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In der Patriarchenzeit war allerdings das Leben noch höchst einfach. Da konnte Abraham alles in sich vereinigen, er war das Haupt der Familie, ein Fürst und zugleich Priester seines Hauses. Das konnte nicht so bleiben, als das Leben mannigfaltiger wurde. Überhaupt der Fortschritt der Kultur, d. h. die fortschreitende Beherrschung der Erde durch die Menschen bedingte immer größere Mannigfaltigkeit der Arbeit. Schon bei den ersten Menschen, die geboren worden sind, bei Kain und Abel, hat sich diese Individualisierung gezeigt auf dem damals eben vorhandenen Gebiet, denn der eine war ein Schäfer, der andere ein Ackersmann geworden. Die immer größere Mannigfaltigkeit und Vielgestaltung des Lebens erzeugte eine viel größere Mannigfaltigkeit der Berufe und in ungeahnter Weise hat die Neuzeit durch den Fabrikbetrieb die größte Arbeitsteilung hervorgebracht. In mancher Hinsicht ist es zu beklagen, daß das so ist, daß es keine universellen Meister mehr gibt, auch nicht mehr auf den Gebiet der Kunst und Wissenschaft, daß sich alles spezialisiert. Aber es ist ein Gang der Dinge, der nicht aufgehalten werden kann.

 Der Lebensberuf nun, der den Einzelnen zufällt, wird durch Menschen bestimmt, durch die Eltern etwa und durch denjenigen, der einen Beruf, eine Tätigkeit zu erwählen hat. Menschliche Verhältnisse und Mittelursachen haben dabei eine große Bedeutung. Christen aber wissen: Der, dessen Hand über allem ist, leitet den Lebensgang jedes Einzelnen. Und so ist es doch Gott, der den Menschen den Beruf zuweist.

 Und der Beruf ist die geregelte, geordnete Bahn, in der der Mensch bei seiner Arbeit gehen soll. Einen Beruf in diesem weiteren Sinn haben alle Menschen. Dem weiblichen Geschlecht ist mehr die stille Tätigkeit innerhalb des Hauses zugefallen, während der Beruf des Mannes ihn hinausführt ins Leben. Aber einen wichtigen Beruf hat das weibliche Geschlecht gleichwohl ob er auch weniger in die Augen fällt.

 Unsere Kirche hat den Beruf von jeher besonders hoch gewertet. Es ist bekannt, daß die römische Kirche den irdischen Lebensberuf geringer achtet durch die Steigerung des mönchischen Lebens. In der äußeren Zurückziehung von der Welt sieht sie einen höheren geistlichen, Gott wohlgefälligen Stand. Das ist ein gewaltiger Irrtum, den die Reformation wieder zurecht gestellt hat. Wir sehen das schon aus dem kleinen Katechismus. Luther hat ihm auch noch die Haustafel beigegeben und später einmal für einen wichtigen und großen Gedanken erklärt, daß er diesen Bestandteil dem Katechismus beigegeben habe. Er überschrieb die Haustafel so: „Die Haustafel etlicher Sprüche heiliger Schrift für allerlei heilige Orden und Stände, dadurch dieselben ihres Amtes und Dienstes zu vermahnen.“ Bezeichnend ist, daß er von Orden spricht Dieses Wort, aus ordo entstanden, ist die Bezeichnung der Mönchsgenossenschaften. Luther will sagen: Heilige Orden sind nicht diese mönchischen Vereinigungen,