« 6. Stunde Wilhelm Eichhorn
Einsegnungsunterricht 1912
8. Stunde »
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7. Stunde.
Dienstag, den 29. Oktober 1912 nachm.
Anfang: Lied 26, 3–8.
Psalm 27.
Kollekte Hausb. II. 162, 7. Schluß: Ps. 116.
Lied 352. 7. 8. 15

 Von den Gnadenmitteln hatten wir zu allererst zu sprechen, wenn wir die Gnaden- und Kraftquellen für das Christenleben uns vor Augen stellen wollten. Die Gnadenmittel, die der Herr Seiner Kirche für ihr Leben in der Welt gegeben hat, das sind „die Brünnlein Gottes,“ von denen es im Psalm heißt, daß sie Wassers die Fülle haben, wie auch geredet wird von der „Stadt Gottes mit ihren Brünnlein.“ Hier ist der Strom, den Ezechiel im Geiste schaute ausgehend vom Tempel. Ja, wir dürfen uns auch zurückerinnern an die vier Ströme, die vom Paradiese ausgegangen sind nach den vier Örtern der Erde.

 Zu den Gnadenmitteln pflegten manche Väter in etwas zu bestreitender Auffassung auch das Gebet zu rechnen und Löhe unterscheidet in seinem 1. Teil des Haus- Schul- und Kirchenbuches auch die Gnadenmittel nach dem Gesichtspunkt, daß es eine Geberhand gibt: nämlich Wort und Sakrament- und eine Nehmerhand, das ist das Gebet. Jedenfalls ist das Gebet eine Gnaden- und Kraftquelle ohne Gleichen.

 Wir sprechen heute:

vom Gebet als teuerer Gabe und seligem Geschäfte.
 Vom Gebet reden wir, zuerst nach seiner allmählichen Entwicklung in der Menschheitsgeschichte und hier dürfen wir wohl den Satz voranstellen: soweit es Völker auf dem weiten Erdenrund gibt, gibt es Religionen, denn jedes Volk hat irgendwelche Religion und wo Religion ist, da ist auch Gebet in irgendwelcher Form, freilich bei den Heiden sehr verunstaltet. Und fast überall steht das Gebet in Verbindung mit dem Opfer. So tritt es uns schon an der Schwelle der Menschheitsgeschichte entgegen bei Kain und Abel. Ein Opfer zu bringen, einen Gegenstand, der Wert hat und zum Menschen in Beziehung steht zu verbrennen auf einem Altar, daß er in Rauch aufgehe und mit dem Rauch emporsteige zum Himmel, das sollte Sinnbild dafür sein, daß der Mensch sich selbst Gott schuldig erkennt, daß er schuldig sei, sich Gott darzugeben und sich in Seinen Dienst zu stellen. Und weil ihm bewußt ist, daß er das nur unvollkommen| vollbringen kann, so setzt er etwas, das wertvoll und rein ist, an seine Statt. Bei Noah tritt uns das Opfer entgegen im Sinne einer Dankeserzeigung. Es war aus Dank hervorgegangen und deshalb war es dem Herrn angenehm, wie ausdrücklich berichtet wird. Das erste Gebet in Worten wird uns aus Abrahams Mund erzählt. Als Gott dem Abraham die schöne Zusage gab: „Ich bin dein Schild und dein sehr großer Lohn,“ da sagt Abraham: „Was willst Du mir geben? Ich gehe dahin ohne Kinder etc.“ Das ist das erste in der Schrift uns aufbehaltene, von einem Menschen an Gott in unmittelbarer Anrede gerichtete Gebet. Wir sind damit an der Schwelle des eigentlichen alten Bundes angelangt. Nachdem zuerst das Gebet sich uns darstellt als tiefes Bedürfen des Menschen, so stellt es sich im Alten Testament uns vor Augen als freundliche Gestattung Gottes. Wir sehen bei Abraham, wie Gott ihm gestattet, mit ihm zu reden wie ein Mann mit seinem Freunde, wir sehen, wie Abraham ein Zugeständnis nach dem andern in der Fürbitte für Sodom Gott abringt. Wir sehen bei Jakob den Gebetskampf mit dem Engel an der Stätte Pniel, wo er Gott von Angesicht sah und seine Seele war genesen: „Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn.“ Weiter hören wir aus Jakobs Mund noch vor seinem Heimgang das Gebet, das er an den Herrn richtet mitten im Segen an seine Söhne. „Herr, ich warte auf dein Heil.“ Wie hat Gott sich Moses Fürbitte für das Volk Israel gefallen lassen, als Moses (2. Mose 32) es wagte, in der Fürbitte für das ungehorsame Volk Gott Seine Verheißung, Seine Gnadenzusage und Seines Namens Ehre entgegenzuhalten. Wie bedeutsam ist es, daß auf Moses Angesicht ein Glanz ruhte, wenn er mit Gott gesprochen hatte, wenn auch dieser Glanz, was 2. Kor. 3 gesagt wird, nur ein vergänglicher und vorübergehender gewesen ist. – Die Psalmen sind und bleiben große Vorbilder des Betens, des Flehens, des Dankes, der Anbetung. Freude am Gesetz, Freude am Gottesdienst, Freude an Gottes Wort, festestes Vertrauen zu Gott, Liebe zu Ihm tritt uns da entgegen. So hat Gott schon im Alten Testament den Gläubigen Israels das Gebet zu Ihm gestattet und sich gefallen lassen. Eins nur findet sich im Alten Testament noch nicht, – so groß und herrlich die Gebete des alten Testamentes sind – nämlich Gottes Vatername. Nur Psalm 68 wird Gott genannt ein Vater, d. h. dort „Schützer der Waisen“, im Psalm 89, 27 wird es David in den Mund gelegt: „Du bist mein Vater, mein Gott und mein Hort“, doch nur in heilsgeschichtlichem Sinn, den wir aus 2. Sam. 7 kennen, daß nämlich der König Israels in sonderlichem Verhältnis zu Gott stand. Ähnlich ist es Jes. 63, wo der Prophet für das ganze Israel zu Gott spricht: „Bist du doch unser Vater etc.“ Als Schöpfer des ganzen Volkes heißt Gott „Vater“: Jer. 3, 19 und Jer. 31, 9 oder umgekehrt sagt das Wort Gottes bei Hosea: „Aus Ägypten habe ich Meinen Sohn gerufen.“
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 Der einzelne Gläubige konnte und durfte es im alten Testament nicht| wagen, Gott seinen Vater zu nennen. Das war um so auffälliger, als im Munde der Heiden die Anrede an die Gottheit als Vater gebräuchlich gewesen ist. Bei den Griechen und Römern, wie bei unsern heidnischen Vorfahren war das so. Dem Volke Israel war es aber in erzieherischer Weise absichtlich von Gott versagt.

