« 5. Stunde Wilhelm Eichhorn
Einsegnungsunterricht 1912
7. Stunde »
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Für eine seitenweise Ansicht und den Vergleich mit den zugrundegelegten Scans, klicke bitte auf die entsprechende Seitenzahl (in eckigen Klammern).
|
6. Stunde.
Dienstag, den 29. Oktober vorm.
Anfang: Lied 18.
Psalm 90.
Kollekte 225, 53. Schluß: Ps. 92.
Lied: 495, 4. 6.
 Heute betreten wir ein ganz anderes Gebiet, das dem natürlichen Leben angehört; aber abgesehen davon, daß unsere Darlegung zum Schluß doch wieder auf das geistliche oder kirchliche Gebiet zurücklenken wird, ist darin, daß wir das natürliche Gebiet ins Auge fassen, gewiß nichts Abzulehnendes und Auffälliges. Wir führen ja doch hienieden in gewissem Sinn ein Doppel-Dasein. Wir leben in dieser sichtbaren Welt und haben für sie tätig zu sein, aber wir gehören auch der höheren unsichtbaren Welt an, für sie sind wir bestimmt und| in ihr sollen wir dem Geist nach jetzt schon leben. Daß darin kein Widerspruch oder Gegensatz liegen kann, das zeigt uns doch das Vorbild unseres hochgelobten Herrn und Heilandes selber. Er ist durch diese sichtbare irdische Welt gegangen, hat an allen Verhältnissen und Ordnungen dieses Lebens teilgenommen und ist doch Der gewesen, der nicht von dieser Welt war, der auch da Er hienieden war, von Sich sagen konnte ,des Menschen Sohn, der im Himmel ist.“ Am großartigsten tritt uns das entgegen in der Zeit nach der Auferstehung des Herrn, wo Der, der schon verklärt, der Herrlichkeit teilhaftig war, doch noch auf Erden verblieb, um Seine Jünger zu lehren und ihnen Großes und Wichtiges darzubieten. Wenn wir auch in einem Doppelverhältnis zur sichtbaren und unsichtbaren Welt stehen, so darf uns das um so weniger wundern, da dem Menschen ein doppeltes gegeben ist, ein sichtbares und unsichtbares Teil-Leib und Seele, Körper und Geist, der Leib oder Körper von der Erde, vom Staub der Erde genommen, die Seele von Gott ihm eingehaucht. Damit ist dem Menschen schon von Anbeginn diese Doppelstellung zugewiesen gewesen und wenn es auch eine Doppelstellung ist, Zwiespältigkeit ist es doch nicht; denn für uns Christen ist das Heil in Christo, die Gnade, die wir empfangen dürfen, das neue Leben mit Ihm das Eine, das alles ersetzt. Alles, auch die äußeren Erlebnisse, die irdischen Arbeiten müssen einen Christen auf dieses Eine, Wichtige, die große Hauptsache immer wieder hinführen und von dem Einen, Höchsten und Wichtigsten geht dann ein verklärender Schein aus auf alles, auch auf die einfachsten und geringsten Dinge dieses natürlichen Lebens.

 Wir reden in diesen Stunden von den Gnaden- und Segensquellen des Christenstandes und insbesondere des Diakonissenberufs und finden: Es gibt Gnadenquellen – hier natürlich das Wort im weiteren Sinn gebraucht – auch im natürlichen Leben. Es ist doch auch diese natürliche Welt Gottes Schöpfung, Gottes Reich. Solche dem natürlichen Gebiet angehörende Gnaden (im weiteren Sinn) kann man nennen: die natürlichen Geistesgaben, die den Menschen von Gott anvertraut sind und auf welchen alle Möglichkeit ihres geistigen Wachstums und ihrer Betätigung beruht. Man könnte nennen die natürlichen Ordnungen, die es in dieser Welt gibt – das Staatsleben, die Familie, auch Freundschaften sind Gaben oder Gnaden Gottes, die uns Christen geschenkt sind, damit aus ihnen die Möglichkeit der Wirksamkeit und Betätigung sich ergebe.

 Wir wollen nun heute reden: Vom Beruf zur Arbeit und von der darin gelegenen Zucht, insbesondere aber von der Arbeit im Schwesternberuf.

