« 7. Stunde Wilhelm Eichhorn
Einsegnungsunterricht 1912
9. Stunde »
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8. Stunde.
Mittwoch, 30. Okt. 1912, vormittags.
Lied: 234, 1. 4. 6.
Psalm 36.
Kollekte 229, 65. Lied 236, 2. 3.
Psalm 97.
 Unsere gestrige Stunde schloß mit der Bitte, die einst die Jünger an den Herrn gerichtet haben: „Herr, lehre uns beten.“ Das Gebet, das zunächst als Gabe betrachtet werden muß, sofern es ein teures uns geschenktes Recht ist, das Gebet, welches die Quelle vieler Gnade ist, weil es erhört wird und weil wir viele Erfahrungen der göttlichen Gnade durch dasselbe machen dürfen, das Gebet wird zugleich in uns selbst zu einer Quelle der Kraft; denn das Gebetsleben stärkt in Versuchung, ermöglicht die Wachsamkeit, heiligt all unser Tun und fördert unsere Arbeit. Indem wir vom Gebet geredet haben, treten wir ein in das innere Heiligtum; denn aus dem Herzen kommt das Gebet. Nun wollen wir von der Innerlichkeit selbst, im eigentlichen Sinn sprechen und zwar zunächst vom Glauben, ohne welchen das Gebet nicht denkbar ist, vom Glauben, der uns in die Gemeinschaft Gottes versetzt. Im selben Evangelium des Lukas, in dessen 11. Kapitel die Bitte der Jünger sich findet: „Herr lehre uns beten,“ steht auch im 17. Kapitel das kurze Gebet: „Herr stärke unseren Glauben“ Der Glaube ist eine purlautere Gabe Gottes und also auch eine uns zuteil gewordene Gnade. Der Glaube aber wird auch in| uns zu einer Quelle der Kraft, weil aus ihm alle christlichen Tugenden hervorgehen.

 Wir reden vom Glauben und von den aus demselben erwachsenden Tugenden, der Tatkraft, der Beständigkeit, der Treue und des Bekennermutes.

 Wir reden zuerst vom Glauben als der Voraussetzung alles Wirkens Gottes an den Menschen. Von Anfang an hat Gott von den Menschen Glauben gefordert, Glauben vorausgesetzt. Es hängt damit zusammen, daß Gott dem Menschen die hohe Gabe eines freien Willens gegeben hat. Wie groß, wie anbetungswürdig ist der Herr, der Höchste, daß Er Kreaturen, Geschöpfe seiner Hand haben wollte, die doch einen eigenen freien Willen hätten, damit sie nicht gezwungen, sondern willig ihm dienten. Darum ist es auch die höchste Aufgabe für die Menschen, ihren ihnen gegebenen freien Willen dazu anzuwenden, daß sie aus eigenem Willen in Liebe und Freiheit dem Willen Gottes sich untergeben. Dieses ganze Verhältnis setzt Glauben und Vertrauen von Seiten der Menschen voraus. So wurde schon von den ersten Menschen gefordert, daß sie Gott glauben sollten. Als Gott ihnen damals Schranken zog, indem Er den Genuß der Früchte vom Baume der Erkenntnis des Guten und Bösen untersagte, hätten sie Gott glauben sollen, daß ihnen das nur zum Heil gereichen müsse, daß das Verbot Gottes nur Wohltat sei. Wie hat Gott darin bei jeder besonderen Tat in Gnade und Gericht jedesmal Glauben verlangt und vorausgesetzt. Von Noah, als Er ihm den Befehl gab, die Arche zu bauen, von Abraham, als Er den Auftrag ergehen ließ: „Gehe aus deinem Vaterland und von deiner Freundschaft und aus deines Vaters Hause in ein Land, das ich dir zeigen will,“ von Mose, als Er ihn sandte zum Führer des