Das Schulwesen oder dessen Fortschritte seit 1817 von Kopp in Ansbach 1825.

Textdaten
Autor: Johann Philipp Kopp
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Titel: Das Schulwesen oder dessen Fortschritte seit 1817
Untertitel: von Kopp in Ansbach 1825.
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Erscheinungsdatum: 1825
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Erscheinungsort: Ansbach (Neu-Anspach)[1]
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Originalherkunft: Handschriften der Nassauischen Landesbibliothek Wiesbaden, Hs. 192
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Einleitung

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In einem zu einer Broschur gebundenen Handschreiben preist der aus Niederems stammende Lehrer Johann Philipp Kopp das neu organisierte Schulwesen und die in seinen Augen positiven Veränderungen, die seit dem Schuledikt vom 24.04.1817, welches im Herzogtum Nassau die Gemeinschaftsschulen einführte und das zuvor zersplitterte Schulwesen des Herzogtums vereinheitlichte, eintraten.[2]

Durch das Edikt wurde erstmalig die Möglichkeit geschaffen, unabhängig von Geschlecht, Religion oder Stand eine Schule zu besuchen. Die Schüler und Schülerinnen sollten in verschiedenen Fächern, darunter Sprache, Religion, Sittenlehre, Singen, Lesen, Recht- und Schönschreiben, Rechnen, Erd- und Himmelskunde sowie in praktischen Fähigkeiten für das tägliche Leben, nach vorgegebenen Lehrbüchern unterrichtet werden.[3] Es stellte die erste umfassende staatliche Regelung im Bildungswesen dar und diente als wegweisendes Vorbild.[4] Seine bildungspolitischen Maßnahmen entfalteten eine überregionale Bedeutung, die über die Grenzen des Herzogtums Nassau hinausreichte.[5]

Transkription

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[I]
Das Schulwesen oder dessen
Fortschritte seit 1817.
von Kopp in Ansbach
1825.


[1]

Wie Vieles ist durch die neue Schulorganisation seit dem Jahr 1817 bis hierher für das Schulwesen schon gewonnen worden? Nämlich:
a.) in seinen äußern und
b.) in seinen innern Verhältnissen


