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Artikel „Rollenhagen, Georg“ von Wilhelm Seelmann in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 29 (1889), S. 87–95, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Rollenhagen,_Georg&oldid=- (Version vom 3. Dezember 2024, 17:10 Uhr UTC)
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Rollenhagen: Georg R., deutscher Dichter und Schulmann, ist am 22. April 1542 in dem märkischen Städtchen Bernau geboren. Vorfahren von ihm hatten Gelegenheit gehabt, ihren Landesfürsten Dienste zu leisten, doch lebte in der Familie die Erinnerung, daß ihnen mit Undank gelohnt war, und diese Familienüberlieferung soll später für R. bestimmend gewesen sein, ihm an fürstlichen Höfen angetragene Stellungen abzulehnen. Der Vater Gregorius R. war Tuchmacher und trieb neben seinem Gewerbe wie die meisten hausbesitzenden Handwerker der kleinen Landstädte die Landwirthschaft, auch übte er im Winter die in Bernau werthvolle Braugerechtigkeit seines Hauses aus. Eine auszehrende Krankheit, der er bereits 1543 erlag, machte ihn reizbar gegen das Geschrei seines kränklichen Jüngsten, der deshalb zu seinem mütterlichen Großvater Johannes Imme gebracht wurde. Als die Mutter, welche noch für drei ältere Geschwister zu sorgen hatte, sich ein Jahr nach dem Tode des Mannes wieder verheirathete, nahm der Großvater den Enkel dauernd zu sich, nahm ihn an Kindes statt an und hat ihn später zu seinem Erben eingesetzt. Da R. durch ein Gelübde der Mutter dem geistlichen Stande gelobt war, ließ der Großvater dem Enkel durch einen Schüler Unterricht ertheilen und brachte ihn 1556 auf die Schule in Prenzlau, wo er bei Bürgern, deren Kinder er unterrichtete, Wohnung und Kost fand. Besonders durch die Anweisung eines Mitschülers, Matthäus Saling, gefördert, machte er tüchtige Fortschritte und bewies seine Gewandtheit im Gebrauche der lateinischen Sprache durch einen Dialog (de versutia rusticorum, den er mit Schulgenossen bei einer Fastnachtfeier vortrag. Nach fast drei Jahren verließ er 1558 Prenzlau, um die eines besonderen Rufes sich erfreuende Schule in Magdeburg zu besuchen. Auf einem Umwege, der ihm Gelegenheit geben sollte die gefeiertesten Prediger seiner Zeit zu hören, wollte er sich dorthin begeben. Zunächst wandte er sich nach Wittenberg, wo er Melanchthon’s Predigten besuchte und nachschrieb. Dann wandte er sich nach Leipzig, wo er, gleichfalls mit dem Schreibstift der Predigt folgend, Pfeffinger hörte. Von Leipzig kam er auf seiner Wanderung über Halle nach Mansfeld und wurde hier von dem gräflichen Kanzler Georg Müller als Hauslehrer angenommen. Lange war jedoch seines Bleibens in dieser Stellung nicht. Der Rector der Mansfelder Schule Josias Seidel war nach dem Tode seiner Frau seinem Schwiegervater, dem Dekan und gräflichen Hofprediger Michael Cölius mißliebig geworden und wurde von ihm mit Absetzung bedroht, R. ergriff die Partei des Rectors und suchte durch ein Intercessionsschreiben, das er bei dem Grafen von Mansfeld einreichte, zu bewirken, daß jener im Amte gelassen würde. Die Angelegenheit endigte [88] damit, daß Seidel als Hofprediger des Grafen Hans von Mansfeld nach Rothenburg an der Saale ging, und R. für gut befand, gleichfalls Mansfeld zu verlassen. Er begab sich 1559, achtzehn Jahr alt, nach Magdeburg und wird von dem dortigen Prediger Wigand, einem geborenen Mansfelder, an den er Empfehlungen mitgebracht hatte, der Fürsorge des Rector Siegfried Saccus empfohlen, dessen Lehren, Rath und Einfluß von nun an für sein Leben bestimmend werden. Er nimmt ihn als Schüler seines Gymnasiums auf und verhilft ihm zu Wohnung und Freitisch, bis er Ostern 1560 Privatlehrer