Durch Indien ins verschlossene Land Nepal/Plantagen-Geheimnisse

Bilder aus dem Paradiese Durch Indien ins verschlossene Land Nepal
von Kurt Boeck
Auf der Pagodenspitze
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Sinhalesen-Hochzeit; der Brautvater trägt zwei hohe, abstehende Kämme im Haar.

Zweites Kapitel.
Plantagen-Geheimnisse.

In den Plantagen gibt es mancherlei zu sehen, was nicht in Lehrbüchern steht, und von einem beinahe schnurrigen Fall dieser Art möchte ich meinen Lesern beim Besuch einer Kaffeepflanzung berichten. Dazu müssen wir aber die 132 Kilometer lange Bergbahn benutzen, die nach der 500 Meter über dem Meer liegenden einstigen Residenz Kandi hinaufführt; wir müssen sogar noch ein Stückchen höher hinausfahren, denn Kaffee gedeiht, ebenso wie Kakao, am besten in hügeligem, aber nicht allzu feuchtem oder heißem Gelände zwischen sechs- und zwölfhundert Meter Höhe.

Die Bahn trägt uns vom Meeressaum durch einen 60–70 Kilometer breiten, überaus fruchtbaren Landstrich und durch wohlbewässerte Reisfelder, dann steigt sie durch sumpfiges Buschdickicht, wo wundervoll schillernde Falter von einer farbenstrotzenden Blüte zur anderen gaukeln, zu üppigen Bergwaldungen empor, und läuft dabei – häufig in Tunnels – mit so kecken, im Verhältnis von 1:45 ansteigenden Bogen an steilen, oft bedrohlich überhängenden schwarzen Felsmassen entlang, daß die Reise für schwache Nerven geradezu aufregend wird; die zahlreichen Sprengungen im Granitgestein machen es ganz glaublich, daß die kurze Bahnlinie bis Kandi 40 Millionen Mark Baukosten verursacht hat, das heißt für jeden Kilometer 300 000 Mark!

Die geneigten Leser werden es mir gewiß gern erlassen, alle die Dutzende von lateinischen Namen der hier grünenden, bei uns gänzlich unbekannten und [18] überdies durch dicke Massen üppiger Schmarotzer-, Schling- und Kletter-Gewächse eingehüllten und deshalb oft gar nicht kenntlichen Bäume anzuführen, die ich doch nur botanischen Werken entlehnen müßte. Diese üppigen, vor ihrer Trockenlegung fast undurchdringlichen und tödliche Sumpffieber erzeugenden Waldbezirke sprechen eindringlich von der Unzahl von Menschenleben, die diesem Bahnbau, besonders in dem dunstigen, dampfenden „Tale der Todesschatten“ zum Opfer fielen, und furchtbar müssen die Kämpfe gewesen sein, die sich auf diesem gifthauchenden Boden zwischen den tapferen Bergbewohnern und den von der Küste her andringenden beutegierigen Fremden abgespielt haben. Wehe den Fremdlingen, die in die Hände der Eingeborenen fielen; von dem überhängenden, fast stets in dicke Wolken verhüllten Gipfel des in der Ferne auftauchenden, am jähesten von all den kühnen Bergen abfallenden Alegalla[WS 1] wurden die Kriegsgefangenen hinuntergeschmettert in unabsehbare Tiefen!

Bald hinter Kandi steigen wir aus, bevor noch der Zug völlig die oberste Stufe des Hochlandes erreicht hat, auf dem die Engländer in Newara Elija, gesprochen Njurellja,[WS 2] eine herrliche, ganz an ihre Heimat erinnernde Sommerfrische angelegt haben, und wo die Moore, Grasfluren und Haine einen wahrhaft verblüffenden Gegensatz zu den Tropenlandschaften der Küste bilden. Meine von hier aus unternommene Besteigung des höchsten Gipfels der Insel Ceylon, des 2575 Meter hohen Peduru Talegalla[WS 3], brauche ich wohl nicht zu schildern, da dieser Spaziergang oft genug von anderen gemacht und haarklein beschrieben worden ist.

Auf der Pflanzung finden wir die Arbeiterinnen gerade mit dem Einsammeln reifer Kaffeebeeren beschäftigt. Beim ersten Blick erkennen wir an dem lose über die eine Schulter geschlungenen Streifen dünnen Gewandstoffes und an den durchlochten, geschmückten Ohrrändern, daß dies keine Sinhalesinnen, sondern Tamulinnen[WS 4] sind, wie sie jedes Jahr in Massen vom südindischen Festlande nach Ceylon herüberkommen, um hier einige Jahre bei höherem Tagelohn als daheim zu arbeiten; sie machen sich aber nur selten auf der Insel seßhaft, da ihnen die Sinhalesen wenig Gegenliebe zuwenden und Vermählungen mit ihnen aus dem Wege gehen. Das Verhältnis in der etwa drei Millionen zählenden buntfarbigen Bevölkerung Ceylons bleibt deshalb nach wie vor ungefähr dasselbe, d. h. es kommen auf je einen Europäer: 2 Malaien, 3½ Mischlinge von Europäern und Asiaten, 40 Nachkommen der Araber, 140 Tamulen und 400 Sinhalesen. Die Anzahl der noch auf der Insel lebenden Ureinwohner, der Weddas, ist etwa halb so groß wie die der Europäer. Begreiflicherweise haßt der durch sein fruchtbares Land und sein belebendes, gemäßigtes Klima verwöhnte Sinhalese, der nur gerade so viel arbeitet, wie durchaus nötig ist, den Tamulen, dem der Gegensatz der von der Meerbrise gekühlten Insel Ceylon und der unerträglichen Tropenhitze seiner Heimat das Arbeiten hier zu einer wahren Lust macht; dazu kommt noch, daß er hier etwa fünfzig Pfennige Tagelohn, in Südindien hingegen kaum die Hälfte davon [19] verdient. Da er zum Unterhalt für sich und seine Familie aber täglich kaum dreißig Pfennige verbraucht, so hängt ihm in Ceylon der Himmel voller Geigen, und er schafft nach Herzenslust. Wohin wir auch blicken, sehen wir die blankgeölten schwarzbraunen Schultern munterer Kinder des indischen Südens, die emsig die Kaffeebäumchen absuchen und die prallen, reifen, roten Beeren, die man für Kirschen halten könnte, in Umhängetaschen aus Kokosfasern sammeln und dann an die Plätze schaffen, wo die Beeren zerdrückt werden.

Zerbeißen der Kaffeebeeren.

