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als der: tragen, dulden und überwinden. Tragen, was andere zu tragen geben, in der Überzeugung, daß man selbst andern zu tragen gibt. Unter Umständen auch einmal etwas erdulden, was wirklich Unrecht und nicht am Platze sein mag. Und das Schönste ist dann durch Liebe, Sanftmut und Geduld zu überwinden. So ist die Krone dieser Liebeskraft, die in der Geduld im Zusammenleben mit andern sich zeigen soll: die Friedfertigkeit, nämlich in dem Sinn, wie der Herr es in Seinen Seligpreisungen sagt: ,Selig sind die Friedfertigen“ (Matth. 5). Es ist ein schöner Ruhm friedfertig zu sein. „Ist es möglich, soviel an euch ist, so habt mit allen Menschen Frieden.“ Aber der Herr meint noch etwas viel Höheres; denn es heißt: „Selig sind die Friedebringenden.“ Seine Jünger sollen nicht nur Frieden halten, damit das rechte Verhältnis und die gute Ordnung einigermaßen aufrecht erhalten werde, o nein, nicht nur in diesem Sinn sollen sie Frieden halten, sondern ihre ganze Art, ihre ganze Erscheinung, ihr ganzes Wesen soll etwas Beruhigendes haben. Und das gilt von keinem Beruf wohl in dem Maß, wie vom Beruf der Schwestern. Ihre Gott geheiligte Stille und Ruhe, ihre friedliche Art soll beruhigend wirken, vor allem auf die Kranken, aber auch beruhigend und nicht aufregend auf die Kinder und sonstige Schwache, die man zu leiten hat. Die in diesem Sinn Friede bringend sind, erweisen sich als rechte Kinder Gottes, als rechte Kinder des großen Königs des Friedens, der Friede gemacht hat durch sein Blut am Kreuz.

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 Und nun noch von der Freundlichkeit, als der Liebeskraft, die sich erweisen muß gegen alle Menschen unterschiedslos. Wie man der Geduld entgegenstellen kann die Pflicht der Selbstbehauptung, so kann man der Freundlichkeit gegenüber oder neben sie zur Ergänzung stellen die Zurückhaltung. Gewiß muß ein Maß von Zurückhaltung geübt werden, vor allem von Schwestern und ganz besonders im Verkehr mit dem andern Geschlecht. Gewiß ist die Zurückhaltung nötig, aber sie ist nicht das Höchste, sie ist gleichsam nur der Weg zum höheren, nur ein Ausgleich. Freundlichkeit als eine Liebeskraft ist noch etwas viel höheres. Und die Freundlichkeit soll sich nun erweisen, zunächst in der Höflichkeit. Auch Höflichkeit ist eine christliche Tugend, nicht nur eine Form. Es gibt viele Formen der Höflichkeit und in der Gegenwart sind sie nicht wenig gesteigert worden und doch liegt darin eine gewisse Zucht. Wer das Leben der gebildeten Stände beobachten konnte, wird sagen: Der Ton und die Haltung ist im ganzen feiner und höflicher geworden wie ehedem. Früher hat Naturwüchsigkeit als Höchstes gegolten, jetzt ist man mehr zum Standpunkt der Form gelangt. Es ist damit viel Unwahres, viel äußerlich Angenommenes verbunden und doch ist es eine feine äußerliche Zucht. Christen sollen doch Höflichkeit üben. Wie kann man aus Abrahams Leben, aus seinem Verhalten gegen die Engel, aus seinen Verhandlungen mit den Kindern Heths über den Kauf des Grabes Höflichkeit und Achten auf die Form in hohem