der in Magdeburg erzogenen Söhne des Halberstädter Bürgers Christoph Werner wird. Die Unterstützung und Gönnerschaft, die ihm von dem reichen Vater seiner Zöglinge zu Teil wurde, scheinen sein Fortkommen von nun ab erleichtert zu haben. Noch in demselben Jahre ging er nach Wittenberg und ward hier am 30. September 1560 als Student inscribirt. Im Geiste Melanchthon’s, dessen Theologie und Pädagogik für das Gymnasium in Magdeburg von seiner Stiftung im J. 1524 an maßgebend war, vorgebildet, kam er zu spät als Student nach Wittenberg, um noch den Vorlesungen des am 30. April 1560 gestorbenen Reformators beiwohnen zu können. Dagegen besuchte er besonders die Vorlesungen und Predigten seines ehemaligen Famulus Paulus Eber. Nach dreijährigem Studium verließ er 1563 Wittenberg, um das Rectorat der St. Johannisschule in Halberstadt zu übernehmen, zu deren Aufsehern sein Gönner Chr. Werner gehörte. Unterstützt von einem Cantor und Baccalaureus hatte er 150 Schüler zu unterrichten, er hatte dafür freien Tisch und außer den Gebühren, welche ihm die Begleitung von Leichen u. a. eintrug, ein Jahreseinkommen von 30 Gulden. In dieser Stellung nahm er auch Gelegenheit in Halberstadt sich als Prediger zu zeigen und ließ durch seine Schüler Ziegler’s Komödie von der Opferung Isaak’s in eigener Umarbeitung aufführen. Nach zweijähriger Wirksamkeit in Halberstadt kehrte er als Begleiter der Söhne Werner’s nach Wittenberg zurück, um hier ihre Studien zu leiten und seine eigenen fortzusetzen und zu erweitern. Wie früher hört er theologische Vorlesungen bei Eber, dann bei Cruciger, Georg Major und dem als Dichter gekrönten Joh. Major, also bei philippistisch gesinnten Docenten. Aber auch über das theologische Fach hinaus ist er bemüht, vielseitige Kenntnisse einzusammeln. Als Schüler und Tischgenosse von Peucer, Schönborn, Seb. Dieterichs und Joh. Balduin beschäftigt er sich mit Arzneikunde, Astronomie und Kalenderpraktik und hört bei Ortel Homer. Er schloß sein akademisches Studium ab, indem er, als der vierte unter 32 Candidaten am 18. Februar 1567 cum laude zum Magister promovirt wurde. Kurz darauf gab er sein erstes Werkchen „ΗΡΟΗΕΜΗΤΙΚΟΝ, honesto et docto iuveni D. Valentino Chaere scriptum. Vitebergae 1567 4.“ in den Druck, eine lateinische Dichtung, die er einem scheidenden Freunde zu Ehren verfaßt hat und in der er der Verehrung seines früheren Lehrers Saccus vollen Ausdruck gibt.

Einen anderen Freund Heinrich Brandes begleitete er dann in dessen Heimathstadt Braunschweig, in der Absicht hier und in Goslar Verbindungen mit Gelehrten anzuknüpfen. Eine Anstellung in diesen Orten brachte ihm die Reise nicht ein, wohl aber erhielt er am 25. November 1567 einen Ruf als Prorector an das Gymnasium in Magdeburg und wurde bereits am 1. December in sein Schulamt von dem Syndikus der Altstadt M. Pfeil eingeführt. Er nahm bei diesem seinen Tisch und verlobte sich am 12. August 1568 mit dessen Tochter Euphemia, die er am 20. September 1568 als Gattin heimführte. Sie hat ihm in schneller Folge drei Söhne und drei Töchter geboren und ist kurz nach ihrem Vater am 1. Mai 1580 gestorben. Von ihren Kindern ist die Mehrzahl in frühster Jugend durch den Tod hingerafft werden. Ueberlebt hat den Vater nur eine 1572 geborene Tochter Dorothea, später Frau des Prediger Chr. Strauß, [89] während ein 1574 geborener Sohn Samuel im Alter von ungefähr 30 Jahren als Prediger in Vörderstadt noch vor dem Vater gestorben ist. R. blieb nicht lange Witwer, schon am 5. Februar 1581 wurde er mit seiner zweiten Frau Magdalena Kindelbrück, die er sich aus Isenhagen bei Lüneburg holte, getraut. Sie hat ihm sechs Söhne geboren und ihn mit vier derselben überlebt.