 So dürfen wir weiter fortfahren: Erst im neuen Testament tritt uns das Gebet entgegen als teures Kindesrecht. Jesus gebraucht den Vaternamen ebenso von Sich: „Mein Vater“, wie in Beziehung auf die Seinen so gerne: „Euer Vater im Himmel weiß etc.“ Zum Gebet legt Er ihnen diesen Namen selbst in den Mund im heiligen „Vater unser“. Er bringt dies Kindesrecht in engste Verbindung mit seinem eigenen Werk, indem Er vom Gebet in seinem Namen spricht Joh. 14 und 15. Weil Er uns wieder zu Kindern Gottes gemacht, weil Er den Menschen den freien Zugang zum Vater eröffnet hat, so kann und darf in Seinem Namen, im festesten Vertrauen auf Ihn Gott als Vater angerufen werden. Indem Er den Seinigen den heiligen heiligen Geist verheißt, der in ihrem Herzen wohnen und wirken soll, so hat Er ihnen damit auch ermöglicht, fortan im Geist und in der Wahrheit zum Vater zu beten. Das haben auch die Seinigen, das haben die Apostel wohl erkannt: Denken wir an Römer 8[:] „Weil ihr denn Kinder seid, hat Gott gesandt den Geist seines Sohnes, durch welchen wir rufen: „Abba, lieber Vater,“ oder Epheser 3: „Ich beuge meine Knie gegen den Vater unseres Herrn Jesu Christi, der der rechte Vater ist über alles, was da Kinder heißt im Himmel und auf Erden.“ Das ist nun das Neue: Das Gebet ein Kindesrecht. Einzelne der im hl. Vaterunser vorkommenden Bitten sind auch vorher schon in ähnlicher Weise ausgedrückt gewesen, wie etwa die Bitte: „Dein Reich komme.“ Aber völlig neu ist der Vatername, der an der Spitze des hl. Vaterunsers steht. Wohl hat man in der neueren Zeit behaupten wollen, die Juden hätten auch schon den Vaternamen um jene Zeit gebraucht; aber es ist vielmehr so: Die Juden ließen sich doch auch einigermaßen unbewußt vom Christentum beeinflussen und infolge dieses Einflusses findet der Vatername sich allerdings bei ihnen später auch. Vorher aber fand er sich in Wahrheit nicht. So haben wir das Gebet überblickt nach seiner geschichtlichen Entwicklung innerhalb der Menschheit und reden nun weiter vom Gebet nach seinem wahren Wesen.

