiligen Evangeliums nach dem Bekenntnis der Kirche rein und lauter zu predigen und die heiligen Sakramente ihrer Einsetzung gemäß zu verwalten.“
- II. Ein weiterer Antrag der Generalsynode, dahin gehend, daß das Oberkonsistorium in allen vorkommenden Fällen streng auf die Bekenntnistreue der Pfarrer und Religionslehrer sehen, die Abweichenden belehren, ermahnen, warnen, und bei beharrlichem Widerstande vom Amte entfernen möge, erledigt sich durch das so eben Gesagte von selbst.
- III. Aber die kirchliche Lehraufsicht über die Geistlichen ist es nicht allein, deren Übung vom Oberkonsistorium verlangt wird, mehrere der bei der unterfertigten Stelle in Vorlage gebrachten Eingaben wollen auch den Gemeinden gegenüber eine Lehrzucht in Einführung bringen. Sie beantragen demnach, zum Teil unter den herabwürdigendsten Ausfällen gegen das von der Generalsynode in dieser Sache beobachtete Verfahren, eine von dem obersten Kirchenregimente ausgehende, von den Kanzeln zu verkündigende förmliche und feierliche Exkommunikation der Unterzeichner der bei der letzten Generalsynode eingekommenen oben erwähnten Adresse, so wie überhaupt aller offenbaren Verächter der Grundlehren des Evangeliums, so fern sie nicht widerrufen und ihre Sinnesänderung reumütig bekannt haben. Mit diesem Antrage wird nicht der sogenannte kleinere Bann, welcher in der Ausschließung von der Absolution und von dem heiligen Abendmahle besteht, sondern der sogenannte größere Bann oder die eigentliche Exkommunikation, mithin eine Ausschließung von der Gemeinschaft der Kirche, verlangt. Diese Exkommunikation soll vollzogen werden nicht bloß an einzelnen Individuen, sondern an ganzen Massen; nicht an offenbar lasterhaften, durch ihren anstößigen Lebenswandel Ärgernis gebenden Personen, sondern an solchen, die hinsichtlich der Lehre irre geleitet sind und dem kirchlichen Bekenntnisse widersprechen; nicht nach vorgängiger Anwendung der altkirchlichen, von den Reformatoren auf Grund der heiligen Schrift ausdrücklich verlangten Warnungs-| und Ermahnungsgrade, sondern mit Umgehung oder mit bloß willkürlicher Voraussetzung derselben; endlich nicht bloß an denen, welche man bereits dem Namen nach kennt, sondern auch an solchen, welche als Verächter der Grundlehren des Evangeliums erst noch ausgeforscht und namhaft gemacht werden müßten. Es leuchtet ein, daß mit einem solchen Verlangen ein Verfahren hervorgerufen werden will, das in dieser Ausdehnung und Behandlungsweise kaum jemals in der evangelischen Kirche vorgekommen sein dürfte. Es handelt sich hiebei nicht um die Frage, ob unserer Kirche überhaupt das Recht zustehe, die kirchliche Disciplin in ihren verschiedenen Abstufungen, in ihren höheren und niederen Graden zu üben. Denn dieses Recht gründet sich auf die heilige Schrift und auf die daraus geschöpften allgemein bekannten Erklärungen der symbolischen Bücher; es ist deshalb unbestritten und selbst in der Verfassungsurkunde durch die Paragraphen 40–43 des Ediktes über die äußeren Rechtsverhältnisse des Königreiches Bayern in Beziehung auf Religion und kirchliche Gesellschaften, gewährleistet. Auch ist dieses Recht in seiner ersten oder untersten Stufe, welche in der Ausschließung von der Absolution und vom heiligen Abendmahle besteht, in unserer Kirche bisher in Übung geblieben, und es soll dieselbe nach der hierüber von der obersten Kirchenbehörde gegebenen Verordnung auch ferner in unbeschränkter Geltung bleiben, womit dem Antrage der Generalsynode auf eine wiederholte Einschärfung jener Verordnung in genügender Weise entsprochen ist. Aber eine ganz andere Frage ist, ob die Ausübung dieses Rechtes in seiner obersten Stufe, in der förmlichen und feierlichen Ausschließung von der kirchlichen Gemeinschaft, unter den bestehenden Verhältnissen – und nachdem dieses Recht seit dem 17. Jahrhundert ganz außer Übung gekommen ist, als rätlich und der Kirche so wie ihren Gliedern als förderlich erkannt werden könne; denn nicht dazu kann nach den Grundsätzen und nach der übereinstimmenden Praxis unserer Kirche die Exkommunikation als förmliche Ausschließung von der kirchlichen Gemeinschaft geübt werden, daß sie als eine bloße Strafe ohne nachfolgende wirksame Frucht erscheine; vielmehr soll sie ein Heilmittel sein, das diejenigen, bei welchen es in Anwendung kommt, wieder zu der Kirche zurückführen und darum von ihnen selbst als eine Wohlthat erkannt werden soll, wie denn nach altkirchlichem Gebrauche selbst die Ausgeschlossenen noch zur Teilnahme an der Predigt berechtigt und verpflichtet waren, und so in gewisser Weise noch als Glieder der Kirche betrachtet worden sind. Wird nun| abgesehen von der Willkür des in Antrag gebrachten Exkommunikationsverfahrens, die Frage in Erwägung gezogen: welche Wirkung sich überhaupt von einer Exkommunikation oder Ausschließung aus der Kirche unter den bestehenden Verhältnissen – und wo die Fähigkeit, eine solche kirchliche Zucht als ein Heilmittel zu betrachten, fast überall verloren gegangen und nicht wieder geweckt ist, erwarten lasse? so ist mit Sicherheit anzunehmen, daß diese Wirkung, wie das auch in einer sehr besonnen gehaltenen Eingabe mehrerer Geistlichen wohl anerkannt und begründet worden ist, keine der Kirche förderliche, sondern ihr höchst nachteilige und schädliche sein würde. Die von der Kirche mittelst eines förmlichen Exkommunikations-Aktes Ausgeschlossenen würden mit großer unheilbarer Bitterkeit von ihr sich abwenden, und eine Masse Unentschiedener und Irregeleiteter, die mit der Macht des göttlichen Wortes und mit der Geduld seelsorgerlicher Liebe für die Wahrheit gewonnen werden könnten, zu der Genossenschaft der entschieden Ungläubigen hinüber drängen. Bei dem Antrag einer solchen Exkommunikation ist ganz außer acht geblieben, daß die von gewissenhaften Geistlichen und Seelsorgern auf die Unterzeichner der genannten Adresse versuchten Einwirkungen nicht ohne Frucht geblieben sind, und das frühere Verhältnis sich auch in so fern geändert hat, daß mehrere Unterzeichner dieser Adresse seitdem zu den sogenannten freien Gemeinden übergetreten sind, und damit selbst von der Gemeinschaft unserer Kirche sich ausgeschlossen haben.
Das Königliche Konsistorium wird beauftragt, das Erforderliche zu verfügen, damit der Inhalt des Vorstehenden den Geistlichen sowohl, als den übrigen Mitgliedern der Generalsynode in geeigneter Weise zur Kenntnis gebracht werde.
München, 17. April 1850.
v. Arnold.
Dagegen beklagte man als Übelstände den Mangel eines bestimmten Befehls zur Zuchtübung (bei aller Anerkennung des Rechts dazu), sowie einer demselben erst Nachdruck und Maß gebenden Zuchtordnung etc.; auch glaubte man sich gegen Mißdeutungen verwahren und gegen irrige Behauptungen wie die, daß grobe Lästerer nicht in die Reihe der öffentlichen Sünder gehörten, Widerspruch einlegen zu müssen.