Volkes Israel, von dem Volk Israel, da Mose als ein Gesandter Gottes vor dasselbe trat. Erinnern wir uns des 11. Kapitels des Ebräerbriefes, wo im Rückblick auf das Alte Testament gezeigt wird, wie Gott immer Glauben von uns fordert und wie Er je und je Glauben von den Menschen gefordert hat und wie alles, was Großes im Heilsratschluß Gottes und dessen Ausführung geschehen ist, durch den Glauben geschah. Allerdings hat Gott den geforderten und vorausgesetzten Glauben manchmal durch Wunder unterstützt, im Anfang Seines Werkes oder an entscheidenden Punktes desselben; aber Glaube ist auch von den Wundern selbst gefordert worden und durch Wunder allein ist niemand zum Glauben gelangt. So hat Jesus, den Gott in der Fülle der Zeit gesandt hat, das Erlösungswerks zu vollbringen, von Anfang an Glauben von den Menschen gefordert. Schon der Name, den Er führte, setzte den Glauben voraus. Nicht als der vom Propheten verheißene Immanuel, nicht mit diesem großartigen Namen trat Er auf, sondern mit dem bescheidenen menschlichen Namen Jesus. Nicht als der in Bethlehem Geborene, der Er war, sondern als der Mann von Nazareth trat Er vor Sein| Volk; in Niedrigkeit und Armut ist Er erschienen. Er hat Wunder getan, aber keine Zeichen vom Himmel, nicht solche auffallende Wunder, wie das Volk sie wohl wünschte, sondern auch hier Wunder einfacher Art, die zwar den Glauben stärken konnten, aber auch wieder Glauben forderten. Seine wunderbarsten Bezeigungen, auf welche die Jünger zurückblicken, wenn sie sagen: Wir sahen Seine Herrlichkeit, – die Verklärung und ähnliches zuvor, auch die Taufe – geschahen ganz im Verborgenen und wurden Wenigen kund. Die Andern sollten im Glauben dessen gewiß werden. Wie war es besonders mit dem entscheidenden Abschluß des Werkes des Herrn, mit Seiner Auferstehung? Sie ist ganz unauffällig, auf den Glauben hin angelegt gewesen. Niemand hat selbst den Vorgang der Auferstehung gesehen. Der Auferstandene erschien nur wenigen und immer nur auf Augenblicke, Sein ganzes Streben war darauf gerichtet, die Jünger im Glauben Seiner Auferstehung gewiß zu machen. Darum erging zuerst die Botschaft von der Auferstehung durch Engelmund an die Seinen. Ja, sie hätten schon durch den Anblick des leeren Grabes Seiner Auferstehung im Glauben gewiß werden sollen, wie es bei Johannes auch der Fall war, der schreiben kann „er sahe es und glaubte.“ – Auch die Botschaft der heiligen Apostel war ganz auf Glauben hin angelegt. Der Apostel Paulus nennt sein Evangelium das Wort vom Kreuz, das den Juden ein Aergernis und den Griechen eine Torheit ist. Und wenn er sich auch darauf beziehen kann, daß eines Apostels Werk und Tat durch seine Hand geschehen sei, durch Wunder hat er die Menschen nicht zum Glauben führen sollen. Wie war es nur in Lystra mit der wunderbaren Heilung des Lahmen vor allem Volk: für den Augenblick wollten sie den Apostel göttlich verehren und nachher haben sie ihn gesteinigt. – So tritt auch noch an uns die Botschaft des Evangeliums heran als ein Wort, das Glauben fordert.

 Wir reden 2. vom Glauben in seiner alt- und neutestamentlichen Ausprägung.

