Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Bild von Göttern und Menschen, Trugbild, poetisch: Seele Abgeschiedener
Band V,2 (1905) S. 20842096
GND: 4225784-0
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Εἴδωλον. Das Wort ἐ. bedeutet zunächst ganz allgemein Bild, Abbild und ist auch zu allen Zeiten für bildliche Darstellungen von Göttern und Menschen gebraucht worden (vgl. z. B. Herod. I 51. Xen. mem. I 4, 4. Pol. XXXI 3. Plat. Theaet. 191 D). Man empfand aber in ihm besonders stark den Gegensatz des Scheins zur Wirklichkeit, deshalb bezeichnet es oft das Trugbild, das den Schein des Lebens vortäuscht. Solche ἐ. schaffen die Homerischen Götter zur Täuschung der Sterblichen, Il. V 449 entrückt Apollon Aineias und schiebt ein ἐ. unter, um das Troer und Achaier weiter kämpfen, durch ein ἐ. der Iphthime, das der Schlafenden im Traume erscheint, läßt Athena Od. IV 795ff. die Penelope trösten, und berühmt vor allem durch Stesichoros und Euripides ist das εἴδωλον Ἑλένης, das an Stelle der nach Ägypten entrückten Heroine dem Paris nach Troia folgt (Stesich. frg. 32. Eur. Hel. 33ff.). Eng mit dem Begriff des wesenlosen trügerischen Scheines hängt dann diejenige Verwendung des Wortes zusammen, auf die ich mich in diesem Artikel beschränke, als Bezeichnung für die Seelen Abgeschiedener. Nach Homerischer Psychologie (vgl. Rohde Psyche Kap. I) ist die Psyche ein Doppelgänger des leiblichen Menschen, der die Existenz des Körpers überdauert und nach dem Tode zum Hades entweicht. Die Seele behält genau die Gestalt des Lebenden (Il. XXIII 107), so daß Odysseus im Hades Mutter, Freunde und Genossen ohne weiteres erkennt (Od. XI 51ff.), aber ihr fehlt die Körperlichkeit (Od. XI 219), wie ein Rauch oder Schatten entschwindet sie dem Griff (Il. XXIII 100; Od. XI 207), auch das Bewußtsein ist wie gelähmt und kann nur durch einen Bluttrunk belebt werden (besonders Od. XI 152ff.; Il. XXIII 104). In den Homerischen Gedichten ist das Wort ἐ. keineswegs das vorherrschende zur Bezeichnung der abgeschiedenen Seele, Achilleus spricht Il. XXIII 104 von ψυχὴ καὶ εἴδωλον, und Odysseus fragt, als ihm der Schatten der Mutter unter den Händen entschwindet, Od. XI 213 ἦ τί μοι εἴδωλον τόδ' ἀγαυὴ Περσεφόνεια ὤτρυν', ὄφρ' ἔτι μᾶλλον ὀδυρόμενος στεναχίζω; und läßt sich dann von der Mutter belehren, sie sei kein Trugbild, sondern nur dem allgemeinen Lose der Toten unterworfen; vgl. auch die interpolierten Verse über die Doppelexistenz des Herakles im Hades und bei den Göttern, Od. XI 602ff. Immerhin wird bei Homer ἐ. nicht selten gleich ψυγή gesetzt, so von Elpenor Od. XI 83 und besonders in der allgemeinen Wendung εἴδωλα καμόντῶν Od. XI 476. XXIV 14. Zu beachten ist, daß Theoklymenos der Seher in einer Vision die E. der lebenden Freier sieht, Od. XX 355 εἰδώλων δὲ πλέον πρόθυρον, πλείη δὲ καὶ αὐλή, ἱεμένων Ἔρεβόςδε ὑπό ζόφον. Genau so wird von Bakchylides V 63ff. ψυχή und ἐ. gleichgesetzt. Pindar, bei dem das Wort nur an dieser einen Stelle vorkommt, gibt frg. 131 eine besonders klare Darstellung von dem Wesen dieses schattenhaften Doppelgängers des Menschen, dessen Wirksamkeit der Lebende hauptsächlich im Traume [2085] erfährt, καὶ σῶμα μὲν πάντων ἕπεται θανάτῳ περισθενεῖ, ζωὸν·δ' ἔτι λείπεται αἰῶνος εἴδωλον· τὸ γάρ ἐστι μόνον ἐκ θεῶν· εὕδει δὲ πρασσόντων μελέων, ἀτὰρ εὑδόντεσσιν ἐν πολλοῖς ὀνείροις δείκνυσι τερπνῶν ἐφέρποισαν χαλεπών τε κρίσιν. Von den Tragikern wird ἐ. häufiger bildlich zur Bezeichnung der Hinfälligkeit (Soph. Aias 125f.; Oed. Col. 109f.; Phil. 946f. Eur. Phoen. 1543) als im Sinne der abgeschiedenen Seele gebraucht. Doch spricht Aischylos Prom. 567 von dem εἴδωλον Ἄργού γηγενούς, und die seit den Persern nicht selten auf die Bühne gebrachten Geister Verstorbener tragen in unsern Hss. stets die Bezeichnung ἐ., so Aischyl. Pers. 683; Eum. 94 mit Schol. Eur. Hec. Hypoth. In den erhaltenen Stücken des Sophokles tritt kein E. auf, aber in der Polyxene erschien der Geist des Achilleus über seinem Grabe, FTG 245f. In einer nacheuripideischen Medeia trat das εἴδωλον Ἀήτον auf, wie die Beischrift auf der berühmten Amphora aus Canosa, München 810, lehrt (oft abgebildet z. B. Wien. Vorl. I 12. Baumeisters Denkm. II 903. Huddilston Greek Tragedy in the light of vase paintings, Titelbild und Fig. 23, über ihr Verhältnis zu Euripides vgl. Bethe Prolegomena 148, 6). Besonders durch diese E. der Tragödie ist das Wort uns geläufiger geworden, als es dem Altertum war, es muß betont werden, daß es weder in der klassischen Zeit, noch späterhin die übliche Bezeichnung für die Seelen gewesen ist. Die Komoedie nennt die Geister der Toten, soviel ich sehe, niemals mit diesem Namen, auch in der oft zitierten Stelle des Platonischen Phaidon, wo das Los der durch Sinnlichkeit mit dem Körper zu fest verwachsenen Seele geschildert wird, 81 C. D βαρύνεταί τε καὶ ἕλκεται πάλιν εἰς τὸν ὁρατόν τόπον, φόβῳ τοῦ ἀειδοῦς τε καὶ Ἅιδου, ὥοπερ λέγεται, περὶ τὰ μνήματά τε καὶ τοὺς τάφονς κυλινδουμένη περὶ ἃ δὴ καὶ ὤφθη ἀττα ψυχῶν σκιοειδῆ φαντάσματα οἷα παρέχονται αἱ τοιαῦται ψυχαὶ εἴδωλα, αἱ μὴ καθαρῶς ἀπολυθεῖσαι ἀλλὰ τοῦ ὁρατοῦ μετέχουσαι κτἑ ist εἴδωλα nicht Terminus technicus für die irrenden Seelen, und wenn Platon von der Macht der Abgeschiedenen spricht (Leg. XI 927 A), gebraucht er ausschließlich das Wort ψυχαί. Aus Grabinschriften kenne ich ἐ. nur im Sinne der Bildsäule (Kaibel Epigr. Gr. 260. 590), in den Defixionen kommt das Wort nie vor (IG III 3), die Gespenstergeschichten des Phlegon (mirabil. 1–3) verwenden es nicht, ebensowenig Lukian in denjenigen Schriften, die am meisten Zeugnisse volkstümlichen Seelenglaubens enthalten (de luctu und Philopseudes), dagegen hat er es in dem bewußt homerisierenden Dialog Charon (2).

