Christliche Ethik auf lutherischer Grundlage/Die sittliche Ausgestaltung im Hoffen, oder das Hoffnungsleben samt dem Ziel der abschließenden Vollendung

« Sittliche Ausgestaltung des göttlichen Ebenbildes im Kreuz und Leiden Friedrich Bauer
Christliche Ethik auf lutherischer Grundlage
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X.
Die sittliche Ausgestaltung im Hoffen oder das Hoffnungsleben samt dem Ziel der abschließenden Vollendung.


A.
Das Hoffnungsleben.
§ 77.
Die Hoffnung im Christenleben. Realität derselben.
 Allgemeines. Notwendigkeit der Hoffnung zum Christenleben. Da genügt es ja, wenn wir einfach auf 1. Kor. 13 v. 13 hinweisen. Sie ist ein wesentliches Ingrediens des Christenlebens. Das Christentum ist, kann man sagen, wesentlich eine Religion der Hoffnung. Was man von denen, die in die alten Mysterien eingeweiht waren, rühmte, nämlich daß sie bessere Hoffnung hätten, was dort weiter nichts als höchstens ein ahnungsvolles Bemühen der Seele war, durch Vernunftschlüsse den Glauben an die Unsterblichkeit zu erringen, das ist hier volle Offenbarung und darum ist das Christentum wesentlich eine Religion der Hoffnung. Daher gehört die Stelle 1. Petr. 1, 3, denn| die Auferstehung Jesu Christi von den Toten ist ja die Thatsache, durch welche wir erweckt werden zur Hoffnung, durch sie ist der Thatbeweis geliefert, daß es hinter dem Tode noch ein Leben gibt, ein Auferstehungsleben, ein verklärtes, und dies ist die Thatsache, durch welche die Menschen von ihrer Hoffnungslosigkeit in Betreff der Zukunft, die ihrer wartet, erlöst und wiedergeboren werden zu einer lebendigen Hoffnung, Eph. 4, 4; 1, 17. 18. Die „Hoffnung des Berufes“ ist die Christenhoffnung, zu welcher wir als Christen berufen sind, die uns in Aussicht gestellt wurde, als wir in das Reich Jesu zur Jüngerschaft berufen wurden.

 Die Hoffnung beruhigt; denn sie nimmt die Angst vor dem, was uns bevorsteht und was uns Furcht erregen kann, weg, sie lichtet das ungewisse Dunkel der Zukunft und erhellt uns die Todesstraße. „Wir sind getrost“ etc. 2. Kor. 5, 8. Furcht ist die Vorempfindung eines unbekannten in der Zukunft drohenden Übels, wenn uns aber die Zukunft tröstlich erhellt wird, so fällt die Furcht weg. Hoffnung erfreut den Menschen, Röm. 12, 12: Seid fröhlich in Hoffnung. Wir sind selig in Hoffnung, sie hat etwas Beseligendes, Röm. 8, 24; Tit. 2, 13. In der Stelle 1. Petr. 1, 3 wird der Auferstehung Jesu eine wiedergebärende Wirkung auf das Hoffnungsleben des Christen zugeschrieben. Die Christenhoffnung macht aus dem Gläubigen einen ganz neuen Menschen, weil sie gegründet ist auf die Auferstehung des HErrn, diese aus der Ewigkeit in die Zeit hereinragende Thatsache, in welcher die Ewigkeit durchbricht durch die Zeit, das Leben über den Tod triumphiert und unvergängliches Wesen ans Licht gebracht wird. Die Hoffnung gibt Geduld und Tragkraft im Leiden, daher der Apostel Röm. 12, 12 neben das Wort: „Seid fröhlich in Hoffnung“ das Wort: „Geduldig in Trübsal“ setzen kann. Röm. 8, 18: Der Blick auf die Herrlichkeit ist es, der uns Mut und Kraft gibt, im Leiden dieser Zeit auszuharren, 2. Kor. 4, 17 u. 18; Hebr. 11, 1. Da ist ja der Glaube nach der Seite hin gefaßt, nach welcher er das verheißene Gut der Zukunft sich vorhält und durch die in Aussicht gestellte verheißene gewisse Zukunft Standhaftigkeit und Kraft gewinnt, unter den erschwerenden Umständen der Gegenwart auszuhalten, cf. v. 25 u. 26, was von Mose gesagt; cap. 10, 35. 36.

