RE:Iaxartes
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Band IX,1 (1914) S. 806 | |||
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Iaxartes s. die Nachträge.
Nachträge und Berichtigungen
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Band IX,1 (1914) S. 1181–1189 | |||
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- S. 806, 60 ist einzuschieben:
Iaxartes (Ἰαξάρτης, ursprünglich iranisch, = Yakhšart des Berûnî; abweichende Formen bringen Geogr. Rav. II 8, p. 62 (Pind.) Iarartes; [1182] Plut. Alex. c 45 Ὀρεξάρτης; Mart. Capell. 692 Laxates), der Syr-darja, über den sich bei den Alten unklare und sich oft widersprechende Ansichten finden. Noch größere Unklarheit hat aber unsere Forschung hineingebracht, indem sie ihn mit dem Araxes der älteren Autoren des Altertums in Verbindung brachte (vgl. Tomaschek Art. Araxes o. Bd. II S. 402. Westberg Zur Topographie des Herodot, Beitr. z. alten Gesch. IV 187), obgleich man sich schon früher nachdrücklich dagegen gewandt hat; besonders Roesler Die Aralseefrage, S.-Ber. Akad. Wien phil.-hist. Kl. LXXIV 1873, 181, 260. Daher ist es notwendig, zunächst diesen strittigen Punkt völlig klarzustellen (vgl. Herrmann Alte Geographie des unteren Oxusgebiets, Abh. Kgl. Wiss. Göttingen, phil.-hist. Kl. N. F. Bd. XV 4 S. 8ff.).
Die irrtümliche Ansicht, Araxes und I. seien ein und derselbe Fluß, beruht zunächst auf dem zufälligen Anklang der Namen. Vor allem aber wurde die oft zitierte Stelle bei Herodot. I 201 mißverstanden, wonach die Massageten gegen Morgen und Sonnenaufgang jenseits des Araxes den Issedonen gerade gegenüber wohnen sollen. Da man nämlich die Issedonen nach dem verfehlten Ansatz bei Ptolem. VI 16, 5 fälschlich ins Tarimbecken oder nach Tibet versetzte — in Wirklichkeit wohnten sie nahe den Grenzen Europas in den Steppen östlich des Urals (s. den Art. Issedones) —, so glaubte man, die Massageten möglichst weit nach Osten in die Nähe des Tienschan bringen zu müssen, so daß für den Araxes als nächstgelegener Strom eben noch der I. in Frage kommen konnte. Welcher Fluß ist denn der hier erwähnte Araxes? Halten wir uns an die tatsächlichen Sitze der Issedonen, so kann die zugleich angegebene Himmelsrichtung ,gegen Morgen und Sonnenaufgang‘ nur von Südrußland ihren Ausgang nehmen. Und ziehen wir dann die Herodotische Angabe I 202 (Anfang) hinzu, daß der Araxes nach einigen größer, nach anderen kleiner sei als der Istros (Donau), und in ihm befänden sich zahlreiche Inseln, die ungefähr so groß seien wie Lesbos, so werden wir von neuem auf den Weg über Südrußland verwiesen und können uns deshalb mit Matzat (Herm. VI 471) nur für die Wolga und ihr großes Delta entscheiden. Anders ist dagegen die im weiteren Verlauf desselben Kapitels enthaltene Flußbeschreibung aufzufassen; der Araxes käme aus dem Gebiet der Matiener, und seine 40 Mündungen liefen allesamt in Sümpfen aus mit Ausnahme einer einzigen, die durch unversumpfte Landstrecken (διὰ καθαροῦ) in das Kaspische Meer führe. In dieser Schilderung scheinen zwei Ströme zu einem verbunden zu sein. Das Land der Matiener leitet