Zusammenfassend wird man sagen dürfen, ἐ. ist eine poetische Bezeichnung der abgeschiedenen Seele, die vor allem ihr Verhältnis zur äußeren Erscheinung des lebenden Menschen und daneben ihre kraftlose Hinfälligkeit zum Ausdruck bringt; der Name ist nicht aus lebendigem Glauben an die Macht der Toten herausgewachsen, sondern grade in einer Periode schwachen Seelenglaubens aufgekommen und deshalb nie recht volkstümlich gewesen.

Hieraus folgt schon, daß es höchst unsicher ist, ob die zahlreichen Darstellungen abgeschiedener Seelen auf den Vasen und andern Denkmälern [2086] von uns mit Recht als E. bezeichnet werden. Ihre Verfertiger werden sie meist – wo es sich nicht um Darstellung einer Theaterszene handelt – ψυχαί oder κῆρες benannt haben. Da aber eine sichere Entscheidung hierüber nicht möglich ist, scheint es rätlich, diejenigen Darstellungen der Seele hier zu berücksichtigen, die sich entweder durch ihre Abhängigkeit von Epos und Tragödie, oder durch die Betonung des hinfälligen, trügerischen Scheindaseins dem im Worte ἐ. enthaltenen Begriffe leicht anschließen lassen. Ausgeschlossen habe ich alle Darstellungen, in denen erhöhtes heroisches Leben der Toten oder bestimmte Eigentümlichkeiten der lebhaft wirksam gedachten Seele, z. B. das Entraffen Überlebender, zum Ausdruck gelangen, für sie ist auf die Artikel Heros und Ker zu verweisen. Feste Grenzlinien gibt es naturgemäß zwischen den verschiedenen Auffassungen von Wesen und Gestalt der Seele nicht.

I. Archaische Kunst.

Am meisten Anspruch auf die Bezeichnung ἐ. haben die Darstellungen einer Anzahl attischer, fast ausnahmslos sf. Vasen, welche unmittelbar an Szenen des Epos anknüpfen, sie sind zusammengestellt in der nützlichen, aber das Thema nicht entfernt erschöpfenden Jenenser Dissertation von Richard Hirsch De animarum apud antiquos imaginibus, Leipzig 1889. Folgende Szenen sind hier zu nennen:

1. Schleifung des Hektor (Hirsch nr. 1–6; vgl. A. Schneider Der troische Sagenkreis 25ff.). Der an das Gespann des Achilleus gebundene nackte Leichnam des Hektor (bei Hirsch nr. 2 fortgelassen) wird an dem bienenkorbförmigen Tumulus des Patroklos vorbeigeschleift, über welchem im Knielaufschema die kleine Figur eines vollgerüsteten Kriegers sichtbar wird. Die Gestalt ist bald beflügelt (Hirsch nr. 2. 4. 5), bald ungeflügelt (nr. 1. 3. 6), einmal durch Beischrift als Patroklos bezeichnet (nr. 1, abgeb. Gerhard Auserl. Vasenb. 199). Hirschs Liste hinzuzufügen ist eine sf. Lekythos im Brit. Mus. (Walters Catal. II B 543), auf der Hektors Leiche und Achilleus fehlen; das E. über dem Grabe ist hier geflügelt und gewappnet. Mehrfach (nr. 1. 2. 4) ist die Seele des Helden außer durch das E. noch durch eine große Schlange verkörpert, die an (gemeint ist wohl in) dem weißen Tumulus sichtbar wird.

2. Bergung der Leiche Achills. Der auf archaischen Vasen und geschnittenen Steinen oft wiederholten Gruppe des Aias, der den toten Achilleus auf den Schultern fortträgt, ist einigemale auf sf. Vasen (Hirsch nr. 10. 13) die kleine Figur eines gewappneten, ohne Flügel die Luft durcheilenden Mannes, offenbar das E. Achills beigefügt. Dieselbe Darstellung mit den Namensbeischriften Aivas und Achele findet sich auf einem etruskischen Scarabaeus in Petersburg (Hirsch nr. 11, am besten abgeb. Furtwängler Die antiken Gemmen XVI 19), jedoch ist das E. hier eine kleine waffenlose nackte Flügelfigur, die Flügel sind in älteren Publikationen übersehen.

3. Opfer der Polyxena. Auf einer Berliner Hydria (Furtwängler 1902. Hirsch nr. 14, abgeb. Gerhard Trinksch. und Gef. XVI. Overbeck Gall. her. Bildw. XXVII 17) wird Polyxena von links durch Neoptolemos an den Tumulus des [2087] Achilleus geführt, dessen E. gewappnet und geflügelt darüber hinfliegt, an dem Tumulus Wiederholung der Seele in Schlangenform, an seinem Fuß ein Hase.

