Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Rottanne, ein Gebirgsbaum, von griechischen Schriftstellern nicht erwähnt
Band VI,2 (1909) S. 22652269
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Fichte oder Rottanne, Picea excelsa Link = Pinus abies L. Daß sie von den griechischen Schriftstellern nicht erwähnt wird, ist längst von Sachkundigen erwiesen. Ihr Verbreitungsgebiet [2266] reicht südwärts nur bis zum Pindos. Mit Unrecht sprechen daher die Vertreter der klassischen Altertumskunde noch vielfach von der F. der Griechen, mag man auch in West- und Ostpreußen und Kurland fälschlich die Gemeine Kiefer, Pinus silvestris L., F. nennen. Schon K. Sprengel (Erläuterungen zu Theophrasts Naturgesch. 1822, 31, vgl. 26) hat angenommen, daß die πεύκη des Theophrast (h. pl. I 6, 3) mit ihrer tiefgehenden Hauptwurzel Pinus maritima Mill. (= P. laricio Poir.), d. h. die Schwarzkiefer sein müsse, doch in seiner Übersetzung sagt er F. für πεύκη nicht nur, wo von ihr gesagt ist, daß sie zusammen mit der Kastanie sowohl in nördlichen Gegenden als in Griechenland vorkomme (ebd. IV 5, 1), sondern überall.

Fast ausnahmslos wird dagegen die römische picea (deren Name offenbar von pix = Pech gebildet ist; vgl. Isid. orig. XVII 7, 31) für die F. gehalten. So glaubte H. O. Lenz (Bot. d. alten Gr. u. R. 1859 Anm. 830), daß picea in der Regel die Rottanne, zuweilen überhaupt einen Nadelbaum, einmal, wo eine picea sativa genannt wird (Plin. XV 36), wohl die Pinie bedeute. Aber die F. findet sich wild nur bis zu den euganeischen Hügeln im Südwesten von Padua, während die römischen Schriftsteller die picea offenbar als einen durchaus italischen oder doch mediterranen Baum schildern, so daß dabei wohl an die Schwarzkiefer, Pinus laricio Poir. nebst einigen Varietäten, einen wichtigen Gebirgsbaum Italiens, zu denken ist.

