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gewollt als einen Verein solcher zu gründen, die auf eigenen Besitz verzichtend, dem Volk, den Armen das Evangelium bringen und sich ihrer annehmen wollten. In der Reformationszeit wurde der ernstliche Versuch gemacht die Übung der Barmherzigkeit, die Armenpflege, wieder zur Sache der kirchlichen Gemeinde zu machen, aber der Gang der Kirchengeschichte brachte es mit sich, daß diese Anfänge mehr in bürgerliche und zuletzt staatliche Hände übergegangen sind. Der Kirche unserer Zeit hat Gott den Weg verstattet, daß durch freiwillige Genossenschaften, sonderlich der Diakonissen, die Übung der Barmherzigkeit geschehen darf. Es ist ja nun wohl zuzugeben, daß nicht alle Tätigkeiten der weiblichen Diakonie geradezu Übungen der Barmherzigkeit genannt werden können. In der mittelalterlichen Kirche pflegte man sieben Werke leiblicher Barmherzigkeit aufzuzählen im Anschluß an Matth. 25. nämlich: Nackte kleiden, Durstige tränken, Hungrige speisen, Kranke besuchen, Gefangener sich annehmen, Gäste beherbergen und um die Siebenzahl voll zu machen, nahm man aus Tob. 12, 12 das Begraben der Toten hinzu. Daneben zählte man sieben Werke geistlicher Übung: beraten, ermahnen, belehren, trösten, vergeben, tragen und beten. Wir werden diese Übungen und Werke nicht voneinander trennen wollen, sondern vielmehr gerne das daraus entnehmen, daß auch das Mittelalter es mit der Barmherzigkeitsübung ernst nahm, zwar mehrfach willkürliche Wege ging, dabei doch aber auch verstand, daß jede leibliche Barmherzigkeitsübung den Seelen zugleich dienen sollte. Man kann nun, wenn man von sieben Werken der Barmherzigkeit spricht, wohl auch sieben Betätigungen der weiblichen Diakonie aufzählen. Man kann als erste Betätigung nennen: 1. Erziehen und Unterrichten der Kinder und der heranwachsenden Jugend. 2. Rettung der Verlorenen. 3. Pflege leiblich und geistlich Gebrechlicher. 4. Krankenpflege. 5. Armenpflege in der Gemeinde. 6. Landesnöte, Pflege der Verwundeten im Krieg. 7. Dienst im Heiligtum durch die weibliche Hand. Dann hätte man auch sieben verschiedene Betätigungen, aus denen man leicht mehr noch machen könnte. Jedenfalls möchte ich sagen: Nicht alle diese Betätigungen sind unmittelbar Übungen der eigentlichen Barmherzigkeit, d. h. desjenigen Sinnes des Christen, der sich des Elends annimmt, dem Elend und der Not aus Liebe zum Herrn zu steuern sucht. Aber das kann gesagt werden, daß alles, was in Betätigung weiblicher Gabe und Kraft zum Dienst der Gemeinde geschieht, im Sinn und Geist der Barmherzigkeit geübt werden kann, geübt werden muß, damit es wahren Wert vor Gott und auch einen wahren Wert und Erfolg bei den Menschen hat. Der Beweggrund alles Tuns muß sein dankbare Liebe gegen Gott, der sich unserer in Christo erbarmt und die herzliche Liebe zu den Menschen, die unseres Erbarmens allezeit in irgend einer Weise bedürfen. Ziel und Zweck alles Tuns der Diakonisse muß sein, der Seelen sich anzunehmen, damit auch ihnen Erbarmung widerfahre. Der Weg dazu muß sein, Nachfolge des Königs der Barmherzigkeit. Wir wiesen daraus hin, in welchem Sinn liebenden