4. Bergung der Leiche Memnons. Auf einer Reihe älterer Vasen wird dargestellt, wie zwei geflügelte Genien, Hypnos und Thanatos, bisweilen durch gerüstete Krieger ersetzt, einen Leichnam forttragen, den Robert (Thanatos 14ff.; Bild und Lied 108ff.) in den meisten Fällen Sarpedon benennen will, der aber wohl richtiger mit Brunn (Troische Miscellen III 167ff.), P. J. Meier (Ann. d. Inst. 1883, 212ff.) und Arthur Schneider (Tro. Sagenk. 146ff.) stets als Memnon zu deuten ist. Über der Leiche erscheint einigemale das E. des Helden. Auf zwei sf. Amphoren (Hirsch nr. 15. 16) hat es die übliche Gestalt eines vollgerüsteten geflügelten Kriegers, der das einemal rücklings schwebt, als hätte er soeben den Leib des Toten verlassen (Ann. d. Inst. 1883 Q = Hirsch nr. 16), das anderemal (Pottier Vases antiques du Louvre II F 388 = Hirsch nr. 15) der Leiche zugekehrt herabzufliegen scheint. Abweichend ist die Bildung des E. auf einer sf. Lekythos aus Gela (Benndorf Griech.-sic. Vas. XLII 2 = Hirsch nr. 17). Auf den von zwei Negern getragenen Leichnam schwebt eine waffenlose nackte Flügelgestalt herab und scheint seine Schulter zu berühren. Die Gruppe gleicht auffällig den Darstellungen des Alkyoneus (vgl. Koepp Arch. Ztg. 1884, 31ff.), den ein geflügelter Daemon (Schlaf, oder doch vielleicht Ker) niederdrückt. W. Klein hat (Arch. Jahrb. VII 1892. 143) das Bild gradezu für eine nachträgliche schlechte Umformung einer ursprünglich beabsichtigten Alkyoneusdarstellung erklärt, aber auch dann muß in dem fertigen Bild die Flügelfigur als Seele verstanden werden. Nur ist auf Wiedergabe der leiblichen Erscheinung des Helden im Glanze der Rüstung, also auf das für das E. Charakteristische, verzichtet, und man kann zweifeln, ob die Seele des Memnon, oder eine beliebige fremde Seele gemeint ist, die etwa des Toten Lebenshauch auffangen will, so wie das auf einer rf. Schale (Hartwig Journ. Hell. Stud. XII 340 Fig. B = Hirsch nr. 19) sehr deutlich zum Ausdruck gebracht ist. Dann würde Ker eine passendere Bezeichnung für die Figur sein als E.

5. Psychostasie des Memnon und Achilleus. Ähnliche Bedenken über die Bezeichnung der Seelenfiguren wie bei der Memnonlekythos aus Gela erheben sich bei Betrachtung der Psychostasiedarstellungen (Hirsch 19, 5; vgl. Robert Bild und Lied 143ff. und Crusius Art. Keren, Roschers Myth. Lex. II 1143ff.). Auf der ältesten Vase, einer sf. Lekythos des British Museum (Walters Catal. II B 639. Hirsch nr. 2, abgeb. Μurray Hist. of greek sculpt. II 28) sind die von Hermes in der Wagschale gewogenen Gestalten nackt und geflügelt, wie die Seele der Memnonlekythos, ebenso auf einem viel jüngeren nolanischen Gefäß (Hirsch nr. 3, abg. Overbeck Gall. her. Bildw. XXII 7), dagegen auf zwei rf. Vasen strengen Stils (Hirsch nr. 4 und 5, abgeb. Mon. d. Inst. II 10. VI 5 a) sind es gewappnete flügellose Krieger, durchaus den oben beschriebenen E. des Patroklos und Achilleus entsprechend. Eine Mittelstellung nimmt der etruskische Spiegel [2088] (Hirsch nr. 6, abgeb. Gerhard 235, 1 = Overbeck Gall. her. Bildw. XXII 5) ein, der ungeflügelte Männer in bloßem Chiton zeigt. Also wenigstens auf zwei Gefäßen sind die Seelen als ἐ., getreue Abbilder der äußeren Erscheinung der Helden gedacht, und wenn diese Helden selbst lebendig neben dem wägenden Hermes zum Kampfe antreten (Hirsch nr. 2. 3), so entspricht das vollkommen der Doppelgängerrolle der Seele, die am klarsten in dem o. S. 2084f. angeführten Fragment Pindars entwickelt ist. Damit erledigen sich Hirschs Zweifel, ob die Figuren als Seelen zu verstehen seien.

Zu diesen Darstellungen der E. bestimmter Helden in bestimmten Situationen kommen nun andere, die für uns, zum Teil auch für ihre Verfertiger namenlos waren. Wenn freilich 6. auf einer sf. Hydria (Hirsch nr. 18) zwei Krieger um die Leiche eines dritten kämpfen, über der ein bewaffnetes ungeflügeltes E. schwebt, so wird ein bestimmter Kampf, etwa der um den toten Achilleus gemeint sein. Auch 7. die Darstellung einer sf. Amphora des Brit. Mus. (Walters Catal. II B 240. Hirsch nr. 9, abgeb. Gerhard Auserl. Vasenb. 198, 1) ist wohl auf eine Szene des Epos zu beziehen. Eine gewappnete, geflügelte Kriegergestalt von gewaltiger Größe fliegt über ein unbemanntes, von Fischen umspieltes Schiff, dessen Hinterteil links durch einen hohen Felsen mit darauf sitzendem Raben verdeckt ist. Robert (Bild und Lied 136) erklärt die Figur als Schatten des Achilleus, der das Opfer der Polyxena fordert. Abweichend von allen bisher besprochenen Darstellungen ist die kolossale Größe des E. In diesem Punkte entspricht ihm 8. das Bild einer Berliner Oinochoe (Furtwängler nr. 1921. Hirsch nr. 7, abgeb. Gerhard Etr.-Camp. Vas. XVII), auf der nur die gewaffnete geflügelte Gestalt eines Mannes im Fluge nach rechtshin zwischen Zweigen dargestellt ist.

9. Die Menge der namenlosen εἴδωλα καμόντων im Hades finden wir auf zwei sf. Vasen in fruchtlosem Mühen dargestellt. Auf einer Lekythos in Palermo (Hirsch nr. 21. abgeb. Arch. Ztg. XXVIII 1870 T. 31; vgl. Furtwängler Arch. Anz. 1890, 24f.) schleppen nackte Jünglinge und bekleidete Mädchen, sämtlich ohne Flügel, Wasserkrüge herbei und leeren sie in einen riesigen Pithos, vorn ist ein gestürzter Esel und neben ihm ein ratloser Greis (Oknos) gemalt. Kuhnert (Arch. Jahrb. VIII 1893, 110: vgl. Rohde Psyche 292, 1) sieht in den Jünglingen und Mädchen wohl mit Recht die zu ewigem λουτροφορεῖν verurteilten Seelen der ἄγαμοι, deren mythische Vertreterinnen die Danaiden sind. Ähnlich war in Polygnots Nekyia das Los der ἀμύητοι dargestellt (Paus. X 31, 9. 11). Auf einer Münchener Vase (Jahn nr. 153. Hirsch nr. 20, abgeb. Müller-Wieseler II 866. Inghirami Vasi fitt. 135) sind um einen entsprechenden Pithos vier geflügelte Figuren in kurzen Chitonen mit Krügen in den Händen vereinigt, rechts daneben Sisyphos, der den Felsen wälzt.