So wurde denn in einer bei Gelegenheit des Missionsfestes in Nürnberg abgehaltenen Versammlung der Gesinnungsgenossen Löhes – derselben, bei welcher auch die inzwischen gegründete Gesellschaft für innere Mission durch einen gottesdienstlichen Akt in der Ägydienkirche in die Öffentlichkeit eingeführt wurde, eine neue Eingabe an die oberste Kirchenbehörde beraten. Die vom 20. Juni 1850 datierte Eingabe, welche unter Nr. 4 im Anhange mitgeteilt ist, enthält zunächst eine Danksagung für das in der Entschließung des Oberkonsistoriums vom 17. April gewährte „Geschenk der Verpflichtung auf die Bekenntnisse der lutherischen Kirche, Lehrzucht und Zucht im allgemeinen“ und stellt hierauf die Bitte „um völlige Trennung der Lutheraner und Reformierten in der bayerischen Landeskirche.“
Der Fortschritt von den vorigen zu dieser Petition war ein naturgemäßer und innerlich berechtigter. War dem Grundsatz nach das Recht der lutherischen Kirche in Bayern anerkannt, so durfte auch die Konsequenz der That nicht fehlen. Eine solche kirchliche That verlangte man denn in der Petition vom 20. Juni 1850. Daran mußte der Wert und die Bedeutung der in dem Oberkonsistorialerlaß vom 17. April gegebenen Zusicherungen sich offenbaren.
| Löhe war eigentümlich zu mute. Der Freude über das Erreichte und der Hoffnung, in der bayerischen Landeskirche bleiben zu können, mischte sich doch auch ein Gefühl tiefer Trauer bei über so viele noch vorhandene Übel. Er sehnte sich nichtsdestoweniger aus Zuständen weg, die durch Worte ja nicht geändert werden.“ „Auf alle Fälle – schreibt er an P. Eichhorn – gehört mein Herz mehr den freieren Bildungen der lutherischen Kirche als der Landeskirche.“ P. Eichhorn kämpfte damals einsam seinen Kampf, der mit seinem Austritt aus der badischen Landeskirche endigte. Die Ähnlichkeit seiner Lage mit der Löhes – bei aller Verschiedenheit der kirchlichen Zustände in Baden und in Bayern – verdoppelte die innige, brüderliche Teilnahme, mit welcher Löhe seinen guten Kampf für die Wahrheit begleitete. Der Jubel, in welchen er bei der Kunde von dem erfolgten Austritt Eichhorns aus der Union ausbrach, und die begeisterten Worte, mit welchen er den „edlen Konfessor“ selig pries, daß er „der Ehre der Schmach Christi“ gewürdigt worden, lassen einen Blick in sein Herz thun und ahnen, wie ihm zu mute gewesen wäre, wenn ihm damals die Stunde der Befreiung aus dem Jammer landeskirchlicher Zustände geschlagen hätte. „Nun ist – schreibt er in jenen Tagen an P. Eichhorn – Ihr Ja ein Ja, und nicht zugleich ein Nein, wie bei den Unierten und die Posaune giebt einen deutlichen und klaren Klang. Nun sind sie ein Diener Dessen, der Treu und Wahrhaftig heißt – und die größte Ehre eines Mannes, seiner Überzeugung völlig zu leben, ist auf Ihrem Haupte. Wenn Sie nun predigen, heißt es: „Ich glaube, darum rede ich.“ Wenn Sie nun zum Altare gehen, Gottes Sakrament zu halten und zu nehmen, wird es sein, wie wenn die Hüllen weggenommen würden, und die Klarheit des HErrn wird um Sie leuchten. Kurz, ich freue mich und bin gewiß, daß sich alle Brüder freuen und daß auch im Himmel Freude darüber ist, daß wieder einmal die Wahrheit gestählt hat alles zu verleugnen, und| daß das Verhältnis zum König der Wahrheit die Fesseln aller anderen Verhältnisse zerbrach. Wenn Sie über diesen Schritt Ihr ganzes zeitliches Glück verlören, so wäre der ganze Verlust Gewinn, denn wer sein Leben verliert um Seinetwillen, der wirds finden. Ein einziges Wörtchen versüßt alles, das Wörtchen „Kreuz“, denn was ist das Kreuz, wenn nicht das Leiden, das wir um Christi und Seiner Wahrheit willen tragen können. Sie haben gethan was Sie thun mußten, um Seinetwillen mußten; wohlan, so möge Sie das Gute nicht gereuen und keine Klage verdunkle Ihr tatsächlich Bekenntnis zu Jesu und Seiner heiligen Kirche. Ich bin aber auch der guten Zuversicht, daß es Ihnen, je mehr Ihr Herz seines Ganges erfreut wird, desto weniger an irgend einem Gute fehlen wird. – Ich finde Ihre Aufgabe nicht leicht, aber herrlich. Sie sind nicht ein einsames Käuzlein in verstörten Stätten, sondern das Morgenrot ist auf Ihrer Stirne und Christus ist mit Ihnen. Ich kann mir ja unmöglich denken, daß Ihr treues Zeugnis nicht von den Tausenden, die ein Raub der Union geworden sind, wenigstens etliche wieder brächte. Der HErr gebe Ihnen zur Thräne im Auge gesegneten Samenwurf. „Sie gehen hin und weinen und tragen edlen Samen; Sie kommen mit Freuden und bringen Garben.“Auch folgende Stelle aus einem späteren Brief an P. Eichhorn, in welchem er diesem zu seinen „Banden in Christo“ gratuliert, darf hier wohl mitgeteilt werden, weil aus ihr ersichtlich wird, daß der innerste Beweggrund zu Löhes Kampf gegen Union und unionistisches Wesen nicht orthodoxistischer Starrsinn und konfessionelle Borniertheit, sondern die Liebe und Wertschätzung des heiligen Sakramentes war, in welchem er das Kleinod der lutherischen Kirche erkannte.
„Die Sache, welche Sie führen, ist klar – schreibt er am 27. Mai 1851 an Eichhorn – schon am Punkt des heiligen Mahls.| Während wir Lutheraner uns anbetend neigen, wenn uns die himmlische Gabe gereicht wird, wenn wir den Leib genießen, des Anschauen die Auserwählten selig macht, und das Blut, das – nach dem Ebräerbrief – alle Himmel reinigt, versichert die reformierte Kirche den Ihrigen, sie empfingen nur Brot und Wein, per accidens eine himmlische Tröstung etwa, die man metaphorice mit dem Namen Leib, Blut Christi bezeichnen kann. Es ist eine Kluft, um einen ganzen Himmel unterschieden. Und diese Kluft achtet die unierte Kirche für klein, indifferenziert, wo der größte, der mächtigste Unterschied im Vorhof des ewigen Abendmahls obwaltet, lullt recht absichtlich den Christen in Gleichgiltigkeit ein über die größten Güter, welche Christus zurückließ. Wenn wir schwiegen, müßten Steine schreien. Auch wenn wir fehlen und Schwachheit uns hie und da befällt, wir wissen doch, daß wir die Brüder und alle Christen lieben, weil wir ihnen den ewigen Hort retten wollen. Leiden wir dafür, so sind wir selig.“Doch ist es Zeit, von dieser Abschweifung wieder zur Darstellung der kirchlichen Verhältnisse in Bayern zurückzukehren.
