Christliche Ethik auf lutherischer Grundlage/Sittliche Ausgestaltung des göttlichen Ebenbildes im Kreuz und Leiden

« Die individuelle Ausprägung des göttlichen Ebenbildes in der Lehre von der individuellen Freiheit des einzelnen Christen und der Kirche Friedrich Bauer
Christliche Ethik auf lutherischer Grundlage
Die sittliche Ausgestaltung im Hoffen, oder das Hoffnungsleben samt dem Ziel der abschließenden Vollendung »
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IX.
Sittliche Ausgestaltung des göttlichen Ebenbildes im Kreuz und Leiden.

 Dieser Teil behandelt

1. die Lehre vom Kreuz oder den Leidensberuf des Christen, und
2. das Sterben des Christen.


§ 75.
Die Lehre vom Kreuz.

 1. Allgemeine Grundsätze.

 Der Ausdruck „Leidensberuf“ ist ein biblischer Ausdruck, der sich 1. Petr. 2, 21 findet. Diese Erkenntnis, daß das Leiden auch ein Beruf ist, ist von Wichtigkeit und es liegt in ihr ein Trost für den Leidenden. Der Leidende ist gehemmt in der Thätigkeit. Es gilt da, wie vom ganzen Kapitel, das Motto: Ein anderer wird dich gürten und führen, wo du nicht hin willst, Joh. 21, 18–19. Dieser Gedanke drückt nieder, es fehlt der hebende Einfluß der rüstigen Thätigkeit. Der Mensch hält sich für nutzlos, berufslos, als ein reines ἄχθος ἀρούρης, eine pure Last des Erdbodens. Da kann der Gedanke tröstlich sein, daß das Leiden ein Beruf ist. (Lied: Gott, den ich als die Liebe kenne, bes. v. 3: Leiden ist jetzt mein Geschäfte u. s. w.) Das Leiden| ist auch ein Beruf, wodurch der Mensch von Gott beschäftigt wird, so daß er nicht wertlos auf der Erde vegetiert.

 Zunächst ist nun das Verhältnis dieser Lehre zu dem von uns angenommenen Prinzip der Ethik, der Gottesebenbildlichkeit, nachzuweisen. Es ist biblischer Grundsatz, daß das Leiden Christo gleichförmig macht; das Leiden ist ein Stück der Ähnlichkeit des Bildes Christi, welches im Christen wieder erscheinen soll. Es ist die Wiederholung der Leidens- und Kreuzesgestalt Christi an seinen Jüngern. Wie Christus seinen Gang zur Verherrlichung und Vollendung durch Leiden nahm, so ist auch der Weg des Christen ein Weg des Leidens und geht es bei ihm durch Leiden zur Herrlichkeit. 2. Kor. 4, 10; Hebr. 2, 10 ff.; Röm. 8, 17; 2. Tim. 2, 11; Akt. 14, 22.

 2. Notwendigkeit des Kreuzes für den einzelnen und für die Kirche, von Gott geordneter Weg zur Herrlichkeit. Worin ist die Notwendigkeit des Kreuzes für den einzelnen und für die Kirche begründet? Warum müssen wir leiden? Hiefür lassen sich hauptsächlich zwei Gründe anführen.

 a) Der erste Grund ist das Vorhandensein der Sünde. In der Sünde ist das Leiden begründet. Das Leiden ist notwendig für uns, weil es mit Notwendigkeit als die Straffolge der Sünde sich einstellt. Das Leiden begann mit dem Sündenfall des ersten Menschen. Da wurde die Erde verflucht, da trug sie verwildert Dornen und Disteln. Anstatt der fröhlichen Arbeit kam die mühevolle und saure, die Schmerzen für das Weib, und als Ende von allem: Krankheit und Tod. Das Kreuz als ein Wehe ist die von Gott geordnete unmittelbare Straffolge oder Selbstfolge der Sünde. Es ist deiner Sünde Schuld, daß du so gestäupet wirst. In der Sünde, nicht bloß in der, die wir geerbt haben, sondern auch in der persönlichen Versündigung des einzelnen liegt die Notwendigkeit des Kreuzes begründet. Auf die Sünde folgt das von Gott verhängte Wehe, die Strafe, die sich summiert im Tode. Wenn einmal die Sünde in ihrer letzten Folge ausgetilgt und kein Tod mehr sein wird, wird auch kein Leid, noch Geschrei, noch Schmerzen mehr sein.

 b) Das Leiden ist aber auch der für den einzelnen Christen und für die Kirche von Gott geordnete Weg zur Herrlichkeit. Darin liegt zum andern die Notwendigkeit des Kreuzes begründet. Es gibt keinen andern Weg zur Herrlichkeit, als den durchs Leiden. Was da lebet, muß verwesen, wenn es anders soll genesen der so großen Herrlichkeit,| die den Frommen ist bereit. Wer also die Herrlichkeit erlangen will, der muß zu Leiden bereit sein. Es hängt freilich zusammen mit der Sündhaftigkeit des Menschen, daß es keinen andern Weg zur Herrlichkeit für ihn gibt, als den des Leidens. Der ursprüngliche Weg war es nicht. Der ursprüngliche Weg war der, daß der Mensch allmählich verklärt werden sollte, es sollte das natürliche oder psychische Leben erhoben werden in das geistliche Leben, ohne durch den Tod hindurchzugehen. Durch den Genuß von der Frucht des Lebensbaumes sollte sein Leib und seine Seele genährt und erhoben werden in den Stand des geistlichen Lebens. Wie dieser Prozeß hätte vor sich gehen sollen, das sehen wir ja beim Herrn, nämlich bei der Verklärung. Alles Irdische wird durchgeistet, so daß der Leib des Herrn leuchtet wie die Sonne, seine Kleider weiß werden wie der Schnee und die ganze innere Herrlichkeit auch einen Abglanz auf den Leib wirft. Das wäre der ursprüngliche und normale Weg gewesen. Aber seitdem die Sünde eingetreten ist, seitdem gilt der Grundsatz: Dieser Leib, der muß verwesen, wenn er anders soll genesen etc. Das Fleisch wünscht freilich, dieses Weges überhoben zu sein, und möchte in die Seligkeit des Zustandes der Verklärung sich hinüberträumen, wie dort der Apostel Petrus auf dem Berge der Verklärung den seligen Zustand festhalten, sich hinüberträumen wollte in den Zustand der Seligkeit. Aber das geht nicht, darum schließt der Herr an die Verklärung die Leidensverkündigung. Es geht jetzt nicht mehr anders zur Verklärung und zur Herrlichkeit, als durch Leiden und Tod hindurch. Auf keinen Tabor geht es mehr anders, als über Golgatha. War doch auch für den Herrn kein anderer Weg zur Vollendung; Christus mußte solches leiden, um zu seiner Herrlichkeit einzugehen. Luk. 24, 26. Wir wünschen nicht entkleidet, sondern überkleidet zu werden, 2. Kor. 5. Denn wenn auch die Überkleidung selber ein konzentrierter Tod sein, das Wehe und die Bitterkeit des Todes sich bei ihr in einen Augenblick zusammendrängen wird, so ist sie doch erwünschter als die Entkleidung. Aber diese Aussicht ist nur denen verheißen, die die Wiederkunft des HErrn erleben werden, 1. Kor. 15, 51 etc. Der Weg für alle andern ist der Tod; er ist die Bedingung der Erneuerung des Lebens. Mors haec reparatio vitae est, Röm. 8, 17; 2. Tim. 2, 11–12.
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 3. Name und Begriff des Kreuzes. Natürlich haben wir es hier nicht zu thun mit Kreuz in dem eigentlichen Sinne des Wortes, sondern in dem übertragenen Sinn desselben. Im eigentlichen| Sinn des Wortes bedeutet Kreuz das Marterholz, an dem unser Herr litt und starb. So ist es hier nicht gemeint. Sodann bedeutet es in schon übertragenem Sinn das ganze Leiden und Sterben Christi, Gal. 6, 14. Da ist zu gleicher Zeit nicht bloß das Leiden und Sterben Christi, sondern auch die Frucht seines Leidens und Sterbens, die Erlösung, die er uns am Kreuz erworben, mit eingefaßt. In diesem Sinne meinen wir das Kreuz hier auch nicht. Vielmehr ist das Wort Kreuz hier von einem Leiden gebraucht, welches den Christen und zwar um seiner Zugehörigkeit zu Christo willen trifft. Dieser figürliche Gebrauch des Wortes Kreuz stammt vom HErrn selber, es ist ein eigens von ihm für das Leiden in seiner Nachfolge ausgeprägter Begriff. Matth. 10, 38. Hier ist also vom Kreuz die Rede, welches Jünger Jesu auf sich nehmen sollen und welches selbst ein Stück der Nachfolge Jesu ist. Matth. 16, 24; Luk. 14, 27. Der echte und eigentliche Begriff des Kreuzes ist also der eines Leidens um Christi willen. Das Leiden in der Nachfolge Jesu, das Leiden, welches um der Nachfolge Jesu, um des Bekenntnisses zu ihm willen einen Jünger trifft, das ist Kreuz im eigentlichen Sinn des Wortes.

 In der Predigt- und Erbauungslitteratur wird das Wort Kreuz aber in einem noch weiteren Sinn gebraucht, nämlich von dem Leiden, welches Gott aus pädagogischen Gründen über den Christen verhängt zur Bewahrung und Förderung im geistlichen Leben, vgl. z. B. Paul Gerhardts Lied: Schwing dich auf zu deinem Gott etc. v. 7. 11. – In noch mehr erweiterten Sinn bezeichnet man damit jedes dauernde Leiden, welches den Verhältnissen, in denen der einzelne Mensch sich befindet, infolge der Sünde durch Gottes Bestimmung notwendig anhaftet, welches der Christ als Gottes Schickung willig und geduldig auf sich nimmt. In diesem Sinn redet man z. B. vom Kreuz des Ehestandes, vgl. den Passus im Trauformular: Nun höret (zum 3.) auch das Kreuz, das Gott auf den ehelichen Stand gelegt hat.

