Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Kirchenhistoriker, 4./5. Jahrhundert n. Chr.
Band XX,1 (1941) S. 119122
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3) Philostorgios. 1. Leben.

Als Sohn des Eunomianers Karterios und der Eulampios,[1] einer Tochter des homousianischen Presbyters Anysios in Borissos (KG IX 9 – in Cappadocia secunda), ist P. um 368, vermutlich in derselben Gegend, geboren. Das entscheidende Ereignis seines Lebens war die Begegnung mit Eunomios, dem Haupt der intransigenten Arianer, die als Eunomianer durch die theodosianischen Edikte von 380/81 und 383 geächtet waren. Auf dem Weg nach Constantinopel traf der 20jährige P. den Eunomios auf den ἀγροὶ Δακοροηνοί (Dakora in Kappadokien, s. Ramsay Asia minor 306). Das war etwa 388 (s. Bidez CVI). In Constantinopel teilte er die Geschicke der unterdrückten Eunomianergemeinde. Verschiedene Rückschlüsse aus Erwähnungen in der Kirchengeschichte sind möglich (s. Bidez CVIIf.). Demnach ist P. lange dort gewesen, in der Zwischenzeit wohl nach Palaestina und Antiochien gereist. Gestorben ist er nach 425, denn die Ereignisse dieses Jahres hat er noch beschrieben. – Wenn Photios ihn (bibl. 40) Arianer nennt, so ist das sehr ungenau ausgedrückt. In Wirklichkeit nimmt P. als Eunomianer gegen die dem Aetios und Eunomios feindliche Politik des Arianers Eudoxios Stellung.

2. Schriften.

Außer der Kirchengeschichte (s. 3) haben wir (in dieser angeführt) nur von zwei weiteren Schriften des P. Kenntnis: a) ἀγῶνες gegen Porphyrios (X 10); b) ein ἐγκώμιον Εὐνομίου (III 21).

3. Die Kirchengeschichte (KG).

Umfang. Nach Photios (bibl. 40), der die ἐκκλησιαστική ἱστορία ganz vor sich hatte, begann sie mit dem Anfang des arianischen Streites. Der erste Teil (= sechs Bücher) reichte bis zur Zurückrufung des Aetios, also bis zum Regierungsantritt Iulians. In einem anderen Band fand Photios weitere sechs Bücher. Als Akrostichon hatte P. die zwölf Buchstaben seines Namens gewählt. Das ganze Werk reichte nach Photios bis zur Einsetzung des jungen Valentinian durch Theodosios II. Aus den durch Photios erhaltenen Resten ist zu ersehen, daß P. noch Ereignisse des J. 425 beschrieben hat, dagegen die Feuersbrunst des J. 433 nicht mehr (vgl. Bidez CXXXII). – Zwei in der Anth. Pal. (IX 193f.) überlieferte Epigramme haben nach Bidez (XCIX) die beiden dem Photios vorliegenden Bände eingeleitet.

Fragmente und Überlieferung.

a) Photios. Außer der kurzen Übersicht über die KG des P. an der angeführten Stelle der ‚Bibliothek‘ verdanken wir dem Patriarchen Photios umfangreiche Auszüge aus allen zwölf Büchern des sonst verlorenen Werkes. Im Grunde sind es nur diese Exzerpte, die uns einen wirklichen [120] Einblick in Anlage und Durchführung der KG geben, und erst auf Grund der so gewonnenen Ergebnisse kann man in Viten P. als Quelle feststellen. Es ist die ἐπιτομὴ ἐκ τῶν ἐκκλησιαστικῶν ἱστοριῶν Φιλοστοργίου ἀπὸ φωνῆς Φωτίου πατριάρχου, eine stellenweise überarbeitete, nicht selten flüchtige und unklare, fast immer tendenziöse Wiedergabe der dem Patriarchen interessanten oder anstößigen Stellen aus der KG. Bis auf ganz kleine Zitate im Cod. Laur. 70, 5 und Cair. 86 ist es allein die berühmte Hs. der Kirchenhistoriker, der Cod. Barocc. 142 mit seinen Abkömmlingen, in dem die Epitome überliefert ist. In der im Barocc. 142 aufgegangenen Hs. B stand P.’ KG an zweiter Stelle hinter der des Euagrios, diente am Anfang des 14. Jhdts. dem Kirchengeschichtsschreiber Nikephoros Kallistos als Quelle (s. darüber Bidez XXXIII–XXXVI). Es ist eine ‚nicht immer sehr geschickte, aber meistens getreue Abschrift‘ einer Hs., die wohl zu den von Photios (mit Marginalien) hinterlassenen Textsammlungen gehörte (Bidez XXXII).