 Im alten Testament treten uns großartige Beispiele des Glaubens entgegen. Wir haben schon genannt Noah, jenen Prediger der Gerechtigkeit, der im Glauben an Gott die Arche zurüstete, 120 Jahre lang zuvor schon, viel verhöhnt von den Leuten jener Zeit und doch feststehend im Gehorsam des Glaubens. Wir haben auch genannt Abraham, bei welchem uns besonders der Glaube im Sinn tatkräftigen Erfassens entgegentritt. Er ist, wie wir wissen, durch den Glauben ein Fremdling geblieben in dem verheißenen Land. Der einzige Boden, den er dortselbst sich erwarb, war nichts als sein Grab. Er hat durch den Glauben Königreiche bezwungen, und die Kriege des Herrn geführt. Den Glauben in seinem tatkräftigen, sieghaften Erfassen Gottes zeigt uns der Vater der Gläubigen von dem es erstmals heißt: „Abraham glaubte dem Herrn und das rechnete Er ihm zur Gerechtigkeit.“ Bei seinem Sohne Isaak tritt uns der Glaube entgegen in der Form ausharrender Geduld. Bei| Jakob im Sinn des Kampfes, der sein besonderes Teil gewesen ist. „Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn.“ Moses ist ein Held des Glaubens, indem er es wagt, Gott Seine Verheißung vorzuhalten, Ihn an Seines großen Namens Ehre zu erinnern, da er eintritt für das abgefallene Volk Israel. Und so geht der Glaube durch das ganze Alte Testament hindurch und wir bewundern die Glaubenskraft dieser Männer. Allerdings trug der Glaube im Alten Testament noch mehr die Form der Hoffnung und im Einzelnen hat der Glaube der alttestamentlichen Gläubigen sich auch manchmal irren können, wie etwa Noahs Vater sich irrte, als er in seinem Sohne, dem zehnten von Adam, den vermutete „der uns trösten wird in unserer Arbeit.“ Es hat Eva sich geirrt, – als sie meinte in Kain, ihrem Erstgeborenen, schon „den Mann, den Herrn“ erlangt zu haben. Und doch sind es großartige Beispiele eines festen hoffenden Glaubens. Es mag auch erwähnt werden, daß der Ausdruck „Glaube“ und „glauben“ wenig im Alten Testament sich findet, 6 mal nur das Wort „Glaube,“ allerdings dann immer an entscheidenden Punkten der Heilsgeschichte, wie das Wort von Abraham vorher angeführt wurde: „Er glaubte dem Herrn,“ wie es von dem Volk Israel zur Zeit Moses zweimal heißt: „Israel glaubte dem Herrn und seinem Knecht Mose.“

 Wie anders nun im Neuen Testament. Hier ist der Glaube der Besitz und das Erfassen des erschienenen Heils. So tritt uns an der Schwelle des Neuen Testaments gleich Maria entgegen, die selig zu preisen ist, weil sie geglaubt hat; so Joseph, so Simeon, der den Neugeborenen auf seinen Armen hatte und der sich durch dessen geringe Gestalt nicht irre machen ließ, freudig zu bekennen: „Meine Augen haben Deinen Heiland gesehen.“ So Petrus der sagen konnte: „Wir haben geglaubt und erkennen somit jetzt, daß Du bist Christus, der Heilige Gottes.“ Joh. 6, 69. So auch Johannes, der sagen kann: „Was wir gesehen haben, was wir gehört haben, was wir geschaut haben mit unsern Augen, und unsere Hände betastet haben vom Wort des Lebens, das verkündigen wir euch.“ 1. Joh. 1. Oder denken wir an Thomas, der zuerst zweifelte, dem der Herr das Losungswort gab, das für die ganze Zeit des Neuen Testaments gilt: „nicht sehen und doch glauben,“ der dann den Herrn gläubig erfaßt: „Mein Herr und mein Gott.“ Und besonders dürfen wir Paulus nennen, diesen, wenn man so sagen dürfte, klassischen Zeugen der Glaubensgewißheit. „Ich weiß, an welchen ich glaube.“ Merkwürdig, wie oft der Apostel den Ausdruck gebraucht, „wir wissen.“ Wir wissen, daß dieser Zeit Leiden der Herrlichkeit nicht wert sind, die an uns soll geoffenbaret werden.“ Es ist ja überhaupt das ganze 8. Kapitel des Römerbriefs das herrlichste Zeugnis neutestamentlicher Glaubensgewißheit.

