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Blätter werden mit geschicktem Wurf über die Schulter in den Tragkorb geschleudert.

Die Behandlung der Theeblätter erscheint zwar sehr einfach, erfordert aber ziemlich viel Erfahrung. Zunächst werden die Blätter in heißen Räumen getrocknet, und dann auf Maschinen gerollt; doch wird vielfach vorgezogen, die Blätter durch Arbeiterinnen mit den Händen rollen zu lassen. Dann wird durch mäßigen Druck der Saft aus den Blättern gequetscht, worauf sie in gelinde Gärung geraten, in der sie einige Zeit verbleiben. Wird diese Gärung nicht unterdrückt, was neuerdings viele Pflanzer auf Ceylon erstreben, indem sie die gerollten und gepreßten Blätter sofort auf einer Darre trocknen, so hellt sich das dunkle Grün zur Farbe von Grünspan auf. Auch das schließliche nochmalige Trocknen, Sortieren und Auflockern mittelst Schüttelmaschinen sind Arbeiten, die unablässige Aufmerksamkeit erfordern.

Weit weniger dankbar als die Anpflanzung von Thee scheint die von Kakao zu sein, da dieser Strauch erst nach sieben, Thee aber bereits nach drei Jahren ertragsfähig wird und neben besonders geschützter Lage und gutem Boden fortwährende Arbeit beansprucht; dafür wirft seine Kultur stetig steigenden Gewinn ab, seitdem die Kulturmenschheit erkannt hat, wie bedeutend der Nährwert der Frucht dieser von den Botanikern Theobroma oder Götterspeise getauften Pflanze ist. Beim Aussortieren der aus den Schoten gelösten Kakaobohnen scheinen die Arbeiterinnen wie braune Aschenbrödel vor sich hin zu summen: Die guten ins Körbchen, die schlechten aufs Deckchen! während sie die einzelnen Bohnen mit größter Eile prüfend durch die Finger gleiten lassen.

Es war noch ziemlich früh am Morgen, kurz vor acht, als ich an dem Wohnhaus eines Pflanzers anlangte, der mich eingeladen hatte, den besonders reichen Kakaoschoten-Segen seiner Pflanzung gelegentlich in Augenschein zu nehmen. Wohl wissend, daß die Herren Landwirte Frühaufsteher zu sein pflegen, pochte ich an eine Thür, hinter der Geräusch und Stimmen erklangen, aber als ich sie öffnete, glaubte ich, in die Erde sinken zu sollen, denn eine lebendig gewordene Hogarthsche Karikatur schien vor mir zu spuken![WS 1] Als ob in der Stube das wüste Studentengelage in Auerbachs Keller durchprobiert würde, so heulte, jodelte und quiekte mir ein Chorus angetrunkener Pflanzer mit gläsernen Augen und gefüllten Whiskybechern einen fröhlichen Willkommengruß entgegen. Ein Berg geleerter Flaschen mit allen erdenklichen Etiketten bewies, wie rüstig die wackeren Leutchen hier die ganze Nacht hindurch gearbeitet hatten. Ein paar Abgefallene lagen in Armsesseln herum, wo sie gerade hingetaumelt und eingenickt waren, und selbst in dem anstoßenden Badezimmer hörte ich jemanden röcheln.

Ein Nüchterner spielt zwischen Angeheiterten stets eine fatale, manchmal sogar eine gefährliche Rolle. Erst wenige Tage vorher hatte ich mich hiervon zu überzeugen Gelegenheit gehabt, und mit Besorgnis erinnerte ich mich an jene aufregende Szene. Auch dort war ich ebenso zufällig in eine ähnliche

feucht-fröhliche Tafelrunde geraten, wo die Zechbrüder allerlei rare Dinge

Anmerkungen (Wikisource)

  1. WS: Hogarthsche Karikatur: vergleiche William Hogarth (1697-1764), englischer Künstler, bekannt unter anderem durch karikierende Sittengemälde)
Empfohlene Zitierweise:
Kurt Boeck: Durch Indien ins verschlossene Land Nepal. Ferdinand Hirt & Sohn, Leipzig 1903, Seite 23. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Durch_Indien_ins_verschlossene_Land_Nepal.pdf/45&oldid=- (Version vom 1.7.2018)