10. Ganz ohne Bezug zu Mythos und Heldensage ist endlich die Darstellung der E. auf einer sf. Lutrophoros (Hirsch nr. 32. Collignon Vases d’Athènes 200 bis, abgeb. Mon. d. Inst. VIII 5. Roscher Mythol. Lex. II 1147, vgl. Wolters [2089] Athen. Mitt. XVI 1891, 379), die am Bauch Prothesis und Begräbnis, am Hals klagende Angehörige bei dem Grabe zeigt. Das Grab ist ein bienenkorbförmiger Hügel, auf dem eine Lutrophoros steht, ein Epigramm (Kaibel Ep. Gr. 1134) umzieht den Rand des Grabhügels; an (oder wohl richtiger in) diesem befinden sich eine Schlange und vier nach rechts flatternde kleine nackte Flügelgestalten, die Seelen der Ahnen. Ihre Flügel sind oben abgerundet, aber Conze (Ann. d. Inst. 1864, 198) warnt davor, sie für Schmetterlingsflügel zu halten. Die E. gleichen am meisten denen der Psychostasie auf der Londoner Lekythos. Dieser Typus, in dem weniger die Bewahrung der Erscheinung des Lebenden, als die körperliche Schattenhaftigkeit betont ist, wurde für die Kunst des 5. Jhdts. besonders wichtig.

Dieser Überblick zeigt zur Genüge, daß sich in der älteren attischen Kunst kein fester Typus für die Darstellung der E. herausgebildet hat. An Zahl überwiegen die kleinen Flügelfiguren, die in Kleidung und Ausrüstung das Bild der Lebenden genau wiedergeben; da so gut wie ausschließlich die Seelen kriegerischer Helden einer Darstellung gewürdigt werden, tragen die E. Helm, Panzer, Schild und Speere. Aber neben diesem Typus stehen die kleinen ungeflügelten Figuren in Waffen, die kleinen nackten waffenlosen Flügelfiguren und die gewappneten Kolossalfiguren mit Flügeln. Ehe ich diesen Typen der entwickelten attischen Vasenmalerei vermutungsweise eine attische Darstellung aus sehr viel früherer Zeit anschließe, muß ich die einschlägigen Typen anderer Vasengattungen kurz besprechen.

Am sichersten scheinen mir außerhalb Attikas E. auf den kyrenaeischen Vasen nachzuweisen. Auf drei Schalen dieser Gattung (nr. 5–7 des Löschcke-Puchsteinschen Verzeichnisses Arch. Ztg. 1881, 217f.) kehrt mit geringen Varianten die Darstellung eines jugendlichen Reiters wieder, der von mehreren Vögeln umschwärmt und von einer kleinen bekleideten Flügelfigur, wohl weiblichen Geschlechts, begleitet ist. Die Flügelgestalten tragen Kränze in den Händen (nr. 5, abgeb. Micali Storia 87, 3; nr. 6, Walters Catal. II B 1, abgeb. Arch. Ztg. 1881 Taf. XIII 2) oder eine Ranke auf dem Kopf (nr. 7, Pottier Vases du Louvre II E 665, abgeb. Arch. Ztg. 1881 Taf. XIII 3), auch der Kopf des Reiters ist in nr. 6 und 7 mit einer Lotosranke geschmückt. Diese Figuren, die durchaus den wassertragenden E. der attischen Vase in München (nr. 153) entsprechen, sind im wesentlichen ganz gleich den Flügelgestalten einer andern kyrenaeischen Schale aus Naukratis (Walters Catal. II B 4, abgeb. Naukratis I Taf. VIII. IX. Studniczka Kyrene 18. Roscher Mythol. Lex. II 1730); nur sind hier männliche und weibliche Flügelgestalten geschieden, die gemeinsam den Zweig mit den Äpfeln der Hesperiden in der Hand der Kyrene umflattern. Für alle diese Gestalten hat zuerst Loeschcke Arch. Jahrb. II 277, 5 den Namen E. vorgeschlagen, während sonst die Begleiter der Reiter als Niken, die der Kyrene als Harpyien und Boreaden oder allgemein Windgeister bezeichnet wurden. Loeschckes Deutung ist wesentlich befestigt durch Georg Weicker, der in seinem ausgezeichneten Buche Der Seelenvogel [2090] (15 Fig. 9) eine weitere kyrenaeische Schale heranzieht (Pottier Vases du Louvre II E 667 = Arch. Ztg. 1881, 217 nr. 10 C, abgeb. Bull. hell. XVII 1893, 238 Fig. 6). Von fünf gelagerten schmausenden Männern werden zwei durch Sirenen, zwei andere durch nackte Flügelfiguren mit Kranz und Lotosranke geschmückt, dem fünften bringt ein kleiner, rein menschlich gestalteter Jüngling Kranz und Weinkrug. Da die Sirenen sicher Darstellungen der menschlichen Seele sind, ist dasselbe von den andern Figuren anzunehmen, die man sonst als Eroten bezeichnet hat. Heroen, von Seelen geschmückt und bedient, ist also das Thema des Bildes. Besonders wichtig ist Weickers Hinweis (16) auf die sepulcrale Bedeutung der Lotosranke und des Kranzes, beide Attribute finden sich auch bei den oben erwähnten Reitern und den sie begleitenden Flügelfiguren, auch für diese ist dadurch die Deutung als Heroen, bezw. Seelen höchst wahrscheinlich gemacht. Wir werden also auch in Kyrene verschiedene E.-Typen, bekleidete männliche und weibliche Flügelfiguren, nackte männliche Flügelfiguren und rein menschliche nackte Figuren anzuerkennen haben, die bis auf das Fehlen der bewaffneten Gestalten ziemlich genau den attischen Typen entsprechen.