Über ein Jahr war verflossen, seit die letzte Eingabe Löhes und seiner Genossen an die oberste Kirchenbehörde abgegangen war. Noch war keine Bescheidung derselben erfolgt. Für Löhe wurde das Ausharren in solchen konfessionell verwirrten Verhältnissen immer drückender. Am meisten beschwerte ihn die fortdauernde Abendmahlsgemeinschaft zwischen Lutheranern und Reformierten, die in gewissen Gegenden Bayerns bestand und „von der Kirchenbehörde nicht bloß geduldet, sondern z. B. auf den bayerischen Moosen sogar angestrebt wurde.“ Hier Wandel zu schaffen hielt Löhe für eine ebenso unzweifelhafte Befugnis (weil die Union ja kein verfassungsmäßiges Recht im Lande habe), als für eine dringende Pflicht der obersten Kirchenbehörde. Sein Kampf gegen das unionistische Wesen im Lande konzentrierte sich jetzt für ihn mehr und mehr auf die Frage der reinen und ungemischten Abendmahlsgemeinschaft.| Traf das Kirchenregiment keine ernsten Maßregeln zur Abstellung dieser „Sünde der Abendmahlsmengerei“, so schien ihm der Beweis geliefert, daß die lutherische Kirche als solche kein Recht zur Existenz in Bayern habe.Von solchen Anschauungen aus erklärt es sich, daß Löhe jetzt (es war im Jahre 1851) nicht länger ohne Sünde in der bayerischen Landeskirche verharren zu können glaubte, falls von Seiten des Kirchenregimentes nicht ernstliche Schritte zur Abstellung des ihn am meisten beschwerenden Übelstandes der gemischten Abendmahlsgemeinschaft geschähen. Darum bat er denn in einer Eingabe vom 2. Juli 1851 – in seinen Briefen „Mein Ultimatum“ genannt, die ebenso gemäßigt in der Form als entschieden im Inhalt war und der es der vorurteilsfreie Leser wohl abfühlen wird, daß sie wirklich war, als was sie sich bezeichnete: der Ausdruck der Gewissensnot der Petenten und ihrer letzten Hoffnung auf Menschenhilfe.
Löhe war bereits auf das Ernsteste gefaßt, aber auch bereit, was da komme über sich ergehen zu lassen. An dem Tage, an welchem er die erwähnte Eingabe an das Konsistorium unterzeichnet hatte, schloß er einen Brief an Wucherer mit den Worten: „Gott mache und erhalte uns wacker in Seinem Streit und müssen wir siegend (‚besiegt‘ wird man sagen) vom Platze gehen, so gebe er uns ein fröhlich Herz und edlen Frieden, daß wir ihm nicht seufzend und traurig Opfer bringen. Was haben wir denn schon um Seinetwillen Großes gelitten? Ich meinerseits bin ein armer Sünder und will mich in meinen Staub legen und Gott loben, wenn ich um Seines Abendmahls, Seines Leibes und Blutes willen ein wenig leide.“
Wir lassen um ihrer Wichtigkeit willen die Eingabe, die außer von Löhe nur noch von Stirner und Wucherer unterschrieben war, hier im Kontext folgen.
Gehorsamste Vorstellung der unterzeichneten Geistlichen, Aufhebung der kirchlichen Vereinigung und Abendmahls-gemeinschaft mit den Reformierten und Unierten betreffend. |
Diese, so wie andere Gebrechen, welche der sichtbaren Darstellung einer lutherischen Kirche in Bayern im Wege stehen, wurzeln in der Vereinigung beider protestantischer Konfessionen zu einer Gesamtkirche mit gemeinschaftlichem kirchlichen Organismus. Die Aufhebung dieser Vereinigung und zunächst die hochbeschwerlichen Folgen derselben in der Abendmahlsgemeinschaft ist und bleibt unter den jetzigen Umständen unser hohes kirchliches Anliegen. Würde uns sichere Aussicht auf baldige Erledigung gegeben, so würden wir mit dem status protestationis, in welchem wir uns fühlen und befinden, unser Gewissen beruhigen; bleibt uns die trostlose Aussicht in eine ungewisse Zukunft, so tritt uns die Erwägung gebieterisch vor die Seele, ob es noch ein anderes Mittel gäbe, den Gewissen zu helfen, als die Landeskirche zu verlassen. Wie viele andere gleich uns zu solcher Erwägung sich werden gedrungen fühlen, vermögen wir nicht zu ermessen. Wir haben es für angemessen gehalten, von dieser unserer unterthänigsten Vorstellung nicht viel Mitteilung zu machen, niemand weiter zur Teilnahme einzuladen. In jedem Falle hoffen wir den Ausdruck unserer Gewissensnot von unseren Kirchenoberen mit väterlichem Herzen aufgenommen zu sehen. Zu solchen nehmen wir diese unsere letzte Zuflucht und bitten mit flehendem Aufblick zu dem, der unsere Oberen zu Vätern seiner Kirche, ihr zu gut, gesetzt hat:
- Ein Königliches protestantisches Oberkonsistorium wolle gnädigst geruhen, in väterlicher Berücksichtigung unserer Gewissensnot baldigst darüber Aufklärung zu uns herab gelangen zu lassen, ob dasselbe eine völlige Aufhebung der kirchlichen Vereinigung und Abendmahlsgemeinschaft der Lutheraner mit den Reformierten und Unierten erstrebt, und dies Ziel nach Maßgabe der gegebenen Mittel und in möglichster Bälde zu erreichen sucht.
Mit schuldigster Ehrerbietung verharren
Löhe erwartete auf diese Eingabe kaum mehr eine Antwort des Oberkonsistoriums. So kam es, daß er dem Entschluß des Austritts wieder ebenso nahe trat als er demselben nach dem Schluß der Generalsynode des Jahres 1849 gestanden hatte.
Ähnlich spricht er sich in einem nur wenig später geschriebenen Brief an Bauer aus: „Ich warte sehr, daß es mit der Antwort von München nicht gar so spät zugehe. Wunderlich, daß man auch keinen Hauch von Wind vernimmt. Meine Zehntbauern und K. sagen: der kommt nicht fort; der geht ,von seim Eckele nit‘. Und ich wäre so gerne los. St. Petri Kettenfeier am Freitag (1. Aug.) ist mir eine Art Fest der Sehnsucht. Ich soll Abendmahl halten und kann nicht. Ich habe in Baumgarten, in Porta, in Balduin Gutachten von Theologen und Fakultäten gefunden, die mir ganz beistimmen. Ach, daß ich frei wäre von dieser Abendmahlsgemeinschaft, daß ich in einem Winkel säße und stille zu meinen Brüdern gehörte!“
Vollends in den Thesen, welche er zu einer am 30. Juli 1851 in Bamberg abgehaltenen Pastoralkonferenz stellte, nahm Löhe zu der Frage des Austritts aus der bayerischen Landeskirche eine so entschlossene Stellung ein, daß die faktische Ausscheidung aus dem landeskirchlichen Organismus als ein unvermeidlicher, demnächst zu erwartender Schritt erschien. Er suchte hier nachzuweisen, daß die bayerische Landeskirche keine lutherische sei, und daß Lutheraner – namentlich er und seine Gesinnungsgenossen – ohne Sünde nicht in ihr bleiben könnten.
