« Kap.3 William Penn
Ohne Kreuz keine Krone
Kap.5 »
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Viertes Kapitel.

§. 1. Worin bestehet die große Wirkung des Kreuzes? Die Beantwortung dieser Frage ist von hoher Wichtigkeit. §. 2. Die Wirkung des Kreuzes ist Selbstverleugnung. §. 3. Worin bestand der Kelch, den Christus trank, und das Kreuz, das er trug? §. 4. Was ist unser Kelch und unser Kreuz. §. 5. Es ist unsere Pflicht, Christo, als dem Herzoge unserer Seligkeit, zu folgen. §. 6. Von dem Unterschiede zwischen der erlaubten und unerlaubten Eigenliebe. §. 7. Erklärung der erlaubten Eigenliebe. §. 8. Sie muß, nach Christi Lehre und Beispiele, in [43] einigen Fällen verleugnet werden. §. 9. Auch nach dem Vorbilde der Apostel. §. 10. Von der Gefahr, worin Diejenigen sich befinden, die ihre Eigenliebe ihren Pflichten gegen Gott vorziehen. §. 11. Belohnung der Selbstverleugnung; Aufmunterung zu derselben. §. 12. Diese Lehre ist so alt als Abrahams Zeitalter. §. 13. Abrahams Gehorsam des Glaubens ist sehr merkwürdig. §. 14. Hiob gab ein großes Beispiel der Selbstverleugnung; – von seiner Zufriedenheit. §. 15. Auch Moses gab ein merkwürdiges Beispiel der Selbstverleugnung; – von seiner Verachtung des Hofes Pharao’s. §. 16. Seine Wahl. §. 17. Sein Beweggrund dazu; nämlich die Hoffnung der Belohnung. §. 18. Jesaias gab kein geringeres Beispiel; da er aus einem Hofmanne ein Prophet des Herrn ward. §. 19. Diese Beispiele schließen mit dem, welches Daniel gab; seine Geduld und Aufrichtigkeit; und was für einen Eindruck sein Betragen auf den König machte. §. 20. Es könnten noch viele andere Beispiele zur Bestätigung dieser vortrefflichen Lehre angeführt werden. §. 21. Man muß um[WS 1] Christi willen Alles verlassen, wenn man selig werden will. §. 22. Gottes Weg ist ein Weg des Glaubens und der Selbstverleugnung. §. 23 Ernste Bitte und Ermahnung an Alle, daß sie diese Dinge beherzigen mögen.


Die vierte Frage ist nun: worin bestehet die große Wirkung, die das Kreuz in dem Menschen hervorbringt?

§. 1. Diese Frage, der Wahrheit gemäß, deutlich und vollständig zu beantworten, ist in der That von so hoher Wichtigkeit, daß alles Vorhergegangene nur als Einleitung dazu zu dienen scheint; indem eine unrichtige Beantwortung derselben nichts Geringeres als ein Irreleiten der Seele auf ihrem Wege zur Seligkeit seyn würde. [44] Ich werde daher diese Frage unter dem Beistande Gottes, nach der besten Erkenntniß, die er mir während meiner mehrjährigen Nachfolge Christi durch Erfahrung davon gegeben hat, gründlich erörtern.

§. 2. Das große Werk, welches das Kreuz Christi im Menschen hervorbringt, ist Selbstverleugnung. Ein Ausdruck, der an sich selbst von eben so tiefer Bedeutung ist, als die Sache, die er bezeichnet, im empfindlichsten Widerspruche mit der Welt stehet; eine Sache, die so wenig von der Welt verstanden, und noch weniger von ihr angenommen wird, und der man sich dessenungeachtet dennoch unterwerfen muß. Der Sohn Gottes ist uns darin vorangegangen, und hat uns durch den bittern Kelch, den er trank, und durch die Taufe, die er erduldete, ein Vorbild hinterlassen, wie wir seinen Fußstapfen nachfolgen sollen. Als einst des Zebedäus Ehefrau ihn bat, daß in seinem Reiche einer von ihren Söhnen zu seiner Rechten und der andere zu seiner Linken sitzen möchte, legte er ihr und ihren beiden Söhnen die schwere Frage vor: „Könnet ihr den Kelch trinken, den ich trinken werde, und euch mit der Taufe taufen lassen, mit welcher ich getauft werde?“[1] Ihr Glaube schien groß zu seyn; denn sie antworteten: „Ja! wir können es!“ worauf er erwiederte: „Meinen Kelch sollt ihr zwar trinken, und mit der Taufe, mit welcher ich getauft werde, sollt auch ihr getauft werden;“ ihre Belohnung aber stellte er seinem himmlischen Vater anheim.

§. 3. Was war aber der Kelch, den er trank, und die Taufe die er erduldete? Ich antworte: Sie bestanden [45] darin, daß er durch die Kraft des ewigen Geistes sich selbst verleugnete und dem Willen Gottes aufopferte; indem er sich allen Trübsalen seines Lebens und den Schmerzen seines Kreuzestodes für das Heil der Menschen willig unterwarf.