 Wir reden zuerst von der Arbeit und zwar von ihrer Notwendigkeit. Die Notwendigkeit der Arbeit ergibt sich aus der Selbständigkeit und Freiheit, welche Gott zum Teil den Kreaturen, besonders der vernünftigen Kreatur vergönnt hat. Schon die höherstehenden Tiere haben die Notwendigkeit| und den Trieb, ihre Nahrung selbst zu suchen und ihre Wohnung sich selbst zu bereiten, in viel höherem Maß der mit Vernunft begabte Mensch. Gott erhält diese sichtbare Welt, die Er geschaffen hat nicht unmittelbar, nicht direkt. Er hat bei der Erschaffung der Welt in diese sichtbare Welt Kräfte gelegt, durch welche dieselbe auch erhalten wird. Der Schöpfungsbericht sagt uns das deutlich. Als Gott Pflanzen erwachsen ließ, hat Er zugleich gesagt, daß sie sich besamen sollen, damit auf diesem Weg die Pflanzenwelt erhalten bliebe und den Tieren hat er die Fähigkeit verliehen sich zu vermehren. Durch die in die Natur gelegten Kräfte wird die Welt erhalten. Es kann darum von außen angesehen wohl so scheinen, als ob die Welt sich selbst erhielte, doch wir Christen erkennen hinter allem die Macht und die Tat des Schöpfers. Denn der Schöpfer hat diese Kräfte ins Dasein gerufen, Er erhält sie. Es heißt im Psalter: wollte Er zurückziehen Seinen Odem, dann würde alles wieder in Staub zerfallen. Er hält diese Kräfte und es ist Ihm die Möglichkeit alle Zeit offen, unmittelbar einzugreifen in den Gang der Dinge. Wir haben einen Gott, der Wunder tut und der auch durch Wunder sich betätigen kann. – In den Menschen hat nun Gott, als Er ihn erschuf, Kräfte gelegt, Kräfte des Leibes und der Seele und diese Kräfte soll der Mensch gebrauchen und damit sind wir nun zu der Begriffsbestimmung dessen gelangt, was Arbeit ist. Arbeiten heißt die Kräfte anwenden, die Gott zur Erhaltung des Lebens in den Menschen gelegt hat, und da diese Kräfte doppelter Art sind nämlich des Leibes und der Seele, so ergibt sich damit, daß es eine vorherrschend körperliche und vorherrschend geistige Arbeit gibt, wiewohl beides nicht völlig getrennt werden kann, vermöge der Einheit Leibes und der Seele. Auch körperliche Arbeit muß mit Verstand verrichtet werden und auch die geistige Arbeit umgekehrt setzt die körperlichen Kräfte mit in Bewegung, wie auch die geistige Tätigkeit des Menschen an körperliche Organe gebunden ist und bleibt. Das ist die Begriffsstimmung der Arbeit subjektiv, wenn wir ausgehen vom Menschen. Aber es läßt sich auch eine wichtige objektive Definition der Arbeit geben. Arbeit ist dem Menschen von Anfang an zugewiesen gewesen, schon im Paradies. Es ist 1. Mose 2 die bedeutsame Bemerkung zu finden, daß Gott den Menschen ins Paradies gesetzt hat, dasselbe zu bebauen und zu bewahren. Wir werden nicht fehlgehen, wenn wir sagen: Das wäre der Beruf des Menschen im heiligen Urstand gewesen, die ganze Erde allmählich zum Paradies umzuschaffen und all die Todeskeime, die in der Natur wohl doch schon vorhanden gewesen sind, obwohl uns das auf ein Gebiet tiefster Geheimnisse führt, zu überwinden, weil ja im Paradies durch den Baum des Lebens Kräfte des ewigen Lebens vorhanden gewesen sind. So haben wir den objektiven Gesichtspunkt für die Begriffsbestimmung der Arbeit gefunden. Gott hatte den Menschen zum Herrn über die Erde gesetzt, daß er herrsche über alle Kreatur und so ist die Arbeit im objektiven Sinn das Bemühen oder die Tätigkeit des Menschen (oder besser der Menschheit),| die Erde mehr und mehr sich untertan zu machen und wenn wir es von göttlichem Standpunkt aus ansehen, dann ist es die Aufgabe die Erde umzugestalten zu einem Reich Gottes. Das letztere ist der größte objektive Gesichtspunkt der Arbeit. Was uns entgegentritt an neuen Erfindungen, verweist uns immer wieder auf dies Gebiet. Wenn in unsern Tagen der Mensch sogar die Luft sich untertan zu machen bestrebt ist, so ist das nicht an sich widergöttlich. Das würde es nur in der Hand solcher, welche glaubten nun Gottes nicht mehr zu bedürfen. Vielmehr haben wir auch hier eine großartige Ausübung der Herrschermacht über die Erde, die dem Menschen von Gott gegeben ist, und die er vermöge seiner Vernunft betätigt. Wie bekannt, ist der Erfinder des Luftschiffes, Graf Zeppelin, ein überzeugter Christ, der nicht etwa in widergöttlichem Sinn derartige Versuche veranstaltete, über die man erst lächelte, während man jetzt die große Bedeutung derselben erkennt. Soviel über die Begriffsstimmung der Arbeit.
.
