Einsegnungsunterricht 1912/9. Stunde
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Lied 283, 1–5. Psalm 18. 1–7, 47–51. |
Kollekte Hausb. II. 226, 57. | Psalm 73, 13 ff. Lied 293. 1. 5 |
Glaube und Liebe gehören aufs engste zusammen. St. Johannes redet in seinem 1. Brief oft von der Liebe so, daß man den Glauben mit hinein genommen findet. Und doch sind Glaube und Liebe verschieden. Der Glaube nimmt und ergreift, die Liebe gibt. Der Glaube faßt, die Liebe entäußert sich. Aber so verschieden Glaube und Liebe sind, so eng gehören sie auch zusammen. Der lebendige Glaube kann nicht sein ohne daß er sich in der Liebe erschlösse und die Liebe, wiederum vor allem die Liebe zu Gott, kann ohne Glauben gar nicht vorhanden sein. Erst müssen wir im Glauben des gewiß worden sein, was Gott uns gibt, ehe wir zum Dank dafür uns Ihm wieder in Liebe schenken können.
Wir reden heute: Von der Liebe und ihren Erweisungen: Barmherzigkeit, Geduld und Freundlichkeit.
Wenn wir von der Liebe reden, so können wir nicht anders unsern Ausgang nehmen als von Gott, der selbst die Liebe ist. Gottes Wesen ist uns unerforschlich. Wir sehen hier immer nur durch einen Spiegel wie im Rätsel, wie der Apostel 1. Korinther 13 sagt. Wir vermögen uns nichts vorzustellen oder völlig klar zu machen, was losgelöst ist von der Welt der Erscheinung, in der wir uns bewegen. Und wie könnten wir vollends das Höchste, den Urquell alles Seins und aller Vollkommenheit, wie könnten wir das göttliche Wesen ermessen und begreifen! Nur soviel können wir wie von ferne davon sagen. Es ist in Gott der Inbegriff und die Zusammenfassung aller Vollkommenheit, aller Seligkeit und Herrlichkeit. Wir kennen Gott nur aus Seinem Tun und Verhalten gegenüber der Welt und den Menschen. Und da tritt uns ein doppeltes entgegen. Daß Gott einerseits abgeschlossen ist in Sich Selbst, als der keines Dinges und keines Menschen bedarf und daß dieser Gott Sich doch aufschloß in Liebe nach außen. Die Abgeschlossenheit und Erschlossenheit Gottes kann man wohl auch als Seine Heiligkeit und Seine Liebe bezeichnen. Als der Heilige unterscheidet Er sich von allem Unvollkommenen; als der, der die Liebe ist, schließt Er Sich uns auf. Man kann sich hier auf das Beispiel und den Vergleich des Lichtes beziehen: wie ein Licht erleuchtet und erwärmt aber auch verzehrt, so ist Gott die Heiligkeit und Liebe zugleich. „Gott ist die Liebe,“ das offenbart uns die Schrift 1. Joh. 4. Hierdurch wird uns auch einiger maßen Licht gegeben für die Erkenntnis der göttlichen Dreieinigkeit. Weil Gott der Ewige ist und der Welt, der Kreatur nicht bedarf, in Sich Selbst voll kommen, in sich selbst selig, so kann in Gott keine starre Einerleiheit sein. Nicht Monismus, was gegenwärtig so vielfach das Losungswort ist, und als Forderung des Denkens gilt, sondern Harmonie ist das Höchste und im Drei einigen Gott ist die höchste Harmonie alles Seins, alles Lebens, aller Seligkeit| Gott bedarf nicht der Engel, nicht der Welt, nicht der Menschen, aber in Liebe hat er Sich dennoch den Menschen aufgetan.„Liebe, die mich hat gebunden
an ihr Joch mit Leib und Sinn,
Liebe, die mich überwunden
und mein Herz hat ganz dahin
Liebe, Dir ergeb’ ich mich,
Dein zu bleiben ewiglich“.
So reden wir weiter von der gläubigen Erfassung der Liebe Gottes in Christo und von unserer dankbaren Gegenliebe.