 Wir unterscheiden zunächst Gottes Wort und Gebet, die so eng zusammengehören. Im Worte redet Gott mit uns und wir sollen sprechen: „Rede, Herr, denn Dein Knecht höret.“ Betend dagegen sprechen wir mit Gott und unsere Meinung und unser Sinn dabei sei: „Laß Dir wohlgefallen die Rede meines Mundes und das Gespräch meines Herzens vor Dir, Herr, mein Hort und mein Erlöser“. Das Gebet ist also seinem wahren Wesen nach nichts anderes als das Gespräch des Herzens mit Gott in kindlichem Geiste.| Das Gebet muß ein Gespräch sein. Das Gebet ist nicht etwa ein bloßes Sich versenken in Gott im Sinn der verkehrten Mystik, sondern vielmehr ein Reden mit Gott; es muß in Worte gefaßt sein. Das Gespräch des Herzens mit Gott in kindlichem Geist, in Jesu Namen, bezeichnet das wahre Wesen des Gebets.

 Geschieht das Gebet wirklich in Jesu Namen, so ist es andächtig; denn wer in Jesu Namen betet, der sucht Gott, sucht die Gemeinschaft mit Ihm und erhebt damit Herz und Gedanken über die Sichtbarkeit. Das Gebet in Jesu Namen ist demütig; denn wer im Namen Jesu betet, ist sich dessen wohl bewußt, daß wir nicht wert sind, vor Gott zu treten, daß unsere eigene Gerechtigkeit nur ist wie ein beflecktes Kleid. Das Gebet in Jesu Namen ist gläubig, weil wir uns auf den fest verlassen, der uns dies teure Kindesrecht gab und von dem wir wissen, daß Er uns selbst beim Vater vertritt, uns den Zugang beim Vater allezeit offenhält. Das Gebet in Jesu Namen ist auch anhaltend nach Jesu eigenem Vorbild; denn Er hat uns selbst das Vorbild anhaltenden eifrigsten Gebetes gegeben. Er hat Seine Jünger Kenntnis davon nehmen lassen, daß Er mehr wie eine Nacht im Gebet verbrachte. Er hat Seine Jünger und uns durch sie gewürdigt, Kenntnis zu nehmen von den Gebeten, die Er an den Vater richtete. Denken wir an das höchste Gebet, das es überhaupt gibt und geben kann, das hohepriesterliche Gebet, von dem Melanchthon sagt: Majestätischeres, Gewaltigeres ist nie im Himmel und auf Erden gehört worden als dies Gebet des Sohnes vor Seinem Hingang zum Vater.“ Das ist das Gebet nach seinem wahren Wesen.

