Christliche Ethik auf lutherischer Grundlage/Die sittliche Ausgestaltung im Hoffen, oder das Hoffnungsleben samt dem Ziel der abschließenden Vollendung
« Sittliche Ausgestaltung des göttlichen Ebenbildes im Kreuz und Leiden | Friedrich Bauer Christliche Ethik auf lutherischer Grundlage |
Register » | |||
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
| |||||
Für eine seitenweise Ansicht und den Vergleich mit den zugrundegelegten Scans, klicke bitte auf die entsprechende Seitenzahl (in eckigen Klammern).
|
Die Hoffnung beruhigt; denn sie nimmt die Angst vor dem, was uns bevorsteht und was uns Furcht erregen kann, weg, sie lichtet das ungewisse Dunkel der Zukunft und erhellt uns die Todesstraße. „Wir sind getrost“ etc. 2. Kor. 5, 8. Furcht ist die Vorempfindung eines unbekannten in der Zukunft drohenden Übels, wenn uns aber die Zukunft tröstlich erhellt wird, so fällt die Furcht weg. Hoffnung erfreut den Menschen, Röm. 12, 12: Seid fröhlich in Hoffnung. Wir sind selig in Hoffnung, sie hat etwas Beseligendes, Röm. 8, 24; Tit. 2, 13. In der Stelle 1. Petr. 1, 3 wird der Auferstehung Jesu eine wiedergebärende Wirkung auf das Hoffnungsleben des Christen zugeschrieben. Die Christenhoffnung macht aus dem Gläubigen einen ganz neuen Menschen, weil sie gegründet ist auf die Auferstehung des HErrn, diese aus der Ewigkeit in die Zeit hereinragende Thatsache, in welcher die Ewigkeit durchbricht durch die Zeit, das Leben über den Tod triumphiert und unvergängliches Wesen ans Licht gebracht wird. Die Hoffnung gibt Geduld und Tragkraft im Leiden, daher der Apostel Röm. 12, 12 neben das Wort: „Seid fröhlich in Hoffnung“ das Wort: „Geduldig in Trübsal“ setzen kann. Röm. 8, 18: Der Blick auf die Herrlichkeit ist es, der uns Mut und Kraft gibt, im Leiden dieser Zeit auszuharren, 2. Kor. 4, 17 u. 18; Hebr. 11, 1. Da ist ja der Glaube nach der Seite hin gefaßt, nach welcher er das verheißene Gut der Zukunft sich vorhält und durch die in Aussicht gestellte verheißene gewisse Zukunft Standhaftigkeit und Kraft gewinnt, unter den erschwerenden Umständen der Gegenwart auszuhalten, cf. v. 25 u. 26, was von Mose gesagt; cap. 10, 35. 36.
Was den Unterschied der Hoffnung vom Glauben anbelangt, so haben wir ja schon in einem früheren Abschnitt der Ethik ausführlich davon gesprochen. Die Hoffnung schaut nur in die Zukunft, ihr Auge ist vorwärts gerichtet. Der Glaube haftet, man könnte sagen,| an der Vergangenheit, die jedoch für ihn lebendige Gegenwart ist; denn ihm ist der gekreuzigte Jesus nicht ein Jude, der vor bald 2000 Jahren gelebt hat, er ist ihm gegenwärtig und er hat ihn gegenwärtig und sein Heil, davon er alle Tage leben will. Die Hoffnung schaut in die Zukunft, der Glaube haftet an den Thatsachen des Heils und an den Verheißungen Gottes, die, obwohl in der Vergangenheit geschehen, ihm doch immer Gegenwart sind. Nach Hebr. 11, 1 ist der Glaube eine gewisse Zuversicht des, das man hofft u. s. w. Hier würde, wenn wir den Begriff des Glaubens in engerm Sinn nehmen, nur die zweite Hälfte passen. Der Glaube ist ein Überzeugtsein von Dingen, die nicht sichtbar sind, von der Realität der unsichtbaren geistigen Welt. Ich glaube, daß Gott ist, ich glaube, daß mich Gott in Jesu Christo liebt, ich glaube, daß er mir die Sünde vergibt im Himmel, wenn sie mir auf Erden vergeben wird, ich glaube, daß er mich speist im heiligen Abendmahl mit seinem Leib und Blut – das sind lauter Dinge, die Sache des Glaubens sind, weil sie unsichtbar, nicht Gegenstände der sinnlichen Wahrnehmung sind. Es ist also der Unterschied der, daß der Glaube eine Überzeugung von der Realität der geistlichen Welt ist, im Gegensatz zu jener Überzeugung, die aus der sinnlichen Wahrnehmung stammt. Sofern der Glaube aber eine Gewißheit zur Erlangung zukünftiger Dinge und Güter ist, sofern fällt er zusammen mit der Hoffnung und nennt man das entsprechende Verhalten des Christen statt glauben lieber hoffen. Der