« Antwort des Kirchenregiments und neue Petitionen Johannes Deinzer
Wilhelm Löhes Leben (Band 2)
Die Wendung zum Besseren »
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Die Krisis.
 Indessen schien gerade jetzt, wo Löhe zu einem gemäßigteren modus procedendi einzulenken begonnen hatte, sein Gegensatz zur Landeskirche zu einem unheilbaren Bruch sich erweitern zu wollen. Die kategorische Formulierung der Bedingungen in der Schwabacher Eingabe, von welcher er sein ferneres Verbleiben innerhalb der Landeskirche abhängig machte, namentlich die im Ausdruck allerdings unglücklich geratene Erklärung, daß er und seine Gesinnungsgenossen ihrer Überzeugung (keinen Pfarrer oder andern Christen, der bewußtermaßen in unierter Abendmahlsgemeinschaft stehe, für lutherisch halten zu können) „in allen amtlich-praktischen Verhältnissen folge geben müßten“, wurde von der Kirchenbehörde so aufgefaßt, als begehre Löhe für sich und seine Freunde eine mit der kirchlichen Ordnung unverträgliche Sonderstellung innerhalb der Landeskirche zu schaffen. Auch Freunde Löhes nahmen an der die radikalste Auslegung zulassenden Unbestimmtheit dieses Ausdrucks Anstoß. „Eurer Eingabe – schrieb Dekan Bachmann an Löhe – würde ich mich natürlich namenlos freuen, wenn nicht die im ersten Teil| gegebene Hoffnung, Euch zu behalten, im zweiten geradezu wieder genommen würde. Denn das kann ich mir doch nicht denken, daß das Oberkonsistorium seine eigene Absetzung dekretieren wird, was faktisch geschehen wäre, wenn sie Eure Erklärung acceptierten. Ein solch extremer Schritt ist für den Augenblick und unmittelbar auf die von dem Oberkonsistorium gegebene Erklärung hin, daß sie die hie und da noch bestehende Zulassung Reformierter und Unierter zum lutherischen Abendmahl für einen Übelstand hielten, den sie so bald als möglich zu beseitigen bedacht sein würden, aber nur nicht über Nacht beseitigen könnten, ich meine doch, mehr als zu scharf.“
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 Auch Professor Delitzsch schrieb Löhe am 22. Oktober 1851: „Ihre Erklärung (mit allen, welche Abendmahlsgemeinschaft mit Reformierten und Unierten pflegen in allen amtlich-praktischen Beziehungen die Gemeinschaft abzubrechen) ist so unbestimmt weit, daß Ihr Verbleiben in der Landeskirche ebenso inkonsequent als unmöglich scheint, in dem Falle nämlich, daß die amtlich-praktischen Beziehungen sich auf den geschäftlichen Verkehr, auf die äußere kirchenregimentliche Ordnung mitbeziehen. Diese Klage über die Unbestimmtheit Ihrer Erklärung habe ich allenthalben vernommen.“ Und etwas später schreibt er: „Es ist in Ordnung, daß Sie mit den betreffenden Mißständen unverflochten, unverworren bleiben wollen. Es ist wahr, daß diejenigen, welche diese Mißstände hegen und pflegen, nicht für lutherisch in dem vollen Sinn des Worts zu halten sind; sie geben dem nicht praktische Folge, was sie bekennen. Aber warum sollen sie schlechthin nicht lutherisch sein, wenn sie sich mit Herz und Mund zu unserm Bekenntnis bekennen? Legen wir doch alle Worte auf die Wage des Heiligtums! Und Nr. 3 (die dritte Bedingung anlangend) ist es da nicht genug, wenn Sie die Altargemeinschaft aufheben und die Fälle, wo auch andere kirchliche Beziehungen abzubrechen sind, der Zukunft und der Führung Gottes überlassen? War jenes, „in allen amtlich-praktischen Beziehungen“| nicht allzuweit? Erleidet es nicht durch Ihre eigene mir gegebene Auslegung eine bedeutende Restriktion? Über der Fassung der Schwabacher Eingabe und Schwabacher Erklärung hat ein Unstern gewaltet. Bei jener ists allzu schnell gegangen und diese schlägt mit Keulen drein. Viele haben an jenen beiden Schriftstücken die Eigenschaften der ἄνωθεν σοφία mehr oder weniger vermißt... Ist denn kein Balsam in Gilead? Ich hoffe, Sie werden ihn finden und in die Wunden der Kirche träufeln.“

 Sehr abstechend von dem Tone dieser brüderlichen Kritik war eine im Novemberheft der Zeitschrift für Protestantismus und Kirche vom Jahre 1851 erschienener Aufsatz, der, an schneidender Schärfe seines Gleichen suchend, die Schwabacher Eingabe Löhes und seiner Freunde als eine Verhönung des kirchenregimentlichen Erlasses vom September 1851 bezeichnet und ihr Verhalten der Unwahrhaftigkeit und Unredlichkeit bezichtigt. Löhe unterließ es auf diesen Angriff zu antworten, hatte aber die Genugthuung, seinen Freund Dr. Layriz (der übrigens seine kirchliche Stellung in vieler Hinsicht nicht teilte) mit einen mannhaften Protest für ihn in die Schranken treten zu sehen.

 Bereits am 5. November erfolgte jedoch der sehr kategorisch gehaltene Bescheid des Oberkonsistoriums auf die Schwabacher Eingabe. Wir lassen ihn hier folgen.


Im Namen Seiner Majestät des Königs.

