Durch Indien ins verschlossene Land Nepal/Bilder aus dem Paradiese
Durch Indien ins verschlossene Land Nepal von Kurt Boeck |
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Sollen wir sagen Schade! oder Gottlob! daß die drei Wochen um sind, die uns die Seefahrt von Europas Südküste bis nach Ceylon, dem angeblichen Paradiese, gekostet hat?
Vorläufig scheinen wir es ja ganz gut getroffen zu haben. Das Ende langwieriger Seefahrten heißt bekanntlich oft genug Duell oder übereilte Verlobung; freuen wir uns, beiden Gefahren wohlbehalten entronnen zu sein!
Im Auslande darf man nicht jedes Poltern irgend eines Whisky-Helden für Worte eines Ehrenmannes nehmen, die auf die Goldwage gelegt oder gar mit Blut aufgewogen werden müßten, ebensowenig wie man die gesamte mitreisende Weiblichkeit für wirkliche Damen zu halten braucht. Wieviel weibliche Glücksritter in knisternden Seidenkleidern auf den Überseedampfern beutelustig hin und her ziehen wie Heringsfischer, ist keinem Schiffsleiter ein Geheimnis.
Schleunigst klettert so mancher grüne Gimpel die Schiffstreppe in das Landungsboot hinunter, der es vorzog, seine schmachtenden Blicke und galanten Redensarten [2] durch ein Paket Banknoten zurückzukaufen, statt sich, kaum im Hafen von Kolombo[WS 1] gelandet, von seiner Angegirrten wegen „gebrochenen Eheversprechens“ gerichtlich belangen zu lassen. Ceylon ist nämlich englisches Kroneigentum, also nicht Kolonie wie Ostindien oder Australien, und in Fragen der Galanterie machen bekanntlich britische Gesetze nicht viel Federlesens mit dem armen verliebten Sünder. Auch beim Geldwechseln müssen wir diesen Verwaltungsunterschied zwischen Indien und Ceylon beachten, denn hier wird die Landesmünze, die Rupie[WS 2], die einem Silbergulden an Größe und schwankendem Kurswerte ähnelt, nicht wie auf dem indischen Festlande in 16 Annas, sondern in 100 Cents eingeteilt; außerdem rollen auf Ceylon Schillinge und Sixpence so munter wie im Mutterlande, dem sogenannten fröhlichen Old England.
All diese Finanzverhältnisse kennt der kleine Bursche ganz genau, der in seinem winzigen Nachen, einem ausgehöhlten Mango-Stamme, hurtig an unsern Dampfer, einen modernen Riesen-Jagdhund des Meeres, herangepaddelt kommt; „ach, Sir, werfen Sie doch nur einen winzigen kleinen Sixpence über Bord!“ so bettelt der kleine braunschwarze Taucherbengel ohne Unterlaß. Kaum berührt der blinkende Silberling den lauen Wasserspiegel, so schießt der Knirps kopfüber hinterdrein und verrät während des Sprunges unabsichtlich, daß seine von der Äquatorsonne nicht versengten, gen Himmel zeigenden Fußsohlen so fleischfarbig sind wie die weiße Haut der auf diesen Überzug stolzen Europäer.
Bevor noch der kleine Tauchkünstler aus dem Wasserschlund wieder emporgekommen und in seinen herrenlos auf den Wellen tanzenden Einbaum hineingeklettert ist, eilt bereits ein ebenso drolliges, nur aus zwei dicken Knüppeln zusammengebundenes Fahrzeug, ein Katamaran, unserem Dampfer entgegen. Hastig hopst auch dort einer der beiden winzigen Ruderer in die grüne Tiefe, um seinem kleinen Kollegen die hinabsinkende Münze wegzuschnappen; hochaufschäumender Gischt verkündet die Gier, mit der er sich in die Jagd nach dem Gelde hineinstürzt. Die nackten Burschen sind gelernte Tauchkünstler, die beim Einsammeln von Perlaustern ebensoviel ernten, wie die mit moderner Taucherausrüstung in die Tiefe Steigenden. Höhnisch lächelnd schauen die weißen Fahrgäste eine kurze Minute von der Schiffstreppe auf diesen edlen Wettkampf an der Eingangspforte des „Paradieses“ Ceylon hinunter, dann eilen sie, ans Land zu kommen, um dem Geräusch und Schmutz des Kohleneinschaufelns auszuweichen; natürlich wählen sie dazu bequemere Boote, als die schmalen, unser Schiff auf allen Seiten umschwärmenden Kähne der Früchteverkäufer [3] und anderer Eingeborener, die seitlings auf dem Rande ihres Fahrzeuges hocken müssen, weil dies zu eng ist, um darin die Beine nebeneinander stellen zu können. Die sonderbaren Auslegerbalken, die dem Umkippen dieser Boote, gewissermaßen als außerhalb angebrachter Kiel, vorbeugen sollen und die stets an der Windseite festgemacht werden, sind bereits Wahrzeichen eines anderen Weltteiles, die weder die Araber in Sues noch die Somalis in Aden benutzen.