Die Ueberzeugung: daß auf Erden nichts wichtiger ist, als die Bildung und Erziehung des heranwachsenden Menschengeschlechts, war unstreitig die Triebfeder, die unsere weise Regierung bestimmte zu den großen Veranstaltungen, welche sie zu diesem Zwecke in den Jahren 1816 und 1817 traf. Mit dieser neuen Schulorganisation brach die Morgenröthe in der Verbesserung des Schulwesens im Herzogthum Nassau an. Was durch sie nach dem Willen [2] der Regierung bewirkt werden und wie es geschehen sollte; schreibt die Schulordnung vor. Für den mit derselben nicht bekannten Ausländer hätte deswegen dieser Aufsatz ganz anders bearbeit[e]t werden müssen. Manche in unserer Schulordnung enthaltenen Forderungen und Bestimmungen schienen allerdings unerreichbares Final; Manches ist darum auch bis hierher un[e]rfüllt geblieben. Aber lieber Freund! der du den Zustand Deiner Dorfschule noch vor zehn Jahren genau kanntest, vielleicht selbst sie noch besuchtest! Komme jetzt jetzt her und sehe, höre und bewundere! –
Diese außerordentliche und schnelle Umgestaltung im Innern und Aeußern ist nicht einzig eine Folge des sich fortbildenden Zeitgeistes; sondern der neuen Organisation. Wichtig ist daher auch für den Freund des Volksschulwesens die vorgelegte Frage: Wie Vieles ist durch die neue Schulorganisation seit dem Jahr 1817 bis hierher für das Schulwesen schon gewonnen worden? Nämlich: [3] I In seinen äußern Verhältnissen?
Hier kommen in Betracht:
1.) Die Besoldungen der Lehrer,
a.) nach ihrer bessern Regulirung.
Wie Vieles hierin gewonnen worden ist, das weiß der Lehrer N. zu K. am besten, dessen Besoldung früher hauptsächlich in Naturalien bestand, die er, so wie das wenige Schulgeld, von den einzelnen Gemeindegliedern zu beziehen hatte. Man höre seine eigenen Worte, wie er sich in einem Briefe an seinen Freund K. äußert: „Wie manche Unannehmlichkeit ist uns doch erspart, bester K., daß wir unsere Besoldung jetzt in fix beziehen! Wir werden doch nun nicht mehr mit halbsausgetretenen Glockengarben[6] betrogen; haben nicht nöthig, unser sauer verdientes Brod von den Bauern als Schulfrucht, Ster[b], Tauf- und Glockenlaib in schlechter Qualeität und mit Verdruß zu erheben. Schulgeld habe ich zuletzt noch einigen armen Einwohnern geschenkt, damit ich nicht vollends drum kam oder die Leute verklagen mußte, obwohl ich selbst zuweilen so geldarm war, daß ich mir kein Päckchen [4] Tabak kaufen konnte. \ Wie ganz anders ist es doch jetzt! Ein Vierteljährchen ist bald um, und ich weiß einen Mann, der mir meine Besoldung in blanker Münze auszahlt. Nicht wahr, lieber Freund, das ist doch auch ein schönes Stück, das wir der neuen Organisation zu verdanken haben.“
Sollte vielleichthier die Bemerkung gemacht werden, daß manche Schulen vor der Organisation besser dotirt waren, als jetzt, so gebe ich dieß gerne zu. Daß aber die Besoldungen der Lehrer im Allgemeinen b.) wirklich bedeutend erhöht worden sind, wird Niemand wiederlegen, der einige Kunde vom Schulwesen hat. Giebt es doch jetzt keine Schulstelle mehr, die unter 200fx[7] einträgt (die Gehülfen[stellen] ausgenommen), da es früher viele gab, die kaum auf 100fx angeschlagen werden konnten, wo dann der Lehrer sich genöthigt sah, sein Schneider- oder Tischlerhandwerk emsig neben dem Schulgeschäft zu betreiben, wenn er sich ein nur spärliches Auskommen sichern wollte. Von den 200,000fx, [w]elche jetzt die 770 Lehrer des Herzogthums jährlich als [5] Besoldung beziehen, kommen also im Durchschnitt für jeden Einzelnen 259fx 4fr. İ5977₰. Ueberdieß ist uns aber auch jetzt der Weg zu einträglichern Stellen geöffnet. Beÿ ausgezeichnetem Diensteifer und musterhaftem Betragen, dürfen wir sicher hoffen, daß unsere Verdienste anerkannt[8] und durch Verbesserung belohnt werden.
Auffallender noch, als hierdurch, zeigen sich die herrlichen Früchte der neuen Organisation 2.) durch die vielen bessern Locale, die seit jener Zeit entstanden sind. Das ist wohl das Erfreulichste, was im Aeußern geschehen ist.