 Was den Unterschied der Hoffnung vom Glauben anbelangt, so haben wir ja schon in einem früheren Abschnitt der Ethik ausführlich davon gesprochen. Die Hoffnung schaut nur in die Zukunft, ihr Auge ist vorwärts gerichtet. Der Glaube haftet, man könnte sagen,| an der Vergangenheit, die jedoch für ihn lebendige Gegenwart ist; denn ihm ist der gekreuzigte Jesus nicht ein Jude, der vor bald 2000 Jahren gelebt hat, er ist ihm gegenwärtig und er hat ihn gegenwärtig und sein Heil, davon er alle Tage leben will. Die Hoffnung schaut in die Zukunft, der Glaube haftet an den Thatsachen des Heils und an den Verheißungen Gottes, die, obwohl in der Vergangenheit geschehen, ihm doch immer Gegenwart sind. Nach Hebr. 11, 1 ist der Glaube eine gewisse Zuversicht des, das man hofft u. s. w. Hier würde, wenn wir den Begriff des Glaubens in engerm Sinn nehmen, nur die zweite Hälfte passen. Der Glaube ist ein Überzeugtsein von Dingen, die nicht sichtbar sind, von der Realität der unsichtbaren geistigen Welt. Ich glaube, daß Gott ist, ich glaube, daß mich Gott in Jesu Christo liebt, ich glaube, daß er mir die Sünde vergibt im Himmel, wenn sie mir auf Erden vergeben wird, ich glaube, daß er mich speist im heiligen Abendmahl mit seinem Leib und Blut – das sind lauter Dinge, die Sache des Glaubens sind, weil sie unsichtbar, nicht Gegenstände der sinnlichen Wahrnehmung sind. Es ist also der Unterschied der, daß der Glaube eine Überzeugung von der Realität der geistlichen Welt ist, im Gegensatz zu jener Überzeugung, die aus der sinnlichen Wahrnehmung stammt. Sofern der Glaube aber eine Gewißheit zur Erlangung zukünftiger Dinge und Güter ist, sofern fällt er zusammen mit der Hoffnung und nennt man das entsprechende Verhalten des Christen statt glauben lieber hoffen. Der Glaube hat das schon, was er dereinst schauen wird, die Hoffnung aber sieht auf das Gut, das jenseits liegt und hat darum wesentlich den Charakter des Harrens, Wartens, Entbehrens. Der Glaube hat, was er noch nicht sieht, die Hoffnung sieht auf das, was sie noch nicht hat, daher in der heiligen Schrift der Gegensatz zum Glauben das Schauen ist, 2. Kor. 5, 7, der Gegensatz zur Hoffnung aber der Besitz, Hebr. 11, 13; 13, 14. Man kann freilich sagen, daß die Hoffnung auch eine Art Antizipation der Zukunft, eine der Wirklichkeit voraneilende Besitzergreifung des Gehofften sei. Aber immer bleibt doch der wesentliche Unterschied, daß der Glaube hat, was er nur noch nicht schaut, die Hoffnung aber schaut, was sie in Wirklichkeit noch nicht besitzt. Gegenstand des Glaubens sind Thatsachen, Realitäten, die Thatsachen des Heils und die daraus entsprungenen tatsächlichen Verhältnisse Gottes zu der Menschheit, Gegenstand der Hoffnung sind Güter. Im Alten Testament ist häufig da, wo wir jetzt den Ausdruck| Glauben gebrauchen, von Hoffnung die Rede, da dort das Heil erst in den Anfängen verwirklicht war und noch in der Zukunft zu erwarten stand. Aber für uns, für die das Heil bereits in der Fülle der Zeit bewirkt ist durch Christi Menschenwerdung, Leiden und Auferstehen, legt sich Glaube und Hoffnung mehr auseinander. Unter Glauben verstehen wir dann die Aneignung des bereits erschienenen, bereits gewirkten Heils; unter Hoffnung verstehen wir das Harren auf das zukünftige Heil, auf die Vollendung. – Diese Hoffnung ist eine gewisse und zwar deswegen, weil sie auf göttlichen Verheißungen ruht, für die Gott selber schon durch das Heil, das er in Christo der Welt hat erscheinen lassen, die vollste Bürgschaft gegeben hat. Daher ist die Christenhoffnung eine gewisse, im Unterschied von der heidnischen, von welcher Cicero die Definition gibt: Spes incerti boni nomen est, die Hoffnung ist der Name für ein ungewisses Gut, wie Furcht der Name für ein ungewisses Übel ist. Der Gegenstand der Hoffnung ist eben deswegen eine Realität, die dann nicht wieder durch spiritualistische Auslegung verflüchtigt werden darf. In unsrer Kirche, in der Dogmatik wenigstens, hat von Anfang an mit wenig Ausnahmen der Spiritualismus geherrscht; der Farbenreichtum, mit welchem die heilige Schrift die Zukunft, den Himmel, die ewige Seligkeit beschreibt, wurde nur als Ornament, als irdisches, menschlich beschränktes Darstellungsmittel des Unaussprechlichen und Unbeschreiblichen in der Ewigkeit angesehen. Man sagte, es sind eben irdische Eindrücke, Vorstellungen auf die Ewigkeit übertragen, die Farben auf der Palette dieser Schilderung sind pur der Erde entlehnt. So verflüchtigte man das Konkrete, Reale an den Ausdrücken der heiligen Schrift in den feinen Dunst des Gedankens. Aus dem Himmel, den uns doch die heilige Schrift mit solch reichhaltiger Ausführlichkeit beschreibt, und der Stadt des lebendigen Gottes mit dem himmlischen Heiligtum wird ein seliger Zustand gemacht, dem selbst die Örtlichkeit abgestreift wird, denn davor scheuen sie sich, den Begriff des Ortes auf die Ewigkeit überzutragen, coeleste quoddam που sagen sie. Es fehlt an dem rechten Begriff der verklärten Leiblichkeit, der erst durch die neue Theosophie zu seinem Recht gebracht ist. Wenn der falsche Gegensatz einmal hingefallen ist, der Geist und Leib in einen unversöhnlichen Gegensatz stellt, dann wird der Spiritualismus auch in der Theologie verschwinden, dann wird diese Auffassung der Dinge einer schriftgemäßeren Platz machen. Es ist freilich oft schwierig, die Grenze zu ziehen| zwischen dem, was eigentlich gesagt und wirklich ist, und was bildliche Darstellung ist, namentlich ist es in der Offenbarung schwer, wo wir nur Gesichte haben. Aber das überläßt man Gott und hält nur fest, daß, so gewiß Christus auferstanden ist und so gewiß unsere Leiber im Himmel sein werden, daß dort auch eine angemessene Umgebung und Natur sein muß.