Der erste Eindruck der viel gepriesenen Insel ist so prosaisch, daß er wohl jeden erwartungsvollen Ankömmling enttäuscht. Vor allen Dingen wird uns im Zollhause eine Eingangssteuer von etwa sechs Prozent vom Werte der eingeführten Waren abgezwackt, wobei jedoch der Begriff „taxfreies Touristengepäck“ ziemlich willkürlich gedeutet zu werden scheint; für meine photographischen Geräte hatte ich das eine Mal eine beträchtliche Abgabe, bei einem früheren Besuche aber nicht das mindeste zu zahlen, und ähnlich verhielt es sich mit der Kofferdurchsuchung, die bald mit äußerster Strenge, bald überhaupt nicht stattfand. Neben der Zollstation warnt eine Inschrift höflichst vor dem Sonnenstich, indem sie daran erinnert, unsere Schirme behutsamst aufzuspannen. Weiterhin lockt eine schmucke Laube, uns von der Zollplackerei bei einer Tasse Ceylon-Thee zu erholen, der, gewiß nicht zum Vergnügen der reisenden chinesischen Kaufleute, allenthalben durch Riesenplakate angepriesen wird, die zumeist um Palmstämme herumgeklebt sind; überhaupt mag den chinesischen Theehändlern himmelangst werden, wenn sie nicht nur die reißend wachsende Theeproduktion Indiens, sondern auch die in Nordamerika und am Kaukasus mit Theeanpflanzung erzielten Erfolge bemerken. Dieser Theebude gegenüber zieht sich eine schier unabsehbare Reihe gemauerter Speicher am Hafendamme entlang, in denen die Pflanzungserzeugnisse aufgestapelt werden.
Gastlich lachen uns beim Landen die hohen Fenster des — wie es der Engländer abkürzend ausspricht — Dschi Oh Ehtsch, will sagen des „Grand Oriental Hotel“ ins Gesicht; sie versprechen kühle Gemächer, luftige Hallen und sehr vornehme Rechnungen. Das hastige Fluten der stetig Ab- und Zureisenden, der Seekranken und Sehlustigen bietet beim Kommen und Gehen der hier täglich neu auftauchenden Ozeandampfer ein Schauspiel, wie es ergötzlicher gar nicht gedacht werden kann. Was wälzt sich dann auf das zu anderen Stunden so verlassen dastehende Hotel zu! Schnell reich gewordene und entsprechend rüpelhafte australische Emporkömmlinge, stille vornehme Asiaten, schlichte blonde Missionare aus Skandinavien, einsilbige, kühle Lords, elegante, gesprächige Franzosen, kurzgeschürzte amerikanische Radlerinnen mit jugendlichem Gebaren und eisgrauem Haar, und unter den massenhaften, fesch herausstaffierten Globe-Trotter-Touristen eine Blütenlese durchtriebener Hochstapler und Abenteurerinnen aller Rassen und Zungen.
Behaglicher und weniger unruhig geht es in dem in der Richtung nach Point de Galle[WS 3] am Meeresstrande gelegenen Gall Face Hotel zu, das ebenso wie das treffliche Hotel Becker in Singapur zeigt, daß ein menschlicher Magen [4] in allen Weltteilen unter deutscher oder schweizerischer Gasthofsleitung stets am besten aufgehoben ist. Deshalb gestatte ich mir, den freundlichen Leser zu seiner Erquickung nach dem ebenfalls von einem deutschen Küchenmeister beherrschten Hotel Mount Lavinia zu geleiten, das noch etwa vierzehn Kilometer südlicher liegt und wo ich in den Jahren 1890, 93 und 98 manchen guten Bissen gekaut habe. Die längs des Strandes unter Palmen dorthin rasselnde Eisenbahn vermeiden wir jedoch zunächst, denn solche Eile wäre ein wahrer Frevel beim ersten Eintritt in die Tropenwelt, wo die Natur behaglichen Daseinsgenuß verlangt und wo selbst die als Laster verschrieene Faulheit der Orientalen als weises Zugeständnis an ihre Heimat erscheint, die übermäßiges Hasten am Menschen zu rächen versteht.
Der Neuheit halber sollten wir ein Rickscho-Wägelchen[WS 4] nehmen, doch da müßte jeder ganz allein für sich fahren, und unsere Unterhaltung käme ins Stocken. Kaum vermögen wir die zahllosen Führer derartiger Wagen abzuwehren, die uns ihre zweirädrigen Fuhrwerke anbieten, deren Zugtier sie zugleich sind. Vor dem Hotel und in den benachbarten, mit großstädtischen Kaufhäusern ausgestatteten Straßen verfolgen sie uns auf Schritt und Tritt, wohl wissend, daß kein neuer Ankömmling, kein Reisender, selbst kein Schiffsjunge versäumt, sich in einem derartigen Dschinrickscho spazieren fahren zu lassen. Wie fühlt sich ein Seesoldat geschmeichelt, wenn er, anstatt sich an Bord schurigeln zu lassen, nun selbst den großen Herrn spielen und dem in der Gabeldeichsel einhertrabenden Zugmenschen mit dem Spazierstock nach Gefallen bald rechts, bald links auf die nackten, schweißtriefenden Schultern hauen darf, worauf der arme braune Kerl sogleich keuchend nach der betreffenden Richtung umlenkt. Doch man gebe wohl acht! Das zweibeinige Droschkenpferd ist so sehr an fortwährende Lenkung gewöhnt, daß es wenig hilft, ihm eine Adresse anzugeben; sobald man sitzt, hebt der Mann die Deichsel hoch und rennt dann, wie von den Furien gejagt, drauf los, immer schnurstracks geradeaus, ohne abzusetzen oder umzubiegen, [5] bis er seinen Klaps auf der Schulter verspürt. Wie mancher ist auf diese Weise statt in ein gewünschtes Theater auf einen abgelegenen Friedhof befördert worden!