bestimmt auf den armenischen Araxes. Der Rest des Berichtes läßt keine Entscheidung zu (vgl. auch K. J. Neumann Hermes XIX 168). Man könnte die Sumpfstrecken mit den hier endenden Mündungsarmen auf das Ἀραξηνὸν πεδίον (Strab. XI 529), das Anschwemmungsgebiet des Flusses Armeniens, beziehen, und dementsprechend wäre dann der im Kaspischen Meer auslaufende Arm gleichfalls hier anzunehmen, eine Ansicht, für die ich in meiner [1183] genannten Arbeit S. 9 eingetreten bin. Da aber der Ausdruck διὰ καθαροῦ nicht, wie ich seinerzeit übersetzte, als offene Landschaft, sondern als unversumpftes Gebiet zu erklären ist, so hat die andere Auffassung mehr für sich, nämlich daß dieser Teil des Berichts auf den Oxos und seinen kaspischen Mündungsarm hinweist. Weshalb gerade der Oxos, der Amudarja, und nicht etwa der I. in Frage kommt, wird vor allem durch einige Angaben bei Herodot. I 204–214 und die Massagetenbeschreibung bei Strab. XI 512f. außer allem Zweifel gestellt. Einmal sagt Herodot, die Massageten nähmen die Steppen östlich des Kaspischen Meeres ein, dann erwähnt er wiederholt einen Fluß Araxes, den der Perserkönig Kyros überschritt, um die Massageten in ihrem Lande zu bekriegen. Das kann nur am Oxos geschehen sein, und zwar an demjenigen Flußarm, der ins Kaspische Meer mündete (näheres Herrmann a. a. O. 19; s. den Art. Oxos). Strabon nennt den Fluß, der das Massagetenland durchströmt, Araxos und sagt von ihm, er bilde viele Verzweigungen, seine Mündungsarme hätten im Nordmeer ihren Abfluß mit Ausnahme eines einzigen, der in den Hyrkanischen Golf ausliefe. Diese anscheinend auf Hekataios zurückgehende Beschreibung darf wiederum nur dem Oxos und seinem Mündungsgebiet gelten.
Auch was später über den Araxes berichtet wird, darf keineswegs auf den I. übertragen werden. Aristoteles sagt vom Araxes meteor. I 13: τούτον δ’ ὁ Τάναις ἀποσχίζεται μέρος ὢν εἰς τὴν Μαιῶτιν λίμνην. P. Bolchert glaubt (Aristoteles’ Erdkunde von Asien u. Libyen, Quellen u. Forschungen z. alten Gesch. u. Geogr. Heft XV 39), daß sich in diesem Tanais, der vom Araxes abzweigt und in die Maiotis mündet, die erste Kunde des I. verrate. Diese Ansicht ist aber kaum haltbar. Es leuchtet freilich ein, daß der griechische Gelehrte den in das Asowsche Meer mündenden Don, den Tanais, für den Unterlauf irgend eines Flusses in Turan gehalten hat. Aber muß dieser letztere Fluß notwendigerweise der I. sein? Daß die Alexanderhistoriker den I. für den Oberlauf des Tanais erklärt haben, ist für Aristoteles keineswegs maßgebend, da dieser aus einer älteren Quelle, wahrscheinlich aus Ktesias geschöpft hat. Wenn wir uns nun wörtlich daran halten, der Tanais bilde eine Abzweigung des Araxes, so werden wir erinnert an die alte Teilung des Oxoslaufs in den kaspischen und die aralischen Mündungsarme. Hiernach ist der Tanais ursprünglich als der Abfluß des Oxos zum Aralsee zu verstehen; irgend eine Beziehung zum I. zu suchen, wäre nicht angebracht. Das gilt ebenfalls von den kurzen Erwähnungen des Araxes bei Kallisthenes, vgl. Strab. XI 531, bei Curt. Ruf. VII 3, 14. Diod. II 43, 2. Avien. v. 28. 925.