 Auf die von den Pfarrern Löhe in Neuendettelsau, Stirner in Fürth, Wucherer in Nördlingen, Fischer in Artelshofen, Volk in Rügland, Fischer in Aufseß und Roedel in Mengersdorf, sodann von den Kandidaten Friedrich Bauer in Nürnberg und Wilhelm Semm in Memmingen unmittelbar hieher gerichtete Eingabe vom 9. Oktober d. J. „die Aufhebung der Abendmahlsgemeinschaft verschiedener Konfessionsverwandter betreffend“ wird Nachstehendes erwidert:

 Bei dem Erlasse der Entschließung vom 19. September d. J., die Aufhebung der kirchlichen Vereinigung und der Abendmahlsgemeinschaft mit den Reformierten und Unierten betreffend, hatte das Königliche Oberkonsistorium gehofft, daß es durch die in jener Entschließung gegebene Erklärung die irrigen| Ansichten der Petenten über den Rechtsbestand der lutherischen Landeskirche in Bayern berichtigen und ihre Gewissensbedenken über die hinsichtlich der Abendmahlspraxis bestehenden Ausnahmszustände beruhigen werde.

 Inhaltlich der erwähnten Eingabe vom 9. Oktober d. J. ist diese Hoffnung nicht erfüllt worden. Zwar erklären die Beteiligten „noch ferner in dem Komplex der Landeskirche verharren“ zu wollen, und haben demnach ihren Entschluß aus derselben auszutreten aufgegeben. Aber zugleich hat aus jener Eingabe mit großem Bedauern entnommen werden müssen, daß die Unterzeichner derselben nicht nur bei ihrer irrtümlichen Auffassung der landeskirchlichen Verhältnisse beharren, sondern auch dieser ihrer Auffassung die Folge geben, daß sie keinen Pfarrer oder andern Christen, welcher bewußtermaßen an der von ihnen für Sünde, für den schwärzesten Flecken in unsern kirchlichen Verhältnissen erachteten sogenannten Abendmahlsgemeinschaft von Lutheranern, Reformierten und Unierten teilnehme, für lutherisch halten können, und dieser ihrer Überzeugung in allen ihren amtlich-praktischen Verhältnissen Nachkommen zu müssen erklären.

 Das Königliche Oberkonsistorium ist weit entfernt, dem Gewissen Einzelner, wenn sie in besonderen Fällen und bei Ausübung ihres nächsten und unmittelbaren Berufes in nicht zu hebende Bedenken kommen sollten, eine thunliche Rücksicht nicht angedeihen lassen zu wollen. Aber daß einzelne als ein Recht ansprechen und dieses Recht sich selbst nehmen, in ihren amtlich-praktischen Verhältnissen ihr subjektives Urteil zum Maßstab ihres Handelns selbst bis zur Aufhebung der Kirchengemeinschaft zu machen, und damit innerhalb der Landeskirche eine Sonderstellung sich anzueignen, kann von der obersten Kirchenstelle nicht gestattet werden, indem auf solche Weise die ganze kirchliche Ordnung gefährdet, die kirchenregimentliche Leitung unmöglich gemacht und ein Verfahren eingeführt werden würde, das, wenn es in der Kirche sich geltend machen dürfte, kaum zu berechnende Verwirrungen und Zerrüttungen in steigendem Maße erzeugen müßte.

 Hienach sieht sich die oberste Kirchenstelle genötigt, an die Unterzeichner der Eingabe vom 9. Oktober d. J. die ernste Aufforderung ergehen zu lassen, daß sie, nochmals mit ihrem Gewissen zu Rate gehend, entweder der Landeskirche ohne die aufgestellten, die kirchliche Ordnung und Gemeinschaft verletzenden Bedingungen sich treu und gehorsam wieder anschließen oder ein Amt niederlegen, das sie bei dem Beharren auf diesen Bedingungen nicht mehr würden führen können, etc. etc.

 München, den 5. November 1851.

Königliches protestantisches Oberkonsistorium
v. Arnold.
Friedrich.