§. 4. Worin bestehet nun unser Kelch, den wir trinken müssen, die Taufe und der Kreuzestod, die wir zu erdulden haben? Darin: daß wir durch die Kraft desselben Geistes uns selbst verleugnen und uns gänzlich hingeben, den Willen Gottes zu seinem Dienste und zu seiner Verherrlichung zu thun, oder zu leiden. Dieses ist das wahre Leben des Kreuzes Jesu, das im Gehorsame gegen dasselbe bestehet. Freilich immer ein schmaler Weg, der aber zuvor noch ungebahnet war. Denn, als Niemand da war, der helfen konnte; als Keiner die Siegel zu öffnen und die wahre Erkenntniß mitzutheilen verstand, um die Schritte zur Rettung des armen verlornen Menschen zu leiten; – da kam er mit der ganzen Fülle seiner Liebe und Kraft; und, mit allen Schwachheiten sterblicher Menschen bekleidet, – wiewohl innerlich durch die Allmacht des unsterblichen Gottes gestärkt, – durchwanderte er alle Beschwerden und Bedürfnisse der menschlichen Natur, brach vor allen Andern zuerst die Bahn, und betrat den ungebahnten Pfad zur Herrlichkeit.

§. 5. O kommt! Laßt uns ihm folgen, dem unermüdetsten, dem siegreichsten Heerführer unsers Heils, gegen welchen alle großen Alexander und mächtigen Cäsarn der Welt weit geringer erscheinen, als die ärmsten Soldaten ihrer Heere gegen sie seyn konnten. [46] Jene waren freilich große Fürsten und auch Eroberer ihrer Art, allein nach ganz andern Grundsätzen. Denn Christus erniedrigte sich selbst, um das Menschengeschlecht zu retten; jene hingegen richteten eine Menge Völker zu Grunde, um ihr Ansehn zu erhöhen und ihren Ruhm zu vergrößern. Jene überwanden Andere, nur nicht sich selbst; Christus überwand die Selbstsucht, die sie beständig besiegte. So war Christus, dem Verdienste nach, gewiß der erhabenste Fürst und Eroberer. Auch vergrößerten jene ihre Reiche durch Raub und Blutvergießen; Christus hingegen erweiterte das seinige durch Leiden und sanfte Ueberredung. Er suchte nie seinen Zweck durch Zwang zu erreichen; sie verfolgten allezeit ihre Absichten mit Gewalt. Elend und Sklaverei begleiteten alle ihre Siege; die seinigen brachten seinen Ueberwundenen nur desto größere Freiheit und Glückseligkeit. In allen ihren Thaten suchten sie nur sich selbst zu gefallen; in Allem, was er that, bezielte er den Wohlgefallen seines himmlischen Vaters, der ein Gott über alle Götter, ein König über alle Könige, und ein Herr aller Herrn ist.

Dieses ist das vollkommenste Muster der Selbstverleugnung, dem wir folgen müssen, wenn wir je zur Herrlichkeit gelangen wollen; und um dieses Ziel zu erreichen, laßt uns die Eigenliebe ihrer wahren Bedeutung und ihrem ganzen Umfange nach betrachten.

§. 6. Es giebt eine erlaubte und eine unerlaubte Eigenliebe, und die erstere muß in gewissen Fällen eben sowohl als die letztere um Seinetwillen verleugnet werden, der in der Unterwerfung unter den Willen Gottes Nichts zu werth und zu theuer schätzte, um uns zu erretten.

[47] Es mögen sich freilich wohl nicht viele Menschen in der Welt finden, für welche die Lehre von der Verleugnung der erlaubten Eigenliebe geeignet ist; da der größte Theil derselben sich Tag für Tag den Freuden der unerlaubten Eigenliebe überläßt. Um aber das Ganze gehörig zu behandeln, und weil die gegenwärtige Abhandlung vielleicht Einigen in die Hände fallen mag, die in dem geistlichen Kampfe so weit vorgedrungen sind, daß ihnen einiger Nutzen daraus zuwachsen könnte; so will ich diesen Gegenstand doch wenigstens berühren.

§. 7. Die erlaubte Eigenliebe, die wir zuweilen verleugnen müssen, bestehet in dem Genusse jener Bequemlichkeiten, Annehmlichkeiten und reichlichen Vorräthe des Lebens, die an sich keinesweges etwas Böses, sondern vielmehr Wohlthaten und Segnungen Gottes sind, z.B. Gatte und Gattin, Kinder, Häuser, Land, Ruf, Freiheit und das Leben selbst. Dieses sind Gaben Gottes, die wir mit erlaubtem Vergnügen genießen, veredeln, verbessern und rechtmäßig besitzen können. Wenn aber Gott, der sie uns verlieh, zu irgend einer Zeit sie von uns fordert, oder als der Darleiher das Seinige zurück verlangt, oder wenn es ihm gefällt, dadurch, daß wir uns von ihnen trennen müssen, unsere Anhänglichkeit an ihn und an jene Gegenstände zu prüfen, – alsdann, sage ich, wenn sie mit ihm in Vergleichung treten, müssen sie ihm nicht vorgezogen sondern verleugnet werden. Christus selbst verließ die Herrlichkeit seines Vaters und ward freiwillig der Verachtetste unter den Menschen; damit er uns Ehre bei Gott erwürbe; und „wiewohl er in Gottes Gestalt war, und es nicht für einen Raub hielt, Gott gleich [48] zu seyn, so erniedrigte er sich doch selbst bis zur Knechtsgestalt herab, ja bis zum schmachvollen Tode am Kreuze;“[2] damit er uns ein Beispiel der reinsten Demuth und der vollkommensten Unterwerfung unter den Willen unsers himmlischen Vaters gäbe.