Die landschaftlich ungemein reizvolle Fahrt erinnert uns daran, durch wieviel Hände diese herrliche Insel als Zankapfel habsüchtiger Völker gegangen ist. Jener stille Friedhof umschließt die verwitterten Denksteine portugiesischer Eroberer, und diese älteren einstöckigen Häuser hier erzählen von den einstigen holländischen Kolonisten, die in allen Klimaten ihre heimatlichen Türen und Fenster mit Glasscheiben beibehalten; die Engländer ziehen dagegen in ihren Bungalos sogenannte venezianische Vorhänge vor, die aus Schnüren bestehen, auf denen längliche, buntfarbige Glasperlen aufgereiht sind, so daß die hübsch gemusterten Gitter zwar einen beständigen Luftwechsel erlauben, jedoch das Eintreten der stets barfuß herumschleichenden Diener oder anderer Eingeborenen durch das Klappern und Rauschen der Perlenschnüre verraten; mit Wasser besprengt, dienen sie zugleich zum Abkühlen der Luft in den Zimmern.
Dem üppig grünenden Boden, worüber wir hinrollen, sieht man es nicht mehr an, wie blutgetränkt er ist, und nur dem Kundigen rauschen die Palmwipfel, unter denen unser Wagen dahinfährt, einen furchtbaren Sang von unglaublichen Scheußlichkeiten, die hier nicht etwa von barbarischen Kannibalen oder anderen Menschenhyänen, sondern von weißen Kulturträgern verbrochen wurden, die einander die fruchtbare, schätzereiche Insel abzujagen strebten.
Die ursprünglichen Eroberer Ceylons kamen bereits lange vor Christi Geburt vom indischen Festlande herüber. Arische Indier aus dem Gangestale unterwarfen die fast wilden Urbewohner, die Weddas[WS 5], und führten Gewerbe und Ackerbau, Künste und Wissenschaft ins Land, und buddhistische Sendboten drückten dieser Kultur den Stempel religiöser Weihe auf. Vielfach wird geglaubt, daß das Eiland von diesen Buddhisten Sinhala Dwipa d. h. Löwen-Insel genannt wurde, weil ihr Religionsstifter den Zunamen des „Löwen“ führte, weshalb die Schreibung Sinhalesen der üblichen Singhalesen vorzuziehen ist[WS 6]; andere halten es für wahrscheinlich, daß bei der Namengebung die Legende mitwirkte, wonach der erste mythische Eroberer und Kolonisator Ceylons von einem Löwen und einer geraubten indischen Prinzessin abgestammt sein soll. Afrikanische Löwen haben jedoch Ceylon ebensowenig wie Indien unsicher gemacht, und nur der mähnenlose persische Löwe soll in früheren Zeiten im nördlichen Indien gehaust haben.
Nach diesen ersten Fremdherren machten sich die Phönizier und später, d. h. vor nunmehr tausend Jahren, handeltreibende Araber für lange Zeit zu Herren des wertvollen Landes. Zufällig kam jedoch im fünfzehnten Jahrhundert der an den Küsten herrschende Sinhalesenkönig mit Portugiesen in Berührung und bat sie um Beistand gegen die Araber, indem er ihnen dafür reiche Zimtgaben darbot. Aber auch die Portugiesen machten sich im Laufe der nächsten anderthalb Jahrhunderte durch Anmaßung und Willkür ebenso mißliebig wie die Araber, so daß fortwährende Streitigkeiten mit den Selbstbewußteren [6] unter den Eingeborenen entstanden, namentlich mit den über die Bergvölker im Innern gebietenden und nach Unabhängigkeit trachtenden Herrschern. Nachdem diese von den Portugiesen die Herstellung von Feuerwaffen gelernt hatten, überflügelten sie bald die fremden Lehrmeister in dieser Kunst, setzten den Eindringlingen immer härter zu und engten sie schließlich so dicht ein, daß Hungersnot unter den Belagerten ausbrach, wobei die Portugiesen selbst die Leichen ihrer Gefallenen eingesalzt und verhungernde Mütter sich mit ihren eigenen Kindern gesättigt haben sollen! So oft aber die Portugiesen in diesen Drangsalen einen vorübergehenden Erfolg errangen, hausten sie schlimmer als blutgierige Bestien in dieser idyllischen Umgebung Kolombos, durch die wir soeben dahinfahren; den Tapfersten der eingeborenen Gefangenen rissen vertierte portugiesische Soldaten in abergläubischer Gier sogar das Herz aus dem lebendigen Leibe, um das Blut daraus zu verschlingen! So war es kein Wunder, daß diese Grausamkeiten zu einem wahrhaft entsetzlichen Blutbade ausarteten, als im Innern der Insel ein Gegenkönig[WS 7] ausgerufen wurde und dieser mit 50 000 Kriegern und 2000 Elefanten vor Kolombo marschierte. Wer unter den Küstenbewohnern auch nur im geringsten verdächtig schien, dem anrückenden Heere hold zu sein, wurde von den Portugiesen ohne weiteres niedergemetzelt; Kinder wurden vor den Augen ihrer gefesselten Eltern Krokodilen vorgeworfen und zuvor mitleidlos bei lebendigem Leibe in Stücke zerhackt, um ihnen erst noch schnell die goldenen Spangen von Händen und Füßen abstreifen zu können.