 Nun ist die Arbeit eine andere geworden durch den Sündenfall. Der Mensch hat auch nach dem Sündenfall etwas vom Ebenbilde Gottes behalten, wie er auch in der Schrift nach der Sintflut noch als Gottes Bild ausdrücklich bezeichnet wird. Bei der Verhängung der Strafe über den, der die Hand wider einen Menschen zu erheben wagt, heißt es bekanntlich: „Wer Menschenblut vergießt, des Blut soll auch durch Menschen vergossen werden; denn Gott hat den Menschen nach Seinem Bilde gemacht.“ Die kreatürliche Seite des göttlichen Ebenbildes ist geblieben. Der Mensch hat noch Vernunft und freien Willen und kann durch dieselben die ihm zugewiesene Herrschaft über die Erde ob auch nicht mehr ungehindert üben. Die höhere, die sittliche Seite des Ebenbildes Gottes ging freilich verloren, nämlich die anerschaffene Heiligkeit, Weisheit und Vollkommenheit; aber da die kreatürliche Seite noch vorhanden ist, so ist eine Verneuerung nach dem Ebenbilde Gottes möglich. – So ist die Arbeit nach dem Sündenfall geblieben, aber durch die Sünde ist sie anders geworden, mühsam und auch oftmals vergeblich. Das hat Gott deutlich ausgesprochen: „Verflucht sei der Acker um deinetwillen, mit Kummer sollst du dich darauf nähren dein Leben lang. Dornen und Disteln soll er dir tragen und im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen.“ Auch wird nun die Arbeit leider oftmals unmittelbar in den Dienst der Sünde gestellt. Es ist und bleibt bedeutsam, daß die Ausbildung der Erfindungen dem Geschlecht der Kainiten in der hl. Schrift ausdrücklich zugeschrieben wird, wie Lamechs Söhne die Erfinder des Erzgusses und der Musik gewesen sind. Um so wichtiger ist aber zugleich die Arbeit geworden als eine heilsame Zucht für den Menschen. Im alten Testament wird die Arbeit hochgehalten. Wir dürfen nur an die Sprüche Salamonis erinnern, in denen manche bedeutsame Worte über den Segen der Arbeit einerseits und über Nachlässigkeit und Trägheit andererseits sich finden. Wir dürfen darauf hinweisen, daß die heiligen Männer die Arbeit| nicht gescheut oder gar mißachtet haben. Es wird von den Patriarchen uns mehrfach berichtet, daß sie Bäume pflanzten, auch Getreide aussäeten. Wir wissen von Saul, daß er, schon zum König gewählt, es nicht verschmäht hat, hinter den Rindern herzugehen. Es ist uns von David wohl bekannt, daß sein schwerer Fall sich daran anknüpfte, daß er anstatt des Herrn Kriege zu führen in träger Ruhe zuhause blieb. Es war dem Volk Israel von Gott die Anweisung gegeben, im Land der Verheißung durch Ackerbau sich zu ernähren und es ist ihm die köstliche Verheißung mit auf den Weg gegeben, „du wirst dich nähren deiner Hände Arbeit, wohl dir, du hast es gut.“ Ps. 128, 2.
.
 Von Jesus ist gesagt worden, daß er mehr ein Ideal mönchischer Art zeige und mehr Zurückgezogenheit von der Arbeit und Welt geübt habe. So behaupten Ungläubige und beziehen sich dabei auf einzelne Worte des Herrn, wie etwa auf das von den Lilien auf dem Feld und den Vögeln unter dem Himmel, die nicht arbeiten und spinnen, nicht säen und ernten. Das ist aber gröbliches Mißverständnis dieser für uns so tröstlichen Worte. Wir dürfen dagegen daran erinnern, daß der Herr ausdrücklich von den Seinen Treue im Kleinen verlangt und daß er die Treue und Klugheit der Haushalter auch im irdischen Leben preist. Und er hat selbst uns das höchste Beispiel der Arbeit gegeben, da er in den Jahren seiner Stille in Nazareth nicht verschmähte des Vaters Arbeit mit zu betreiben, und ohne Zweifel nach des Vaters Tod selbst die Leitung des Geschäftes in die Hand zu nehmen. Wird er doch bei Markus einmal geradezu „der Zimmermann“ genannt oder Baumeister, wie es eigentlich heißt. Also hat er selbst auch die Arbeit mit der Hand durch Sein Vorbild geheiligt. Wir haben alsdann von Ihm aus der Zeit, da er Sein Amt ausübte, das höchste Beispiel von Aufopferung in der Arbeit, so daß Seine Jünger oft besorgt waren, er möchte von Sinnen kommen, er möchte nicht aushalten können dieses stete Angelaufensein, während doch der Herr das große Wort sagt, daß Er wirken will solange es Tag ist, ehe die Nacht kommt da niemand wirken kann. Die Apostel haben uns gleichfalls Mahnungen zur Arbeit hinterlassen, besonders Paulus. Er hat den Tessalonichern, die bei den allzu hoch gespannten Erwartungen einer schon ganz nahen Wiederkunft des Herrn die Arbeit einstellten, die bekannten Worte über die Notwendigkeit der Arbeit geschrieben. Und welch ein Beispiel gab er uns selbst, da er es für einen sonderlichen Ruhm erklärte, daß er das Evangelium ganz umsonst lehren wolle, wie er es umsonst empfangen hatte und daß er durch seiner Hände Arbeit sich und die mit ihm waren auf seinen Missionsreisen ernährte. So ist die Arbeit in der hlg. Schrift geheiligt und es ist keine Frage, daß das Christentum die Arbeit hoch zu Ehren gebracht hat. Es gab Völker, bei denen das nicht erst notwendig schien, wie etwa die Römer in ihrer bessern Zeit die Arbeit mit der Hand nur für ehrenhaft hielten. Dagegen haben unsere heidnischen Vorfahren die Arbeit als Tätigkeit der Sklaven angesehen und des| freien Mannes nicht für würdig erachtet, für den Krieg und Jagd als die passende Tätigkeit galt. Durch den Einfluß des Evangeliums ist die Arbeit so zu Ehren gekommen, daß das deutsche Volk den Ruhm des Fleißes sonderlich in Anspruch nehmen darf.