|  Eine Alternative ernstester Art war Löhe und seinen Freunden dadurch gestellt. Er beantwortete das drohende „aut-aut mit einem entschiedenen nec-nec“. Noch wenige Wochen vorher würde seine Antwort anders gelautet haben. Bei seiner Sehnsucht nach Erlösung von allen landeskirchlichen Nöten und Übelständen würde er in dem Bescheid des Oberkonsistoriums einen willkommenen Wink zum Gehen gefunden haben. Wir haben schon gelegentlich die Gesichtspunkte angedeutet, unter welchen sich in ihm die innerliche Wendung vollzog. Doch lassen wir ihn hierüber sich selbst aussprechen. In einem Brief an Baron von Maltzan vom 21. Oktober 1851 schreibt er: „Wir hofften nichts mehr; wir hatten schon für Miete gesorgt; ich hatte eine sehr schöne, große Gartenwohnung in Nürnberg in Aussicht etc. etc. Da traten zwei Wendepunkte ein. In meiner Gemeinde entstand Rumor. Böse und Gute schalten über mich; sie seien auch lutherisch, wollten es sein und bleiben – und wenn Ursach zu gehen sei (sagten die Kirchenvorsteher, vierzehn christliche Männer), so giengen sie mit, aber für den Pfarrer sei es keine Art, ohne sie davon gehen zu wollen. Ebenso redeten die Kirchenvorsteher der benachbarten Pfarrei Rügland zu meinem Freund, Pfarrer Volk. Die beiden Kirchenvorstände der zwei Pfarreien vereinigten sich zu gemeinsamem Handeln. Nun kam vor Thorschluß eine... Erklärung des Oberkonsistoriums: Die Kirche sei lutherisch, sie wollten abthun, was dem lutherischen Wesen widerspräche. (Nachdem Löhe hierauf über die in Schwabach abgefaßte Erklärung vom 9. Oktober berichtet, fährt er fort:) In gleichem Sinn erklärten sich die beiden Gemeinden, andere Gemeinden kommen gemach hinter uns. Wird nichts geschehen, so wird wohl darauf zu dringen sein, daß unsre Gemeinden ein eigen Regiment bekommen. In diesem Weg, den Gott uns führt, liegt – scheint mir – eine große Stärke. Man hatte uns schon sagen lassen, man würde uns die Erlaubnis zur Gemeindebildung nicht geben.| Wie aber nun? Nun stehen Gemeinden da, schon gebildete, und sprechen wie ihre Pfarrer. Es gibt Pfarreien und Kirchenvorstände, welche denken wie wir. Es gibt etliche hundert zerstreute Gleichgesinnte. Alle, ein jeder an seinem Ort – werden sich gegen die reformierten, unierten Mißgebilde erheben und eine Arbeit des Ausfegens beginnen, die auf die eine oder andere Weise reüssiert. Gott segne!“
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 Und an Wucherer schreibt er unter dem 29. November 1851: „Ich glaube durch eine heiße Zeit hindurch klarer geworden zu sein als ich war. Ich war auch in statu tentationis, wie unser Herr weiß, aber mitten drin war mir klar, daß ich nicht anders konnte als ich konnte. Weil das Oberkonsistorium gesagt hatte, die (bayerische) Kirche sei lutherisch und die Gemeinden uns nicht lassen wollten, es sich zeigte, daß es lutherische Gemeinden gab, mußte man bleiben und die Probe machen, das lutherische Recht vindicieren und nur der Gewalt weichen. Die Lage vorher war nicht die Lage seit Ende September: das scheint mir einfach. Können wir nun eine konfessionell-sakramentliche Sonderstellung erringen, so helfe uns Christus im Elend der Landeskirche weiter; können wirs nicht, so wird man uns nicht dulden. Immerhin liegt eine Verstandesinkonsequenz da, denn ich wenigstens sehe keine lutherische Kirche in Bayern und bleibe, wo ich eigentlich nicht bleiben kann, (nur) weil ich eine Sonderstellung im Sakrament habe – und meine Gemeinde (bis jetzt) mit mir geht. Aber es ist eben in der Welt gar oft, daß man konsequent in Lieb und Treue ist mitten durch Verstandesinkonsequenzen hindurch. Die nächsten Tage werden vielleicht manches klar machen. Das Oberkonsistorium kann nicht schweigen, schwiege es, so trüge ichs nicht. Ihm ist auf sein aut-aut ein nec-nec gekommen, ernster als sie es uns gaben. Giebt man uns die sakramentliche Sonderstellung, so haben wir in Gott einen Sieg, der andere verbürgt. Mehrt sich dann die Schar, treten andere| ernstlich ein, werd ich dadurch meiner Pflichten entbunden, so würde ich mit Freuden eine Führung Christi annehmen, die mich an einen Ort führte, wo man nicht erkämpfen muß, was sich von selbst versteht und wo man sein bischen Kraft zu friedlichem Bau anwenden kann. Dominus providebit!

 In diesem Sinne gab Löhe denn auch unter dem 20. November 1851 seine Erklärung auf das Reskript des Oberkonsistoriums ab. Wir geben das etwas umfängliche Aktenstück hier mit Auslassung einiger unwesentlichen Partieen wieder. Löhe begründet zunächst die teilweise Änderung in seinen Anschauungen mit der seit dem Oberkonsistorialreskript vom 19. September 1851 und der kirchlich entschiedeneren Haltung seiner Gemeinde für ihn eingetretenen Änderung der Sachlage, erläutert dann den Ausdruck der Schwabacher Eingabe, der hauptsächlich der Stein des Anstoßes geworden war, das „amtlich-praktisch“ dahin, daß damit kein Abbruch der pfarramtlichen Beziehungen, auch keine Lossagung von dem synodalen und kirchenregimentlichen Verband, sondern nur eine „konfessionelle und sakramentliche Sonderung“ gemeint gewesen sei, wie sie die lutherische Kirche unter einem verfassungsmäßig kombinierten Kirchenregimente notwendig haben muß. Hierauf fährt die Eingabe wörtlich fort:


 Mag es nun immerhin in unserer Zeit ungewohnt sein, auf sakramentliche Vereinigung der Kirche dringen zu sehen, und können wir auch nicht verlangen, daß eine von den meisten längst vergessene Sache schnell in ihrer Wichtigkeit erkannt und wieder geläufig werde, so haben wir dafür auch der Geduld schon Scepter und Regiment vertraut. Verlangten wir doch fürs erste nur für uns selbst, lutherisch handeln zu dürfen, und zwar nur im Beichtstuhl und am Altare! Wollten wir doch, wenn wir uns nur der Sünde erwehren dürften, wenn wir nur mit unserem tatsächlichen, für unser Gewissen notwendigen Protest geduldet, geschont, getragen würden, gerne auf unsere in konfessionellen Dingen noch unentschiedenen Brüder warten! Geradeso schien uns Wahrheit und Liebe, Gerechtigkeit und Barmherzigkeit gewahrt und gepaart. Für uns entschieden,| für das gesamte lutherische Volk bittend, so und nicht anders nahten wir uns dem königlichen Oberkonsistorium am 9. Oktober.