 Wir sprechen 3. vom Glauben nach seinem innersten Wesen. Es ist üblich oder war bis vor kurzem üblich, in den Katechismen den Glauben zu definieren nach den 3 Wesensbestandteilen – der Lehrweise der Väter entsprechend –| als Erkenntnis, Beifall (d. h. Zustimmung) und Zuversicht. Gegenwärtig wird diese Darlegung vielfach beanstandet. Einigermaßen mißverständlich ist sie auch, wenn man nämlich dächte, daß diese drei Wesensbestandteile notwendig eines nach dem andern eintreten müßten, als ob man anfangen müßte mit dem Erkennen, fortschreiten zur Zustimmung und endlich anlangen bei der Zuversicht. Der Glaube ist vielmehr etwas Einheitliches, aber man kann an diesen 3 Begriffen leicht klar machen, worin der Glaube eigentlich besteht und nicht besteht. Es gehört zum Glauben unbedingt eine Erkenntnis, wenigstens zu dem, den wir den entfalteten oder bewußten Glauben nennen möchten. Es gibt einen unbewußten Glauben, der durch die Taufe in den kleinen Kindern schon bewirkt wird. Denn wir bleiben bei Luthers Auffassung, daß „mein Glaube und der Christenheit Glaube das Kind hinzubringt, daß Gott ihm gebe seinen eigenen Glauben.“ Und Melanchthon spricht mit Recht von „neuen Bewegungen in der Kindesseele,“ welche die Taufe wirkt, die Gott auf dieser Entwicklungsstufe für Glauben ansieht und die ein Keim des Glaubens ohne Zweifel sind. Es wird durch die Taufe ein Anfang gewirkt, ein heiliger Same des Glaubens in die Seele gelegt, der dann mit dem Erwachen des kindlichen Seelenlebens sich allmählich entfalten und zum bewußten Glauben werden soll. Es ist tröstlich, daß das so ist. Denken wir an die Blöden, die zum bewußten Glauben selten gelangen können und in denen durch den Geist Gottes doch ein verborgenes Glaubensleben gewirkt werden kann. Wir reden jetzt vom bewußten Glauben und er ist ohne Erkenntnis überhaupt nicht denkbar. Man muß die Botschaft von Christo kennen, muß Ihn kennen als den Gekreuzigten und Auferstandenen und den gen Himmel Erhöhten. Nun wissen das aber so viele und halten es nicht einmal für wahr, das sind die Ungläubigen. Im Gegensatz zu solchen kann gesagt werden, „der Glaube schließt notwendig in sich ein Fürwahrhalten, daß man das, was zu glauben ist, nicht nur kennt, sondern für wahr hält. Aber das ist wiederum noch lange nicht der rechte Glauben. Der rechte Glaube ist die gewisse Zuversicht des Herzens, nämlich das feste innere Erfassen des Heils und der Gnade, die durch den Geist Gottes in uns gewirkte Gewißheit, daß Jesus auch unser Heiland ist und daß alles, was er zum Heil der Welt getan hat, uns gehört und uns zugutekommt. So ist fest und deutlich zu unterstreichen: Christi Blut und Gerechtigkeit, das ist mein Schmuck und Ehrenkleid. Das ist der Glaube als die gewisse Zuversicht und der Glaube besteht darin, daß wir durch den heiligen Geist dahin gebracht werden, die göttlichen Gnadenverheißungen als auch uns geltend anzunehmen, also die feste innere Zuversicht, das persönliche Vertrauen. Ein bloßes Fürwahrhalten kann lediglich als „Kopfglaube“ bezeichnet werden. Nach der römischen Auffassung ist der Glaube nichts anderes als ein Annehmen dessen, was die Kirche lehrt; das ist aber ein durchaus unvollkommener Begriff. Wir sind durch die Reformation zur Erkenntnis dessen, was| Glauben ist, geführt worden. Die Bedeutung der Worte, die hier in Betracht kommen, ist höchst merkwürdig. Das alttestamentliche hebräische Wort für „glauben“ heißt „sich auf etwas stützen.“ Es ist noch verwandt mit dem Wort „Amen“, das Gewißheit, Zuversicht zunächst bedeutet. Die griechischen und lateinischen Ausdrücke für Glauben hängen mit „Vertrauen“ zusammen, daß man sich Einem anvertraut. Und das deutsche Wort „glauben“ heißt vertrauensvoll sich in eines anderen Schutz begeben, „ge-lauben. (Laube, so viel wie Schutz), also sich an einen Andern so anschließen, daß man im Zusammenhang mit ihm Schutz findet. Merkwürdig ist, wie schon die Bedeutung der Worte auf den rechten Weg hinweisen kann. Wenn allmählich in der deutschen Sprache das Wort „glauben“ den Sinn von „meinen“ erlangt hat, so ist das ein Herab sinken, eine Abschwächung der ursprünglichen sprachlichen Bedeutung des Wortes, wie das oftmals zu beobachten ist. Der Glaube ist – nocheinmal zusammen gefaßt – das persönliche Erfassen, die persönliche Aneignung Christi und Seines Heils.