 So ist es denn als eine von Gott geschenkte Gnade anzusehen, daß wir arbeiten dürfen. Die Arbeit aber wird zu einer wichtigen Erziehung für den Menschen und erweist sich damit auch als eine Kraftquelle. Sie ist eine gute Zucht, denn sie hält vor allem den Menschen ab von manchem unnützen und törichten Gedanken. Sie ist eine gute Zucht, denn sie übt und stählt die Kraft des Menschen. Sie ist eine gute Zucht, denn sie erhält ihn auf einem klaren und sichern Weg und so ist auch der Arbeit ein besonderer Segen von Gott verheißen. Es ist schon ein Segen, wenn der Mensch durch seine Arbeit seinen Lebensunterhalt sich selbst verdient und also auf eigenen Füßen steht. Welche Befriedigung aber ist es und wie stärkt es Mut und Freudigkeit, wenn man sehen darf, daß man auf dem Weg der Arbeit irgend etwas ausrichtet, besonders im Dienst anderer. So dürfen wir auch für diese Quelle der Kraft, die Arbeit, Gott dem Herrn, dem Schöpfer unseres Lebens, dankbar sein.

 Was wir nun aber von der Arbeit gesagt haben, das gilt besonders von der geordneten Arbeit. Ungeordnete, ungleichmäßige Arbeit wird nie diesen eben berührten Segen und Gewinn bringen können, schon weil sie willkürlich ist. Wie oft tritt uns im Leben entgegen, daß es Menschen gibt, die zu Zeiten einmal mit besondrer Wucht sich in die Arbeit stürzen, dann längere Zeit sie unterlassen. Das setzt meist schon eine innere Ungleichmäßigkeit und Unsicherheit voraus, es wird dadurch ein ungleiches, unbefriedigtes und andere störendes Wesen der Unruhe und Hast hervorgerufen.