 Dabei sahen wir allerdings vorher, daß wir bei praktischer Befolgung unserer Grundsätze manchen Bruder schmerzlich berühren und selbst schmerzlich berührt werden würden. Wenn auch niemand bei einiger Kenntnis unserer Sache uns die Auflage machen kann, als hätten wir den Bann üben wollen (wie könnte das auch geschehen, da der Bann das Ende eines Prozesses ist, den wir nicht einmal einleiten können, und die lutherische Kirche von einem Bann über unbekannte Personen oder Haufen nichts wissen will); wenn ferner uns völlig gewiß ist, daß wir in keinerlei Weise Unordnung anrichten wollen; so können wir doch nicht vermeiden, alte Unordnung aufzuzeigen, anzugreifen und so Gefühle zu erzeugen, welche nicht von der Ordnung den Namen haben können. Wir haben es aber nicht verschuldet, daß wir so viel konfessionelle und sakramentliche Verwirrungen fanden. Wir wußten so vielen Jammer nicht, der uns nun erscheint! Wir hätten z. B. nie daran gedacht, daß im Organisationsedikt für die Pfarrämter der Stadt Nürnberg d. d. 10. April 1810 (wiederholt bekannt gemacht im Nürnberger Intelligenzblatt von 1833 Nr. 104 vom 4. September § 6 und 7 vom königlichen Generalkommissariat des Pegnitzkreises als Generaldekanate) sakramentliche Union der Nürnberger Lutheraner und Reformierten geradezu intendiert und angeordnet sei. Und doch ist es so! Wir hätten noch vor wenigen Wochen nicht geglaubt, daß wir es mit so gar vielen sakramentlichen Mißbräuchen aufzunehmen hätten. Leider liegt in dem unvermuteten Funde nur eine neue Bestätigung, daß unser Gewissen kein irrendes sei.

 Nach diesem allen erlaube das königliche Oberkonsistorium dem unterthänigst gehorsamst Unterzeichneten seine Erklärung auf das hohe Reskript vom 5. d. Mts. in folgender Weise abzugeben:

 Die so erläuterten in der Eingabe vom 9. Oktober niedergelegten Grundsätze, welche kirchliche Ordnung und rechte Gemeinschaft der Kirche nicht stören können, weil sie ja vielmehr selbst Säulen kirchlicher Ordnung sind, vermag ich nicht aufzugeben. Sind sie doch nicht subjektiv, sondern nachweisbar Eigentum der lutherischen Kirche von Anfang her.

 Ebensowenig kann ich bei dem Bewußtsein treuen Willens mein Amt in der hiesigen Gemeinde niederlegen, da zumal der gesamte Kirchenvorstand samt dem besseren und größeren Teil der Gemeinde durch ihre Unterschrift zur Eingabe des Kirchenvorstandes vom 12. Oktober meine Stellung im allgemeinen für recht erkannte.

|  Ich trage seit langer Zeit schwer an meinem Amte und meinem Fleische würde wohl sein, wenn ich es nicht mehr hätte, ich fühle mich aber der hiesigen Gemeinde seit der Eingabe vom 12. Oktober, so gering man die Unterschriften anschlage, dennoch mehr als je verbunden. Wie sollte ich nun auf das sehen was meinem Fleische gefiele. Im Gegenteil ich will unter der herzlichen Bitte, dies Verhältnis ungestört, unangetastet zu belassen, lieber noch einmal möglichst klar und deutlich sagen, wie ich mir die „konfessionellsakramentliche“ Sonderstellung lutherischer Pfarrer und Gemeinden in Bayern denke:
1) ich werde nimmermehr einem Reformierten oder Unierten das heilige Abendmahl reichen.
2) Ich werde es keinem reichen, der in reformierter oder unierter Abendmahlsgemeinschaft gestanden, ohne ihn vorher belehrt, vermahnt, zur Erkenntnis und zum Bekenntnis seines Irrtums und seiner Sünde gebracht zu haben.
3) Ich kann die Abendmahlsgemeinschaft mit Fremdgläubigen, wie und wo sie bestehe, nicht als Notstand, sondern ich muß sie als Sünde anerkennen, gegen sie zeugen, vor ihr warnen.
4) Ich kann darum auch keinen Christen oder Pfarrer für wahrhaft lutherisch erkennen, der solche Abendmahlsgemeinschaft hält oder in Schutz nimmt, ich muß ihn davon abmahnen, so viel ich kann.
5) Ich muß daher jeden lutherischen Christen, welcher seinem Pfarrer wegen gemischter Abendmahlsgemeinschaft das Beichtverhältnis gekündigt hat, und mir davon und von Einhaltung der im Amtshandbuch vorgeschriebenen Form Beweis und Nachweis bringt, an meinem Altar aufnehmen und in seiner Entschiedenheit stärken, wenn er zu mir kommt, Annahme begehrt und sonst gutes Zeugnis hat.
6) Endlich muß ich in und gegenüber allen Kreisen, denen ich angehöre, die Wahrheit bezeugen, auch Synoden und kirchliche Behörden, bis ich Erhörung finde, bitten und anflehen, dem sündlichen Mißstande ein baldiges Ende zu setzen.
7) Ebenso erkenne ich es für meine unerläßliche Pflicht, gegen alle anderen konfessionellen Übelstände und Mängel zu zeugen, zu beten und zu bitten, bis der Herr erhört und Besserung kommt.
 Aus den eben vorgelegten Sätzen wird das königliche Oberkonsistorium gewiß eben so sehr den treuen Willen, der Überzeugung nichts zu vergeben, als seiner Gemeinde ferner zu dienen an dem unterthänigst gehorsamst Unterzeichneten erkennen. Doch ist keineswegs zu verkennen, daß bei den gegenwärtigen Verkehrsverhältnissen die einzelne Gemeinde mit dem großen Ganzen und dessen| anderweitigen Teilen in tausendfache Berührung kommt. Es ist daher auch keine Frage, daß auch von der einzelnen Gemeinde aus auf weitere Kreise eine Bewegung übergehen kann, welche wehethuende Berührungen mit ungleichartigen Elementen herbeiführt und aller Entschlossenheit, nur innerhalb des gemeindlichen Kreises zu wirken, spottet...

Hiemit lege ich alles Weitere in die Hände der gnädigen Oberen und Christi, bete zum Herrn und bitte die Oberen um Abschaffung der sündlichen Mißbräuche im Sakrament und hoffe mit andern gleichgesinnten Geistlichen in der Übung derjenigen kirchlichen Treue belassen zu werden, die wir vor Gott und Menschen verantworten können.

 Mit schuldiger Hochachtung und Ehrerbietung verharrt
 des königlichen Oberkonsistoriums

unterthänigst gehorsamster Pfarrer 
Wilhelm Löhe. 


