Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Stadt östl. vom Tigris
Band III A,1 (1927) S. 399
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Σιττάκη (Hekataios bei Steph. Byz. s. v. Ktesias frg. 54 Gilm. Ptolem. VI 1, 6 Sittace Plin. n. h. VI 132; Σιτάκη Xen. an. II 4, 13; Ψιττάκη Damophilos bei Steph. Byz. s. v. Zum Wechsel von anlautendem ψ und σ vgl. G. Meyer Griech. Gramm.3 § 260. Arist. hist. an. VIII 12, 6 steht ψιττάκη ,Papagei‘, Philostorg. h. eccl. III 11 σιττάκη in gleicher Bedeutung). Aller Wahrscheinlichkeit nach ist mit diesen drei Namen oder Schreibungen eine und dieselbe Stadt gemeint, deren Lage zu bestimmen seit jeher eine der schwierigsten Aufgaben der alten Geographie bildet. Hekataios und Ktesias bezeichnen sie als persisch, d. h. als zum Achämenidenreich gehörig, woraus natürlich nichts Genaueres zu entnehmen ist. Der Fluß Argades, der περὶ τὴν Περσικὴν Σιττάκην sein soll, und in dem sich viele große schwarze Schlangen mit weißem Kopf finden sollen (Ktesias), ist anderweitig unbekannt. Das Ψιττάκη des Damophilos, wo der Pistazienbaum (τὸ φυτὸν τῶν ψιττακίων) gedieh, lag am Tigris, das Σ. Xenophons in Babylonien 15 Stadien westlich vom Tigris. Das Σ. des Ptolemaios ist die südöstlichste Stadt Assyriens, zwei Längengrade vom Tigris entfernt und unweit der Grenze von Susiane. Nach Plin. a. a. O. ist Sittace Graecorum die Hauptstadt von Sittacene, das [400] auch Arbelitis und Palaestine (!) heiße und zwischen Chalonitis und Mesene gelegen sei. Östlich von S. liege Sabdata, westlich aber Antiochia, (alle drei) zwischen den beiden Flüssen Tigris und Tornadotus, desgleichen Apamea, das vom Tigris umflossen, vom Archous durchschnitten werde. Andernorts (VI 114) sagt Plinius, daß Medien im Westen an Adiabene, im Süden an Sittacene, Susiana und Persis angrenze. Auch Ptolemaios (VI 1, 2) kennt die Landschaft Sittakene. Sie grenzt einerseits an Susiane, andererseits an Apolloniatis, diese wieder an das Gebiet der Γαραμαῖοι. Die Westgrenze bildet, da sie zu Assyrien gehört, der Tigris, die Ostgrenze Medien. Bei Strabon, der die Stadt Σ. nicht nennt, ist Apolloniatis nur ein neuerer Name für die Landschaft, die früher Sitakene hieß (XI 13, 6. XV 3, 12). Medien wird im Süden von ihr und dem Zagros begrenzt. Sie gehört zu Babylonien und ist der Susis benachbart. Im Norden wohnen über ihnen die räuberischen Elymaier und Paraitakener, letztere in größerer Nähe der Apolloniatis (XV 3, 12. XVI 1, 5). ,Es gibt aber auch eine ansehnliche Stadt, Artemita, 500 Stadien von Seleukeia entfernt, und zwar vorwiegend in östlicher Richtung, wie auch Sitakene. Denn auch diese (Landschaft), volkreich und fruchtbar (πολλή τε καὶ ἀγαθή), liegt zwischen Babylon und der Susis, so daß wer nach Susa reist, den ganzen Weg nach Osten zu durch Sitakene zu nehmen hat‘ (XVI 1, 17). Dazu stimmt Diodor. XVIII 6, 3, der die Form Σιττακινή hat und die Landschaft wie auch Susiane zu Persis rechnet. Alexander d. Gr. hat Sittakine zweimal durchzogen, zuerst im Winter 331/330 auf dem Wege von Babylon nach Susa. Am sechsten Tage nach dem Aufbruch von Babylon gelangte er in die Landschaft Sittakine, die an allen nötigen Lebensmitteln Überfluß hatte, weshalb er dort mehrere Tage verweilte (Diod. XVII 65, 2). Im J. 324 kam er von Susa aus zum zweitenmal dorthin; der Weg, den er bei dieser Gelegenheit nahm, ist nach Diod. XVII 110 o. in Bd. X S. 1924ff. eingehend erörtert. Isidor. v. Charax nennt weder Σ. noch Sittakene, beschreibt aber (mans. Parth. 2) die Provinz Apolloniatis genauer. Diese begann hinter Seleukeia und erstreckte sich bis nach Chalonitis 33 Schoinen. In ihr lag die Griechenstadt Artemita, zu Isidors Zeit Chalasar genannt, 15 Schoinen von Seleukeia entfernt, vom Sillas durchflossen. Von der Grenze Apolloniatis-Chalonitis bis zur Stadt Chala rechnet Isidor. 15 Schoinen.

