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läßt zur Buße und Bekehrung, und Seine Gnade und Erbarmung, daß Er Sich des Sünders annimmt und Sich zu ihm herab läßt, um ihn zu Sich emporzuziehen. Die meisten dieser Erweisungen, die in der heiligen Schrift der Liebe Gottes zugeschrieben werden, können auch von der Menschen Liebe und gegenüber den Menschen gesagt werden.

 Man kann hier als nächsten Gesichtspunkt aufstellen den Unterschied der Liebe, die sich erzeigt gegenüber allen Menschen, dann der Liebe, die sich denen gegenüber erweisen muß, mit welchen wir im näheren Umgang stehen und endlich der Liebe, die wir zu betätigen haben gegenüber den Armen und Elenden. Diese Erweisungen der Liebe zusammen bilden die allgemeine Liebe im Unterschied von der sonderlichen, der brüderlichen Liebe, nämlich dem besonderen Liebesverhältnis der Christen untereinander, von welchem der Apostel sagt: „Die brüderliche Liebe untereinander sei herzlich“, es heißt eigentlich zärtlich, so wie Verwandte, unmittelbare Angehörige untereinander verbunden sind. In allen diesen Erweisungen erzeigt sich nun die hingebende Liebe als eine Quelle der Kraft für den Christenwandel und besonders auch für den Diakonissenberuf.

 Ich rede zu Dienerinnen der Barmherzigkeit und stelle darum unter den sonderlichen Erweisungen der Liebe, die als Quelle der Kraft in unserm Leben sich erweisen sollen, die Barmherzigkeit voran. Löhe hat im Jahre 1860 „das Büchlein von der Barmherzigkeit“ ausgehen lassen: Sechs Kapitel für jedermann, ein siebentes für die Dienerinnen der Barmherzigkeit; entstanden aus Diktaten, die er in der Diakonissenschule gegeben hatte. Er spricht da von der Barmherzigkeit. Zuerst davon, was sie ist, wie Gott sie im Alten und darnach im Neuen Testament geübt hat, wie Er sie im Alten und Neuen Testament zu üben befohlen hat, wie die Kirche sie zu den verschiedenen Zeiten übte und wie sie vom Diakonissenberuf geübt werden soll. Es ist dies Büchlein immer wieder aufs neue denen zu empfehlen zum Lesen und Betrachten, die Dienerinnen der Barmherzigkeit sind. Was Löhe hier schon in kurzem aufzeigt, wie die Kirche zu verschiedenen Zeiten Barmherzigkeit übte, das ist seither in dem großen Werk Uhlhorns: „die Liebestätigkeit in der christlichen Kirche“ im einzelnen in eingehender Weise dargestellt worden. Es ist bekannt, wie die Barmherzigkeitsübung zuerst in der Kirche ein gemeindliches Amt der Diakonen und Diakonissen gewesen ist, daß dann weiterhin das Klosterwesen diese Tätigkeiten an sich zog, daß gegen den Ausgang des Mittelalters Bruderschaften und auch Gemeinschaften von Frauen sich gebildet haben, die im gemeinsamen Leben Gott dienen und Liebe und Erbarmung üben wollten. Man kann sagen, daß alle die entschiedenen Entgegenwirkungen gegen das tote Christentum des Mittelalters von ähnlichen Gedanken ausgingen. Hat doch Waldez in Lyon, von dem alle reformatorischen Bewegungen ihren Ausgang genommen haben, mit seinem Verein (Vereinigung oder Genossenschaft des Waldez) nichts anderes