Wilhelm Löhes Leben (Band 2)/Die Krisis
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Sehr abstechend von dem Tone dieser brüderlichen Kritik war eine im Novemberheft der Zeitschrift für Protestantismus und Kirche vom Jahre 1851 erschienener Aufsatz, der, an schneidender Schärfe seines Gleichen suchend, die Schwabacher Eingabe Löhes und seiner Freunde als eine Verhönung des kirchenregimentlichen Erlasses vom September 1851 bezeichnet und ihr Verhalten der Unwahrhaftigkeit und Unredlichkeit bezichtigt. Löhe unterließ es auf diesen Angriff zu antworten, hatte aber die Genugthuung, seinen Freund Dr. Layriz (der übrigens seine kirchliche Stellung in vieler Hinsicht nicht teilte) mit einen mannhaften Protest für ihn in die Schranken treten zu sehen.
Bereits am 5. November erfolgte jedoch der sehr kategorisch gehaltene Bescheid des Oberkonsistoriums auf die Schwabacher Eingabe. Wir lassen ihn hier folgen.
Auf die von den Pfarrern Löhe in Neuendettelsau, Stirner in Fürth, Wucherer in Nördlingen, Fischer in Artelshofen, Volk in Rügland, Fischer in Aufseß und Roedel in Mengersdorf, sodann von den Kandidaten Friedrich Bauer in Nürnberg und Wilhelm Semm in Memmingen unmittelbar hieher gerichtete Eingabe vom 9. Oktober d. J. „die Aufhebung der Abendmahlsgemeinschaft verschiedener Konfessionsverwandter betreffend“ wird Nachstehendes erwidert:
Bei dem Erlasse der Entschließung vom 19. September d. J., die Aufhebung der kirchlichen Vereinigung und der Abendmahlsgemeinschaft mit den Reformierten und Unierten betreffend, hatte das Königliche Oberkonsistorium gehofft, daß es durch die in jener Entschließung gegebene Erklärung die irrigen| Ansichten der Petenten über den Rechtsbestand der lutherischen Landeskirche in Bayern berichtigen und ihre Gewissensbedenken über die hinsichtlich der Abendmahlspraxis bestehenden Ausnahmszustände beruhigen werde.Inhaltlich der erwähnten Eingabe vom 9. Oktober d. J. ist diese Hoffnung nicht erfüllt worden. Zwar erklären die Beteiligten „noch ferner in dem Komplex der Landeskirche verharren“ zu wollen, und haben demnach ihren Entschluß aus derselben auszutreten aufgegeben. Aber zugleich hat aus jener Eingabe mit großem Bedauern entnommen werden müssen, daß die Unterzeichner derselben nicht nur bei ihrer irrtümlichen Auffassung der landeskirchlichen Verhältnisse beharren, sondern auch dieser ihrer Auffassung die Folge geben, daß sie keinen Pfarrer oder andern Christen, welcher bewußtermaßen an der von ihnen für Sünde, für den schwärzesten Flecken in unsern kirchlichen Verhältnissen erachteten sogenannten Abendmahlsgemeinschaft von Lutheranern, Reformierten und Unierten teilnehme, für lutherisch halten können, und dieser ihrer Überzeugung in allen ihren amtlich-praktischen Verhältnissen Nachkommen zu müssen erklären.
Das Königliche Oberkonsistorium ist weit entfernt, dem Gewissen Einzelner, wenn sie in besonderen Fällen und bei Ausübung ihres nächsten und unmittelbaren Berufes in nicht zu hebende Bedenken kommen sollten, eine thunliche Rücksicht nicht angedeihen lassen zu wollen. Aber daß einzelne als ein Recht ansprechen und dieses Recht sich selbst nehmen, in ihren amtlich-praktischen Verhältnissen ihr subjektives Urteil zum Maßstab ihres Handelns selbst bis zur Aufhebung der Kirchengemeinschaft zu machen, und damit innerhalb der Landeskirche eine Sonderstellung sich anzueignen, kann von der obersten Kirchenstelle nicht gestattet werden, indem auf solche Weise die ganze kirchliche Ordnung gefährdet, die kirchenregimentliche Leitung unmöglich gemacht und ein Verfahren eingeführt werden würde, das, wenn es in der Kirche sich geltend machen dürfte, kaum zu berechnende Verwirrungen und Zerrüttungen in steigendem Maße erzeugen müßte.
