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und ein Verlangen nach Heil, Rettung, Gnade gewirkt ist, dann kann das Wort des Evangeliums einsetzen und uns den Trost darbieten, kann die Gewissen trösten, kann uns das Heil und die Gnade vermitteln, daß Gott um Christi willen uns gnädig sei, unsere Sünde vergibt und aus Gnaden uns unsere Schuld nicht zurechnen will. So ist denn der Glaube in keinerlei Weise unser eigenes Werk, sondern wahrlich nichts anderes als „Gottes lautere Gnade und Gabe,“ aber wiederum ist der Glaube eine Quelle reichster Gnade, weil wir eben durch den Glauben, wie wir gehört haben, die Kindschaft beim Vater und damit die Gewißheit der Seligkeit erlangen. Der Glaube wird in uns zu einer Quelle der Kraft und so reden wir weiter von den aus dem Glauben erwachsenden Tugenden.

 Das Nächste, was aus dem Glauben hervorgeht, ist die Liebe, des Glaubens Frucht; doch von ihr wollen wir sonderlich noch reden. Man hat wohl auch gesagt: die eigentliche Mutter der christlichen Tugenden sei die Frömmigkeit oder die Gottseligkeit, wie die Schrift sich ausdrückt, das heißt, das aus der Liebe zu Gott hervorgehende ernste Streben, in allen Beziehungen und Betätigungen unseres Lebens nur und allein Gott zu Gefallen zu leben und uns in Liebe gegen ihn zu betätigen. Wir wollen heute insbesondere von den Tugenden reden, die aus dem Glauben selbst sich ergeben und seine sonderliche Art an sich tragen und nennen als erstes: die Tatkraft. Der Lehre von der Rechtfertigung aus dem Glauben ist von jeher der Vorwurf gemacht worden, daß sie die Menschen träge macht und daß sie nicht den Ernst der Lebensbetätigung mit sich bringe. Aus Röm. 6 kann man sehen, welche Vorwürfe schon damals der Predigt des Paulus von der Rechtfertigung gemacht wurden. Er lehre in der Sünde zu beharren, damit die Gnade um so mächtiger werde oder er lehre, daß man ruhig weiter sündigen dürfe. Ähnliche Vorwürfe sind zur Zeit der Reformation wider die Lehre Luthers gemacht worden und in der Gegenwart erheben sich diese Vorwürfe von neuem. Man hat Luther den Vorwurf des Quietismus gemacht, daß er allzusehr gelehrt habe, zu ruhen in der Gnade und so die Kraft der Betätigung und der Arbeit zurückgetreten sei. Ich möchte nun sagen, bei den späteren Liedern der pietistischen Zeit trat allerdings etwas von der quietistischen Art entgegen, eine allzusehr auf das Ruhen in Jesu gerichtete Sinnes weise. In dem herrlichen Lied Flessas: „Ich will dich immer treuer lieben,“ dessen 1. und letzter Vers so besonders schön sind, kann man allerdings im 3 und 4. Vers Anklänge an quietistische Art finden, wenn es dort heißt:

„ein anderer sinn auf große Taten,
mein Geist erblicket eine Ruh,
worin er leidend das vollführet,
was von des Geistes Trieben rühret
und das heißt recht in Gott getan.“