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wagen, Gott seinen Vater zu nennen. Das war um so auffälliger, als im Munde der Heiden die Anrede an die Gottheit als Vater gebräuchlich gewesen ist. Bei den Griechen und Römern, wie bei unsern heidnischen Vorfahren war das so. Dem Volke Israel war es aber in erzieherischer Weise absichtlich von Gott versagt.

 So dürfen wir weiter fortfahren: Erst im neuen Testament tritt uns das Gebet entgegen als teures Kindesrecht. Jesus gebraucht den Vaternamen ebenso von Sich: „Mein Vater“, wie in Beziehung auf die Seinen so gerne: „Euer Vater im Himmel weiß etc.“ Zum Gebet legt Er ihnen diesen Namen selbst in den Mund im heiligen „Vater unser“. Er bringt dies Kindesrecht in engste Verbindung mit seinem eigenen Werk, indem Er vom Gebet in seinem Namen spricht Joh. 14 und 15. Weil Er uns wieder zu Kindern Gottes gemacht, weil Er den Menschen den freien Zugang zum Vater eröffnet hat, so kann und darf in Seinem Namen, im festesten Vertrauen auf Ihn Gott als Vater angerufen werden. Indem Er den Seinigen den heiligen heiligen Geist verheißt, der in ihrem Herzen wohnen und wirken soll, so hat Er ihnen damit auch ermöglicht, fortan im Geist und in der Wahrheit zum Vater zu beten. Das haben auch die Seinigen, das haben die Apostel wohl erkannt: Denken wir an Römer 8[:] „Weil ihr denn Kinder seid, hat Gott gesandt den Geist seines Sohnes, durch welchen wir rufen: „Abba, lieber Vater,“ oder Epheser 3: „Ich beuge meine Knie gegen den Vater unseres Herrn Jesu Christi, der der rechte Vater ist über alles, was da Kinder heißt im Himmel und auf Erden.“ Das ist nun das Neue: Das Gebet ein Kindesrecht. Einzelne der im hl. Vaterunser vorkommenden Bitten sind auch vorher schon in ähnlicher Weise ausgedrückt gewesen, wie etwa die Bitte: „Dein Reich komme.“ Aber völlig neu ist der Vatername, der an der Spitze des hl. Vaterunsers steht. Wohl hat man in der neueren Zeit behaupten wollen, die Juden hätten auch schon den Vaternamen um jene Zeit gebraucht; aber es ist vielmehr so: Die Juden ließen sich doch auch einigermaßen unbewußt vom Christentum beeinflussen und infolge dieses Einflusses findet der Vatername sich allerdings bei ihnen später auch. Vorher aber fand er sich in Wahrheit nicht. So haben wir das Gebet überblickt nach seiner geschichtlichen Entwicklung innerhalb der Menschheit und reden nun weiter vom Gebet nach seinem wahren Wesen.

 Wir unterscheiden zunächst Gottes Wort und Gebet, die so eng zusammengehören. Im Worte redet Gott mit uns und wir sollen sprechen: „Rede, Herr, denn Dein Knecht höret.“ Betend dagegen sprechen wir mit Gott und unsere Meinung und unser Sinn dabei sei: „Laß Dir wohlgefallen die Rede meines Mundes und das Gespräch meines Herzens vor Dir, Herr, mein Hort und mein Erlöser“. Das Gebet ist also seinem wahren Wesen nach nichts anderes als das Gespräch des Herzens mit Gott in kindlichem Geiste.