 4. Mannigfaltigkeit und verschiedene Arten des Leidens. Die Spitze des Leidens um des Herrn willen ist das Martyrium, das Bekenntnis- und Zeugnisleiden, Verfolgungsleiden, θλίψις, Schmach Christi, Hebr. 11, 26; 13, 13. Auf dieses Leiden, welches natürlich ein unschuldiges ist, um der Gerechtigkeit, um Christi, um der Wahrheit willen den Christen trifft, bezieht sich die Seligpreisung Matth. 5, 10–12. Der ganze erste Brief Petri ist ein Trostbrief für Christen, die in der Hitze der Anfechtung und Verfolgung von seiten der heidnischen| römischen Obrigkeit standen, 1. Petr. 3, 14; 4, 15. 16. Dies Leiden ist eine Ursache der Seligpreisung für den, den es trifft, und der, den es trifft, muß sich aufgefordert fühlen, nach 1. Petr. 4, 16 Gott zu preisen und zu verherrlichen. Dies Leiden ist Gnade von Gott, 1. Petr. 2, 20. Der leidende Heiland ist hierin das größte Vorbild und ihm nach der ganze Chor der Märtyrer, die Zeugenwolke, von der Hebr. 12, 1 spricht. Aus der Natur dieses Leidens – denn es ist ja eine gute That, das Bekenntnis zu Gott, die auch eine große Verheißung hat – entspringt jene Freudigkeit, jene erhabene Begeisterung, jener göttliche Enthusiasmus, den wir an den Märtyrern bewundern. Hier ist nicht die Ergebung oder die ruhige Fassung am Platz, die sonst dem Leidenden geziemt, sondern unter dem hebenden Eindruck, der Ehre eines solchen Bekenntnisses zu Christo gewürdigt zu sein, muß den Christen eine freudige und gehobene, ja begeisterte Stimmung überkommen, Akt. 5, 41. Die Apostel gingen fröhlich von des Rats Angesicht.

 Es gehört übrigens auch hierher all der mehr latente Haß der Welt, die Verachtung, Zurücksetzung, welche der Christ um seines Christenstandes willen zu ertragen hat.

 Eine andere Art des Kreuzes – das Wort im weitern Sinne gebraucht – ist das Prüfungsleiden. Das Prüfungsleiden ist nächstverwandt mit dem Bekenntnisleiden, von dem es sich nur durch den besonderen Zweck unterscheidet, zu dem es verhängt ist. Es gleicht dem Bekenntnisleiden aber darin, daß es auch ein unschuldiges ist, nicht veranlaßt oder im Zusammenhang stehend mit menschlicher Sünde. Kein Buch der heiligen Schrift dient so sehr, die Idee des Prüfungsleidens zu erfassen, als das Buch Hiob, dessen eigentliches Thema das Geheimnis des Prüfungsleidens ist. Die Leiden, die Schlag auf Schlag den Hiob treffen, die erst ihm all sein Hab und Gut nehmen und ihn in wenig Stunden aus einem reichen Fürsten zu einem armen Bettler machen, die sein Haus veröden und verwaisen und seine sieben Söhne und drei Töchter eines jähen Todes hinraffen, die dann endlich ihn selber mit der schmerzlichsten und widerwärtigsten Krankheit, dem Aussatz, heimsuchen, so daß er wie ein Wegwurf, wie ein Auswürfling der Menschheit erscheint, gemieden und gescheut von den nächsten Anverwandten, auf einem Aschenhaufen sitzend sich mit dem Scherben die schwärenbedeckte Haut schabt, um sich vor dem unerträglichen Schmerz einige Linderung zu verschaffen: alle diese Leiden sind nicht, wie die Freunde meinen, Sündenstrafen, vielmehr haben| sie keinen andern Zweck als die Prüfung und Bewährung Hiobs. Gott hat sozusagen mit dem Teufel eine Wette eingegangen, ohne daß Hiob darum weiß, was für ein großer Einsatz von Gott auf ihn gemacht worden ist. Der Teufel zweifelt an der Echtheit der menschlichen Tugend und Frömmigkeit. Er meint, die Frömmigkeit Hiobs sei nur eine Lohndienerei. Hiob hat gut fromm sein, denn Gott hat ihn ja gesegnet mit überfließendem Reichtum und Wohlstand aller Art, aber Gott soll nur einmal das alles ihm wieder nehmen, dann wird sich zeigen, ob es eine uneigennützige Tugend, eine reine Sittlichkeit gebe, die das Gute um des Guten willen liebt und übt und nicht nur um des Lohnes willen; und da erlaubt der Herr dem Satan dies Unglück über Hiob zu bringen. Als dann der Satan Hiob an seiner Frömmigkeit festhalten sieht, beredet er Gott, noch einen Versuch zu machen. Ein Mann läßt alles für sein Leben, sagt er. Hiob ist noch nicht am empfindlichsten Punkt angegriffen. Alles kann ein Mann verschmerzen, wenn er nur sein Leben behält. Taste ihn aber selber an, was gilt’s, dann wird er dir Valet sagen. Darauf versündigt sich Hiob zwar durch manche vermessene Reden, die indessen provoziert sind durch den Unverstand der Freunde; er hält aber doch an Gott fest und der Teufel verliert die Wette. Das ganze Leiden hat zum Zwecke die Bewährung Hiobs, die allerdings zusammenfällt mit der Ehre Gottes, wie denn das Prüfungsleiden eben nur durch diesen besonderen Zweck, der bei ihm hervortritt, verschieden ist vom eigentlichen Zeugnis- und Bekenntnisleiden. Der in der Bibel häufig dafür gebrauchte Ausdruck ist πειρασμός, Jak. 1, 2 u. 12 (1. Petr. 4, 12 ist dafür der Ausdruck πύρωσις πρὸς πειρασμόν; vgl. auch Ps. 73.
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 Verschieden von dem Martyrium und dem Prüfungsleiden und weit häufiger ist das Züchtigungsleiden. Dieses hängt zusammen mit der Sünde des Menschen. Es ist die väterliche Rute, die den Christen stäupt, der Stab Wehe, den Gott über ihm schwingt, denn dies Leiden ist veranlaßt durch die Sünde des Menschen und ist beides zugleich, eine Strafe und ein Erweis der Liebe Gottes, ein Ausfluß der Liebe wie der Gerechtigkeit Gottes, daher Luther vom Liebeszorn Gottes redet, der das Züchtigungsleiden verhängt. Es ist ein Stück göttlicher Pädagogik, die hierin zu Tage kommt, es gehört zur väterlichen Zucht, zur göttlichen Erziehung seiner Kinder. Die Hauptstelle ist Hebr. 12, 4–11. Es wird hier das Züchtigungsleiden als ein Beweis der Gotteskindschaft angesehen, als ein Erweis| väterlichen Verhaltens Gottes gegen uns. Wenn auch die Liebe hier in der Gestalt der Strenge auftreten muß, so will sie doch nicht verkannt, sondern erkannt sein, Apok. 3, 19. Der häufigste biblische Ausdruck für diese Art des Leidens ist παιδεία, cf. 1. Kor. 11, 32; 1. Petr. 4, 1. 2. Als Beispiel dieser Art des Leidens können wir uns David vor Augen stellen, nämlich in der zweiten Leidenszeit, die über ihn kam, die eine Strafe für seine Sünde mit Bathseba und an Uria war. – Etwas anderer Art ist die παιδεία, welche dem Apostel 2. Kor. 12, 7 widerfährt. Dieselbe ist veranlaßt nicht durch eine Versündigung des Apostels, sondern ist nötig wegen der auch ihm noch anklebenden sündlichen Natur und soll zu seiner Bewahrung vor Sünde dienen. Diese Art der παιδεία bildet den Übergang vom Prüfungsleiden zum eigentlichen Züchtigungsleiden. Auch gehören hierher Leiden, wie sie David nach seiner Salbung und Joseph in Ägypten trafen. Diese sollten dadurch tüchtig werden für die ihnen bestimmten Aufgaben und waren zugleich eine Prüfung für sie. Auch das Leiden des HErrn selber hat nach Hebr. 5, 8 eine Seite, nach der es hierher gehört; vgl. 2, 18.

 Es wird das Wort Kreuz aber auch vielleicht mißbräuchlich, aber, wie oben gesagt, herkömmlich so gebraucht, daß man darunter die Leiden versteht, die der Christ mit der Welt gemein hat, Krankheit, Armut u. s. w., welche Gott der HErr zugleich als Strafe der Übertretung Adams als auch zur Dämpfung der bösen Lust und Arznei wider die Sünde dem menschlichen Geschlecht im allgemeinen verordnet hat, Gen. 3, 16–19. Daher: „Es kann und mag nicht anders werden, alle Menschen müssen leiden. Was lebt und schwebet auf der Erden, kann das Unglück nicht vermeiden. Des Kreuzes Stab schlägt unsre Lenden bis an das Grab etc.“ Dieses Kreuz ist eine παιδεία im weiteren Sinn. Hieher darf man auch rechnen die besonderen Plagen, wie sie Gott über ein Land schickt, Krieg, Teuerung, Pestilenz, wobei nur der Unterschied ist, daß der Christ bei diesen Leiden, die um des Zusammenhangs mit der Welt ihn treffen, doch im Zusammenhang mit Christo leidet.

 5. Ursachen, d. i. Urheber des Kreuzes. Wer bringt das Kreuz über den Christen? Einmal die Welt nach der Stelle Joh. 15, 18–25. Es ist das Bekenntnis zum HErrn, zu seinem Namen, was den Haß der Welt erweckt. Der tiefere Grund wird angegeben v. 19: Die Welt erkennt instinktartig, daß ihr im Christentum der wahren Jünger Jesu etwas nicht bloß Fremdartiges, sondern etwas, was zu ihren Neigungen und Bestrebungen im hellsten Gegensatz steht, was ihr Thun und| Treiben straft, entgegentritt; daher diese Antipathie gegen das ihr Fremdartige. Wäret ihr von der Welt, sagt der HErr, so hätte die Welt das Ihrige lieb, aber eben darum, daß ich euch von der Welt herauserwählt habe, darum haßt euch die Welt. Gerade die Fremdlingschaft der Christen in der Welt, die heilige Besonderheit ihrer Lebensweise, durch die sie sich unterscheiden von dem gewöhnlichen Thun und Treiben der Welt, ist für die Welt eine stumme, aber doch laut zeugende Strafpredigt, cf. Joh. 16, 20. Die Welt freut sich über das, was den Christen Ursache zur Trauer ist. Damals nämlich hat sich die Welt gefreut, daß es ihr scheinbar geglückt ist, Christum aus der Welt zu räumen, das will die Welt heute noch, Christum aus der Welt schaffen, das Christentum aus der Welt räumen. Wo es ihr scheinbar gelingt, da feiert sie Triumph. Für Christen ist eine solche Verfolgungszeit eine Zeit des Wehes und der Anfechtung.