 In ähnlicher Weise wie Löhe – nur teils schärfer, teils milder – erklärten sich auch seine Freunde. „Von den Eingaben meiner Freunde sind manche wunderschön, meine ist leider ziemlich diplomatisch-kühl“ schreibt Löhe. Nur Einer aus der Zahl der Unterzeichner der Schwabacher Erklärung fehlte bei diesem unter den ernstesten Umständen abgelegten Zeugnis. Es war der Pfarrverweser W. Semm von Memmingen, der wegen seiner entschiedenen Weigerung, an den Altären der mit Reformierten vielfach durchsetzten Memminger Pfarrgemeinden das Sakrament zu verwalten, vom Konsistorium einfach entlassen wurde. „Er aber zog seine Straße fröhlich“ und fand bald bei den Lutheranern in Preußen eine neue kirchliche Heimat und berufliche Thätigkeit.

 Von der lutherisch gesinnten Geistlichkeit waren im Stillen wohl manche auf Löhes Seite, ohne doch – bei dem drohenden Ernst, den die Kirchenbehörde nun an den Tag legte, – ein öffentliches Zeugnis für ihn zu wagen. Zu denen, welche sich jedoch nicht scheuten, sich zu Löhe und der in seinem Konflikt mit dem Kirchenregiment von ihm vertretenen Wahrheit zu bekennen, gehörten| die beiden damals eben in Deutschland anwesenden Delegaten der Missourisynode, Professor Walther und P. Wyneken. Dieselben waren anfangs November in München und hatten bereits Aussicht, für ihren Kollege-Bau in St. Louis eine Kollekte in Bayern bewilligt zu erhalten. Als ihnen jedoch ein Konsistorialrat das an die Unterzeichner der Schwabacher Erklärung (scherzweise von denselben „unsre Schwabacher Artikel“ genannt) unter dem 5. November erlassene Reskript vorlas, schrieben sie von ihrem Gasthof aus an den Oberkonsistorialrat, daß sie unter diesen Umständen auf die verheißene Kollekte verzichteten, und reisten sofort von München ab, worauf Löhe sich für sie bei seinem Freund v. Maltzan verwendete, um ihnen durch dessen Vermittlung für die in Bayern entgangene Kollekte einigen Ersatz zu verschaffen. Die Kollekte in Mecklenburg ertrug die namhafte Summe von 2337 Gulden 30 Kreuzer.
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 Die Erwartung, was das Oberkonsistorium auf die Eingaben Löhes und seiner Freunde für einen Bescheid geben würde, hielt alle Gemüter in Spannung. Es fehlte nicht an gewichtigen Stimmen, welche die oberste Kirchenbehörde, die nicht übel Lust zu einem raschen und gewaltsamen Vorgehen zeigte, zu einem säuberlicheren Verfahren mahnten. Dies geht auch aus einem Briefe hervor, den Harleß, damals Oberhofprediger in Dresden, am 15. Dezember 1851 an Löhe richtete und in welchem es unter anderem heißt: „Was die bayerischen Zustände betrifft, so sage ich mit Dir: Dominus providebit. Es hat, wie ich jüngst hörte, Einer aus Erlangen eine dringliche Vorstellung nach München gerichtet, daß man dort wohl zusehen möge, was man thue. Mich selbst brennt die peinliche Ungewißheit, nicht zu wissen was ich etwa thun könne. Es könnte allenfalls nur einer auf mich hören, der König; aber ich weiß nicht, ob ich es versuchen soll. Dir mute ich nicht zu, mir hierin einen Rat zu geben, wenn Gott nicht Dir dazu das Herz freudig macht. Sonst kenne und durchschaue ich das ganze Elend,| das auch mir das Herz zerschneidet. An Warnungen habe ich es nicht fehlen lassen, aber bis jetzt noch nicht einmal eine Antwort. Und doch ist mir das Heimatsland so ans Herz gewachsen.“

 Auch Professor Delitzsch schrieb am 2. Januar 1852 an Löhe: „Noch einmal bitte ich Sie, mir schleunigst Nachricht zu geben, sofern von oben etwas eingehen sollte. Formuliert man ein neues Dilemma, so steh und fall ich mit Ihnen. Denn in einer Kirche, welche die von Ihnen in der letzten Eingabe in Anspruch genommene gewissensmäßige Freiheit verpönt, könnte ich auch nicht bleiben.“

 Noch ehe auf die in vorstehendem Briefe erwähnte letzte Eingabe Löhes der Bescheid der obersten Kirchenbehörde eingetroffen war, sah sich Löhe in Befolgung der in derselben ausgesprochenen Grundsätze in einen herben Gegensatz zu Professor Thomasius gedrängt. Mehrere, der sogenannten Philadelphia angehörige Studenten, fast lauter Ausländer, die der separiert lutherischen Kirche Preußens angehörten oder ihr sich anzuschließen in Begriff standen, hatten vergebens zu wiederholten Malen Professor Thomasius um Herstellung einer streng konfessionellen Abendmahlspraxis gebeten und ihn namentlich ersucht, unierte Studenten aus der preußischen Landeskirche nicht ohne das Versprechen der Lossagung von der unierten Kirchengemeinschaft zum heiligen Abendmahl zuzulassen. Da Thomasius sie mit ihrem Begehren abwies, erklärten sie ihm, an dem Abendmahl der Universitätskirche gewissenshalber keinen Anteil nehmen zu können und baten Löhe, ihnen das Sakrament zu reichen. Dies that er denn auch nach eingehender Prüfung des Falls. Vom Konsistorium zu Ansbach hierüber zur Rechenschaft gezogen, verantwortete sich Löhe in einer gründlichen mit Belegen aus älteren lutherischen Kasuistiken reichlich ausgestatteten Erklärung vom 14. Januar, 1852 in der er seinen Standpunkt verteidigte und das Ungenügende des gegnerischen Standpunktes nachwies. Er fand es für nicht ausreichend, daß Professor Thomasius – allerdings| im Fortschritt gegen seine anfängliche Praxis – sich entschlossen hatte, keinem Reformierten das heilige Abendmahl zu reichen, lutherisch gesinnten Unierten aber nur gegen Versprechen der Bekenntnistreue, doch ohne von ihnen völlige Absage der unierten Kirche zu verlangen. Unter solchen Umständen – meinte Löhe – könne die ganze Fraktion der unierten Lutheraner Preußens in Erlangen zum heiligen Abendmahl gehen, in Preußen selbst aber desto gewisser der lutherischen Kirche gegenüber stehen; hier liege eine Prinzipienfrage vor, die von den beteiligten lutherischen Kirchengemeinschaften außerhalb der Landeskirchen richtig erkannt und streng gewogen werde etc.

