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Annahme des Christentums, sondern begnügt sich mit dem Lehren der Elementarkenntnisse und zwar gleichzeitig in englischer, sinhalesischer und tamulischer Sprache. Kehren dann aber solche in zivilisierten Anschauungen erzogene Kinder aus der Schule in ein abseits der größeren Städte liegendes Elternhaus zurück, so treffen sie dort wohl noch recht verrottete Einrichtungen an, wie z. B. in der Zentralprovinz die einst allgemein übliche Unsitte der Vielmännerei, derzufolge mehrere Brüder einer Familie dieselbe Frau heiraten, so daß die Kinder aus solchen Ehen als Gemeingut betrachtet werden und den ältesten Familienvater als großen Vater, seine jüngeren Ehegenossen als kleine Väter zu titulieren haben. Die Sinhalesen kennen überhaupt keine Familiennamen, und so legt sich jeder, sobald er erwachsen ist, einen möglichst hochtrabenden oder schönklingenden Namen zu und begnügt sich bis dahin mit einem Rufnamen, der ihm vom Vater beigelegt wurde, als der kleine Erdenbürger das erste Mal Reis zu essen bekam; dies wichtige Ereignis wird als hoher Festtag behandelt, da Reis ein so unentbehrliches Nahrungsmittel für die Sinhalesen ist, daß tatsächlich jeder erkrankt, der ihn entbehren muß. Auch die Hochzeitsgebräuche der Sinhalesen sind merkwürdig genug, denn jeder junge Sinhalese muß unweigerlich das Mädchen heiraten, das ihm sein Vater nach sorgfältigen Erkundigungen und Rücksprachen mit dem Vater des Mädchens ausgesucht hat; als Zeichen der Vermählung werden dann dem Brautpaar wechselseits die Finger zusammengebunden, worauf es von den beiderseitigen Eltern mit Wasser begossen wird. Fortan heißt es von der jungen Frau X: „Sie kocht für Herrn X den Reis“, und keine ärgere Schmähung kann ihr zugefügt werden, als wenn eine Freundin verächtlich meint: „Für einen solchen Menschen kochst du den Reis?“ Das Wohnhaus der Braut bleibt während der Festzeit mit goldroten Nüssen der Königskokospalme geschmückt, die in Indien, ebenso wie andere schönfarbige Früchte, viel häufiger für Dekorationszwecke verwendet werden, als dies bei uns zu Lande geschieht.

Ein weiblicher Leutnant der Heilsarmee; links sein Adjutant, vor ihm Rekruten.

Ganz anders geht es natürlich in den Kreisen der christlich getauften Sinhalesen zu, deren Christentum jedoch vielfach von recht asiatischem Zuschnitte

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Kurt Boeck: Durch Indien ins verschlossene Land Nepal. Ferdinand Hirt & Sohn, Leipzig 1903, Seite 34. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Durch_Indien_ins_verschlossene_Land_Nepal.pdf/60&oldid=- (Version vom 1.7.2018)