| Die bayerische Landeskirche – führte er hier näher aus – ist nicht lutherisch, weder dem Rechte nach, noch der Praxis nach. Nicht dem Rechte nach, denn sie darf den Namen „lutherisch“ nicht führen, und sie ist – nach der Verfassung – eine Komplexion zweier Konfessionen und einer konfessionslosen Union zu Einem kirchlichen Organismus. Aber auch nicht der Praxis nach, wie sich das am frappantesten an der thatsächlich zwischen Lutheranern, Reformierten und Unierten bestehenden Abendmahlsgemeinschaft zeigt. Darum können Lutheraner ohne Sünde nicht in dieser Kirche bleiben, schon aus Gründen einfacher Ehrlichkeit nicht und weil sie dadurch aufhören würden Lutheraner zu sein und der lutherischen Kirche dreier Jahrhunderte ins Angesicht schlagen würden. „Wir schelten auf diese Weise die Treue der Reformatoren, den Reformierten gegenüber erzeigt, und unser Patron wird Philipp von Hessen, unsre Fahne die Klugheit, nicht die Wahrheit. Wir widersprechen aber nicht nur der lutherischen Kirche, wie sie drei Jahrhunderte hindurch gewesen, sondern wir widersprechen auch der heiligen Schrift, denn wir dulden Sauerteig und nicht bloß wenig, wir hüten weder uns noch die Herde vor falschen Propheten, wir meiden oft ermahnte ketzerische Menschen nicht, wir machen uns teilhaftig fremder Sünden, wir trennen das „Ein Glaube“ von „Ein Leib“ (Eph. 4), wir machen die Kirche zu einer discordia statt zu einer communio etc. etc. Hiemit sündigen wir wider Gott und Sein Wort, aber auch wider die rechtgläubigen Gemeinden hin und her, welche Wahrheit und rechte Liebe dem Heuchelschein einer nicht mehr lutherischen Kirche vorzogen; wider unsere Gemeinden, die so alle Wahrheit gleichgiltig achten lernen; wider die Gegner, die durch unser Reden nicht zur Einsicht kommen, so lange unser Bleiben beweist, daß wir selbst nicht innerlich halten, was unser Wort bezeugt; wider unsere Seligkeit, denn wir verleugnen die Wahrheit, Christum, die Kirche, die Liebe etc.„Ich will – so schließt Löhes Aufzeichnung – zu meinen Brüdern gehen von der großen Separation von der lutherischen Kirche, die da wurde, als die Leute schliefen, zu den Erben alter Wahrheit und Verheißung. Der Friede sei mit mir! Sein heiliger Geist heilige meine Seele und führe mich auf ebener Bahn! Amen.“
Diese Thesen fanden auf der Pastoralkonferenz zu Bamberg von Seiten der „befreundeten Gegner“ Löhes wenigstens in Einem Punkt entschiedenen Widerspruch. Man bekämpfte auf jener Seite namentlich die Behauptung Löhes, daß die lutherische Kirche in Bayern kein verfassungsmäßiges Recht der Existenz habe. Löhe konnte, wie es scheint, auch dem Gewicht dieser Einwürfe sich nicht völlig entziehen; er bekannte, etwas Neues in Bamberg gelernt zu haben“. Das „Neue“ war die Entdeckung, daß an den – von den Gegnern zu Gunsten der Landeskirche angeführten – Paragraphen des Religionsedikts (von den drei anerkannten öffentlichen Kirchengesellschaften) zwar nicht die gegenwärtige Landeskirche, die vielmehr zu einer „protestantischen Gesamtgemeinde“ vereinigt, also uniert sei, wohl aber eine im Lande neu sich bildende wahrhaft lutherische Kirche den verfassungsmäßigen Rechtsboden haben werde.| Löhe gab damit seinen Gegnern wohl nicht Recht, machte ihnen aber doch ein halbes Zugeständnis. Denn wenn zugegeben werden mußte, daß verfassungsmäßig eine lutherische Kirche in Bayern das Recht des Bestehens habe, so war ja die Hoffnung nicht unberechtigt, daß bei Erstarkung des konfessionellen Sinnes und kräftigem Willen der kirchlichen Oberen, allerdings noch eine „Entmischung“ und „Desunierung“ der bayerischen „Konfusionskirche“ und ihrer konfessionell verwirrten Verhältnisse möglich sei. Indessen gab Löhe dieser vermeintlichen Entdeckung und dem eine Weile ventilierten Plan, auf dieselbe einen neuen modus procedendi in der kirchlichen Frage zu bauen, keine weitere Folge. Andrerseits freilich hatte er damals auch – wie wir sahen – die Hoffnung fallen lassen, daß „eine Entwicklung dieses Chaos zu einer lutherischen Kirche“ noch denkbar sei, und die nun schon über ein Jahr andauernde Verzögerung der Antwort des Kirchenregiments auf seine und seiner Gesinnungsgenossen Eingaben mußte ihn in dieser Anschauung bestärken. Unter solchen Umständen wurde ihm das Verharren in der Gemeinschaft der Landeskirche immer unerträglicher. Er glaubte ohne vorhergehende Bereinigung der konfessionswidrigen Mißstände innerhalb der bayerischen Landeskirche das heilige Abendmahl weder nehmen noch reichen zu können.Als während dieser Zeit ein Sterbender in Neuendettelsau das heilige Abendmahl begehrte, wußte Löhe sich und ihm nicht anders zu raten, als daß er seinen Amtsnachbar um Aushilfe bat. Er war innerlich und äußerlich damals so sehr zum Aufbruch gerüstet, daß bereits zwischen ihm und einem befreundeten Pfarrer, seinem tapferen Kampfgenossen Volck, von einer gemeinsamen Reise nach Bamberg die Rede war, zu dem Zweck, dort eine passende Wohnung zu mieten.
In diese Zeit peinlicher Spannung fiel die Versammlung der lutherischen Konferenz in Leipzig. Dort sollte – wie Ehlers an| Löhe schrieb – auch Löhes Sache, sowie das künftige Verhältnis der separierten Lutheraner in Preußen zur bayerischen Landeskirche zur Sprache gebracht werden. Löhe aber protestierte von vornherein gegen die Zumutung, in der ihn so ernst bewegenden Austrittsfrage von einer Versammlung, die vermöge ihrer Zusammensetzung „ein focus des landeskirchlichen Luthertums“ sei, Recht und Urteil zu nehmen und erklärte seinen bestimmten Entschluß, an der Leipziger Konferenz nicht teil zu nehmen.Wie sich erwarten ließ, war die bayerische Frage zwar nicht in öffentlicher Versammlung, aber in kleineren Zirkeln und Sonderkonferenzen der Gegenstand ernstester Beratungen. Es ergab sich dabei das bemerkenswerte Resultat, daß die zahlreich vertretenen Lutheraner aus der separierten Kirche Preußens sich mit den bedeutendsten Repräsentanten der lutherischen Landeskirchen in der Überzeugung begegneten, daß bei der eigentümlichen rechtlichen Lage der lutherischen Kirche Bayerns die Frage des Austritts aus derselben noch nicht zur Entscheidung reif und zum Austritt selbst jedenfalls noch keine Nötigung vorhanden sei. Wie die preußischen separierten Lutheraner über diesen Punkt dachten, geht aus einem auch sonst vielfach interessanten Brief Dr. Bessers vom 11. September 1851 hervor, den wir seinem Hauptinhalt nach hier mitteilen. Besser schreibt an Löhe: „Ihre und Ihrer kirchlichen Freunde Lage nimmt natürlich unser innerstes gliedliches Miterleben in Anspruch, und sie war in Leipzig das Thema ernster Brudergespräche und Gebete. In einer kleinen Sonderkonferenz legte Huschke die betreffenden Dokumente, Ihren Brief an Ehlers, Ihr Ultimatum, einen Bericht des jüngeren Kellner über die Bamberger Konferenz vor und referierte aus Hommels jüngster Schrift. Auf Grund dieser Information haben wir hernach mit Volk und Gademann sowohl, wie mit Delitzsch und Thomasius vielfach und eingehend gesprochen. Lassen sie mich offen den Eindruck aussprechen, den ich von dem Stande der Dinge empfangen habe.