Glaube hat das schon, was er dereinst schauen wird, die Hoffnung aber sieht auf das Gut, das jenseits liegt und hat darum wesentlich den Charakter des Harrens, Wartens, Entbehrens. Der Glaube hat, was er noch nicht sieht, die Hoffnung sieht auf das, was sie noch nicht hat, daher in der heiligen Schrift der Gegensatz zum Glauben das Schauen ist, 2. Kor. 5, 7, der Gegensatz zur Hoffnung aber der Besitz, Hebr. 11, 13; 13, 14. Man kann freilich sagen, daß die Hoffnung auch eine Art Antizipation der Zukunft, eine der Wirklichkeit voraneilende Besitzergreifung des Gehofften sei. Aber immer bleibt doch der wesentliche Unterschied, daß der Glaube hat, was er nur noch nicht schaut, die Hoffnung aber schaut, was sie in Wirklichkeit noch nicht besitzt. Gegenstand des Glaubens sind Thatsachen, Realitäten, die Thatsachen des Heils und die daraus entsprungenen tatsächlichen Verhältnisse Gottes zu der Menschheit, Gegenstand der Hoffnung sind Güter. Im Alten Testament ist häufig da, wo wir jetzt den Ausdruck| Glauben gebrauchen, von Hoffnung die Rede, da dort das Heil erst in den Anfängen verwirklicht war und noch in der Zukunft zu erwarten stand. Aber für uns, für die das Heil bereits in der Fülle der Zeit bewirkt ist durch Christi Menschenwerdung, Leiden und Auferstehen, legt sich Glaube und Hoffnung mehr auseinander. Unter Glauben verstehen wir dann die Aneignung des bereits erschienenen, bereits gewirkten Heils; unter Hoffnung verstehen wir das Harren auf das zukünftige Heil, auf die Vollendung. – Diese Hoffnung ist eine gewisse und zwar deswegen, weil sie auf göttlichen Verheißungen ruht, für die Gott selber schon durch das Heil, das er in Christo der Welt hat erscheinen lassen, die vollste Bürgschaft gegeben hat. Daher ist die Christenhoffnung eine gewisse, im Unterschied von der heidnischen, von welcher Cicero die Definition gibt: Spes incerti boni nomen est, die Hoffnung ist der Name für ein ungewisses Gut, wie Furcht der Name für ein ungewisses Übel ist. Der Gegenstand der Hoffnung ist eben deswegen eine Realität, die dann nicht wieder durch spiritualistische Auslegung verflüchtigt werden darf. In unsrer Kirche, in der Dogmatik wenigstens, hat von Anfang an mit wenig Ausnahmen der Spiritualismus geherrscht; der Farbenreichtum, mit welchem die heilige Schrift die Zukunft, den Himmel, die ewige Seligkeit beschreibt, wurde nur als Ornament, als irdisches, menschlich beschränktes Darstellungsmittel des Unaussprechlichen und Unbeschreiblichen in der Ewigkeit angesehen. Man sagte, es sind eben irdische Eindrücke, Vorstellungen auf die Ewigkeit übertragen, die Farben auf der Palette dieser Schilderung sind pur der Erde entlehnt. So verflüchtigte man das Konkrete, Reale an den Ausdrücken der heiligen Schrift in den feinen Dunst des Gedankens. Aus dem Himmel, den uns doch die heilige Schrift mit solch reichhaltiger Ausführlichkeit beschreibt, und der Stadt des lebendigen Gottes mit dem himmlischen Heiligtum wird ein seliger Zustand gemacht, dem selbst die Örtlichkeit abgestreift wird, denn davor scheuen sie sich, den Begriff des Ortes auf die Ewigkeit überzutragen, coeleste quoddam που sagen sie. Es fehlt an dem rechten Begriff der verklärten Leiblichkeit, der erst durch die neue Theosophie zu seinem Recht gebracht ist. Wenn der falsche Gegensatz einmal hingefallen ist, der Geist und Leib in einen unversöhnlichen Gegensatz stellt, dann wird der Spiritualismus auch in der Theologie verschwinden, dann wird diese Auffassung der Dinge einer schriftgemäßeren Platz machen. Es ist freilich oft schwierig, die Grenze zu ziehen| zwischen dem, was eigentlich gesagt und wirklich ist, und was bildliche Darstellung ist, namentlich ist es in der Offenbarung schwer, wo wir nur Gesichte haben. Aber das überläßt man Gott und hält nur fest, daß, so gewiß Christus auferstanden ist und so gewiß unsere Leiber im Himmel sein werden, daß dort auch eine angemessene Umgebung und Natur sein muß.