Hienach sieht sich die oberste Kirchenstelle genötigt, an die Unterzeichner der Eingabe vom 9. Oktober d. J. die ernste Aufforderung ergehen zu lassen, daß sie, nochmals mit ihrem Gewissen zu Rate gehend, entweder der Landeskirche ohne die aufgestellten, die kirchliche Ordnung und Gemeinschaft verletzenden Bedingungen sich treu und gehorsam wieder anschließen oder ein Amt niederlegen, das sie bei dem Beharren auf diesen Bedingungen nicht mehr würden führen können, etc. etc.
München, den 5. November 1851.
v. Arnold.
In diesem Sinne gab Löhe denn auch unter dem 20. November 1851 seine Erklärung auf das Reskript des Oberkonsistoriums ab. Wir geben das etwas umfängliche Aktenstück hier mit Auslassung einiger unwesentlichen Partieen wieder. Löhe begründet zunächst die teilweise Änderung in seinen Anschauungen mit der seit dem Oberkonsistorialreskript vom 19. September 1851 und der kirchlich entschiedeneren Haltung seiner Gemeinde für ihn eingetretenen Änderung der Sachlage, erläutert dann den Ausdruck der Schwabacher Eingabe, der hauptsächlich der Stein des Anstoßes geworden war, das „amtlich-praktisch“ dahin, daß damit kein Abbruch der pfarramtlichen Beziehungen, auch keine Lossagung von dem synodalen und kirchenregimentlichen Verband, sondern nur eine „konfessionelle und sakramentliche Sonderung“ gemeint gewesen sei, wie sie die lutherische Kirche unter einem verfassungsmäßig kombinierten Kirchenregimente notwendig haben muß. Hierauf fährt die Eingabe wörtlich fort:
Dabei sahen wir allerdings vorher, daß wir bei praktischer Befolgung unserer Grundsätze manchen Bruder schmerzlich berühren und selbst schmerzlich berührt werden würden. Wenn auch niemand bei einiger Kenntnis unserer Sache uns die Auflage machen kann, als hätten wir den Bann üben wollen (wie könnte das auch geschehen, da der Bann das Ende eines Prozesses ist, den wir nicht einmal einleiten können, und die lutherische Kirche von einem Bann über unbekannte Personen oder Haufen nichts wissen will); wenn ferner uns völlig gewiß ist, daß wir in keinerlei Weise Unordnung anrichten wollen; so können wir doch nicht vermeiden, alte Unordnung aufzuzeigen, anzugreifen und so Gefühle zu erzeugen, welche nicht von der Ordnung den Namen haben können. Wir haben es aber nicht verschuldet, daß wir so viel konfessionelle und sakramentliche Verwirrungen fanden. Wir wußten so vielen Jammer nicht, der uns nun erscheint! Wir hätten z. B. nie daran gedacht, daß im Organisationsedikt für die Pfarrämter der Stadt Nürnberg d. d. 10. April 1810 (wiederholt bekannt gemacht im Nürnberger Intelligenzblatt von 1833 Nr. 104 vom 4. September § 6 und 7 vom königlichen Generalkommissariat des Pegnitzkreises als Generaldekanate) sakramentliche Union der Nürnberger Lutheraner und Reformierten geradezu intendiert und angeordnet sei. Und doch ist es so! Wir hätten noch vor wenigen Wochen nicht geglaubt, daß wir es mit so gar vielen sakramentlichen Mißbräuchen aufzunehmen hätten. Leider liegt in dem unvermuteten Funde nur eine neue Bestätigung, daß unser Gewissen kein irrendes sei.