 Was wir also vom Segen der Arbeit gesagt haben, das gilt von der geregelten Arbeit und das führt uns auf den Begriff des Berufes. Der Beruf ist die Anweisung einer bestimmten Arbeit, wie sie die Lebensführung des Menschen mit sich bringt. Daß eine Verschiedenheit der Berufe sich gestalten mußte, liegt zunächst in der Verschiedenheit der Naturanlagen der Menschen. Der Gott, der ein Gott der Ordnung ist, ist zugleich ein Gott der höchsten Mannigfaltigkeit, der höchsten Lebensfülle. Unter den Millionen Menschen, die es auf Erden gibt, wird es auch nicht zwei geben, die einander ganz und völlig gleich sind. Es gibt Verschiedenheit in den natürlichen Anlagen, in den Charaktereigentümlichkeiten. So hat Gott die Menschen geschaffen, wie auch auf den andern Gebieten des Schöpfungsreiches eine ähnliche, wenn auch nicht in diesem Maß ausgeprägte Mannigfaltigkeit uns entgegentritt. Wir bewundern den Reichtum des Schöpfers auch von diesem Gesichtspunkt aus. Ich sage die Verschiedenheit der Anlage bedingt von selbst auch eine Verschiedenheit der Betätigung. Dann aber kommt noch hinzu die Mannigfaltigkeit der Lebensgestaltung.| In der Patriarchenzeit war allerdings das Leben noch höchst einfach. Da konnte Abraham alles in sich vereinigen, er war das Haupt der Familie, ein Fürst und zugleich Priester seines Hauses. Das konnte nicht so bleiben, als das Leben mannigfaltiger wurde. Überhaupt der Fortschritt der Kultur, d. h. die fortschreitende Beherrschung der Erde durch die Menschen bedingte immer größere Mannigfaltigkeit der Arbeit. Schon bei den ersten Menschen, die geboren worden sind, bei Kain und Abel, hat sich diese Individualisierung gezeigt auf dem damals eben vorhandenen Gebiet, denn der eine war ein Schäfer, der andere ein Ackersmann geworden. Die immer größere Mannigfaltigkeit und Vielgestaltung des Lebens erzeugte eine viel größere Mannigfaltigkeit der Berufe und in ungeahnter Weise hat die Neuzeit durch den Fabrikbetrieb die größte Arbeitsteilung hervorgebracht. In mancher Hinsicht ist es zu beklagen, daß das so ist, daß es keine universellen Meister mehr gibt, auch nicht mehr auf den Gebiet der Kunst und Wissenschaft, daß sich alles spezialisiert. Aber es ist ein Gang der Dinge, der nicht aufgehalten werden kann.

 Der Lebensberuf nun, der den Einzelnen zufällt, wird durch Menschen bestimmt, durch die Eltern etwa und durch denjenigen, der einen Beruf, eine Tätigkeit zu erwählen hat. Menschliche Verhältnisse und Mittelursachen haben dabei eine große Bedeutung. Christen aber wissen: Der, dessen Hand über allem ist, leitet den Lebensgang jedes Einzelnen. Und so ist es doch Gott, der den Menschen den Beruf zuweist.

 Und der Beruf ist die geregelte, geordnete Bahn, in der der Mensch bei seiner Arbeit gehen soll. Einen Beruf in diesem weiteren Sinn haben alle Menschen. Dem weiblichen Geschlecht ist mehr die stille Tätigkeit innerhalb des Hauses zugefallen, während der Beruf des Mannes ihn hinausführt ins Leben. Aber einen wichtigen Beruf hat das weibliche Geschlecht gleichwohl ob er auch weniger in die Augen fällt.