§. 8. Dieses ist die Lehre, die er uns in den Worten giebt: „Wer Vater oder Mutter mehr liebt, als mich, der ist meiner nicht werth.“[3] Und bei einer andern Gelegenheit: „Wer unter euch nicht Allem absagt, was er hat, der kann mein Jünger nicht seyn.“[4] Auch dem reichen Jünglinge sagte er gerade heraus, wie er, wenn er das ewige Leben erlangen wollte, „Alles verkaufen und ihm nachfolgen müßte.“[5] Eine harte Lehre für ihn, und für Alle, die, wie er, ungeachtet ihrer hohen Ansprüche aus Religiosität, dennoch in der Wahrheit das, was sie besitzen, mehr als Christum lieben. So stellt also die Lehre von der Selbstverleugnung die Bedingungen fest, ohne deren Erfüllung keine ewige Glückseligkeit zu erwarten ist; indem Christus ausdrücklich sagt: „Will mir Jemand nachfolgen, der verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf, und folge mir.“[6] Der thue, was ich thue; oder, der muß eben so handeln wie ich, sonst kann er mir, dem Sohne Gottes, nicht ähnlich seyn.

§. 9. Dieses bewog jene ehrlichen Fischer, ihr erlaubtes Gewerbe zu verlassen, und ihm zu folgen, als er sie dazu aufforderte. Andere, welche auf die Tröstung Israels warteten, wurden dadurch bewogen, ihr Vermögen, ihren Ruf, ihre Freiheit und selbst ihr Leben dem [49] Unwillen und der Wuth ihrer Verwandten und der Regierungen, unter welchen sie lebten, preis zu geben, um die geistlichen Vortheile zu genießen, die ihnen ihre getreue Anhänglichkeit an seine heilige Lehre gewährten. Es gab freilich Viele, die, wie in dem Gleichnisse vom Abendmahle, sich entschuldigen, daß sie ihm nicht nachfolgen könnten; wo nämlich Einige Land angekauft, Einige Weiber genommen, Andere Ochsen gekauft hatten, und deswegen nicht kommen konnten.[7] Es ist klar, daß ihre unmäßige Liebe zur Welt sie davon abhielt. Ihre erlaubten Besitzungen, die ihre Diener hätten seyn sollen, waren ihre Götzen geworden, denen sie mehr Verehrung als Gott erwiesen, und welche sie nicht verlassen wollten, um zu Gott zu kommen. Dieses ist ihnen zur Schande und zum Vorwurfe in den Urkunden der heiligen Schrift aufgezeichnet worden, und wir können hieraus sehen, was für eine Macht die Selbstliebe über den Weltmenschen hat, und welcher Gefahr er sich durch den Mißbrauch erlaubter Dinge aussetzt. – Wie? ist deine Frau dir lieber als dein Heiland? und ziehest du dein Land und deine Ochsen dem Heile deiner Seele vor? O nimm dich in Acht, daß deine Güter dir nicht zuerst zu Schlingen dienen, und hernach zum Fluche werden. Sie zu hoch zu schätzen, heißt den, der sie uns gab, reizen und auffordern, sie uns wieder zu nehmen. Komm, folge ihm, der der Seele ewiges Leben giebt.

§. 10. Wehe denen, die ihre Herzen an irdische Güter hängen; denn wenn diese verschwinden, so verschwindet mit ihnen ihr Himmel. Es ist aber nur zu sehr die Sünde des großen Haufens, daß er den Annehmlichkeiten [50] der Welt anklebt; und es ist wirklich bedauernswürdig anzusehen, wie sehr die Neigungen der Menschen von der Sorge für ihre Bequemlichkeit eingenommen und ihre Gedanken mit der Einrichtung derselben beschäftigt sind. Wer sich wahrhaft selbst verleugnet, ist ein Pilger, der Selbstsüchtige hingegen, ein Ansiedler in dieser Welt. Jener bedient sich ihrer, wie man Schiffe gebraucht, zur Ueberfahrt, um nach Haus zu kommen. Der Andere, – was er auch immer schwatzen mag, – sieht oder sorgt nicht weiter, als wie er sich hier am besten im Ueberflusse niederlassen und in Gemächlichkeit festsetzen möge; und dieses liebt er so sehr, daß er, wenn es in seiner Macht stände, seinen Zustand nie vertauschen möchte. Er mag sich auch mit den Gedanken an eine andere Welt nicht beunruhigen, bis er endlich überzeugt wird, daß er nicht länger in dieser Welt leben kann. Aber ach! dann ist es zu spät, wenn er nicht zu Abraham, sondern zu dem reichen Manne gewiesen wird, dessen Geschichte eben so wahr als traurig ist.