Die Pflanzer, die zum Zerquetschen des Beerenfleisches keine „Pulper“-Maschinen[WS 5] anschaffen wollen, deren grobgenarbte Walzen doch wohl manche der beiden in jeder Beere enthaltenen Bohnen oder wenigstens das sie einhüllende Schutzhäutchen verletzen, machen sich schlau den sanften Beißapparat zu nutze, der jedem Tamulenkinde von der Mutter Natur in die Wiege gelegt wurde. Eine wahre Massenversammlung weiblicher Nußknacker kauert in manchem Pflanzungshofe, die alle mehr oder weniger stillvergnügt mit den Mäulchen wackeln; so hurtig als wären es die leckersten Konfitüren, stecken sie Beere für Beere zwischen die Lippen, zerteilen sie durch einen herzhaften Biß, der die beiden Bohnen freilegt und speien dann die breiige Masse mit angeborener Grazie in einen Korb. Je öfter die Arbeiterin einen solchen Korb gefüllt abliefert, um so mehr Silberannas klimpern am Zahltage beim Wochenschluß in ihrem schmalen Geldbeutelchen. Auch diese wöchentliche Ablöhnung ist ein Umstand, der die Pflanzer lieber Tamulen zu Arbeitern anwerben läßt, als Sinhalesen, die tagtäglich ihren Sold verlangen, um von der Arbeit fortbleiben zu können, sobald sie ein paar Silberlinge erübrigt haben und keine Lust verspüren, sich zu plagen.

Hof einer Kaffeepflanzung.

Die auf dem folgenden Bilde vor ihrem Kaffeebeerenberg hingegossene Beißkünstlerin wird gewiß unter ihresgleichen wegen ihrer rundlichen Fülle, nicht etwa ihrer wenig reizvollen Gesichtszüge halber, für einen Ausbund von Schönheiten gelten; daß sie eine Tamulin ist, verrät auch der Ring an ihrer Fußzehe, denn die Sinhalesinnen verabscheuen das Fußschmücken als barbarisch. Auch in anderen Kleidungsfragen ist der Geschmack der Tamulen von dem der Sinhalesen recht verschieden. Ein Blick auf die mit [20] ihren beiden Sprößlingen aus der Faktorei herkommende Arbeiterin, die einen Talisman als Armband um den Ellenbogen gelegt hat, zeigt, wieviel mehr Wichtigkeit diese Tamulen dem zauberkräftigen Talisman beilegen, als einer kunstvoll zusammengenähten Bekleidung, denn auch das silberne herzförmige Blättchen um die Hüften des kleinen Jungen wird mit einer Schnur festgehalten, auf der zwei silberne Amulettröhrchen aufgereiht sind, die vor Unheil schützende Zaubermittelchen umhüllen. Die zerbissenen Kaffeebohnen läßt man einen Tag lang mit Wasser zusammengerührt stehen, wodurch das Fleisch fault und flockig wird, so daß es leicht durch fließendes Wasser von den zu Boden sinkenden schweren Beeren getrennt und weggeschwemmt werden kann. Nach dem Trocknen werden dann die Beeren „geplüstert“, d. h. von den sie während des Faulungsprozesses umhüllenden Pergamenthäutchen durch rauhe, sich in schrägen Kästen drehende Walzen befreit.

Diese Wanderung mancher ceylonischen Kaffeebohnen durch die Lippen brauner Tamulinnen erscheint völlig harmlos, wenn man an den dichten Pergamentüberzieher denkt, der jede Bohne bekleidet. Andere Bohnen, und keineswegs die schlechtesten, haben jedoch zum Verdruß der Pflanzer manchmal noch einen viel seltsameren Weg zurückzulegen. Die größten, vollsten, reifsten Kaffeefrüchte reizen den Appetit von Affen, Zibetkatzen, Fledermäusen und von sonstigem Diebsgetier, das in der Nähe der Kaffeewälder haust, die Beeren nächtlicherweile wegstibitzt und sich ihr saftiges Fleisch wohlschmecken läßt. Mit [21] den harten, unverdaulichen Kaffeebohnen wissen die gefräßigen Tierchen jedoch nichts anderes anzufangen, als sie auf natürlichem Wege wieder loszuwerden. Aber ebensowenig wie den gewerbsmäßigen Geldsuchern in Paris eine in den Straßenstaub getretene Kupfermünze entgeht, ebensowenig übersehen die von dem Pflanzer zum Einsammeln solcher verstreuten Bohnen ausgeschickten Burschen die versteckten Häuschen dieses ganz besonders hochgeschätzten „Affenkaffees“[WS 6], den die Pflanzer aber nicht etwa in den Handel bringen, sondern ihn nur bei besonders festlichen Gelegenheiten als das beste, was sie bieten können, ihren Gönnern und Freunden verehren.

Doch die Zeiten der einstigen Kaffeeherrlichkeit sind für Ceylon vorüber, und nur sehr langsam hebt sich der Ertrag dieses Gewächses wieder, dessen Anbau hier einen merkwürdigen Entwicklungsgang durchgemacht hat. Solange der durch die Araber eingeführte Baum von den Eingeborenen nur seiner jasminähnlichen Blüten wegen für buddhistische Opferzwecke benutzt wurde, gedieh er prächtig auf der Insel. Nachdem aber die Holländer die Verwertung der Bohnen begonnen hatten und besonders als der Engländer Boy Tytler[WS 7] im Jahre 1837 einen übermäßigen Kaffeeanbau nach westindischer Methode einführte, stieg der Wert der Kaffeeausfuhr bald auf 60 Millionen Mark jährlich, was den Pflanzern mehr als 25 Prozent Gewinn abwarf.

Der Rückschlag nach dieser Hausse blieb nicht aus. Ein in den sumpfigen Dschungelbüschen wuchernder Pilz, Himeleja vastatrix[WS 8], der durch die fortschreitende Trockenlegung der Sümpfe und Dschungelausrodung seinen Nährboden verlor, suchte und fand ihn auf den angrenzenden, obendrein durch Überdüngung mit Chemikalien kränklich gewordenen Kaffeebäumen, wo er sich bald unausrottbar einnistete und die Kaffeebäume mit erschreckender Schnelligkeit überwucherte und erwürgte. Nur wenige mit besonderer Sorgfalt gehegte Pflanzungen blieben verschont. Im Jahre 1900 ist der Wert der Kaffeeausfuhr aus Ceylon auf rund 890 000 Mark und 1901 gar auf 776 000 Mark zurückgegangen, während selbst das Jahr 1895 noch für 8 Millionen 785 000 Mark Kaffee lieferte.[WS 9]

Den verarmenden, dem Bankrott entronnenen Kaffee-Pflanzern blieb nichts anderes übrig, als sich nach einem einträglichen Ersatz umzusehen; Kakao, Zimt, Chinarinde, Kardamom und vor allem Thee wurden als Lückenbüßer gewählt. Der Anbau von Theebüschen war bis dahin ein volles Jahrhundert hindurch nur mäßig betrieben worden, weil der Kaffee den auf schnellen Geldgewinn erpichten Fremden weit reicheren Nutzen brachte. Jetzt aber nahm die Theekultur auf Ceylon bald einen schier phantastischen Umfang an, der nicht nur dem chinesischen Thee, sondern auch dem auf dem indischen Festland an den Himalajavorhügeln gezogenen Thee beträchtlich Abbruch tat und noch immer in wachsendem Maße zufügt, so daß die Preise des indischen Thees mehr und mehr herabgedrückt wurden, wodurch der Wohlstand der Pflanzer trotz zunehmender Produktion beständig sinkt. 1901 kostete das Pfund nur noch 33 Cents gegenüber 36 Cents im vorhergehenden Jahre, [22] woraus sich erklärt, daß der Gesamtwert der Theeausfuhr im Jahre 1901 auf 68 Millionen 682 000 Mark herabgesunken ist, während er 1900 noch 80 Millionen 608 000 Mark betrug[WS 10].