 Auch der Teufel verhängt, nicht unmittelbar, aber unter Gottes Zulassung Kreuz und Leiden. So z. B. bei Hiob, den der Satan sozusagen unmittelbar, wenn auch unter Gottes Zulassung, schlagen und dem er alles Leid anthun darf, bis zu einer von Gott gezogenen Grenze, die er nicht überschreiten darf. Auch dämonische Leiden und Krankheiten gehören hierher, wie der Apostel Paulus von sich sagt, 2. Kor. 12, 7.

 Auch das Fleisch kann Ursache des Kreuzes sein, wenn der Mensch in Krankheit, Leibesnot kommt, um des ihm einwohnenden allgemeinen sündlichen Verderbens willen, oder wegen eines besonders hervortretenden Schadens derselben, so daß der Christ schwer an seiner Natur zu tragen hat, Röm. 7, 24. So ist all dies leibliche natürliche Elend auch Kreuz im weiteren Sinn des Worts.

 Natürlich ist in allem die oberste Ursache des Kreuzes Gott der HErr selber, Hebr. 2, 10; 1. Kor. 10, 13, nur daß ein Unterschied besteht zwischen solchen Leiden, die Gott nur zuläßt, und solchen, die er selber über den Menschen sendet, in welchem letzteren Fall er dann die unmittelbare und direkte Ursache des Leidens ist. Es gehört hierher die sechste Bitte. Es ist dort nach Luthers Auslegung die Rede von den Versuchungen, die zur Anfechtung gereichen, bei welchen Gott nicht der unmittelbare Urheber ist, bei welchen sein Wille sich beschränkt auf die Zulassung, denn es heißt ja in der Auslegung: Wir bitten Gott, daß er uns wolle behüten und erhalten, auf daß uns der Teufel, die Welt und unser Fleisch nicht betrüge u. s. w. Diese Versuchungen läßt er zu. Es gibt aber auch Prüfungen, die er verhängt. Die Bibel hat| für beide den Ausdruck πειρασμός. Wir unterscheiden im Deutschen zwischen Versuchung und Prüfung.
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 6. Zweck und Absicht des Kreuzes. Da erinnern wir uns unserer Einteilung des Leidens in Bekenntnisleiden, Prüfungsleiden, Züchtigungsleiden und allgemein menschliche Leiden. Nun kann man ja nicht sagen, daß jedes Leiden ausschließlich nur einen Zweck hat. In gewissem Sinn ist es wahr, daß Gott alle möglichen Zwecke durch das Leiden jeder Art, welches er verhängt, erreichen will. Man kann aber doch auch sagen, ein hervortretender Hauptzweck ist bei jeder der verschiedenen Arten des Leidens vorhanden. – Beim Zeugnis- und Bekenntnisleiden, dem Martyrium ist der hervortretende Hauptzweck die Verherrlichung Gottes, 1. Petr. 4, 4; 4, 16 (δοξαζέτω). Ein unschuldiges, geduldiges und freudig getragenes, bekenntnisfreudiges Leiden ist ein lauter Lobpreis Gottes. Da dürfen wir nur an die Märtyrer denken und an das laute Lobgetöne, mit dem sie durch alle Qualen dem HErrn entgegengingen und welchen Eindruck sie dadurch auf die Welt gemacht haben cf. das Martyrium des Laurentius und Joh. 21, 19. An dieser Stelle wird ausdrücklich gesagt, daß das unschuldige Bekenntnisleiden ein Lobpreis Gottes ist. Beim Prüfungsleiden ist die Verherrlichung Gottes ein mitbeabsichtigter Zweck, aber allerdings nicht der Hauptzweck. Der Hauptzweck ist hier die Bewährung des Menschen. Sofern die Bewährung des Christen in der Anfechtung und im Leiden zur Ehre Gottes geschieht, ist es ja freilich wahr, daß auch dieses Leiden zur Verherrlichung Gottes dient, wie umgekehrt es auch wahr ist, daß jedes Martyrium ein Prüfungsleiden ist, denn nur wenn der Christ sich bewährt, ist er ein Bekenner und gibt Gott die Ehre des Bekenntnisses. Doch sind beide Arten des Leidens nicht identisch. Jedes Bekenntnisleiden ist zwar auch ein Prüfungsleiden, aber nicht jedes Prüfungsleiden ist ein Bekenntnisleiden. Und so wird man auch mit Recht unterscheiden dürfen einen besonderen Hauptzweck des einen und des andern Leidens. Hier ist die Bewährung des Christen Hauptzweck, Jak. 1, 2. 3. 12. An dieser Stelle v. 3 wird die Trübsal das Bewährungsmittel des Glaubens genannt; so ist τὸ δοκίμιον ὑμῶν τῆς πίστεως zu übersetzen; v. 12 wird ja geradezu als die Frucht der Prüfung die Bewährung gezeigt. Hieher gehört auch Röm. 5, 3–5. Hier wird eine Stufenleiter inwendiger Erfahrungen und Fortschritte des geistlichen Lebens aufgezählt, wie sie eben die Frucht einer wohlbestandenen Glaubensübung sind. Die Trübsal wirket Geduld, insofern als ja ohne Leiden und Kreuz niemand| geübt wird in der Geduld; Geduld wird erlangt durch Übung, die Übungsschule ist das Kreuz. Erst wenn die Geduld gelernt und geübt ist, wenn der Mensch schon eine Probe hinter sich hat und zwar eine bestandene Probe in der Geduld, ist er ein bewährter Mann. Wer erst anfängt, Geduld zu üben, von dem weiß man noch nicht, ob er aushalten wird, ob er ein volles Werk haben wird. Erst wenn die Geduld standgehalten hat, wird der Mensch ein bewährter Mann, ein vir probatae et spectatae fidei. Dann wird auch die Hoffnung in ihm mächtig werden, daß Gott, der ihm durchs Leiden so weit geholfen, ihm völlig durchhelfen wird zur ewigen Herrlichkeit, 1. Petr. 1, 6. 7. Das Sinnbild, das die heilige Schrift dafür gebraucht, ist die Bewährung des Edelmetalls im Feuerofen. Sofern diese Bewährung auch eine Läuterung ist, paßt das Bild vom Feuerofen und Schmelztiegel auch auf das Züchtigungsleiden, aber nicht die Läuterung des Metalls tritt hier so sehr hervor, sondern die Bewährung. Die Gluthitze des Schmelztiegels bringt dasselbe wohl in Fluß, verzehrt es aber nicht. Nur glänzender und reiner, leuchtender geht das Edelmetall aus dem Schmelztiegel und aus der Feuerprobe hervor. Das Gold wird auf dem Feuerherd, der Christ in mancher Not bewährt. Sprüche 17, 3; Sirach 2, 5. Bei dem Züchtigungsleiden ist die Läuterung des Menschen von der ihm noch anklebenden Sünde, Lust und Liebe zur Sünde der Hauptzweck des Leidens, Mal. 3, 3; 1. Petr. 4, 1. 2. Wer leidet, höret auf von Sünden, weil das Leiden dem Menschen die Lust dieser Welt, die eitle Ergötzung der Sünde vergällt, ihm die Erde bitter macht. Hebr. 12, 10. 11. Auf daß wir teilhaftig werden seiner Heiligkeit, deswegen züchtigt uns Gott; 1. Kor. 11, 32.

 Endlich ist noch zu reden von dem Leiden im allgemeinsten Sinn. Das hat keinen besonderen Zweck. Gewissermaßen alle diese Zwecke werden dort zu erreichen gesucht.