 Unsere Kirche hat den Beruf von jeher besonders hoch gewertet. Es ist bekannt, daß die römische Kirche den irdischen Lebensberuf geringer achtet durch die Steigerung des mönchischen Lebens. In der äußeren Zurückziehung von der Welt sieht sie einen höheren geistlichen, Gott wohlgefälligen Stand. Das ist ein gewaltiger Irrtum, den die Reformation wieder zurecht gestellt hat. Wir sehen das schon aus dem kleinen Katechismus. Luther hat ihm auch noch die Haustafel beigegeben und später einmal für einen wichtigen und großen Gedanken erklärt, daß er diesen Bestandteil dem Katechismus beigegeben habe. Er überschrieb die Haustafel so: „Die Haustafel etlicher Sprüche heiliger Schrift für allerlei heilige Orden und Stände, dadurch dieselben ihres Amtes und Dienstes zu vermahnen.“ Bezeichnend ist, daß er von Orden spricht Dieses Wort, aus ordo entstanden, ist die Bezeichnung der Mönchsgenossenschaften. Luther will sagen: Heilige Orden sind nicht diese mönchischen Vereinigungen,| die wider Gottes Willen sind, weshalb sie in der Reformation schlechthin fallen mußten, sondern heilige Orden sind die einzelnen Berufsarten und Stände, die Gott den Menschen angewiesen hat. Er ordnet dann die Haustafel nach dem Gesichtspunkt, den wir durch die drei sich reimenden Worte angedeutet finden: „Lehrstand, Wehrstand und Nährstand.“ Zuerst spricht er vom geistlichen Amt, dann von der Obrigkeit und dann von den im Haus sich gestaltenden Berufsarten. In der Augs. Konf. wird im 16. Artikel: „von der weltlichen Obrigkeit,“ in außerordentlich wichtiger und entscheidender Weise das Recht des irdischen Lebensberufes ausgesprochen: daß das christliche Vollkommheit nicht sei, wenn man dieser Stücke – der weltlichen Ordnungen – sich äußere, sich äußerlich davon zurückziehe. Hier ist für die evangelische Sittlichkeit, wenn man so sagen darf, der rechte Weg gewiesen. Es gilt Glauben und Liebe zu beweisen innerhalb des Berufes, den Gott jedem einzelnen Menschen zugewiesen hat. So ist durch die Reformation der weltlichen Stand, im guten Sinn gesagt, nämlich die Ordnung Gottes in der Welt wieder zu Ehren gekommen. Den Segen davon haben die evangelischen Völker deutlich und sichtlich. Gearbeitet wird bei den evangelischen Völkern – in evangelischen Ländern – ganz anders wie in den Gebieten der andern Konfessionen. Der Fortschritt und die Errungenschaften auf dem Gebiete des Kulturlebens fallen fast ausschließlich dem evang. Teil der Menschheit zu. Das ist der göttliche Lohn dafür, daß der Beruf in der evangelischen Kirche wieder zu Ehren gekommen ist.

 Man kann das auch weiterhin anwenden auf das christliche Leben. Die Reformation hat auch den allgemeinen Christenberuf wieder recht erkannt. Innerhalb der Grenzen und Bahnen des natürlichen Berufes soll auch der Christenberuf sich betätigen. Die katholische Kirche versteht unter guten Werken willkürlich selbst erwählte Werke, einzelne Betätigungen, die evangelische Kirche hat das Bestreben in dem ganzen von Gott zugewiesenen Lebenskreis christliche Vollkommenheit und christliche Tugend zu erweisen.

 So ist ein großer Segen sonderlich im irdischen Beruf und es darf der irdische Beruf wiederum zu einer besonderen Quelle der Kraft werden. Gewiß kann der Beruf überschätzt werden und die Gegenwart ist dazu in ziemlicher Gefahr. Man will überall nur Fachleute, wie man sie nennt, gelten lassen, man will, daß jegliche, auch die einfachste Tätigkeit, einer Prüfung unterworfen werde, daß man sozusagen einen besonderen staatlichen Stempel für alles haben muß. Das ist ein Übertreiben der Berufsordnung. Auf der anderen Seite ist es wichtig, den Halt zu erkennen, den der Beruf den einzelnen Menschen gibt. Wir könnten da eine geschichtliche Erinnerung an Luther einfügen. In diesen Tagen – am 18. und 19. Oktober – sind es 400 Jahre geworden, daß Luther den Doktorgrad in der theologischen Fakultät zu Wittenberg erwarb. Er selbst hatte an die Erlangung dieser Würde nicht gedacht;| Staupitz, sein Lehrer und Führer, bürdete es ihm auf. Luther hat später im Klostergarten, der dann sein eigener ward, den Baum gezeigt, unter welchem ihm Staupitz trotz allen Sträubens diese Pflicht auferlegte. Die Kosten bezahlte der Kurfürst von Sachsen für ihn; denn auch damals schon war die Erlangung eines derartigen Ranges zugleich Geldfrage. Die Quittung die Luther darüber ausgestellt hatte, ist noch vorhanden und das erste Dokument in deutscher Sprache, das wir von der Hand Luthers besitzen. Luther hat zunächst auf diese erlangte Würde, die man jetzt etwa mit dem Namen eines ordentlichen Professors der Theologie benennen würde, kein großes Gewicht gelegt. Mancherlei Zeremonien und Äußerlichkeiten waren nach mittelalterlicher Art damit verbunden, auch äußerliche Abzeichen, wie ein Ring, den nur die Doktoren der Theologie tragen durften, wurde dabei überreicht und angesteckt. Aber auch eine Bibel wurde bei diesem Anlaß den Doktoren feierlich in die Hand gelegt. Und darauf hat sich Luther späterhin oftmals seinen Gegnern gegenüber bezogen, daß er als geschworener Doktor der Theologie Recht und Pflicht habe, diesen Weg zu gehen. Als er dann in den Bann getan worden war und in die kaiserliche Reichsacht, wurde er damit dieser Würde für verlustig erklärt, hat aber von dem an umsomehr, was er anfangs nicht so regelmäßig getan hat, mit diesem Namen und Titel „Martinus Luther D.“ sich unterschrieben und zumal in den letzten Jahren seines Lebens wiederholt darauf Bezug genommen, daß er auf Grund dieses seines Berufes seinen Kampf gegen das damalige Kirchentum auf sich genommen habe. Das Beispiel eines großen Mannes zeigt uns, wie der innere Beruf, den Luther ohne Zweifel von Gott empfangen hatte. doch auch gestützt wird und Halt empfängt durch den äußeren Beruf, der hinzukommt und der dann wie eine göttliche Bestätigung ist, daß man den rechten Weg eingeschlagen hat.