Hoch, hell und geräumig sollen die Lehrzimmer seÿn, das wußte und wünschte man schon seit Jahrhunderten. Aber dabeÿ blieb es auch, und nur höchst selten hörte und sah man etwas für diesen Zweck thun. Gregorius Schlagharts Lehrzimmer zu Langenhausen giebt ein treffliches Bild von derfrühern Beschaffenheit und dem Zustand vieler Schul Local[e,] auch in unserm Vaterland, und wer die Dorfschulen zu Langenhausen und Traubenheim von Schlez[9] gelesen hat, fürden ist jede [6] weitläufige Schilderung eines schlechten Lehrzimmers überflüssig. Man wende nicht ein, daß jenes Uebertreibung und bloses Ideal seÿ. Auch die heutige alte Schulstube darf der Langenhäuser recht gut zur Seite stehen; nur daß sie nicht zugleich die Wohnung für des Lehrers Familie war. Ueber 200 Kinder sollten hier in einem Raum von 270 Quadratfuß[10] erleuchtet und gebildet werden. Beschränkt und dunkel, wie das Lehrzimmer, mußte es natürlich in den Köpfen der Kinder bleiben, die hier an Geist und Herz verkrüppelten[,] trüb und düster in der Seele des Lehres. Aber, Gott seÿ Dank! Sie ist vertauscht gegen zweÿ schöne, helle und geräumige Lehrzimmer, denen nichts, als eine ruhigere Umgebung, fehlt.
Aber nicht blos das bessere Lehrzimmer ist es, was das Lehren und Lernen erleichtert und zur Freude macht;
O! Auch der Apparat darf hier nicht übersehen werden, wo gezeigt werden [7] soll, was durch die neue Schulorganisation seit 1817 gewonnen worden ist. Denn, was sah man vor jener Zeit in den meisten Schulstuben? Die unsrige enthielt außer einigen schweren Bänken auch zweÿ lange Tische, vielleicht aus den Zeiten der Reformation, aufdenen die Namen längst vermoderter Schüler tief eingegraben standen. Mit Tintenflecken waren sie aber nicht beschmutzt, denn es waren keine Tintenfäßer da. Ein Schrank war nicht nöthig, weil weder ein Buch, noch sonst etwas vorhanden war, das man hätte hinein thun sollen. Für einen Tritt war kein Raum da, und der Lehrer würde überdieß an der Decke angestoßen haben, wenn seiner Länge eine Elle durch einen Tritt wäre zugesetzt worden. Wandtafeln zum Rechen- und Singunterricht waren nicht nöthig, weil beÿdes nicht, (so wie jetzt) betrieben wurde. Doch, wozu das überflüßige Aufzählen der einzelnen Apparatstücke, die jetzt jedem Lehrer bekannt und zum Bedürfniße geworden sind. [8] Wir hätten sie sicher nicht, wenn sie durch die Schulverordnung nicht bestimmt und auf ihre Anschaffung von obenher gehalten würde. Zu den Lehr- und Hilfsmitteln, die man der neuen Organisation verdankt, gehören auch die Bücher, die jetzt dem Lehrer als Leitfaden in die Hände gegeben sind._ Wie Vieles ist ferner gewonnen[11] worden
4.) Durch den regelmäßigen Schulbesuch?
Das größte Hinderniß, das dem Fortgang des Unterrichts im Wege stand, waren gewiß die vielen Schulversäumnisse, über deren Verhütung früher nicht sorgfältig und strenge genug gewacht wurde. Es war der Willkühr der Eltern und sogar der Kinder zu viel überlassen, und wie sehr diese Freiheit an manchen Orten, naemlich auch hier, gemißbraucht wurde, ist wir[k]lich merkwürdig. Ein böser Junge, der einer Bosheit wegen von dem Lehrer derb gezücht werden sollte, entging seiner Strafe dadurch, daß er drei Wochen lang die Schule nicht besuchte und der Vorfall so in Vergessenheit gerieth. [9] Was in einigen Wintermonaten eingetrichtert wurde, ging im Sommer von Ostern bis Michaelis wieder verloren, weil in dieser Zeit wenig oder gar keine Schule gehalten wurde. So arg mag es freilich nicht allenthalben gewesen seÿn, doch wird jeder aus dem Kreise seiner Erfahrungen Aehnilches zu sagen wissen. Auf diese Art war es dem Lehrer bei dem besten Willen nicht möglich, etwas Ersprießliches zu leisten. Aber auch diesem Uebel ist durch die neue Organisation kräftig gesteuert; die Versäumnisse werden immer seltener, und bald wird man gar keine Zwangsmittel mehr nöthig haben.
5.) Auch das Nützliche und Wohlthätige der Wittwen- und Waisenkasse und der Industrieschulen ist, als eine Folge der neuen Organisation, jedem Nassauer rühmlichst bekannt und bedarf also hier keiner weitläufigen Auseinandersetzung.
Das wäre ungefähr das Wichtigste, was durch die neue Schulorganisation im [10] Aeußern gewonnen worden ist.
Wozu aber wurden diese äußern Anstalten getroffen, diese Aufopferungen gemacht? Ohne Zweifel, um auf das Innere des Schulwesens wohlthätig zu wirken, und das Gedeihen des selben zu fördern. Man fragt darum auch bil[lig]