Erst durch die Feldzüge Alexanders d. Gr. wurde das Abendland mit dem Syrdarja bekannt. Alexander selbst erreichte den Strom bei Khodjent im J. 329 v. Chr.; er erkannte die militärische Bedeutung dieses Punktes und legte hier deshalb eine Kolonie an, Alexandreia eschate, Arrian. anab. III 30, 7. IV 1, 3. Plin. n. h. VI 49. Ziemlich unklar sind die Vorstellungen, [1184] die sich seine Geschichtschreiber über den Lauf des I. gebildet haben. Wie man bei Arrian. anab. in 30, 7 liest, verlegte Aristobulos die Quelle in den Kaukasos, welchen man damals auf das ganze Gebirge übertrug, das von Areia an nach Osten fortlaufend Asien in der Mitte durchschneidet, Strab. XI 505f. 511. Die Mündung setzte er ins Kaspische Meer. Er hatte also keine Ahnung von der Existenz eines anderen Binnensees Turans, des Aralsees, der ja von jeher den I. aufnimmt. Mit jenem Irrtum verband sich ein zweiter, der noch verhängnisvoller war. Aristobulos sagt, bei den anwohnenden Barbaren hieße der Fluß I., Arrian. anab. III 30, 7. VII 16, 3; er selbst nennt ihn aber gewöhnlich Tanais. Die Vulgärtradition Alexanders scheint überhaupt keine andere Bezeichnung als diese zu kennen; vgl. Curt. Ruf. IV 5, 5. VI 6, 13. VII 4, 6. 15. 32. 5, 36. 6, 12, 13. 25. 7, 1. 4. 12. 8, 21. 30, dazu Polyb. X 48, 1 und Mart. Cap. VI 223. Das beruht darauf, daß Alexander und seine Begleiter in dem Glauben waren, bei Chodjent den Oberlauf des von altersher bekannten Grenzflusses zwischen Europa und Asien, des heutigen Don, erreicht zu haben; und es wurde darum dem Feldherrn von seinen Schmeichlern erklärt, er habe Asien bis an Europas Grenze unterworfen. Wie folgenschwer es war, wenn man den Syr mit dem Don vereinigte, ersieht man vor allem daraus, daß nun sogar die Ansicht aufkam, die Maiotis und das Kaspische Meer gehörten zusammen, was ein gewisser Polykleitos näher zu beweisen suchte (Strab. XI 510). Es war gut, daß Eratosthenes mit solchen phantastischen Hypothesen gänzlich aufräumte. Seitdem erst begann der Name I. als alleinige Bezeichnung des Syr-darja durchzudringen. Aber Plinius hält sich noch nicht von dem alten Fehler frei, indem er einmal Tanais und I. miteinander verwechselt (n. h. VI 49): … flumine Iaxarte, quod Scythae Silim vocant, Alexander militesque eius Tanain putavere esse. Diese Stelle gab jedesmal Anlaß zu der Behauptung, Silis sei eine alte Form für Syr. So selbstverständlich dies klingt, über die Schwierigkeit kommt man niemals hinweg, daß Syr oder eine verwandte Form nicht einmal bei den älteren arabischen Geographen nachzuweisen ist. Wie es in Wirklichkeit um die Benennung Silis steht, macht uns Plin. n. h. VI 20 klar: Tanaim ipsum Silim vocant (scil. Sxythae), Maeotim Temarundam, quo significant matrem maris. Damit ist die Frage in einfachster Weise gelöst, nämlich daß die skythische Bezeichnung Silis garnicht dem Syr-darja, sondern dem Don zukommt.
Worauf Eratosthenes die strenge Scheidung des I. vom Tanais gegründet hat, ist nicht deutlich zu ersehen. Vielleicht war die Nachricht von Bedeutung, daß der I. die Saken und Sogdianer trenne (Strab. XI 514); Eratosthenes kennt also jenseits des I. nur die Saken, ein asiatisches Volk, während die älteren Autoren gewöhnlich von Skythen sprachen, die es auf beiden Seiten des Tanais gab. Vor allem wird er sich aber auf den Kapitän Patrokles berufen haben. Dieser war von seiner Küstenfahrt durch das Kaspische Meer (zwischen 285 und 282 v. Chr.) mit dem Ergebnis zurückgekehrt, ebendort mündeten [1185] der I. und der Oxos in einer Entfernung von 80 Parasangen, und dasselbe Meer stehe nach Norden hin mit dem Oman in Verbindung (Strab. XI 507. 518. Plin. VI 36); danach war jede Beziehung zum Tanais ausgeschlossen. Aber der andere Irrtum, die Mündung befände sich im Kaspischen Meer, blieb leider bestehen. Hierüber brachte auch der Bericht des seleukidischen Generals Demodamas keine Aufklärung.