Das meiste über die picea erfahren wir von Plinius. Doch können hier die Stellen nicht in Betracht kommen, wo er, mehr oder minder deutlich griechischen Quellen folgend, die picea mit griechischen Nadelbäumen identifiziert, obwohl der Sprachgebrauch der Griechen in Bezug auf diese bekanntlich sehr schwankte (vgl. auch Bd. V S. 2047). Dabei identifiziert er picea teils mit πεύκη (XVI 30. 57. 91. 95. 106. 138. XVII 236. XXIV 32; vgl. Theophr. h. pl. III 5, 5. IX 2, 7. I 10. 6. III 3, 8. 4, 5. IV 5, 3. 16, 1. IX 2, 2), teils mit πίτυς (XXIV 31. 33. XXVII 115; vgl. Diosc. IV 163. I 92. IV 5). Durch eine solche Stelle (XVI 49) könnte man leicht zu der Annahme verleitet werden, daß picea die Aleppokiefer, Pinus halepensis Mill., gewesen sei. Die hier gemachte Angabe nämlich, daß die Zapfen der picea kleiner und schmäler als die der abies, der Edeltanne, seien, führt, da man von der Lärche absehen muß, auf Pinus laricio oder Pinus halepensis; daß die Samen dabei als dunkel oder schwarz bezeichnet werden, schließt aber die erstere mit ihren weißen oder aschgrauen Samen aus und mag mit der willkürlichen Behauptung des Plinius (ebd.) zusammenhangen, daß die Griechen die picea wegen der genannten Eigenschaften der Kerne phthiropoios (eigentlich die ,Läusetragende‘) nannten. Die also genannte πίτυς (Theophr. h. pl. II 2, 6. Hesych. s. φθείρ) wird nämlich die Pinus halepensis sein, welche ebenso wie die nicht in Griechenland vorkommende Strandkiefer, Pinus pinaster Soland., schwarze Samen hat, jedoch nicht ein die Kälte liebender Gebirgsbaum ist, wofür wenigstens Plinius (XVI 40) die picea ausgibt (vgl. u.). An einer andern Stelle empfiehlt er (XXIV 28) die zerriebenen Blätter [2267] der picea und der larix gegen Zahnschmerz, während dies Dioskurides (I 86) mit denen der πίτυς und πεύκη tut. Sollte hier die larix nicht auf einem Textfehler oder einem Versehen des Plinius beruhen, so wäre es nicht wunderbar, wenn neben den Blättern der Lärche die der F. empfohlen würden, sofern die Lärche ebenfalls kein italischer Baum ist. Aber man sieht nicht, wie Blätter fremder Bäume zu solchem Zwecke hätten empfohlen sein können. Man wird also die larix hier wohl streichen und picea auf einen einheimischen Baurn beziehen müssen. Gegen Leberleiden will Plinius an dieser Stelle auch nur die Blätter der picea, Dioskurides sowohl die der πίτυς als πεύκη anwenden. Daß Plinius aber picea und larix, besonders letztere mindestens in der Regel, als wildwachsend angesehen hat (XIV 127. XVI 40. 43; vgl. Vitruv. II 9, 14), ist wohl anzunehmen. Wenn nach ihm (XVI 40) die picea die Berge und die Kälte liebt, so sagt er dies wohl nur im Gegensatz zu den vorher genannten pinus, d. h. Pinie, und pinaster, d. h. wohl besonders Pinus pinaster Soland. oder auch Pinus halepensis Mill., auf welche jenes viel weniger oder durchaus nicht zutrifft. Von der die Küste und die Hügelzone bewohnenden Pinie zu schweigen, findet sich z. B. in der Peloponnes die Pinus laricio in einer Höhe von 700–1700, die Pinus halepensis von 0–1000 m und in Italien Pinus pinaster und Pinus halepensis nicht in höheren Regionen als die Pinie, Pinus laricio aber nur in solchen bis zu 1300 m Höhe. Auch im Gegensatze zu den beiden genannten Bäumen mögen der picea schon fast von der Wurzel beginnende und mäßig lange Äste zugeschrieben sein (ebd. 41), und besonders hinsichtlich der Gestaltung der Krone kommt es doch sehr auf das Alter der Bäume und den Standort an, ob dieser frei ist oder nicht. Kurze Äste sind aber besonders für Pinus laricio charakteristisch, während die Äste der F. oft sehr lang sind. Wenigstens nicht auf die F. anwendbar sind die Bemerkungen, daß die picea weniger hoch als die Lärche sei (XVI 45), ihre Blätter weniger zahlreich und trockener seien als die der Lärche (ebd. 46) und wie bei der Edeltanne, Abies pectinata DC = Pinus picea L., kammförmig eingeschnitten (wobei der Zweig als Blatt angesehen ist) seien (ebd. 90; vgl. Theophr. h. pl. I 10, 5); belanglos die, daß ihre Blätter feiner und steifer als die der Lärche, sie selbst rauher und mit Harz durchtränkt, ihr Holz dem der Edeltanne ähnlicher sei (ebd. 46), auf ihr die pityocampi genannten Raupen lebten (XXIX 95), ihr Schatten für alles Angepflanzte ein Gift sei (XVII 91), ihr Stamm zu Wasserleitungsröhren ausgehöhlt werde (XVI 224) und das in Asien von ihr gewonnene Harz sehr weiß sei und psagdas genannt werde (XIV 123). Nur auf einen einheimischen Baum hingegen kann es bezogen werden, daß die picea ein Totenbaum sei, zum Zeichen der Trauer vor die Haustüre gestellt und grün zu Scheiterhaufen gebraucht werde, man sie sogar neuerdings, weil sie sich leicht schneideln lasse, in die Hausgärten aufgenommen habe (XVI 40); das Holz nicht so schön wie das der Edeltanne sei, aber von den Landleuten zu gespaltenen Schindeln und verschiedenen Böttcherwaren (ebd. 42) und die Rinde von ihnen zu Körben [2268] und noch größeren Gefäßen für die Einsammlung des Getreides und der Trauben, auch zur Bedeckung der Hütten gebraucht werde (ebd. 35). Die Wahl zwischen F., Pinus pinaster und Pinus laricio hat man, wenn es heißt, daß die Äste wie Arme am Stamme säßen (ebd. 41) und wie die der Edeltanne eine regelmäßige Anordnung zeigten (ebd. 122), d. h. wirtelständig seien und eine pyramidale Krone bilden. Ferner gibt die picea nach Plinius (ebd. 40) sehr viel oder das meiste Harz, in welchem mitunter ein weißes Kügelchen, gemma, vorkommt; das dem Weihrauch so ähnlich ist, daß es, mit diesem vermischt, kaum davon unterschieden werden kann, woher der Ausdruck fraus Seplasiae stammt (d. h. Betrug der Straße Seplasia in Capua, in welcher sehr viele Salbenbereiter wohnten). Der harzreichste aller europäischen Bäume ist nun zwar wohl Pinus laricio, aber ob ihr Harz am geeignetsten sei, den Weihrauch zu ersetzen, dürfte schwer zu ermitteln sein. Nur in den russischen Kirchen dient es häufig diesem Zwecke, in Frankreich aber, wo vielleicht Pinus laricio nicht wild wächst, das der westfranzösischen Strandkiefer, Pinus pinaster, das sog. Galipot, und in den Provinzen Roma und Grosseto, wo in den Wäldern der Küsten- und Hügelzone von der Gattung Pinus außer Pinus pinaster nur noch die Pinie sich findet, das Harz schlechterer Pinienzapfen. Außerdem aber wurde das berühmte bruttische Pech (Scrib. Larg. 207. 208. 210. Col. XII 18, 7. 22, 2. Gal. XIII 629. XIX 726. 740. Pelagon. 323. Alex. Trall. II p. 453 Puschm. usw.) im Silagebirge des heutigen Calabrien (Cic. Brut. 85. Dion. Hal. XX 15, 5) nach Plinius (XIV 127) aus dem Harz der picea, nämlich (XVI 53) dadurch gewonnen, daß man dieses Harz in Trögen von starkem Eichenholz durch glühende Steine oder, wenn keine Tröge vorhanden waren, in Meilern ausschwelte. Nun ist aber für die kälteren Gebirgsregionen Süditaliens die Pinus brutia Ten., eine Varietät der Pinus laricio, charakteristisch und findet sich in reichlicher Menge besonders dort auf der Sila, wo man in erster Linie von ihr Pech gewinnt.