An diese kyrenaeischen E. lassen sich mit Wahrscheinlichkeit einige ähnliche Figuren anderer Vasengattungen anschließen. Auf einer Situla aus Daphnae (Walters Catal. II B 104, abgeb. Petrie Tanis II Taf. XXV; Journ. Hell. Stud. XIII 1892, 109) ist eine stehende, langgelockte männliche Flügelfigur in kurzem Chiton dargestellt, vor ihr allerlei Vögel, ein Hase und eine Heuschrecke. Walters Deutung, der Mann lasse die Vögel gegen den Hasen los, scheint mir irrig, die Tiere sind wohl attributiv gemeint, wie auf den kyrenaeischen Reiterschalen. Smith (Journ. Hell. Stud. XIII 1892, 109) sieht in der Figur einen feindlichen Winddaemon (Harpyie), was sich von der durch die Analogie der kyrenaeischen Vasen nahegelegten Erklärung als Seele ja nicht weit entfernt (vgl. Weicker 19). Auf zwei Schalen derselben Provenienz (Walters Catal. II B 106, 3. 125, 2, abgeb. Petrie Tanis II Taf. XXVI 4. XXXI 10) kommen ganz ähnliche weibliche (?) Figuren vor, die eine trägt eine Blume. Man hat auch diese Gestalten für Niken erklärt; Smith hält sie dagegen für Harpyien, ebenso eine nahverwandte Figur, die auf einer Caeretaner Hydria der vom Stier entführten Europa folgt (Jahn Die Entführung der Europa Taf. V a. Journ. Hell. Stud. XIII 112), während ein Vogel dem Stier voranfliegt. Sie trägt zwei Kränze in den Händen, wie die kyrenaeischen Figuren (nr. 5 und 6 Loeschcke-Puchstein), und da die Entführung der Europa durch den Gott sehr wohl als Prototyp der Entrückung der Seele in die Gefilde der Seligen aufgefaßt werden kann, scheint mir die Erklärung als Seele, welche die Heroine schmücken will, durch die kyrenaeischen Analogien empfohlen.

Angesichts dieser freilich nicht unbedingt zwingenden Zeugnisse dafür, daß in verschiedenen archaischen Vasengattungen die Darstellung der abgeschiedenen Seelen in Form geflügelter Figuren beliebt war, ist es immerhin wahrscheinlich, daß auch in der korinthischen Kunst die so überaus [2091] häufigen Flügelfiguren wenigstens teilweise als εἴδωλα καμόντῶν zu deuten sind. Beispiele gibt es wohl in jeder größeren Vasensammlung, ich nenne von abgebildeten Exemplaren Gerhard Auserl. Vasenb. 220. Mon. d. Inst. 126, 20. Micali Storia XCVI 4. Pottier Vases du Louvre I A 465. E 586. Hirsch hat (nr. 8) ziemlich willkürlich diese Deutung für ein beliebiges Exemplar der großen Schar aufgestellt, ohne überhaupt zu wissen, daß das Gefäß korinthisch ist. Am meisten an die lebendigere Darstellung der kyrenaeischen Schalen klingt das von Gerhard Auserl. Vasenb. 220 veröffentlichte Bild einer Neapler Amphora a colonette an, das einen Reiter mit Handpferd, über dem Pferd einen Vogel, und zu beiden Seiten eine bärtige und eine unbärtige Flügelfigur in kurzen Chitonen zeigt. Daß diese Flügelgestalten auf den korinthischen Vasen genau so dekorativ und nichtssagend geworden sind wie die Sirenen, die Seelenvögel, beweist nichts gegen die ursprüngliche Bedeutsamkeit des Typus. Aus ionischem Kunstkreis gehören vielleicht hierher die Flügelfiguren einer Amphora aus la Tolfa Arch. Jahrb. III Taf. 5–6, 2 und ähnliche Gestalten der klazomenischen Sarkophage (besonders Bull. hell. XIX 1895 Taf. I).

Ist so in verschiedenen Vasengattungen, die zum Teil der entwickelten attischen sf. Vasenmalerei zeitlich vorangehen, die Verwendung von Flügelfiguren zur Darstellung der Seelen wahrscheinlich, so wird man vermutungsweise auch das rohe Bild einer frühattischen Amphora aus dem Phaleron in den Kreis der E. Darstellungen ziehen dürfen. Auf diesem von Couve Bull. hell. XVII 1893, 25ff. Taf. III veröffentlichten Gefäß stehen zwei nackte Flügelfiguren mit gekrümmten Knieen zu beiden Seiten eines Baums; sie wollen nicht auf die Kniee fallen, wie der Herausgeber meint, sondern die Krümmung der Kniee soll wohl das eben erfolgte Niederschweben ausdrücken. Sie sind zu dem Baum im Garten der Götter herangeflogen.

II. Kunst des 5. und 4. Jhdts.

In der Blütezeit der Kunst gibt es zwei völlig verschiedene Darstellungsweisen der E. Die eine knüpft unmittelbar an den oben unter I 10 beschriebenen Typus an und findet sich ausschließlich auf attischen Lekythen. Die Seelen sind als ganz kleine, dunkle Flügelfiguren fast ohne jede Körperlichkeit dargestellt, nur selten (z. B. Hirsch nr. 34 = Furtwängler Berl. Vasenkat. 2684, abgeb. Winter 55. Berliner Winckelmannsprogr.) sind die Formen der Glieder einigermaßen breit angelegt, meist besteht die Figur nur aus dünnen Firnisstrichen. Bewußt ist das Individuelle gemieden und das Materielle der Erscheinung auf das geringste Maß beschränkt, und diese Körperlosigkeit rechtfertigt die moderne Bezeichnung E. einigermaßen. Die Darstellungen sind gesammelt von Pottier (Étude sur les Lécythes blancs attiqucs 75ff.), der sie aber nicht recht als Bilder der Seele gelten lassen will, sondern den unglücklichen Namen Éros funèbre für sie erfindet. Die auf Taf. II von Pottier abgebildete Vase, die er bei einem Kunsthändler in Athen sah, mit ganz singulärer Bildung des E. ist sicherlich mit Recht von Robert (DLZ 1884, 1796) als Fälschung verworfen worden. Hirsch, der dieselben Gefässe schlecht geordnet unter nr. 22–38 [2092] aufzählt, hat zu Collignons Serie ein wichtiges Stück hinzugefügt, aber Nichthergehöriges eingemischt und mehrere Nummern Collignons fortgelassen. Folgende Serien sind zu scheiden:

1. Hermes beschwört die Seelen aus der Unterwelt herauf. Diese inhaltlich reichste Szene ist bisher nur durch eine Vase, eine Lekythos in Jena, bekannt (Hirsch nr. 38, abgebildet und ausführlich besprochen in der Dissertation von Paul Schadow Eine attische Grablekythos, Jena 1897, wiederholt von J. Harrison Journ. Hell. Stud. XX 1900. 101). Aus einem großen zu zwei Dritteln im Erdboden steckenden Pithos sind zwei kleine schattenhafte E. herausgeflogen, ein drittes steckt mit dem Unterkörper noch darin, während ein viertes im Begriff ist, sich kopfüber wieder hineinzustürzen. Neben dem Pithos steht Hermes in Stiefeln, Chlamys und spitzem Hut, das Kerykeion in der Linken, die Rechte mit einem Stab beschwörend über den Pithos ausgestreckt. Die religionsgeschichtlichen Folgerungen für die Pithoigien, den ersten Tag der Anthesterien, hat aus der Darstellung am besten Jane Harrison (a. a. O. 101ff.) gezogen. Der Pithos, ein Gefäß, das ja nicht selten an Stelle eines Sarges gebraucht wurde (Belege bei Schadow 8f.), bezeichnet hier den Eingang zur Unterwelt, er ist geöffnet, und Hermes, der einzige Gott, der am letzten Tage der Anthesterien ein Opfer erhielt (Rohde Psyche 218), läßt die Seelen herauf an die Oberwelt, wo sie in den μιαραὶ ἡμέραι (Hesych. s. v. Phot. s. μιαρά ἡμέρα) des Allerseelenfestes umgehen. Wenn ein E. sich bereits wieder kopfüber in den Pithos hineinstürzt, so ist das wohl eine proleptische Andeutung davon, daß ihres Bleibens unter den Lebenden nicht lange sein soll, am Abend des letzten Festtages wird man sie mit dem Spruche θύραζε Κῆρες οὐκ ἔτ' Ἀνθεστήρια (Phot. s. v., zuerst richtig erklärt von Crusius in Ersch und Grubers Encycl. II 35, 265–267) wieder in die Unterwelt scheuchen.

2. Prothesis. Auf den zahlreichen Bildern der feierlichen Aufbahrung der Leiche (Pottier 11ff.) flattern mitunter ein (Hirsch nr. 33. 34, abgeb. 55. Berl. Winckelmannsprogr.) oder mehrere (Hirsch nr. 35, abgeb. Benndorf Griech. und sicil. Vasen XXXIII) E. über der Kline. Mit ihnen ist, wenn nur eins erscheint, wohl die Seele des Aufgebahrten gemeint, wenn mehrere zusammen auftreten, wird man in ihnen Seelen, die an dem Geschick des Verstorbenen Anteil nehmen, etwa Ahnengeister, sehen müssen.

3. Charons Kahn. Denselben Sinn wie in den Prothesisbildern haben die E. auf einigen Lekythen, welche die Aufnahme der Toten in Charons Nachen darstellen (Hirsch nr. 36. 37, hinzuzufügen Ant. Denkm. I 23. v. Duhn Arch. Jahrb. II 240ff.). Auch hier umschweben sie teilnahmsvoll den neuen Ankömmling im Totenreich, der mit charakteristischer Inkonsequenz im Gegensatz zu ihnen noch die volle Größe und Gestalt des Lebens bewahrt hat. Die Zahl schwankt auch hier zwischen eins (Ant. Denkm. I 23, 1) und drei (Hirsch nr. 36, abgeb. Stackelberg Gräber der Hellenen 48, und Hirsch nr. 37).

4. Spenden am Grabe. Weitaus am häufigsten finden sich die E. auf den Lekythen, welche [2093] die trauernden Angehörigen am Grabe klagend oder Spenden bringend zeigen (Pottier 65, 2. Hirsch nr. 22–31, hinzuzufügen ein Gefäß in London, Smith Catal. III D 54, eins in Kassel, Arch. Anz. 1898, 190 nr. 10, eins in Dresden, Arch. Anz. 1898, 137 nr. 30). Die E. sind bei dem Grabmal dargestellt, weil nach dem Volksglauben die Seelen gern in der Nähe von Gräbern verweilen. Plat. Phaid. 81 D (s. o. S. 2085) beschränkt diese Neigung seinen philosophischen Zwecken gemäß auf die bei Lebzeiten der Sinnenwelt zu sehr ergeben gewesenen Seelen, deshalb hat Kern (Aus der Anomia 90ff.) sämtliche E. auf den Lekythen als Seelen der Bösen auffassen wollen und orphische Vorstellungen als Grundlage angenommen. Das ist mit Recht von Schadow (5f.) zurückgewiesen worden, man muß Platons eigene Spekulation trennen von dem zu Grunde liegenden Volksglauben, der ganz allgemein Seelen um die Gräber schweben läßt. Ebensowenig ist Hirschs Ansicht zu billigen (33f.), daß die E. nur in den Anthesterientagen an die Oberwelt kommen; gewiß, an jenem Feste ist die Luft besonders von ihnen erfüllt, aber ganz unterbrochen ist ihr Verkehr mit der Oberwelt nie. So sagt ein Scholiast zu Eur. Phoen. 1543 ohne zeitliche Beschränkung καὶ γὰρ τὸν ἀέρα περιίπτανται τὰ εἴδολα καὶ αἱ ψυχαί.