Diese Hoffnung wirkt auch ein anhaltendes und dringendes Beten um das Kommen des Reiches Gottes. Die Hoffnung wird ein Sporn für das Gebet um die Vollendung des Reiches Gottes auf Erden. Die Hoffnung, daß der HErr kommen wird, wird naturgemäß zum Gebet: Komm, HErr Jesu! Apok. 22, 17.
Diese Hoffnung wirkt auch eine Stärkung des Glaubens wider alle Zweifel und Anfechtungen. Insofern die Hoffnung uns den Ausgang des Kampfes hier auf Erden, den Sieg und Triumph des Reiches Gottes am Ende zeigt, wirkt sie auch auf den Glauben stärkend zurück, so daß er standhält, auch wo die Gegenwart nicht der verheißenen Zukunft ähnlich noch eine Vorbereitung derselben zu sein scheint, auch da, wo die Lage der Gegenwart die verzweifeltste ist; Hebr. 11, 1. Dort ist ja der Glaube in seinem wesentlichen Zusammenhange mit der Hoffnung gefaßt und ist als die Kraft bezeichnet, vermöge welcher der Mensch unter schwierigen Umständen auszuharren tüchtig wird; denn| wer der Zukunft gewiß ist, hat keinen Grund für die Gegenwart zu verzagen.b) Ein weiterer Gegenstand der Christenhoffnung ist die allgemeine Auferstehung der Toten, die thatsächlich darin besteht, daß die Seele wieder mit ihrem auferweckten Leib vereinigt wird und mit ihm in einen Zustand der Verklärung eingeht. Die Frage ist nun, was diese Hoffnung für eine spezifische Wirkung auf den Christen hat. Die Auferstehung ist eine Thatsache, die zunächst von größter Wichtigkeit ist für den Leib. Der Leib ist der Mitgenosse der Seele und ihrer ewigen Vollendung. Das muß man sich gegenwärtig halten im Gegensatz zu einer ursprünglich heidnischen dualistischen, aber auch in die christliche Denkweise eingedrungenen falschen Anschauung vom Leib. Leib und Geist sind nicht einander ausschließende Gegensätze. Bei der Schöpfung ist ja eben Geist und Leib in eine wunderbare Verbindung gefügt worden, und was dort begonnen ist, wird in der Verklärung vollendet werden, die ja der Triumph des Geistes nicht über die Materie, sondern in der Materie ist. Die Verklärung der Leiblichkeit ist der höchste Triumph Gottes. Diese Hoffnung wirkt bei dem Christen rechte Schätzung und Behandlung des Leibes. Der Leib ist nach der Offenbarung der heiligen Schrift ja nicht etwa bloß vorübergehend der Seele anhaftend. Der Leib hat eine ewige Bestimmung, mithin muß er in gebührender Ehre gehalten werden. Es liegt darin aber auch ein Sporn zur Heiligung, ein mächtiger Antrieb, den Leib nicht herabzuwürdigen in den Dienst der Eitelkeit, in den Frondienst der Sünde, 1. Kor. 6, 12–14. Es ist also nicht wie mit dem Bauch, der die Speise verdaut und den ganzen irdischen Ernährungsprozeß vermittelt, den wird Gott abthun. Aber der Leib hat eine ewige Bestimmung; denn – sagt der Apostel – Gott hat den HErrn Jesum auferweckt und wird auch uns auferwecken durch seine Kraft. Daraus folgt, daß der Leib geheiligt werden muß. Er darf nicht hingegeben werden dem Dienst der Sünde, hier speziell: der Hurerei, weil sie die größte Entweihung des Tempels Gottes, des Leibes, ist.