R. war noch nicht volle acht Jahre Conrector gewesen, als der Rector Edo seine Stelle niederlegte und R. 1575 zu seinem Nachfolger ernannt wurde. So ehrenvoll die leitende Stellung an der angesehenen Schule war, das Amtseinkommen genügte nur schwer den berechtigten Ansprüchen des Familienlebens. Es war das der Grund, weshalb seine Vorgänger meist das Rectorat später mit Professuren oder Kirchenämtern vertauscht hatten. R. half sich, indem er, sobald er einen eigenen Hausstand gegründet hatte, Söhne wohlhabender Familien in Wohnung und Kost nahm. Dann verbesserte es seine Einnahmen, daß man ihm bereits 1573 die Predigt in der St. Sebastianskirche und später auch die des Stiftes zu St. Nicolai übertrug. Beide Predigtämter hat er neben seinem Rectorat bis zu seinem Tode beibehalten. Trieb ihn aber auch nicht die Noth des Lebens in eine andere Stellung, so war doch die Arbeitslast, welche ihm neben seinen Pflichten als Prediger zweier Kirchen sein Lehramt auferlegte, groß genug, daß er, überdies nicht von festester Gesundheit, die Annahme einer weniger beschwerlichen Stellung später ins Auge faßte. Bei seinem Ansehen und seinen Verbindungen – wir finden ihn im Verkehr mit Caselius, Ranzow, Paurmeister, Tycho de Brahe sowie vielen adligen Familien, und die Gunst, die ihm der Herzog Heinrich Julius von Braunschweig zuwandte, erregte den Neid mancher Zeitgenossen – konnte es ihm nicht an Anträgen fehlen. So trug ihm der Kurfürst von Sachsen das Predigtamt in der Schloßkirche in Wittenberg an. In Zerbst sollte er 1590 die Superintendentur übernehmen. Man wünschte seine Bewerbung um eine 1592 in Leipzig erledigte Pfarrerstelle. R. lehnte diese Rufe ab, um seinen theologischen Ueberzeugungen treu bleiben zu können und aus Scheu, in die Streithändel der Theologen verstrickt zu werden. Nach Wittenberg und Zerbst wollte er nicht, „darum daß der Zeit Regenten und Theologen zu sehr und zu gefährlich auf die eine Seite gingen“. ‚Noch weniger‘ wollte er nach Leipzig sich berufen lassen, wo „dieser Zeit Regenten und die Theologen zu sehr auf die andere Seit fallen“. Er hat damit im Auge, daß die Lehre von der Ubiquität des Leibes und Blutes Christi, deren entschiedenster Gegner er war, in Leipzig Boden gefaßt hatte. „Diese Lehre“ schreibt er „ist in unsern und allen rechtgleubigen Kirchen und Schulen für Doctor Jacob Andreassen Ankunft unerhort, ist auch widder die Heilige Schrift, widder der Apostel Glaubensarticul und der Altveter Symbola. Dieser großen wichtigen Ursachen halben kann ich solcher Lehre Collega nicht sein, und wann ichs gleich sein wolte, würden sie mich doch aufs eußerste ihrer Gewonheit nach verfolgen.“ Ebenso wenig hat er sich entschließen können ein Predigtamt in Brandenburg oder Professuren in Helmstedt und Frankfurt anzunehmen, auch hat er die Hofpredigerstellen, die ihm angeboten wurden, abgelehnt. Er pflegte zu sagen, die Rollenhagen hätten nie zu Hof gut Glück gehabt, darum er lieber wolte frei sein als gebunden, und er wolle lieber unter dem magdeburgischen jungfräulichen Kranze sein Wesen haben als unter Löwen und Bären.