 Diese Rechenschaft, für welche er durch sein gründliches Studium der lutherischen Kasuistik sich wohl gerüstet wußte, gab Löhe in einer Erklärung vom 14. Januar 1852, aus der wir im Anhang das Wichtigste mitteilen.

 Diese Erklärung Löhes war jedoch noch nicht abgegangen, als ein vom 7. Januar 1852 datierter Erlaß des Oberkonsistoriums als Bescheid auf die letzte Eingabe Löhes und seiner Gesinnungsgenossen vom 20. November 1851 eintraf. Wir lassen ihn hier folgen.


Im Namen Seiner Majestät des Königs.

 Die in Folge der Oberkonsistorialentschließung vom 5. November vorigen Jahres in bezeichnetem Betreffe eingelaufenen Erklärungen des Pfarrers Löhe zu Neuendettelsau und der übrigen untengenannten Geistlichen bestimmen die oberste Kirchenstelle zu nachstehendem Bescheide.

 Als das Oberkonsistorium in seiner Entschließung vom 5. November vorigen Jahres, die Unhaltbarkeit der Verhältnisse hervorhob, in welche sich jene Geistlichen versetzen müßten, wenn sie innerhalb der Landeskirche eine, den Ordnungen derselben zuwiderlaufende Sonderstellung sich zueignen und gleichwohl in ihren kirchlichen Ämtern verbleiben wollten, hegte es die Erwartung, daß der Ernst dieser Entschließung die wohlmeinende Ermahnung vom 19[.] September vorigen Jahres verstärken und die Petenten veranlassen werde, nach nochmals angestellter Erwägung zu vollständiger Anerkennung der kirchlichen Ordnung zurückzukehren.| Allein die eingekommenen Erklärungen haben jene Erwartung leider nicht bestätigt.

 Wenn auch in einigen Eingaben eine Erläuterung versucht wird, so bleibt doch kein Zweifel übrig, daß jene Geistlichen sämtlich auf dem wesentlichen Inhalt ihrer früheren Eingaben beharren. Demnach muß angenommen werden, daß sie in folgenden Punkten übereinstimmen:

1) daß jede, auch die durch unvermeidliche Verhältnisse herbeigeführte ausnahmsweise Zulassung einzelner Reformierter und Unierter zum Abendmahl nach lutherischem Ritus eine unerträgliche Sünde sei;
2) daß sie keinen Christen und keinen Pfarrer, der solche ausnahmsweise Abendmahlsgemeinschaft hält oder in Schutz nimmt, für wahrhaft lutherisch zu erkennen im stande seien;
3) daß sie keinen der lutherischen Kirche angehörigen Christen, welcher gemeinschaftlich mit Reformierten oder Unierten das heilige Abendmahl genossen, zur Kommunion annehmen wollen, ohne ihn vorher zur Erkenntnis und zum Bekenntnis seines Irrtums und seiner Sünde gebracht zu haben;
4) daß sie jeden, der seinem Pfarrer wegen gemischter Abendmahlsgemeinschaft das beichtväterliche Verhältnis nach Einhaltung der vorgeschriebenen Bestimmungen gekündigt hat, zur Kommunion annehmen und in seiner Entschiedenheit stärken wollen.

 Bei solcher, in diesen Erklärungen angekündigten Verhaltungsweise kann die Ordnung und der Friede der Kirche unmöglich bestehen.

 Die oberste Kirchenstelle, als Hüter der Einheit der Kirche, im Bewußtsein auf dem Boden des Bekenntnisses zu stehen, und darnach die Zustände der Kirche bemessend, hat den beteiligten Geistlichen gegenüber schon früher bezeugt, daß die in einigen wenigen Orten ausnahmsweise bestehende Abendmahlsgemeinschaft zwischen Lutheranern, Reformierten und Unierten den Bekenntnis- und Rechtsstand der evangelisch-lutherischen Kirche in Bayern in keiner Weise beschränke, oder verändere, und die wiederholt aufgestellte Behauptung, daß eine solche Gemeinschaft als Sünde zu bezeichnen sei, muß als Irrtum erklärt werden.

 Weit entfernt, einzelne Geistliche, welche sich in ihrem Gewissen dagegen gebunden glauben, zur Austeilung des Abendmahls an Reformierte und Unierte nötigen zu wollen, kann doch das Oberkonsistorium nicht gestatten, daß subjektive Vorstellungen einzelner bestimmend auf die Gesamtheit, oder gar störend sich geltend machen, noch weniger, daß durch Bildung einer konfessionellen und sakramentalen Sonderstellung eine Separation in der Landeskirche faktisch sich gestalte. Die Beteiligten müssen daher daran erinnert werden, daß nach den ohne Ausnahme| für alle geltenden, Kirchenverordnungen keinem Geistlichen die Befugnis und die Macht zusteht, jemand vom Genusse des heiligen Abendmahls auszuschließen, daß vielmehr jeder verpflichtet ist, bei entstandenen Bedenken die Entschließung seiner Oberen einzuholen.