Von andern Schriftstellern wird die picea fast ausnahmslos als ein Baum solcher Gegenden erwähnt, in denen die F. nicht vorkommt, so des Vorgebirges Misenum in Campanien (Verg. Aen. VI 180), der Spitze der troischen Ida (ebd. IX 87), eines Gebirges bei Nemea (Stat. Theb. VI 100), der Umgegend des boiotischen Theben (ebd. IV 426) und des Landes Kolchis (Ovid. her. XII 67). Nur einmal (Ovid. met. X 101) ist von Thrakien die Rede. Dagegen gilt wieder die Lehre Vergils (Georg. II 257), daß die picea ein Anzeichen kalten Bodens sei, zunächst für Italien.

Schließlich behauptet Plinius (XV 36, vgl. XVI 61) noch, daß die sappinus, deren Nüsse eine so weiche Schale hätten, daß sie mitgegessen werde, nur eine kultivierte picea sei. Diese Behauptung will Lenz, wie anfangs erwähnt, damit erklären, daß Plinius hier ausnahmsweise mit picea die Pinie gemeint habe. Daß die so beschriebenen Nüsse die einer Pinienspielart mit weichschaligen Nüssen sein müssen, ist wohl unbestreitbar, nur scheint Plinius irrtümlich angenommen zu haben, daß sie einer aus der picea hervorgegangenen Spielart angehörten. Sofern er [2269] (XVI 61) sagt, daß die untersten Teile der sappinus Fackelholz, taedae, genannt würden, so bezieht sich dies jedenfalls auf eine sehr verbreitete Sitte (vgl. Corp. gloss. VII 1 p. 329) und daher auf einen gewöhnlichen Baum Latiums, also entweder auf die Pinie oder Pinus pinaster. Wenn Servius (Georg. II 68) die sappinus für eine Art der abies, d. h. der Edeltanne, erklärt, so bezeichnet man heute in Frankreich sowohl die Edeltanne als die F. mit sapin unter Beifügung differenzierender Beiwörter, doch in Italien nicht nur die F. mit zampino, sondern in Süditalien auch die Aleppokiefer mit zappino oder pioca. Im Corp. gloss. lat. VII 1 p. 231 wird sappinus nicht unrichtig mit πίτυς und πεύκη geglichen. Der Irrtum des Servius mag sich dadurch erklären, daß man auch den unteren, astlosen Teil der abies nach Entfernung des Splintes sappinea materies nannte (Vitruv. II 9, 7. 17. Plin. XVI 61. 196). Sonst erfahren wir von der sappinus nur, daß sie wie die abies im Gebirge wegen der größeren Kälte höher wachse und festeres Holz habe (Varro r. r. I 6, 4), daß sie ebenso wie die abies nicht überall vorkomme (Vitruv. I 2, 8) und aus kahmigem Wein dadurch Essig bereitet werde, daß man zuerst glühendes Eisen und dann brennende Zapfen der Pinie oder der sapinus hineinwerfe (Col. XII 5, 2). Daß Cato (agric. 31, 2) zu dem Preßbaum, durch den Oliven und Weintrester ausgepreßt wurden, das Holz der sappinus angewandt habe, ist eine irrige Angabe des Plinius (XVI 193), da jener vielmehr die carpinus (Weißbuche) nennt.

[Olck. ]