 Wir sprechen vom Gebet nach seinem Inhalt. Wenn wir im Namen Jesu beten, dann wird auch unser Gebet in Jesu Sinn und Geist vermeint sein. So sagt Johannes im 1. Brief im 5. Kapitel: „So wir bitten nach Seinem Willen, so höret er uns.“ Wer in Jesu Namen betet, kann nur nach Seinem Sinn und Willen beten. All unser Gebet wird dann immer die Richtung auf das Eine, was not ist, haben, nämlich die Richtung auf unsere Seligkeit und auf den großen, alles zusammenfassenden Zweck der Erscheinung des Reiches Gottes. Wenn wir in Jesu Namen beten, dann werden wir vor allem beten um geistliche Gaben. Wir werden um leibliche, irdische Gaben nur insoweit beten als dieselben uns nützlich und förderlich, mindestens nicht hinderlich sind in Beziehung auf die Seligkeit, in Beziehung auf das Heil unserer Seele. Wir werden dann, wenn wir in Jesu Namen beten, auch nicht nur für uns allein beten, sondern auch für andere, insbesondere die teuer Miterlösten nie und nimmer vergessen können. Besonders wird dann unser Gebet sich auf die Heiligung des göttlichen Namens, der in Jesu uns offenbar geworden ist, auf das Kommen Seines Reiches und die Erfüllung Seines Gnadenwillens beziehen. Wie ist uns das im hlg. Vaterunser so herrlich vor Augen geführt, daß in den 3 ersten Bitten nicht das Wort „unser“ vorkommt, sondern| das große „Dein“; Dein Name, Dein Reich, Dein Wille. Erst dann kommt eine Bitte für uns, und zwar um Zeitliches. Wir dürfen doch Dem, dem wir das Höchste vortragen, daß Sein Gnadenwille geschehen möge im Himmel und Erden, auch unsere geringen irdischen Angelegenheiten vortragen. Sie sind ihm nicht zu klein, aber freilich vor allem sollen wir für uns um geistliche Gaben, um Abwendung dessen, was dem Heil unserer Seele im Wege stehen könnte, bitten. So sind wir im hlg. Vaterunser gelehrt worden. 1. Tim 2. V. 1 scheint der Apostel eine etwas andere Einteilung vom Gebet nach seinem Inhalt zu geben. Bittgebet, Fürbitte, Danksagung. Er will sagen: Unser Gebet darf durchaus Bitte und Anliegen sein; denn nicht Fürbitten, sondern Anliegen bedeutet das betr. Wort. Er will beifügen, wenn unser Gebet Bitte und Anliegen enthalten darf, so muß der Dank immer damit verbunden sein. Obwohl hier Fürbitte allerdings nicht gemeint ist, so ist sie doch in Bitten und Anliegen eingeschlossen, denn er will, daß, Bitte, Gebet, Anliegen und Danksagung dargebracht werden für alle Menschen, auch für die Könige und für die damals heidnische Obrigkeit. So ergibt sich uns als inhaltlicher Unterschied das Gebet für uns selbst und das Gebet für andere, zunächst das Gebet für solche, mit denen wir in irgend einer Beziehung stehen, dann das Gebet für alle Menschen und gewiß als höchstes das Gebet für Christi Reich.

 Was uns selbst anlangt, wird immer Luthers Einteilung in der Auslegung des 2. Gebotes richtig und vollständig bleiben, wo er erst die Anrufung nennt, d. i. die Bitte, die an Gott in der Not gerichtet wird, weil es meist eben die Not ist, die den Menschen zum Beten bringt; aber nicht nur anrufen sollen wir, sondern überhaupt Gott bitten, weil wir allezeit geistliche und leibliche Dinge von Ihm zu erflehen haben. Weiter nicht nur bitten sollen wir, sondern auch danken für die empfangenen Wohltaten Gott preisen und schließlich das Loben, das höchste, soll nicht fehlen; wir dürfen Ihn preisen, weil Er Selbst so herrlich und groß ist. Das wird in der Schrift Anbetung im höchsten Sinn genannt, wenn wir betend nicht mehr an uns denken, sondern nur Gottes Größe und Herrlichkeit vor Augen haben. Soviel über das Gebet nach seinem Inhalt.

 Nun sprechen wir von des Gebetes Erhörung. Daß die Heilige Schrift die Gebetserhörung statuiert, ist zweifellos, das kann wahrlich keiner Unsicherheit unterliegen. „Du erhörest Gebet, darum kommt alles Fleisch zu Dir“, heißt es im Psalm 65, und im Neuen Testament haben wir das Wort: „Bittet, so wird euch gegeben, suchet, so werdet ihr finden, klopfet an, so wird euch aufgetan.“ Darin liegt eine Steigerung. Das Nächste, Einfachste ist Erbitten dessen was man braucht. Mehr Kraft erfordert das Suchen dessen was fehlt, nötig, weil man nicht sofort Erhörung findet. Und nun vollends anklopfen heißt mit Macht sich bemerklich machen, es bedeutet eigentlich an die Türe stoßen. Man bringt seine Bitten eindringend und eindringlich| vor Gott und es wird schließlich erhört. Der Herr nimmt die in der Bergpredigt gegebene Zusage noch einmal auf, wo Er vom Gebet in Seinem Namen spricht, wo Er also das Gebet nach seinem innersten Wesen als Gebet der Gottesgemeinschaft uns enthüllt. „Bisher habt ihr nicht gebeten in Meinem Namen. Bittet, so werdet ihr nehmen, daß eure Freude vollkommen sei.“

 Die Gebetserhörung ist geradezu selbstverständlich für die biblische und christliche Gottes- und Weltanschauung. Gebetserhörung vollzieht sich schon dadurch, daß Gott seine allgemeinen Gnadenverheißungen für das äußere und innere Leben als Antwort auf das Gebet – Er will gebeten sein – den Einzelnen zuwendet. Aber es fragt sich, ob auch ein ganz direkt durch menschliche Bitte veranlaßtes göttliches Tun angenommen werden dürfe. Hierüber sei einiges angedeutet.