Durch diese kritischen, gärenden Zustände wurde Portugal genötigt, die Insel Ceylon nach und nach mit 20 000 Soldaten zu überschwemmen, so daß durch diese ungeheuren Kriegskosten die Handelserträge mehr als aufgebraucht wurden. Hätten die Portugiesen übrigens nicht die vom Gegenkönig bedrohten eingeborenen Fürsten auf ihrer Seite gehabt, so würden sie zweifellos bald mit Stumpf und Stiel ausgerottet gewesen sein. Aber selbst während dieser 150 Jahre lang tobenden Unruhen und Kämpfe blühte der Hafenplatz Kolombo durch den dort stetig lebhafter werdenden Handelsverkehr und die zunehmende Ansiedelung wohlhabender Portugiesen.
Doch gegen Ende des sechzehnten Jahrhunderts änderte sich die Lage. Die durch den Fanatismus Philipps des Zweiten von Spanien[WS 8] gereizten Holländer erschienen in der Heimat der köstlichen indischen Waren, die sie bisher immer nur in Lissabon für teures Geld eingehandelt und von dort nach Holland weiter verfrachtet hatten. Sie hielten es sofort mit dem inzwischen zum Kaiser ausgerufenen Gegenkönig aus dem Innern[WS 9], kaperten zum überzeugenden Beweis ihrer Gesinnung einen reichbeladenen portugiesischen Kauffahrer, den sie dem Sinhalesenkönig schenkten, und hatten bald die Genugtuung, in der Bergresidenz Kandi[WS 10] festlich empfangen zu werden, wobei alle gefangenen Portugiesen mit abgesäbelten Ohren vor den neuen weißen Ankömmlingen vorbeiziehen mußten.
Doch so ganz traute der Kaiser auch den neuen weißen Freunden aus Holland nicht; aus Furcht vor ihrer so nachdrücklich auf den Plan getretenen [7] Macht bot er sogar den von ihm besiegten Portugiesen seinen Beistand an, als die Holländer von Batavia her im Jahre 1658 gegen das portugiesisch gebliebene, zu Ehren des Kolumbus aus Kalan Bua umgetaufte und damals wohlbefestigte Kolombo anrückten; die Holländer blieben Sieger und für hundert Jahre die Herren der Insel.
Die sich währenddessen in Madras ansiedelnden Engländer fingen bald an, mit neidischem Verlangen von Indien aus nach Ceylon zu blicken, und legten sich abwartend auf die Lauer. Sie paßten einen für sie günstigen Zeitpunkt ab, zettelten, als die Holländer in Europa von dem republikanischen Frankreich hart bedrängt wurden, mit dem Bergkönig Intrigen gegen sie an und besetzten 1796 die Küste. Die in die Berghauptstadt Kandi gelegte englische Besatzung von 300 Briten wurde jedoch im Jahre 1803 von den Kandiern überrumpelt und bis auf den letzten Mann niedergehauen, wobei nur die 700 gleichzeitig gefangenen, als Kanonenfutter in englischem Sold stehenden malaiischen Sipeus verschont wurden.
Die Engländer vertagten die Rache für ihre furchtbare Niederlage, bis in der Bergresidenz Unruhen wegen der Grausamkeit des Königs ausbrachen, dessen Hauptstadt Kandi sie im Jahre 1815 stürmten und ihn selbst vom Throne stießen. Damit hatte England auch hier schließlich einen der allerkostbarsten Erdpunkte ergattert, wie es bekanntlich stets und überall verstanden hat, bei Streitigkeiten anderer Völker, die England zunächst gar nichts angehen, als schlauer tertius gaudens die fettesten Bissen für sich beiseite zu bringen. Kann da der stille, grimmige Unmut aller anderen auf diese Weise verkürzten oder überlisteten Nationen befremden, über den sich das unersättliche England manchmal sogar noch wundert und mit der Miene gekränkter Unschuld beschwert?
[8] Wie versöhnlich und friedvoll wirken gegenüber diesen herben geschichtlichen Erinnerungen die blendend weiß aus dem Palmengrün hervorschimmernden Dagobas, vor denen Händler mit Opferblumen oder Kuchen und Süßigkeiten, warmem Palmwein und Betelblättern an der Landstraße hocken! Dicht daneben steht oft ein Sammeltisch für fromme Geldspenden, den eifrige Missionare an der Straße aufgestellt haben. Allerdings scheint das Christentum der getauften Eingeborenen von einer ganz besonders dehnbaren Art zu sein, denn dieselben Leute, die mit andächtig zusammengelegten Händen christliche Gebete an dem Opferstock murmeln, kann man häufig vorher in irgend einem, dem Buddha geweihten Tempel die Figur dieses edlen Religionsstifters mit weißen Jasminblüten bekränzen und zum Überfluß auch noch einer dicht dabei dargestellten brahminischen[WS 11] Gottheit ein Blumenopfer darbringen sehen; mehr an Toleranz wird wohl niemand verlangen.
