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von der Art und der Kraft der Liebe.

 Die Liebe ist nichts anderes als volle Hingabe, ein Leben für andere. Wie Gott Sich uns aufschloß, wie Christus Sich für uns gab, so geben wir uns Ihm in Liebe zum Eigentum. Die Liebe im vollen Sinn kann nun freilich sich nur auf den beziehen, der selbst die Liebe ist. Liebe im wahrsten und vollsten Sinn, ist Liebe zu Gott. Aber aus der Liebe zu Gott muß hervorwachsen die Liebe zu den Brüdern. Wenn wir Den lieben, der uns neu geboren hat, dann lieben wir auch die, die von Ihm geboren sind. Wenn wir der Erlösung durch Christus uns dankbar freuen, dann lieben wir auch von Herzen unsere Miterlösten. Auch die Liebe zu den Brüdern ist nichts anderes als Hingabe an sie. „Niemand hat größere Liebe denn die, daß er sein Leben lässet für seine Freunde“. „Daran haben wir erkannt die Liebe, daß Er Sein Leben für uns gelassen hat und wir sollen auch das Leben für die Brüder lassen.“ Dieser Liebe Lob wird gesungen im alten Testament, freilich in recht alttestamentlicher äußerlich sinnbildlicher Weise, doch in tiefem Wort, im Lied der Lieder, im „Hohenlied“. Dort heißt es: „Liebe ist stark wie der Tod“, der nämlich alles überwindet. Also kann die Liebe auch alles überwinden, aber sie selbst ist unüberwindlich; denn so heißt es dort auch: „daß auch viele Ströme nicht vermögen die Liebe zu löschen“. Im Neuen Testament haben wir das hoch erhabene Lied der Liebe 1. Korinther 13, wo uns die Liebe gezeigt wird als solche, die alles übertrifft, alles überwindet, alles überdauert. Der Apostel zeigt dort in hohen Worten, daß alles nichts ist ohne die Liebe, daß man alles vermag durch die Liebe, und daß alles dahinfällt außer der Liebe. Da geht in des Apostels Worten vor unsern Augen glänzend auf das Dreigestirn: Glaube, Hoffnung, Liebe, diese Drei, aber die Liebe ist die größeste unter ihnen. Warum ist die Liebe die größeste unter ihnen? Darum schon, weil sie völlig bleibt wie sie ist. Der Glaube bleibt auch, aber er wandelt sich in gläubiges Schauen, die Hoffnung bleibt auch, aber sie vollendet sich in freudiges Haben und Besitzen. Die Liebe aber bleibt, was sie ist und wie sie ist. Die Liebe ist die größeste; denn sie bezeichnet die innerste Gemeinschaft mit Gott und mit Christo. Ja durch Liebe nehmen wir gewissermaßen am göttlichen Leben selber teil, weil Gott eben selbst die Liebe ist.

 Wir reden nun aber von den Erweisungen der Liebe.

 Gehen wir wiederum von der Liebe Gottes aus, so kann man in der Liebe Gottes unterscheiden: Seine Liebe, die Er allen Kreaturen schlechthin erweist, das ist Seine Güte, dann Seine Liebe, die er an den Menschen erweist, das ist Seine Freundlichkeit oder Menschenliebe, wie es in der Titusstelle eigentlich heißt: „Es ist erschienen die Freundlichkeit und Menschenliebe Gottes, unseres Heilandes.“ Endlich die Liebe, die Er dem Sünder gegenüber erweist, das ist Seine Geduld und Langmut, daß Er nicht gleich straft, sondern Zeit