In der Folgezeit wurden die Kenntnisse in nur ganz geringem Maße bereichert. Wenn Apollodoros erklärt, der I. scheide die Sogdianen und Wanderhirten (Strab. XI 517), so sagt er ungefähr dasselbe, was seinerzeit Eratosthenes berichtet hat. Wie unklar man über den Ursprung des Flusses war, beweist Strab. XI 510, die Quelle befände sich im Indischen Gebirge. Nur ganz geringe Ansätze zu besserer Kenntnis verrät Mela III 42, wenn er sagt, der I. sei gleich von der Quelle an ein bedeutender Fluß und nehme seinen Lauf aus den Gebieten der Sogdianer durch die Wüsten Skythiens. Aber auch hier begegnen wir wiederum dem alten Fehler, gleich dem Oxos münde er ins Kaspische Meer; und zwar wird hierfür ein besonderer Busen genannt, der Scythicus sinus, welcher die linke Seite des ins Festland eindringenden Meeres darstellen soll.
Erst Marinos von Tyros war in der Lage aus eingehenderen Nachrichten zu schöpfen. Denn die auf ihn sich gründende Ptolemaioskarte zeigt bereits die wesentlichsten Züge des gesamten Stromgebiets, aber dabei sind die richtigen Züge so sehr mit falschen durchmischt, daß das Gesamtbild starke Verzerrungen erfuhr. Nur zweierlei erinnert noch an die Karten der älteren Geographen. Einmal ist es die Tatsache, daß auf der einen Seite die Sogdianer, auf der anderen die Saken und Skythen angesetzt sind; jedoch reicht die Grenzlinie nur bis zum Unterlauf, hier, bei den Oxischen Bergen greift das Skythenland südwärts über den Strom hinaus. Das andere ist die irrtümliche Verlegung der Mündung ins Kaspische Meer.
Sonst weist der I. gänzlich neue Züge auf. Es zeugt bereits von wichtiger Kenntnis, daß er zum Oxos in einen annähernd parallelen Verlauf gebracht ist; und auch die gegenseitige Entfernung, 2000–2600 Stadien, kommt den tatsächlichen Verhältnissen sehr nahe. Das gilt ferner von der Länge der Flußlinie, 11 000 Stadien, wobei natürlich die zahlreichen Windungen abzuziehen sind. Die antike Karte enthält als wichtigsten Einschnitt im gesamten Stromlauf die ἐπιστροφή desselben an der Grenzlinie zwischen den Saken und Skythen; damit ist zweifellos das große Flußknie unterhalb Khodjent gemeint. Zu bemängeln wäre freilich, daß es bei Ptolemaios zu weit den Fluß heraufgesetzt ist. Es ist aber wieder ein Beweis richtiger Kenntnis, daß oberhalb der ἐπιστροφή nur links, unterhalb davon nur rechts Nebenflüsse eingetragen sind. Daher ist es nicht besonders schwierig, dieselben zu identifizieren. Während die beiden linken Nebenflüsse, der Demos und der Baskatis, auf den Kara-darja und den Fluß von Kokan hindeuten, sind die unbenannten rechten Zuflüsse meist in den Gebieten von Taschkent und [1186] Tschimkent zu suchen. Letzteres geht zugleich aus der Darstellung der Gebirge hervor, aus denen die Flüsse kommen sollen.