 Gott regiert die Welt, wie Er sie erschaffen hat und wie Er sie erhält. Obwohl Er die Welt durch die von Ihm gegebene Naturordnung erhält und regiert ist Er doch nicht an sie gebunden, Er kann eingreifen, etwas tun und wirken ohne die gewöhnlichen Mittelursachen. Die Gebetserhörung kann sich nun bewegen innerhalb der göttlichen Weltregierung und Erhaltung der Dinge, das ist das Gewöhnliche. Unsere Väter rechnen mit zur göttlichen Vorsehung, den sogen. Concursus, das ist Seine Mitwirkung, daß Er einwirkt auf Entschlüsse und Handlungen der Menschen und sie stellt die eigentliche Leitung der Dinge dar. Dieselbe betätigt sich, wie von unsern Vätern mit Recht erkannt wurde, in folgenden einzelnen Momenten: der Zulassung auch von bösen Handlungen, der Verhinderung von bösen Handlungen wenn Gott es will, Lenkung dessen, was der Mensch tut nach irgend einer Seite hin, so daß das, was vom Menschen böse gemeint war, von Gott so gerichtet wird, daß es doch zum Guten ausschlägt, wie Joseph sich ausdrückte: „Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen, aber Gott gedachte es gut zu machen“ (1. Mose 50, V. 20); ferner Zielsetzung, insoferne Gott jeden Augenblick sprechen kann: „Bis hieher und nicht weiter.“ Durch dieses Einwirken auf das Tun der Menschen vollziehen sich viele merkbaren Gebetserhörungen. Herrliche Beispiele sind uns bekannt, wie zu derselbigen Stunde, da die Not am größten war, die Hilfe eintrat durch menschliche Mittelursachen, aber doch durch Gottes sichtliche Leitung. Das ist die Gebetserhörung, die noch innerhalb der gottgesetzten Weltordnung sich vollzieht. Bewundernswert ist, wie Gott alles herrlich regiert, aber es ist noch nicht ein Wunder im vollen Sinn, es ist noch nicht ein Durchbrechen der Naturordnung. Aber Gott kann in vollem Sinn auch wunderbar Gebete erhören. Die Wunder, welche Zeichen genannt werden, stehen alle im Zusammenhang mit dem Erlösungswerk, mit seiner Vorbereitung im alten Testament und der Ausführung desselben im Neuen Testament durch Christum und die Apostel: das sind also die Wunder der heiligen Schrift. Aber obgleich diese eigentlichen Wunder und Zeichen nur im Zusammenhang mit dem Erlösungswerk und dessen Vollendung| geschahen und darum in der gegenwärtigen Zwischenzeit, in der wir leben, nicht hervortreten, so müßte es geradezu für eine Schwäche des Glaubens erklärt werden, wenn ein Christ zweifeln wollte, daß Gott jederzeit auch auf wirklich wunderbarem Wege helfen kann. Einzelne Erfahrungen sind auch nach dieser Seite hin wiederholt von gläubigen Christen gemacht worden. Wenn von einem gläubigen Geistlichen berichtet wurde, daß im Winter auf einer nächtlichen Schlittenfahrt, wo der Weg verloren war, in der Nähe eines tiefen Abgrunds ein lautes „Halt“ erscholl, von dem niemand wußte, woher es kam, so ist das eine Unterbrechung des Naturzusammenhangs, ein Eingreifen Gottes. Es geschieht das durch der Engel Dienst und wenn wir glauben, daß Gott durch Seine Engel uns beschützt, so kann es uns auch nicht zweifelhaft sein, daß auch auf direkte wunderbare Weise durch der Engel Hilfe und Beistand Erhörung sich vollzieht. Man hat darum mit Recht gesagt: Gebetserhörung ist ein durch unser Gebet verursachtes Tun Gottes.
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 Ich möchte hier besonders hervorheben, daß die Gebetserhörung nicht nur subjektive Bedeutung hat, wie der Bischof Monrad in seiner Schrift über das Gebet es darstellt: das Gebet werde erhört insofern als der Mensch sich innerlich durch das Gebet so umgestalten läßt, daß die göttlichen Wege nun die seinigen werden können. Das wäre eine subjektive Bedeutung, die das Gebet sicher auch hat, indem es zur Ergebung unter den Gottes Willen helfen kann, aber von seiner objektiven Erhörung wäre dann keine Rede. Die Gebetserhörung ist aber ein Tun Gottes, das durch menschliches Gebet direkt veranlaßt ist. So sieht die hlg. Schrift es auch an, wenn sie Gott den nennt, der „Gebet erhört.