§ 78.
Der Inhalt der christlichen Hoffnung und ihr Einfluß auf die sittliche Hebung und Vollendung.
1. Der Gegenstand der Hoffnung in der Zwischenzeit bis zur Vollendung des Heils mit der Wiederkunft Christi.
 Da ist nun zunächst der Satz aufzustellen, daß der Christ den HErrn immerdar als im Kommen begriffen ansieht, als den, der wiederkommt, nicht als den, der gegangen ist, wie denn schon bei der Himmelfahrt dieser Gedanke „er ist weggegangen“ verdrängt wird durch den: „er wird wiederkommen,“ deshalb heißt der HErr in der Offenbarung ὁ ἐρχόμενος. So werden die Gerichtsereignisse als ein Kommen des HErrn bezeichnet: Jesus von Nazareth wird diese Stätte zerstören. Überhaupt werden die Gerichtsereignisse und die Heimsuchungen, die den einzelnen in seinem Leben treffen, und die Gerichte, die über die Welt ergehen, als eine Parusie oder als ein Kommen des HErrn bezeichnet. „Ich werde dir kommen bald und deinen Leuchter umstoßen,“ Apok. 2, 5. Bekannt ist, daß in den letzten Reden des HErrn Matth. 24 die Zerstörung Jerusalems als der Anfang seines Kommens bezeichnet wird. Vermöge des Gesetzes der prophetischen Perspektive rückt dieses erste Gericht über das Volk Israel zusammen mit dem Gericht über die Welt, es erscheint als die Ouvertüre zum Weltgericht, daher die Schwierigkeit des Verständnisses jener Rede, namentlich die Schwierigkeit zu unterscheiden, wo der HErr von der nächsten und wo er von der fernsten Zukunft spricht; es fließt das in manchen Stellen ganz ineinander. – Vor der Wiederkunft Christi nun erfüllt sich die Christenhoffnung nur interimistisch, nur unvollkommen, insofern nämlich der Empfang des vollen Hoffnungsgutes erst eintritt, wenn das Ganze des Heils zur Vollendung gebracht ist. Natürlich ist die Wiederkunft des HErrn und was alles durch dieselbe für die Vollendung des Heils geschieht und ermöglicht wird, auch ein Gegenstand des christlichen Hoffens. Aber so lange dies Ereignis noch nicht eingetreten ist,| ist eben das Heil nur teilweise, anfangsweise verwirklicht. Daher teilt sich die christliche Hoffnung in eine nähere und eine fernere und dies hat seine besondere Bedeutung für die Jetztzeit und für den während ihrer Dauer aus dem Leben scheidenden Christen. Für diesen kommt zunächst nur ein Teil der Christenhoffnung in Betracht. Doch ist der Gegenstand dieser Hoffnung schon so reich und herrlich, daß bereits davon das Herz sich selig fühlen kann. Der scheidende Christ geht unmittelbar in seine eigentliche Heimat der Seele nach und in alle Herrlichkeit, die dieser Zustand bieten kann; er geht in seine Heimat, das haben wir schon früher hervorgehoben, daß dies die Anschauung der heiligen Schrift ist, 2. Kor. 5, 5–8. Das Sterben ist für den Christen das Kommen ins Vaterhaus, Joh. 14, 2; Phil. 1, 23; 3, 20, 21. Zu betonen ist das Wort unmittelbar. Der Christ geht unmittelbar durch den Tod in seine Heimat, der Seele nach. Es geht also nicht erst durch einen Läuterungsort, durch ein Läuterungsfeuer hindurch, was natürlich eine sehr modifizierte Vorstellung vom Sterben und dem Zustande nach dem Tode herbeiführen muß. Es ist der Vorteil und nicht der geringste des gläubigen evangelischen Christen, daß ihn im Tode nicht das Schreckensgespenst des Fegfeuers ängstet, der Tod schrumpft so für ihn zu einem schrecklichen Augenblick zusammen, hinter dem dann unmittelbar der Himmel und die Seligkeit steht. „Nach den letzten Augenblicken des Todesschlummers folgt Entzücken, folgt Freude der Unsterblichkeit.“ Es gehört hierher auch das Wort des HErrn zum Schächer Luk. 23, 43. Der Schächer hatte sich dem Andenken des HErrn für eine ferne Zukunft empfohlen. Der HErr aber gewährte ihm augenblickliche Erfüllung seiner Bitte und sagt: „Heute wirst du mit mir im Paradiese sein.“ Das Paradies ist ja aber der Ort, wo die Seligen mit Gott dem HErrn Gemeinschaft haben, das Paradies war ja auch auf Erden der Ort, wo Gott mit den Menschen verkehrte; also ist das verruchte Leben des Schächers mit seinen Raub- und Mordthaten, nachdem er das, was er verbrochen, gründlich und herzlich bereut hat, kein Hindernis für ihn zur Seligkeit, nicht einmal einen Aufschub bewirkt es, der HErr verheißt ihm, daß er heute noch mit ihm im Paradiese sein werde. Doch freilich, so gewiß damit die Hauptsache für den Christen bereits gegeben und gewonnen ist, ist dieser Zustand der Seele doch noch ein solcher, der einen Mangel hat. Die Seligkeit der ihres Leibes entkleideten Seele ist noch keine Vollkommenheit, sondern ein halbiertes Wesen. Die| Entbehrung der Leiblichkeit ist für die Seele ohne allen Zweifel eine schmerzliche Empfindung, es mangelt ihr ja ihr gottgeschaffenes ὄργανον, mit welchem sie gemeinsam ihre irdische Geschichte durchlebt hat. Es erweckt dieser Mangel in der seligen Seele die Sehnsucht nach Wiedererweckung ihres Leibes, wie man aus Apok. 6, 10 sehen kann. Es wird der Zustand der ihres Leibes entkleideten Seele mit dem Ausdruck „nackt“ bezeichnet, 2. Kor. 5, 1 ff. besond. v. 3, indem hier das Sterben immer ein Ausziehen genannt wird. Das erweckt ja das Gefühl der Unvollkommenheit trotz der bereits von der Seele empfundenen und genossenen Seligkeit. Die Hauptsache ist und bleibt ja freilich die Seligkeit der Seele; doch ist die Fülle des Todestrostes, den die heilige Schrift gibt, damit nicht schon erschöpft, sondern die Schrift tröstet mit der Hoffnung der Auferstehung und Verklärung des Leibes; das ist erst der volle Todestrost. Dafür siehe unten.  – Weiter ist nun zu reden von der Wirkung, welche diese Hoffnung auf das Gemüt des Christen ausübt. Diese Hoffnung verhilft dem Christen vor allem zu einem ruhigen, getrosten, ja fröhlichen Sterben. Denn wer wollte nicht mit Freuden die Fremde mit der Heimat vertauschen? Die natürliche Bitterkeit des Todes wird überwogen von dem Gedanken heimzukommen, und das um so mehr, je mehr der Christ die Welt als ein Jammerthal hat müssen kennen lernen, je stärker er in ihr seine Fremdlingschaft gefühlt hat. Der sterbende Christ weiß seine Seele geborgen in Gottes Hand, das ist das Entscheidende, des tröstet er sich. Der arme Leib wird ja freilich in Staub zerfallen, aber zu seiner Stunde wird der HErr ihn suchen und aus dem Grab hervorrufen zur Teilnahme an den Freuden der seligen Ewigkeit.


2. Die volle Erfüllung der Christenhoffnung.
 a) Die volle Erfüllung der Christenhoffnung hebt an und wird gebracht mit der Wiederkunft Christi. Sie heißt Tit. 2, 13 die selige Hoffnung der Christenheit. Eben die sichtbare Erscheinung des HErrn vor aller Welt in seiner Herrlichkeit zur Vollendung seines Reiches ist der Gegenstand dieser Hoffnung. Nach der Schrift haben wir eine zweifache Wiederkunft des HErrn zu unterscheiden, einmal zur Vertilgung des Antichrists und dann zum Jüngsten Gericht und zur schließlichen Vollendung seines Reiches. Die erste Wiederkunft Christi bringt bloß vorläufigen Abschluß und bloß vorläufige Vollendung. Im Hoffnungsleben| der Christenheit tritt der letzte Abschluß dominierend hervor, darum sei auch dieser Hauptteil der Christenhoffnung hier an erster Stelle behandelt. Diese Hoffnung wirkt ein stetiges Warten des Christen hier und dort; denn wie wir aus Apok. 6, 10 schließen dürfen, warten auch die Seligen im Himmel, sie warten auf ihres Leibes Erlösung, wie in ihrer Weise die Gläubigen auf Erden, Phil. 3, 20. Aber vor allem ist es doch das Verlangen nach dem Anblick des HErrn und der Vereinigung mit ihm, was dieses Warten kennzeichnet. Das bräutliche Warten auf den HErrn ist ja die Signatur der ersten blühendsten Zeit der Kirche, das Echo auf das Wort des HErrn: „Siehe, ich komme bald“ war ja: „Ja komm, HErr Jesu!“ Dieses Warten wirkt selbstverständlich ein stetes Wachen, eine heilige Wachsamkeit und Bereitschaft, Munterkeit der Seele, emsiges Bemühen zur Reinigung von Sünden. Diese Hoffnung gibt der Seele Hebung und Schwung und hat eben dadurch eine Kraft, sie über die Gemeinheit der Sünde hinwegzuheben, sie in die rechte Verfassung zu setzen, wie sie für die Erlangung der ewigen Güter nötig ist, Luk. 21, 36. Die Zeiten, in welchem das Hoffnungsleben der Kirche am blühendsten war, waren auch die sittlich gehobensten, wir dürfen ja nur an die erste Kirche denken, und wenn wir die Schilderung der Kirche am Ende in der Offenbarung lesen, wo die Kirche der Letztzeit Apok. 14 genannt wird eine Schar von Jungfrauen, die dem Lamme nachfolgen, die sich nicht befleckt haben, da zeigt sich die reinigende Kraft der Hoffnung.