Ganz abweichend ist die zweite Art die E. darzustellen: Man bildet sie vollkommen so, wie sie im Leben waren, an Größe, Farbe, Kleidung von Lebenden nicht zu unterscheiden. Diese dem Homerischen Begriff des E. mehr äußerlich als innerlich entsprechende Darstellungsweise – man glaubt den in voller Frische unter den Lebenden gemalten Gestalten nicht, daß sie bei der Berührung in nichts zerrinnen würden – fehlt zwar auch in der archaischen Kunst nicht ganz; der Sisyphos auf dem unter I 9 angeführten Unterweltsbild, die Wasserträger der ebenda behandelten Palermitaner Lekythos könnten an sich ebenso gut lebende Menschen wie Geister der Unterwelt sein, aber solche Bildungen kommen in der älteren Zeit nur da vor, wo die E. unter sich, in der Unterwelt, sind, eine Verwechslung der Lebendigen mit abgeschiedenen Geistern also ausgeschlossen ist. Polygnot ist wohl der erste, der in seiner Nekyia lebende Menschen, Odysseus und seine Gefährten, mit den Bewohnern des Hades vereinte, ohne die E. prinzipiell anders darzustellen als die Lebenden (Paus. X 28–31). Aber hier sind die Lebendigen die Besucher der Unterwelt, die als solche genügend kenntlich gemacht ist. Etwas ganz anderes ist es, wenn unter den Lebenden auf der Oberwelt vereinzelte Tote erscheinen, die von den Lebendigen in nichts verschieden sind. An eine derartige Erscheinung der E. war das Publikum durch die Tragödie gewöhnt worden, wo nur die Art des Auftretens, ein Emporsteigen aus dem Boden, das E. als einer unteren Welt angehörig kennzeichnen konnte (Aisch. Pers. 658ff.), aber nicht einmal mußte. Das E. des Aietes auf der Münchener Medeavase müßte man für einen lebenden Menschen gleich den übrigen Personen des Dramas halten, wenn ihm nicht die Benennung εἴδωλον Ἀήτου beigeschrieben wäre. Auch das E. der Klytaimestra auf dem schönen Eumenidenkrater des Louvre (Mon. d. [2094] Inst. IV 48. Baumeister Denkmäler II 1117. Huddilston Greek tragedy 64) könnte ebenso gut eine lebendige Frau sein. Doch ist hier bereits ein Ausdrucksmittel angewandt, das in der späteren Kunst zur Kennzeichnung der E. sehr beliebt wurde, nämlich Klytaimestras Schatten ist fast ganz in ein weites auch über den Hinterkopf gezogenes Gewand gehüllt. Eine ähnliche Verhüllung des Hinterkopfes, aber nicht der ganzen Gestalt, zeigt das E. der Eurydike auf dem herrlichen albanischen Orpheusrelief, das ebenfalls mit der Tragödie in Zusammenhang stehen wird (Friederichs-Wolters Bausteine 1198). Ein Auftauchen der E. aus der Erde läßt sich in der Kunst des 5. und 4. Jhdts. nur selten nachweisen. Noch in das 5. Jhdt. gehört ein schöner unteritalischer Krater mit der Darstellung des Odysseus in der Unterwelt, in Pisticci gefunden, jetzt in Paris (de Ridder Catal. des vases de la bibl. nat. nr. 422, abgeb. Mon. d. Inst. IV 18–19. Roscher Lex. III 671, jetzt weitaus am besten Furtwängler-Reichhold Griech. Vasenmalerei Taf. 60, 1 S. 300f.). Odysseus sitzt zwischen zwei stehenden Gefährten auf einem Felsen, zu seinen Füßen liegen zwei geopferte Schafe, unmittelbar davor taucht der blinde weißhaarige und -bärtige Kopf des Teiresias auf. Da Odysseus so gut wie das E. des Teiresias in der Unterwelt ist, erscheint dessen Auftauchen aus der Tiefe unbegründet, widerspricht auch der Odyssee (XI 90) und Polygnots Darstellung (Paus. X 25, 8). Da sich ferner der auftauchende Kopf in auffallender Weise an den Beinkontur des einen Gefährten anschließt, hat man ihn vielfach für moderne Interpolation gehalten und das Bild auf Aias unter den getöteten Schafen gedeutet (Leo Quaest. Aristoph. 46. Hartwig Meisterschalen 477, 1). Doch ist die Echtheit des Kopfes gesichert und höchstens die Vermutung gestattet, daß der Maler selbst den Entwurf eines Aias-Bildes in das Odysseusabenteuer umänderte. Möglicherweise ist auch die etwas bedenklich aussehende Darstellung einer von Panofka Cabinet Pourtalés XXII veröffentlichten Vase so zu verstehen, daß die links halb aus der Erde hervorragende Frau ein von dem rechts neben ihr stehenden, eine Hacke haltenden Mann heraufbeschworenes E. ist. Viel zahlreicher als die von der Tragödie abhängigen Darstellungen des E. in voller menschlicher Frische sind seit dem letzten Drittel des 5. Jhdts. die auf den weißgrundigen Lekythen. Zwei Szenen sind hier zu scheiden :

1. Die Einschiffung in Charons Nachen. Auf sehr zahlreichen Lekythen (Pottier stellt 34ff. 20 Exemplare zusammen, dazu v. Duhn Arch. Ztg. 1885, 1ff.; Arch. Jahrb. II 1887, 240ff. zu Ant. Denkm. I 23) sehen wir Charon in seinem Nachen stehen und einen, seltener mehrere (Pottier nr. 4. 12. 15. 18) Tote, die entweder allein kommen, oder von Hermes geführt werden (Pottier nr. 2 abgeb. Benndorf Griech. u. sicil. Vasenb. XXVII 1; nr. 3 abgeb. Pottier Taf. III), zur Überfahrt erwarten. Nicht selten wird der Nachen des Charon bis unmittelbar an das Grab selbst gerückt, dann sitzt der Tοte wartend auf den Stufen seines Grabmals (Pottier nr. 13, abgeb. Ant. Denkm. I 23, 2; nr. 19 abgeb. Arch. Ztg. 1885 Taf. 2) oder ist von ihnen aufgesprungen, um den [2095] Nachen zu besteigen (Pottier nr. 14, abgeb. Ant. Denkm. I 23, 1). In allen Fällen sind die E. von Lebendigen nicht zu unterscheiden und bilden einen merkwürdigen Gegensatz zu den kleinen schattenhaften Flügelgestalten, die sie manchmal umflattern (s. o. S. 2091) und doch im Grunde wesensgleich mit ihnen sind. Das Widerspruchsvolle dieser Darstellungsweise tritt dann besonders hervor, wenn das Landen von Charons Nachen am Grabmal verbunden ist mit dem gleich zu besprechenden Motiv, dem der Spenden am Grabe. Auf der Ant. Denkm. I 23, 1 veröffentlichten Lekythos steht links von der Stele eine Frau mit Opfergaben, also eine Überlebende, ihr gleicht das tote Mädchen, das sich anschickt, in den Nachen zu steigen, in der Erscheinung durchaus, und doch ist sie ein E. gleich der kleinen Flügelfigur rechts über ihr. Bei dem Verschwimmen verschiedener Vorstellungen in einander, das für den Seelenglauben so charakteristisch ist, könnte man vermuten, daß die kleine Flügelfigur als Seele des Mädchens – also als E. des E.s – gemeint sei, es wäre dann einfach eine in den Prothesisszenen neben dem toten Körper gerechtfertigte Erscheinung fälschlich auf die Charonszene übertragen.