“ Nun erhebt sich hier eine schwierige Frage: Wie verhält sich dann das Gebet und seine Erhörung zu Gottes Vorauswissen und Vorausbestimmung? Da sagen die Einen: Das ist das Große, daß Gott der Menschen Verhalten, so auch der Christen Gebet, schon von Anbeginn an längst zuvor in Seinen Ratschluß mit aufgenommen hat. Das ist eine Lösung der Frage, die nicht ohne weiteres abgelehnt werden darf. Es wäre etwas Großes zu nennen, wenn Gott von Anbeginn an das später eintretende Gebet eines Menschen mit in Seinen Ratschluß aufgenommen hätte. Aber wie wären dann wirkliche Änderungen im göttlichen Ratschluß zu erklären und mit der Wahrhaftigkeit Gottes zu vereinigen? Wie war es dann möglich, daß Gott der Stadt Sodom Rettung verheißen hat, wenn nur 50 Gerechte in ihr sich fänden, wie konnte Er das in Aussicht stellen, wenn Er schon vorher die Absicht gehabt hätte, auch wenn nur zehn sich fänden, sie zu verschonen? Warum nennt Er dann erst 50? Nur etwa um Abraham auf die Probe zu stellen? Ließe sich das mit der Wahrheit Gottes und dem Ernst Seiner Gerichte vereinigen? Oder wenn Gott den Propheten Jesaia zu Hiskia sendet und sagen läßt: „Bestelle Dein Haus, denn du mußt sterben“, soll Er das nur zum Schein gesagt haben, um seinen Glauben zu prüfen? Ist das eine nicht ernst gemeinte| Drohung gewesen? Soll Gott es nicht Ernst gemeint haben, wenn er Jona nach Ninive gesandt hat mit der Botschaft, die Stadt soll in 40 Tagen untergehen? Mit der Wahrhaftigkeit und Heiligkeit Gottes wird das sich schwerlich vereinigen lassen. Es wird darum die Lösung auf anderem Wege zu suchen sein. Man darf die Vorausbestimmung nicht übertreiben, sonst gerät man auf den Weg Calvins, der zuletzt nicht vor der äußersten Konsequenz zurückscheute, daß Gott auch den Sündenfall der Menschen gewollt habe, damit an denen, die verloren gehen, der Ernst und die Heiligkeit Gottes offenbar würde, ebenso wie an denen, die gerettet werden, Seine Gnade und Erbarmung. Wir werden vielmehr sagen: Gottes Liebesratschluß im ganzen ist freilich unabänderlich und Gott hat Seinem Liebesratschluß zur Erlösung der Menschheit durchgeführt trotz aller Sünde und wird ihn hinausführen; aber er ist darum nicht unabänderlich im einzelnen. Gott hat den ewigen Liebesratschluß – daß Er eine Menschheit wollte, die Ihm diente – nach dem Eintritt des Sündenfalles umgestaltet in den Ratschluß der Erlösung. Im einzelnen geht Gott allezeit auf das Tun der Menschen ein und ändert auch Seine Entschlüsse, darum spricht die hlg. Schrift ausdrücklich von einer Reue Gottes. Eine Reue Gottes tritt dann ein, wenn Gott mit tiefem Schmerz erkennt, daß Seine Gnadenabsichten vergeblich gewesen sind, oder wenn Er ein schon verhängtes Gericht zurücknimmt. Gott geht – das ist das Große an Ihm – wirklich ein in die Geschichte und ich schrecke nicht vor der Konsequenz zurück, die mein sel. Lehrer Hofmann zog: Gott begibt sich ohne Zweifel auch oft Seines Vorauswissens. Die Allwissenheit Gottes ist so zu verstehen, daß Er weiß, was Er wissen will, ähnlich wie Er vermöge der Allmacht tun kann was Er will. Gott hat dem Menschen ein solches Maß von freiem Willen gegeben, daß Er die Menschen gewähren läßt in großer Geduld und wunderbarem Warten. Er nimmt dann Kenntnis vom Stand der Dinge, wie es etwa heißt: „Gott fuhr herab und sah, was die Menschen taten, oder „Er sandte die Engel nach Sodom, um zu sehen, wie es sei“, Gott nimmt, wenn Seine Zeit gekommen ist, Kenntnis von dem Stand der Dinge, von der Menschen Tun und darnach faßt Er Seine Entschlüsse und ändert sie im einzelnen ab, freilich alles im Dienst des großen ewigen Liebesratschlusses der Erlösung. Auf diesem Weg scheint mir die Lösung der schwierigen Frage gesucht werden zu müssen.