Daß diese Unmenge von etwa 100 Millionen Pfund Thee, wozu Indien noch mehr als 170 Millionen Pfund beisteuert, überhaupt verbraucht werden kann, wird nur begreiflich, wenn man erfährt, daß in England auf jeden Kopf der Bevölkerung ein jährlicher Durchschnittstheeverbrauch von etwa 3 Kilogramm kommt, der in Rußland auf 0,33 Kilogramm und in Deutschland gar auf 0,05 Kilogramm fällt. Doch alle Gegensätze gleichen sich aus! Die Verächter des Thees scheinen um so lebhaftere Liebhaberei für Kaffee zu besitzen, wenigstens verbraucht jeder Deutsche davon durchschnittlich 2¾ Kilo, der Engländer dagegen nur 0,32 Kilo.

Maschinen zum Rollen und Sieben des Thees.

Eine Theepflanzung gleicht einem saftig grünen, wogenden Meer. Ein unbeschreiblich feiner Duft strömt aus den Blüten und Blättern, die je nach Größe und Alter getrennt eingeerntet werden, um ganz verschiedene Sorten zu geben, trotzdem sie von demselben Busche stammen; die winzigen drei obersten, zartesten Blättchen sind die wertvollsten und werden von den Pflückern besonders sorgfältig in Körben eingeheimst, wobei der Wächter mit Argusaugen aufpaßt, daß niemand den Schatz durch ältere Blätter entwertet. Die abgepflückten [23] Blätter werden mit geschicktem Wurf über die Schulter in den Tragkorb geschleudert.

Die Behandlung der Theeblätter erscheint zwar sehr einfach, erfordert aber ziemlich viel Erfahrung. Zunächst werden die Blätter in heißen Räumen getrocknet, und dann auf Maschinen gerollt; doch wird vielfach vorgezogen, die Blätter durch Arbeiterinnen mit den Händen rollen zu lassen. Dann wird durch mäßigen Druck der Saft aus den Blättern gequetscht, worauf sie in gelinde Gärung geraten, in der sie einige Zeit verbleiben. Wird diese Gärung nicht unterdrückt, was neuerdings viele Pflanzer auf Ceylon erstreben, indem sie die gerollten und gepreßten Blätter sofort auf einer Darre trocknen, so hellt sich das dunkle Grün zur Farbe von Grünspan auf. Auch das schließliche nochmalige Trocknen, Sortieren und Auflockern mittelst Schüttelmaschinen sind Arbeiten, die unablässige Aufmerksamkeit erfordern.

Weit weniger dankbar als die Anpflanzung von Thee scheint die von Kakao zu sein, da dieser Strauch erst nach sieben, Thee aber bereits nach drei Jahren ertragsfähig wird und neben besonders geschützter Lage und gutem Boden fortwährende Arbeit beansprucht; dafür wirft seine Kultur stetig steigenden Gewinn ab, seitdem die Kulturmenschheit erkannt hat, wie bedeutend der Nährwert der Frucht dieser von den Botanikern Theobroma oder Götterspeise getauften Pflanze ist. Beim Aussortieren der aus den Schoten gelösten Kakaobohnen scheinen die Arbeiterinnen wie braune Aschenbrödel vor sich hin zu summen: Die guten ins Körbchen, die schlechten aufs Deckchen! während sie die einzelnen Bohnen mit größter Eile prüfend durch die Finger gleiten lassen.

Es war noch ziemlich früh am Morgen, kurz vor acht, als ich an dem Wohnhaus eines Pflanzers anlangte, der mich eingeladen hatte, den besonders reichen Kakaoschoten-Segen seiner Pflanzung gelegentlich in Augenschein zu nehmen. Wohl wissend, daß die Herren Landwirte Frühaufsteher zu sein pflegen, pochte ich an eine Thür, hinter der Geräusch und Stimmen erklangen, aber als ich sie öffnete, glaubte ich, in die Erde sinken zu sollen, denn eine lebendig gewordene Hogarthsche Karikatur schien vor mir zu spuken![WS 11] Als ob in der Stube das wüste Studentengelage in Auerbachs Keller durchprobiert würde, so heulte, jodelte und quiekte mir ein Chorus angetrunkener Pflanzer mit gläsernen Augen und gefüllten Whiskybechern einen fröhlichen Willkommengruß entgegen. Ein Berg geleerter Flaschen mit allen erdenklichen Etiketten bewies, wie rüstig die wackeren Leutchen hier die ganze Nacht hindurch gearbeitet hatten. Ein paar Abgefallene lagen in Armsesseln herum, wo sie gerade hingetaumelt und eingenickt waren, und selbst in dem anstoßenden Badezimmer hörte ich jemanden röcheln.

Ein Nüchterner spielt zwischen Angeheiterten stets eine fatale, manchmal sogar eine gefährliche Rolle. Erst wenige Tage vorher hatte ich mich hiervon zu überzeugen Gelegenheit gehabt, und mit Besorgnis erinnerte ich mich an jene aufregende Szene. Auch dort war ich ebenso zufällig in eine ähnliche feucht-fröhliche Tafelrunde geraten, wo die Zechbrüder allerlei rare Dinge [24] vollbrachten und wo mir das Haar zu Berge stieg, als sie z. B. brennende Lichtstumpfe verschluckten, Stücke einer zerbrochenen Fensterscheibe als Monocle ins Auge klemmten, sich durch Anschlagen der Schädel gegen die Zimmerwände in Erzeugen von Donnerschlägen überboten und dazwischen auch durch einige Boxübungen für eine Anzahl blutiger Köpfe sorgten. Als dann nach einem Ringkampf der eine Kämpfer in eine tiefe Ohnmacht gefallen war, wurde ganz ernsthaft erwogen, ob man dem für tot Gehaltenen der Sicherheit halber noch einen Dolch ins Herz stoßen solle oder nicht, und endlich brachte einer der Festgenossen einen kürzlich erstandenen Revolver mit der gelallten Warnung zum Vorschein, daß er geladen sei; als die Waffe zur Begutachtung aus einer Hand in die andere wanderte, dauerte es natürlich gar nicht lange, bis das Geknalle losging, wobei sich der fidele Gastgeber vor Lachen kaum lassen konnte, als die Trümmer seiner Nippfiguren in der Stube umherflogen.

Junge Tamulin.