Nach diesem allen erlaube das königliche Oberkonsistorium dem unterthänigst gehorsamst Unterzeichneten seine Erklärung auf das hohe Reskript vom 5. d. Mts. in folgender Weise abzugeben:
Die so erläuterten in der Eingabe vom 9. Oktober niedergelegten Grundsätze, welche kirchliche Ordnung und rechte Gemeinschaft der Kirche nicht stören können, weil sie ja vielmehr selbst Säulen kirchlicher Ordnung sind, vermag ich nicht aufzugeben. Sind sie doch nicht subjektiv, sondern nachweisbar Eigentum der lutherischen Kirche von Anfang her.
Ebensowenig kann ich bei dem Bewußtsein treuen Willens mein Amt in der hiesigen Gemeinde niederlegen, da zumal der gesamte Kirchenvorstand samt dem besseren und größeren Teil der Gemeinde durch ihre Unterschrift zur Eingabe des Kirchenvorstandes vom 12. Oktober meine Stellung im allgemeinen für recht erkannte.
| Ich trage seit langer Zeit schwer an meinem Amte und meinem Fleische würde wohl sein, wenn ich es nicht mehr hätte, ich fühle mich aber der hiesigen Gemeinde seit der Eingabe vom 12. Oktober, so gering man die Unterschriften anschlage, dennoch mehr als je verbunden. Wie sollte ich nun auf das sehen was meinem Fleische gefiele. Im Gegenteil ich will unter der herzlichen Bitte, dies Verhältnis ungestört, unangetastet zu belassen, lieber noch einmal möglichst klar und deutlich sagen, wie ich mir die „konfessionellsakramentliche“ Sonderstellung lutherischer Pfarrer und Gemeinden in Bayern denke:- 1) ich werde nimmermehr einem Reformierten oder Unierten das heilige Abendmahl reichen.
- 2) Ich werde es keinem reichen, der in reformierter oder unierter Abendmahlsgemeinschaft gestanden, ohne ihn vorher belehrt, vermahnt, zur Erkenntnis und zum Bekenntnis seines Irrtums und seiner Sünde gebracht zu haben.
- 3) Ich kann die Abendmahlsgemeinschaft mit Fremdgläubigen, wie und wo sie bestehe, nicht als Notstand, sondern ich muß sie als Sünde anerkennen, gegen sie zeugen, vor ihr warnen.
- 4) Ich kann darum auch keinen Christen oder Pfarrer für wahrhaft lutherisch erkennen, der solche Abendmahlsgemeinschaft hält oder in Schutz nimmt, ich muß ihn davon abmahnen, so viel ich kann.
- 5) Ich muß daher jeden lutherischen Christen, welcher seinem Pfarrer wegen gemischter Abendmahlsgemeinschaft das Beichtverhältnis gekündigt hat, und mir davon und von Einhaltung der im Amtshandbuch vorgeschriebenen Form Beweis und Nachweis bringt, an meinem Altar aufnehmen und in seiner Entschiedenheit stärken, wenn er zu mir kommt, Annahme begehrt und sonst gutes Zeugnis hat.
- 6) Endlich muß ich in und gegenüber allen Kreisen, denen ich angehöre, die Wahrheit bezeugen, auch Synoden und kirchliche Behörden, bis ich Erhörung finde, bitten und anflehen, dem sündlichen Mißstande ein baldiges Ende zu setzen.
- 7) Ebenso erkenne ich es für meine unerläßliche Pflicht, gegen alle anderen konfessionellen Übelstände und Mängel zu zeugen, zu beten und zu bitten, bis der Herr erhört und Besserung kommt.
Hiemit lege ich alles Weitere in die Hände der gnädigen Oberen und Christi, bete zum Herrn und bitte die Oberen um Abschaffung der sündlichen Mißbräuche im Sakrament und hoffe mit andern gleichgesinnten Geistlichen in der Übung derjenigen kirchlichen Treue belassen zu werden, die wir vor Gott und Menschen verantworten können.