 Die von Gott beabsichtigten Wirkungen oder Früchte des Leidens sind also: Gottes Verherrlichung beim Zeugnis- und Bekenntnisleiden, des Menschen Bewährung im Prüfungsleiden, des Menschen Läuterung im Züchtigungsleiden, diese Zwecke gewissermaßen vereinigt bei dem allgemeinen Leiden. Die meisten Leiden müssen wir ansehen als Züchtigungsleiden. Das Gewissen wird uns in gar vielen, wohl in den meisten Fällen den Zusammenhang zeigen zwischen dem Leiden und unserer Sünde. Da geziemt sich Demut und Buße, sowie die Ergebung, die zum HErrn spricht: „Ich brauch’s, HErr, schlage zu.“| „Solls ja so sein, daß Straf und Pein auf Sünden folgen müssen, so fahr hier fort, nur schone dort und laß mich hier wohl büßen.“ Der Mensch wird dadurch aus der Trägheit aufgerüttelt und ins Gebet und Wort getrieben. Jes. 28, 19.
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 7. Gefahr des Kreuzes. Die Gefahr liegt in der Versuchung zum Fall oder gar zum Abfall. Im Kreuz liegt zunächst für den alten Menschen die Versuchung zur Ungeduld, zum Murren, der Äußerung der Ungeduld, ja es kann vorkommen, daß das Kreuz selbst das Murren steigert bis zur Lästerung, Apok. 16, 21. Es ist dies ungeduldige Wesen eben das Aufbäumen des alten Menschen, der wider den Stachel löckt, den Gott gegen ihn führt. Mit diesen Zeiten des trotzigen Aufbäumens und Löckens wider Gott wechseln dann wieder Zeiten der Depression, d. h. der tiefsten Niedergeschlagenheit und einer an Verzweiflung grenzenden Melancholie, Jer. 17, 9; Jes. 59, 11. Es ist ein scheinbarer Widerspruch, eine Vereinigung entgegengesetzter Zustände, wenn vom Herzen gesagt wird, es sei ein trotzig und verzagt Ding, und doch ist es eines der tiefsten Worte der heiligen Schrift. Das Herz des natürlichen Menschen – und der Christ trägt ihn ja auch an sich – wechselt zwischen dem Trotz und seinem Gegenteil, der Verzagtheit, und ist der Umschlag der einen Stimmung in die andere oft das Werk eines Augenblicks. Das drückt der Prophet Jesaia aus, indem er sagt: Einmal brummen wir wie die Bären, das andermal ächzen wir wie die Tauben. Damit sind die beiden Hauptgefahren des Kreuzes angedeutet. Es kann den Menschen zum Fall bringen, der Mensch kann durchs Kreuz zu Schanden werden, entweder durch Ungeduld und Trotz oder durch Verzagtheit und Verzweiflung an der Barmherzigkeit und Gnade Gottes, daher Luther in der Auslegung der sechsten Bitte mit Recht sagt: Wir bitten in diesem Gebet, daß uns Gott wolle behüten und erhalten, auf daß uns der Teufel, die Welt und unser Fleisch nicht betrüge, noch verführe in Mißglauben, Verzweiflung u. s. w., denn wenn der Mensch den Glauben verliert und in Verzweiflung hinsinkt, so ist auch die Lasterbahn für ihn eröffnet, das ist wiederum eins von den psychologischen Rätseln für den, der keine Erfahrung hat, aber nicht für den, der es gelernt hat im Leben an sich und andern, wenn hier die Verzweiflung als die Mutter greulicher Schande und Laster hingestellt wird. Der Erklärungsgrund liegt darin, daß einem, der verzweifelt, in und mit dem Glauben an Gott der letzte sittliche Halt genommen wird. Nach dieser doppelten Richtung hin also kann das| Kreuz dem Menschen durch seine eigene Schuld gefährlich, Ursache zum Fall und Abfall werden, durch die Versuchung zur Ungeduld und zum Trotz oder zur Verzweiflung. – Was besonders gefährlich ist, weil es eben zur Verzweiflung führt, das ist das Matt- und Müdewerden im Kreuz, wenn der Mensch die Spannkraft des Glaubens verliert. Denn das Kreuz ist eine Versuchung nicht bloß um seiner Schwere willen, mit der es auf dem Menschen liegt, sondern und vielleicht noch mehr auch um der Dauer willen, wenn es nämlich ein langandauerndes oder gar ein lebenslängliches Kreuz ist. Die lange Dauer des Kreuzes erschöpft eben leicht die Geduld des Menschen und trocknet sein Glaubens- und Geistesleben aus, wie die Sonne jene Halme, welche aus dem aus den Felsen gefallenen Samen aufsprossen, von denen der HErr sagt: Eine Zeit lang glauben sie, aber zur Zeit der Anfechtung fallen sie ab. Ein Beispiel des Abfalls vom Glauben um des Kreuzes willen sind die Judenchristen, an die der Brief an die Hebräer geschrieben ist. Der ganze Brief ist von diesem Gesichtspunkt aus zu betrachten. Der Hebräerbrief zeigt sie uns schon in bedenklichem Schwanken, er ist daher ein rechter Trost- und Mahnungsbrief für alle Leidenden und durchs Leiden Angefochtenen, daher ermahnt der Apostel so unablässig in diesem Briefe zum Ausharren, warnt vor dem Müde- und Mattwerden, dem ἐκκακεῖν, er öffnet auch den Angefochtenen in jenen erschütternden Stellen die schauerliche Perspektive auf das, was nach dem Fall und Abfall ihrer wartet, Kap. 6, 4 ff.; 10, 19 ff. Eine besondere Gefahr, des Kreuzes müde zu werden und sich durch Flucht dem Kreuz zu entziehen, droht in allen den Fällen dem Christen, wo das Kreuz so beschaffen ist, daß er sich durch irgend welche Eigenmächtigkeit und unerlaubte Mittel und Wege von demselben losmachen kann. Es gibt Kreuz, welches den Namen Kreuz auch aus dem Grunde trägt, weil es der Mensch nicht von sich fortbringen kann, oder weil der Mensch daran gleichsam angenagelt ist, z. B. ein siecher Körper, Luk. 13, 11; Joh. 5, 5. So wenig als ein Gekreuzigter sich losmachen, die Pflöcke und Nägel in Händen und Füßen lockern kann, so wenig kann man auch oft von dem Kreuze sich losmachen, das Gott einem auflegt. Aber es gibt auch solche Leiden, denen der Christ, sei es auch durch Sünde, entrinnen kann, z. B. dem Bekenntnis und all dem Leiden, welches das Bekenntnis bringt, kann der Christ entfliehen durch Verleugnung; freilich wird er aber dann aus einem Kreuzesträger ein Kreuzesflüchtiger um den allerhöchsten Preis, den er zahlen kann, nämlich um den Preis| seines ewigen Heils. Es ist klar, daß dieser Weg der Kreuzesflucht nicht bloß zum Abfall führt, sondern selber schon Fall und Abfall ist, ein Weg, den man nicht betreten kann, ohne daß man seine ewige Seligkeit verscherzt. Es gilt also, wie in jenem Leiden, in welchem der Mensch sich einem Gekreuzigten gleich angenagelt befindet, so auch in den Leiden, denen er durch Sünde entrinnen könnte, gleich geduldig auszuharren und auf das Beispiel des gekreuzigten HErrn zu sehen, den auch nicht die Nägel am Kreuze hielten, sondern seine Liebe zu uns und sein Gehorsam gegen den himmlischen Vater. Er hätte sich wohl losmachen und vom Kreuze herniedersteigen können. Diesem Beispiel gilt es nachzufolgen, denn sich selbst vom Kreuz loszumachen, hat die Verwerfung von seiten Gottes zur Folge, Hebr. 10, 38. 39. Wer zurückweicht, also feig und scheu sich vom Leiden zurückzieht, an dem hat Gott kein Gefallen, der fährt dahin in die Verdammnis, v. 39. Wir sind nicht von der Zurückweichung zur Verdammnis, sondern vom Glauben zur Errettung. „Die da weichen und das Zeichen ihres Bräutigams verschmähn, müssen laufen zu den Haufen, die zur linken Seite stehn“ heißt es in einem Lied. Hebr. 12, 3. Daß ihr nicht matt werdet und die Spannkraft verliert, daß ihr, anstatt mit kräftiger Energie eines heiligen Willens das Leiden zu tragen, nicht werdet wie ein lasser Bogen; denn so wird dann der Mensch, er verliert die Spannkraft und ist dann laß und nicht fähig zu tragen, was ihm Gott auferlegt, v. 12. Warnung vor dem Schicksal eines Esau, der auch nicht mehr Raum zur Buße fand. Der Ausblick auf die furchtbaren Folgen des Falls Hebr. 10, 26 und 31; 6, 4 ff. (cf. oben).

 8. Der Trost im Kreuz. Der erste und nächste Trost, freilich ein Trost der allgemeinsten Art, der bei jedem Leiden anwendbar ist und bei jedem Leidenden auch fäht, ist der, daß das Leiden eine Schickung Gottes ist, also aus seiner gütigen Vaterhand kommt, Matth. 10, 29 ff.; Joh. 18, 11. Der HErr nimmt das Leiden, das ihm in Gethsemane droht, als einen Kelch, den ihm sein Vater gegeben hat. Man findet den ersten Eingang zur Seele eines Leidenden mit diesem Trost. „Kein Leiden kommt von ungefähr, die Hand des Höchsten schickt es her.“ Das ist der erste Trost.

 Der zweite Trost ist, man könnte sagen ein allgemein menschlicher, wenn er nicht eben doch beim Christen eine spezifische Gestalt annähme, das ist die Aussicht auf das Ende des Leidens und Kreuzes und die selige Veränderung, welche der Tod dem| Gläubigen bringen wird, Luk. 16, 22, 25. Der Christ weiß ja, daß es nach dem Tode nicht aus ist, sondern daß hinter demselben eine freudenreiche Ewigkeit und eine, ewige Seligkeit steht. „Kreuz und Elende, das nimmt ein Ende. Nach Meeresbrausen und Windessausen leuchtet der Sonne erwünschtes Gesicht.“ „Wenn der Winter ausgeschneiet, tritt der schöne Sommer ein, also wird auch nach der Pein, wer’s erwarten kann, erfreuet.“ In der Bibel ist dieser Gedanke auch vielfach zum Ausdruck gekommen, Röm. 8, 18; 2. Kor. 4, 17. 18. τὸ παραυτίκα ἐλαφρὸν τῆς θλίψεως. Es wird also das Leiden uns als etwas Zeitweiliges, als ein vorüberrauschender Augenblick im Vergleich zu der endlosen Seligkeit und Herrlichkeit in jenem Leben bezeichnet, und darin liegt das Tröstliche, das, was erleichtert, was die Trübsal selber als etwas Leichtes erscheinen läßt, 1. Petr. 5, 10 ὀλίγον παθόντας. 1. Petr. 1, 6. Es ist freilich oft erst der Tod, das Ende des Lebens, auch das Ende des Leidens und ist manches Kreuz ein lebenslängliches, was man erst sterbend zu Jesu Füßen niederlegen darf. Da möchte freilich es dem Menschen oft lange und bange werden bei einem Kreuz, das lebenslänglich getragen werden muß und für welches es auf dieser Erde keine Erlösung gibt. Aber der Apostel lehrt uns eben, uns auf den Standpunkt der Ewigkeit zu stellen. Von der Höhe der Ewigkeit betrachtet, schrumpft ja doch die Erde auf einen winzigen Punkt ein, schrumpft auch die längste Linie der Zeit zu einem Pünktlein zusammen. Was ist ein langes Leben gegen die endlose Ewigkeit. Von diesem Standpunkt aus betrachtet ist Kreuz und Leiden ein vorüberrauschender Augenblick, ein saurer Rauch, der die Augen etwas beißt, aber bald, bald überstanden ist: „Denn all mein Leid währt kurze Zeit, bald, bald, ist’s überstanden und Ruh ist dann vorhanden.“
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 Ein dritter göttlicher Trost im Leiden ist die Gewißheit, die nur der Christ haben kann, die er im Glauben hat und haben kann und im Glauben festhält trotz der Einsprache des eigenen Gefühls, des Widerspruchs der eigenen Empfindung, nämlich die Gewißheit, daß das Leiden nach der Kraft bemessen ist, daß Gott uns nicht zu viel auferlegt, noch uns über unser Vermögen versuchen läßt, 1. Kor. 10, 16. Wörtlich heißt es: Er schafft mit der Versuchung auch schon den Ausgang. Das würde Gott nicht thun, wenn er uns eine zu schwere Last auferlegte; da würden wir ja aus der Versuchung nicht mehr herauskommen können, aber so ist mit der Einführung in die Versuchung auch| schon der Ausgang gegeben, wenn auch diese Ausgangspforte erst am Ende des Lebens sich eröffnet. Dies thut Gott zu dem Zweck, damit wir es können ertragen. Er bemißt die Anfechtung und Versuchung. „Du kannst maßen, daß mir’s nicht bring Gefähr.“ Es ist auch ein Gedanke des Trostes, daß Gott, der uns besser kennt, als wir selbst, das Leiden nach der Kraft des Menschen bemißt, ihm die Kraft wunderbar stärkt, damit er nicht unter der Last zusammenbricht. „Indes ist abgemessen die Last, die uns soll pressen, auf daß wir werden klein; was aber nicht zu tragen, darf sich nicht an uns wagen, und sollt’s auch nur ein Quentlein sein.“