An diesen wüsten Auftritt mußte ich denken, als ich mit der naiven Absicht, Kakaoschoten zu pflücken, in die Kneipgesellschaft geriet, die in des Pflanzers Wigwam hauste. In dem Schreien und Toben trat nicht einmal Ruhe ein, als eine weibliche Gestalt mit vorwurfsvollem Blick in das Zimmer trat, eine junge Tamulin, die von funkelnden Schmuckgegenständen förmlich strotzte, denn um den Hals trug sie nicht weniger als vier kostbare Ketten, an den Füßen klirrten gewichtige Spangen, und auch an den Zehen blitzten Ringe mit in die Höhe stehendem Edelstein-Ausputz. An der Spitze und in den-Flügeln der Nase, sowie in den Rändern und im Läppchen des Ohres waren Glanzstücke der Goldschmiedekunst untergebracht, und das feuerrote, prall anliegende Seidenjäckchen, so wie die farbigen Säume in dem weich fließenden weißen Stoff, aus dem der Rock gebildet war, kleideten die prächtig gewachsene Figur ganz vortrefflich; ein zarter, lose über die Schulter gelegter Musselinschal erhöhte die malerische Wirkung der überraschenden Erscheinung.

Die braune Dame schien glücklicherweise einigen Einfluß auf den Hausherrn zu haben; schmollend und bettelnd brachte sie nach und nach die noch [25] nicht geleerten Whisky-Flaschen in Sicherheit und die Kneipkumpane auf den Marsch. Mürrisch riefen sie nach ihren Pferdejungen, ließen die Ponies anschirren, schwangen sich, so gut es gehen wollte, in die Sättel und trabten, unzufrieden über die zu frühe Beendigung des angerissenen Abends, zu ihren Nachbarpflanzungen heim.

„So, nun sollen Sie auch Ihre Kakaoschoten sehen!“ lachte der Hausherr, der sich während des Aufbruches seiner Gäste eine ernüchternde kalte Dusche verabreicht zu haben schien. Dann herrschte er die muntere Tamulin, mit der ich mich inzwischen unterhalten hatte, mit den Worten an: „Geh mit und schneide dem Doktor ein paar schöne Kakaoschoten ab!“ Plötzlich aber schien der Alkoholteufel wieder die Oberhand zu bekommen; er schwatzte allerlei verwirrtes Zeug von einem Bären, den er mir zuvor zeigen müsse, während ihm doch das Vorführen von Affen weit näher zu liegen schien. Die brünette Dame, deren Stellung in dieser Junggesellenwirtschaft mir noch nicht ganz klar war, fügte munter hinzu: „Ja, ja, wir haben wirklich einen leibhaftigen Bären im Hause. Komm nur herein, Tommy!“ Damit schlang sie sprühenden Auges ihre glänzend braunen Arme um das zottige schwarze Ungetier, das schnuppernd und fauchend frank und frei ohne Maulkorb zur geöffneten Türe hereingetappelt kam. Während die pikante braune Venus mit der Bestie immer übermütiger im Zimmer herumtollte, mit ihr rang und boxte, raunte mir der Gebieter des Hauses zu, daß das temperamentvolle Mädchen eigentlich nur eine Kakaopflückerin, von ihm aber zur Würde seiner nicht legitimen zeitweiligen Gemahlin erhoben sei. „Ist sie nicht schön?“ fragte er dann, indem er weniger das weibliche Wesen als ihre kostbaren Anhängsel an Nase und Ohren streichelte, die ihm manche Stange Gold gekostet haben mochten. Angesichts dieses Prahlens mit seiner Brillanten- und Perlenverschwendung neben der fast dürftigen und vernachlässigten häuslichen Einrichtung kamen mir die Bestrebungen jener englischen Frauen-Liga ganz erklärlich vor, wodurch Pflanzer, die in, wilder Ehe mit Farbigen gelebt haben, gesellschaftlich für immer in Acht und Bann erklärt werden, sobald sie nach England heimkehren. Daß diese Ächtung sich selbst im Werbungsfalle als stichfest erweist, wage ich nicht zu bezweifeln.

Mein fröhlicher Pflanzer schien sich vorläufig den ihm einst daheim drohenden Boykott nicht sonderlich zu Herzen zu nehmen. Gähnend schlug er mir vor, ich möge unter Führung seiner schokoladefarbigen Dulcinea ohne ihn in die Kakaopflanzung spazieren; er selbst zöge es aber vor, sich nunmehr schlafen zu legen. Überflüssigerweise versicherte er noch, daß er keine Eifersucht kenne, wobei er leise und schelmisch an dem leuchtenden Rubin zupfte, der von dem Nasenspitzchen der Tamulin herunterbaumelte; dann ging er durch die Mitteltür ab.

Hätte der gute Mann seine Eifersuchtsfreiheit lieber nicht so sehr betont oder besser ganz aus dem Spiele gelassen; so etwas tut niemals gut! Die junge Tamulin machte gar kein Hehl daraus, daß ich einige Gnade vor ihren [26] dunklen Augen gefunden hätte. Mit rührender Aufmerksamkeit forschte sie in der Pflanzung behende nach besonders dichten Kakaobüschen herum, von denen sie dann mit einer Art von Zärtlichkeit die schönsten Schoten abschnitt, wobei ihr ganz unabsichtlich das Schaltuch von der Schulter glitt, so daß die Zierlichkeit ihrer Figur zur vollsten Geltung kam. Zuerst vorsichtig prüfend und lächelnd, dann immer lebhafter schlug sie im Laufe unseres Geplauders ihre Feuerblicke zu mir auf, so daß ich mir förmlich Zwang antun mußte, mich nicht so weit zu vergessen, die Gebote der Gastfreundschaft schmählich zu verletzen. Ob nun meine Zurückhaltung der Bronze-Circe langweilig wurde und sie mich für einen rundreisenden Inbegriff von Blödheit hielt, oder ob irgend ein sprachliches Mißverständnis eintrat, gleichviel, urplötzlich änderten sich ihre Mienen, ihre Augen schossen förmlich Blitze, das gekrümmte Messer zitterte in ihrer Hand, und mit hastigem Wurfe schleuderte sie mir die abgeschnittenen Schoten gegen die Brust; dann ergriff sie in wilder und doch holder Verwirrung ihr Schaltuch, stülpte es mir rasch über den Kopf und rannte mit unverständlichem, leidenschaftlichem Gemurmel ins Haus.

Tamulin, unter einem Kakaoschoten tragenden Baum eine solche zerschneidend.

Da stand ich nun mit meinen Kakaoschoten im Arm und dem zarten weißen Schleier über dem Haupt und hätte am liebsten das wehmutsvolle Lied angestimmt: „Ich weiß nicht, was soll es bedeuten!“ Kopfschüttelnd trollte ich mich in die Wohnung des Pflanzers zurück. Er schliefe fest, wurde mir mürrisch von einem Bedienten, der die Spuren des Gelages fortzutilgen versuchte, bedeutet, und auf meine Frage nach der Favoritin des gnädigen Herrn hieß es lakonisch: sie habe sich in ihr Gemach zurückgezogen. Unter diesen Umständen hielt ich es für das Schicklichste, mich mit Hinterlassung einiger Dankeszeilen so leise wie möglich zu entfernen. So oft ich aber jetzt eine Tasse Kakao an den Mund setze, blickt mir daraus die vorwurfsvoll lächelnde Tamulin entgegen! Und doch habe ich wahrhaftig keine Ahnung, wodurch ich einen Vorwurf verdient haben könnte.