Wozu anders ist die Liebe Gottes in Christo uns leibhaftig erschienen, als damit Seine Liebe auch in uns erwachsen möge. Es kann aber Liebe zu Gott, in unserem, in der Menschen Herzen nur erstehen, wenn wir zuvor im Glauben die Liebe Gottes zu uns erkannt und erfahren haben. „Es ist ein Grundgesetz im Reiche Gottes“, sagt der Ethiker Harleß, „daß wir nichts haben, was wir nicht von Gott empfangen hätten“. So meint es auch der Herr. „Wie Mich Mein Vater liebet, so liebe ich euch. Bleibet in Meiner Liebe.“ Da führt Er Selbst die Liebe von Gott her über Ihn und Sein Werk herab zu den Herzen der Menschen, in denen sie Wurzel fassen soll. So bekennt es auch der Apostel der Liebe: „Wir haben geglaubt und erkannt die Liebe, die Gott zu uns hat“. Im Glauben erkennen, erfassen und erfahren wir die Liebe Gottes gegen uns. Und wenn wir dieser Liebe Gottes, mit der Er uns ewig geliebet hat, gewiß geworden sind, dann erwacht von selbst dankbare Gegenliebe in unseren Herzen. Darum sagt Johannes: „Darinnen stehet die Liebe: nicht, daß wir Gott geliebet haben, sondern daß Er uns geliebet hat.“ So hat es der Herr Jesus selbst gemeint: „Ihr habt nicht Mich erwählet, sondern Ich habe euch erwählet und gesetzt, daß ihr hingehet und Frucht bringet und eure Frucht bleibe“. So erwächst die Liebe in uns durch Erfahrung der Liebe Gottes, mit der Er uns geliebet hat. Wir dürfen nun weiter reden:
|Die Liebe ist nichts anderes als volle Hingabe, ein Leben für andere. Wie Gott Sich uns aufschloß, wie Christus Sich für uns gab, so geben wir uns Ihm in Liebe zum Eigentum. Die Liebe im vollen Sinn kann nun freilich sich nur auf den beziehen, der selbst die Liebe ist. Liebe im wahrsten und vollsten Sinn, ist Liebe zu Gott. Aber aus der Liebe zu Gott muß hervorwachsen die Liebe zu den Brüdern. Wenn wir Den lieben, der uns neu geboren hat, dann lieben wir auch die, die von Ihm geboren sind. Wenn wir der Erlösung durch Christus uns dankbar freuen, dann lieben wir auch von Herzen unsere Miterlösten. Auch die Liebe zu den Brüdern ist nichts anderes als Hingabe an sie. „Niemand hat größere Liebe denn die, daß er sein Leben lässet für seine Freunde“. „Daran haben wir erkannt die Liebe, daß Er Sein Leben für uns gelassen hat und wir sollen auch das Leben für die Brüder lassen.“ Dieser Liebe Lob wird gesungen im alten Testament, freilich in recht alttestamentlicher äußerlich sinnbildlicher Weise, doch in tiefem Wort, im Lied der Lieder, im „Hohenlied“. Dort heißt es: „Liebe ist stark wie der Tod“, der nämlich alles überwindet. Also kann die Liebe auch alles überwinden, aber sie selbst ist unüberwindlich; denn so heißt es dort auch: „daß auch viele Ströme nicht vermögen die Liebe zu löschen“. Im Neuen Testament haben wir das hoch erhabene Lied der Liebe 1. Korinther 13, wo uns die Liebe gezeigt wird als solche, die alles übertrifft, alles überwindet, alles überdauert. Der Apostel zeigt dort in hohen Worten, daß alles nichts ist ohne die Liebe, daß man alles vermag durch die Liebe, und daß alles dahinfällt außer der Liebe. Da geht in des Apostels Worten vor unsern Augen glänzend auf das Dreigestirn: Glaube, Hoffnung, Liebe, diese Drei, aber die Liebe ist die größeste unter ihnen. Warum ist die Liebe die größeste unter ihnen? Darum schon, weil sie völlig bleibt wie sie ist. Der Glaube bleibt auch, aber er wandelt sich in gläubiges Schauen, die Hoffnung bleibt auch, aber sie vollendet sich in freudiges Haben und Besitzen. Die Liebe aber bleibt, was sie ist und wie sie ist. Die Liebe ist die größeste; denn sie bezeichnet die innerste Gemeinschaft mit Gott und mit Christo. Ja durch Liebe nehmen wir gewissermaßen am göttlichen Leben selber teil, weil Gott eben selbst die Liebe ist.
Wir reden nun aber von den Erweisungen der Liebe.