| Wie Sie selbst, dünkt mich, in Bamberg sich ausgedrückt haben – der Rechtspunkt mag noch zweifelhaft sein und in utramque partem disputiert werden können. Hommel scheint mir nicht ganz der historischen Lage unsrer Kirche gerecht zu werden, wenn er den Ausdruck „protestantische Gesamtgemeinde“ zur Basis seiner Anklage auf Union macht. Offenbar war im Jahre 1818 das Bewußtsein des gemeinsamen Gegensatzes dessen was geschichtlich Protestantismus heißt gegen die römische Kirche bei Ihnen sehr überwiegend im Vergleich mit dem Bewußtsein des Gegensatzes zwischen Luthertum und reformiertem Wesen. Sollte nun, bei den übrigen antiunionistischen Ausdrücken der Verfassungsurkunde, jenes: „protestantische Gesamtgemeinde“ nicht eine erträgliche Auslegung zulassen? Dem sei aber wie ihm wolle; unsre Kirche hat (nach meiner Anschauung) in Bayern wenigstens ein gut Teil feste Rechtspunkte mehr als in Preußen, und während hier bei uns eine Desunierung beinahe eine historische Unmöglichkeit sein dürfte, erscheint es bei Ihnen ungleich einfacher, daß die in den kirchlichen Organismus vom Zeitgeist eingesäten Weltmomente ausgeschieden werden. Doch Ihnen fällt der ganze Schwerpunkt auf die Praxis, auf die faktischen Zustände, und ich muß bekennen, daß ich das für durchaus biblisch halte, für recht pastoral und theologisch. Denn wie vermöchte ein etwa vorhandener Rechtsparagraph unser Gewissen zu trösten über Teilnahme an faktischer Ungerechtigkeit? Jedoch auf den modus procedendi dürfte die Rechtslage nicht ohne entscheidenden Einfluß sein. Ich kann nicht anders sagen – der HErr vergebe mir, wenn ich unwissentlich fehle – eine aktive Lossagung Ihrerseits von der geschichtlich gewordenen Institution der lutherischen Kirche Ihres Landes will mir als nicht recht erscheinen. Sollten Sie nicht vielmehr die Position fassen können: Antwortet die Behörde auf Ihr äußerst mildes Gesuch ablehnend, so behaupten Sie Ihr von unierten Verbindlichkeiten freies lutherisches Pfarramt, aber brechen mit der| in sündlichen Synkretismus verstrickten Behörde die Kirchengemeinschaft ab – abwartend, ob sie dann mit Gewalt von Neuendettelsau entfernt werden. Dies dünkt mich die ultima ratio zu sein. Dekan Gademann teilte mit, daß im Oberkonsistorio eine neue Ordnung der reformierten Gemeinden vorbereitet werde – ist dies wirklich der Fall, so würde man Ihrem Austritt unfehlbar das Stigma der Ungeduld aufdrücken... Meinen Sie (übrigens) nicht, teurer Bruder, daß was ich in diesen Zeilen Ihnen sage, von der Anschauung ausgehe, nach welcher die Landeskirche das Primäre, die Kirche das Sekundäre ist. Die Mission, welche (in dieser Beziehung) unsre preußische ecclesiola vom HErrn hat, möge kein fleischliches Gelüst uns je verdunkeln. Aber nicht das Fleisch, sondern der Geist ists, der uns sagt, daß wir das irgend Erträgliche ertragen sollen um den Preis, redliche im kirchlichen Fortschritt begriffene Gemüter durch das Festhalten des Gemeinschaftsbandes zu stärken. Leugnen kann ich nicht, daß der Gedanke an Ihren (aktiven) Austritt mich ängstigt, und nur der Blick auf den treuen Hirten und König, der diese affaire de haute politique in Seiner Hand hält, gibt mir Ruhe und Freude. Bitte, bitte nehmen Sie diese Aussprache eines Bruders, der Ihr dankbarer Schüler ist, nicht als unberufen auf – wahrlich: nostra res agitur!Indessen erfolgte – jedenfalls noch bevor Löhes erneuerte Eingabe in Vorlage gekommen war – der Bescheid des Oberkonsistoriums. Das wichtige Aktenstück verdient hier vollständig mitgeteilt zu werden.
Im Namen etc.
Die Pfarrer Wilhelm Löhe in Neuendettelsau, Eduard Stirner in Fürth und Friedrich Wucherer in Nördlingen haben in einer unmittelbar hierher gerichteten, am 3. Juli d. J. eingelaufenen Eingabe vorgestellt, wie die nach ihrer Meinung in der bayerischen Landeskirche bestehende kirchliche Vereinigung und Abendmahlsgemeinschaft der Lutheraner mit den Reformierten und Unierten für ihr Gewissen höchst beschwerend sei, und wie sie nur dann, wenn die Aufhebung derselben in nahe und sichere Aussicht gestellt werden könne, noch länger in der Landeskirche zu bleiben vermöchten. Sie haben deshalb die Bitte gestellt:
- „Ein Königliches Oberkonsistorium wolle gnädigst geruhen, in väterlicher Berücksichtigung ihrer Gewissensnot baldigst darüber Aufklärung zu ihnen herabgelangen zu lassen, ob dasselbe eine völlige Aufhebung der kirchlichen Vereinigung und Abendmahlsgemeinschaft der Lutheraner mit den Reformierten und Unierten erstrebe, und dieses Ziel nach Maßgabe der gegebenen Mittel und in möglichster Bälde zu erreichen suche.“
Ohne auf die von den Bittstellern selbst zugestandene Unstatthaftigkeit der angebrachten Bitte hier näher einzugehen, will das K. Oberkonsistorium nach genaurer Würdigung der Sache im nun vollständig wiederversammelten Kollegium den Bittstellern Nachstehendes eröffnen.
Die Landeskirche diesseits des Rheins ist, die verhältnismäßig nur sehr geringe Zahl der Reformierten und Unierten ausgenommen, eine auf dem geltenden Bekenntnisse ruhende, diesem in Lehre, Ritus und Verfassung treu anhängende evangelisch-lutherische Kirche. Eine Union und eine daraus hervorgehende Abendmahlsgemeinschaft zwischen Lutheranern, Reformierten und Unierten besteht in ihr weder grundsätzlich, no[c]h verfassungsmäßig, noch faktisch. Es ist von Seiten der kirchenregimentlichen Organe in keiner Weise ein Schritt geschehen, der die lutherische Kirche zu einer Union mit der reformierten hinführen wollte, oder zu einer derartigen Vermutung gegründeten Anlaß geben könnte. Wenn auch in einzelnen Orten Lutheraner, Reformierte und Unierte miteinander das heilige Abendmahl genießen, so ist diese gemeinschaftliche Feier nicht aus einer Union hervorgegangen, bezweckt auch durchaus keine Union, sondern ist als ein durch unvermeidliche Verhältnisse hervorgerufener und in allen protestantischen Ländern in und außer Deutschland überlieferter, ausnahmsweiser Zustand zu betrachten. Durch diese Ausnahmsfälle ist der lutherische Charakter der vaterländischen Kirche in seinem wesentlichen und grundsätzlichen Bestande in keiner Weise aufgehoben, und es muß als ein Irrtum der Bittsteller erscheinen, wenn sie dies annehmen, und ihren Austritt aus der Kirche damit rechtfertigen wollen. Das Oberkonsistorium hat sich, wo es not thut, stets bemüht, die obschwebenden Verhältnisse einzelner Gemeinden im Interesse beider Kirchen, der lutherischen und der reformierten, zu regeln, und es wird hierin, unter Berücksichtigung der vorliegenden Umstände und nach Maßgabe der gegebenen Mittel fortfahren; aber es leuchtet von selbst ein, daß sich eine solche Regelung ausnahmsweiser Verhältnisse nicht mit einem male durchführen, am wenigsten deren Zustandekommen der Zeit nach im Voraus berechnen läßt.
Noch näher und spezieller in den hier bezeichneten Thatbestand einzugehen, muß nach der oben ausgesprochenen Erklärung des Kirchenregiments als überflüssig erscheinen, und das um so mehr, als die Bittsteller selbst nur eine solche Erklärung sich erbitten, und die hier gegebene das volle Vertrauen erwarten und für sich in Anspruch nehmen kann.
| Es ist nach dem Gesagten schwer zu begreifen, wie jene durch unvermeidliche Umstände herbeigeführten, ausnahmsweisen Verhältnisse, welche weder den Rechts- und Lehrbestand der lutherischen Kirche, noch überhaupt ihre konfessionelle Eigentümlichkeit im mindesten alterieren können, für die Gewissen Einzelner in der Art beschwerend sein sollten, daß sie zum Austritt aus der Landeskirche und zur Separation von ihr gebieterisch hindrängen müßten. Die Gewissensnot, welche die Bittsteller bezeichnen, wurzelt einesteils in einer irrtümlichen Auffassung der bestehenden Verhältnisse, andernteils in einer Verkennung des verfassungsmäßigen und kirchenregimentlichen Standes, in welchem sich die lutherische Kirche in Bayern befindet.Diese irrtümliche Auffassung und die Verkennung des rechten Standpunktes hat bereits Verwirrung der Gewissen, Mißtrauen und Beunruhigung in einzelnen Gemeinden, Verdächtigung wohlgesinnter, bekenntnistreuer Geistlichen, Verdächtigung sogar der ganzen Landeskirche nach außen zur Folge gehabt. Das kirchliche Regiment hat den fühlbaren Schaden, welcher daraus der Kirche erwuchs, mit großem Bedauern wahrgenommen und sieht sich nun dringend verpflichtet, an die Bittsteller die ernste und väterliche Ermahnung zu richten, in Erwägung der dargelegten Verhältnisse von ihrer irrtümlichen Auffassung der obwaltenden Zustände zur rechten Beachtung und Würdigung derselben umzukehren, ihre bisherige Stellung zur Kirche aufzugeben und sich in Treue und Gehorsam wieder mit ihr zu versöhnen, die ihnen von dem Herrn verliehenen Kräfte dem Dienste der Kirche mit voller und freudiger Hingabe zu widmen und unter ernstlichem Gebete vor Gott wohl zu bedenken, wie mahnend die gegenwärtige Zeit zur Einheit und Zusammenhaltung aller Gaben und Kräfte zum besten der vielfach bedrängten Kirche auffordere.