Auch ein Schlangenbeschwörer scheint von dem regen Verkehr auf der Landstraße nach Point de Galle seinen Nutzen ziehen zu wollen; der Mann ist, wie man an seiner genähten Kleidung und gestickten Kappe erkennt, kein Hindu, sondern ein Mohammedaner und keine so phantastische Erscheinung, wie seine hochbeturbanten brahminischen Kollegen von der Lankur-Nad-Gilde[WS 12] auf dem indischen Festlande. Seine Wundertiere, ein paar bereits bedenklich ermattete [9] ekelhafte Brillenschlangen oder Kobras, bleiben bis zum Offnen der Körbe darin zusammengeringelt liegen und stellen sich erst auf einen Pfiff des Gauklers auf den Schwanz, um sich träge bald hier- bald dorthin zu wiegen und zu neigen. Ob diesen Vipern wirklich immer die Giftzähne, die sich doch stets erneuern, ausgezogen werden, oder ob sich diese Sorte Zauberer durch Einspritzungen von Schlangengift immun gegen die Bisse macht, kann ich nicht entscheiden; ich halte es aber für viel wahrscheinlicher, daß diese Leute ihre Schlangen mit einem Tuch reizen, bis diese wütend zubeißen, ihren Giftvorrat dort hinein entleeren und dadurch nach und nach weniger bissig werden. Jedenfalls leben solche Schlangen trotz reichlicher Fütterung mit Milch und Brot in der Gefangenschaft nicht lange, was bei der erwähnten „reizenden“ Behandlung auch kein Wunder ist.
Wir tun besser, weiterzugehen, ehe der große Mann seine Glanznummer vorführt, den widerlichen Kampf einer solchen Schlange mit ihrem Todfeind, dem Ichneumon oder Mangus[WS 13]. Dies flinke kleine Tierchen ist nicht etwa gegen das Schlangengift unempfindlich, sondern so gewandt, fast regelmäßig der Kobra den Hals und damit die Giftdrüsen zu zerfleischen, bevor diese ihren Rachen erfolgreich zuschnappen kann. Für gewöhnlich sind die Giftdrüsen der Kobraschlange am Fuße des Zahnes durch einen Muskel geschlossen und werden erst nach einem Drucke mittels eines anderen Muskels durch einen feinen, den Zahn durchziehenden Kanal in die Wunde entleert, die dieser Zahn zuvor gestochen hat.
Nach einstündiger Fahrt sind wir in Mount Lavinia. Eine klippenreiche Bucht liegt vor uns, von dichtem Palmwald umsäumt. So, gerade so malerisch haben wir uns den Strand von Ceylon vorgestellt! Doch niemand darf deswegen glauben, daß die ganze Insel so fruchtbar grünt wie hier im Süden; im regenärmeren Nordosten ist ihr Gestade stellenweise sogar sandig und kahl.
Den Palmen zu Füßen führt hart am Strande der Bahndamm entlang. Die Erbauer durften sich diese Kühnheit erlauben, denn die Küste ist hier durch ein weiter draußen unter der Meeresfläche liegendes tückisches, der Schiffahrt höchst verderbliches Riff vor übermäßigem Wogenschwall gesichert, den sie aus zweiter Hand empfängt.
Bald ändert sich das Aussehen der Bucht. Mit den Flutwellen kommen die Schiffer, die in dem nahen Fischerdorfe wohnen; in ihren Auslegerbooten vom Fange heim. Welch unvergleichlich seltsames Schauspiel, wenn diese vorweltlichen Kähne mit vom Wind geschwellten braunen, aus Kokosnußfaser geflochtenen Segeln unter gewaltigem Rauschen mitten in das grüne Palmendickicht hineinschießen! Bis zehn Seemeilen in der Stunde vermögen diese plumpen Boote zu segeln.
[10] Mit vereinten Kräften werden die Boote sogleich nach dem Landen zum Schutze gegen die rasch emporsteigende Flut vom Ufersand weit aufs Land hinaufgeschoben; dann erst wird die Fischbeute verteilt, verkauft und von Zwischenhändlern schleunigst nach Kolombo verfrachtet. Was für Meeresschätze kommen dabei aus der purpurnen Tiefe an das blendende Tropensonnenlicht! Greuliche Krebse, seltsam geformte Riesenfische und Muscheln und Algen und Quallen und Untiere, um nicht zu sagen Übertiere, von allen erdenklichen Formen und Größen. Wie kriecht und gleitet dieses kunterbunte, schleimige, weiche Gewirr durcheinander! Empfindsame könnten von Ekel und Grausen übermannt werden, sähen sie nicht die fröhlichen Mienen des Hotelkochs, der mit derartigen Sachen vortrefflich umzuspringen weiß; bald werden auch wir angesichts seiner knusprig braun gebackenen Ragout fins vergessen, woraus sie bestehen.
Mit einer wahren Engelsgeduld fischen die kleinen Kerle zwischen den Granitblöcken, Sandsteinklippen und Korallenriffen herum, die diese Küste seit uralten Zeiten bei Stürmen so gefürchtet gemacht haben, wenigstens solange der schützende Wellenbrecher bei Kolombo noch fehlte und höchstens die Reede vor Point de Galle eine nicht immer sichere Zuflucht bot. Man muß den Anprall und das haushohe Aufspritzen der Wogenberge gesehen haben, deren Gewalt dieser ungeheure Wellenbrecher unter dem Brüllen und Wutgeknirsch der Wasser vernichtet, um einen Begriff von dem Schicksal eines hier etwa hilflos [11] dem Sturme verfallenen Schiffes zu bekommen! Dies Schauspiel bleibt freilich den Vergnügungsreisenden gewöhnlich versagt, die für ihren Ausflug nach Indien die sturmlose, kühle Zeit des Jahres vom November bis April bevorzugen.