Überblickt man nochmals diese Angaben, so bemerkt man, daß über die Lage der Landschaft Sittakene keine allzugroße Meinungsverschiedenheit besteht. Sie lag im mittleren Osttigrislande, gehörte also zu Persien im weitesten Sinne. Ob man sie, wie Strabon will, zu Babylonien rechnet, oder ob man sie mit Ptolemaios Assyrien zuteilt, ist unerheblich. Beides war zu Zeiten richtig und falsch: zu Ašur-ban-apli's Zeit (669– mindestens 643) z. B. gehörte sie sicher zum assyrischen, unter Nebukadnezar II. (605–562) ebenso sicher zum babylonischen Reich. Apolloniatis ist eigentlich nur die Umgebung der Stadt Apollonia, die, wenn nicht hellenistische Gründung, doch gewiß [401] erst in hellenistischer Zeit ihren Namen empfing, während die Stadt S., nach der die Landschaft Sittakene benannt ist, mindestens seit Hekataios, also seit der früheren Achämenidenzeit, bestanden haben muß. Es ist recht wohl möglich, daß zu Strabons Zeit der Name Sittakene außer Gebrauch gekommen und durch Apolloniatis in weiterem Sinne ersetzt worden war, während Ptolemaios den Namen Apolloniatis wieder im alten, beschränkten Sinne anwandte und die Landschaft dieses Namens, die früher zu Sittakene gehört haben muß, von Sittakene abtrennte.

Über die Lage der Provinz Apolloniatis kann nach Isidors Beschreibung kein Zweifel bleiben: es ist die von der unteren Diḭālā bis zu ihrer Mündung in den Tigris durchflossene Landschaft. Wir haben auch keinen Grund zu bezweifeln, daß dies zugleich für Ptolemaios gilt. Was sich östlich und südöstlich zwischen dem Tigris und dem Gebirge bis nach Susiana hin anschloß, war sittakenisches Gebiet. Wo die Grenze zwischen Apolloniatis und Sittakene verlaufen ist, ob in größerer oder geringerer Entfernung von der Diḭālā, ist dabei ohne Bedeutung. Viel wichtiger ist die Frage, wie weit sich Apolloniatis nach Westen und Nordwesten erstreckte, da ihre Beantwortung zugleich auch die alte Nordwestgrenze von Sittakene bestimmen muß. Etwa vom 34. Breitengrad an, wo Tigris und Diḭālā sich schon auf eine Tagereise nahegekommen sind, strömen beide Flüsse in annähernd nord-südlicher Richtung, so daß sie eine verhältnismäßig schmale Landzunge einschließen, die sich immer mehr verengt, und an der Stelle, wo sich beide Ströme vereinigen, endet. Es ist nun sehr wahrscheinlich, daß dieses Stück Land zu Apolloniatis und damit zu Sittakene gehörte, so daß die Nordwestgrenze dieser Provinz in die Nähe der Mündung des Ἁḍậm führen würde, vielleicht überhaupt von diesem Flusse gebildet wurde.