Die unterfertigte Stelle glaubt sich der Erwartung hingeben zu dürfen, daß sich die Bittsteller diesem väterlichen Worte ihrer Oberen nicht verschließen, sondern daraus Anlaß nehmen werden, die ihnen auf ihren Gewissen liegende Sorge vor dem Angesichte des Herzenskündigers weiter zu prüfen und den Entschluß, den sie fassen wollen, der ernstlichsten Erwägung von neuem zu unterwerfen.
Das K. Konsistorium hat vorstehende Entschließung den Bittstellern unverzüglich bekannt zu geben.
München, den 19. September 1851.
v. Arnold.
Die eigentliche Veranlassung zu diesen Zeilen, die ich ganz in der Nähe der russisch-polnischen Grenze im östlichsten Winkel meiner aus mehr denn acht Quadratmeilen zerstreuten Parochie in einer Wassermühle schreibe, ist meines Sohnes jüngst und letzt erhaltener Brief: Ihre Separation von der bayerischen Landeskirche werde vielleicht schon Ende dieses Monats ins Leben treten, und sein Wunsch, ob ich Ihnen, geehrter Herr Amtsbruder, nicht was noch vorher zu schreiben hätte, zumal sich viele jetzt von Ihnen zurückziehen und Ihnen nicht mehr die frühere und gebührende Liebe und Wertschätzung Ihrer Bestrebungen schenkten. Ich folge dem Winke meines Sohnes, obgleich schüchternen Sinnes, denn der Herr, von dem alle guten und alle vollkommenen Gaben kommen, hat Ihnen ein viel reicheres Maß Seiner Begabung gegeben denn mir. –
Ich kann und will mich daher nur mehr auf geschichtliche Notizen aus unserm Kampf in Preußen zur Erhaltung des lutherischen Zions gegen den Weltgeist und Weltmachts-Strömung der Union beschränken. Wir Pastoren nämlich haben keiner – Scheibel ausgenommen – unser Pfarramt in der Landeskirche niedergelegt,| sondern wir haben uns absetzen und verjagen lassen, indem wir alles Unierte von unsern Parochieen abwehrten, und indem wir in allem streng lutherisch handelten und zwar nicht bloß gegen unsere ursprünglichen Parochieen, sondern gegen alle andern auswärtigen Kirchspiele, die gleichfalls das Falsche der Union erkannten und nicht mehr teil haben wollten an ihren Ortsaltären und Taufsteinen, weil dieselben durch unierte Handlungen unlutherisch geworden wären. Und als man uns meist wegen dieser Übertretung der Parochialgrenzen durch Urteil kassiert hatte, so erklärten wir: wir müßten unsern so zerstreuten Glaubensgenossen gewissenshalber auch ferner dienen, zumal wir unsere Amtskassation, als von gemischter unierter Behörde ausgehend und nicht von lutherischer, nicht anzuerkennen vermöchten – z. B. nur ein preußisches Kriegsgericht könne einen preußischen Offizier rechtskräftig kassieren. – Da wir also fortfuhren, den von den unierten Thaten sich lossagenden Protestanten Taufe, Abendmahl und Predigt zu gewähren, so blieb den Behörden nichts übrig, als uns leiblich gefangen zu setzen, z. B. ich habe viereinviertel Jahr im Breslauer Inquisitoriat deshalb gesessen, weil ich nicht unterschreiben wollte: meinen Glaubensgenossen nicht mehr mit meinem Amte zu dienen, da ein guter Hirte sein Leben für die Schafe lassen müsse. Und während dieser Jahre hat in hiesiger polnischer Gegend, die niemand polnisch bedienen konnte, der heilige Geist durch alte gedruckte Bücher so gepredigt, daß ich zehnmal mehr Lutheraner fand, als ich endlich frei gelassen wurde, als wie ich sie verlassen hatte. Ich kenne zwar Ihre bayerischen Verhältnisse nicht ausreichend, muß mich also um so mehr bescheiden; dennoch scheint es mir, daß ich in Neuendettelsau an Ihrer Stelle etwa eben so handeln würde. Die gesamten Familienväter, ja alle stimmberechtigten und stimmfähigen Glieder würde ich in die Kirche oder in eine große Stube rufen und ihnen alle die Thatsachen aufzählen, die in Bayern für die Union mit| den Reformierten sprechen, und zweitens würde ich ihnen die Gründe geläufig machen, aus welchen die Lutheraner seit dreihundert Jahren die reformierte Lehre für eine ketzerische gehalten haben, und drittens wie oft und wann die lutherische Kirche bereits eine Union mit diesen im Kultus, Symbol und Regiment abgewehrt hat. – Diese mündlichen oftmaligen dogmatischen und historischen Wahrheiten würde ich auch gedruckt, möglichst plan und in Fragen und Antworten jedem in die Hände geben. Ferner würde ich ihnen erklären: wer damit nicht übereinstimmt, wer das heilige Abendmahl auch bei solchen Predigern und Altären, die mit unierten Thaten befleckt sind, nehmen wolle, dem würde ich es nicht mehr in Neuendettelsau reichen.Viertens: Allen den Pastoren, die mit Reformierten und Unierten Sakramentsgemeinschaft hielten, würde ich öffentlich erklären, daß ich sie als ketzerische Menschen kirchlich fliehen müsse, und keine Sakraments- und Diözesangemeinschaft mit ihnen halten könne.
Fünftens: Ich würde mit den Pastoren, die gleich mir vor allen reformierten und unierten Thaten sich zu hüten versprächen, ein geistliches Schutz- und Trutzbündnis schließen.
Sechstens: Würden die also zu lutherischen Kirchthaten konföderierten Pastoren ihren Dekanen zu erklären haben, daß sie laut westfälischen Friedens gegen ihre Visitation protestieren müßten, und gegen ihre Installationen und Ordinationen.