§. 11. Von der andern Seite betrachtet, ist es aber auch nicht umsonst, daß die Jünger Jesu sich verleugnen; Christus selbst hatte die ewige Freude im Auge, da er, wie der Verfasser der Epistel an die Hebräer uns sagt, um der ihm vorgestellten Freude willen „das Kreuz erduldete;“[8] das heißt, sich selbst verleugnete, den Spott der Gottlosen ertrug, von ihren grausamen Händen den Tod erlitt, und die Schande, nämlich die Beschimpfung und Verhöhnung der Welt, verachtete. Dieses Alles machte ihn nicht furchtsam und schreckte ihn nicht zurück, [51] denn er achtete es nicht; und sitzt nun aber auch zur rechten Hand Gottes.

Als Petrus zu ihm sagte: „Siehe, wir haben Alles verlassen, und sind dir nachgefolgt; was wird uns dafür?“ gab er zur Aufmunterung seiner Jünger die tröstliche Antwort: „Wahrlich ich sage euch, daß ihr, die ihr mir in der Wiedergeburt nachgefolgt seid, wenn des Menschen Sohn auf dem Throne seiner Herrlichkeit sitzen wird, auch auf zwölf Thronen sitzen und die zwölf Geschlechter Israels richten werdet,“[9] die nämlich damals sich in einem Zustande des Abfalles von dem Leben und der Kraft der Gottseligkeit befanden. Dieses war das Loos seiner Jünger, welche die unmittelbaren Gefährten seiner Trübsale und die ersten Gesandten seines Reiches waren. Was er gleich darauf sagt, gehet aber alle an: „Und ein Jeder, der da verläßt Häuser, oder Brüder, oder Schwestern, oder Vater, oder Mutter, oder Weib, oder Kinder, oder Aecker um meines Namens willen, der soll es hundertfältig empfangen und das ewige Leben ererben.“[9] Diese sichere Belohnung, diese Krone der Gerechtigkeit war es, die in jedem Zeitalter in den Seelen der Gerechten eine heilige Vernachlässigung, ja, eine gewisse Verachtung der Welt erzeugt hat. Dieser verdanken wir die Standhaftigkeit der Märtyrer, so wie ihrem Blute den Triumph der Wahrheit.

§. 12. Auch ist dies keinesweges eine neue Lehre; sie schreibt sich schon von Abraham her. Sein Leben war ein Leben der Selbstverleugnung, wie aus vielen höchst merkwürdigen Beispielen hervorgehet. Erstlich, indem [52] er sein Vaterland verließ, wo er, – wie sich leicht vermuthen läßt, – Alles im Ueberflusse, oder doch wenigstens zur Genüge besaß. Und warum verließ er es? – Weil Gott ihn rief. Dieses sollte freilich immer ein hinreichender Grund in ähnlichen Fällen seyn; allein die Welt ist so sehr entartet, daß es sich in der Wirklichkeit nicht so verhält. Denn, wenn Jemand heut zu Tage dieselbe Handlung aus denselben Beweggründen vollzöge, so würde man ihn deßhalb verlachen, obgleich man sie bei Abraham lobt und preiset. So sehr sind die Menschen schon gewohnt, nichts von dem zu verstehen, was sie loben und empfehlen, ja, sogar dieselben Handlungen bei ihren eigenen Zeitgenossen zu verachten, welche sie bei ihren Vorfahren zu bewundern vorgeben.

§. 13. Abraham war indessen dem göttlichen Befehle gehorsam, und die Folge davon war, daß ihm Gott ein großes Land gab. Dieses war die erste Belohnung seines Gehorsams. Die nächste war ein Sohn in seinem hohen Alter; und zwar – was die Segnung noch erhöhete, – als seine Frau, der Naturordnung gemäß, über die Zeit des Kindergebärens hinaus war.[10] Dennoch verlangte Gott diesen Liebling, ihr einziges Kind, die Freude ihres Alters, den Wundersohn, von dem die Erfüllung der Verheißung abhing, welche Abraham gegeben war; diesen Sohn, sage ich, verlangte Gott! – Wahrlich eine große Prüfung, von der man wohl hätte denken mögen, daß sie leicht im Stande gewesen wäre, den Glauben des Erzvaters zu erschüttern und seine Standhaftigkeit wankend zu machen. Wenigstens hätte er dabei in Zweifel gerathen und ganz natürlich so schließen [53] können: dieser Befehl ist unvernünftig und grausam; er kommt vom Versucher, nicht von Gott. Denn wie läßt es sich denken, daß mir Gott einen Sohn geben würde, um ihn zum Opfer darzubringen, – daß der Vater der Mörder seines einzigen Kindes werden solle? – Und wie könnte Gott von mir verlangen, den Sohn seiner eigenen Verheißung, durch welchen sein Bund errichtet werden soll, zu opfern? das ist unglaublich! So, sage ich, hätte Abraham ganz natürlich vernünfteln und schließen können, um der Stimme Gottes zu widerstehen und seiner großen Zuneigung zu seinem geliebten Isaak nachzugeben. Aber der gute alte Abraham, der die Stimme, die ihm einen Sohn verheißen hatte, wohl kannte, hatte nicht vergessen, dieselbe auch dann zu kennen, als sie diesen Sohn zurückforderte. Er ging daher nicht mit Fleisch und Blut zu Rathe, und zweifelte nicht, obgleich es sonderbar schien, und ihn, als Mensch, vielleicht in einiges Erstaunen und Schrecken setzte. Er hatte gelernt zu glauben, daß Gott, der ihm durch ein Wunder ein Kind gegeben habe, auch wieder ein Wunder thun könne, um dasselbe zu erhalten oder wiederherzustellen. Seine zärtlichen Neigungen konnten daher seine Pflicht nicht überwiegen, und noch weniger seinen Glauben überwinden; denn er hatte seinen Sohn auf eine Art empfangen, die ihn an nichts von dem zweifeln ließ, was Gott ihm von demselben verheißen hatte.