II. Was ist durch die neue Schulorganisation gewonnen worden im Innern?
1.) Ein geregelterer (planmäßiger) Unterricht überhaupt. An einen geordneten Lehr-[,] Lections- oder Stundenplan wurde in den meisten Schulen nicht gedacht; da war kein Anfangs- und Endpunkt, keine Reihen- und Stufenfolge in den einzelnen Unterrichtsfächern. Der Lehrer griff in den Schatz seines Wissens ein und hob aus, was ihm eben einfiel. Manches wurde darum bis zum Ekel und Ueberdruß, manches gar nicht betrieben. Das Nachtheilige dieser Planlosigkeit darf hier nicht erst gezeigt werden. Wie ganz anders ist das jetzt! Dem Lehrer ist sein Ziel vorgesteckt; er weiß, wie er seine Zeit ausfüllen, wohin er seinen Schüler führen und [11] 2.) was er lehren soll. Ueber diesen einzigen Punkt wäre allein ein Aufsatz zu schreiben, wenn man ausführlich darstellen wollte; was jetzt in Vergleich mit den frühern Zeiten in den Schulen betrieb[en] wird. Die sechs Lehrgegenstände sind zu bekannt, als daß sie hier besonders aufgeführt werden dürften. Aber was wurde früher in den meisten Schulen gelehrt? In der hiesigen z.B. (und gewiß nicht in der hiesigen allein) waren Lesen, und Außwendiglern der sechs Hauptstücke und Bußpsalmen fast das Einzige. Von Realunterricht fand man, auch in den bessern Schulen, selten eine Spur. Die Kinder Religion, lesen, rechnen, schreiben und singen zu lehren wurde freilich den Lehrern (zuweilen in ihren Anstellungsdekreten) zur Pflicht gemacht. Aber wie wurden diese Gegenstände oft behandelt?_ Doch wir kommen[12] also zu der
3.) besten Methode, die die neue Organisation herbeÿgeführt hat. Die Geschichte des Unterrichts stellt eine lange Reihe von traurigen, seltsamen und oft unbegreiflichen Verirrungen auf, in welchen die gewandtesten Schulmänner ihr ganzes Leben hindurch blieben. Zu diesen Verirrungen gehört [12] unterandern, daß man den Religionsunterricht in eitlen Gedächtnißkram verwandelte, die Bibel auf allerlei Art als Unterrichtsmittel mißbrauchte; dem eigenen Nachdenken und Urtheil des Kindes keinen Wirkungskreis anwies u.d.gl m., und so die Anlagen desselben in trägemdem Geist töd[lichen] Mechanismus und einseitiger Bildung des Gedächtnisses untergehen ließ. Es würde zu weit führen, wenn hier umständlich gezeigt werden sollte, was in jedem Unterrichtszweig gewonnen worden ist. Darum mögen folgende kurze Andeutungen genügen, da ja ohnehin alles, was ich hier schreibe, meinen Amtsbrüdern ebenso gut, wie mir, bekannt ist, und ich nicht glauben kann, daß einerhieri[n no]ch sonderlich belehrt noch erbaut wird._ Wie behandeln wir
a.) die Religion, nach dem neuen Lehrplan, jetzt ganz anders, wie ehedem! Den sittlich-religiösen Sinn des Kindes zu wecken, sein Gefühl für das Heilige und Göttliche zu beleben[,] über die Wahrheiten des Christenthums richtig denken und des dieselben verstehen zu lehren, das ist es, was man uns jetzt zur unerläßlichen Pflicht macht. Heil dem Lehrer, dem es gelingt, diese Aufgabe gut zu lösen[!] [13] b.) Der Sprachunterricht; auf den wir jetzt theoretisch und praktisch, nach Masgabe unserer Kraft, so vielen Fleiß verwenden, bestand einzig im Lesenlernen, und was ist nicht durch die Lautmethode allein gewonnen worden!
c.) Des so nothwendingen und für’s Leben so heilsamen Realunterrichts wurde, wie schon oben erwähnt, nicht gedacht und
