Seite:Durch Indien ins verschlossene Land Nepal.pdf/54

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Mönch, dessen blankrasierter, geölter Schädel wie ein Metallspiegel schimmert, den verstreuten Wohnhäuschen der Sinhalesen. In ehrfurchtsvoll gebeugter Haltung tritt die Hausfrau aus ihrer Tür und entleert niedergeschlagenen Blickes ihre Opferspende für die Tempelbewohner in Gestalt eines Tellers voll Reis in den Almosenkorb oder Topf oder auch nur in den ausgestreckten Mantelzipfel des Bettelmönches. Seit alten Zeiten sind die Eingeborenen gewohnt, von ihrem Reisbesitz mitzuteilen, da sie dem Fiskus an Stelle der Geldsteuern den zehnten Teil ihrer Reisernte liefern müssen.

Das demütig sein sollende, aber oft recht selbstbewußte Gebaren der Pungis beim Einheimsen des Reises wirkt auf uns fast ergötzlich. Nach Buddhas Lehre muß nämlich ein rechter Pungi, wie ihn z. B. der Derwisch in Lessings Nathan darstellen soll, vollkommen besitzlos sein, auf irdische Habe nicht den mindesten Wert legen und nur genießen, was er unaufgefordert erhält; ferner soll er frei von jeder Eitelkeit fein, und deshalb stets in demselben Mantel gehen und diesen immer und immer wieder flicken, wenn er zu zerfallen droht, auch soll er den nicht ansehen, der ihm etwas schenkt, den Wert des Geschenkten nicht beachten und für die Gabe nicht danken, was jedoch manchmal so aussieht, als schritte der Mönch in dem stolzen Gefühle davon, seinerseits den Geber zu Dank verpflichtet zu haben, weil er ihm Gelegenheit bot, eine fromme Tat zu vollziehen. Alle diese asketischen, wohlgemeinten Vorschriften des „großen Lehrers“ werden im allgemeinen nicht mehr streng befolgt. So sollen sich die Mönche z. B. beim Einsammeln des Reises einen Palmblätterfächer vor das Gesicht halten; häufig sehen sie aber ganz gemütlich darüber hinweg oder schlagen, falls sie keinen Fächer bei sich tragen, den Blick des zur Erde gesenkten Hauptes von unten nach oben empor, um die Spenderin und ihre Gabe zu mustern, die mit betend aneinander gelegten Händen in tiefer Verbeugung zu verharren pflegt, bis die gelbbemäntelte Gestalt des Priesters außer Sehweite gekommen ist. Ebenso wird, falls der Pungi glücklicher Besitzer eines ihm von einem Verehrer gestifteten prächtig-goldgelben neuen Mantels ist, das Gebot, ein zerschlissenes, geflirktes Gewand zu tragen, in der Art befolgt und umgangen, daß in irgend einem Eckchen des schönen Mantels ein winziger Flicken aufgesteppt wird; hin und wieder bekommt man sogar Mäntel zu sehen, die mit sichtlicher Liebe hergestellte weibliche Handarbeiten in Gestalt von Mosaikmustern aus gelben und braunen Zeugfleckchen darstellen. Auch wirkt es auf uns etwas komisch, daß sich die Mehrzahl dieser Pungis, besonders die jüngeren, bis zum Verwechseln ähneln, da sie alle gleichermaßen Augenbrauen, Bart und Schädel rasieren, und in ganz gleicher Weise den gelben Mantel wie eine römische Toga um die Büste hängen, wobei die rechte Schulter stets frei gelassen wird.

Als Buddhisten sind die Sinhalesen und demgemäß auch ihre Pungis von jedem religiösen Fanatismus vollkommen frei; mit rührender Toleranz gestatten sie sogar das Aufstellen und Verehren brahminischer Gottheitsbilder in ihren Tempeln, und seit mehr als tausend Jahren fanden aus Religionshaß

Empfohlene Zitierweise:
Kurt Boeck: Durch Indien ins verschlossene Land Nepal. Ferdinand Hirt & Sohn, Leipzig 1903, Seite 30. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Durch_Indien_ins_verschlossene_Land_Nepal.pdf/54&oldid=- (Version vom 1.7.2018)