Mit schuldiger Hochachtung und Ehrerbietung verharrt
des königlichen Oberkonsistoriums
In ähnlicher Weise wie Löhe – nur teils schärfer, teils milder – erklärten sich auch seine Freunde. „Von den Eingaben meiner Freunde sind manche wunderschön, meine ist leider ziemlich diplomatisch-kühl“ schreibt Löhe. Nur Einer aus der Zahl der Unterzeichner der Schwabacher Erklärung fehlte bei diesem unter den ernstesten Umständen abgelegten Zeugnis. Es war der Pfarrverweser W. Semm von Memmingen, der wegen seiner entschiedenen Weigerung, an den Altären der mit Reformierten vielfach durchsetzten Memminger Pfarrgemeinden das Sakrament zu verwalten, vom Konsistorium einfach entlassen wurde. „Er aber zog seine Straße fröhlich“ und fand bald bei den Lutheranern in Preußen eine neue kirchliche Heimat und berufliche Thätigkeit.
Auch Professor Delitzsch schrieb am 2. Januar 1852 an Löhe: „Noch einmal bitte ich Sie, mir schleunigst Nachricht zu geben, sofern von oben etwas eingehen sollte. Formuliert man ein neues Dilemma, so steh und fall ich mit Ihnen. Denn in einer Kirche, welche die von Ihnen in der letzten Eingabe in Anspruch genommene gewissensmäßige Freiheit verpönt, könnte ich auch nicht bleiben.“
Noch ehe auf die in vorstehendem Briefe erwähnte letzte Eingabe Löhes der Bescheid der obersten Kirchenbehörde eingetroffen war, sah sich Löhe in Befolgung der in derselben ausgesprochenen Grundsätze in einen herben Gegensatz zu Professor Thomasius gedrängt. Mehrere, der sogenannten Philadelphia angehörige Studenten, fast lauter Ausländer, die der separiert lutherischen Kirche Preußens angehörten oder ihr sich anzuschließen in Begriff standen, hatten vergebens zu wiederholten Malen Professor Thomasius um Herstellung einer streng konfessionellen Abendmahlspraxis gebeten und ihn namentlich ersucht, unierte Studenten aus der preußischen Landeskirche nicht ohne das Versprechen der Lossagung von der unierten Kirchengemeinschaft zum heiligen Abendmahl zuzulassen. Da Thomasius sie mit ihrem Begehren abwies, erklärten sie ihm, an dem Abendmahl der Universitätskirche gewissenshalber keinen Anteil nehmen zu können und baten Löhe, ihnen das Sakrament zu reichen. Dies that er denn auch nach eingehender Prüfung des Falls. Vom Konsistorium zu Ansbach hierüber zur Rechenschaft gezogen, verantwortete sich Löhe in einer gründlichen mit Belegen aus älteren lutherischen Kasuistiken reichlich ausgestatteten Erklärung vom 14. Januar, 1852 in der er seinen Standpunkt verteidigte und das Ungenügende des gegnerischen Standpunktes nachwies. Er fand es für nicht ausreichend, daß Professor Thomasius – allerdings| im Fortschritt gegen seine anfängliche Praxis – sich entschlossen hatte, keinem Reformierten das heilige Abendmahl zu reichen, lutherisch gesinnten Unierten aber nur gegen Versprechen der Bekenntnistreue, doch ohne von ihnen völlige Absage der unierten Kirche zu verlangen. Unter solchen Umständen – meinte Löhe – könne die ganze Fraktion der unierten Lutheraner Preußens in Erlangen zum heiligen Abendmahl gehen, in Preußen selbst aber desto gewisser der lutherischen Kirche gegenüber stehen; hier liege eine Prinzipienfrage vor, die von den beteiligten lutherischen Kirchengemeinschaften außerhalb der Landeskirchen richtig erkannt und streng gewogen werde etc.Diese Rechenschaft, für welche er durch sein gründliches Studium der lutherischen Kasuistik sich wohl gerüstet wußte, gab Löhe in einer Erklärung vom 14. Januar 1852, aus der wir im Anhang das Wichtigste mitteilen.