Diese Hoffnung wirkt bei dem Christen rechte Auffassung seiner Bestimmung, etwas Ganzes zu werden nach Leib und Seele. Es ist nur die Rede von der Bildung und Ausbildung, daß der Leib nicht übermäßig gepflegt wird, daß er aber auch nicht, wie wir dies bei den Asketen sehen, mißhandelt wird, daß man ihn nicht verkümmern| läßt, sondern sich als Ziel der Bildung setzt, eine harmonische Übung und Fertigkeit aller Kräfte Leibes und der Seele zu erlangen.Diese Hoffnung wirkt weiter Lust und Eifer, für die Dahingeschiedenen um ihre endliche Vollendung zu beten, ein Gedanke, der aus dem eben angegebenen Grunde, weil die Auferstehung nicht in ihrer Bedeutung gewürdigt wird, allen Protestanten etwas Fremdartiges ist. Sie haben kein Bedürfnis und können sich kein Bedürfnis bei andern denken, welches zum Gegenstand dieser Fürbitte gemacht werden sollte. Aber die Stelle aus der Offenbarung c. 6, 10, wo die Märtyrer unter dem Altar ihr „wie lange“ rufen, kann uns doch belehren und uns das Verständnis und Auge dafür öffnen. Sie müssen warten auf uns, Hebr. 11, 39. 40. Sie müssen warten, bis die letzte Generation von Heiligen vollendet ist, aber sie warten auch darauf sehnlich. Durch die ganze Schöpfung geht ein Zug der Sehnsucht nach Vollendung der Kinder Gottes. Röm. 8, 22. 23. Ist das hier schon so, so ist das noch weit mehr bei den Verstorbenen der Fall, daß man sich sehnt nach der Erlösung des Leibes. (Es ist dies Gebet nur durch die Löhe’sche Agende in Übung und zum Ausdruck gekommen in dem Zusatz, den er bei dem allgemeinen Kirchengebet angefügt hat: Endlich um alles u. s. w.)
c) Das Gericht, welches mit der Wiederkunft verbunden ist, ein weiteres Ereignis, worauf wir zu warten haben. Das Gericht bringt für die Gläubigen völlige Erlösung und wenn alle Schrecken desselben überstanden sind, hat alle Furcht ein Ende. Schrecken wird der Tag freilich bringen, doch kann im Glauben dem Christen die Freudigkeit wachsen, daß er auch an demjenigen Tag, wo alles zusammenbricht, die getroste Stimmung, den getrosten Mut der Seele nicht verliert, 1. Joh. 4, 17; 2. Tim. 4, 8. Was die Bedeutung des Gerichtes ist, liegt ja auf der Hand. Es verherrlicht sich da die Gerechtigkeit Gottes an den Gefäßen des Zornes,| die er so lange getragen hat, die aber nun eben nichts anderes sind als Gefäße des Zornes, um zur Erweisung seiner Gerechtigkeit zu dienen, aber es zeigt sich auch der Triumph seiner Gnade. Dem Worte κρίσις schon entsprechend besteht das Gericht in der Aufhebung der Mischung der Frommen und Bösen. Vor allem besteht das Gericht darin, daß die Scheidung zwischen gut und böse eintritt, der Kampf zwischen Licht und Finsternis aufhört und daß jeder, eben nach dem, was er gehandelt hat bei Leibes Leben, sein Urteil empfängt. Dieser Gedanke wirkt auch beim Christen bei aller Gewißheit seines Gnadenstandes eine heilsame Furcht und Eifer, ein gutes Gewissen zu bewahren, um am Tage des Gerichts Freudigkeit zu haben. Zwar werden wohl viele selig werden, die keine Freudigkeit des guten Gewissens, sondern mehr nur ein zur Ruhe gebrachtes Gewissen haben, weil die Freudigkeit abhängig ist von der Treue eines gottseligen Wandels; wo aber dem Christen das Gewissen Zeugnis gibt, daß er nach der Heiligung gestrebt hat, da wächst auf dem Grunde der Absolution und der Vergebung