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Kreuz dem Menschen durch seine eigene Schuld gefährlich, Ursache zum Fall und Abfall werden, durch die Versuchung zur Ungeduld und zum Trotz oder zur Verzweiflung. – Was besonders gefährlich ist, weil es eben zur Verzweiflung führt, das ist das Matt- und Müdewerden im Kreuz, wenn der Mensch die Spannkraft des Glaubens verliert. Denn das Kreuz ist eine Versuchung nicht bloß um seiner Schwere willen, mit der es auf dem Menschen liegt, sondern und vielleicht noch mehr auch um der Dauer willen, wenn es nämlich ein langandauerndes oder gar ein lebenslängliches Kreuz ist. Die lange Dauer des Kreuzes erschöpft eben leicht die Geduld des Menschen und trocknet sein Glaubens- und Geistesleben aus, wie die Sonne jene Halme, welche aus dem aus den Felsen gefallenen Samen aufsprossen, von denen der HErr sagt: Eine Zeit lang glauben sie, aber zur Zeit der Anfechtung fallen sie ab. Ein Beispiel des Abfalls vom Glauben um des Kreuzes willen sind die Judenchristen, an die der Brief an die Hebräer geschrieben ist. Der ganze Brief ist von diesem Gesichtspunkt aus zu betrachten. Der Hebräerbrief zeigt sie uns schon in bedenklichem Schwanken, er ist daher ein rechter Trost- und Mahnungsbrief für alle Leidenden und durchs Leiden Angefochtenen, daher ermahnt der Apostel so unablässig in diesem Briefe zum Ausharren, warnt vor dem Müde- und Mattwerden, dem ἐκκακεῖν, er öffnet auch den Angefochtenen in jenen erschütternden Stellen die schauerliche Perspektive auf das, was nach dem Fall und Abfall ihrer wartet, Kap. 6, 4 ff.; 10, 19 ff. Eine besondere Gefahr, des Kreuzes müde zu werden und sich durch Flucht dem Kreuz zu entziehen, droht in allen den Fällen dem Christen, wo das Kreuz so beschaffen ist, daß er sich durch irgend welche Eigenmächtigkeit und unerlaubte Mittel und Wege von demselben losmachen kann. Es gibt Kreuz, welches den Namen Kreuz auch aus dem Grunde trägt, weil es der Mensch nicht von sich fortbringen kann, oder weil der Mensch daran gleichsam angenagelt ist, z. B. ein siecher Körper, Luk. 13, 11; Joh. 5, 5. So wenig als ein Gekreuzigter sich losmachen, die Pflöcke und Nägel in Händen und Füßen lockern kann, so wenig kann man auch oft von dem Kreuze sich losmachen, das Gott einem auflegt. Aber es gibt auch solche Leiden, denen der Christ, sei es auch durch Sünde, entrinnen kann, z. B. dem Bekenntnis und all dem Leiden, welches das Bekenntnis bringt, kann der Christ entfliehen durch Verleugnung; freilich wird er aber dann aus einem Kreuzesträger ein Kreuzesflüchtiger um den allerhöchsten Preis, den er zahlen kann, nämlich um den Preis