Kein Besucher Ceylons braucht sich jedoch abschrecken zu lassen, aus Angst vor Haifischen ein Seebad zu nehmen; die Jagdgründe dieser nimmersatten Raubfische liegen weiter draußen, außerhalb der bereits erwähnten Barre von Riffen, und für den Fall, daß sich wirklich ein solcher Pirat in die Nähe des Ufers verirrt, mieten vorsichtige Badelustige hier zu Lande ein paar Burschen, die überall am Strande herumlungern, um Hunde oder sonstige Haustiere zu baden; die Jungen müssen dann das Wasser um den Badenden herum durch Schlagen und Strampeln mit Armen und Beinen in Bewegung versetzen und die Haifische wegscheuchen, die nach weißem Menschenfleisch besonders gierig sind, und dieses dem farbigen bei weitem vorziehen sollen; ob hieran die vegetarische Ernährungsweise und Magerkeit der Eingeborenen oder die im Wasser weniger auffallende Farbe ihrer dunklen Haut oder deren Ölüberzug schuld ist, kann ich freilich nicht sagen. Für die Sinhalesenmütter sind jedenfalls die Krokodile viel besorgniserregendere Störenfriede als die Haifische, und überall sieht man in den Wasserläufen durch Zweige und Stabgitter gegen diese Räuber geschützte Badestellen, die aber nur selten helfen, da das Krokodil schlau genug ist, ans Land und vom Ufer aus in die eingehegte Badestelle zu kriechen; es versteckt sich dort geduldig unter der Wasserfläche, bis die unbesorgte Mutter ihr Kindchen hineintaucht, um zuerst dieses und häufig auch die schreckgelähmte Frau zu verschlingen.
Die Sinhalesenknaben erscheinen durch ihre Lockenköpfchen auffallend hübsch. Aber diese Schönheit dauert nicht lange; sowie die Burschen herangewachsen sind, wird die Mähne unbarmherzig mit Hilfe von Öl straff nach hinten gestriegelt und zusammengeknotet. Heiratet dann der junge Mann, so darf und muß er fortan als Kopfschmuck einen Kamm ins Haar stecken, wie ihn bei uns die kleinen Schulmädchen tragen. Diese Kämme dienen zugleich dazu, „Leute“ zu machen, indem nur Vornehme einen vom Kopf abstehenden Kamm tragen dürfen. Die Mittelklassen stecken ihn anliegend ins Haar, und dem niederen Volk ist der Kamm sogar völlig versagt.
Was für idyllische Familienbilder kann man am frühen Morgen in den Höfen der Sinhalesen wahrnehmen! Mit der liebevollen Sorgfalt überzeugter Kneippianerinnen verabreichen dann die Sinhalesenmütter ihrem in einer Wanne kauernden Baby einen lauwarmen Nackenguß nach dem anderen. Häufig sind daneben Großmutter, Mutter und Kind mit einem geheimnisvollen Tun beschäftigt, dessen Sinn man nicht gleich zu fassen vermag, und erst allmählich wird dem Fremdling der tiefere Sinn dieser Kopfuntersuchung mit Schaudern klar.
Nicht minder zwanglos geht es in anderen Höfen zu; harmlos wie im Paradiese sah ich in einem solchen einmal ein fast unbekleidetes Sinhalesenmädchen zwischen Ziegen und Kälbern im Heu und auf Stroh sitzen und sich abquälen, einem gefangenen jungen Äffchen, das sie an den jugendlichen Busen [12] drückte, einen leckeren Bissen von einem frischen Kokosnußkern in das Mäulchen zu zwingen.
In wahres Erstaunen gerät der Ankömmling auf Ceylon besonders dort, wo hoch über der unabsehbaren, geheimnisvollen See sturmzersetzte Palmwipfel wehen, deren Rauschen in dem Wogengemurmel verklingt. Keck wachsen die Palmstämme vom Lande weit über das schäumende Meer hinaus, als wollten sie den Seefahrer mit verlangenden Armen umklammern und festhalten in seinem eiligen Lauf, um ihm die noch weit köstlichere Naturherrlichkeit der inneren Insel zu enthüllen. [13] Niemals ermüdet ein solches Nebeneinander von Seestrand und Palmen das Auge, das sich sonst gar leicht an Waldungen aus Kokospalmen sattsieht, deren langweilig schlanke, immer glatte Stämme gewöhnlich Stück für Stück mit Teerringen gegen das Emporkriechen schädlicher Insekten geschützt sind. Noch abscheulicher sieht ein solcher einförmiger Wald von Palmstämmen aber aus, wenn diese mit dürren stachlichten Blättern umwickelt sind, die das Erklettern der Bäume und das Stehlen der Kokosnüsse verhindern oder durch das Rascheln der Blattmäntel verraten sollen.