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 Daher nun auch die Wirkung des Glaubens, daß er uns gerecht und selig macht. Ich denke, daß unter uns niemand sein wird, der nicht Antwort geben könnte auf die Frage: Warum macht der Glaube gerecht und selig? Die Antwort ist die: Weil wir im Glauben das Verdienst Jesu Christi er greifen, das uns allein selig macht. So lehrt es der 4. Artikel der Augsb. Konfession, so hat es Melanchthon besonders klar dargelegt. Er sagt, lateinisch sich ausdrünend, wie er „der Magister Deutschlands“, es pflegte: die causa meritoria d. h. „die verdienende Ursache“ der Rechtfertigung ist nicht der Glaube, das ist Verdienst und Werk Jesu Christi, der Glaube ist nur die causa instrumentalis d. h. die vermittelnde Ursache, gleichsam das Instrument, durch welches wir das Verdienst Christi und Seine vollkommene Gerechtigkeit erfassen oder wie er sich griechisch ausdrückt: der Glaube ist das erfassende Organ oder Werkzeug. Darum macht der Glaube selig, weil wir im Glauben Christi Verdienst erfassen, nicht weil der Glaube eine Gott wohlgefällige Tugend ist. Das wäre eine falsche Auffassung. Ich möchte keinen Einsegnungsunterricht erteilt haben, ohne von der teuern Lehre der „Rechtfertigung aus Gnaden durch den Glauben“ wenigstens einmal gesprochen zu haben. Der Glaube macht uns vor Gott gerecht. Gott rechtfertigt uns d. h. Er erklärt uns für gerecht, Er sieht uns für Gerechte an. Wir sind nicht gerecht an uns selbst, wir sind Sünder. Wenn Gott uns Sünder für gerecht erklärt, so sieht Er die Sünde nicht an und rechnet sie uns nicht zu, weil Er dafür Christum und Sein Verdienst ansieht, weil Er die vollkommene Gerechtigkeit Christi uns zurechnet, sie ansieht, als wäre sie unsere eigene. Sie ist ja freilich unsere eigene nicht; Gott kann sie   uns aber anrechnen, weil Er – von Christus aus gedacht – alles für uns getan hat und von uns aus, weil wir die Gerechtigkeit Christi im Glauben erfassen und sie vor Gott bringen und Gott bitten, daß er nicht uns und unsere Sünde,| sondern Christi vollkommene Gerechtigkeit ansehen wolle. So kann es nur durch die Rechtfertigung aus dem Glauben zur vollen Gewißheit und Freudigkeit des Gnadenstandes kommen. Die römische Kirche will gar nicht, daß der einzelne Christ jemals seines Heils völlig gewiß wird. Er soll in steter Abhängigkeit von der hierarchisch verfaßten Kirche bleiben und nur durch des Priesters Lossprechung immer wieder Vergebung der Sünden für eine Zeit erlangen können. Danken wir Gott, daß wir auf diesen festen und klaren Grund gestellt sind. Man kann auch sagen, daß in der Rechtfertigung der Dreieinige Gott an dem Einzelnen sich wirksam erweist. Der Vater ist es, der uns für gerecht erklärt, Er, der Herr der Welt und unseres Lebens, Er, an dem wir uns sonderlich versündigt haben. Jesus ist es, der uns durch Seine Fürsprache beim Vater vertritt und Sein Verdienst für uns geltend macht. Der Heilige Geist ist es, der den Glauben in uns wirkt, durch den wir Christi Verdienst erfassen und der uns innerlich unseres Gnadenstandes, der Vergebung der Sünden, der Kindschaft beim Vater gewiß macht. Eben, weil der Geist das allein in uns wirken kann, so muß die Rechtfertigung dem Werk der Aneignung des Heils, also dem 3. Glaubensartikel beigezählt werden. Die Erlösung von Sünden ist des Sohnes Werk, die einmal geschah für allezeit, die Vergebung der Sünden ist des Heiligen Geistes Gabe, weil Er nur sie den Einzelnen zuwendet, indem Er den Glauben in uns wirkt. So ist die Rechtfertigung nicht ein Vorgang der außer dem Menschen stattfindet, aber auch nicht etwa nur bloßes inneres Erleben des Einzelnen, sondern eine Tat Gottes, die er an jedem Einzelnen vollzieht auf Grund dessen, was der Geist in ihm gewirkt hat.