Siebentens: Der Landesherr müßte daher von diesen lutherisch Konföderierten gebeten werden, die ihm gratas personas aus der Zahl dieser lutherisch Konföderierten ihnen zu ihren Dekanen und Konsistorialräten zu ernennen. – Aber ehe es noch dahin kommen würde, würde gewiß das Münchener Oberkonsistorium gegen Sie eingeschritten sein, und ihre Amtsentsetzung in allen scheinbaren Formen des Rechts ausgesprochen haben, und nach Jahr und Tag würde man dann auch bei Ihnen genötigt sein, Sie gefangen zu| setzen, und gerade diese äußeren Leiden für des Herren Kirche sind der Dünger für diese. In der Verfolgung wächst sie, und die Gebete werden dann brünstiger, folglich wird dann auch mehr Geist ausgegossen, die Geister platzen auf einander, und die Toten stehen auf, und die Totengebeine fangen an für das Lob Jesu zu grünen, und die Juden bringen dann alle alten lutherischen Kernschriften an den Tag, wie das alles Stufe für Stufe bei uns in Preußen stattgefunden hat. – Ich bin immer vielmehr dafür, daß man sich absetzen und gefangen nehmen läßt, als daß man dem Feind das Feld, wenigstens den Ortsaltar räumt. Daß biblische Kirchenzucht damit Hand in Hand gehen muß, versteht sich von biblischen Lutheranern von selbst. Ich habe mich nie mit Scheibels Amtsniederlegung und seinem Nicht-aktiv-sein in und außer Preußen befreunden können. Wo dieser teure Mann Gottes das Amt niedergelegt, dahin ließ ihn der Herr der Kirche nicht wieder kommen; wir amtierten schon alle freudig und reich in Gott seit 7. Juni 1840 öffentlich in Preußen, und er bettelte an der Landesgrenze und wurde bis zu seinem freilich seligen Tode 1843 nicht in das Land gelassen. – Im ganzen dürfte behauptet werden, daß der Herr die einfachsten, nächstliegendsten Wege von den Seinen gegangen wissen will. Also: bin ich nach Breslau oder nach Neuendettelsau zu einem Pastor der lutherischen Kirche berufen, so mache ich an diesem Ort alles lutherisch, und wehre alle nicht lutherischen Einflüsse und Thaten ab; denn an dem Haushalter wird nicht mehr erfordert, als daß er treu (in der ihm angewiesenen Stellung) erfunden werde. Mir hat immer eines gewissen ungarischen Festungskommandanten Zriny Exempel im Kriege gegen die Türken vorgeschwebt. Diese hatten die christlichen Heere rings um ihn her geschlagen, die Christen waren geflohen, aber er übergab die vom deutschen Kaiser ihm anvertraute Position nicht, er verpallisadierte sich immer mehr in seiner Festung und erklärte den monatelang stürmenden| Türken: er weiche nicht, sondern würde bis auf den letzten Mann sich wehren und seinem Eide treu sein, und sollten die Türken endlich doch die Mauern erklettern, so würde er sich in den Pulverthurm noch verschanzen, und sich samt den Anstürmenden, ehe sie ihm die Hellebarde ins Herz stießen, in die Luft sprengen. Wie gesagt, so gethan. Es erbleichten so viele Türkenschädel vor der Festung, und der Verlust und die Verzögerung derselben war so groß; auch als zuletzt alle Stürmenden mit dem Zriny in die Luft flogen, so mußten sich zuletzt die türkischen Heere zurückziehen, und das Kreuz statt des Halbmondes blieb in Ungarn Panier. – Ich habe immer allen unierten Konsistorien und meinen Hönnigernschen Bauern erklärt: ich weiche nicht, bis nicht blanke Waffen kommen und mich in das Gefängnis führen, bloß um meiner lutherischen Thaten willen, aber dann würde ich auch so ruhig gehen wie ein Lamm zur Schlachtbank. Als dann endlich, und zwar grade heute, den 16. September, jetzt zehn Uhr sind es 17 Jahre, (am Geburtstag Scheibels) ein Oberregierungsrat und Landrat und Gensdarm mit dem Verhaftsbefehl kam nach Hönnigern, so ließ ich mich binnen zwanzig Minuten gefangen nach Breslau abführen, mit dem Regierungsrat und Landrat im Wagen sitzend und der Gensdarm am Wagen reitend, und als wohl hundert alsbald zusammengelaufene Gemeindeglieder meinen Reisekoffer nicht sogleich auf den Gefängniswagen wollten aufpacken lassen, so rief ich sogleich: ich bleibe keinen Augenblick Pastor von Rebellen, d. i. von Leuten, die nur einen Finger wider die Polizei aufheben, und wenn sie zusehen müßten, daß mir die Unierten den Kopf abhieben, und ich würde nur eine lutherische Hand sich dagegen erheben sehen, so würde ich sie alle noch mit abgehacktem Kopf anspucken.Nun sollte mein ganzes eilfertiges russisch-polnisches Grenzgeschreibsel nichts Wertvolles – weil zu viel Verzagtes – enthalten, nun so sehen Sie wenigstens meine Liebe und Wertschätzung des Geistes, der Sie streiten und die Schmach Christi selbst von Brüdern tragen heißt, und daß unsere Liebe hier auch für Sie und Ihr Land, das alte teure Frankenland mit seinem Markgrafen Georg, betet, seien Sie versichert. – – –
Ach wie ellenhoch wollte ich mit David vor der Bundeslade her springen, sollte ich in Jahren hören: Neuendettelsau ist zu einer lutherischen Festung geworden, und seinen Zriny haben die Kinder dieser Welt nur durch Säbelkommando scheinbar tot und unschädlich gemacht, um nach etlicher Zeit desto mehr aufzustehen. Nach 17 Jahren reut es mich noch nicht und wird mich in Ewig nicht reuen, daß ich ein wasserpolakischer lutherischer Zriny in Hönnigern geworden bin. – Freilich aus purer Gnade, ohn all mein Verdienst und Würdigkeit! Amen.
Ewig Ihr in Christo und seinem Zion mitverbundener Mitstreiter
Schwirtz bei Mangschütz in Schlesien,
den 16. September 1851.
Zum Schlusse wird noch die Erklärung abgegeben, daß man auf Seiten Löhes und seiner Gesinnungsgenossen zwar solche meistenteils aus entschieden landeskirchlichen Elementen zusammengesetzte Konferenzen, wie die von Leipzig oder Kulmbach, nicht als Schiedsgerichte über die Frage nach der Berechtigung einer Separation von der Landeskirche anzuerkennen vermöge, daß man aber dennoch keinen Schritt mehr zu thun beabsichtige als durchaus erforderlich sei. „Da uns nun – so schließt das Schriftstück – auf unser sehnliches Bitten um Trost das bayerische oberste Kirchenkollegium die Versicherung gegeben hat, daß die lutherische Kirche in ihrem wesentlichen Bestande nicht angegriffen sei, daß man hingegen fortfahren werde zur Regelung der konfessionellen Verhältnisse das Mögliche zu thun; so gestehen wir zwar frank und frei, daß wir nicht im stande sind die Lage der Sachen so anzusehen, wie unsere Obern; aber wir betonen jene Worte von der Regelung der Verhältnisse und entnehmen der ganzen Antwort die Mutmaßung, daß wir recht thun, uns völlig als lutherisch-konfessionell zu fühlen und darnach zu handeln. Wir wollen also, damit wir zu Narren werden vor denen, die sich weise dünken, noch einmal hoffen und harren was die nahe Zukunft besseres bringt; aber unser Bleiben ist von Einem bedingt, nämlich daß wir
|- 1) alle berührten Übelstände der Abendmahls- und Kirchengemeinschaft als für uns nicht vorhanden,
- 2) diejenigen, welche an ihnen d. i. an den kirchlichen Sünden der bayerischen Protestanten teil nehmen, nicht für lutherisch
- 3) und in unsern amtlichen Verhältnissen jede Kirchen- und Altargemeinschaft mit ihnen für aufgehoben ansehen.