 Diese Hoffnung wirkt auch ein anhaltendes und dringendes Beten um das Kommen des Reiches Gottes. Die Hoffnung wird ein Sporn für das Gebet um die Vollendung des Reiches Gottes auf Erden. Die Hoffnung, daß der HErr kommen wird, wird naturgemäß zum Gebet: Komm, HErr Jesu! Apok. 22, 17.

 Diese Hoffnung wirkt auch eine Stärkung des Glaubens wider alle Zweifel und Anfechtungen. Insofern die Hoffnung uns den Ausgang des Kampfes hier auf Erden, den Sieg und Triumph des Reiches Gottes am Ende zeigt, wirkt sie auch auf den Glauben stärkend zurück, so daß er standhält, auch wo die Gegenwart nicht der verheißenen Zukunft ähnlich noch eine Vorbereitung derselben zu sein scheint, auch da, wo die Lage der Gegenwart die verzweifeltste ist; Hebr. 11, 1. Dort ist ja der Glaube in seinem wesentlichen Zusammenhange mit der Hoffnung gefaßt und ist als die Kraft bezeichnet, vermöge welcher der Mensch unter schwierigen Umständen auszuharren tüchtig wird; denn| wer der Zukunft gewiß ist, hat keinen Grund für die Gegenwart zu verzagen.

 b) Ein weiterer Gegenstand der Christenhoffnung ist die allgemeine Auferstehung der Toten, die thatsächlich darin besteht, daß die Seele wieder mit ihrem auferweckten Leib vereinigt wird und mit ihm in einen Zustand der Verklärung eingeht. Die Frage ist nun, was diese Hoffnung für eine spezifische Wirkung auf den Christen hat. Die Auferstehung ist eine Thatsache, die zunächst von größter Wichtigkeit ist für den Leib. Der Leib ist der Mitgenosse der Seele und ihrer ewigen Vollendung. Das muß man sich gegenwärtig halten im Gegensatz zu einer ursprünglich heidnischen dualistischen, aber auch in die christliche Denkweise eingedrungenen falschen Anschauung vom Leib. Leib und Geist sind nicht einander ausschließende Gegensätze. Bei der Schöpfung ist ja eben Geist und Leib in eine wunderbare Verbindung gefügt worden, und was dort begonnen ist, wird in der Verklärung vollendet werden, die ja der Triumph des Geistes nicht über die Materie, sondern in der Materie ist. Die Verklärung der Leiblichkeit ist der höchste Triumph Gottes. Diese Hoffnung wirkt bei dem Christen rechte Schätzung und Behandlung des Leibes. Der Leib ist nach der Offenbarung der heiligen Schrift ja nicht etwa bloß vorübergehend der Seele anhaftend. Der Leib hat eine ewige Bestimmung, mithin muß er in gebührender Ehre gehalten werden. Es liegt darin aber auch ein Sporn zur Heiligung, ein mächtiger Antrieb, den Leib nicht herabzuwürdigen in den Dienst der Eitelkeit, in den Frondienst der Sünde, 1. Kor. 6, 12–14. Es ist also nicht wie mit dem Bauch, der die Speise verdaut und den ganzen irdischen Ernährungsprozeß vermittelt, den wird Gott abthun. Aber der Leib hat eine ewige Bestimmung; denn – sagt der Apostel – Gott hat den HErrn Jesum auferweckt und wird auch uns auferwecken durch seine Kraft. Daraus folgt, daß der Leib geheiligt werden muß. Er darf nicht hingegeben werden dem Dienst der Sünde, hier speziell: der Hurerei, weil sie die größte Entweihung des Tempels Gottes, des Leibes, ist.

 Diese Hoffnung wirkt bei dem Christen rechte Auffassung seiner Bestimmung, etwas Ganzes zu werden nach Leib und Seele. Es ist nur die Rede von der Bildung und Ausbildung, daß der Leib nicht übermäßig gepflegt wird, daß er aber auch nicht, wie wir dies bei den Asketen sehen, mißhandelt wird, daß man ihn nicht verkümmern| läßt, sondern sich als Ziel der Bildung setzt, eine harmonische Übung und Fertigkeit aller Kräfte Leibes und der Seele zu erlangen.
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 Diese Hoffnung wirkt Todestrost für den Christen selbst und rücksichtlich seiner Angehörigen. Die tröstende, beruhigende Kraft dieser Hoffnung ist hervorgehoben 1. Thess. 4, 13–18. Es ist die Rede von dem Trost des Christen über den Verlust der Abgeschiedenen, der liegt darin, daß sich der Christ sagen darf: wenn der HErr wiederkommt, werden sie auferstehen, wir werden ihnen nicht einmal zuvorkommen, sondern sie uns, indem wir erst nachher verklärt werden, wenn sie schon auferstanden sind. Im rationalistischen Zeitalter, welches die größte Dürre und eine mehr als prosaische Nüchternheit in der Auffassung der Dinge mit einer thränen- und seufzerreichen Sentimentalität vereinigte, glaubte man aus dem Schiffbruch des Todes die wertvollste Ladung gerettet zu haben, wenn man festhielt an dem Wort „Unsterblichkeit“. Was ist zu jener Zeit gesprochen und gepredigt worden über das Thema: Es gibt ein Wiedersehen jenseits! Eine pure Fortdauer der Seele ist ein äußerst matter und dürftiger Todestrost. Die Unsterblichkeit allein ist kein besonders tröstlicher Gedanke. Wie anders redet doch die heilige Schrift, wenn sie von einer ewigen Seligkeit, einer ewigen und über alle Maßen wichtigen Herrlichkeit spricht! Das ist etwas anderes als dieser matte Unsterblichkeitsgedanke, da man nicht weiß wo? und wie? Beim Christen lautet es bestimmt: Daheim beim HErrn! Aber doch ist selbst diese Gewißheit von der Seligkeit der Seele noch nicht der volle Todestrost, denn Grab und Verwesung fordert noch einen Trost, und dieser liegt in der Hoffnung und Gewißheit der Erlösung des Leibes vom Tod durch die Auferstehung. Diese Hoffnung läßt den Christen auch die herbsten und bittersten Verluste verschmerzen, eben weil er weiß, daß er alles, was er hier verliert, doch reichlich, hundertfach (Luk. 18, 29–30) wiederfindet und zwar über ein Kleines, Joh. 16, 16 ff. Die herbsten und bittersten Verluste sind ja die der Lieben, der nächsten Angehörigen. Der Weltmensch hat da keine Hoffnung. Der Ungläubige muß sich trösten damit, daß sein Staub vereinigt wird mit dem Staub derer, die er liebt. Das ist sein ganzer Trost. Aber der Christ weiß, daß über ein Kurzes ihm ein Wiedersehen in Aussicht steht und zwar in einem herrlichen verklärten Zustand und daß er nicht verloren hat, was er hat hergeben müssen, daß nur das Auge in den Zustand der Entbehrung versetzt ist, daß der Erdkreis, die Stätte seines gegenwärtigen Lebens, ihn zwar weit entfernt| hält von dem, was er liebt, daß aber die Zeit bald vorüberrauscht, und dann seiner eine ewige Wiedervereinigung mit den Seinigen in der seligen Gemeinschaft mit dem HErrn selber wartet. Was ihm genommen ist, das ist ihm nur vorangegangen, das hat er vorausgeschickt, er selber aber kommt nach. Wir haben schon bei 1. Thess. 4, 13 ff. darauf hingewiesen, daß der Todestrost, den der Apostel spendet, nicht der ist: „Die Toten sind ja selig beim HErrn der Seele nach“, sondern der: „Die Toten in Christo werden auferstehen zuerst“; damit ist die Seligkeit der Seele eingeschlossen. Zu wenige wissen das zu schätzen, was für eine Vollendung der Seligkeit in der Auferstehung liegt und daß doch für alle Seligkeit noch ein Mangel vorhanden ist, solange die Seele getrennte Bahnen vom Leibe wallen muß; 1. Kor. 15, 21 ff.