Der See von Kandi

Es wäre unrecht, von Ceylon zu scheiden, ohne einen Augenblick in der Stadt Kandi zu rasten, die jedoch nur Europäer und Tamulen mit diesem [27] Namen, der Berg bedeutet, belegen; für die Sinhalesen ist sie noch immer Maha Nuwara, die große Hauptstadt, wie in jener Vorzeit, als gleichzeitig sieben Herrscher über die verschiedenen Teile Ceylons regierten und als der König von Kandi die kleine von Bambusstauden überwucherte Insel inmitten des in der Nähe des Königspalastes angelegten Sees noch als Strafplatz für in Ungnade gefallene Damen seines Harems benutzte; wie die Sage berichtet, wurden jene Unglücklichen in Säcke eingebunden auf diese Insel geschafft und den dort in den hohlen Bambusstauden nistenden Kobraschlangen preisgegeben.

Buddhazahn-Tempel in Kandi; rechts eine Dagoba.

Wie vor alters strömen auch noch heutigen Tages im Juli die buddhistischen Sinhalesen zum Perahera-Feste[WS 12] nach dem Wihara-Tempel[WS 13], dessen weiße Mauern weit über den See hinüberleuchten, um den Umzug des heiligen Dalada, eines Zahnes des Religionsstifters Buddha, zu sehen, der für gewöhnlich in eben diesem Tempel, von einer goldenen Lotosblume umschlossen, in kostbaren Kapseln verwahrt wird. Bei der Perahera-Prozession wird dieses Kleinod mit ungeheurem Pomp und rauschender Musik unter einem Baldachin auf dem Rücken eines außergewöhnlich riesigen Elefanten herumgetragen, der nicht einmal den üblichen Lenker tragen darf, sondern der von Kornaks[WS 14] auf nebenhergehenden kleineren Elefanten bewacht und geleitet wird. Das Getümmel der festlich gekleideten Menge wird dabei durch Tausende von Leuchtfeuern aus brennenden Kokosnußkernen erhellt, und betäubend dröhnt das Geräusch der Musikanten und der mit Flitterputz geschmückten Tänzer, die im Rhythmus der immer rasender werdenden Musik kurze harte Holzstücke aneinander schlagen; diese schwierige Vorführung wird in einer Ballettschule in der Nähe des Tempels [28] schon lange Zeit vor dem Feste geübt, damit dabei alles „klappt“. Als Europäer verkleidete Stelzenläufer, in Tierfelle vermummte Gaukler und Clowns in allen möglichen Masken sorgen für die Erheiterung der Festteilnehmer, unter denen jedoch die Mönche auffallenderweise fehlen. Daß Kleidung und Formen der Europäer auch von den Eingeborenen Indiens gern durch Masken oder Puppen lächerlich gemacht und sogar im geheimen, wie ich mich selbst wiederholt überzeugt habe, grimmig mißhandelt und vernichtet werden, scheint den Engländern zu entgehen, die derartige Offenbarungen der Volksseele keiner Beachtung würdigen.

An diesem festlichen Tage pflegte das Sinhalesenvolk dermaßen von buddhistischem Versöhnungsgeiste durchdrungen zu werden, daß es dem gefürchteten Herrscher feierlich und öffentlich nicht nur durch Vertreter alle Härten und Ungerechtigkeiten vergab, sondern für offenbare, schwere Freveltaten des tyrannischen Fürsten sogar Bußübungen vollzog und Opfer darbrachte, ein Brauch; der mit der Herrschaft der eingeborenen Könige erlosch. Uralt und unerklärlich ist auch der Schluß des Festes, wobei einer der Häuptlinge in einem Boote auf den Strom hinausfährt und mit einem Schwertstreich die Wasserfläche zerteilt.

Das Wunderbarste an jenem Zahn, der die bedeutendste aller buddhistischen Reliquien vorstellt, ist aber wohl der Umstand, daß kein gläubiger Buddhist an der Echtheit dieses Heiligtums zu zweifeln wagt, trotzdem feststeht, daß der ursprüngliche Zahn nach mancherlei Irrfahrten als Siegesbeute von den Portugiesen nach Goa verschleppt und dort auf Befehl der Inquisitoren pulverisiert wurde, weil die portugiesischen Befehlshaber Neigung zeigten, ihn den Sinhalesen für ein ungeheueres Lösegeld zurückzugeben. Der jetzige Zahn soll auf wunderbare Weise im Tempel erschienen sein und gilt für echt, aber schon der Augenschein lehrt, daß dieser ungeheure, zehn Zentimeter lange Zahn keinem menschlichen Gebiß entstammen kann.

Der Wihara-Tempel wurde nicht von Sinhalesen, sondern von kriegsgefangenen Portugiesen erbaut und gleicht mit seinen plumpen Mauern, Gräben, Schießscharten und mächtigen Toren mehr einer trotzigen Befestigung, als einer Andachtsstätte; das sich darin abspielende geräuschvolle Treiben und Musizieren von Mönchen und Opfernden gehört ebenso wie die schauderhaften, auf Wandgemälden dargestellten Strafen, die den Missetäter in einem zukünftigen Leben erwarten, zu den stärksten Eindrücken, die dem Ankömmlinge in Asien begegnen. Diesem Tempel gegenüber, auf der anderen Straßenseite, steht, wie dies in der Nähe buddhistischer Tempel gewöhnlich der Fall ist, eine schneeweiß getünchte glockenförmige Dagoba, in deren Kern eine andere Reliquie, ein Fetzen von Buddhas Mönchsgewand eingemauert sein soll.

Derartige Dagobas oder, wie man sie in Indien nennt, Stupas sind das Wahrzeichen von Gegenden mit überwiegend buddhistischen Bewohnern wie Ceylon oder Birma, wo es als ein verdienstliches Werk gilt, sie zu Ehren des Religionsgründers zu errichten. Selbstverständlich hat jede uns unbedeutend [29] erscheinende Einzelheit der Ausführung symbolische Bedeutung. So soll ihre rundliche Glockenform die Gestalt einer Wasserblase ausdrücken, da Buddha die Nichtigkeit des Menschenlebens mit einer auf dem Wasser schwimmenden und dort spurlos zerplatzenden Luftblase zu vergleichen liebte.

Ganz ungeheuere, aus den ersten Blütezeiten des Buddhismus in Ceylon stammende, also mehr als zweitausend Jahre alte Dagobas finden sich auf den weit ausgedehntem auch für den Nicht-Archäologen durch die neuerdings eingeleiteten Ausgrabungen stetig an Interesse zunehmenden Trümmerfeldern der einst prachtstrotzenden, vorgeschichtslichen Landeshauptstadt Anuradhapura, wo besonders die auf engem Raum stehenden 1600 Steinpfeilerreste des Fundamentes eines neunstöckigen Klosters einen Begriff von der Riesenhaftigkeit damaliger Bauten dieser Art geben. Der höchste dieser Reliquienschreine muß mehr als 400 Fuß hoch gewesen sein, denn selbst jetzt in seinem zertrümmerten Zustande mißt er noch 350 Fuß.