Darum beugte sich Ahraham in Unterwerfung unter den Befehl der Allmacht; er bauete einen Altar, band seinen einzigen Sohn darauf, zündete das Feuer an, und ergriff schon das Messer, um ihn zu schlachten, als plötzlich der Engel des Herrn dem Todesstreiche [54] Einhalt that: Halt! Abraham! deine Aufrichtigkeit ist geprüft und bewährt erfunden! – Und was war nun die Folge? Ein Widder diente dem Zwecke, und Isaak war wieder sein. Dieß zeigt uns, wie wenig da hinreicht, wo Alles dargebracht wird, und was für ein geringes Opfer den Allmächtigen befriedigt, wenn die Gesinnungen des Herzens rechtschaffen erfunden werden. Es ist also nicht das Opfer, welches das Herz Gott wohlgefällig macht; sondern das Herz, das dem Opfer Annahme verschafft.

Gott rührt oft unsere besten Güter an, und fordert das, was wir am meisten lieben, und am wenigsten geneigt sind, zu verlassen. Nicht daß er jedesmal es uns gänzlich nehmen wolle; sondern um die Aufrichtigkeit unserer Herzen zu prüfen, uns vor Uebertreibungen zu warnen, und uns zu erinnern, daß Er der Urheber aller unserer Segnungen ist, und wir an dem, was wir besitzen, nicht mit unsern Herzen hängen müssen. Ich spreche aus eigener Erfahrung. Das Mittel, die Annehmlichkeiten unsers Lebens zu behalten, ist: Verzicht darauf zu thun. Dieß ist freilich schwer, aber es ist auch lieblich und angenehm, wenn sie uns hernach, wie Isaak seinem Vater Abraham, noch liebevoller und segensreicher wiedergegeben werden. – O! unsinnige Welt! O! weltliche Christen! Ihr seid nicht nur mit diesem vortrefflichen Glauben unbekannt; ihr seid sogar seine Feinde! – Und so lange es so mit euch stehet, werdet ihr die Belohnung desselben nie erfahren.

§. 14. Zunächst auf Abraham folgt Hiob, dessen Selbstverleugnung gleichfalls sehr ausgezeichnet war. Denn als die Boten seiner Trübsale eilig auf einander [55] folgten, und eine schmerzhafte Nachricht von seinen Verlusten nach der andern einlief, bis er fast so nackend und bloß als bei seiner Geburt war, da war das erste, was er that, dieses, daß er niederfiel und die Macht anbetete, und die Hand küßte, die ihm Alles genommen hatte. Ja, er war so weit entfernt, wider Gott zu murren, daß er bei dem Verluste seiner Güter und aller seiner Kinder ausrief: „Ich bin nackend von meiner Mutter Leibe gekommen, nackend werde ich wieder dahinfahren. Der Herr hat es gegeben, der Herr hat es genommen; der Name des Herrn sei gelobet.“[11] Welch ein fester Glaube, welche Geduld und Zufriedenheit dieses vortrefflichen Mannes! Man hätte glauben sollen, die wiederholten Nachrichten von seinem Untergange wären hinreichend gewesen, sein Vertrauen auf Gott umzustoßen; aber das geschah nicht; es blieb seine Stütze. Auch erklärt er uns, warum? Sein Erlöser lebte. „Ich weiß,“ sagt er, „daß mein Erlöser lebt!"[12] Und es zeigte sich klar, daß er lebte; denn er hatte ihn von der Welt erlöset. Sein Herz hing nicht an seinen irdischen Besitzungen; seine Hoffnung war sowohl über die Freuden der Zeit als über die Leiden der Sterblichkeit erhaben; denn er war fest überzeugt, daß er, „wenn gleich die Würmer seinen Leib verzehren würden; dennoch mit seinen Augen Gott schauen werde.“[13] So war Hiobs Herz nicht allein dem göttlichen Willen unterworfen, sondern fand auch darin seinen Trost.

§. 15. Das nächste große Beispiel einer merkwürdigen Selbstverleugnung, welches wir in der heiligen Geschichte vor den Zeiten der äußern Erscheinung Christi aufgezeichnet [56] finden, giebt uns Moses. Er war, als Kind, durch eine außerordentliche Bewahrung der göttlichen Vorsehung, und wie aus den folgenden Ereignissen hervorgehet, zu einem großen Zwecke erhalten worden. Die Tochter Pharao’s, deren Mitleid das Mittel zu seiner Erhaltung ward, als der König die Ermordung aller hebräischen Knaben befohlen hatte, nahm ihn als ihren Sohn zu sich, und gab ihm die Erziehung, welche an dem Hofe ihres Vaters üblich war. Seine einnehmende Person und seine außerordentlichen Fähigkeiten, verbunden mit der Liebe, die Pharao’s Tochter für ihn hegte, und mit dem Einflusse, den sie, hinsichtlich seiner Beförderung, auf ihren Vater hatte, würden ihn wahrscheinlich in den Stand gesetzt haben, wo nicht Nachfolger, doch wenigstens erster Staatsdiener dieses mächtigen und großen Fürsten zu werden; da Egypten damals das war, was nachmals Athen und Rom wurden: ein Land, das durch Gelehrsamkeit, Künste und Glanz sich vor allen andern Ländern am meisten auszeichnete.