 Diese Hoffnung wirkt weiter Lust und Eifer, für die Dahingeschiedenen um ihre endliche Vollendung zu beten, ein Gedanke, der aus dem eben angegebenen Grunde, weil die Auferstehung nicht in ihrer Bedeutung gewürdigt wird, allen Protestanten etwas Fremdartiges ist. Sie haben kein Bedürfnis und können sich kein Bedürfnis bei andern denken, welches zum Gegenstand dieser Fürbitte gemacht werden sollte. Aber die Stelle aus der Offenbarung c. 6, 10, wo die Märtyrer unter dem Altar ihr „wie lange“ rufen, kann uns doch belehren und uns das Verständnis und Auge dafür öffnen. Sie müssen warten auf uns, Hebr. 11, 39. 40. Sie müssen warten, bis die letzte Generation von Heiligen vollendet ist, aber sie warten auch darauf sehnlich. Durch die ganze Schöpfung geht ein Zug der Sehnsucht nach Vollendung der Kinder Gottes. Röm. 8, 22. 23. Ist das hier schon so, so ist das noch weit mehr bei den Verstorbenen der Fall, daß man sich sehnt nach der Erlösung des Leibes. (Es ist dies Gebet nur durch die Löhe’sche Agende in Übung und zum Ausdruck gekommen in dem Zusatz, den er bei dem allgemeinen Kirchengebet angefügt hat: Endlich um alles u. s. w.)

 c) Das Gericht, welches mit der Wiederkunft verbunden ist, ein weiteres Ereignis, worauf wir zu warten haben. Das Gericht bringt für die Gläubigen völlige Erlösung und wenn alle Schrecken desselben überstanden sind, hat alle Furcht ein Ende. Schrecken wird der Tag freilich bringen, doch kann im Glauben dem Christen die Freudigkeit wachsen, daß er auch an demjenigen Tag, wo alles zusammenbricht, die getroste Stimmung, den getrosten Mut der Seele nicht verliert, 1. Joh. 4, 17; 2. Tim. 4, 8. Was die Bedeutung des Gerichtes ist, liegt ja auf der Hand. Es verherrlicht sich da die Gerechtigkeit Gottes an den Gefäßen des Zornes,| die er so lange getragen hat, die aber nun eben nichts anderes sind als Gefäße des Zornes, um zur Erweisung seiner Gerechtigkeit zu dienen, aber es zeigt sich auch der Triumph seiner Gnade. Dem Worte κρίσις schon entsprechend besteht das Gericht in der Aufhebung der Mischung der Frommen und Bösen. Vor allem besteht das Gericht darin, daß die Scheidung zwischen gut und böse eintritt, der Kampf zwischen Licht und Finsternis aufhört und daß jeder, eben nach dem, was er gehandelt hat bei Leibes Leben, sein Urteil empfängt. Dieser Gedanke wirkt auch beim Christen bei aller Gewißheit seines Gnadenstandes eine heilsame Furcht und Eifer, ein gutes Gewissen zu bewahren, um am Tage des Gerichts Freudigkeit zu haben. Zwar werden wohl viele selig werden, die keine Freudigkeit des guten Gewissens, sondern mehr nur ein zur Ruhe gebrachtes Gewissen haben, weil die Freudigkeit abhängig ist von der Treue eines gottseligen Wandels; wo aber dem Christen das Gewissen Zeugnis gibt, daß er nach der Heiligung gestrebt hat, da wächst auf dem Grunde der Absolution und der Vergebung die Freudigkeit des Gewissens. Sie ist ja nicht nötig zum Seligwerden, denn wenn einer auch nichts weiter kann, als heulend und zähneklappernd das Verdienst Christi ergreifen, so muß der auch selig werden, aber keine Freudigkeit kann da sein am Tage des Gerichts. Mancher wird gerettet, wie ein Brand aus dem Feuer gerissen wird, und zitternd wie Espenlaub geht er in den Himmel ein. Also das Nächste ist, daß der Gedanke an das Gericht eine heilsame Furcht und einen Eifer, Gott zu gefallen, wirkt 2. Kor. 5, 9–11. Dies ist die Furcht des HErrn, d. h. der Grund, warum man sich vor dem HErrn fürchten muß, ist der, weil er alle unsere Werke vor das Gericht bringen wird, weil wir alle nicht bloß vor Christi Richterstuhl erscheinen, sondern auch offenbar werden müssen mit allem, was hier verborgen ist. Der ganze Inhalt unsers Lebens, der vielfach unser Geheimnis geblieben ist vor Menschen Augen, der wird dann enthüllt werden und wie ein aufgeschlagenes Buch vor ihm liegen. Die Wirkung auf den Willen, auf das Heiligungsstreben ist ja damit auch schon nachgewiesen, denn es heißt ja v. 9: Aus diesem Grunde fleißigen wir uns, ihm zu gefallen. Wenn der Christ das Zeugnis des Geistes Gottes hat, daß er, wenn auch in Schwachheit, doch beflissen war, nach der Heiligung zu streben, wird ihm auch eine Freudigkeit am Tage des Gerichts erwachen, daß der Triumph und die Vollendung kommt. 1. Joh. 2, 28; vergleichsweise auch 1. Joh. 3, 21; 1. Petr. 4, 18.
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|  Der Gedanke an das letzte Gericht wirkt beim Christen ein beständiges Selbstgericht, 1. Kor. 11, 31. Dieses Selbstgericht ist eben die Selbstprüfung und Buße. Endlich ein Bewußtsein der abzulegenden Rechenschaft von all seinem Thun, was den Menschen antreiben muß zur Gewissenhaftigkeit in seinem Wandel, Matth. 12, 3–6; 2. Kor. 5, 9; Eph. 6, 8; Röm. 2, 6–16; Offb. 20, 11 ff., wo davon die Rede ist, daß Bücher aufgeschlagen werden und daß nach dem, was in den Büchern geschrieben steht, nämlich nach ihren Werken, die Toten gerichtet werden, und daß noch ein anderes Buch geöffnet wird, nämlich das Buch des Lebens, in welches die Erwählten eingetragen sind.
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 d) Die Vernichtung der Welt. Alles Materielle vergeht, alle Herrlichkeit Himmels und der Erden. Die spezifische Wirkung dieser Hoffnung, wenn man sie eine Hoffnung nennen kann, oder lieber dieser Thatsache der Zukunft aufs Gemüt des Christen ist der Eindruck von der Eitelkeit und Vergänglichkeit aller Dinge. Was ist es mit der gerühmten Unsterblichkeit der Werke der Menschen, was ist es mit den Schöpfungen, den unsterblichen, der Kunst! Wenn sie die Zeit in ihrem Verlauf nicht schon stürzt und in Staub niederlegt, so sind sie doch nur gespart für das Feuer des Jüngsten Tags, bestimmt, Brennmaterial für das Feuer jenes großen Tages abzugeben. Das einzige, was Währung hat, das einzige und dauernde Gut ist Gott der HErr, und nur in ihm werden wir der Unsterblichkeit und des unvergänglichen Wesens teilhaftig, 2. Petr. 3, 10. 12. Die Menschenwerke auf der Erde werden verbrennen, dagegen ist die Erneuerung Himmels und der Erde, für welche dieser Untergang der alten Welt im Feuer nur das Vorspiel ist, ein Gegenstand der Christenhoffnung. Es wird eine feurige Wiedergeburt der Welt, der Erde sein. Als Gott das erste Gericht über die Erde führte, da war es das Element des Wassers, durch welches er das Gericht vollstreckte, aber nun bedarf es einer gründlicheren Reinigung, als sie das Wasser leisten konnte. Das Feuer ist das Element, welches verzehrt und dadurch, daß es verzehrt, reinigt und läutert. Wir werden uns das Verhältnis der neuen Erde zur alten ähnlich denken dürfen, wie des neuen Leibes zum alten, daß aus der Asche, in die die Welt zerstäubt, der neue Himmel und die neue Erde entsteht, und darauf warten wir, auf die Neuschaffung des Himmels und der Erde. Das ist das letzte Ziel der Hoffnung. 2. Petr. 3, 13; Apok. 21; Jes. 66, 22; 65, 17; Ps. 102, 23; Matth.| 24, 35. Dann erreicht nämlich nicht bloß der Mensch, sondern mit ihm die ganze Kreatur ihr endliches Ziel, das Ziel ihrer Verklärung. Man wird hieher wohl Röm. 8, 19 zu beziehen haben. Wenn die Kreatur und diese gegenwärtige Erde vernichtet und ein neuer Himmel und eine neue Erde erschaffen würde, die gar keinen Zusammenhang mit dieser Erde hätte, so würde das Sehnen der Kreatur nicht gestillt werden. Also wird man aus diesen Stellen schließen dürfen, daß der Untergang der Welt nicht eigentlich eine Vernichtung quoad substantiam sei, sondern daß das Feuer das reinigende und läuternde Element ist, welches von ihr alles Unreine, alles Sündenbefleckte vertilgt und daß die Erde dann gereinigt und geläutert aus sich selbst hervorgehen werde, quoad formam. Es wird dieselbe Erde sein, nur hindurchgegangen durch den Läuterungsprozeß eines Läuterungsfeuers.