b) Die Artemii Passio. Nicht um des Gegensatzes zur orthodoxen Geschichtsschreibung willen (wie bei Photios), sondern als Quelle, bei der alles Anstößige ausgelassen wurde, ist die KG benutzt in der Artemii Passio des Johannes von Rhodos (gedruckt bei A. Mai Specilegium Rom. IV 340ff., Act. Sanct. Oct. VIII, 856ff. und Migne G. XCVI 1251ff., abgefaßt vor dem 10. Jhdt.). Ob die KG des P. direkt (so Bidez LII) oder in einer Kompilation als Vorlage diente, mag dahingestellt bleiben. Bei diesen Auszügen handelt es sich vor allem um die Verurteilung und Hinrichtung des Artemios, der im Auftrage des Constantios Reliquien nach Constantinopel überführte und unter Iulian unter dem Vorwand der Beteiligung an der Ermordung des Gallos hingerichtet wurde. Wie die Verteilung der Auszüge über die Bücher II–VIII der KG. zeigt, kannte der Exzerptor das ganze Werk.

c) Suidas. Die Bezeichnung einiger Artikel als aus P. stammend führte schon im 17. Jhdt. z. B. Valesius zu der Feststellung, daß auch andere als die so bezeichneten der gleichen Quelle entnommen seien. Dem Charakter des Lexikons entsprechend handelt es sich um Lebensläufe bedeutender Männer: Babylas’ Martyrium, Agapet von Synnada, Auxentios von Mopsuestia, Leontios von Tripolis, Demophilos u. a. m. Nach Bidez hat ein Kenner der vollständigen KG des P. bei einer Bearbeitung des Onomatologos des Hesych die P.-Auszüge hinzugefügt, Suidas dann das übernommen (Bidez LXXVIff.).

d) Vita Constantini. Große Stücke aus P. enthält schließlich eine Vita Constantini, die aus dem Cod. Angel. 22 (10./11. Jhdt.) von Opitz in Byzantion IX 2 [1934] 535ff. herausgegeben wurde. Zum Teil waren die P.-Exzerpte schon vorher von Pio Franchi de Cavalieri in Studi e documenti di storia e diritto XVIII (1897) 89ff. veröffentlicht. Inzwischen ist in einer anderen Hs. auch der im Cod. Ang. fehlende Anfang der Vita gefunden: im Cod. Sabaiticus gr. 366 (s. Bidez Fragments nouveaux de P. sur la vie de Constantin, Byzantion X [1935] 403ff.).

Diese, ins 10. Jhdt. zu datierende (s. Opitz 537) Vita enthält u. a. Auszüge aus dem 1. und [121] 2. Buch der KG des P. So aus Constantins Jugend z. B. den Aufenthalt im Osten und Diocletians Anschläge, Constantins Flucht nach Britannien, die Übernahme der Herrschaft, weiter die Kreuzeserscheinung (beim Kampf mit Maxentius, in der Nacht!). Die Schilderung der Anfänge des arianischen Streites ist die erste Stelle aus P., die der Cod. Ang. enthält (Opitz 27f.). Die bedeutendsten weiteren Abschnitte aus P. handeln von Euseb, Theognis und Maris (Opitz 34), Crispus (35), der Gründung von Constantinopel (37) und von Helenopolis (52).

Der Hagiograph exzerpierte nicht selbst, sondern übernahm die P.-Stücke aus einer älteren Kompilation. In dieser waren selbstverständlich alle häretischen Ergüsse des P. übertüncht, vgl. z. B. die Überschrift bei der Darstellung des Beginnes des arianischen Streites: περὶ τῆς Ἀρείου μανίας (Opitz 558, am Rande).

e) Kleine Auszüge mit Quellenangabe finden sich im Thesaurus orthodoxae fidei des Nicetas Acominatus (s. Register bei Bidez 245).

Die Auffindung der Vita Constantini (s. d.) läßt die Möglichkeit offen, daß auch anderwärts in der Vitenliteratur sich Reste der philostorgianischen KG finden werden (bei Symeon Metaphrastes erscheint dies sehr fraglich, vgl. Bidez CI). Eine gründliche Prüfung des reichen Materials bei den byzantinischen Chronisten dürfte weitere Anhaltspunkte ergeben. Hier steht die Forschung noch am Anfang (s. z. B. Bidez’ Einl. II 8 über die Zwillingsquelle von E. Patzig).

Ausgaben. Auf lange Zeit wird die Ausgabe der KG des P., die J. Bidez in den ‚Gr. Christl. Schriftst. der ersten 3 Jahrhunderte‘, 21, 1913 (mit ausführlicher Einleitung und Anhängen) veranstaltet hat, maßgebend sein. – Von früheren Ausgaben sind erwähnenswert die von J. Gothofredus (Genf 1643) und H. Valesius (Paris 1673, mit ‚supplementa Philostorgiana‘, davon viele Nachdrucke bis zu Migne G. LXV 455–638).