die Freudigkeit des Gewissens. Sie ist ja nicht nötig zum Seligwerden, denn wenn einer auch nichts weiter kann, als heulend und zähneklappernd das Verdienst Christi ergreifen, so muß der auch selig werden, aber keine Freudigkeit kann da sein am Tage des Gerichts. Mancher wird gerettet, wie ein Brand aus dem Feuer gerissen wird, und zitternd wie Espenlaub geht er in den Himmel ein. Also das Nächste ist, daß der Gedanke an das Gericht eine heilsame Furcht und einen Eifer, Gott zu gefallen, wirkt 2. Kor. 5, 9–11. Dies ist die Furcht des HErrn, d. h. der Grund, warum man sich vor dem HErrn fürchten muß, ist der, weil er alle unsere Werke vor das Gericht bringen wird, weil wir alle nicht bloß vor Christi Richterstuhl erscheinen, sondern auch offenbar werden müssen mit allem, was hier verborgen ist. Der ganze Inhalt unsers Lebens, der vielfach unser Geheimnis geblieben ist vor Menschen Augen, der wird dann enthüllt werden und wie ein aufgeschlagenes Buch vor ihm liegen. Die Wirkung auf den Willen, auf das Heiligungsstreben ist ja damit auch schon nachgewiesen, denn es heißt ja v. 9: Aus diesem Grunde fleißigen wir uns, ihm zu gefallen. Wenn der Christ das Zeugnis des Geistes Gottes hat, daß er, wenn auch in Schwachheit, doch beflissen war, nach der Heiligung zu streben, wird ihm auch eine Freudigkeit am Tage des Gerichts erwachen, daß der Triumph und die Vollendung kommt. 1. Joh. 2, 28; vergleichsweise auch 1. Joh. 3, 21; 1. Petr. 4, 18.Diese Hoffnung wirkt in dem Christen rechte Freude über das Ende der Wege Gottes, welches darin besteht, daß die Materie vollständig durchdrungen wird vom Geist, vollendet zur verklärten Leiblichkeit.
Vor allem muß diese Hoffnung eine richtige Wertschätzung der Kreatur wirken und einen rechten Gebrauch derselben. Das greift auf Röm. 8 zurück, wo uns der Apostel die tiefe und uns selbst verborgene Sympathie der Kreatur mit dem Geschick des Menschen enthüllt. Nicht bloß, sagt der Apostel, ist die Kreatur mit verflochten in den Fall des Menschen, wie sie mit ihm, doch um seinetwillen, der Vergänglichkeit unterworfen ist; nicht bloß trägt sie mit ihm, doch sie unverschuldet, das Elend des Fluches, der um der Sünde des Menschen willen ihr zugesprochen ist, sondern es ist auch ein Ahnen und Sehnen, wenn auch ein unbewußtes, in ihr nach Erlösung aus diesem Zustande. Natürlich kommt diese Sehnsucht nur beim Menschen klar zum Bewußtsein, der gleichsam der Dolmetscher dieser stummen Seufzer der Kreatur ist. Eben deswegen soll und muß sich der Christ mit der Kreatur verwandt fühlen, der er ja angehört, nach der leiblichen Seite seines Daseins, er muß die rechte Liebe zur Kreatur in sich erwecken, welche ebensosehr in der Freiheit von derselben, als im rechten Gebrauch der Kreatur besteht. Liebe zur Kreatur ist es, sie vor dem Mißbrauch zu bewahren, sie nicht zu entweihen im Dienst der Sünde, sondern durch rechten dankbaren Gebrauch sie priesterlich zu heiligen und sie dadurch zur Verklärung vorzubereiten. Das ist die Wirkung der Aussicht des Christen auf das letzte Ende.
Wir haben aber zwischen jetzt und dem schließlichen Ende einen vorläufigen Abschluß der Geschichte zu erwarten, nämlich:
Die erste Wiederkunft Christi zur Vertilgung des Antichrists und zur Aufrichtung seines Reiches im letzten Jahrtausend der Weltgeschichte.