d.) das Rechnen, dieses herrliche Bildungs- und Schärfungsmittel des Verstandes, war größthentheils reiner Mechanismus und ging, weil er dieses war, bald wieder verloren.
e.) Die Formen- und Maaßlehre, die man jetzt als wesentlichen Gegenstand in den Volksschulen eingeführt hat, bestand meistens nur im Mahlen der Buchstaben, ohne den eigentlichen Zweck des Schreibens vor Augen zu haben. Jetzt ist sie uns ein vorzügliches Mittel zur Uebung und Schärfung des Augenmaaßes sowohl, wie ganz besonders der Denkkraft und des Verstandes, und führt zu der für’s praktische Leben so nöthigen Geschicklichkeit im Bilden, Messen, und Berechnen der Formen und Flächen._ Auffallende Fortschritte hat endlich
f.) die Gesangslehre gemacht, welche seit [14] der neuen Organisation als ein wesentlicher Zweig in den Schulplan aufgenommen ist. Das Ziffernsÿstem (statt der Noten) hat nach vielem Dafür- und Darwidersprechen und Schreiben ziemlich die Oberhand erhalten und der Gesang wirdmehrstimmig[13], darnach in vielen Schulen mit großem Eifer und sichtbarem Erfolg betrieben.
Es ist demnach unläugbar, daß durch eine zweckmäßigere und gründlichere Behandlung der Lehrgegenstände unendlich viel ist gewonnen worden. So wie man aber diese jetzt anders und besser behandelt, so behandelt man auch die Kinder anders und besser, das heißt: es ist auch viel gewonnen worden
4.) Durch eine beßere Schulzucht.
Man sehe die Langenhäuser Schuldis[c]iplin unter Gregorius Schlaghart, thun einen Blick in den Guckkasten in Zellers Schulministerschule, nehmen dazu, was jeder selbst aus frühern Zeiten von Schulzucht sah und hörte, vielleicht auch empfand, und vergleiche damit unsere gegenwärtige Schulverfaßung – welcher auffallende Kontrast zeigt sich hier! Nicht nur das Reiten auf dem Wiegenesel, das Knieen auf Erbsen und Scheiter[?], das Umhängen der Schandtafel, die große Holzbrille [15] u.d.gl ist aus den Schulen unsers Vaterlandes verbannt, sondern auch sogar der Stock. Muß jetzt der Lehrer beschämen, so beschimpft er doch nicht; muß er strafen, so züchtigt er nicht grausam, weil er weiß, daß entehrende Beschimfpung und Grausamkeit mehr erbittern, als bessern.
Ein ganz anderes Verhältniß zwischen Lehrer und Schüler ist eingetreten, und der unnatürliche und verderbliche Grundsatz: Die Kinder müssen Furcht haben – ist fast gänzlich aus den Schulen verschwunden. Man sieht darum die Kinder mit Vergnügen zur Schule eilen; denn sie ist ihnen nicht mehr ein Ort der Qual. Durch bestimmte vorhandene Gesetze, wonach Lehrer und Schüler sich zu richtenhaben, ist manchem Willkührlichen und Partheilichen vorgebeugt.–
5.) Aber auch die jährlichen Schulprüfungen[,] welche der neuen Schulordnung gemäß, seit der Organisation regelmäßig gehalten werden[,] haben einen zu bedeutenden Einfluß auf das Innere der Schulen, als daß sie hier unberührt bleiben dürften. Für die Prüfung wird zwar nicht gelehrt und gelernt, das weiß der Lehrer gar wohl, und das wäre auch eine sehr niedrige Ansicht, die er von seinem Beruf hä[tte]. [16] Aber es ist doch in der That nicht verwerflich, wenn dem Lehrer und Schüler daran gelegen ist, beÿ der Prüfung den Beÿfall und die Zufriedenheit der Vorgesetzten und Anwesenden einzuerndten. Der Prüfungstag ist darum immer ein feierlicher und für die Schule der merkwürdigste im Jahr; aber auch zugleich ein kräftiger Sporn, das Lehr- und Lerngeschäft immer wieder mit mit neuem Eifer zu beginnen und fortzusetzen.