Wo lag nun die Stadt S.? Die Angaben darüber sind alle verschieden: nach Xenophon 15 Stadien westlich vom Tigris, nach Ktesias von dem Argades umflossen, nach Damophilos am Tigris, nach Plinius zwischen Tigris und Tornadotus, genauer zwischen Sabdata im Osten und Antiochia im Westen, die ebenfalls zwischen den beiden Flüssen lagen, so daß also S. noch weiter östlich und vom Tigris entfernter als Antiochia zu suchen sein müßte, schließlich nach Ptolemaios zwei volle Längengrade östlich von Ktesiphon am Tigris, aber einen halben Breitengrad nördlicher, von Artemita wieder südöstlich. Es läßt sich verstehen, wenn einzelne Gelehrte wie Mac Michael (Journ. of philol. IV 137ff.) und Kiepert (FOA Bl. V), zwei verschiedene Städte S. annahmen. Die Lösung des Rätsels ist aber wohl in anderer Richtung zu suchen. Den Hauptanstoß bieten Xenophons Angaben (anab. II 4, 12ff.). Darnach zogen die Griechen innerhalb der medischen Mauer, die von Babylon nicht weit entfernt war. Nach zwei kleinen Tagemärschen von zusammen acht Parasangen langten sie am Tigris an, an dem eine große und volkreiche Stadt namens Σιτάκη lag, 15 Stadien vom Flusse entfernt. An sie schloß sich ein großer schöner Garten, mit allerlei Bäumen dicht bepflanzt, in dem die Griechen lagerten. [402] Später überschritten sie den Tigris auf der aus 37 Fahrzeugen bestehenden Schiffbrücke und zogen vier Tagereisen von zusammen 20 Parasangen weiter an den Φύσκον ποταμόν. Hier lag Ὦπις. Über diese Stadt, die später unter dem ihr zu widmenden Artikel eingehender behandelt werden muß, sei hier nur das Nötigste gesagt. Nach den übereinstimmenden Angaben Herodot. I 189. Arrian. anab. VII 7, 6. Strab. II 1, 26. XI 14, 8. XVI 1, 9 lag sie am Tigris, nach (Eratosthenes bei) Strab. II 1, 26 an der Stelle, wo Euphrat und Tigris einander am nächsten (ungefähr 200 Stadien) kommen. Wenn Strabon andern Ortes (XVI 1, 21) die schmalste Stelle des Zweistromlandes (wenig mehr als 200 Stadien) zwischen Babylon und Seleukeia ansetzt, so folgt daraus, daß Opis, wenn es nicht mit Seleukeia identisch war, so doch in großer Nähe dieser Stadt gelegen haben muß. Eine ähnliche Folgerung hat Winckler (Altorient. Forschungen II 515ff.) mit Recht aus einer anderen Angabe Strabons (XVI 1, 9) gezogen, wonach die Schiffbarkeit des Tigris ἐπὶ τὴν Ὦπιν καὶ τὴν νῦν Σελεύκειαν (ἡ δὲ Ὦπις κώμη ἐμπόριον τῶν κύκλῳ τόπων) gereicht habe. Die Stadt Opis wird auch in den Keilinschriften erwähnt (Upe, Upi, Upia). Dazu kommt ein ideographisch geschriebener Städtename Úẖ.ki, für dessen Zeichengruppe eine Lesung Upe seit mehreren Jahrzehnten bekannt war (Hagen Beitr. z. Assyr. II 243). Inzwischen hat sich aber eine zweite (Keši, Kissa, d. i. Stadt Kiš; Weissbach ZDMG LIII 665f.) und neuerdings eine dritte (Akšak; s. Unger und Weissbach Ztschr. f. Assyr. XXIX 183) gefunden, und es scheint, als ob gerade diese Lesung die ursprünglichste und üblichste gewesen sei (Landsberger OLZ XIX 34ff.). Da sie von Nebukadnezar II. einmal in einem Duplikat der Wādî-Brīsā-Inschriften gegeben worden ist, werden wir sie auch an den übrigen Stellen der genannten Inschriften einsetzen müssen, unter anderen auch dort, wo von der großen Sperrmauer die Rede ist, die der König vom Tigris, oberhalb von Úẖ.ki-Akšak, bis nach Sippar am Euphrat erbauen ließ. Da ferner der König für diese Mauer die schmalste Stelle des Zweistromlandes ausersehen und, wo die Auswahl zwischen mehreren Verbindungen gegeben war, die Strecke bevorzugt haben wird, die einen möglichst großen Teil des zu verteidigenden Landes einschloß, wird man annehmen dürfen, daß die Mauer in der Nähe des späteren Seleukeia, vielleicht eine oder einige Wegstunden nordwärts von den heutigen Ruinen, begann und möglichst geradlinig auf Sippar–Abu-Ḥabba zulief. Danach wäre also Akšak, wie Upi–Ὦπις, ebenfalls in der Nähe von Seleukeia zu suchen. In griechischer Zeit war es vielleicht zerstört, wahrscheinlich aber mit der Nachbarstadt Ὦπις zu einer Stadt zusammengewachsen. Ist nun, wie ich seit langem überzeugt bin (s. o. Bd. VI S. 1211), die Sperrmauer Nebukadnezars mit Xenophons medischer Mauer identisch, und zogen die Zehntausend innerhalb, d. h. doch wohl südlich von der Mauer dem Tigris zu, so ist es ganz unmöglich, daß sie Opis erst vier Tagemärsche nach der Überschreitung des Tigris, und zwar am Flusse Physkos, erreicht hätten. Nein, die [403] πόλις μεγάλη καὶ πολυάνθρωπος, die sich vom Tigris aus 15 Stadien landeinwärts erstreckte (das ist doch wohl der Sinn der Worte ἀπέχουσα τοῦ ποταμοῦ σταδίους πεντεκαίδεκα, Xen. an. II 4, 13), in deren Park die Griechen lagerten, und von der aus sie die Tigrisbrücke überschritten, war nicht S., sondern Opis. Xenophon hat die beiden Städte verwechselt. Er hätte II 4, 13 Ὦπις und § 25 Σιτάκη schreiben sollen.