 Ein vierter damit zusammenhängender Gedanke ist der, daß Gott uns hilft, das Kreuz zu tragen, daß er mit der zunehmenden Last des Kreuzes auch die Kraft stärkt und uns wie die Palme unter der Last wachsen läßt, Ps. 68, 20. 21; 1. Petr. 5, 10. Auch der HErr wurde ja in Gethsemane durch einen Engel gestärkt.

 Ein Gedanke, der all diesen Trostgedanken schon zu Grunde liegt, aber doch noch verdient, besonders herausgestellt zu werden, ist der, daß man, wenn man im Kreuz steht, ein Gegenstand besonderer göttlicher Barmherzigkeit ist, nicht nur nicht vergessen, sondern im Andenken Gottes, ein Gegenstand seiner ganz besonderen Aufmerksamkeit und Erbarmung ist, Jak. 5, 10. 11. Er ist reich an Erbarmung, an innigem Mitgefühl. Wenn er ein Leid verhängt, ist er nicht hart gegen den Menschen, sondern, wie es einmal heißt, es brausen seine Eingeweide vor tiefer Erbarmung des Mitgefühls.

 9. Das richtige Verhalten im Kreuz.

 a) Der Christ soll das Kreuz nicht fliehen und nicht suchen, und wenn es ihn betroffen hat, sich nicht daran ärgern, 1. Petr. 4, 12. 13. Man soll es nicht fliehen, wie der HErr ja auch, als seine Stunde gekommen war und die Häscher ausgingen, ihn zu greifen, sich willig stellte, ihnen entgegenging und sich auslieferte. Doch hat er es auch nicht gesucht und hat sich mehrmals ihren Versuchen, ihn zu greifen, entzogen, aus dem Grunde, der immer angeführt wird, daß seine Stunde noch nicht gekommen war. Auch der Apostel Paulus kann uns ein Beispiel sein. In Philippi hat er sich nicht geweigert, das Leiden der Stäupung und Geißelung auf sich zu nehmen und also als Märtyrer zu leiden, Akt. 16, 23 ff.; dagegen in Jerusalem, wo es zwecklos gewesen wäre, sich zur Belustigung der Juden der Marter zu unterwerfen, hat er sich auf sein römisches Bürgerrecht berufen und ist so dem Leiden| entgangen, Akt. 22, 25–31. Hierher gehört die in der alten Kirche zwischen der überstrengen montanistischen und der milderen Richtung kontroverse Frage, ob es erlaubt sei, der Verfolgung zu entfliehen. Tertullian hat es verneint und hat die Flucht gleichgestellt der Verleugnung, während man ihm entgegenhielt, daß der HErr gesagt habe: Wenn sie euch verfolgen, so fliehet von einer Stadt in die andere. Auch Cyprian ist, wiewohl er unmittelbar die Schrift des Tertullian De fuga in persecutione mit Bewunderung gelesen hatte, selbst geflohen und hat sich in der Verborgenheit aufgehalten. Das zweitemal, als die Verfolgung unter Valerian ausbrach, ist er in seiner Gemeinde geblieben. Matth. 10, 23; Akt. 8, 1; 11, 19. Man sieht daraus, daß man es damals nicht für eine Verleugnung gehalten hat, sich der Verfolgung durch Flucht zu entziehen. Es ist also doch eine Verirrung des Montanismus gewesen, wenn er jeden Versuch, durch Flucht sich der Verfolgung zu entziehen, der Verleugnung gleichstellte. Andererseits wird man auch nicht leugnen können, daß Märtyrer, namentlich in der letzten Verfolgung unter Diokletian, sich mit einem gewissen Ungestüm zum Martyrium drängten, z. B. Eulalia.
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 b) Ist nun aber das Kreuz, nicht gesucht und nicht gemieden, über den Menschen gekommen, so geziemt sich die völlige Ergebung. Beispiel ist der HErr selber in Gethsemane. Er ist ein Beispiel zunehmender Willigkeit, sich zu ergeben in das Kreuz, es ist ein innerer Fortschritt, ein zunehmender Sieg in seinem Seelenkampf; während er das erstemal betet: „Mein Vater, ist es möglich, so gehe dieser Kelch von mir, doch nicht, wie ich will, sondern wie du willst,“ so betete er das anderemal: „Mein Vater, ist es nicht möglich, daß dieser Kelch von mir gehe, ich trinke ihn denn, so geschehe dein Wille.“ Die zweite Bitte zeigt die zunehmende Willigkeit, sich zu ergeben in das Leiden, den Zustand der Seele, in welchem sie sich schon mit dem Gedanken vertraut gemacht hat, daß der Kelch nicht mehr vorübergehen wird, Jak. 1, 4. 12; 2. Kor. 1, 6; 6, 4; Röm. 12, 12; Jak. 5, 7. 8. Das ist ja eben die Absicht des HErrn, wenn er den Menschen ins Leiden führt, den Eigenwillen des Menschen zu brechen. Darin besteht die Ergebung, daß der Mensch den eigenen Willen aufgibt, keinen eigenen Wunsch und Willen hat, sondern mit seinem Willen sich in den Willen Gottes verliert. „Hilf, daß mein Will in allen Fällen in deinen Willen sich verlier“ singt Tersteegen. Hebr. 5, 8. Das Leiden ist die Übung des Gehorsams, eines Gehorsams ganz besonderer Art, der| schwerer ist als der thätige Gehorsam, die Erfüllung der Gebote Gottes, Hiob 1, 21; 2, 10.

 c) Ein weiterer Zug in dem Bilde des leidenden Christen, wie er sein soll, ist die gründliche Buße und Selbstdemütigung. Sie entspricht dem Zweck desjenigen Leidens, welches das häufigste ist, dem Züchtigungsleiden; David Ps. 51.

 d) Weiter ist zu nennen als ein Stück richtigen Verhaltens im Kreuz: die heilige Sorglosigkeit, die aus dem Vertrauen quillt, daß der HErr einen Ausweg finden und das Ende herbeiführen wird. Ein Beispiel ist David in der saulischen Verfolgungszeit, wo er war wie ein gehetztes Wild, aber doch dem HErrn vertrauensvoll seine Lieder sang und der Verheißung sich erfreute, daß Gott doch alles wohl hinausführen und ihn auf den verheißenen Thron seines Volkes erheben werde; 1. Petr. 5, 6. 7; Ps. 55, 23.

 e) Ferner gehört auch zum richtigen Verhalten des Christen im Kreuz die Geduld und Sanftmut, nahe verwandte Tugenden, sofern die Sanftmut eben das Gegenteil jener widerwärtigen, mürrischen und verdrießlichen Seelenstimmung ist, durch welche der Leidende oft seiner Umgebung es schwer macht, mit ihm zu verkehren; wenn die Geduld auch mit Sanftmut gepaart erscheint, da ist die Leidensgestalt Jesu verklärt in seinen Nachfolgern. Er ist selber das größte Beispiel, das sanftmütige und stille Lamm, 1. Petr. 2, 23; 3, 10. Auch David ist hier wieder ein Beispiel, der, als Simei die Erdklöße auf ihn herabsprengte und mit Steinen warf, keiner Aufwallung des Herzens Raum gab, sondern dem Abisai, der dem „Hunde“ den Kopf abreißen wollte, die Antwort gab: „Laß ihn, der HErr hat’s ihm geheißen.“

 f) Da das Leiden oft ein andauerndes ist, muß auch der Gehorsam ein andauernder sein, weshalb der Ausdruck ὑπομονή gebraucht wird, der nicht Geduld bezeichnet; bei Geduld denkt man immer an ein mehr passives Verhalten, während unter ὑπομονή ein mehr aktives Verhalten gemeint ist, das Ausharren unter schwierigen Umständen, Eph. 3, 13; 1. Thess. 3, 3. Für die immer völligere Unterwerfung unter Gottes Willen, die Hand in Hand gehen muß mit dieser ὑπομονή haben wir Bibelstellen wie Hebr. 10, 7; Phil. 2, 7; Hebr. 5, 8; Jak. 5, 8; Ps. 25, 5 anzuführen.

 g) Genügsamkeit an der Gnade Gottes. „Laß dir an meiner Gnade genügen.“ Der Mensch, auch der Christ, möchte gerne das Gute| des HErrn auf Erden sehen und das Glück der Lebenszeit genießen. Doch ist Gottes Gnade reich genug, um ein Menschenherz zu sättigen, wenn auch die Erde keine Freude für ihn hat, sondern ihm ein Dornstrauch ist. Da gilt das Wort: „Laß dir an meiner Gnade genügen“, oder wie es genau heißt: „meine Gnade genügt dir“, 2. Kor. 12, 9. Gottes Gnade kann ein Menschenherz sättigen mit Freude des ewigen Lebens, Hebr. 13, 5; Ps. 73, 25. 26. „Nur dich“ das klingt, wie wenn es wenig wäre, aber man soll bei sich bedenken, daß man, wenn man Gott hat, alles hat, mehr als Himmel und Erde, den ewigen Hort und die ewige Freudenquelle.