Pungi-Mönch, der für sein Kloster Lebensmittel einsammelt.

In der Nähe des Tempels von Kandi wimmelt es von eindrucksvollen Priestererscheinungen, von denen manche wohl infolge übertrieben vegetarisch-asketischer und obendrein eheloser Lebensweise mehr lebenden Mumien als Menschen von Fleisch und Blut gleichen. Die niederen Geistlichen, die Pungis[WS 15], haben zugleich die Aufgabe, auf vormittäglichen Bittgängen für den Lebensunterhalt ihrer Amtsbrüder zu sorgen, wobei sie dem Beobachter stets ein sehr fesselndes Schauspiel bereiten. Mit feierlicher Ruhe nähert sich dann der [30] Mönch, dessen blankrasierter, geölter Schädel wie ein Metallspiegel schimmert, den verstreuten Wohnhäuschen der Sinhalesen. In ehrfurchtsvoll gebeugter Haltung tritt die Hausfrau aus ihrer Tür und entleert niedergeschlagenen Blickes ihre Opferspende für die Tempelbewohner in Gestalt eines Tellers voll Reis in den Almosenkorb oder Topf oder auch nur in den ausgestreckten Mantelzipfel des Bettelmönches. Seit alten Zeiten sind die Eingeborenen gewohnt, von ihrem Reisbesitz mitzuteilen, da sie dem Fiskus an Stelle der Geldsteuern den zehnten Teil ihrer Reisernte liefern müssen.

Das demütig sein sollende, aber oft recht selbstbewußte Gebaren der Pungis beim Einheimsen des Reises wirkt auf uns fast ergötzlich. Nach Buddhas Lehre muß nämlich ein rechter Pungi, wie ihn z. B. der Derwisch in Lessings Nathan darstellen soll, vollkommen besitzlos sein, auf irdische Habe nicht den mindesten Wert legen und nur genießen, was er unaufgefordert erhält; ferner soll er frei von jeder Eitelkeit fein, und deshalb stets in demselben Mantel gehen und diesen immer und immer wieder flicken, wenn er zu zerfallen droht, auch soll er den nicht ansehen, der ihm etwas schenkt, den Wert des Geschenkten nicht beachten und für die Gabe nicht danken, was jedoch manchmal so aussieht, als schritte der Mönch in dem stolzen Gefühle davon, seinerseits den Geber zu Dank verpflichtet zu haben, weil er ihm Gelegenheit bot, eine fromme Tat zu vollziehen. Alle diese asketischen, wohlgemeinten Vorschriften des „großen Lehrers“ werden im allgemeinen nicht mehr streng befolgt. So sollen sich die Mönche z. B. beim Einsammeln des Reises einen Palmblätterfächer vor das Gesicht halten; häufig sehen sie aber ganz gemütlich darüber hinweg oder schlagen, falls sie keinen Fächer bei sich tragen, den Blick des zur Erde gesenkten Hauptes von unten nach oben empor, um die Spenderin und ihre Gabe zu mustern, die mit betend aneinander gelegten Händen in tiefer Verbeugung zu verharren pflegt, bis die gelbbemäntelte Gestalt des Priesters außer Sehweite gekommen ist. Ebenso wird, falls der Pungi glücklicher Besitzer eines ihm von einem Verehrer gestifteten prächtig-goldgelben neuen Mantels ist, das Gebot, ein zerschlissenes, geflirktes Gewand zu tragen, in der Art befolgt und umgangen, daß in irgend einem Eckchen des schönen Mantels ein winziger Flicken aufgesteppt wird; hin und wieder bekommt man sogar Mäntel zu sehen, die mit sichtlicher Liebe hergestellte weibliche Handarbeiten in Gestalt von Mosaikmustern aus gelben und braunen Zeugfleckchen darstellen. Auch wirkt es auf uns etwas komisch, daß sich die Mehrzahl dieser Pungis, besonders die jüngeren, bis zum Verwechseln ähneln, da sie alle gleichermaßen Augenbrauen, Bart und Schädel rasieren, und in ganz gleicher Weise den gelben Mantel wie eine römische Toga um die Büste hängen, wobei die rechte Schulter stets frei gelassen wird.

Als Buddhisten sind die Sinhalesen und demgemäß auch ihre Pungis von jedem religiösen Fanatismus vollkommen frei; mit rührender Toleranz gestatten sie sogar das Aufstellen und Verehren brahminischer Gottheitsbilder in ihren Tempeln, und seit mehr als tausend Jahren fanden aus Religionshaß [31] Verfolgte auf Ceylon schützende Zuflucht. Nestorianer, schiitische Moslems, vor dem siegreich vordringenden Islam aus Indien flüchtende Hindus[WS 16], sowie von den Holländern verfolgte, durch die Portugiesen gewaltsam zu Katholiken bekehrte Eingeborene —- sie alle wurden gleich duldsam von den eingeborenen Sinhalesen aufgenommen, ja, sie erbauten sogar im Jahre 1845 zum Gedächtnis des bei ihnen beliebten, vom Blitz erschlagenen englischen Kapitäns Roger eine christliche Grabkapelle![WS 17] Beinahe rührend ist auch der Gleichmut, womit die Sinhalesen dem bekannten Streit gegenüberstehen, ob die flache Vertiefung auf dem Felsgipfel des Adamspik[WS 18] wirklich von Buddha erzeugt wurde, als er zum Himmel ausstieg, während die Mohammedaner natürlich den ältesten ihrer sechs Propheten Adam, Noah, Abraham, Moses, Christus und Mohammed, die Hindus dagegen ihren Gott Schiwa und die katholischen Portugiesen den Apostel Thomas für den unzweifelhaften Urheber des angeblichen Fußabdruckes erklären.

Häuptling der Hochland-Sinhalesen in Festtracht.