Anmerkung.
Wie viele Umstände kommen nicht zusammen, die den Muth und die Geduld des Lehrers auf eine schwerre Probe setzen! Das ihm selbst Bekannte und Geläufige immer[14] wieder vorzunehmen; dieselbe Gedankenreihe mit ungeschwächter Lebhaftigkeit zu durchlaufen; dasselbe Mittel aufs Neue anzuwenden, auch wenn es unwirksam geblieben ist; dieselben Fehler zu rügen und zu verbessern, und wenn[15] sie zum zwanzigsten und fünfzigsten Mal wiederkehren; – und dabeÿ immer[16]lebhaft zu bleiben, ohne jedoch heftig zu werden; dabeÿ immer Geduld und

[17]

Nachsicht zu zeigen und sich nie von den unvermeidlichen Anwandelungen des Unwillens, der Kleingläubigkeit und des Zorns hinreißen zu lassen, sondern immer einen gewissen Gleichmuth zu behaupten – wahrlich! dazu gehört eine außerordentliche Festigkeit des Willens; eine angeborne Liebe zum Lehrergeschäft, und bedarf allerdings zuweilen einer Aufmunterung, eines Sporns von außen; und das sind eben die Prüfungen.

Von dem Lehrer aus geht also das wahre Leben über die Schule; er ist die Seele, das Organ derselben. Von ihm hängt also auch das innere Gedeihen ab, und fehlt es an ihm, so ist alles Aeußere, was für die Schule gethan wird, umsonst. Darum ist aber auch
6.) Für die Bildung der Lehrer so trefflich gesorgt,
a.) durch das neuorganisierte Seminar zu Idstein,[17] das seit 1817 an 400 Zöglinge schon entlassen hat, die, mit den nöthigen Kenntnissen ausgerüstet und von einem guten Geiste beseelt, den Foderungen, die jetzt an die Lehrer gemacht werden, entsprechen können. [18] b.) Durch die Lehrzirkel. Wie heilsam und bildend, wie nothwendig und unentbehrlich das Lesen guter pädagogischer Schriften für den Lehrer ist, und wie wohlthätig es auf die Lehrer unser Vaterlandes wirkt, bedarf keines Beweises. Dadurch sind sie im Stande, mit dem Zeitgeiste fortzuschreiten, dem düstern Unmuth und der Geistesdürre zu entgehen, sich vor Dünkel und Kleinmuth zu bewahren u.d.gl m. Ja, wer aber auch den Gewinn und Genuß, den das Lesen guter Schriften gewährt, verachtet, der ist ein Sklave seines Dünkels oder der Trägheit.
Viel ist ferner gewonnen worden
c.) durch die Konferenzen. Wohlthätig in manigfacher Hinsicht haben auch diese auf die Fortbildung der Lehrer und somit auf das Innere der Schulen segensreich gewirkt. Wer freut sich nicht der freundschaftlichen Verbindung der Lehrer beÿder Confessionen, die in vorurtheilsfreÿem Streben nach einem Ziele sichhier geknüpft hat! der gegenseitigen Mittheilung gemachter Amtserfahrungen u.s.w.!
Und welchen Nutzen haben nicht [19] a.) die Ausarbeitungen, welche hier aufgegeben und besprochen wurden!
So kämen sie dann endlich noch selbst an die Reihe, die Geistesprodukte der Schullehrer, als Förderungsmittel des innern Gedeihens der Schulen. Viel Wesens darf davon nicht gemacht werden. Daß sie aber für den Lehrer, der Fleiß und Nachdenken nicht scheut, außerordentlich bildend sind, wird Niemand in Zweifel ziehen.