Diese Erklärung Löhes war jedoch noch nicht abgegangen, als ein vom 7. Januar 1852 datierter Erlaß des Oberkonsistoriums als Bescheid auf die letzte Eingabe Löhes und seiner Gesinnungsgenossen vom 20. November 1851 eintraf. Wir lassen ihn hier folgen.
Die in Folge der Oberkonsistorialentschließung vom 5. November vorigen Jahres in bezeichnetem Betreffe eingelaufenen Erklärungen des Pfarrers Löhe zu Neuendettelsau und der übrigen untengenannten Geistlichen bestimmen die oberste Kirchenstelle zu nachstehendem Bescheide.
Als das Oberkonsistorium in seiner Entschließung vom 5. November vorigen Jahres, die Unhaltbarkeit der Verhältnisse hervorhob, in welche sich jene Geistlichen versetzen müßten, wenn sie innerhalb der Landeskirche eine, den Ordnungen derselben zuwiderlaufende Sonderstellung sich zueignen und gleichwohl in ihren kirchlichen Ämtern verbleiben wollten, hegte es die Erwartung, daß der Ernst dieser Entschließung die wohlmeinende Ermahnung vom 19[.] September vorigen Jahres verstärken und die Petenten veranlassen werde, nach nochmals angestellter Erwägung zu vollständiger Anerkennung der kirchlichen Ordnung zurückzukehren.| Allein die eingekommenen Erklärungen haben jene Erwartung leider nicht bestätigt.Wenn auch in einigen Eingaben eine Erläuterung versucht wird, so bleibt doch kein Zweifel übrig, daß jene Geistlichen sämtlich auf dem wesentlichen Inhalt ihrer früheren Eingaben beharren. Demnach muß angenommen werden, daß sie in folgenden Punkten übereinstimmen:
- 1) daß jede, auch die durch unvermeidliche Verhältnisse herbeigeführte ausnahmsweise Zulassung einzelner Reformierter und Unierter zum Abendmahl nach lutherischem Ritus eine unerträgliche Sünde sei;
- 2) daß sie keinen Christen und keinen Pfarrer, der solche ausnahmsweise Abendmahlsgemeinschaft hält oder in Schutz nimmt, für wahrhaft lutherisch zu erkennen im stande seien;
- 3) daß sie keinen der lutherischen Kirche angehörigen Christen, welcher gemeinschaftlich mit Reformierten oder Unierten das heilige Abendmahl genossen, zur Kommunion annehmen wollen, ohne ihn vorher zur Erkenntnis und zum Bekenntnis seines Irrtums und seiner Sünde gebracht zu haben;
- 4) daß sie jeden, der seinem Pfarrer wegen gemischter Abendmahlsgemeinschaft das beichtväterliche Verhältnis nach Einhaltung der vorgeschriebenen Bestimmungen gekündigt hat, zur Kommunion annehmen und in seiner Entschiedenheit stärken wollen.
Bei solcher, in diesen Erklärungen angekündigten Verhaltungsweise kann die Ordnung und der Friede der Kirche unmöglich bestehen.
Die oberste Kirchenstelle, als Hüter der Einheit der Kirche, im Bewußtsein auf dem Boden des Bekenntnisses zu stehen, und darnach die Zustände der Kirche bemessend, hat den beteiligten Geistlichen gegenüber schon früher bezeugt, daß die in einigen wenigen Orten ausnahmsweise bestehende Abendmahlsgemeinschaft zwischen Lutheranern, Reformierten und Unierten den Bekenntnis- und Rechtsstand der evangelisch-lutherischen Kirche in Bayern in keiner Weise beschränke, oder verändere, und die wiederholt aufgestellte Behauptung, daß eine solche Gemeinschaft als Sünde zu bezeichnen sei, muß als Irrtum erklärt werden.
