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Erbarmens der Herr Jesus durch die Welt gegangen ist, wie Er der Kleinen so freundlich Sich annahm, die Schwachen stützte, die Verlorenen suchte. Was können wir alles aus diesem Vorgang des großen Königs der Barmherzigkeit lernen für jegliche Betätigung, zu der die Einzelnen berufen sind. Und die Kraft der Barmherzigkeit muß sein: die täglich neue Erfahrung der göttlichen Barmherzigkeit, die uns widerfahren ist, ja von der wir täglich leben müssen, so gewiß wir von nichts anderem leben können, als von der Sünden vergebenden Gnade Gottes in Christo, diesem Ausfluß des göttlichen Erbarmens.

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 Wir reden weiter von der Geduld. Barmherzigkeit ist die Liebe, die sich gegenüber Hilfsbedürftigen irgendwie erweist, Geduld ist dagegen die Liebe, die wir an denen zu üben haben, mit denen wir zusammenleben, zusammenwirken, sei es im Kreis der Familie, sei es in der Gemeinschaft der Schwestern, wie Sie diesen Weg durch Gottes Gnade erwählt haben und ihn geführt worden sind. Man kann wohl sagen und muß es sagen in Anwendung der Grundsätze christlicher Sittlichkeit, daß es auch eine Selbstbehauptung des Christen gibt, die darin besteht, daß ein Christ das, was ihm an Gabe von Gott geworden ist, festhalten und vermöge dieser Gabe und seiner damit gegebenen Stellung auch behaupten muß. Diese Pflicht der Selbstbehauptung ist im Ganzen mehr die Aufgabe des Mannes, den seine Stellung ins öffentliche Leben führt. Ein Mann ist genötigt einzutreten für sein und seines Hauses und endlich auch des Landes gutes Recht und ist berechtigt, bei aller Ehrerbietung unter Umständen solchen entgegenzutreten, die sonst auch Recht und Macht in der Welt haben. Aber es ist das Glück, der besondere Vorzug des Weibes, daß ihre Aufgabe sie in die Häuslichkeit, in die Stille und Verborgenheit führt, sodaß eben durch den Schutz und die Achtung, die dem weiblichen Geschlecht gezollt werden, dieses Recht der Selbstbehauptung bei Frauen und bei Schwestern sehr zurücktreten kann, daß vielmehr Übung der Geduld immer ihre größte und wichtigste Aufgabe sein muß. Sie haben zu üben die Geduld, daß Sie die, mit denen Sie zusammenleben und zu arbeiten haben, in ihrer Besonderheit zu tragen wissen. Die Wurzel dieses Verhaltens ist der Sinn, nicht sich, sondern andern zu leben, nicht zu suchen was unser, sondern was des andern ist. Die Kraft der Geduld ist die Demut, daß man sich nicht höher achte, denn man in Wahrheit gestellt ist, daß man gerne sich unter andere fügt. Es muß Unter- und Überordnung geben; aber die, die übergeordnet sind, sollen das nie als eine Macht ansehen, die sie haben, als eine Gewalt, die sie üben, sondern nur als einen Dienst; denn etwas anderes kennt die Kirche Gottes nicht. „Die Gewaltigen in der Welt heißt man gnädige Herren“ und gibt ihnen diesen und jenen Titel, „unter euch nicht also,“ sagt der Herr. „Sondern wer unter euch der Größte sein will, der sei euer Diener, und wer da will der Vornehmste sein, der sei euer aller Knecht.“ So ist es unter Christen. Darum ist die Kraft des geduldigen Tragens Anderer stets die Demut und der Weg ist kein andrer