Gehen wir wiederum von der Liebe Gottes aus, so kann man in der Liebe Gottes unterscheiden: Seine Liebe, die Er allen Kreaturen schlechthin erweist, das ist Seine Güte, dann Seine Liebe, die er an den Menschen erweist, das ist Seine Freundlichkeit oder Menschenliebe, wie es in der Titusstelle eigentlich heißt: „Es ist erschienen die Freundlichkeit und Menschenliebe Gottes, unseres Heilandes.“ Endlich die Liebe, die Er dem Sünder gegenüber erweist, das ist Seine Geduld und Langmut, daß Er nicht gleich straft, sondern Zeit| läßt zur Buße und Bekehrung, und Seine Gnade und Erbarmung, daß Er Sich des Sünders annimmt und Sich zu ihm herab läßt, um ihn zu Sich emporzuziehen. Die meisten dieser Erweisungen, die in der heiligen Schrift der Liebe Gottes zugeschrieben werden, können auch von der Menschen Liebe und gegenüber den Menschen gesagt werden.Man kann hier als nächsten Gesichtspunkt aufstellen den Unterschied der Liebe, die sich erzeigt gegenüber allen Menschen, dann der Liebe, die sich denen gegenüber erweisen muß, mit welchen wir im näheren Umgang stehen und endlich der Liebe, die wir zu betätigen haben gegenüber den Armen und Elenden. Diese Erweisungen der Liebe zusammen bilden die allgemeine Liebe im Unterschied von der sonderlichen, der brüderlichen Liebe, nämlich dem besonderen Liebesverhältnis der Christen untereinander, von welchem der Apostel sagt: „Die brüderliche Liebe untereinander sei herzlich“, es heißt eigentlich zärtlich, so wie Verwandte, unmittelbare Angehörige untereinander verbunden sind. In allen diesen Erweisungen erzeigt sich nun die hingebende Liebe als eine Quelle der Kraft für den Christenwandel und besonders auch für den Diakonissenberuf.
Ich rede zu Dienerinnen der Barmherzigkeit und stelle darum unter den sonderlichen Erweisungen der Liebe, die als Quelle der Kraft in unserm Leben sich erweisen sollen, die Barmherzigkeit voran. Löhe hat im Jahre 1860 „das Büchlein von der Barmherzigkeit“ ausgehen lassen: Sechs Kapitel für jedermann, ein siebentes für die Dienerinnen der Barmherzigkeit; entstanden aus Diktaten, die er in der Diakonissenschule gegeben hatte. Er spricht da von der Barmherzigkeit. Zuerst davon, was sie ist, wie Gott sie im Alten und darnach im Neuen Testament geübt hat, wie Er sie im Alten und Neuen Testament zu üben befohlen hat, wie die Kirche sie zu den verschiedenen Zeiten übte und wie sie vom Diakonissenberuf geübt werden soll. Es ist dies Büchlein immer wieder aufs neue denen zu empfehlen zum Lesen und Betrachten, die Dienerinnen der Barmherzigkeit sind. Was Löhe hier schon in kurzem aufzeigt, wie die Kirche zu verschiedenen Zeiten Barmherzigkeit übte, das ist seither in dem großen Werk Uhlhorns: „die Liebestätigkeit in der christlichen Kirche“ im einzelnen in eingehender Weise dargestellt worden. Es ist bekannt, wie die Barmherzigkeitsübung zuerst in der Kirche ein gemeindliches Amt der Diakonen und Diakonissen gewesen ist, daß dann weiterhin das Klosterwesen diese Tätigkeiten an sich zog, daß gegen den Ausgang des Mittelalters Bruderschaften und auch Gemeinschaften von Frauen sich gebildet haben, die im gemeinsamen Leben Gott dienen und Liebe und Erbarmung üben wollten. Man kann sagen, daß alle die entschiedenen Entgegenwirkungen gegen das tote Christentum des Mittelalters von ähnlichen Gedanken ausgingen. Hat doch Waldez in Lyon, von dem alle reformatorischen Bewegungen ihren Ausgang genommen haben, mit seinem Verein (Vereinigung oder Genossenschaft des Waldez) nichts anderes| gewollt als einen Verein solcher zu gründen, die auf eigenen Besitz verzichtend, dem Volk, den Armen das Evangelium bringen und sich ihrer annehmen wollten. In der Reformationszeit wurde der ernstliche Versuch gemacht die Übung der Barmherzigkeit, die Armenpflege, wieder zur Sache der kirchlichen Gemeinde zu machen, aber der Gang der Kirchengeschichte brachte es mit sich, daß diese Anfänge mehr in bürgerliche und zuletzt staatliche Hände übergegangen sind. Der Kirche unserer Zeit hat Gott den Weg verstattet, daß durch freiwillige Genossenschaften, sonderlich der Diakonissen, die Übung der Barmherzigkeit geschehen darf. Es ist ja nun wohl zuzugeben, daß nicht alle Tätigkeiten der weiblichen Diakonie geradezu Übungen der Barmherzigkeit genannt werden können. In der mittelalterlichen Kirche pflegte man sieben Werke leiblicher Barmherzigkeit aufzuzählen im Anschluß an Matth. 