Der Gegenstand dieser Hoffnung ist uns der Zeit nach näher liegend. Ohne diese erste Wiederkunft würde kein Abschluß der Geschichte, keine Auswirkung der in ihr waltenden satanischen, ungöttlichen Potenzen, kein innerzeitlicher, innergeschichtlicher Triumph des Guten stattfinden, keine Entscheidung im Diesseits erfolgen. Unentwirrt, unausgeschieden, unausgetragen würde alles sein und das hereinbrechende Gericht würde ohne die erste Wiederkunft nur einen äußeren Abschluß bilden. Das, was gewoben ist auf dem Webstuhl der Zeit, dies Stück gottgewirkter Geschichte, würde wie ein gordischer Knoten einfach durchhauen werden, falls kein Abschluß der Entwicklung einträte. Wenn man es nicht wüßte, müßte man es schließen, daß die Mächte des Guten und Bösen sich immermehr entfalten und daß es zu einer Entscheidung kommen müsse. Wenn die Geschichte der Welt verläuft, wie wir es in der Offenbarung sehen, so haben wir eine vollständige Auswirkung der in der Welt enthaltenen Potenzen. Es kommt das Böse zu seiner satanischen Entfaltung im Antichrist und seinem Sieg und Regiment, es kommt aber auch das Gute in der Aufrichtung des herrlichen Reiches Christi zum Triumph. So ist ein gotteswürdiger Abschluß in der Geschichte erreicht. – Was dann die richtige Vorstellung von dem durch Christi erste Wiederkunft herbeigeführten Zustand anlangt, so ist zu sagen, daß auch dann noch die Sünde vorhanden sein wird, aber ohne Einfluß des Teufels. Auch der Tod wird vorhanden sein, aber der Menschen Natur wird wiederhergestellt zu ihrer anfänglichen Kraft, so daß auch die Lebensmaße der Väter der Vorzeit wiederzukehren scheinen. Es ist infolgedessen möglich und kommt zur Erscheinung die höchste Blüte und Vollendung alles Guten in der sichtbaren Kirche. Die sichtbare Kirche deckt sich dann so weit als möglich mit der unsichtbaren, sie stellt sich dann in der Reichsform, Theokratie, Christokratie dar. Das jüdische Volk und der Thron Davids werden wiederhergestellt und ebendadurch wird der Kirche, dem Volk Gottes die Reichsgestalt gegeben.
| Nun ist noch die Rede von den Wirkungen dieser speziellen Hoffnung, von der man ja nicht wird sagen können, der Christ habe sie nicht nötig, wenn schon sie sich nur auf den vorläufigen Abschluß des Reiches Gottes bezieht; sie übt dennoch einen fördernden und vollendenden Einfluß auf das christliche Leben aus, und zwar um so mehr, je näher das Ende heranrückt. Es ist vor allem der klare Blick in die Zeit und die richtige Beurteilung der Zeichen der Zeit, die durch diese Offenbarung, wenn wir sie uns aneignen, uns ermöglicht wird; welche Zeit, wieviel Uhr es ist, erfahren wir annähernd auf diesem Wege. Ohne diesen Aufschluß der Offenbarung, ohne das richtige Verständnis derselben, haben wir kein Licht beim Blick in die Zukunft, sondern tappen und tasten im Finstern; ebendeswegen kann uns ohne sie auch kein richtiges Urteil über die politischen und kirchlichen Zustände unsrer Gegenwart beiwohnen. Vor allen Dingen ist das richtige politische Urteil, nicht das Urteil im Sinne der Staatsmänner und Diplomaten, sondern das rechte christliche Urteil über die großen Weltbegebenheiten ganz von dieser Stellung zur Offenbarung und zu ihren Aufschlüssen abhängig. Der Ansatz zur Bildung einer letzten Weltmacht, die allmähliche Bildung der antichristlichen zehn Vasallenreiche, von denen wir ein rechtes Vorbild im Napoleonismus haben, wie denn überhaupt der erste Napoleon mit seinen Rheinbundfürsten und Vasallen unleugbar der vollendetste Typus des Antichrists