Zuerst sind es die Τάπουρα ὄρη;, die sich nordöstlich der ἐπιστροφή hinziehen; sie sind nach den hinter ihnen wohnenden Ταπουραῖοι benannt (s. d.), deren Gebiet offenbar dem alt-chinesischen Ta-wan, dem heutigen Ferghana, entspricht; deshalb sind sie als die Gebirgsketten und Ausläufer des Tien-schan anzusehen, die sich östlich von Taschkent bis in die Nähe des I.-Knies hinziehen. Darauf folgen nach Westen zu die Ἀσπίσια ὄρη. Sie sollen mit dem eben genannten Gebirge ,in der Tiefe der Flußlandschaft‘ (ἐν βάθει τῆς ποταμίας) in Verbindung stehen; dieser ebenso seltene wie sonderbare Ausdruck ist vielleicht auf den von Ibn Khordâdhbeh (vgl. De Goeje Bibliotheca geographorum Arabicorum VI 20) erwähnten Fluß Barkouâb zu beziehen, der unweit der Straße von Tschimkent nach Auliē-ata aus tausend Quellen entstehen und durch eine Niederung ostwärts fließen soll. Hierzu paßt sehr gut, daß für die Ἀσπίσια ὄρη die Bergzüge des Kara-tau treten, was zugleich darin eine Stütze findet, daß die davor wohnenden Ἀσπίσιοι Σκύθαι bei Ibn Khor-dâdhbeh unter dem Namen Isbydjâb, einer Ortschaft nahe bei dem heutigen Tschimkent, wiederzukehren scheinen. Nach Ptolemaios soll schließlich ein drittes Gebirge zum I. entwässern, das nördlich seines Unterlaufes gelegene Νόροσσον ὄρος, wo sich zugleich die Quelle des Daix (Ural) befinden soll. Da es aber das Mugodschar-Gebirge ist, ein bergiges Hochplateau südlich des Uralgebirges, so ist es sehr zweifelhaft, ob die antike Karte in diesem Falle richtig ist. Denn die von hier nach dem Syr-darja fließenden Gewässer wie der Irgis verlieren sich heute schon bald in kleinen Steppenseen oder Sümpfen, und wir haben keinen Grund anzunehmen, daß sie im Altertum ihren Lauf bis zum I. fortgesetzt haben.
Dies sind nur geringfügige Mängel, die den im großen und ganzen richtigen Zügen der Ptolemäischen Darstellung anhaften. Dem stehen aber sehr erhebliche Fehler gegenüber, die so bedeutend sind, daß sie dem Gesamtbilde im wesentlichen ihr Gepräge geben. Daß die Mündung des I. ans Kaspische Meer und nicht etwa an einen besonderen See gesetzt ist, haben wir bereits als eine Nachwirkung der früheren Auffassung hingestellt. Ebenso verfehlt ist die Ansetzung seiner Quelle. Da der Quellfluß des Syr-darja der Naryn ist, so hätte Marinos den Fluß auf seiner Karte im Osten in der nördlichen Kette des Imaos entspringen lassen müssen. Anstatt dessen hat er die Flußlinie südwärts umgebogen und zu einem Gebirge hinaufgeführt, das den südwestlichen Teil des Sakenlandes durchzieht, der ὀρεινὴ τῶν Κομηδῶν und zwar setzte er, wie die Gradzahlen bei Ptolemaios zeigen, die Quelle genau an das nordwestliche Ende dieses Gebirgszuges, wo der Aufstieg der von Baktra nach dem Steinernen Turm reisenden Kaufleute beginnen soll (Ptolem. Ι 12, 7). Führen wir diese Angaben auf die wahren Verhältnisse zurück, so befinden wir uns im Tale des oberen Surchâb, in der unwirtlichen Gebirgslandschaft Karategin bei der Ortschaft Garm; hier führte [1187] nämlich der im Altertum benutzte Paßweg zum Gebirge Peters I., der ὀρεινὴ τῶν Κομηδῶν, hinauf (s. den Art. Κομῆδαι). Wie kam denn Marinos auf den unglücklichen Einfall, gerade dorthin die Quelle des I. zu verlegen? Daß er sie nicht irgendwo im Osten, sondern