25. nämlich: Nackte kleiden, Durstige tränken, Hungrige speisen, Kranke besuchen, Gefangener sich annehmen, Gäste beherbergen und um die Siebenzahl voll zu machen, nahm man aus Tob. 12, 12 das Begraben der Toten hinzu. Daneben zählte man sieben Werke geistlicher Übung: beraten, ermahnen, belehren, trösten, vergeben, tragen und beten. Wir werden diese Übungen und Werke nicht voneinander trennen wollen, sondern vielmehr gerne das daraus entnehmen, daß auch das Mittelalter es mit der Barmherzigkeitsübung ernst nahm, zwar mehrfach willkürliche Wege ging, dabei doch aber auch verstand, daß jede leibliche Barmherzigkeitsübung den Seelen zugleich dienen sollte. Man kann nun, wenn man von sieben Werken der Barmherzigkeit spricht, wohl auch sieben Betätigungen der weiblichen Diakonie aufzählen. Man kann als erste Betätigung nennen: 1. Erziehen und Unterrichten der Kinder und der heranwachsenden Jugend. 2. Rettung der Verlorenen. 3. Pflege leiblich und geistlich Gebrechlicher. 4. Krankenpflege. 5. Armenpflege in der Gemeinde. 6. Landesnöte, Pflege der Verwundeten im Krieg. 7. Dienst im Heiligtum durch die weibliche Hand. Dann hätte man auch sieben verschiedene Betätigungen, aus denen man leicht mehr noch machen könnte. Jedenfalls möchte ich sagen: Nicht alle diese Betätigungen sind unmittelbar Übungen der eigentlichen Barmherzigkeit, d. h. desjenigen Sinnes des Christen, der sich des Elends annimmt, dem Elend und der Not aus Liebe zum Herrn zu steuern sucht. Aber das kann gesagt werden, daß alles, was in Betätigung weiblicher Gabe und Kraft zum Dienst der Gemeinde geschieht, im Sinn und Geist der Barmherzigkeit geübt werden kann, geübt werden muß, damit es wahren Wert vor Gott und auch einen wahren Wert und Erfolg bei den Menschen hat. Der Beweggrund alles Tuns muß sein dankbare Liebe gegen Gott, der sich unserer in Christo erbarmt und die herzliche Liebe zu den Menschen, die unseres Erbarmens allezeit in irgend einer Weise bedürfen. Ziel und Zweck alles Tuns der Diakonisse muß sein, der Seelen sich anzunehmen, damit auch ihnen Erbarmung widerfahre. Der Weg dazu muß sein, Nachfolge des Königs der Barmherzigkeit. Wir wiesen daraus hin, in welchem Sinn liebenden| Erbarmens der Herr Jesus durch die Welt gegangen ist, wie Er der Kleinen so freundlich Sich annahm, die Schwachen stützte, die Verlorenen suchte. Was können wir alles aus diesem Vorgang des großen Königs der Barmherzigkeit lernen für jegliche Betätigung, zu der die Einzelnen berufen sind. Und die Kraft der Barmherzigkeit muß sein: die täglich neue Erfahrung der göttlichen Barmherzigkeit, die uns widerfahren ist, ja von der wir täglich leben müssen, so gewiß wir von nichts anderem leben können, als von der Sünden vergebenden Gnade Gottes in Christo, diesem Ausfluß des göttlichen Erbarmens.Mehr wie Höflichkeit ist die Gefälligkeit, daß wo man irgend kann, sei es auch im kleinen, einen gefallen erweist. Mehr noch ist Dienstfertigkeit die den Schwestern besonders wohl ansteht und nach der die Außenwelt ihre Art gewöhnlich zu beurteilen pflegt. Es ist manchmal gesagt worden, daß man den Schwestern Neuendettelsaus einen gewissen Mangel an Freundlichkeit nachsagt, zum Teil mit Unrecht, weil es Vielleicht daher kommt, daß unsere Schwestern mehr, als man anderweits für richtig erkennt, Zurückhaltung üben sollen in Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen. Aber vielleicht ist der Vorwurf nicht ohne alles Unrecht; denn es gilt wirkliche Freundlichkeit zu üben und man darf nicht aus falscher Ängstlichkeit, Scheu und Zurückhaltung diese Aufgabe der Freundlichkeit den Menschen gegenüber verletzen. Doch viel wichtiger und größer ist das, daß die Liebeswerke, wie sie der Kirche unserer Zeit von Gott geschenkt worden sind, der Welt den Beweis liefern können und sollen, daß das Christentum eine Kraft Gottes ist und eine höhere Liebesmacht in sich schließt. Darum ist es etwas Großes, wenn man auch nur zu bescheidenem Teil an diesem Liebeswerk mitarbeiten darf. Wollen wir darum mit dem Wort des Herrn schließen und es uns einprägen, nicht nur für unser Verhältnis nach außen, sondern besonders auch für das Verhältnis der Schwestern untereinander und insbesondere für die Übung der Liebe und Erbarmung gegen die uns Befohlenen:
„Daran wird Jedermann erkennen, daß Ihr Meine Jünger seid, so Ihr Liebe untereinander habet.“
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