Ansbach, im Maerz 1825.
Kopp.

Anmerkungen (Wikisource)

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  1. Mutmaßlich handelt es sich um das heutige Neu-Anspach im Hochtaunuskreis und nicht, wie es die Schreibweise vermuten lässt, um das mittelfränkische Ansbach.
  2. Es liegt mit Eine Vergleichung des Zustandes der Volksschulen am Schlüsse des 18. Jh. mit dem Zustande der­ selben in unserer Zeit. (1. Hälfte des 19. Jh.) Ein Gespräch. (Hs. 193) eine weitere Schrift Kopps vor, die sich mit dieser Thematik befasst.
  3. Anonym: Sammlung der landesherrlichen Edicte und Verordnungen des Herzogtums Nassau. Dritter Band, enthaltend die in den Jahren 1817 bis 1823 einschließlich erschienenen Verordnungen und Edicte. Ludwig Schellenberg, Hofbuchhändler und Hofbuchdrucker, Wiesbaden 1824, S. 285f (Digitalisat abrufbar über die Staatsbibliothek zu Berlin)
  4. Rudolf Hülsenbeck: Die schulgeschichtliche Bedeutung des naussauischen Unterrichtsgesetzes vom Jahre 1817, in: Zeitschrift für Gesschichte der Erziehung und des Unterrichts 14 (1924), S. 123 (Digitalisat abrufbar über die DigiZeitschriften)
  5. So fand das Edikt bereits im Jahr seiner Verabschiedung anerkennend Erwähnung und Abdruck in Johann Christoph Friedrich GutsMuths' Neue Bibliothek für Pädagogik, Schulwesen und die gesammte neuste pädagogische Literatur Deutschlands. Bd. 49. Neustadt an der Orla 1817, S. 30 (Digitalisat abrufbar über das Münchner Digitalisierungszentrum)
  6. Besondere Form der Abgabe / Entlohnung in Naturalien für die oft den Lehrern übertragene Glöcknertätigkeit.
  7. Im Herzogtum Nassau galt als Währung der Gulden(fx) zu 60 Kreuzern(fr) zu je 4 Pfennig(₰)
  8. Vorlage: anerkan̅t
  9. Anspielung auf Johann Ferdinand Schlez: Gregorius Schlaghart und Lorenz Richard; oder die Dorfschulen zu Langenhausen und Traubenheim. Ein Erbauungsbuch für Landschullehrer. Felßeckerische Buchhandlung, Nürnberg 1795 (Digitalisat abrufbar über das Münchner Digitalisierungszentrum)
  10. Ein nassauischer Fuß entsprach 0,5 Metern. Der Fuß galt im Herzogtum Nasssau bis 1852.
  11. Vorlage: gewon̅en
  12. Vorlage: kom̅en
  13. Vorlage: mehrstim̅ig
  14. Vorlage: im̅er
  15. Vorlage: wen̅
  16. Vorlage: im̅er
  17. Das Schullehrerseminar in Idstein geht zurück auf das von Karl Wilhelm von Nassau-Usingen mit Edikt vom 02. Januar 1779 eingerichtete Landesseminar zu Idstein. S.h. Heinrich Lewin: Das Königliche paritätische Lehrerseminar in Usingen vormals Herzogliches Landes-Seminar zu Idstein in Nassau. Festschrift zur Jubelfeier des 50jährigen Bestehens der Anstalt am 20.09.1901. Wiesbaden 1901, S.39