2. Spenden am Grabe. Weitaus die meisten weißgrundigen Lekythen zeigen, wie die Hinterbliebenen das Grabmal des Toten mit Binden und Kränzen schmücken und Opfergaben der verschiedensten Art zu ihm bringen (Pottier 51ff.). Nicht selten wird auf diesen Bildern das E. des Toten auf den Stufen seines Grabmals oder daneben sitzend dargestellt. Sicher ist die Beziehung der am Grabe sitzenden Gestalt auf den Toten in den Fällen, wo Charons Nachen daneben erscheint (s. o. S. 2094), aber auch sonst sind mit den sitzenden Gestalten, welche in trübes Sinnen verloren scheinen (z. B. Benndorf Griech. und sicil. Vasenb. XXII 2. XXVI. Ἐφημ. ἀρχ. 1894 Taf. IΙ), ja ausgesprochen schmerzliche Gebärden zeigen (z. B. Benndorf XXV), oder auch Gaben von den Überlebenden in Empfang nehmen (Benndorf XX), Toilettenkästchen halten (Benndorf XV), die Leier spielen (Benndorf XXXIV. Furtwängler Sammlung Sabouroff Taf. LX 2), sicherlich die Toten gemeint. Die richtige Deutung ist zuerst von Dumont (Journ. des Sav. 1873, 581) ausgesprochen worden, der aber ebenso wie später Pottier (64) die klagenden Gestalten für Überlebende hielt; ausführlich begründet hat sie Milchhöfer (Athen. Mitt. V 1880, 180ff.). Doch scheint mir Milchhöfer zu weit zu gehen, wenn er auch stehende Figuren, sobald sie in einen weiten Mantel gehüllt sind (z. B. Benndorf XVIII 2), für Verstorbene hält (vgl. dagegen Furtwängler Sammlung Sabouroff zu Taf. LX). Wenn er vollends später (Über die Gräberkunst der Hellenen, Kiel 1899, 17, 2) auch in den Toilettenszenen einer Gruppe älterer Lekythen (zusammengestellt von Weisshäupl Festschrift für Benndorf 89ff.) die Verstorbenen hat dargestellt sehen wollen, obwohl kein Grabmal die Nähe des E. erklärt, so vermag ich ihm noch weniger zu folgen.

Fehlt schon bei den Lekythen nicht selten ein sicheres Kennzeichen, um die E. der Toten von den Lebenden zu trennen, so ist auf den attischen Grabstelen eine Scheidung beider Welten [2096] nach äußeren Merkmalen ganz unmöglich. Daß die Hauptfiguren der Grabreliefs den Toten als Toten – also sein E. – darstellen, ist jetzt wohl allgemein zugegeben (vgl. Milchhöfer Über die Gräberkunst der Hellenen 12ff.), aber auch die ihnen beigesellten Personen sind nach Furtwängler (Samml. Sab. Einl. 46f.) sämtlich als tot gedacht. Jenseits und Diesseits berühren sich hier so eng, daß ein weiteres Eingehen auf diese Denkmälerklasse im Rahmen dieses Artikels nicht angezeigt erscheint.

III. Hellenistisch-römische Kunst.

Die hellenistisch-römische Zeit kennt E. überwiegend in heroisch-mythischen Szenen und schließt sich in ihrer Darstellung eng an die Tragödie an. Wo die Geister Verstorbener mit Lebenden oder Göttern Zusammentreffen, gleichen sie diesen an Größe und Gestalt durchaus. Nur wird das schon auf dem Eumenidenkrater des Louvre verwandte Motiv (o. S. 2094), das E. in ein weites, auch den Hinterkopf bedeckendes Gewand zu hüllen, das der ganzen Gestalt etwas Unbestimmtes, Unfaßbares gibt, allmählich durchaus üblich. So erscheint Teiresias auf einem Pariser Relief (Friederichs-Wolters Bausteine 1869, abgeb. Overbeck Gall. her. Bildw. XXXII 4), und besonders oft kehrt diese Darstellungsweise auf den römischen Sarkophagen wieder (eingehend behandelt von Hirsch 37ff.). Folgende Typen sind hervorzuheben:

1. Alkestis (Hirsch 42ff. Robert Die antiken Sarkophage III 28). Die tote Alkestis wird von Hermes an die Pforte der Unterwelt geführt (Schmalseite eines Proserpinasarkophags bei Robert 35 abgeb.), oder von Herakles zurückgeleitet (ebd., auch Fig. 22 b), sie erscheint vor den Unterweltsgöttern (Robert Fig. 22 a) oder wird noch in der Verhüllung der Toten dem Gatten wiedergegeben (Robert Fig. 26. 32).

2. Agamemnon, Klytaimestra, Aigisthos. Auf einigen Orestessarkophagen sind die E. der Gemordeten dargestellt, Orestes und Pylades nahen sich flehend dem Geiste des Vaters, der vor einer Pforte (der Unterwelt ?) sichtbar wird (Robert Sark. II 155. 163. Hirsch 48), während die ἐ. Klytaimestras und Aigisthos sich anschicken, in Charons Nachen zu steigen (Robert 155 a).

3. Protesilaos. Auf zwei Protesilaossarkophagen (Hirsch 38ff.) im Vatican (Hirsch a, Mus. Pio-Clem. V 18) und in Neapel (Hirsch b, abgeb. Mon. d. Inst. III 40 A) ist der Schatten des Protesilaos dargestellt, der vor den Herrschern der Unterwelt um Urlaub bittet, der erstaunten Gattin erscheint, auf ihrem Lager sitzt, und endlich wieder in das Schattenreich zurückkehrt, mitunter in der üblichen Weise verhüllt, in manchen Szenen dagegen nur mit einer Chlamys bekleidet, einmal (Mon. d. Inst. III 40 oben links) trägt er ein Tuch über Hinterkopf und Rücken, während Gesicht, Brust und Unterkörper nackt sind. Zwei Reliefs und ein Wandgemälde, in denen verhüllte E. in der Unterwelt erscheinen, ohne daß wir sie zu benennen vermögen, führt Hirsch 45f. auf.

Literatur: Rohde Psyche, besonders Kap. 1. E. Pottier Études sur les lécythes blancs attiq., Paris 1883. R. Hirsch De animarum apud antiq. imaginib., Lpz. 1889. P. Schadow Eine attische Grablekythos, Jena 1897. Crusius in Roschers Myth. Lex. II 1142ff.