§. 16. Allein Moses, der für ein anderes Werk bestimmt war, und durch einen bessern Stern, durch ein höheres Prinzip geleitet wurde, gelangte nicht sobald zu den Jahren reifer Beurtheilung, als die Gottlosigkeit Egyptens und die in demselben herrschende Unterdrückung seiner Brüder ihm zu einer Last wurde, die ihm zu schwer zu ertragen fiel; und obgleich es einem so weisen und guten Manne, wie Moses, nicht an jener edelmüthigen und dankbaren Erkenntlichkeit mangeln konnte, welche der ihm erwiesenen Güte einer Königstochter gebührte; so hatte er doch auch den unsichtbaren Gott erkannt, und wagte es daher nicht, in Gemächlichkeit und im Ueberflusse [57] an Pharao’s Hofe zu leben, während seine armen Brüder gezwungen werden sollten, Ziegel zu brennen, ohne daß man ihnen Stroh dazu gäbe.[14]

Da also die Furcht des Allmächtigen sein Herz tief durchdrungen hatte, schlug er es großmüthig aus, ein Sohn der Tochter Pharao’s genannt zu werden, und wählte lieber ein Leben voller Trübsale mit den so sehr verachteten und unterdrückten Israeliten, und ein Gefährte aller ihrer Leiden und Gefahren zu seyn, als eine zeitlang die Ergötzlichkeiten der Sünde zu genießen; indem er die Schmach Christi, die er wegen dieser unweltlichen Wahl erdulden mußte, für größern Reichthum als alle Schätze jenes Reichs hielt.

§. 17. Moses handelte hierin auch nicht so thöricht, als man wähnte. Er hatte einen guten vernünftigen Grund für sein Benehmen, denn es heißt von ihm: „Er sah auf die Belohnung hin.“[15] Er schlug nur einen kleinen Vortheil aus, um einen größern zu erlangen. In dieser Wahl übertraf gewiß seine Weisheit die der Egypter; denn jene erwählten die gegenwärtige Welt, die doch so ungewiß als das Wetter in ihr ist, und verloren dadurch jene, die ewig währet. Mose blickte tiefer und weiter; er wog die Genüsse dieses Lebens in der Wage der Ewigkeit, und fand, daß sie da kein Gewicht hatten. Er ließ sich nicht durch einen augenblicklichen Besitz, sondern durch die Beschaffenheit und Dauer der Belohnung bestimmen. Sein Glaube hielt seine Neigungen im Zügel, und lehrete ihn, die Freuden der Selbstliebe der Hoffnung einer künftigen bessern Belohnung aufzuopfern. [58] §. 18. Jesaias giebt uns gleichfalls ein nicht unbedeutendes Beispiel dieser segensvollen Selbstverleugnung. Aus einem Hofmanne ward er ein Prophet, und verleugnete die weltlichen Vortheile seines erstern Standes, um an dem Glauben, der Geduld und den Leiden des letztern Theil zu haben. Durch diese Wahl verlor er nicht allein die Gunst der Menschen, sondern ihre Gottlosigkeit, die durch seine in scharfem und kühnem Tadel derselben sich laut aussprechende getreue Anhänglichkeit an Gott aufs höchste in Wuth gebracht war, machte ihn auch endlich zum Märtyrer. Er ward unter der Regierung des Königs Manasse auf eine grausame Art mitten von einander gesägt. So starb dieser große Mann, der auch gewöhnlich der evangelische Prophet, oder der Evangelist des alten Bundes genannt wird.

§. 19. Von vielen andern Beispielen will ich nur noch eins anführen, nämlich von der Treue Daniels, dieses heiligen und weisen Jünglings, der, sobald seine äußern Vortheile mit seinen Pflichten gegen den allmächtigen Gott in Widerspruch geriethen, sie alle verleugnete und aufgab, und statt auf seine eigene Sicherheit bedacht zu seyn, vielmehr gar nicht darauf achtete, sondern, ohne die ihm drohende Gefahr zu scheuen, nur die Ehre Gottes durch getreue Erfüllung seines Willens zu befördern strebte. Dieses setzte ihn freilich zuerst dem Untergange aus; allein zuletzt erhob es ihn, – als ein Beispiel zur großen Aufmunterung für Alle, die, wie er, in bösen Zeiten ein gutes Gewissen zu bewahren trachten, – zu hohem Ansehen in der Welt; so, daß durch seine ausharrende Treue der Gott Daniels groß und furchtbar in den Augen der heidnischen Könige ward.

[59] §. 20. Was soll ich noch von allen Uebrigen sagen, die nichts zu werth achteten, um den Willen Gottes zu thun; die, so oft eine himmlische Erscheinung sie rief, aller weltlichen Behaglichkeit entsagten, und ihre Ruhe und Sicherheit der Wuth und Bosheit entarteter Fürsten und einer abgefallenen Kirche preisgaben. Unter diesen befinden sich vornehmlich Jeremias, Ezechiel und Micha, welche, nachdem sie im Gehorsam gegen die göttliche Stimme sich selbst verleugnet hatten, ihre Zeugnisse mit ihrem Blute versiegelten.