Wie wunderbar kühlend schmeckt der Kernsaft solcher Nuß! In früher Morgenstunde, wenn die Kühle der Nacht noch nicht aus der Frucht gewichen ist, und angesichts der aus dem Meer aufsteigenden Sonne, gehört ein solcher Trunk zu den köstlichsten Erquickungen der Erde! Dieser Kokosmilch schreiben die Sinhalesenärzte starke Heilkraft bei Nierenleiden zu, und es lohnte sich für wohlhabende Patienten dieser Art wohl einmal der Versuch einer interessanten Badereise nach Ceylon. Aber auch die scheinbar wertlose Faserhülle, in die der Kokosnußkern eingebettet ist, wird in ausgiebiger Weise benutzt. Vor vielen armseligen offenen Hüttchen sieht man ganze Haufen von derartigem mürben Bast, der aus zerschlagenen Kokosnußschalen herausgekämmt und hierauf mit einem Knüppel wie mit einem Flachsbrecher geschmeidig geklopft wird; andere Sinhalesinnen drehen dann die weichgedroschenen Bastfasern zwischen den Handflächen zu Koir, d. h. zu dünnen Schnüren zusammen, die später auf Seilerrädern zu Stricken oder Tauen und schließlich auf Webstühlen zu Hängematten, Netzen, Decken und Läufern, ja selbst zu Segeln verflochten werden. Derartige Fabrikate der Hausindustrie bilden einen nicht unwesentlichen Teil der aus den Kokospalmen gewonnenen Ausfuhrartikel.
Damit ist jedoch die Verwertung der Kokosnuß noch keineswegs erschöpft; viel wertvoller als ihr Saft und Bast und ihre steinharten Kernschalen, die gern als Wassergefäß für Wasserpfeifen verwendet oder zu zierlichen, oft mit Gold- und Silberfiligran eingelegten Behältern ausgeschnitzt werden, ist das weiße nahrhafte Nußfleisch, das den Kern auf der Innenseite überkleidet. Zur Gewinnung dieses Materials wurde der Anbau der Kokospalmen von den Holländern zwangsweise eingeführt und kontrolliert, so daß nunmehr für jede [14] tragende Palme eine Abgabe erhoben werden kann. Aus diesem Kopperah genannten fetten Kernfleisch wird in von Rindern getriebenen Mühlen das Kokosöl herausgequetscht, das nicht nur als Brennöl und zur Seifenfabrikation dient, sondern auch den Eingeborenen die Seife ersetzt; um sich z. B. die Hände gründlich zu reinigen, reibt sie der Sinhalese wie der Hindu mit Öl ab, und ebenso wird der ganze Körper nach dem täglichen Bade sorgfältig geölt und massiert, wodurch er allmählich jene aalgleiche Geschmeidigkeit erlangt, die den Europäer so oft in Erstaunen setzt.
Solch eine Ölquetschmühle oder Ua besteht aus weiter nichts als einem riesigen, fest in die Erde gerammten Holztiegel, worin ein schrägstehender, mit der langen Deichselstange verbundener dicker Stempel herumgedreht wird, der die Nußfleischstücke fest gegen die Tiegelwandung drückt, zermalmt und auspreßt; selbst die Preßrückstände sind noch als Dungmittel von beträchtlichem Wert. Die vier bis sechs Meter langen Blätter der Kokospalme geben ein treffliches Bedachungsmaterial für Häuser und Wagen ab, und selbst die Knospen dieser Blätter liefern ein schmackhaftes Gemüse; das allerdings etwas schwammige Holz dient zu Bauzwecken, und aus dem Saft der Nüsse wird durch Gärung ein überaus beliebter Schnaps erzeugt —- kurz, der Nutzen dieses Baumes ist so vielseitig wie möglich.
Der Wert der aus Ceylon verschifften Kokosnußprodukte hat sich im Jahre 1901 auf rund 27 Millionen Mark[WS 14] gehoben, worunter Kokosnußöl mit [15] etwa 7½ Millionen, Kopperah mit 6¾ Millionen, Nüsse mit 4½ Millionen, Kokosfasererzeugnisse mit 2¼ Millionen die Hauptposten sind. Der Eingeborene kennt in seinen Ansprüchen an die Leistungen der Kokospalme keine Grenzen, weil er weiß, wie überverschwenderisch die Naturkraft seiner Zone ihren Segen verschleudert; gewandt klettert er in die Palmwipfel hinauf, wo der Blütenbüschel sprießt und duftet, kerbt ihn und hängt unter den Schnitt einen Krug, in den nun der Lebenssaft des Baumes hineintropft. Ist der Krug mit frischem Palmwein bis zum Rande gefüllt, so verklebt der Eingeborene die Wunde, damit der geduldige Baum auch noch seinen Nachkommen gleiche Wohltaten zu spenden vermag. Hundert volle Jahre lang läßt sich die Kokospalme dieses unaufhörliche Anzapfen ruhig gefallen, dann bekommt der schlanke Baum es satt, dem undankbaren Menschen Ströme süßen Saftes oder Jahr für Jahr hundert schöne Nüsse zu opfern, er verdorrt plötzlich und stirbt. Die Geschicklichkeit, die zu dieser, für den Baum leicht lebensgefährlich werdenden Saftentziehung erforderlich ist, sichert den Toddy-Zapfern ein besonders hohes Ansehen; in der gesellschaftlichen Rangordnung der Sinhalesen folgen sie gleich hinter den Landbesitzern und Fischern an dritter Stelle, dann erst kommen Handwerker, Pflanzungsarbeiter und zuletzt, wie auch in Indien, die Barbiere und Wäscher.