der letzten Zeit ist, werden wir dann mit erleuchteteren Augen ansehen, als es sonst möglich wäre. Bei solchem Standpunkt wird man auch soziale Erscheinungen, wie die Sozialdemokratie, die Kommune, beurteilen können, nicht beim oberflächlichen Urteil stehen bleiben, nicht bloß ein Attentat gegen das Kapital darin sehen, sondern die beginnende Offenbarung des Geheimnisses der Bosheit, die satanische Unterminierung aller Rechtsordnung, die noch der göttliche Faktor im Völkerleben ist, die Herstellung und Anbahnung des Zustandes der ἀνομία dessen persönliche Verkörperung der ἄνομος der Antichrist ist, wie er 2. Thess. 2, 8 heißt, der alles Recht aufhebt und dafür seine Willkür setzt. – Auch in kirchlicher Beziehung wird das Urteil durch diese Stellung zur Offenbarung bedeutend beeinflußt. Gegenüber dem Wahn einer allgemeinen Verchristlichung der Welt, eines Durchdringens des Sauerteigs durch den Teig der Menschheit, gegenüber jenem trunkenen Optimismus, der sich selber fortwährend belügt und täuscht, ist hier ein nüchternes Urteil über die kirchliche Entwicklung möglich. Anstatt einer Verbreitung kirchlichen Einflusses müssen| wir vielmehr ein Schwinden desselben annehmen, daher der Fall der Landeskirche nur eine Frage der Zeit, sonderlich seit dem Jahre 1848. Damit hört der pädagogische Einfluß der Kirche auf die Völkerwelt auf. Wer das nicht sehen kann, muß starblind sein. Seit jener Zeit erschallt das Wort: „Laßt uns zerreißen ihre Bande und von uns werfen ihre Seile.“ Die Völker wollen nicht mehr unter der Kirche sein, nicht mehr unter dem Schatten der Kirche leben, das ist die Loslösung des Volkes vom Christentum, wozu auch der Kulturkampf im letzten Drittel des vorigen Jahrhunderts beigetragen hat, das Ende des christlichen Staats, welches nach der jedenfalls nur kurzen Phase des Rechtsstaates den antichristlichen Unrechts- und Willkürstaat herbeiführen wird. Die Kirche wird so gut wie am Anfang fliehen müssen aus der Öffentlichkeit in die Höhlen und Klüfte. Ist so einem falschen Optimismus begegnet, so wird doch auch einem falschen Pessimismus gewehrt, denn wenn es auch zunächst nur abwärts gehen kann, so ist das Nächste doch nicht das Letzte und das Letzte ist hinter der Niederlage, dem scheinbaren Untergang der Kirche, der Sieg und Triumph Jesu Christi. Der Sieg der Gläubigen der Endzeit ist ohne diese Hoffnung nicht zu denken.
Der einzelne Christ muß sein, was er werden soll, und werden, immer vollkommener, was er ist; das ist überhaupt das Geheimnis des ganzen Christenlebens. Der Christ muß immer mehr werden, was er schon ist, was er durch Gottes Gnade ist, soll er immer mehr durch eigene That werden. Nur dürfen wir hier das Ziel des Christen nicht im allgemeinen ins Auge fassen, sondern wir müssen das Ziel der sittlichen Vollendung des Christen betrachten; denn mit dieser hat es ja die Ethik zu thun. Anders ist es mit der Dogmatik. Dort hat man es mit dem ganzen Ziel, welches die göttliche Berufung dem Christen gesteckt hat, zu thun, das ist die Seligkeit; aber hier ist nur die Rede von dem sittlichem Ziel des Christen. Das ist die ethische Vollendung oder vollkommene Heiligkeit, eine Heiligkeit, die identisch ist mit der Sündlosigkeit. Was auf Erden nicht erreicht werden kann, was nur eine Behauptung ist, die dem geistlichen Hochmut ihren Ursprung verdankt, das ist dort erreichtes Ziel. Es ist das Ebenbild Gottes in dem Menschen vollkommen wieder hergestellt, es spiegelt sich dann in ihm die Klarheit Gottes mit enthülltem Angesicht.