Bei dem erwähnten Umzug des Buddhazahnes und bei anderen großen Festen, z. B. solchen zu Ehren ganz besonders hochstehender reisender Fürstlichkeiten, wie des jetzigen Zars[WS 19], der als Großfürst-Thronfolger im Jahre 1890 Ceylon besuchte, oder des jetzigen Königs von England[WS 20], als er noch Prinz von Wales hieß, erscheinen die Nachkommen der einstigen Sinhalesenfürsten in der bei ihren Vorfahren üblichen Tracht. Einer dieser Fürstensprößlinge, den ich im Innern des Landes aufsuchte, erwies mir, ebenso wie seine schöne Tochter, die fast rührende Gefälligkeit, diese kostbaren Kleidungs- und Schmuckstücke, die sichtbaren Erinnerungen einstiger Macht und verblichenen Glanzes, anzulegen, deren Einzelheiten durch die Porträts, die ich in dem Landsitz des vornehmen Sinhalesen ausgenommen habe, besser als durch Worte beschrieben werden. Freilich vermag kein Bild die köstliche Farbenpracht und den schimmernden Glanz der seidenen Gewänder, noch das Flimmern und Funkeln der Perlen und Edelsteine, der Gold- und Silberstickereien auf diesen Kleidern wiederzugeben. Spottlustige werden sich allerdings wohl alsbald darüber aufhalten, daß diese hohen Herren bereits in alten Zeiten die Schinkenärmel[WS 21] als das Ideal fürstlicher Männertracht anerkannt haben; sie sind aber keineswegs so [32] stark an Körperbau, wie sie durch diese aufgeblähten Ärmel, mehr aber noch durch die Beinkleidung erscheinen, die aus einem breiten und ungeheuer langen, in zahllosen Lagen übereinander gewickelten Musselinstreifen und einem gestickten Gürtel hergestellt wird. Der unter dem Kinn ausrasierte Vollbart macht die Erscheinung dieses Fürstensprößlings fast europäisch, dessen mit riesengroßen Perlen besetzter Ring am kleinen Finger ebenso wie die Perlenketten seiner Tochter wegen ihres hohen Wertes ins Auge fallen. Sicherlich sind es Erbstücke aus jenen Zeiten, wo der Ertrag der Perlfischerei an den Küsten noch den eingeborenen Herrschern gehörte.

Tochter des Sinhalesenhäuptlings.

Nach einer längeren Zeit des niedergehenden Erfolges scheint das mühsame Suchen nach Perlmuscheln wieder lohnender zu werden, und wenn erst Perlfischer in noch bedeutendere Tiefe zu tauchen vermögen, werden dort bisher noch völlig unberührte Bänke eine ungeheure Ausbeute herrlicher Perlen ergeben. Vorläufig liefert der persische Meerbusen weit mehr Perlen als Madras, wo der Mittelpunkt des indischen Perlhandels liegt. Daß aber selbst deutsche Flüsse, z. B. die Steinach in der Pfalz, Muscheln mit, allerdings zumeist sehr winzigen, Perlen enthalten, dürfte nicht allgemein bekannt sein. Wunderlich genug ist der sinhalesische Volksglaube, demzufolge die Perlen aus Tautropfen entstehen, die Buddha zu gewissen Zeiten vom Himmel in die der Atmung halber geöffnet an die Meeresoberfläche steigenden Muscheln hineinwirft. Aus diesem Grunde gelten zerstoßene Perlen als ein wundertätiges Heilmittel, das sich freilich nur wohlhabende gläubige Patienten zu Gemüte führen können.

Sinhalesische Teufelstänzer heilen einen Kranken.

Eine absonderliche Eigentümlichkeit der Insel sind die ceylonischen Teufelstänzer, die besonders in verkehrsfernen Gegenden noch in hohem Ansehen stehen. Die Sinhalesen sind ganz lächerlich abergläubische Leute, die in jedem Ereignis [33] ein gutes oder böses Omen wittern, und nirgends in der Welt wird mehr Gewicht darauf gelegt, ob jemandem bei Tagesbeginn zuerst ein unsympathischer oder ein liebenswürdiger Mensch entgegenkommt; da aber Furcht vor bösen Geistern jedenfalls die wesentlichste religiöse Empfindung ist, kann es nicht wundernehmen, daß neben Buddha eine Unzahl von Dämonen angebetet werden, obwohl die reine Lehre Buddhas jeden Geisterkultus verwirft. Krankheitsfälle sind für das unwissende Volk auch heute noch Offenbarungen der Macht von Dämonen, gegen die nur mit so außergewöhnlichen Mitteln aufzukommen ist wie sie eben das Geheimnis der Teufelsbeschwörer sind. Diese Scharlatane verfahren mit ihren Patienten folgendermaßen: Der Teufelsbeschwörer besitzt einige buntbemalte, grauenerregende Holzmasken, deren fratzenhafte Gesichtszüge die gräßlichen Phantasiebilder darstellen sollen, die sich das Volk von dem Mahakola Jakscha[WS 22] und seinen achtzehn dämonischen Hilfsgeistern als Krankheitserregern zurecht gemacht hat. Mit diesen Masken angetan, begibt sich nun der Dämonenbeschwörer nebst seinen Spießgesellen zu dem Kranken, vor dem nach allerlei Zauberförmlichkeiten ein Maskenträger nach dem andern erscheint und seine immer wilder ausartenden Tänze zum besten gibt. Einer der Tänzer stürzt dabei plötzlich wie im Kampf mit unsichtbaren Kräften unter krampfhaften Zuckungen zu Boden, worauf niemand bezweifelt, daß der dieser Maske entsprechende Dämon in dem Patienten gehaust habe, aber nunmehr, von Konkurrenzwut getrieben, aus der Haut des Kranken gefahren sei, um den Teufelstänzer anzugreifen und zu verfolgen. In Kranken und Schwachen vermag die Einbildung bekanntlich Wunder zu tun, und deshalb fühlt sich der Leidende nach dem Tanze gewöhnlich sehr erleichtert und füllt die habgierigen Hände der Beschwörer so freigebig, wie es seine Mittel erlauben. Noch drastischer und wesentlich einfacher ist das Verfahren indischer Dämonenbeschwörer, von denen der eine, über eine Schüssel Reis gebeugt, der Reihe nach die Namen aller Krankheitsdämonen murmelt; während sich der andere, der ebenfalls über ein Reismaß gebeugt dasitzt, urplötzlich überschlägt, sobald der Name des gerade wirkenden Dämons erwähnt wird.

Sinhalesenschule.

Durch mehr als viertausend Schulen, in denen etwa 150 000 Kinder, Knaben und Mädchen gemeinsam, unterrichtet werden, sucht die englische Regierung die Reste dieses tief eingewurzelten uralten Aberglaubens auszurotten; um den Schulbesuch volkstümlicher zu machen, verlangt sie nicht die vorherige [34] Annahme des Christentums, sondern begnügt sich mit dem Lehren der Elementarkenntnisse und zwar gleichzeitig in englischer, sinhalesischer und tamulischer Sprache. Kehren dann aber solche in zivilisierten Anschauungen erzogene Kinder aus der Schule in ein abseits der größeren Städte liegendes Elternhaus zurück, so treffen sie dort wohl noch recht verrottete Einrichtungen an, wie z. B. in der Zentralprovinz die einst allgemein übliche Unsitte der Vielmännerei, derzufolge mehrere Brüder einer Familie dieselbe Frau heiraten, so daß die Kinder aus solchen Ehen als Gemeingut betrachtet werden und den ältesten Familienvater als großen Vater, seine jüngeren Ehegenossen als kleine Väter zu titulieren haben. Die Sinhalesen kennen überhaupt keine Familiennamen, und so legt sich jeder, sobald er erwachsen ist, einen möglichst hochtrabenden oder schönklingenden Namen zu und begnügt sich bis dahin mit einem Rufnamen, der ihm vom Vater beigelegt wurde, als der kleine Erdenbürger das erste Mal Reis zu essen bekam; dies wichtige Ereignis wird als hoher Festtag behandelt, da Reis ein so unentbehrliches Nahrungsmittel für die Sinhalesen ist, daß tatsächlich jeder erkrankt, der ihn entbehren muß. Auch die Hochzeitsgebräuche der Sinhalesen sind merkwürdig genug, denn jeder junge Sinhalese muß unweigerlich das Mädchen heiraten, das ihm sein Vater nach sorgfältigen Erkundigungen und Rücksprachen mit dem Vater des Mädchens ausgesucht hat; als Zeichen der Vermählung werden dann dem Brautpaar wechselseits die Finger zusammengebunden, worauf es von den beiderseitigen Eltern mit Wasser begossen wird. Fortan heißt es von der jungen Frau X: „Sie kocht für Herrn X den Reis“, und keine ärgere Schmähung kann ihr zugefügt werden, als wenn eine Freundin verächtlich meint: „Für einen solchen Menschen kochst du den Reis?“ Das Wohnhaus der Braut bleibt während der Festzeit mit goldroten Nüssen der Königskokospalme geschmückt, die in Indien, ebenso wie andere schönfarbige Früchte, viel häufiger für Dekorationszwecke verwendet werden, als dies bei uns zu Lande geschieht.