 Diese Hoffnung wirkt in dem Christen rechte Freude über das Ende der Wege Gottes, welches darin besteht, daß die Materie vollständig durchdrungen wird vom Geist, vollendet zur verklärten Leiblichkeit.

 Vor allem muß diese Hoffnung eine richtige Wertschätzung der Kreatur wirken und einen rechten Gebrauch derselben. Das greift auf Röm. 8 zurück, wo uns der Apostel die tiefe und uns selbst verborgene Sympathie der Kreatur mit dem Geschick des Menschen enthüllt. Nicht bloß, sagt der Apostel, ist die Kreatur mit verflochten in den Fall des Menschen, wie sie mit ihm, doch um seinetwillen, der Vergänglichkeit unterworfen ist; nicht bloß trägt sie mit ihm, doch sie unverschuldet, das Elend des Fluches, der um der Sünde des Menschen willen ihr zugesprochen ist, sondern es ist auch ein Ahnen und Sehnen, wenn auch ein unbewußtes, in ihr nach Erlösung aus diesem Zustande. Natürlich kommt diese Sehnsucht nur beim Menschen klar zum Bewußtsein, der gleichsam der Dolmetscher dieser stummen Seufzer der Kreatur ist. Eben deswegen soll und muß sich der Christ mit der Kreatur verwandt fühlen, der er ja angehört, nach der leiblichen Seite seines Daseins, er muß die rechte Liebe zur Kreatur in sich erwecken, welche ebensosehr in der Freiheit von derselben, als im rechten Gebrauch der Kreatur besteht. Liebe zur Kreatur ist es, sie vor dem Mißbrauch zu bewahren, sie nicht zu entweihen im Dienst der Sünde, sondern durch rechten dankbaren Gebrauch sie priesterlich zu heiligen und sie dadurch zur Verklärung vorzubereiten. Das ist die Wirkung der Aussicht des Christen auf das letzte Ende.


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§ 79.
Die Wiederkunft Christi der vorläufige Abschluß der Geschichte.

 Wir haben aber zwischen jetzt und dem schließlichen Ende einen vorläufigen Abschluß der Geschichte zu erwarten, nämlich:

 Die erste Wiederkunft Christi zur Vertilgung des Antichrists und zur Aufrichtung seines Reiches im letzten Jahrtausend der Weltgeschichte.

 Der Gegenstand dieser Hoffnung ist uns der Zeit nach näher liegend. Ohne diese erste Wiederkunft würde kein Abschluß der Geschichte, keine Auswirkung der in ihr waltenden satanischen, ungöttlichen Potenzen, kein innerzeitlicher, innergeschichtlicher Triumph des Guten stattfinden, keine Entscheidung im Diesseits erfolgen. Unentwirrt, unausgeschieden, unausgetragen würde alles sein und das hereinbrechende Gericht würde ohne die erste Wiederkunft nur einen äußeren Abschluß bilden. Das, was gewoben ist auf dem Webstuhl der Zeit, dies Stück gottgewirkter Geschichte, würde wie ein gordischer Knoten einfach durchhauen werden, falls kein Abschluß der Entwicklung einträte. Wenn man es nicht wüßte, müßte man es schließen, daß die Mächte des Guten und Bösen sich immermehr entfalten und daß es zu einer Entscheidung kommen müsse. Wenn die Geschichte der Welt verläuft, wie wir es in der Offenbarung sehen, so haben wir eine vollständige Auswirkung der in der Welt enthaltenen Potenzen. Es kommt das Böse zu seiner satanischen Entfaltung im Antichrist und seinem Sieg und Regiment, es kommt aber auch das Gute in der Aufrichtung des herrlichen Reiches Christi zum Triumph. So ist ein gotteswürdiger Abschluß in der Geschichte erreicht. – Was dann die richtige Vorstellung von dem durch Christi erste Wiederkunft herbeigeführten Zustand anlangt, so ist zu sagen, daß auch dann noch die Sünde vorhanden sein wird, aber ohne Einfluß des Teufels. Auch der Tod wird vorhanden sein, aber der Menschen Natur wird wiederhergestellt zu ihrer anfänglichen Kraft, so daß auch die Lebensmaße der Väter der Vorzeit wiederzukehren scheinen. Es ist infolgedessen möglich und kommt zur Erscheinung die höchste Blüte und Vollendung alles Guten in der sichtbaren Kirche. Die sichtbare Kirche deckt sich dann so weit als möglich mit der unsichtbaren, sie stellt sich dann in der Reichsform, Theokratie, Christokratie dar. Das jüdische Volk und der Thron Davids werden wiederhergestellt und ebendadurch wird der Kirche, dem Volk Gottes die Reichsgestalt gegeben.