Auf diese Weise war Selbstverleugnug die beständige Uebung und der Ruhm unserer alten Vorfahren, welche Vorgänger der äußern Erscheinung Christi waren. Und wie können wir hoffen, jetzt ohne dieselbe in den Himmel zu kommen? da unser Heiland selbst das erhabenste Muster der Selbstverleugnung geworden ist; und zwar nicht, – wie Einige es gern haben möchten, – für uns, oder statt unserer, so daß wir derselben nicht bedürften;[16] sondern so für uns, daß wir uns eben so verleugnen und auf diese Art wahre Nachfolger seines heiligen Vorbildes werden sollen?

§. 21. Wer du daher auch seyn magst, der du den Willen Gottes gern thun wolltest, aber durch weltliche Rücksichten in deinen Entschlüssen wankend geworden bist, erinnere dich, ich bitte dich im Namen Christi, daß derjenige, der Vater oder Mutter, Schwester oder Bruder, Weib oder Kind, Haus oder Land, Ruf, Ehre, Amt, Freiheit oder selbst das Leben dem Zeugnisse des Lichtes Jesu in seinem Gewissen vorziehet, an dem schauerlichen [60] und allgemeinen Gerichtstage der Welt von ihm verworfen werden wird, wenn Alle werden gerichtet werden, und ein Jeder nach dem, wie er in diesem Leben gehandelt, nicht nach dem, was er hier mit dem Munde bekannt hat, die Vergeltung empfangen wird. Jesus hat gelehret: „Wenn dein rechtes Auge dich ärgert, so mußt du es ausreißen, und wenn deine rechte Hand dich ärgert, so mußt du sie abhauen.“[17] Das heißt: Wenn das Theuerste, das Nützlichste, und was du am zärtlichsten auf der Welt liebst, dem Heile deiner Seele im Wege stehet, deinen Gehorsam gegen die Stimme Gottes unterbricht, und dich an der Gleichförmigkeit mit seinem in deinem Herzen dir geoffenbarten Willen hindert, so bist du bei Strafe der Verdammniß verpflichtet, diesen Dingen zu entsagen und dich von ihnen los zu machen.

§. 22. Der Weg Gottes ist ein Weg des Glaubens; eben so dunkel für die Vernunft, als tödtlich für die Eigenliebe. Nur die Kinder des Gehorsams, die mit dem heiligen Paulus Alles für Schaden und Unrath halten, damit sie Christum gewinnen mögen, nur diese sind es, die den schmalen Weg kennen und auf demselben wandeln. Bloßes Beschauen und Grübeln kann die Sache nicht ausrichten; auch können verfeinerte Begriffe den Eingang zu diesem Wege nicht öffnen. Nur die Gehorsamen sollen das Gute des Landes genießen."[18] Von denen, die bereit sind, den Willen Gottes zu thun, sagt Jesus, daß sie seine Lehre erkennen werden;[19] diese will er unterrichten. Wo aber die Eigenliebe, – auch die erlaubte, – die Herrschaft hat, und nicht untergeordnet [61] ist, da kann sein Unterricht nicht stattfinden. Der Eigenliebige kann ihn nicht annehmen; und das, was im Menschen unterrichtet werden soll, wird von der Eigenliebe unterdrückt und furchtsam gemacht, und wagt es also nicht, zum Gehorsam zu schreiten. – O! was wollte mein Vater oder meine Mutter sagen? Wie würde mein Mann mich behandeln? oder endlich: wie würde die Obrigkeit mit mir verfahren? Denn wenn ich auch von Diesem und Jenem eine ganz klare und kräftige Ueberzeugung und völlige Gewißheit in meinem Herzen habe, und doch wieder bedenke, wie ungebräuchlich es ist, was für Feinde die Sache hat, und was für ein seltenes und sonderbares Ansehen ich mir dadurch geben würde; so hoffe ich, Gott wird Mitleid mit meiner Schwachheit haben. Unterliege ich, so bin ich ja nur Fleisch und Blut. Vielleicht wird Gott mich späterhin besser in Stand setzen; und ich habe ja auch noch Zeit. So vernünftelt, so schließt der eigenliebige, furchtsame Mensch.

Nichts ist gefährlicher als ein solches Berathschlagen mit seiner Selbstliebe. Die Seele ist in solchen Unterhandlungen immer der verlierende Theil; denn die nöthige Kraft, welche die Offenbarung des göttlichen Willens mit sich führt, wird nur im Gehorsame gegen denselben gefunden. Auch hat Gott nie Jemand von Etwas überzeugt, ohne ihn nicht mit Kraft dazu auszurüsten, sobald er sich seinem Willen unterwarf. Er verlangt nichts, wozu er nicht auch die Fähigkeit verleihet, es zu thun. Das hieße ja sonst die Menschen zum Besten haben, nicht, sie selig zu machen. Es ist aber genug, wenn du im Stande bist, deine Pflicht zu thun, die Gott dir als solche anzeigt; und dieses wirst du können, [62] insofern du dich zu seinem Lichte und Geiste hältst, wodurch er dir jene Erkenntniß ertheilt. Diejenigen, denen es an Kraft mangelt, sind Solche, die Christum nicht durch Gehorsam gegen seine Ueberzeugungen in ihrem Herzen aufnehmen, und diesen wird es immer an Kraft fehlen. Diejenigen aber, die ihn so aufnehmen, empfangen auch, eben sowohl als Jene in den ersten Zeiten, Macht, durch reinen Gehorsam des Glaubens Gottes Kinder zu werden.