im Süden vermutete, gründet sich wohl auf die ältere Ansicht, der I. entspringe im Indischen Gebirge (Strab. XI 510). Dazu kommen zwei wichtige Angaben des Eratosthenes; die eine, von der bereits die Rede war, besagte, der I. trenne die Sogdianer und Saken, nach der andern sollen die Gebiete der Sogdianer und Saken mit ihrem gesamten Flächenraum Indien gegenüber liegen (Strab. XI 513). Allein auf Grund dieser Angaben hätte Marinos den Oberlauf des I. soweit südlich hinaufführen müssen, daß er die Quelle in die westliche Kette des Imaos setzte; ist doch gerade dies der Gebirgszug, der auf der einen Seite die Sogdianer und Saken, auf der anderen Indien liegen läßt. Nun traten aber gänzlich neue Nachrichten über die Saken hinzu; sie stammten aus dem Itinerar des Maës Titianus (s. d.), einem für Marinos höchst wertvollen Schriftstück, da es die genauesten Aufschlüsse über den Landweg nach China gab. Nach dieser Vorlage sah sich der Kartograph veranlaßt, in den Südwesten des Sakenlandes die ὀρεινὴ τῶν Κομηδῶν einzuschieben; die notwendige Folge war dann, daß er die Quelle des I. vom Imaos dorthin heraufsetzte.
Alle diese unglücklich aufeinander wirkenden Umstände haben zugleich die Anschauung von der Laufrichtung des Stromes gänzlich verwirrt. Bis zur ἐπιστροφή fließt der I. des Ptolemaios nicht, wie man eigentlich erwarten sollte, nach Westen, sondern nach Norden oder Nordwesten. Seine Umwendung bei Khodjent wird nicht nach rechts, sondern nach links herumgeführt, so daß er in seinem weiteren Lauf an Stelle einer nördlichen und nordwestlichen eine geradezu westliche Richtung erhält. Hierfür war auch der Umstand maßgebend, daß das Hyrkanische Meer, das schließlich den I. aufnehmen sollte, auf andere Erwägungen hin westlich von ihm zu liegen kam. Man beachte, wie sehr es Marinos widerstrebt haben muß, den I. bei der ἐπιστροφή in jene falsche Richtung umzulenken; er wagt die Mündung nicht direkt an den Ostrand zu setzen, sondern rückt sie mehr an den Nordrand des Sees hinauf. Dabei mußte er sogar den Fluß Iastos von seinem ursprünglichen Platz nördlich des I. verdrängen, damit dieser den südlich davon freigelassenen Raum ausfüllte (s. den Art. Iastos). So verhängnisvoll war also schließlich die fehlerhafte Darstellung des I.
Nach allen diesen Feststellungen ist es endlich möglich, über den Inhalt der von Marinos benutzten Vorlage größere Klarheit zu gewinnen. Es ist offenbar eine Beschreibung des I. und der anwohnenden Volksstämme. Über Quelle und Mündung gibt sie keine bestimmte Auskunft, vielmehr scheint sie sich vorwiegend auf den Mittellauf des Flusses zu beschränken. So weist sie auf das große Flußknie bei Khodjent hin. Während oberhalb davon als linksseitige Nebenflüsse der Δῆμος und Βασξάτις genannt werden, soll es unterhalb des Flußknies nur von rechts [1188] Zuflüsse geben. Einige sollen in einem Gebirge entspringen, das sich in der Nähe des Flußknies erhebt und auf seiner östlichen Seite die Ταπουραῖοι läßt. Ebenfalls zum I. soll ein anderes Gebirge entwässern, das sich westlich von dem ersten hinzieht und mit diesem durch die Niederung einer Flußlandschaft (?) in Verbindung steht. Auf der dem I. zugewandten Seite des Gebirges werden als Bewohner die Ἀσπίσιοι