Nicht weit von dem Dorfe Wellalawella liegt eine Zimtpflanzung, die ich gelegentlich besucht habe. Es fiel mir auf, daß dort nicht wie sonst auf ceylonischen Arbeitsplätzen fröhliches Lachen und Schwatzen erklang; seitdem aber die holländischen Pflanzer im Jahre 1767 eine verfeinerte Zimtkultur des wilden Baumes einführten, gilt der Brauch, die Arbeiten möglichst stillschweigend zu verrichten, weil der menschliche Hauch den Duft des Gewürzes beeinträchtigen soll, was bei dem unmäßigen Zwiebelgenuß seitens der Arbeiter einigermaßen begreiflich erscheint. Dieser zarte Wohlgeruch — ich meine natürlich den nach Zimt — durchdringt nicht nur alle Teile des Baumes, sondern auch die ganze Umgebung der Pflanzung und soll sogar eine seltsame Verräterrolle gespielt haben. Den Arabern war es nämlich bis zum 16. Jahrhundert gelungen, zu verheimlichen, wo ihre sie so fabelhaft bereichernde „Zimtinsel“ läge und dies Geheimnis geraume Zeit zu hüten, weil nur die regenreiche südwestlichste Provinz Ceylons wildwachsende Zimtbäume hervorbrachte; der balsamische von Ceylon herüberwehende Duft derselben soll aber endlich doch einigen besonders feinen Seemannsnasen auf dem Meere aufgefallen sein und zur Entdeckung der Zimtheimat geführt haben; mir freilich ist dieser Zimtduftgenuß auf dem Meere über dem Zigarrenrauch meiner Schiffsgenossen leider niemals zu teil geworden.
Höchst ergötzlich ist die Geschicklichkeit, mit der die schelmisch blickenden Sinhalesenmädchen die Rinde auf beiden Seiten der Schößlinge des Zimtbaumes mit rundgebogenen Messern aufschlitzen und mit einem Holz abstreifen, [16] während ihr gewandter Fuß das Bäumchen gegen einen Holzschemel drückt, nachdem zuvor das grüne Oberhäutchen durch Kinderhände ganz leise von der Rinde abgeschabt worden ist. Die abgezogenen Zimtrinden werden schließlich auf Hürden in der Sonne getrocknet, dann werden aus längeren und kürzeren Stücken gleichlange Rohre zusammengeschoben, diese zu Bündeln verschnürt und so versendet. An Stelle des kostbaren echten Zimts wird jedoch in unserer praktischen Zeit sehr häufig eine andere indische Lorbeerart, die weniger edle Zimtkassie, untergeschoben, von der ebenfalls nur die dünnsten, ein- bis dreijährigen Schößlinge verwendet werden. Durch diese Verfälschung ist es möglich, daß der Preis für ein Pfund Zimt von etwa 20 Mark zur Zeit der Holländer auf kaum eine Mark heruntergegangen ist. Die Gesamtausfuhr an Zimt hatte im Jahre 1901 einen Wert von 31/4 Millionen Mark.[WS 15]
Das sehr kurze weiße Jäckchen der Zimtarbeiterinnen ist nicht nur eine überaus bequeme Tracht, in der bei der Arbeit alle Muskeln vollkommen zwanglos spielen können, sondern auch ein Standesvorrecht; eine gewöhnliche Gartenarbeiterin darf es nicht tragen. Dagegen überlassen die Sinhalesinnen den Schmuck des Haares mit kostbaren Kämmen völlig den Männern und begnügen sich mit einem Halsband aus Perlen, Korallen, oder aus mehr oder weniger edlem Metall.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ WS: Kolombo: vergleiche Colombo
- ↑ WS: Rupie: vergleiche Indische Rupie
- ↑ WS: Point de Galle: vergleiche Galle (Stadt)
- ↑ WS: Rickscho, Dschinricksho: vergleiche Rikscha (aus dem japanischen jinrikisha)
- ↑ WS: Weddas: vergleiche Veddas
- ↑ WS: Sinhalesen, sinhalesisch: vergleiche Singhalesen, Boeck folgt hier offenbar bewusst der englischen Transliteration
- ↑ WS: Rajasingha I. von Sitawaka (regierte 1581-1592)
- ↑ WS: Philipp II. (König von Spanien und Portugal in Personalunion)
- ↑ WS: Rajasingha II. von Kandy (regierte 1629–1687)
- ↑ WS: Kandi: vergleiche Kandy
- ↑ WS: brahmanisch/brahminisch: Kurt Boeck meint damit hier und an späteren Stellen des Buchs nicht den Brahmanismus, sondern den Hinduismus, vertreten durch die Kaste der Brahmanen (englisch: Brahmins, die verwendeten Adjektive variieren zwischen i und a).
- ↑ WS: Lankur-Nad: Gilde (Volksgruppe/Kaste?) konnte noch nicht identifiziert werden
- ↑ WS: Mangus: vergleiche Mungo (Herpestes edwardsii)
- ↑ WS: entspräche 2018 ca. 179 Mio. €
- ↑ WS: entspräche 2018 ca. 21,6 Mio. €