 Aus der Ergebung soll endlich werden:

 h) Lust und Liebe zu leiden, Kol. 1, 24. Ich freue mich meiner Trübsal, 1. Petr. 4, 13. Doch wird sich diese freudige Stimmung im Leiden meist nur da einstellen, wo das Leiden ein Bekenntnisleiden, ein Martyrium ist, bei andern Leiden wird man wohl mit der Ergebung zufrieden sein dürfen. Es gibt eine Reihe von Bildern mit der Unterschrift: Ich muß leiden, will leiden, kann leiden, darf leiden. Wenn jemand sagt: ich will leiden, so ist das genug; erst ist das Leiden ein Muß, dann ein Wollen. Aber wenn jemand sagt: ich darf leiden, ich küsse mein Kreuz, so ist das eine Seelenstimmung, die bei vielen, die sich ihrer rühmen, eine Überspannung ist. Mit dem Beispiel des HErrn können wir auch nicht mehr belegen als die Ergebung; Freude sehen wir bei ihm ja nicht. Etwas anderes ist der Dank für das als heilsam erkannte Leiden, Ps. 118, 21; Röm. 5, 3.

 Die entgegengesetzte Übertreibung findet sich auf Seite derjenigen, welche der sogenannten Glaubensheilung das Wort reden. Diese meinen: wo Vergebung der Sünde sei, da dürfe es keine Krankheit mehr geben; dieselbe müßte auf das Gebet des Glaubens weichen; wo sie aber nicht weiche, da liege immer ein Mangel an Glauben (resp. ein Mangel im Christenstand) zu Grunde. Allein diese Ansicht – deren letzte Konsequenzen die Beseitigung des Todes durch den Gläubigen wäre – scheitert an der Lebenserfahrung des Apostels Paulus, 2. Kor. 12, 7–9. Allerdings ist Heilung die Konsequenz der Vergebung, aber diese Konsequenz tritt zwar in vielen Fällen und mit vorläufiger Dauer schon in diesem Leben ein, aber schlechthin und für immer erst mit der ewigen Genesung in der Auferstehung. Darum kann es lebenslängliche Krankheit bei begnadigten Kindern Gottes geben und gibt es, und diesen wird auch die göttliche Stärkung nicht fehlen zum Ertragen derselben.

|  Darnach werden wir auch Jak. 5, 14–18 zu verstehen haben. Was da empfohlen wird, darf als die ordentliche und regelmäßige Weise der Krankenbehandlung in den apostolischen Gemeinden angesehen werden; es wird aber auch bei den Gebeten der Ältesten in manchen Fällen eine abweisende Antwort des HErrn nicht ausgeschlossen gewesen sein, so wenig als bei St. Paulus; ein σώζεσθαι und ἐγείρεσθαι, d. h. ein gerettet und aufgerichtet werden, konnte aber bei dem Leidenden gleichwohl erfolgen, wenn auch keine äußerliche Heilung eintrat, indem sein etwa schwach gewordener Glaube gesundete und der Leidende innerlich aufgerichtet ward. Jedenfalls wurde er aufgerichtet, wenn das Bewußtsein von Sünden ihn niederdrückte, welches erfahrungsmäßig ebensosehr die Heilung durch die innerlich vorhandene Unruhe erschwert, als die Befreiung von dieser inneren Last die Genesung zu befördern im stande ist. Übrigens ist jede Krankheit eine Aufforderung zur Demütigung vor Gott und zur Bitte um Gnade. Diese, so zu sagen geistliche Behandlung der Krankheit von innen heraus, scheint die Grundlage der ganzen Anweisung zu sein nach v. 16. – Freilich ist diese apostolische Praxis in unsern Gemeinden nicht ohne weiteres wieder einzuführen. Dazu gehören apostolische Gemeinden und eine Blüte geistlichen Lebens, wie sie in jener Zeit zu finden war. Aber das Wesentliche davon kann überall, wo Glaube ist, wieder in Übung gesetzt werden. Der Arzt brauchte beim Wiederaufleben dieser Praxis nicht außer Wirksamkeit gesetzt werden, wie das durch die Heilungen des HErrn und seiner Apostel allerdings geschah, denn wir haben es Jak. 5 nicht mit Wunderheilungen zu thun, nicht mit einem außerordentlichen Handeln, sondern mit dem ordentlichen. Und da ist weder der Gebrauch des Arztes noch der Arznei verboten, die ja beide von Gott gegeben und anerkannt sind (Jer. 8, 22; Luk. 5, 31; Kol. 4, 14; Hes. 47, 12; Apok. 22, 2). Ist doch auch Hiskias Glaubensgebet erhört und er selber dann doch durch ein ärztliches Mittel geheilt worden, Jes. 38. Etwas anderes ist es, wenn kein menschliches Mittel anschlagen will und der Christ sich an die Verheißung 2. Mos. 15, 26 erinnert und nun vom HErrn unmittelbar Hilfe sucht, ihn auch nicht vergebens anruft.
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 Gebetsheilanstalten sind denkbar, wo sich eine besondere Gabe der Heilung oder des Gebetes findet. Doch wäre da das Wort zu beherzigen: Umsonst habt ihr es empfangen, umsonst gebt es auch. Es müßte Vorkehrung getroffen werden, daß das Anstaltliche nicht in das Geschäftliche übergeht. Die richtige Gebetsheilanstalt finden wir Jak. 5 angegeben,| wo übrigens das Glaubensgebet nicht vom Kranken sowohl, sondern vor allem von den Presbytern gefordert ist.

 Das Gesundbeten der sogenannten christian science ist mehr als Schwärmerei, es ist widerchristlicher Betrug.


§ 76.
Der Christ gegenüber dem Tod.

 1. Der große Ernst des Todes auch beim Christen. Der Tod ist schon als Trennung des Leibes und der Seele etwas überaus Ernstes und hierin liegt auch sein natürliches Weh, was jeder, auch der Christ, empfinden muß und in welchem er die Strafe, den Sold der Sünde empfangen muß. Der Tod ist der Sünde Sold. Eben deswegen ist der Tod auch ein Gericht, ein Gericht über das Fleisch, 1. Petr. 4, 6. Es vollzieht sich im Tode das Zorngericht Gottes über die Sünde. Daraus ergibt sich die rechte Furcht des Todes im Gegensatz zur verwerflichen Todesfurcht. Die Furcht des Todes ist ja ein natürliches Gefühl, das man nicht wegleugnen soll und gegen welches man sich nicht stoisch zu verhärten braucht. Hat doch auch der HErr gebebt und sich geängstet vor dem Gedanken an Leiden und Tod. Es war ihm, wie er ja selber sagt, bange auf seine Leidenstaufe, Luk. 12, 50; Hebr. 5, 7. Er hat Gebet und Flehen mit Geschrei und Thränen geopfert zu dem, der ihn vom Tode erretten konnte, und er ist auch errettet worden; den Tod mußte er schmecken, aber die Furcht des Todes ist ihm genommen worden. So soll die natürliche Todesfurcht auch beim Christen überwunden werden durch Glauben und Hoffnung, ein Sklave der Todesfurcht kann ein Christ nicht sein, wenn es mit seinem Christennamen und Christentum nicht purer Spott sein soll, Hebr. 2, 14. 15. Man denke an Hiskia, der that, was dem Herrn wohlgefiel und doch von der Todesfurcht so gemartert wurde, daß er winselte wie ein Kranich und girrete wie eine Taube vor lauter Furcht, sterben zu müssen, Jes. 38, 14. Die verwerfliche Todesfurcht entsteht meistens aus zu großer Anhänglichkeit an die Welt und an das Irdische, aus zu großer Liebe zum Leben.