|  Nun ist noch die Rede von den Wirkungen dieser speziellen Hoffnung, von der man ja nicht wird sagen können, der Christ habe sie nicht nötig, wenn schon sie sich nur auf den vorläufigen Abschluß des Reiches Gottes bezieht; sie übt dennoch einen fördernden und vollendenden Einfluß auf das christliche Leben aus, und zwar um so mehr, je näher das Ende heranrückt. Es ist vor allem der klare Blick in die Zeit und die richtige Beurteilung der Zeichen der Zeit, die durch diese Offenbarung, wenn wir sie uns aneignen, uns ermöglicht wird; welche Zeit, wieviel Uhr es ist, erfahren wir annähernd auf diesem Wege. Ohne diesen Aufschluß der Offenbarung, ohne das richtige Verständnis derselben, haben wir kein Licht beim Blick in die Zukunft, sondern tappen und tasten im Finstern; ebendeswegen kann uns ohne sie auch kein richtiges Urteil über die politischen und kirchlichen Zustände unsrer Gegenwart beiwohnen. Vor allen Dingen ist das richtige politische Urteil, nicht das Urteil im Sinne der Staatsmänner und Diplomaten, sondern das rechte christliche Urteil über die großen Weltbegebenheiten ganz von dieser Stellung zur Offenbarung und zu ihren Aufschlüssen abhängig. Der Ansatz zur Bildung einer letzten Weltmacht, die allmähliche Bildung der antichristlichen zehn Vasallenreiche, von denen wir ein rechtes Vorbild im Napoleonismus haben, wie denn überhaupt der erste Napoleon mit seinen Rheinbundfürsten und Vasallen unleugbar der vollendetste Typus des Antichrists der letzten Zeit ist, werden wir dann mit erleuchteteren Augen ansehen, als es sonst möglich wäre. Bei solchem Standpunkt wird man auch soziale Erscheinungen, wie die Sozialdemokratie, die Kommune, beurteilen können, nicht beim oberflächlichen Urteil stehen bleiben, nicht bloß ein Attentat gegen das Kapital darin sehen, sondern die beginnende Offenbarung des Geheimnisses der Bosheit, die satanische Unterminierung aller Rechtsordnung, die noch der göttliche Faktor im Völkerleben ist, die Herstellung und Anbahnung des Zustandes der ἀνομία dessen persönliche Verkörperung der ἄνομος der Antichrist ist, wie er 2. Thess. 2, 8 heißt, der alles Recht aufhebt und dafür seine Willkür setzt. – Auch in kirchlicher Beziehung wird das Urteil durch diese Stellung zur Offenbarung bedeutend beeinflußt. Gegenüber dem Wahn einer allgemeinen Verchristlichung der Welt, eines Durchdringens des Sauerteigs durch den Teig der Menschheit, gegenüber jenem trunkenen Optimismus, der sich selber fortwährend belügt und täuscht, ist hier ein nüchternes Urteil über die kirchliche Entwicklung möglich. Anstatt einer Verbreitung kirchlichen Einflusses müssen| wir vielmehr ein Schwinden desselben annehmen, daher der Fall der Landeskirche nur eine Frage der Zeit, sonderlich seit dem Jahre 1848. Damit hört der pädagogische Einfluß der Kirche auf die Völkerwelt auf. Wer das nicht sehen kann, muß starblind sein. Seit jener Zeit erschallt das Wort: „Laßt uns zerreißen ihre Bande und von uns werfen ihre Seile.“ Die Völker wollen nicht mehr unter der Kirche sein, nicht mehr unter dem Schatten der Kirche leben, das ist die Loslösung des Volkes vom Christentum, wozu auch der Kulturkampf im letzten Drittel des vorigen Jahrhunderts beigetragen hat, das Ende des christlichen Staats, welches nach der jedenfalls nur kurzen Phase des Rechtsstaates den antichristlichen Unrechts- und Willkürstaat herbeiführen wird. Die Kirche wird so gut wie am Anfang fliehen müssen aus der Öffentlichkeit in die Höhlen und Klüfte. Ist so einem falschen Optimismus begegnet, so wird doch auch einem falschen Pessimismus gewehrt, denn wenn es auch zunächst nur abwärts gehen kann, so ist das Nächste doch nicht das Letzte und das Letzte ist hinter der Niederlage, dem scheinbaren Untergang der Kirche, der Sieg und Triumph Jesu Christi. Der Sieg der Gläubigen der Endzeit ist ohne diese Hoffnung nicht zu denken.
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 Auch das will noch hervorgehoben sein, daß mit dieser Anschauung gegeben ist die Hoffnung auf eine irdische Blütezeit der Kirche, auf eine sichtbare Darstellung der Einheit der Kirche, auf eine Zeit, wo die Sichtbarkeit und Erscheinung der Kirche sich deckt mit ihrem geistlichen, inneren Wesen. Eine ganz andere Lust, ein ganz anderer Eifer zur Arbeit an der Kirche und dem Reiche Gottes hebt bei dieser Aussicht an. Man weiß ja, daß alles, was hier auf Erden für das Reich Gottes gearbeitet wird, nicht nur Vorbereitung eines jenseits des Weltbestandes liegenden Zustandes der Dinge ist, sondern, daß alles hier auf Erden in jener Glanzperiode und Blütezeit der Kirche zur Darstellung kommen wird. Bei der herkömmlichen Ansicht erscheint die ganze Kirche auf Erden lediglich als ein Baugerüst, nichts anderes, das zusammengeschlagen wird, wenn der Bau vollendet ist. Ist aber die Hoffnung die, daß die Kirche als sichtbare Gemeinde Jesu Christi herrlich nochmals dargestellt wird vor aller Welt, so kann man ja dem Trost sich hingeben und zum Eifer sich ermutigen lassen, daß alles, was im Reiche Gottes gearbeitet ist, nicht vergeblich gearbeitet ist, sondern auch hier noch zur Darstellung kommt. Zu einem irdischen Sieg kommt das Reich Gottes hier noch, und das gibt eben eine| andere Stellung zur Kirche und eine andere Stellung auch zum Bau und zur Arbeit an der Kirche. Überhaupt ist freilich eine sittliche Leistung in keiner Gemeinschaft verloren; aber es ist ein Unterschied, wenn man die Hoffnung, das Bewußtsein in sich trägt, das Resultat der Arbeit erscheint nicht erst in der Ewigkeit, sondern man arbeite auch für seine diesseitige Zukunft, wo alles, was wirklich Leistung ist, zur Erscheinung kommt.