 Wir reden nun weiter vom Gebet in der Mannigfaltigkeit seiner Betätigung.

 Wir haben hier zu unterscheiden das Einzelgebet und gemeinsames Gebet. Dieses begegnet uns von Anfang an in der Menschheitsgeschichte, wie wir wissen, erstmals bei Enos. Gemeinsames Gebet findet statt in der Kirche, im engsten Kreis des Hauses, in sonstiger Gemeinschaft. Dieses gemeinsame Gebet meint der Herr nicht, wenn Er Matth. 6 davon spricht, daß man nicht vor der Öffentlichkeit beten soll. Er will dort nur dem Mißbrauch derer entgegentreten,| die wie die Pharisäer absichtlich beteten um von den Leuten gesehen zu werden. Hat doch der Herr selbst vor den Jüngern gebetet und Seine Jünger damit zum Gebet ermuntert. Er will Ehre haben in der Gemeinde, die Sein eigen ist und so will Er auch das gemeinsame Gebet der Seinigen. Er hat auch gesagt, daß Gott das Gebet der Seinigen erhören wird, wenn sie ohne Unterlaß zu Ihm rufen, Er wird sie erretten in einer Kürze. Es gibt gemeinsames Gebet in der Kirche und sonstiger Gemeinschaft, aber allerdings bleibt entschieden das wichtigste das Gebet des Einzelnen im Kämmerlein. Hier kann in der verschiedensten Weise gebetet werden. Man kann ein fremdes Gebet vor Gott bringen oder ein eigenes. Es ist ein übler Ausdruck, wenn man diesen Unterschied bezeichnet mit Formel- und Herzensgebet. Das fremde Gebet muß nie eine Formel sein, und das freie Gebet ist durchaus nicht ohne weiteres und an sich schon als rechtes Herzensgebet zu bezeichnen. Es kann auch ein sogenanntes freies Gebet ein Plappern sein nach Art der Heiden. Freies oder angeeignetes Gebet, es hat jedes sein Recht. Wir dürfen uns für die Berechtigung des Gebrauches fremder Gebete auf Christi eigenes Beispiel berufen, der am Kreuz in dem mittleren und letzten Seiner Worte aus dem Alten Testament die Gebetsworte nahm, mit denen Er in der ernsten Stunde hindurch gedrungen ist zum Sieg. In höchster Not wird der Mensch immer nach irgendeinem Gebetswort, nach einem Lied, Psalm oder Schriftwort greifen, das er vorher sich eingeprägt hat. Es muß überhaupt der Rat gegeben werden: so sehr das Gebet ein eigenes, freies Gebet sein muß, wenn es sich um unsere eigenen Anliegen, um den inneren Stand unserer Seele handelt, so muß doch, wenn es uns schwer fällt, frei aus dem Herzen unsere Gebete zu gestalten, nach einem Buchgebet gegriffen werden und man wird sich immer aus den Gebeten der Kirche Gebetsgedanken aneignen dürfen. Man kann auswendig gelernte Gebete beten oder ein Buch gebrauchen, es kommt nur immer darauf an, daß man die Gebetsgedanken wirklich erfaßt und sie als seine Bitten, sein Lob, seine Anbetung vor Gott bringt. Man kann frei aus dem Herzen beten und wir wollen, was das freie Gebet anlangt, nicht zu ängstlich sein, auch unter Umständen frei in der Gemeinschaft beten, aber anderseits wollen wir ja nicht in den Fehler fallen, mit den freien Gebeten sich hören zu lassen, wie es in den Gemeinschaftskreisen sich uns darstellt, wo die Reihe um gebetet wird, so daß man sich bemühen muß, neue Gebetsgedanken hervorzusuchen. Das ist eine große Gefahr.
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 Wir fassen nun zum Schluß zusammen. Das Gebet als Gabe und zugleich als Kraft. Als teure Gabe, als Kindesrecht stellt sich uns das Gebet vor allem dar und durch die Erhörung des Gebets ist es uns eine Quelle reicher unzähliger Gnaden. Zugleich wird das Gebetsleben in uns zu einer wichtigen Kraftquelle für unseren eigenen Christenstand. Wie wichtig ist das Gebet als Kraftquelle zur Heiligung unserer Arbeit. Alle Dinge sollen geheiligt| werden durch Wort Gottes und Gebet. Durch das Gebet heiligen wir unsere Arbeit, stellen dieselbe