Bedeutung und Art der KG.

Die meisten der erhaltenen Quellen des 4./5. Jhdts. sind orthodoxer Herkunft. Schon im 5. Jhdt. beherrschten Athanasios und die orthodoxen Fortsetzer des Euseb das Feld der Kirchengeschichtschreibung. Es ist die dringende Aufgabe heutiger Forschung, sich davon soweit wie nötig unabhängig zu machen. Dazu sind aber neben den Urkunden vor allem Schriftsteller wie P. heranzuziehen. Denn dieser stellte das Jahrhundert von Constantin bis etwa 425 von einer Blickrichtung aus dar, die wesentlich von der orthodoxen verschieden war – viel mehr als die der Novatianer, mit denen Sokrates gelegentlich sympathisiert. Die Eunomianer bildeten den äußersten Flügel der Arianer, so daß sich die Hofbischöfe des Constantios und auch Eudoxios von diesen ‚Anhomöern‘ distanzierten. Aetios († 367) und Eunomios († etwa 393) sind die Propheten des P. Ihre Gegner sind die Feinde der wahren Kirche, vor allem Basilius von Caesarea (im einzelnen vgl. Bidez CXXV–CXXVIII u. Fragments nouv. 411f.). Hervorgehoben sei hier die Darstellung der Entstehung des arianischen Streites nicht aus Lehr-, sondern aus persönlichen Streitigkeiten (vgl. die Baukalisstelle KG I 4), ferner die [122] wechselnde Beurteilung Constantins: Als Instrument der Vorsehung beendet er die Verfolgung. Mit der Crispus- und Fausta-Affaire, auch mit den Beschlüssen von 325 lenkt er in andere Bahnen ein, um sich schließlich mit der Zurückrufung des Arius und der Taufe durch Euseb von Nikomedien (die darum von der späteren Orthodoxie als Erfindung der Arianer hingestellt wird) sich dem Rechten wieder zuzuwenden, ebenso wie er mit der Gründung von Constantinopel das spätere Asyl der Eunomianer schuf. Heidentum und ‚Orthodoxie‘ sind die Gegner des P. Der Sieg der nicänischen Theologie und die trüben Folgen für alle Ketzer seit 380 ließen bei ihm apokalyptische Stimmungen aufkommen. Die als Gegenwart erlebten Gotenkriege sind Anzeichen des nahen Endes. Mit einer Ausmalung der Schrecken der Zeit schloß P. sein Werk (über gewisse Beziehungen zu der Apokalypse des Cod. add. 2918 der Cambr. Univ. Library s. Bidez CXVff.). Das abfällige Urteil des Photios und die Verschleierungen bei den Hagiographen entsprechen der Verfemung des Werkes. Was die Kompilatoren trotzdem bewog, die KG dieses ‚Arianers‘ zu exzerpieren, war wohl ihre eigenwillige Darstellung, die Charakterisierung sonst nicht genauer bekannter Persönlichkeiten und nicht zum mindesten der Respekt vor der über das ganze Werk verstreuten Gelehrsamkeit, die sich in Exkursen besonders geographischer und astronomischer Art äußerte; denn P. war ein belesener Mann, der zudem scharf beobachtete (s. darüber Bidez CIXff. u. CXXXIV). Theologisch war er völlig von Eunomios abhängig.

Die Quellen der KG sind weithin unbekannt. Zum Teil mag die Darstellung auf eigener Beobachtung beruhen. Ferner hat P. Briefe (Athanasios, Eunomios, Kaiserbriefe), Konzils- und Märtyrerakten benutzt. Bei der Regierung Iulians folgt P. dem arianischen Fortsetzer Eusebs (s. Bidez Anh. VII). Vielleicht ist auch Eunapius herangezogen. Viele Quellen mögen vernichtet sein, manche Anhaltspunkte noch gefunden werden. Besässen wir die gleichzeitig abgefaßte KG des Philippus von Side, so wäre ein Weiterforschen ermöglicht, denn beide haben wohl gelegentlich die gleichen Quellen benutzt (vgl. Bidez CXXXIIf.).

Literatur. Es genügt, auf die oben angeführte Ausgabe von Bidez mit ihrer ausführlichen Einleitung hinzuweisen. Dort findet sich alles Weitere (außerdem vgl. den ebenfalls angeführten Aufsatz von Bidez in Byzantion X 1935).

Anmerkungen (Wikisource)

  1. gemeint ist hier Eulampia; ein Tippfehler