Dürfen wir innerhalb der bayerischen Landeskirche lutherisch sein, so müssen wir lutherisch handeln dürfen; dürfen wir das nicht, so erringen wir nichts und wenn sich alles andere gäbe... Man sagt uns: Gemischte Abendmahlsgemeinschaft findet ihr allenthalben in den lutherischen Landeskirchen! Unsre einfache Antwort ist: „Wo sich gemischte Abendmahlsgemeinschaft findet, ists Unrecht; überall greift sie den Grund an; nirgends ist sie zu loben und nirgends sei sie gelobt! Es brennt uns nicht nach Streit und Unruhe; ach, wie sehnen wir uns nach Ruhe! Aber es sei ferne einen Grundsatz zu verhalten, den mit allem uns zustehenden Ernst zu bekennen und zu befolgen unsre Pflicht uns dringt. – Werfe man uns Hochmut vor, wir liegen doch im Staub vor Gott. Schelte man uns, wie man will; wir schelten uns selbst, wenn auch mit andern Worten; aber wir handeln darum doch nicht anders. Wir harren im Gegenteil durch böse und gute Gerüchte hindurch auf Anerkennung von uns bekannter Wahrheiten. Wir werden mit unsern Gemeinden das Osterlamm des neuen Bundes ferner essen, aber unter feierlichem Protest gegen falsche Abendmahlsgemeinschaft – und wenn es sein muß, stehend, aufgeschürzten Gewandes, den Stab in der Hand.“
Man möchte es dieser Erklärung beim erstmaligen Lesen nicht abmerken, daß sie bei der Entschiedenheit, ja Schärfe, mit welcher namentlich die conditio sine qua non des Bleibens in der Landeskirche formuliert ist, doch einen gewissen Wendepunkt in dem bayerischen| Kirchenkampf bezeichnet, ein Einlenken Löhes von dem bisherigen, konsequent verfolgt, zur Separation führenden Weg zu dem Versuch, sich eine Stellung innerhalb der Landeskirche zu erringen, bei welcher er ohne Sünde wider das Gewissen, wenn auch allzeit zum Aufbruch bereit, „aufgeschürzten Gewandes, den Stab in der Hand“ bis auf weiteres noch in ihrem äußeren Verband bleiben konnte. Hierin liegt der Schlüssel zum Verständnis seiner von da an lebenslänglich behaupteten Stellung zur bayerischen Landeskirche; hier aber auch der Anlaß zu all den Vorwürfen, welche ihm – wegen seiner „auf halbem Wege stehen gebliebenen Inkonsequenz“ von den missourischen Epigonen in Deutschland und ihren Ahnen in Amerika bis zu dieser Stunde gemacht werden. Und in der That, wenn der äußerlich kirchenregimentliche Zusammenhang mit einem landeskirchlichen Organismus, der an dem Übel einer zwar nicht rechtlich, aber doch faktisch, zwar nicht als Regel, aber doch als häufige Ausnahme bestehenden Abendmahlsmengerei krankt, an sich und unter allen Umständen verdammliche Sünde ist und es keinen andern Weg gibt, um sich der Teilnahme an solchen „fremden Sünden“ zu erwehren, als die Separation, dann bleibt dieser Vorwurf auf Löhe lastend. Wir geben zu, daß für den, der erst im Begriff steht in einen solchen Organismus einzutreten, die Frage anders liegt, als für einen, der sich – beim Erwachen von Gewissensbedenken bereits in demselben vorfindet. Letzteres war Löhes Fall, und wir kennen seine Überzeugungen von der Heiligkeit des zwischen dem Hirten und der ihm anvertrauten Gemeinde bestehenden Verhältnisses. Mit Rücksicht hierauf formulierte sich ihm sein kirchliches Programm, dem er zeitlebens treu blieb, von da an folgendermaßen: „Keine aktive Teilnahme an den Unionssünden des Ganzen, Übung konfessioneller Treue und streng lutherisches Handeln in dem göttlich angewiesenen Berufe, Protest und Zeugnis mit Wort und That gegen die Sünden der Gesamtheit und Ergebung in alle| daraus erwachsenden Leidensfolgen.“ Daß dieser Weg ein „dornenvollerer sei als der des einfachen Austritts“ sagte Löhe schon damals voraus. Und in der That hat seine lebenslang eingenommene Kämpferstellung gegen alles unionistische Wesen und sonstige landeskirchlichen Sünden ihm Mühsal und Bitterkeit genug eingetragen und sein amtliches Leben ihm zu einer Art langwierigen Martyriums gemacht. Warm und wohl ist ihm auf seinem königlich bayerischen Pfarrerssitz nicht geworden. Ein Jahrzehent später noch sah er sich aufs neue vor die Frage des Austritts gestellt. Er aß Seines HErrn Passah in der Landeskirche als ein „Hinwegeilender“, allezeit, wenn nötig, zum Aufbruch bereit.Nach diesen Vorbemerkungen wird die erneute Eingabe Löhes und seiner Gesinnungsgenossen d. d. Schwabach den 9. Oktober bei unseren Lesern eine richtigere Würdigung erfahren, als sie seiner Zeit – freilich nicht ohne Schuld ihres Verfassers – bei der obersten Kirchenbehörde Bayerns fand. Wir lassen die Eingabe hier folgen:
Betreff: Unterthänigst gehorsamste Danksagung und Bitte der Unterzeichneten, die Aufhebung der Abendmahlsgemeinschaft verschiedener Konfessionsverwandten betreffend. |
Die unterthänigst gehorsamst Unterzeichneten erkennen hiemit voll innigen Dankes die väterliche Mildigkeit, mit welcher das Königliche Oberkonsistorium ihre Eingabe vom 2. Juli l. J. zu bescheiden geruhte; und sie können weder, noch wollen sie es unterlassen, ihre ungeheuchelte Danksagung andurch vor ihren Obern laut werden zu lassen.
Zwar können und dürfen sie nicht verbergen, daß sie in diejenige Auffassung der bayerischen kirchlichen Zustände, welche ihnen das Königliche Oberkonsistorium kund gegeben hat, wegen vieler und wichtiger Gründe nicht eingehen können, daß sie eine andere Überzeugung haben. Sie äußern dieses mit Ehrerbietung| und Bescheidenheit, weil sie glauben, daß sie vor allen Dingen ein aufrichtiges Herz ihren Obern entgegenbringen müssen. Aber sie nehmen die gnädige Behauptung ungekränkten Bestandes einer lutherischen Kirche in Bayern als eine Bürgschaft für die lutherisch kirchliche Entschlossenheit ihrer Oberen – und die Verheißung unablässigen Bemühens, eine rein konfessionelle Partikularkirche herzustellen, begrüßen sie mit der fröhlichen Überzeugung des Gelingens und schönsten Sieges. Im Vertrauen auf jene Behauptung und diese Verheißung erklären sie hiemit, auch noch fernerhin im Komplex der Landeskirche verharren, der Besserung warten, der Kirche und ihren Gemeinden mit der altbewährten Treue und dem alten Gehorsam dienen zu wollen, dessen sie sich allerdings bewußt sind.Nur Ein Stück ist es, in welchem wir unaufhaltsam gedrängt werden, welches in der alten Weise zu tragen unser Gewissen auf das tiefste verletzen würde. Es ist die Abendmahlsgemeinschaft mit den Unierten und Reformierten. Diese erkennen wir für keinen bloßen Not- oder Ausnahmszustand, auf unserem Gewissen lastet sie als Sünde, mit der kein Bund zu schließen, welcher abzusagen ist so bald als möglich und in jeder Weise. So entschieden unser Wille ist, der weiteren Entwickelung einer wahrhaft lutherischen Kirche Bayerns mit Vertrauen auf das Königliche Oberkonsistorium ferner zu harren und zu warten, ebenso entschieden müssen wir unsern väterlichen Oberen bekennen:
- Daß wir keine Abendmahlsgemeinschaft mit Reformierten und Unierten anzuerkennen vermögen,
- daß wir keinen Pfarrer oder anderen Christen, welcher bewußtermaßen in solcher Abendmahlsgemeinschaft steht, für lutherisch halten,
- daß wir in allen unseren „amtlich-praktischen“ Verhältnissen dieser unserer Überzeugung Folge geben müssen, so schwer, seufzer- und thränenreich für uns selbst dies hie und da werden kann.
In tiefster Ehrfurcht verharren
Eines Königlichen protestantischen Ober-Konsistoriums
W. Löhe | Pfarrer zu | Neuendettelsau |
E. Stirner | " in | Fürth |
F. Wucherer | " " | Nördlingen |
Fischer | " " | Aufseß |
Volk | " " | Rügland |
Rödel | " " | Mengersdorf |
Fischer | " " | Artelshofen |
Bauer, Katechet | " | Nürnberg |
Semm, Verweser | " | Memmingen. |
Für Löhe war diese thätige Teilnahme seiner Gemeinde an seinem kirchlichen Gang von Wert, er wußte nun, daß er bei seinen weiteren Schritten an ihr einen Rückhalt habe. „Darin ist – schrieb er um diese Zeit – meine Gemeinde Eins, daß eine Gemeinschaft mit andern Konfessionen am Tisch des HErrn nicht statthaben solle. Mit aus diesem Grunde halte ich die hiesige Gemeinde für eine lutherische im Komplex der Landeskirche und stehe ihr vor.“
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