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 Wie kommt nun aber, so fragen wir weiter, der Glaube in uns zustande? Wir haben schon gesagt: Nur und allein durch den heiligen Geist. Und das Mittel ist, wie wir auch schon dargelegt haben in früherer Stunde, das Wort. Was ist nun aber der Weg, was ist – wie man sich wohl gegenwärtig aus drückt – der psychologische Vorgang, wie der Einzelne zum Glauben, zu der festen inneren Gewißheit der Gnade kommen kann? Es gibt keinen andern Weg als durch die Buße hindurch. Nur wenn wir gelernt haben, alles Vertrauen auf uns selber wegzuwerfen, nur dann kann dies völlige Vertrauen auf Christum allein in uns zustande kommen. Der Heilige Geist will im Werk der Heilsaneignung, auf dem Wege der Heilsordnung, zuerst ein Verlangen nach Heil und Gnade in uns wirken, durch das berufende Wort. Wenn der Christ dann zur Frage nach dem Heil gelangt ist: „Was muß ich tun, daß ich selig werde?“, dann wirkt der Heilige Geist weiter in uns die Erleuchtung. Und zwar zeigt er uns zuerst durch das Gesetz unser tiefes sündiges Verderben, führt uns dahin, daß wir an uns selbst verzweifeln und daß wir Angst und Schrecken in uns empfinden, Angst und Schrecken um unserer Seelen Heil und Seligkeit, wenn die Größe der Sünde und unserer Schuld, der Ernst des göttlichen Gerichtes in unserer Seele wirksam wird. Wenn in uns so die aufrichtige Reue| und ein Verlangen nach Heil, Rettung, Gnade gewirkt ist, dann kann das Wort des Evangeliums einsetzen und uns den Trost darbieten, kann die Gewissen trösten, kann uns das Heil und die Gnade vermitteln, daß Gott um Christi willen uns gnädig sei, unsere Sünde vergibt und aus Gnaden uns unsere Schuld nicht zurechnen will. So ist denn der Glaube in keinerlei Weise unser eigenes Werk, sondern wahrlich nichts anderes als „Gottes lautere Gnade und Gabe,“ aber wiederum ist der Glaube eine Quelle reichster Gnade, weil wir eben durch den Glauben, wie wir gehört haben, die Kindschaft beim Vater und damit die Gewißheit der Seligkeit erlangen. Der Glaube wird in uns zu einer Quelle der Kraft und so reden wir weiter von den aus dem Glauben erwachsenden Tugenden.

 Das Nächste, was aus dem Glauben hervorgeht, ist die Liebe, des Glaubens Frucht; doch von ihr wollen wir sonderlich noch reden. Man hat wohl auch gesagt: die eigentliche Mutter der christlichen Tugenden sei die Frömmigkeit oder die Gottseligkeit, wie die Schrift sich ausdrückt, das heißt, das aus der Liebe zu Gott hervorgehende ernste Streben, in allen Beziehungen und Betätigungen unseres Lebens nur und allein Gott zu Gefallen zu leben und uns in Liebe gegen ihn zu betätigen. Wir wollen heute insbesondere von den Tugenden reden, die aus dem Glauben selbst sich ergeben und seine sonderliche Art an sich tragen und nennen als erstes: die Tatkraft. Der Lehre von der Rechtfertigung aus dem Glauben ist von jeher der Vorwurf gemacht worden, daß sie die Menschen träge macht und daß sie nicht den Ernst der Lebensbetätigung mit sich bringe. Aus Röm. 6 kann man sehen, welche Vorwürfe schon damals der Predigt des Paulus von der Rechtfertigung gemacht wurden. Er lehre in der Sünde zu beharren, damit die Gnade um so mächtiger werde oder er lehre, daß man ruhig weiter sündigen dürfe. Ähnliche Vorwürfe sind zur Zeit der Reformation wider die Lehre Luthers gemacht worden und in der Gegenwart erheben sich diese Vorwürfe von neuem. Man hat Luther den Vorwurf des Quietismus gemacht, daß er allzusehr gelehrt habe, zu ruhen in der Gnade und so die Kraft der Betätigung und der Arbeit zurückgetreten sei. Ich möchte nun sagen, bei den späteren Liedern der pietistischen Zeit trat allerdings etwas von der quietistischen Art entgegen, eine allzusehr auf das Ruhen in Jesu gerichtete Sinnes weise. In dem herrlichen Lied Flessas: „Ich will dich immer treuer lieben,“ dessen 1. und letzter Vers so besonders schön sind, kann man allerdings im 3 und 4. Vers Anklänge an quietistische Art finden, wenn es dort heißt:

„ein anderer sinn auf große Taten,
mein Geist erblicket eine Ruh,
worin er leidend das vollführet,
was von des Geistes Trieben rühret
und das heißt recht in Gott getan.“

|  In dem rein passiven Inhalt dieser Verse könnte man etwas Quietistisches finden, obwohl man des Geistes Trieb als aktive tätige Wirkung an sehen muß. Luther selbst ist wahrlich kein Quietist gewesen, dieser Mann des Glaubensmutes und der Kraft, der je und je gewagt hat, seine Persönlichkeit ganz aufs Spiel zu setzen. Er hat es gewagt, den aufrührerischen Bauern in Mühlhausen persönlich entgegenzutreten. Im Angesicht wagten sie ihn nicht anzutasten, aber als er wegfuhr warfen sie ihm Steine nach. Nicht minder hat er vorher gewagt sich ins Heerlager der falschen Zwickauer Propheten zu begeben, um im Mittelpunkt ihres Treibens die Macht seines Wortes geltend zu machen. Das ist wohl zu sagen, daß Luther sich streng in den Schranken hielt, die ihm gezogen waren. In Politik hat er sich nicht gemischt, er hätte es gekonnt. Die Reichsritterschaft bot sich ihm zur Unterstützung dar; er lehnte es ab. Man hat die Reformierten gerühmt wegen ihrer großen Tatkraft und von ihrem Bekennermut gesprochen. Derselbe soll ihnen nicht abgesprochen werden, aber es ist auch nicht zu leugnen, daß die Reformierten in Frankreich wie in Schottland sich stark in Politik eingemischt haben und eine politische Partei bildeten. Das hat Luther nicht getan noch gewollt. Die lutherische Kirche ist wohl in der Kraft der Organisation zurückgeblieben, aber es war der ihr gewiesene Weg. Bei den staatsrechtlichen Verhältnissen in Deutschland konnte die evang. Kirche nicht anders denn als Landeskirche sich entwickeln, weil nur den Reichsständen Religionsfreiheit zugestanden wurde. Es war der ihr gewiesene Weg, auf dem sie allerdings nicht zu einer entsprechenden Gestaltung ihres Wesens und kirchlichen Bestandes gelangt ist. Aber Quietismus liegt in der lutherischen Art nicht. Es ist wahr, daß die lutherische Kirche später als die römische Kirche ins Missionswerk eingriff, aber trotz ihrer Abgelegenheit vom Weltverkehr ist die lutherische Kirche von allen evangelischen Kirchen die erste gewesen, die das Missionswerk betrieb, da man in England noch nicht da ran dachte. Auch das Werk der Bibelverbreitung und die christlichen Anstalten sind auf lutherischem Boden erstmals hervorgetreten. Freilich haben uns jetzt auf dem Missionsgebiet und auch in anderen Liebestätigkeiten die Reformierten Englands und Nordamerikas weit überflügelt, aber es ist darauf hinzuweisen, daß unsere Kirche nur klein an Bestand ist, kaum mehr als 17 Millionen zählt, während die Reformierten die fünffache Zahl aufzuweisen vermögen. Wir dürfen zwar lernen von dem Eifer der Reformierten, der ja freilich manchmal das rechte Maß überschreitet, aber das müssen wir festhalten, Luther hat je und je erkannt, „daß der Glaube ein schäftig und kräftig Ding ist,“ daß aus dem Glauben die Tatkraft der Arbeit an sich und für das Reich Gottes mit Notwendigkeit hervorgeht. Auch Löhe wird niemand den Vorwurf machen wollen, daß er ein Quietist gewesen sei, denn er hat Kraft und Trieb in sich gefühlt, seine Gedanken zur Tat werden zu lassen im Kampfe sowohl als im Aufbauen. Aus dem Glauben kommt die Tatkraft, aber nicht um sich zu verherrlichen, um| sich auszuwirken, sondern um Gottes Werk zu treiben und die Tatkraft ist nichts anderes als die durch den Glauben in uns gewirkte Überzeugung, daß Gottes Wort geschehen muß, auch durch uns.