 Übergriffe in fremde Amtsbezirke, welcher Art sie auch seien, können ohne Verwirrung und vielfache Unzufriedenheit hervorzurufen, nicht gestattet werden, und so müssen auch bezüglich der Lösung des beichtväterlichen Verhältnisses die bestehenden Vorschriften in Geltung bleiben.

 Die unterfertigte Stelle wird ferner nicht zugeben, daß diejenigen bekenntnistreuen Diener und Glieder der lutherischen Kirche, welche in fraglicher Angelegenheit einer anderen Überzeugung folgen als die Petenten geltend machen möchten, als nicht lutherisch bezeichnet und somit der Häresie beschuldigt werden.

 Endlich wird das Oberkonsistorium nicht dulden, daß, wie bereits in sehr bedauerlicher Weise der Anfang gemacht ist, einzelne Gemeinden in Unruhe versetzt und mit Vorstellungen geängstet werden, als ob in der bayerischen protestantischen Landeskirche nicht mehr nach dem lutherischen Bekenntnis gelehrt und gehandelt werde.

 Der genauen Einhaltung obiger Bestimmungen muß sich die unterfertigte Stelle von den bezeichneten Geistlichen alles Ernstes versehen, und ermahnt sie deshalb noch einmal dringend, die weit gehenden und tiefgreifenden Folgen wohl zu bedenken, welche ein Losreißen und Separieren von der kirchlichen Gemeinschaft nach sich ziehen würde, daß ein Widerstreben der einzelnen gegen die bestehende Ordnung sowohl ein kirchliches Gemeindewesen, als auch dessen Leitung unmöglich mache, und daß endlich jeder in der Gemeinschaft des Ganzen wirken wollende Geistliche die besonderen Verhältnisse seiner Landeskirche nicht außer Augen setzen dürfe, vielmehr verpflichtet sei, darauf zu achten, daß die weitere Entwickelung und die notwendige innere und äußere Kräftigung derselben durch partikuläre Forderungen nicht gestört und erschwert werde.

 Die hier gegebenen Bestimmungen sind auf das Genaueste einzuhalten, widrigenfalls würde das Oberkonsistorium nach Gestalt der Umstände auf Grund der geltenden Kirchengesetze sich, wenn auch mit Leidwesen, genötigt sehen, bezüglich der zuwiderhandelnden Pfarrer bei Seiner Majestät dem Könige auf Suspension vom Amte anzutragen, bezüglich der widerstrebenden Kandidaten aber die Enthebung von den amtlichen Funktionen anzuordnen etc.

 München, den 9. Januar 1852.

Königliches protestantisches Oberkonsistorium
v. Arnold.


|  Der Eindruck, den dieses Reskript auf Löhe und seine Freunde machte, war ein höchst unbefriedigender. Wie man – schreibt Löhe an Bauer – von dem Reskript einen gleichgültigen Eindruck bekommen, und dazu eine Einladung zum Einschlafen verspüren kann, begreife ich; aber wo soll ein guter Eindruck herkommen? In Schwabach machten wir die Probe aufs Exempel; grob und klar liegt die Antwort da, daß wir mit nichts, auch mit gar nichts erhört sind... Ich meinesteils muß weiter, ich kann hier nicht stehen bleiben und meine Arbeit so zu nichte machen lassen. – Ich war einige Tage recht elend dran und noch mehr die Nächte. Ich habe in meinen Fieberträumen außer mit großen Rechenexempeln mit lauter Toten zu thun gehabt und ein großer künstlicher Strauß mit Mohn schön bestreuten Eichenlaubs ist mir noch merkwürdig. Das Eichenlaub deutet doch wohl auf deutsche Siege, der Mohn auf kommende Ruhe. Auf dem Mohn waren schöne, rote Blutstropfen. – Nun, das sind Träume.“
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 Man möchte versucht sein, diesem Traum eine weissagende Bedeutung für Löhes Leben und seinen kirchlichen Kampf zuzuschreiben. Trotz der drohenden, ein summarisches Verfahren in Aussicht stellenden Haltung des kirchenregimentlichen Bescheides nahte nun doch die Zeit, wo Löhe Siege und Früchte des bisher anscheinend erfolglosen Kampfes sehen und eine Zeit größerer Ruhe genießen durfte. Ein Brief von Harleß vom 14. Januar 1852 deutete die sich anbahnende Wendung der Dinge an. Hier heißt es unter anderm: „Die Dinge, die Du mir über die bayerischen Sünden schreibst, sind wirklich arg genug; ich habe sie in diesem Umfang nicht gekannt. Zweierlei zu thun habe ich bis jetzt Anlaß gehabt. Erstens nach Erlangen hin zu erklären, daß ihre Abendmahlspraxis, wenn sie so ist, wie mir geschildert worden, faul sei. Dann hat ein wunderbares Verhängnis Gottes am Weihnachtsfeste mir Gelegenheit gegeben, Euern König wissen zu lassen, daß das bayerische| Oberkonsistorium cet. cet. alles verderbe. Ich habe dies pure gesagt, weil ich darin sicher war, ich aber nicht wissen konnte, ob alles was von Eurer Seite geschehen, im Rechten sei. Ich habe also in bezug auf Dich garnichts gesagt, bin auch nicht darüber gefragt worden, sondern habe nur dem Gegenpart angedeihen lassen, was er verdient. Gott hat mein Gebet so weit erhört, daß ich ohne mein Zuthun schreiben konnte und mußte. Alles Weitere befehle ich denselben wunderbar treuen Händen.“
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 Da in dem Reskript vom 9. Januar 1852 Löhe und den Mitunterzeichnern der Schwabacher Eingabe die „Erwartung einer genauen Einhaltung der in demselben gegebenen Bestimmungen“ ausgesprochen war, so glaubten diese, um der Aufrichtigkeit willen ihren kirchlichen Oberen die Erklärung schuldig zu sein, daß sie gewissenshalber auf dem in ihren Eingaben dargelegten Standpunkt verharren müßten. Sie thaten dies in einer von Wucherer verfaßten Eingabe, in welcher sie erklärten, daß sie sich durch die Behauptung des Kirchenregiments, welches ihre Überzeugung von der Sündhaftigkeit der Abendmahlsgemeinschaft mit Fremdgläubigen als Irrtum bezeichnet hatte, nicht für überwiesen achten könnten; daß sie allerdings jede, auch ausnahmsweise Zulassung einzelner Reformierter und Unierter zum lutherischen Abendmahl für Sünde, und die grundsätzlich geduldete und geübte Praxis der gemischten Abendmahlsgemeinschaft für unerträgliche Sünde achten müßten; daß sie daher keinen, der in Abendmahlsgemeinschaft mit Fremdgläubigen gestanden, vor Erkenntnis und Absage seines Irrtums als Beichtkind annehmen, auch keinen, der um der Abendmahlsgemeinschaft mit Fremden willen unter Beobachtung der vorgeschriebenen Form sein bisheriges Beichtverhältnis löse, von ihren Altären zurückstoßen, und daß sie die entgegenstehende laxe Theorie und Praxis in der Abendmahlsfrage nicht für wahrhaft lutherisch ansehen könnten. Zum Schluß stellten sie noch die Bitte, das Kirchenregiment| möge ihre Erklärung nicht als einen Beweis von Trotz und Widerspenstigkeit, sondern von Offenheit und Redlichkeit ansehen.

