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 In dem rein passiven Inhalt dieser Verse könnte man etwas Quietistisches finden, obwohl man des Geistes Trieb als aktive tätige Wirkung an sehen muß. Luther selbst ist wahrlich kein Quietist gewesen, dieser Mann des Glaubensmutes und der Kraft, der je und je gewagt hat, seine Persönlichkeit ganz aufs Spiel zu setzen. Er hat es gewagt, den aufrührerischen Bauern in Mühlhausen persönlich entgegenzutreten. Im Angesicht wagten sie ihn nicht anzutasten, aber als er wegfuhr warfen sie ihm Steine nach. Nicht minder hat er vorher gewagt sich ins Heerlager der falschen Zwickauer Propheten zu begeben, um im Mittelpunkt ihres Treibens die Macht seines Wortes geltend zu machen. Das ist wohl zu sagen, daß Luther sich streng in den Schranken hielt, die ihm gezogen waren. In Politik hat er sich nicht gemischt, er hätte es gekonnt. Die Reichsritterschaft bot sich ihm zur Unterstützung dar; er lehnte es ab. Man hat die Reformierten gerühmt wegen ihrer großen Tatkraft und von ihrem Bekennermut gesprochen. Derselbe soll ihnen nicht abgesprochen werden, aber es ist auch nicht zu leugnen, daß die Reformierten in Frankreich wie in Schottland sich stark in Politik eingemischt haben und eine politische Partei bildeten. Das hat Luther nicht getan noch gewollt. Die lutherische Kirche ist wohl in der Kraft der Organisation zurückgeblieben, aber es war der ihr gewiesene Weg. Bei den staatsrechtlichen Verhältnissen in Deutschland konnte die evang. Kirche nicht anders denn als Landeskirche sich entwickeln, weil nur den Reichsständen Religionsfreiheit zugestanden wurde. Es war der ihr gewiesene Weg, auf dem sie allerdings nicht zu einer entsprechenden Gestaltung ihres Wesens und kirchlichen Bestandes gelangt ist. Aber Quietismus liegt in der lutherischen Art nicht. Es ist wahr, daß die lutherische Kirche später als die römische Kirche ins Missionswerk eingriff, aber trotz ihrer Abgelegenheit vom Weltverkehr ist die lutherische Kirche von allen evangelischen Kirchen die erste gewesen, die das Missionswerk betrieb, da man in England noch nicht da ran dachte. Auch das Werk der Bibelverbreitung und die christlichen Anstalten sind auf lutherischem Boden erstmals hervorgetreten. Freilich haben uns jetzt auf dem Missionsgebiet und auch in anderen Liebestätigkeiten die Reformierten Englands und Nordamerikas weit überflügelt, aber es ist darauf hinzuweisen, daß unsere Kirche nur klein an Bestand ist, kaum mehr als 17 Millionen zählt, während die Reformierten die fünffache Zahl aufzuweisen vermögen. Wir dürfen zwar lernen von dem Eifer der Reformierten, der ja freilich manchmal das rechte Maß überschreitet, aber das müssen wir festhalten, Luther hat je und je erkannt, „daß der Glaube ein schäftig und kräftig Ding ist,“ daß aus dem Glauben die Tatkraft der Arbeit an sich und für das Reich Gottes mit Notwendigkeit hervorgeht. Auch Löhe wird niemand den Vorwurf machen wollen, daß er ein Quietist gewesen sei, denn er hat Kraft und Trieb in sich gefühlt, seine Gedanken zur Tat werden zu lassen im Kampfe sowohl als im Aufbauen. Aus dem Glauben kommt die Tatkraft, aber nicht um sich zu verherrlichen, um