 Das kann als besonders wichtig angesehen werden für das weibliche Geschlecht, für solche, die den inneren Beruf der Tätigkeit für andere in sich fühlen. Der Mann wird schon durch die Notwendigkeit („durch die grausame Notwendigkeit“, wie die Römer sagten) dazu gebracht, einen bestimmten Beruf erwählen zu müssen. Das weibliche Geschlecht hat seine Aufgabe mehr im Innern des Hauses, ein bestimmter nach außen begrenzter Beruf liegt ihm an sich nicht so nahe. Nun gibt es aber der Jungfrauen und Frauen manche, die die Möglichkeit einer Betätigung nach außen haben und den inneren Drang dazu besitzen. Ohne geordneten Beruf wird vielfache Willkür und Übergreifen über die Grenzen hinüber die Folge sein und in der Gegenwart muß besonders betont werden, daß das weibliche Geschlecht in Gefahr ist, seine Grenze zu überschreiten.

 Sie, verehrte Schwestern, dürfen es als eine Gnade ansehen, daß Ihnen ein bestimmter Beruf durch Gottes Führung zugewiesen ist: der schöne Beruf der Diakonisse.

|  Ich will jetzt nicht die Geschichte des Diakonissentums wiederholen. Das wird in diesen Tagen von anderer Seite Ihnen in Erinnerung gerufen werden. Sie wissen den Schriftgrund der Diakonie, der in Römer 16 liegt, wo zunächst Frauen oder Jungfrauen – das läßt sich nicht genau unterscheiden – genannt werden, die freiwillig Arbeit für die Gemeinde Christi auf sich genommen haben, aber dann erscheint hier die Phöbe, die einen geordneten Dienst an der Gemeinde von Kenchrea gehabt hat. Sie ist die erste wirkliche Diakonisse, die wir kennen. Also schon damals hat man einen geordneten Beruf weiblichen Kräften in der Gemeinde zugewiesen zur Betätigung der besonderen Gaben, die dem weiblichen Geschlecht verliehen sind. Sie wissen, daß das Klosterwesen später viele dieser schönen Tätigkeiten an sich riß und das durch Ausbildung des Klosterwesens das Diakonissentum in der Kirche auf lange verschwand. Vor der Reformation und während der Reformationszeit traten zwar Ansätze in der Kirche hervor, aber das damals äußerst geordnete, in regelmäßiger Bahn sich vollziehende bürgerliche Leben ließ diese Tätigkeit nicht aufkommen, bis die Bedürfnisse des modernen Lebens, das die alten Standes- und Berufsordnungen auflöste, besondere Tätigkeiten zur Abhilfe der großen Notstände notwendig machte. Sie wissen ferner, wie es mit der Erneuerung des Diakonissenberufes gegangen ist und wissen, daß ohne Frage die Tätigkeit der römischen barmherzigen Schwestern ein gewisses Vorbild dabei dargestellt hat. Fliedner, der als Reformierter den Katholiken besonders schroff gegenüber stand, hat keinen Anstand genommen, durch den praktischen Blick, der ihm eignete, die Tracht, die doch eine Eigentümlichkeit der katholischen Schwestern war, auf die evang. Diakonissen zu übertragen. Verschwiegen darf es nicht werden, daß nach der Reformation die kath. Kirche wie in der äußeren Mission so in der inneren Mission der evangelischen Kirche zunächst weit zuvorkam, was sich aus den geschichtlichen Verhältnissen erklären läßt und daß die evang. Kirche erst in späteren Jahrhunderten diese Tätigkeit in geordneter Weise in Angriff nahm.
.