§. 23. Darum bitte ich euch bei der Liebe und Barmherzigkeit Gottes, bei dem Leben und Tode Christi, bei der Kraft seines Geistes und der Hoffnung der Unsterblichkeit, daß ihr, die ihr mit euern Herzen an zeitlichen Genüssen hängt, und folglich euch selbst mehr als die himmlischen Güter liebt, – laßt die bisher so verbrachte Zeit nun genug seyn. Haltet es nicht für hinreichend, daß ihr frei von solchen Gottlosigkeiten seid, deren, leider! so viele Andere sich schuldig machen, so lange eure übermäßige Liebe zu erlaubten Dingen euern Genuß derselben befleckt, und eure Herzen von der Furcht und Liebe, von dem Gehorsame und der Selbstverleugnung der wahren Jünger Jesu abziehet. – Lenke du nun in den rechten Weg ein, und achte auch die leise Stimme, die in deinem Gewissen redet. Diese sagt dir, worin deine Sünden bestehen, und was für Elend sie zur Folge haben. Sie giebt dir eine klare Einsicht in das überaus eitle Wesen der Welt; sie eröffnet deiner Seele einen Blick in die Ewigkeit und in die Glückseligkeit der Gerechten, die zu ihrer Ruhe eingegangen sind. Wenn du dich hieran hältst, so wird es dich von der Sünde und sinnlichen Eigenliebe scheiden; dann wirst du bald finden, [63] daß die Macht der Reitze dieser Vorstellung diejenige des Reichthums, der Ehre und der Pracht der Welt weit übertrifft, und daß dein Gehorsam gegen diese innere Stimme dir endlich eine Gemüthsruhe gewährt, welche die Stürme der Zeit nicht erschüttern, nie zerstören können. Dann werden alle deine Genüsse dir gesegnet seyn, die, so gering sie auch seyn mögen, durch die Gegenwart Dessen, der in und mit ihnen ist, dennoch groß seyn werden.

Selbst in dieser Zeit haben die Gerechten viel voraus; indem sie die Güter der Welt gebrauchen, ohne dabei Gewissensvorwürfe zu empfinden, weil sie dieselben nicht mißbrauchen. Sie sehen und preisen die Hand, die sie ernähret, kleidet und erhält; und da sie den Geber in allen seinen Gaben erkennen, so beten sie nicht diese, sondern Ihn an. Auf diese Art ist der angenehme Genuß seiner Segnungen ein Vorzug, den sie vor Jenen voraus haben, die ihn in seinen Gaben nicht erkennen. Ueberdieß können sie weder in ihrem Wohlstande übermüthig, noch im Mißgeschicke niedergeschlagen seyn, und die Ursache davon ist: weil seine göttliche Gegenwart bei dem Genusse des erstern sie in Schranken hält, und in dem letztern sie tröstet.

Kurz, der Himmel ist der Thron, und die Erde nur der Fußschemel auch desjenigen Menschen, der seine Eigenliebe unter die Füße gebracht hat. Die, welche diesen Standpunkt erreicht haben, lassen sich nicht leicht das Ziel verrücken; diese lernen ihre Tage zählen, damit die Stunde ihrer Auflösung sie nicht überrasche; sie erkaufen ihre Zeit, weil die Tage böse sind,[20] indem sie bedenken, [64] daß sie bloß Haushalter sind, und einem unpartheiischen Richter Rechenschaft zu geben haben. Darum leben sie nicht sich selbst, sondern Ihm, und in Ihm sterben sie, selig mit denen, die in dem Herrn sterben. Hiermit schließe ich nun diese Abhandlung über den rechten Gebrauch der erlaubten Eigenliebe.

  1. Matth. 20, 21. 22. 23.
  2. Phil. 2, 5. 6. 7. 8.
  3. Matth. 10, 37.
  4. Luc. 14, 33.
  5. Mark. 10, 21. 22.
  6. Matth. 16, 24.
  7. Luk. 14, 18. 19. 20.
  8. Hebr 12, 2.
  9. a b Matth. 19, 27. 28. 29.
  10. 1 Mos. 22.
  11. Hiob 1, 21.
  12. Kap 19, 25.
  13. V. 26.
  14. Hebr. 11, 24–27. 2 Mose 5, 7. 16.
  15. Hebr. 11, 26.
  16. 1 Petri 2, 21. [WS: Fußnote anhand des englischen Originals platziert, da die Textstelle in der Vorlage nicht angegeben ist.]
  17. Matth. 5, 29. 30.
  18. Jes. 1, 19.
  19. Joh. 7, 17.
  20. Eph. 5, 15. 16.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: nm
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Ohne Kreuz keine Krone
Kap.5 »
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