 Auf diese Eingabe erfolgte keine Antwort des Kirchenregiments mehr. Gutes ließ diese unheimliche Stille die Unterzeichner der letzten Eingaben nicht erwarten. Indes sie waren auf beides gefaßt, zu bleiben oder zu gehen. „Könnt ich Ihnen doch – schreibt Löhe an v. Maltzan am 12. Mai 1852 – von einer günstigen Wendung in unsern kirchlichen Angelegenheiten berichten! Aber da ist wenig Aussicht. Das Oberkonsistorium entläßt die jungen Verweser, welche auf unserer Seite stehen, ohne weiteres und mit gereizter Bitterkeit und macht keinerlei Anstalt, bessere Zustände herbeizuführen. Es haben sich hie und da Leute, Pfarrer insonderheit, zusammengethan und sich, wenn nicht allerdings, doch in vielen Stücken für uns bekannt; auch sie sind zum Teil schon mit Suspension bedroht. Unsre eigene Eingabe soll nun dem Ministerium vorliegen. Was kommt, können wir erwarten. – Ich wünsche einen Schritt vorwärts zu drängen, diesen Sommer über Parochial- und Beichtverhältnis zu schreiben, Grenzen zu ziehen, nachzuweisen, daß die Landeskirchen nur dann Leben bewahren können, wenn sie das Beichtverhältnis lösbarer machen, wenn bei aller Stetigkeit des Parochialverhältnisses die Gläubigen hin und her sich um die Altäre solcher Geistlichen scharen dürfen, welche kirchlichen Sinnes sind. Im Beichtverhältnis liegt für die, welche versuchen wollen, in den Landeskirchen zu bleiben, die letzte Zuflucht. Leider aber fürchte ich, daß man in nicht sehr ferner Zeit aus den Landeskirchen selbst wird flüchten müssen. Mir ist immer, als müsse es dann zum Salz der Welt neue Waldenser oder böhmische Brüder geben, als könne je länger je weniger das kirchlich Gute auf der breiten Basis der Landeskirche erhalten werden. Dominus providebit!

 Löhe wußte nicht, daß während er dieses schrieb, das Schwert| der Suspension bereits über seinem Haupt schwebte. Er erfuhr von der drohenden Gefahr erst, als sie vorüber gegangen war. Am 27. Juli 1852 schrieb er an v. Maltzan.

 „Bei uns gehts wunderlich. Sie wissen, daß der Oberkonsistorialpräsident v. Arnold, ein rationalistischer Jurist, auf unsere Suspension angetragen hatte, mit ihm das ganze Kollegium, ausgenommen Böckh, welchem er das Referat, weil er zu günstig für unsre Ansichten dachte, abgenommen hatte. Das Ministerium und König Max forderten ein Separatvotum... Es war in den höchsten Regionen, höre ich, lebendiges pro und contra. Auch die Königin neigte sich, wenn ich recht berichtet bin, auf die rechte Seite. Beide haben sich mit bewundernswerter Einfalt für die Wahrheit ausgesprochen. Harleß, von dem ich weiß, daß er schon um Neujahr an den König geschrieben, mag auch seinen Anteil haben – und seine Berufung wäre die Frucht der Wendung. Es ist nun ganz still von oben her. Der König selbst verwies uns auf Harleß. Auf den sehen unsre Augen; noch glauben wir aber kaum, daß er kommt. Wir spielen ein hohes Spiel, da wir – oder wenn wir – alles von zwei Augen hoffen, um nicht zu sagen „auf zwei Augen setzen“. Wir trauen, auch wenn Harleß kommt, nicht; ich wenigstens halte mich still und harre auf Den, der selten von menschlichen Höhen her Hilfe sendete, der uns allzusehr schonte, wenn Er unsre kleine Arbeit so reichlich segnete. – Nun weht freilich allenthalben lutherischer Wind. Die Bauern in der Gegend meinten schon, der König sei nun lutherisch geworden. – Diese meine Reden gefallen Ihnen vielleicht, theurer Freund. Auch mir war alles, namentlich eine Relation aus einem Gespräche unsrer Königin mit der Prinzessin Eduard von Altenburg sehr erquicklich. Bald spürte ich aber, daß unsre Augen wachen und nicht schlafen müssen.“





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