Diese Vollkommenheit und Vollendung wirkt in dem Menschen das Gefühl der Befriedigung; denn der Mensch ist dann mit sich selber und mit Gott in Harmonie. Was bei den Christen hier auf Erden nicht überwunden werden kann, nämlich jener Dualismus, von welchem der Apostel Röm. 7 und 8 in so ergreifender Weise redet, nämlich der Kampf zwischen Fleisch und Geist, dem alten und neuen Menschen, dieser Dualismus ist dann vollständig beseitigt. Wie also der Mensch, wenn er diese Stufe erreicht hat, mit Gott in vollkommener| Harmonie steht, so auch mit sich selbst, und hieraus entspringt eine Quelle der Seligkeit, denn die Seligkeit ist ein Zustand, welcher aus vielen Quellen entspringt. Der Gewissensfriede, der dann im höchsten Maße vorhanden zu denken ist als eine feierliche Sabbathstille im Menschen, die nur unterbrochen ist durch das laute Zeugnis von unserer Gotteskindschaft und dem Wohlgefallen Gottes an uns, dieser Gewissensfriede ist ja auch eine Quelle der Seligkeit. Wie es hier schon beseligend ist für den Menschen, wenn er ein gutes Gewissen hat, so ist dort eine Ursache der Seligkeit das Bewußtsein der im höchsten Maße vorhandenen Rechtbeschaffenheit, das Zeugnis von dem vollkommenen Wohlgefallen Gottes an uns. Der Mensch ist ja dann so, wie ihn Gott will, und diese Übereinstimmung des Wollens mit dem Sein, diese Selbstbejahung ist eben die Heiligkeit und Vollkommenheit. So ist auch bei Gott die Heiligkeit definiert. Hier auf Erden müssen wir uns verneinen: „Ich bin nicht so, wie ich sein soll, ich will nicht so, wie ich bin, ich thue, was ich nicht will; aber was ich will, thue ich nicht.“ Dort ist davon nicht mehr die Rede.Mit dem einzelnen ist auch die Kirche zur Vollendung gelangt. Es ist aus ihr geworden die Braut des HErrn, die herrlich ist, ohne Flecken und Runzeln, Eph. 5, 27. Die geschmückte und bereitete Braut des Lammes, Off. 21, 2, eingehüllt ins weiße Kleid der Gerechtigkeit, Off. 19, 8.
Dieser sittlichen Vollendung des Christen oder, wie man dafür sagen kann, dieser nun von ihm erreichten Heiligkeit entspricht dann auch die Herrlichkeit; denn die Seligkeit steht zwar in keiner Verbindung mit der sittlichen Arbeit und Leistung des Menschen, wohl aber die Herrlichkeit. Übrigens sind Herrlichkeit und Heiligkeit innig verwandt. Heiligkeit ist die nach innen gekehrte Herrlichkeit, Herrlichkeit ist die nach außen gekehrte Heiligkeit, wie Oetinger sagt. Während das Ziel, welches die Dogmatik zeigt, die Seligkeit ist, ist das Ziel, wie es die Ethik zeigt, die Vollendung zur Herrlichkeit und Heiligkeit. Daß die Herrlichkeit im Verhältnis zur sittlichen Leistung des Menschen steht, daß es Stufen in der Herrlichkeit gibt, daß trotz alledem der Lohn, von dem hier die Rede ist, doch ein Gnadenlohn ist, an welchem die Gnade Gottes ebensoviel Anteil hat als seine Gerechtigkeit, wenn man nicht sagen kann: mehr – davon war schon am Eingang die Rede, in den Prolegomenis § 11, Matth. 19, 20; 20, 1–16; 25, 14–30, wo die Rede ist von den Pfunden, und wo gesagt wird, daß je nach der Treue,| womit die einzelnen Knechte gewuchert haben, ihre Stellung in der Ewigkeit sich bemißt, Luk. 19, 12. 17, 19 etc. In der Offenbarung (21, 14) ist ja auch den Aposteln, als den Grundsteinen des neuen Jerusalems, eine außerordentliche, vor anderen bevorzugte Stellung angewiesen.Dann hat auch die Kreatur ihr Ziel der Vollendung erreicht zur Ehre und Preis des dreieinigen Gottes; Röm. 8, 19–23, nach welcher Stelle die Verherrlichung der Kreatur innigst zusammenhängt mit der Vollendung der Kinder Gottes. Es sind drei Punkte, sozusagen, wo sich dieser Zusammenhang, diese verborgene συμπάθεια offenbart. Die Kreatur ist zur Teilnahme an der Seligkeit des Menschen geschaffen; ist mit ihm verflucht und in das Elend gesunken; sie ist in der Zwischenzeit seit ihrem Fall bis zur Wiederherstellung aller Dinge mit dem Menschen verbunden zur Gemeinschaft des Seufzens und Sehnens nach der Erlösung; und sie wird mit ihm verherrlicht werden.
« Sittliche Ausgestaltung des göttlichen Ebenbildes im Kreuz und Leiden | Friedrich Bauer Christliche Ethik auf lutherischer Grundlage |
Register » | |||
Für eine seitenweise Ansicht und den Vergleich mit den zugrundegelegten Scans, klicke bitte auf die entsprechende Seitenzahl (in eckigen Klammern).
|