Σκύθαι genannt, während den Raum rechts des I. selbst von dem großen Flußknie an ein großer Volksstamm, die von Marinos genannten Ἰαξάρται (s. d.), einnehmen soll. Zu dieser Beschreibung stehen anscheinend in keiner Beziehung die Καχάγαι Σκύθαι, Νοροσβεῖς Νόροσσοι und das nach diesen benannte Νόροσσον ὄρος; sie gehören vielmehr in den Bericht, wo über eine Handelsstraße von Südrußland nach dem unteren I. gehandelt wird (s. die Art. Ra und Iastos). Dagegen ist es sehr wohl möglich, daß die links vom I. angesetzten Volksstämme wie die Ἀριστεῖς, Τάχοροι, Ἰάτιοι, Ἀριάκαι sowie die weit im Osten aufgeführten Ἀσκατάκαι, Ἀναραῖοι und Τεκτοσάκες in unserer Beschreibung mit aufgezählt sind. Was das Alter der Quelle betrifft, so ist eine nähere Bestimmung nicht erlaubt, da sich die Völkernamen, soweit wir über sie anderweitig unterrichtet sind, sowohl für das 1. Jhdt. vor wie nach Chr. nachweisen lassen. Weitere Mutmaßungen dürfen wir nicht aufstellen. Es wäre z. B. auch verfehlt zu behaupten, die Quelle bilde einen Teil des oben erwähnten Itinerars des Maës Titianus; denn die von diesem ausgesandten Agenten haben auf ihrer Reise nach China nicht, wie oft angenommen ist, den Weg über Samarkand und Khodjent benutzt, sondern sie sind von Baktra aus südlicher gezogen, nämlich durch das Surchâb-Tal und über den Taunmurum-Paß, so daß sie sich stets fernab vom I. gehalten haben.
Der einzige antike Schriftsteller, der den Syr-darja nicht im Kaspischen Meer, sondern in einem besonderen See münden läßt, ist unseres Wissens Ammianus Marcellinus. XXIII 6, 59 sagt er: Inter (montes Sogdios) amnes duo fluunt navium capacissimi, Araxates et Dymas, qui per iuga vallesque praecipites in campestrem planitiem decurrentes Oxiam nomine paludem efficiunt longe, lateque diffusam. Zur Erklärung dieser Stelle sei folgendes bemerkt. Den Flußnamen Araxates haben einige auf Araxes zurückgeführt in der Annahme, daß dies die ältere Benennung des Syr sei (jedoch s. o.); aber die Namensähnlichkeit ist sicherlich ein Zufall. Ebenso wie der Dymas auf den Nebenfluß Demos des Ptolemaios zurückweist, so auch der Araxates auf den I. Nur in diesen Namen scheint eine Anlehnung an Ptolemaios vorzuliegen. Nicht festzustellen ist, ob die Angabe, die beiden Flüsse stürzten sich durch Berge und Täler in die Ebene herab, auf bestimmten Nachrichten beruht oder, wie man oft bei Ammian beobachtet, reines Phantasieprodukt ist. Dagegen scheint die Bemerkung, die Flüsse bildeten schließlich den sich weit und breit ausdehnenden Oxischen Sumpf, eine tatsächliche Grundlage zu besitzen. Offenbar hat sie, was bisher unbemerkt geblieben ist, genau denselben Ursprung wie später eine [1189] Mitteilung des byzantinischen Gesandten Zemarchos (FHG IV 229). Auf seiner Rückreise vom türkischen Khagan (570 n. Chr.) kam dieser an dem Aralsee vorbei, den er λίμνη ἄπλετος ἐκείνη καὶ εὐρεῖα nannte. Die Übereinstimmung mit der Oxia palus des Ammian, ist so auffallend, daß wir in beiden Fällen denselben See und dieselbe Bezeichnung annehmen müssen (Näheres Herrmann a. a. O. 40. 56). Somit tritt uns in der Oxia palus zum erstenmal der Aralsee als das tatsächliche Mündungsgebiet des I. entgegen.
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