Weit entfernt, einzelne Geistliche, welche sich in ihrem Gewissen dagegen gebunden glauben, zur Austeilung des Abendmahls an Reformierte und Unierte nötigen zu wollen, kann doch das Oberkonsistorium nicht gestatten, daß subjektive Vorstellungen einzelner bestimmend auf die Gesamtheit, oder gar störend sich geltend machen, noch weniger, daß durch Bildung einer konfessionellen und sakramentalen Sonderstellung eine Separation in der Landeskirche faktisch sich gestalte. Die Beteiligten müssen daher daran erinnert werden, daß nach den ohne Ausnahme| für alle geltenden, Kirchenverordnungen keinem Geistlichen die Befugnis und die Macht zusteht, jemand vom Genusse des heiligen Abendmahls auszuschließen, daß vielmehr jeder verpflichtet ist, bei entstandenen Bedenken die Entschließung seiner Oberen einzuholen.Übergriffe in fremde Amtsbezirke, welcher Art sie auch seien, können ohne Verwirrung und vielfache Unzufriedenheit hervorzurufen, nicht gestattet werden, und so müssen auch bezüglich der Lösung des beichtväterlichen Verhältnisses die bestehenden Vorschriften in Geltung bleiben.
Die unterfertigte Stelle wird ferner nicht zugeben, daß diejenigen bekenntnistreuen Diener und Glieder der lutherischen Kirche, welche in fraglicher Angelegenheit einer anderen Überzeugung folgen als die Petenten geltend machen möchten, als nicht lutherisch bezeichnet und somit der Häresie beschuldigt werden.
Endlich wird das Oberkonsistorium nicht dulden, daß, wie bereits in sehr bedauerlicher Weise der Anfang gemacht ist, einzelne Gemeinden in Unruhe versetzt und mit Vorstellungen geängstet werden, als ob in der bayerischen protestantischen Landeskirche nicht mehr nach dem lutherischen Bekenntnis gelehrt und gehandelt werde.
Der genauen Einhaltung obiger Bestimmungen muß sich die unterfertigte Stelle von den bezeichneten Geistlichen alles Ernstes versehen, und ermahnt sie deshalb noch einmal dringend, die weit gehenden und tiefgreifenden Folgen wohl zu bedenken, welche ein Losreißen und Separieren von der kirchlichen Gemeinschaft nach sich ziehen würde, daß ein Widerstreben der einzelnen gegen die bestehende Ordnung sowohl ein kirchliches Gemeindewesen, als auch dessen Leitung unmöglich mache, und daß endlich jeder in der Gemeinschaft des Ganzen wirken wollende Geistliche die besonderen Verhältnisse seiner Landeskirche nicht außer Augen setzen dürfe, vielmehr verpflichtet sei, darauf zu achten, daß die weitere Entwickelung und die notwendige innere und äußere Kräftigung derselben durch partikuläre Forderungen nicht gestört und erschwert werde.
Die hier gegebenen Bestimmungen sind auf das Genaueste einzuhalten, widrigenfalls würde das Oberkonsistorium nach Gestalt der Umstände auf Grund der geltenden Kirchengesetze sich, wenn auch mit Leidwesen, genötigt sehen, bezüglich der zuwiderhandelnden Pfarrer bei Seiner Majestät dem Könige auf Suspension vom Amte anzutragen, bezüglich der widerstrebenden Kandidaten aber die Enthebung von den amtlichen Funktionen anzuordnen etc.
München, den 9. Januar 1852.
v. Arnold.