Ein weiblicher Leutnant der Heilsarmee; links sein Adjutant, vor ihm Rekruten.

Ganz anders geht es natürlich in den Kreisen der christlich getauften Sinhalesen zu, deren Christentum jedoch vielfach von recht asiatischem Zuschnitte [35] ist. So war ich selbst einmal auf Ceylon an einem Weihnachtsabend in einer prachtvoll illuminierten portugiesischen Kirche zugegen, wo die Verkündigung „Christus ist geboren!“ durch unaufhörliches Geknatter von Kanonenschlägen nebst reichlichem Salonfeuerwerk in der Nähe des Altars eindrucksvoll betont wurde.

Getaufte Sinhalesen der besseren Klassen sehen bei solchen festlichen Gelegenheiten für unseren Geschmack etwas putzig aus, weil sie gewissermaßen zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen suchen: sie behalten zwar den bunten Lendenschurz und den seltsamen Kamm der Sinhalesen bei, ziehen jedoch eine europäische Jacke dazu an und stülpen einen steifen schwarzen Filzhut auf die kammgekrönte Frisur; ein Brautvater steckt sogar zwei überaus kostbare Kämme aus den Flossen einer auf Malakka heimischen Landschildkrötenart ins Haar, falls er, wie der am Beginn dieses Kapitels dargestellte, zu den vornehmen Sinhalesen zählt.

Neben den Sendboten aller erdenklichen Missionsgesellschaften durchziehen auch die nirgends in der Welt fehlenden bekehrungseifrigen weiblichen Offiziere und Soldaten der Heilsarmee die paradiesische Insel. Und fürwahr, wenn man den maßlosen Schnapsverbrauch bemerkt, der auf Ceylon im Schwange ist, und wenn man von dem Unheil hört, das die wohl gutmütig, aber keineswegs sanftmütig zu nennenden Sinhalesen in jähzorniger Trunkenheit mit ihren schnell kampfbereit gezückten Messern anstiften, dann kann man nur wünschen, daß die Bußpredigten dieser Leute, ebenso wie die den Kindern in den Schulen beigebrachten Belehrungen etwas mehr Mäßigkeit und Selbstbeherrschung in dies seltsame Völkchen tragen mögen, das die herrliche Insel Ceylon bewohnt. Wie mit Elementargewalt bricht sich auch oft genug der Haß gegen die das leichtlebige Volk in unerhörter Weise ausnutzenden Wucherer Bahn, die zwar meist afghanische aber insgesamt „Araber“ genannte Mohammedaner sind; der berüchtigteste Blutsauger dieser Art namens Ismael in Mahala wurde noch vor einem Jahrzehnt von acht Schuldnern unter beständiger Bedrohung mit geladenen Flinten an einem langen um einen Baum gewickelten Seile buchstäblich zu Tode gehetzt, während seine acht Mörder bei ihrer Hinrichtung von den anderen Sinhalesen gleich Märtyrern verehrt wurden.

Maske eines Dämonenbeschwörers. 1/6.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. WS: Alegalla: vergleiche Alagalla Mountain Range
  2. WS: Neware Elija: vergleiche Nuwara Eliya
  3. WS: Peduru Talegalla: vergleiche Pidurutalagala
  4. WS: Tamule, tamulisch: vergleiche Tamilen
  5. WS: Pulper: vergleiche Fruchtpulpe
  6. WS: Affenkaffee: vergleiche Kopi Luwak
  7. WS: Boy Tytler: gemeint ist Robert Boyd Tytler (1819-1882, „Father of Ceylon Planters“)
  8. WS: Himeleja vastatrix: vergleiche Kaffeerost (Hemileia vastatrix)
  9. WS: entspräche 2018 ca. 59 Mio. € (für 1895) und 5,1 Mio. € (für 1901)
  10. WS: entspräche 2018 ca. 534,6 Mio. € (für 1900) und 455,5 Mio. € (für 1901)
  11. WS: Hogarthsche Karikatur: vergleiche William Hogarth (1697-1764), englischer Künstler, bekannt unter anderem durch karikierende Sittengemälde)
  12. WS: Perahera: vergleiche Kandy Esala Perahera
  13. WS: Wihara: vergleiche Vihara (buddhistisches Kloster); der eigentliche Name des beschriebenen Heiligtums ist Sri Dalada Maligawa
  14. WS: Kornak, Cornak: südindische Bezeichnung für Mahout
  15. WS: Pungi: vergleiche Bhikkhu (buddistische Mönche im Allgemeinen); der stolze Titel Pungi/Phongy ist eine birmanische Anrede im Theravada-Buddhismus
  16. WS-Hinweis: Die Begrifflichkeit „Hindu(s)“ verwendet Boeck für eine nicht genauer spezifizierte Volksgruppe, welche Hindi spricht. „Hindutum“ und „Hinduismus“ meint vor allem Hindu-Kultur und -Gebräuche, die aber auch religiös konnotiert sein können. Wo er spezifisch die Religion thematisiert, unterscheidet Boeck meist klar zwischen muslimischen oder brahminischen Hindus, erstere wohl indische Muslime, die er ethnisch-kulturell als Hindus verortete.
  17. WS: Kapitän Roger: Die St.-Markus-Kirche von Badulla wurde nach dem Tod von Major Thomas William Rogers (1804-1845, bekannt für das Erlegen von mindestens 1400 Wildelefanten) erbaut.
  18. WS: Adamspik: vergleiche Adam’s Peak
  19. WS: russischer Zar 1894-1918: vergleiche Nikolaus II.
  20. WS: englischer König 1901-1910: vergleiche Eduard VII.
  21. WS: Schinkenärmel: vergleiche Keulenärmel
  22. WS: Mahakola Jakscha: vergleiche Mahakala (zur Gottheit) und Yaksha (zu den Geistwesen)