Diese Lösung beseitigt sogleich eine weitere Schwierigkeit. Die angeblich westlich vom Tigris gelegene Stadt S. kommt nunmehr östlich vom Tigris in die Landschaft Sittakene, wohin sie gehört. Es fragt sich weiter, welchen Fluß Xenophon mit seinem Physkos, Ktesias mit seinem Argades meinte. In Betracht kommen kann nur ein Nebenfluß des Tigris oder ein starker künstlicher Wasserlauf, der nicht mehr den Eindruck eines Kanals machte. Nimmt man an, daß der Tigrisübergang Xen. an. II 4, 24 noch unterhalb der Mündung der Diḭālā erfolgt wäre, so hätten die Griechen entweder sehr bald auch diesen starken Nebenfluß überschreiten oder östlich von ihm nordwärts ziehend, sich vom Tigris verhältnismäßig weit entfernen müssen. Überschreiten mußten sie die Diḭālā dann aber noch auf jeden Fall, und die einfachste Erklärung wäre die, daß der Physkos eben die Diḭālā war, daß die Stadt S. an der Diḭālā lag. Da die parthische Königstraße an der Diḭālā entlang lief, müßte man freilich erwarten, daß Isidor von Charax die Stadt Σ., etwa in der Gegend von Artemita, erwähnt hätte, was nicht der Fall ist. Hätten aber die Griechen die Diḭālā schon in der Nähe ihrer Mündung überschritten, so wäre wohl anzunehmen, daß Xenophon einen Fluß, der an Wasserfülle dem Tigris wenig nachsteht, der Erwähnung wert erachtet hätte, wenngleich er alle anderen Nebenflüsse des Tigris, außer dem fraglichen Physkos, bis zum großen Zab, den er nennt, mit Schweigen übergeht. Es ist also schon aus diesen Gründen wahrscheinlicher, daß die Tigrisbrücke oberhalb der Diḭālā-Mündung war. Der erste bedeutendere Wasserlauf, der Xenophons Straße kreuzte, wäre dann einer der von der Diḭālā abzweigenden Kanäle gewesen, die jetzt eine starke Tagereise oberhalb Baidād in den Tigris münden. In Betracht käme sonst nur der Ἁḍậm, dessen Mündung noch etwas weiter nordöstlich liegt. Hier, am Ἁḍậm oder einem Diḭālā-Arm, wäre danach die von Xenophon irrtümlich Opis genannte Stadt, in Wirklichkeit S., zu suchen. Xenophons Physkos und Ktesias' Argades bezeichneten dann einen und denselben Wasserlauf, und da die Stadt nicht allzuweit vom Tigris entfernt zu suchen wäre, würde auch Damophilos mit seiner Angabe πόλις παρὰ τῷ Τίγριδι nicht ganz unrecht haben. Auch Plinius' Ansatz (n. h. VI 132): oppidum eius Sittace Graecorum, ab ortu et Sabdata, ab occasu autem Antiochia inter duo flumina Tigrim et Tarnadotum läßt sich damit vereinigen, da der Tornadotus aller Wahrscheinlichkeit nach ein Name der Diḭālā ist. Als pièce de résistance bleibt die Stelle Ptolem. VI 1, 6. Hier sind nur zwei Erklärungen denkbar: entweder hat es wirklich noch eine andere Stadt Σ. gegeben, die weit im Inneren der Landschaft Sittakene lag, oder Ptolemaios, [404] der V 17, 6 die mesopotamische Stadt Singara mehrere Tagereisen weit an den Tigris rückt, hat hier umgekehrt die Stadt S. aus der Nähe der Ströme in die Wüste versetzt. Eine sichere Entscheidung dieser Frage ist vorderhand nicht möglich.