in den Dienst des Herrn, des Höchsten. Ferner ist das Gebet eine besondere Kraftquelle für den uns verordneten Kampf. Wie kann man besser gegen die Anfechtung der Sünde sich wehren, als eben durch das Gebet und das Wort Gottes, an welchem das Gebet sich immer von neuem stärkt und aufrichtet. Wachen und beten, wie gehört es zusammen. Wenn wir den listigen Anläufen des Teufels widerstehen, wenn wir überhaupt in der Gemeinschaft Gottes bleiben wollen, so gehört dazu das Gebetsleben, das Beten ohne Unterlaß, daß wir uns bemühen, allezeit unsere Sinne und Gedanken auf Gott zu richten und dann zu ihm zu seufzen und zu rufen, wenn es gilt Kraft zu gewinnen für unsere Arbeit. Nur der Geist Gottes kann dieses rechte Leben des Gebets in uns wirken und um Seinen Beistand müssen wir stets flehen.
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 Und nun noch ein Wort von der Bedeutung des Gebets für die Schwestern. Diakonissen sind in ihrem Beruf sehr ans Gebet gewiesen, erstens mit Rücksicht auf unser Werk im ganzen. Wie könnte unser Werk bestehen, wie könnte es die vielen Schwierigkeiten überwinden und die vielen Sorgensteine heben, die sich ihm in den Weg stellen, wenn nicht viele betende Hände sich erheben würden. Eben das ist das Große einer so eng zusammengeführten Genossenschaft wie die der Schwestern unseres Hauses, daß sie Gelegenheit, Anlaß und Antrieb haben, täglich der Sorgen des Hauses und des Gedeihens des ganzen Werkes zu gedenken. Aber wie ist auch für den einzelnen Beruf der Schwestern das Gebet so wichtig. Schwestern müssen freilich sozusagen „viel ausgeben“ in ihrem Beruf, der stets Opferwilligkeit und Selbstverleugnung verlangt. Da gilt es durchs Gebet einzunehmen, Kraft vom Heiligtum her sich zuzuführen. Und wie könnten die vielen Schwierigkeiten, die sonst den Schwestern hinsichtlich ihres Zusammenlebens sich entgegenstellen, anders als durchs Gebet überwunden werden. Wie muß da das Gebet helfen; es kann nicht vergeblich sein, wenn es ernstlich ist und muß die Schwierigkeit hinwegheben helfen. Auch das gemeinsame Gebet können Schwestern im engeren und weiteren Kreis reichlich üben. Die Form dafür kann eine sehr verschiedene sein. Das Litaneiengebet hat vieles für sich. Die verschiedenen Litaneien, die uns zur Verfügung stehen, können zu verschiedenen Zeiten und für die verschiedenen Bedürfnisse vor den Herrn gebracht werden. Auch möchte ich die Form des Diakonischen Gebets empfehlen, d. i. eine kurze Aufforderung für das Gebet und dann ein kurzes Gebet um das, um was es sich handelt. Lange Gebete frei gesprochen haben ihre große Schwierigkeit und Gefahr. Wenn also Schwestern beisammen sind, mögen sie sich in wenig Worten klar darüber werden um was sie bitten wollen; nach Art des diakonischen Gebets sprechen: Wir beten für das und das Bedürfnis und in kurzen Worten dem Gebete Ausdruck geben und so die verschiedenen Fürbitten in Form kurzer Gebete aneinanderreihen,| die man selbstverständlich auch einem Buch entnehmen kann. Das wird wohl mit Fug und Recht empfohlen werden dürfen.

 Im übrigen ist der Schwesternberuf nichts anderes als eine sonderliche Gestalt des Christenberufes überhaupt. Nur solange wir beten, sind wir in wirklicher Gemeinschaft mit Gott. Das Gebet hat man das Atemholen der gläubigen Seele genannt. Ach wie träge und lässig sind wir in diesem so herrlichen Geschäfte. Wie haben wir immer Ursache mit den Jüngern zum Herrn zu rufen: „Herr, lehre uns beten,“ aber noch mehr wollen wir zu Ihm sagen mit den Worten des 138. Psalms:

 „Wenn ich dich anrufe, so erhöre mich und gib meiner Seele große Kraft.“

Amen!





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