 2. Um die Todesfurcht zu überwinden ist es nötig, den rechten Todestrost zu haben. Todestrost ist freilich weniger als Todessehnsucht und Todeslust; es ist eine climax ascendens: Todestrost, Todesmut, Todessehnsucht, Todeslust. Was man von einem Christen verlangen kann, ist, daß er den Todestrost und Todesmut hat. Der Todestrost| ist das Gegengewicht gegen die natürliche Furcht vor dem Tode. So sagt der Apostel Paulus von sich 2. Kor. 5, 6–8: θαρροῦμεν. So weit muß es der Christ bringen, daß er gegen die natürliche Furcht das Gegengewicht des Todesmutes hat. Je mehr man sich in das, was die heilige Schrift vom ewigen Leben sagt, versenkt, desto mehr wird Todestrost und Todesmut in dem Menschen keimen. Die göttlichen Gedanken, welche Samenkörner des Trostes sind, ja aus denen eine ganze Trostessaat emporwächst, sind folgende:
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 a) Der erste Todestrost ist der: mors janua vitae, der Tod ist die Thür zum Leben. Man muß nicht haften bleiben an dem Grab und an der Verwesung, sondern der Glaube muß sich über Tod und Grab Hinüberschwingen in die Ewigkeit und muß dessen gewiß sein, daß hinter dem Tode, wenn diese Welt dem Menschen entschwindet, wie unter einem Schiffbrüchigen die letzte Planke weggezogen wird, ihm eine neue Welt aufgeht. Eine neue Welt muß ihm in Aug und Herz leuchten, so wie der HErr ja auch sich in der Nacht des Beginns seiner Leiden tröstet mit der zukünftigen Verklärung. Wenn man die Reden betrachtet, die er gesprochen hat am Abend vor seinem Leiden, so finden wir nirgends eine Beschäftigung mit seinem Tode, sondern mit seiner Herrlichkeit. Das ist ein Wink auch für uns. Hinüber über das Leiden auf die jenseitige Höhe der Verklärung sollen wir uns schwingen, dadurch kann dann das Grauen des Todes besiegt werden, wenn es auch immerhin nur wenige sein werden, die so getrost dem Tode entgegengehen wie z. B. Bengel, der sagen konnte: Wenn er sterbe, so sei ihm so, als wenn er durch die Thüre seines Studierzimmers in das Nebengemach gehe. Gott kann mehr geben und wenn sich der Christ der Heiligung befleißigt, 2. Kor. 5, 9, dann wird sein Trost und Mut zur Sehnsucht, Freudigkeit und Lust, wie wir diese Sterbenslust im höchsten Maß bei den Märtyrern sehen, von denen das Lied sagt: „Wie in Lieb sie glühen, wie sie Feuer sprühen, daß sich vor der Sterbenslust selbst der Satan fürchten mußt!“ v. 1 u. v. 3. „Furcht war nicht in ihnen, auf die Kampfschaubühnen sprangen sie mit Freudigkeit, hielten mit den Tieren Streit.“ Da ist aber vorausgesetzt ein Leben der Heiligung und ein emsiges und eifriges Bestreben, dem HErrn alle Augenblicke und Stunden zu gefallen. Deshalb sagt der Apostel: Unsere Ehre setzen wir darein, dem HErrn zu gefallen, sei es, daß wir daheim sind oder wallen. Wo dieses Streben vorhanden ist, da wird sich auch die Sehnsucht und Freudigkeit, die Lust zum Sterben einstellen und| man wird mit dem Apostel sagen können: Ich habe Lust abzuscheiden und bei Christo zu sein, Phil. 1, 23. Da wird dann der Tod und die Ewigkeit mit Anziehungskräften der Heimat ausgestattet. In demselben Maß, als der Christ sich hier als Fremdling und Pilgrim fühlt, in demselben Maß wird ihm die Ewigkeit als seine Heimat erscheinen und auf ihn auch wirken mit all der Anziehungskraft, welche die natürliche Heimat auf den natürlichen Menschen ausübt. Der Christ sagt von dem entschlafenen Bruder: er ist heimgegangen; der Weltmensch aber: er hat fortgemußt. Der Apostel spricht 2. Kor. 5, 1–10 durchweg von unserm hiesigen Aufenthaltsort als von einem Auswärtssein, als von einem Aufenthalte im Auslande, im Elende, und vom Tode als einem ἐνδημεῖν πρὸς τὸν κύριον. So kann dieser eine Gedanke: der Tod ist der Eingang zum Leben das Gemüt beruhigen, ja es erfüllen mit Todeslust und Freudigkeit.
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 b) Der Tod ist für den Christen ein Schlaf. Durch diesen tiefen Vergleich, der mehr ist als nur ein rhetorisches Bild, kann auch das Grauen vor dem Tode beschwichtigt werden. Eine süße und sanfte Ruhe hat doch nichts für den Menschen grauenerweckendes, es fürchtet sich niemand einzuschlafen, wiewohl ja doch beim Schlaf die ganze Außenwelt dem Menschen entrückt wird und er für sie gleichsam gestorben ist; man fürchtet sich nicht vor dem Schlaf, wiewohl da das aktive Seelenleben erlischt, die Thätigkeit des Willens, des Verstandes cessiert. Der Schlaf beginnt mit der turba, d. h. mit der Verwirrung der Gedanken, es wird dunkel im Innern. Auch nach dieser Seite ist der Schlaf ein Bild des Todes; denn der Tod ist ja auch eingeleitet durch die turba. Die wenigsten Menschen haben ein Gefühl und Bewußtsein des herannahenden Todes. Je mehr man Menschen sterben sieht, desto mehr wird man in der Erfahrung befestigt, daß der Tod verhüllt an den Menschen herantritt und daß der Geist des Menschen in eine Dämmerung versetzt wird, so daß er den Tod nicht schmeckt in seiner ganzen Schrecklichkeit und Bitterkeit. Vor allem aber soll durch diese Bezeichnung des Todes der Hoffnung Ausdruck gegeben werden, daß der Tod wie der Schlaf keine Vernichtung ist, sondern nur ein Zustand der Ruhe ein ἀναπαύεσθαι von allen Mühsalen der Erde, wo man ruht von seiner Arbeit, Apok. 14, 13; Hebr. 4, 10; Apok. 6, 11; Jes. 57, 2. Also man will der Hoffnung Ausdruck geben, daß der Tod keine Vernichtung, sondern nur ein Ruhen ist, eine Hemmung oder zeitweilige Suspendierung der Thätigkeit nach außen, aber kein Erlöschen| des Seelenlebens; denn es ist beim Tod wie beim Schlaf die Gewißheit eines Erwachens vorhanden.

 c) Endlich ist der Gedanke „der Tod kein Tod mehr“ auch ein Gedanke des Trostes, nämlich wenn man bedenkt, daß dem Tode für den Christen durch die Erlösung, so durch Jesum Christum geschehen ist, sein Stachel genommen ist, 1. Korinth. 15, 54 u. 57. Es ist dem Tode sein Stachel genommen, womit er verletzt und verwundet, wir sterben, wenn wir Christen sind, im Glauben selig, nicht im Bewußtsein ungetilgter Sünden, denn eben die Sünde, das Schuldbewußtsein war der Stachel des Todes. Durch Christi Tod ist dem Tode dieser Stachel genommen, Christus hat für uns alle den Tod geschmeckt, Hebr. 2, 9. Er hat des Todes Bitterkeit gekostet, indem sein Tod ein stellvertretender Tod für uns war. Was seinen Tod bitter machte, war das Gefühl des göttlichen Zorns, das Bewußtsein, daß die Schuld der Menschheit auf ihm lag. Aber indem er unsere Schuld gebüßt hat, hat er für uns den Tod durch Gottes Gnade geschmeckt, daß wir nun seine Bitterkeit nicht mehr schmecken, wenigstens nicht mehr die Bitterkeit, die die allerbitterste ist, wir haben nämlich nicht mehr das Bewußtsein ungetilgter Schuld. Diesem Gedanken, daß nun, da wir Vergebung haben, der Tod kein Tod mehr sei, hat Luther in dem Liede „Christ lag in Todesbanden“ etc. einen so majestätischen Ausdruck gegeben: „Es war ein wunderlich Krieg, da Tod und Leben rungen; das Leben behielt den Sieg, es hat den Tod verschlungen“ etc. Auch v. 3. So ist denn für den Christen das Grab ohne Grauen: „Es wird mir sein ein Kämmerlein, da ich auf Rosen liege.“ „Du lagst ja in der Erde und hast sie eingeweiht“ etc. Dadurch ist die Erde geheiligt zur Aufnahme unserer Leiber.

 3. Das richtige Verhalten des Christen in Beziehung auf den Tod.

 Was das Verhalten des Christen in Beziehung auf den Tod betrifft a) im ganzen Leben, so ist das erste: der Gedanke an und die Bereitung für den Tod, Ps. 90, 12. Er stirbt täglich, sein Leben ist eine stete Todesbereitung, er macht innerlich sich los von der Welt und stirbt ihr täglich ab, 1. Kor. 7, 29. 31. Er bestellt sein Haus und ist der Abforderung und Rechenschaft gewärtig; denn ein Christ soll auch seine irdischen Angelegenheiten nicht ungeordnet lassen, es ist eines Christen unwürdig als ein schlechter Haushalter abzuscheiden. Er macht sein Testament, bringt die Schulden in Ordnung,| wenn er solche hat, gibt Bestimmungen über seinen Nachlaß, um Erbschaftsstreitigkeiten zu vermeiden. Er sorgt ferner in rechter Weise für die Seinen durch die beste Hinterlassenschaft, er läßt eine christliche Erziehung in seinem Hause walten, hinterläßt den Seinen einen guten Namen und ein gutes Beispiel. Hat er ein gottseliges Leben geführt, so hinterläßt er ihnen auch Gottes Segen. „Ich habe nie gesehen des Gerechten Kinder verarmen, oder seinen Samen nach Brot gehen“ sagt der Psalmist. Mit dem allen bestärkt er in sich das Fremdlings- und Pilgrimsgefühl, was das rechte Kennzeichen des Christen ist, 1. Petr. 2, 11; 2. Kor. 5, 1 ff.; Phil. 1, 23. Er erweckt so sich selber zu heiliger Sterbenslust.
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 b) im Sterben. Hiskia hat um Verlängerung seines Lebens, um eine Zulage an Jahren gebeten, als ihm der Prophet den tödlichen Ausgang seiner Krankheit ankündigte, und es wurde ihm dies Gebet erhört. So ist er ein Beispiel, daß auch das Gebet um eine Alterszulage in diesem Sinn, wenn es nämlich in der rechten Gesinnung der Ergebung geschieht, Gott nicht mißfällig ist. Wir haben auch sonst Beispiele solchen Gebets, Ps. 102, 25. Es wird in der heiligen Schrift als das Normale betrachtet, daß der Mensch seine Tage erfülle, daß er diejenige Altersstufe erreiche, wie sie in dem 90. Psalm in den bekannten Worten angegeben ist. Die allgemeine Grundstimmung der Ergebung vorausgesetzt kann ein Christ auch solche Wünsche betreffs der Zeit und Stunde seines Todes Gott vortragen und sich dafür ja auf das Beispiel der Gläubigen namentlich des Alten Testaments berufen. Auch rücksichtlich der Art und Weise des Todes darf ein Christ in der gleichen Voraussetzung Wünsche haben und äußern. Er darf um einen leichten und sanften Tod und Bewahrung vor einem schweren Tod bitten; gegen den bösen schnellen Tod bitten wir ja in der Litanei. Ein böser schneller Tod ist ein plötzlicher Tod, der uns unvorbereitet oder gar in Sünden überfällt und hinrafft. Der schnelle Tod ist an und für sich nicht auch schon ein böser. Es gibt, könnte man sagen, auch einen guten schnellen Tod; wenn der Christ bereit ist und es ergreift ihn der Tod auch plötzlich, so ist das ja für ihn kein Unglück, es ist eine Wohlthat, sofern sich das Sterben bei ihm auf einen Moment konzentriert. Der Heide Cäsar hat bekanntlich kurz vor seinem Tode, als bei einem Gastmahle die Frage aufgeworfen wurde, welcher Tod der erwünschteste sei, gesagt: der schnelle und unerwartete. Doch ist die Voraussetzung im letzteren Fall die, daß der Christ alle Augenblick und| Stunden bereitet ist, Herz und Haus in Ordnung gebracht hat. Ist das der Fall, so braucht man nicht vor dem Gedanken eines plötzlichen Todes zittern, der sich ja manchen aufnötigt und aufdrängt infolge gewisser leiblicher Anlagen, z. B. bei Disposition für den Schlaganfall. Aber gegen einen bösen schnellen Tod, der uns unvorbereitet träfe, soll man recht ernstlich sein Leben hindurch beten.