 Eine weitere mit dem Glauben in unmittelbarem Zusammenhang steh ende Tugend und Kraftquelle ist die Treue. Von der Treue sagt ein weltlicher Dichter (Arndt): Die Treue steht zuerst und zuletzt im Himmel und auf Erden. Die Treue ist nichts anderes als der Gehorsam gegen den, der selbst treu ist. Gott ist treu. Das wird in der Schrift bezeugt. Er bleibt bei dem, was er verheißen hat. Seine Verheißungen trügen nicht. So ist unsere Treue nichts anderes als der Entschluß, bei dem zu bleiben, was uns anvertraut ist, dem wir uns anvertraut haben, dem wir zugehören. Die Jugend vergißt leicht der Wohltäter früherer Zeiten. Im Alter tritt mehr das treue Festhalten an dem, was uns gegeben ist hervor. Treu soll der Christ sein: der Familie, dem Volk, dem Vaterland, treu in der Freundschaft. Treu wollen wir sein im Beruf. So sollen Schwestern sonderlich Treue erweisen in ihrem Beruf. Treue ihrem Mutterhaus, dem sie angehören, Treue ihren Pfleglingen, die ihnen anvertraut sind und denen sie ihre Kraft zu widmen haben. Treue wollen wir halten sonderlich auch unserer Kirche, ob sie auch zu einem kleinen Haufen zusammengeschwunden ist.

 Eine Steigerung der Treue ist die Beständigkeit. Die Treue bezieht sich auf andere, denen man Zutrauen schenkt, die uns Zutrauen schenken. Die Beständigkeit ist die Eigenschaft, daß wir uns selbst treu bleiben wollen, daß wir bei dem beharren, was wir als wahr und recht erkannt und ergriffen haben. Männer haben die Beständigkeit mehr von Natur, bei Frauen tritt uns mehr das Wechselnde entgegen. Die weibliche Natur ist wechselnden Eindrücken zugänglich, wandelt und ändert sich leicht. Sich hinzugeben an andere ist der weiblichen Natur eigen, es kommt aber gerade dadurch, daß sie leicht wechselt, je nachdem die Einflüsse sind, die auf sie einwirken. Beständigkeit ist darum zu erbitten. Wir wollen kein starres Festhalten am Alten, das ist eine übertriebene Beharrlichkeit, aber ein Festhalten und Festbleiben in dem, was man einmal als wahr erkannt und als rechtes Ziel der Tätigkeit erfaßt und ergriffen hat.

 Wiederum eine Steigerung der Beständigkeit kann die Standhaftigkeit genannt werden. Sie betätigt sich besonders im Leiden, daß man auch durch Leiden, etwa durch Feindschaft, die man erleben muß, sich nicht irre machen läßt in dem was man für recht und gut erkannt hat. Das ist eben eine Betätigung des Glaubens, darauf sich gründend: Gott werde das Werk, das Er in uns angefangen hat, vollführen. Und so ist noch das Höchste, worin der Glaube als Kraftquelle sich erweist: „der Bekennermut“. Das ist der Mut, freudig sich zum Herrn zu bekennen, der uns erkauft hat, dessen Eigentum wir sind, freudig auch sich bekennen zu seiner Kirche, zu dem, was man in der Kirche Gottes hat und was die Kirche Gottes uns darbietet, also sich| auch durch tatsächliches Bekenntnis zu halten zu unserer Kirche, zu dem reinen Altar, an dem das Sakrament unseres Herrn und Heilandes uns gespendet wird.

 Der Herr sagt Matth. 17 „Wenn wir Glauben haben nur wie ein Senfkorn,“ vermögen wir große Dinge zu wirken. Und so wollen wir schließen wie wir begonnen haben, mit dem Gebet „Herr, stärke uns den Glauben.“





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