 Ich möchte jetzt darauf hinweisen, welch besonderer Halt und welch heilsame Zucht im Diakonissenberuf insonderheit liegt und zwar in der Gestalt, die Fliedner ihm gab und die Löhe akzeptierte, in der Gestalt des Mutterhauses. Was ist es doch für ein Halt, einen bestimmten, klaren Beruf zu haben, nicht übergreifen zu müssen, oder nur die Besorgnis des Übergreifens in andere Tätigkeit hegen zu müssen. Ein geordneter Weg der Arbeit ist hier gewiesen Tag für Tag und mag die Arbeit manchmal schwer sein, segensreich ist sie doch. Wie fügt sich jede einzelne Arbeit dem großen Ganzen ein. Es hat manche in ihrem Beruf Tätigkeiten einfacher Art in der Waschküche oder Küche, aber auch das ordnet sich beim Diakonissenberuf so schön dem Ganzen ein und gibt auch Gelegenheit rechte Barmherzigkeit zu üben und andere für das Werk zu gewinnen oder vorzubereiten. Das feste Zusammengefaßtsein im| Mutterhaus gibt Halt – nicht um der äußeren Sicherung willen für die Zukunft, wahrlich, das sei das geringste – sondern um der innern Festigung willen, die damit geschenkt ist. Das Bewußtsein, einem großen Ganzen anzugehören und immer Trost und Weisung im Mutterhaus finden zu können, das ist eine rechte Kraftquelle, die einer Diakonisse zu teil wird. Welchen Schutz gewährt selbst die Tracht, dieses äußere Kennzeichen. Eine Schwester kann zu jeder Stunde der Nacht auch in der Großstadt gehen ohne etwas fürchten zu müssen. Die Tracht gibt aber auch einen Halt in höherem Sinn, denn sie ist eine stete Erinnerung daran, daß, weil man als Schwester erkannt wird, man auch überall so wandeln muß, daß man dem schönen großen Beruf damit Ehre macht. Und wenn Sie nun das Kreuz und den Schleier bekommen, so ist das für Sie eine doppelte Anmahnung zu großer Treue. Der Schleier, der nur beim heiligen Abendmahl und bei hohen feierlichen Anlässen getragen wird, sei Ihnen eine stete Mahnung heilige jungfräuliche, bräutliche Liebe zu Jesu allezeit zu betätigen und das Kreuz sei Ihnen eine stete Erinnerung an den, der Sich am Kreuz für uns geopfert hat. Die Quelle der Kraft liegt für Sie in dem Gedanken an das Opfer Christi, das Er für Sie brachte. Da sei Ihnen das Kreuz ein Ehrenzeichen und ein Bekenntnis nicht minder vor der Welt.

 So wollte ich heute zeigen, daß die Arbeit und der Beruf eine sehr wichtige Zucht und eine heilsame Ordnung, aber auch ein sicherer Halt für uns ist. Frauen stehen an sich leicht in der Gefahr der Vielgeschäftigkeit, die sich in solches mengt, was nicht unmittelbar ihre Aufgabe ist. Das will das Wort Gottes nicht haben. 1. Petri 4 sagt der Apostel, es solle niemand leiden als einer, der in ein fremd Amt greife, als einer, der sich aufsichtführend in Sachen mengt, die eines anderen Aufgabe sind. Das ist auch eine Gefahr des weiblichen Geschlechts. Aber in welch schöne, klare und sichere Bahn sind Sie gewiesen durch Ihren Beruf.

 Wir sind davon ausgegangen, daß wir von einer gewissen Doppelseitigkeit des Lebens sprachen, daß wir leben als solche, die in der Welt sind und doch nicht von dieser Welt. Wir werden in gar viele Lebensbeziehungen hineingestellt und fühlen uns oft durch sie gebunden. Wenn wir aber das Eine kennen, das not ist, das Eine, das alles ersetzt, dann wird von diesem Einen aus alles verklärt, zusammengehalten, in die richtige Bahn gelenkt. So bilde den Schluß die Mahnung zu dem Entschluß:

Nun, Herr Jesu, du alleine –
Sollst mein Ein und Alles sein. Amen.





« 5. Stunde Wilhelm Eichhorn
Einsegnungsunterricht 1912
7. Stunde »
Für eine seitenweise Ansicht und den Vergleich mit den zugrundegelegten Scans, klicke bitte auf die entsprechende Seitenzahl (in eckigen Klammern).