 c) Das richtige Verhalten im Tode selbst

 aa) des Sterbenden. Dies ist für alle Fälle natürlich Buße und Glaube, was ohnehin die beiden Grundpfeiler des Christentums sind. Die Buße muß erweckt, der Glaube muß lebendig gemacht werden; denn in diesen beiden Stücken hängt die ganze Heilsordnung, summiert sich das ganze Christentum. Die Buße muß sich auf das ganze Leben erstrecken; denn bald liegt es ja abgeschlossen hinter ihm und vor Gott. Es ist daher zu eilen mit der Bitte um Vergebung, mit der herzlichen Bereuung alles dessen, was man aus Schwachheit des Fleisches und Anfechtung des Teufels gesündigt hat, damit das Schuldbuch zerrissen werde. Da sehen wir, daß für den Sterbenden der Glaube an das Verdienst Christi das einzige Heil ist. Hier muß die Rechtfertigungslehre triumphieren und alle Verdammnis des Herzens und die Anfechtung des Teufels niedergelegt werden mit dem Trost, daß nichts Verdammliches ist an denen, die in Christo Jesu sind, daß niemand die Kinder Gottes beschuldigen kann, niemand von der Liebe, die in Christo Jesu ist, sie trennen kann. – In den Fällen, wo es möglich ist, denn es kann einer ja auch schnell hinweggerafft werden, so daß ihm nicht einmal Minuten und Sekunden bleiben, um sich fertig zu machen – da der Tod sich ankündigt durch Krankheit, da sind auch noch andere Tugenden zu erwecken, vor allem die Ergebung. „Dein Wille geschehe“ muß der Grundton und Refrain aller Gebete des Christen sein. Zu dieser Ergebung gehört auch, daß man die bei manchen Krankheiten eigentümliche übergroße Anhänglichkeit an das Leben überwindet. Bekanntlich findet sich namentlich bei Schwindsüchtigen diese übergroße Anhänglichkeit an das Leben. Dagegen muß man ankämpfen. Weiter versöhnliche Gesinnung. Man soll, ehe man von der Erde scheidet, mit allen ins reine gekommen sein, aufgeräumt haben mit Groll und Haß und Feindschaft; denn unversöhnte Herzen finden auch drüben in der Ewigkeit bei Gott keine Barmherzigkeit, Matth. 5, 25. Es gilt, daß man mit seinem Widersacher hier auf Erden sich vergleiche. Man hat da oft zu kämpfen, sonderlich beim Landvolk, welches oft eine| Härtigkeit der Herzen in dieser Beziehung hat, die entsetzenerregend ist. Die langgehegten Feindschaften werden noch auf dem Kranken- und Sterbebette festgehalten. Da hat man mit allem Ernst zu bezeugen, daß denen, die sich hier nicht versöhnen wollen mit ihren Beleidigern, es auch nicht gelingen wird, in der Ewigkeit einen versöhnten Gott und Vater zu finden, und daß man selber den Zugang zur Gnade Gottes sich verriegelt, wenn man seinen Feinden nicht vergibt. Geduldig (siehe oben bei der Lehre vom Kreuz), getrost und mutig (cf. die Lehre vom Kreuz) soll der Christ sein Ende erwarten, auch fröhlich, wenn es Gott gibt. Ein Christ soll ohne Sorge für das Zeitliche sterben. Hier gilt der Spruch: „Alle eure Sorge werfet auf ihn; denn er sorgt für euch,“ 1. Petr. 5, 7; Ps. 102, 29. Auch für seine Nachkommen braucht er nicht sorgen, Ps. 37, 25. Dankbar soll er sterben für die genossenen Wohlthaten Gottes und der Menschen. Denken wir an David, dessen Mund verstummte mit einem Danklied, 2. Sam. 23, 1 ff., an Simeon, Luk. 2. David dankt nochmals für die Offenbarung, die ihm Gott gegeben hat von dem Messias und von der glänzenden Zukunft seines Hauses, und geht so mit einem Lobgesang ins Grab. – Im Bekenntnis seiner Sünde wie seines Glaubens scheidet der Christ aus dem Leben. Von der Notwendigkeit der Buße und des Glaubens ist oben schon gesagt, nur daß das Besondere hier noch ist, daß das Bekenntnis gefordert wird. Das Bekenntnis ist ein gutes Zeugnis für den, der es ablegt, und hat auch eine Wirkung auf die Hinterlassenen. Wer seinen Glauben bekennt, mehrt den Hinterbliebenen die Gewißheit, daß er im Glauben stand und gestorben ist, die Gewißheit der Seligkeit. Wer von Herzen glaubt und mit dem Munde bekennt, der wird selig. Aus dem Bekenntnis schließt man auf den Glauben, man bekommt die Gewißheit, daß, der es abgelegt hat, im Frieden und selig abgefahren ist. Es ist aber auch das Bekenntnis deshalb von Wert, weil es ein Gottesdienst ist und weil es auf Gläubige und Ungläubige eine heilsame Wirkung hat. Daher, wenn es möglich ist und der Christ den innern Trieb dazu hat, soll er nicht stumm aus der Welt gehen, sondern ein Bekenntnis seines Glaubens und wahrer Buße ablegen und so das Siegel auf sein Leben drücken. Er soll im heilsbegierigen Gebrauch der Gnadenmittel der Kirche sterben. Er soll sich stärken lassen durch die heilige Absolution und Genuß des heiligen Abendmahls und soll nicht säumen, wie die Leute es häufig machen, aus Aberglauben, die erst, wenn der| Tod schon dem Sterbenden auf der Zunge sitzt, wenn alle Lebenshoffnung für sie entflohen ist, das Abendmahl für ihn begehren, weil sie meinen, es werde durch den Genuß eine Krisis eintreten, es müsse sich wenden zum Bessern oder Schlechtern. Da gilt es also nicht zu säumen. Das Sakrament wird dann zur heiligen Wegzehrung. Der Christ soll die Sehnsucht in sich nach diesem letzten Genuß des heiligen Abendmahls erwecken. Es muß bei ihm die Stimmung sein wie bei dem HErrn, da er am letzten Abende seines Lebens sagte: „Mich hat herzlich verlangt, dies Osterlamm mit euch zu essen, ehe denn ich leide.“ Schön vergleichen die Agenden den letztmaligen Genuß des heiligen Abendmahls mit jener Speise, welche dem Elias in der Wüste gegeben wurde und in deren Kraft er bis zum Berge Gottes Horeb ging, wo er dann Gott schaute.
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 bb) Das Verhalten der Angehörigen und Umstehenden bei und nach dem Sterben. Nicht passend an einem Sterbebett ist laute Klage, heftiger Ausbruch des Schmerzes, herzzerreißendes Jammern, weil dadurch ja dem Sterbenden der Abschied erschwert wird. Dagegen soll der Sterbende unterstützt werden durch Gebet mit ihm, oder durch Fürbitte für ihn, oder durch beides, auch soll man ihm als die tröstliche Arzenei kräftige Sprüche aus Gottes Wort eingeben und so der ringenden Seele im letzten Kampf und Strauß mit den glänzendsten Waffen zu Hilfe eilen (Löhes Rauchopfer). Dem Sterbenden wird dann der letzte Segen erteilt. Einen Segenswunsch kann ja auch jeder Christ geben; den Amtssegen, die Einsegnung vollzieht der anwesende Geistliche, einbeten nennen es die Leute schön, wie man ein Kind einbetet zum Schlaf. – Nach dem Sterben geziemt sich ein Dankgebet, wenn auch unter Thränen, zu dem man aber dennoch Drang und Trieb hat, weil besonders bei schwerem Todeskampf nach eingetretenem Tode in die Seelen der Umstehenden ein tiefes Gefühl der Beruhigung sich legt. Wenn nun die große Not vorüber ist und die gewaltige Anspannung des Leibes und der Seele einer Abspannung und Erleichterung Platz macht, da kommt doch der Dank, daß nun überwunden und der schwere Gang und saure Kampf vollendet ist. Es kommt durch alle Schmerzen das Gefühl: „Gottlob, es ist vollbracht!“ zum Durchbruch. Das Ende ist die Bitte um selige Nachfahrt, die deswegen auch in alten Agenden nicht fehlt. Da sind wir dann aber am Ende, denn wir können uns nicht entschließen, von protestantischem Standpunkt aus, durch Gebet auf den Zustand der Verstorbenen einwirken zu| wollen, so sehr es sich dem natürlichen Gefühl empfehlen würde. Luther meint, man könne ein- oder viermal der Verstorbenen gedenken, dann solle man es gut sein lassen. Nun ein Wunsch, möge Gott der Seele gnädig sein, der ist gewiß gestattet, wenn die Seele entflieht aus dem Leib; aber im übrigen geht unsere Kirche im Hangen an Gottes Wort eben von der Grundanschauung aus, daß mit dem Tode das Siegel auf das Leben gedrückt wird, das Leben gleichsam zugesiegelt wird, so daß nun nichts mehr widerrufen und geändert werden kann, daß auch das Geschick sich sofort entscheidet, daß es keinen Mittelzustand gibt, während dessen man auf den Zustand der Seele einwirken könne. Das Gebet für die Toten hängt wesentlich mit dieser Vorstellung vom Fegfeuer zusammen. Bekanntlich ist es Vorstellung bei den Römischen, daß nur die Heiligen aus diesem Leben sofort in den Himmel zur Gemeinschaft Jesu und seiner Engel kommen, während die anderen längere oder kürzere Zeit die Läuterungsqual des Fegfeuers aushalten müssen. Was wir für alle Christen hoffen, die im Glauben sterben, das ist den Römischen ein Privilegium besonders ausgezeichneter und in der Heiligung fortgeschrittener Menschen.