Auf diese Eingabe erfolgte keine Antwort des Kirchenregiments mehr. Gutes ließ diese unheimliche Stille die Unterzeichner der letzten Eingaben nicht erwarten. Indes sie waren auf beides gefaßt, zu bleiben oder zu gehen. „Könnt ich Ihnen doch – schreibt Löhe an v. Maltzan am 12. Mai 1852 – von einer günstigen Wendung in unsern kirchlichen Angelegenheiten berichten! Aber da ist wenig Aussicht. Das Oberkonsistorium entläßt die jungen Verweser, welche auf unserer Seite stehen, ohne weiteres und mit gereizter Bitterkeit und macht keinerlei Anstalt, bessere Zustände herbeizuführen. Es haben sich hie und da Leute, Pfarrer insonderheit, zusammengethan und sich, wenn nicht allerdings, doch in vielen Stücken für uns bekannt; auch sie sind zum Teil schon mit Suspension bedroht. Unsre eigene Eingabe soll nun dem Ministerium vorliegen. Was kommt, können wir erwarten. – Ich wünsche einen Schritt vorwärts zu drängen, diesen Sommer über Parochial- und Beichtverhältnis zu schreiben, Grenzen zu ziehen, nachzuweisen, daß die Landeskirchen nur dann Leben bewahren können, wenn sie das Beichtverhältnis lösbarer machen, wenn bei aller Stetigkeit des Parochialverhältnisses die Gläubigen hin und her sich um die Altäre solcher Geistlichen scharen dürfen, welche kirchlichen Sinnes sind. Im Beichtverhältnis liegt für die, welche versuchen wollen, in den Landeskirchen zu bleiben, die letzte Zuflucht. Leider aber fürchte ich, daß man in nicht sehr ferner Zeit aus den Landeskirchen selbst wird flüchten müssen. Mir ist immer, als müsse es dann zum Salz der Welt neue Waldenser oder böhmische Brüder geben, als könne je länger je weniger das kirchlich Gute auf der breiten Basis der Landeskirche erhalten werden. Dominus providebit!“
Löhe wußte nicht, daß während er dieses schrieb, das Schwert| der Suspension bereits über seinem Haupt schwebte. Er erfuhr von der drohenden Gefahr erst, als sie vorüber gegangen war. Am 27. Juli 1852 schrieb er an v. Maltzan.„Bei uns gehts wunderlich. Sie wissen, daß der Oberkonsistorialpräsident v. Arnold, ein rationalistischer Jurist, auf unsere Suspension angetragen hatte, mit ihm das ganze Kollegium, ausgenommen Böckh, welchem er das Referat, weil er zu günstig für unsre Ansichten dachte, abgenommen hatte. Das Ministerium und König Max forderten ein Separatvotum... Es war in den höchsten Regionen, höre ich, lebendiges pro und contra. Auch die Königin neigte sich, wenn ich recht berichtet bin, auf die rechte Seite. Beide haben sich mit bewundernswerter Einfalt für die Wahrheit ausgesprochen. Harleß, von dem ich weiß, daß er schon um Neujahr an den König geschrieben, mag auch seinen Anteil haben – und seine Berufung wäre die Frucht der Wendung. Es ist nun ganz still von oben her. Der König selbst verwies uns auf Harleß. Auf den sehen unsre Augen; noch glauben wir aber kaum, daß er kommt. Wir spielen ein hohes Spiel, da wir – oder wenn wir – alles von zwei Augen hoffen, um nicht zu sagen „auf zwei Augen setzen“. Wir trauen, auch wenn Harleß kommt, nicht; ich wenigstens halte mich still und harre auf Den, der selten von menschlichen Höhen her Hilfe sendete, der uns allzusehr schonte, wenn Er unsre kleine Arbeit so reichlich segnete. – Nun weht freilich allenthalben lutherischer Wind. Die Bauern in der Gegend meinten schon, der König sei nun lutherisch geworden. – Diese meine Reden gefallen Ihnen vielleicht, theurer Freund. Auch mir war alles, namentlich eine Relation aus einem Gespräche unsrer Königin mit der Prinzessin Eduard von Altenburg sehr erquicklich. Bald spürte ich aber, daß unsre Augen wachen und nicht schlafen müssen.“
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