B.
Das Leben des Christen in der Vollendung, wenn er ist und hat, was er sein soll, das Ziel.
§ 80.
Der Christ am Ziel.

 Der einzelne Christ muß sein, was er werden soll, und werden, immer vollkommener, was er ist; das ist überhaupt das Geheimnis des ganzen Christenlebens. Der Christ muß immer mehr werden, was er schon ist, was er durch Gottes Gnade ist, soll er immer mehr durch eigene That werden. Nur dürfen wir hier das Ziel des Christen nicht im allgemeinen ins Auge fassen, sondern wir müssen das Ziel der sittlichen Vollendung des Christen betrachten; denn mit dieser hat es ja die Ethik zu thun. Anders ist es mit der Dogmatik. Dort hat man es mit dem ganzen Ziel, welches die göttliche Berufung dem Christen gesteckt hat, zu thun, das ist die Seligkeit; aber hier ist nur die Rede von dem sittlichem Ziel des Christen. Das ist die ethische Vollendung oder vollkommene Heiligkeit, eine Heiligkeit, die identisch ist mit der Sündlosigkeit. Was auf Erden nicht erreicht werden kann, was nur eine Behauptung ist, die dem geistlichen Hochmut ihren Ursprung verdankt, das ist dort erreichtes Ziel. Es ist das Ebenbild Gottes in dem Menschen vollkommen wieder hergestellt, es spiegelt sich dann in ihm die Klarheit Gottes mit enthülltem Angesicht.

 Diese Vollkommenheit und Vollendung wirkt in dem Menschen das Gefühl der Befriedigung; denn der Mensch ist dann mit sich selber und mit Gott in Harmonie. Was bei den Christen hier auf Erden nicht überwunden werden kann, nämlich jener Dualismus, von welchem der Apostel Röm. 7 und 8 in so ergreifender Weise redet, nämlich der Kampf zwischen Fleisch und Geist, dem alten und neuen Menschen, dieser Dualismus ist dann vollständig beseitigt. Wie also der Mensch, wenn er diese Stufe erreicht hat, mit Gott in vollkommener| Harmonie steht, so auch mit sich selbst, und hieraus entspringt eine Quelle der Seligkeit, denn die Seligkeit ist ein Zustand, welcher aus vielen Quellen entspringt. Der Gewissensfriede, der dann im höchsten Maße vorhanden zu denken ist als eine feierliche Sabbathstille im Menschen, die nur unterbrochen ist durch das laute Zeugnis von unserer Gotteskindschaft und dem Wohlgefallen Gottes an uns, dieser Gewissensfriede ist ja auch eine Quelle der Seligkeit. Wie es hier schon beseligend ist für den Menschen, wenn er ein gutes Gewissen hat, so ist dort eine Ursache der Seligkeit das Bewußtsein der im höchsten Maße vorhandenen Rechtbeschaffenheit, das Zeugnis von dem vollkommenen Wohlgefallen Gottes an uns. Der Mensch ist ja dann so, wie ihn Gott will, und diese Übereinstimmung des Wollens mit dem Sein, diese Selbstbejahung ist eben die Heiligkeit und Vollkommenheit. So ist auch bei Gott die Heiligkeit definiert. Hier auf Erden müssen wir uns verneinen: „Ich bin nicht so, wie ich sein soll, ich will nicht so, wie ich bin, ich thue, was ich nicht will; aber was ich will, thue ich nicht.“ Dort ist davon nicht mehr die Rede.

 Mit dem einzelnen ist auch die Kirche zur Vollendung gelangt. Es ist aus ihr geworden die Braut des HErrn, die herrlich ist, ohne Flecken und Runzeln, Eph. 5, 27. Die geschmückte und bereitete Braut des Lammes, Off. 21, 2, eingehüllt ins weiße Kleid der Gerechtigkeit, Off. 19, 8.

 Dieser sittlichen Vollendung des Christen oder, wie man dafür sagen kann, dieser nun von ihm erreichten Heiligkeit entspricht dann auch die Herrlichkeit; denn die Seligkeit steht zwar in keiner Verbindung mit der sittlichen Arbeit und Leistung des Menschen, wohl aber die Herrlichkeit. Übrigens sind Herrlichkeit und Heiligkeit innig verwandt. Heiligkeit ist die nach innen gekehrte Herrlichkeit, Herrlichkeit ist die nach außen gekehrte Heiligkeit, wie Oetinger sagt. Während das Ziel, welches die Dogmatik zeigt, die Seligkeit ist, ist das Ziel, wie es die Ethik zeigt, die Vollendung zur Herrlichkeit und Heiligkeit. Daß die Herrlichkeit im Verhältnis zur sittlichen Leistung des Menschen steht, daß es Stufen in der Herrlichkeit gibt, daß trotz alledem der Lohn, von dem hier die Rede ist, doch ein Gnadenlohn ist, an welchem die Gnade Gottes ebensoviel Anteil hat als seine Gerechtigkeit, wenn man nicht sagen kann: mehr – davon war schon am Eingang die Rede, in den Prolegomenis § 11, Matth. 19, 20; 20, 1–16; 25, 14–30, wo die Rede ist von den Pfunden, und wo gesagt wird, daß je nach der Treue,| womit die einzelnen Knechte gewuchert haben, ihre Stellung in der Ewigkeit sich bemißt, Luk. 19, 12. 17, 19 etc. In der Offenbarung (21, 14) ist ja auch den Aposteln, als den Grundsteinen des neuen Jerusalems, eine außerordentliche, vor anderen bevorzugte Stellung angewiesen.

 Dann hat auch die Kreatur ihr Ziel der Vollendung erreicht zur Ehre und Preis des dreieinigen Gottes; Röm. 8, 19–23, nach welcher Stelle die Verherrlichung der Kreatur innigst zusammenhängt mit der Vollendung der Kinder Gottes. Es sind drei Punkte, sozusagen, wo sich dieser Zusammenhang, diese verborgene συμπάθεια offenbart. Die Kreatur ist zur Teilnahme an der Seligkeit des Menschen geschaffen; ist mit ihm verflucht und in das Elend gesunken; sie ist in der Zwischenzeit seit ihrem Fall bis zur Wiederherstellung aller Dinge mit dem Menschen verbunden zur Gemeinschaft des Seufzens und Sehnens nach der Erlösung; und sie wird mit ihm verherrlicht werden.



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