R. ist schließlich Magdeburg treu geblieben, wo er am 20. Mai 1609 gestorben und am 25. Mai, dem Himmelfahrtstage, in der Pfarrkirche zu St. Ulrich beigesetzt worden ist. Die Leichenpredigt, die ihm sein Freund Burckhart gehalten hat, ist später gedruckt. Außer seiner Witwe standen an seinem Sarge die vier Söhne, die ihn überlebt haben. Von diesen war der älteste Gabriel (s. oben S. 84) bereits versorgt. Die Fürsorge für die übrigen, von [90] denen Jonas in Paris Medicin studirt hatte, während David und Caspar noch im Studium begriffen waren, wollte der Rath der Stadt sich angelegen sein lassen.

Die Bildnisse Rollenhagen’s, die sich in älteren und neueren Werken finden, sind alle dem Kupfer nachgestochen, das Seidel’s Icones et elogia virorum aliquot praestantium (1671) enthalten. Dasselbe ist nach einem alten Oelbilde gestochen, das in der Stadtbibliothek in Magdeburg noch jetzt aufbewahrt wird. Deutlicher als der schlechte Stich drücken sein Wesen die Worte Burckhart’s aus, die zugleich seine Vielseitigkeit zeigen. „Ein ansehnlicher Mann war er von Leib und Person, wuste cum autoritate et gravitate zu reden, wuste auch wohl seine Autoritet mit Ernst zu erhalten, hatte ein herrlich geschwind Ingenium, war ein feiner Theologus, war auch in Jure zimlich erfahren, und konte in Noth einen guten Rath aus guten Grund communiciren, in Philosophia, in Medicina, re herbari war er wol geübt, offt in Sommerzeit in großer Hitze mit seinen Schülern herbatim gegangen und die Simplicia gezeiget, derer Namen, Nützbarkeit angezeiget. Was er in Mathesi, in Astronoia, Astrologia gewust, hat er gerne mitgeteilet, drum was Anlauf wegen der Thematum natalitiorum erigendorum Nativiteten zu stellen von Fürstlichen, von adelichen und unadelichen Personen er gehabt, kan nicht unbewust sein. Wie fleißig und stetiglich, ja täglich er die Witterung in acht genommen, aufgezeichnet, laß ich reden die plaustra voluminum conscriptorum, so vorhanden.“ Daß R. auch seine Schwächen hatte, deutet sein Leichenredner nur an. Zu diesen gehörte sein schonungsloser Witz. Anekdoten, die man von ihm erzählte, bieten manche Belege desselben, z. B. wie er mit Bezug auf seinen Amtsbruder Gallus sagte, er wolle keine Postille schreiben, weil jetzt jeder Hahn eine krähe. Bezeichnender ist, daß der Superintendent von Hildesheim einem auf Rathsbeschluß von R. erbetenen Gutachten über eine lateinische Grammatik kein Gewicht beilegen wollte, weil „es ja bekannt sei, daß R. alle Gelehrte verachte und verdamme“.

R. ist in dreifacher Weise, als Prediger, als Schulmann, als Dichter thätig gewesen. Gepredigt hat er anfänglich über den Katechismus, die Passionsgeschichte u. a. bis er auf Anregung von Saccus den Pentateuch zu Grunde legte, und von Capitel zu Capitel fortschreitend nach langen Jahren zum Tode Mosis gelangte. Er wollte gerade die Predigt über dessen Begräbniß entwerfen und damit den Pentateuch abschließen, als der eigene Tod ihn ereilte. Gedruckt ist nur eine seiner Predigten, die er aus besonderer Veranlassung auf Anordnung des Rathes 1592 in der Nicolaikirche gehalten hat, die „Historia u. s. w. Von dem herrlichen Triumph vnseres Herren. Magdeburg 1592 4.“ Sie ist dogmatisch lehrhaft, die Darlegung der Abendmahlsfrage ihr Zweck. Frei von salbungsvoller Rhetorik erfüllt sie ihre Aufgabe in ebenso verstandesklarer als verständlicher Weise und in guter Sprache.

Mochten Sonn- und Feiertage der Kirche gehören, für die ganze übrige Zeit war R. Schulmann, und er hat für seine pädagogische Wirksamkeit sein ganzes Wollen und Wissen eingesetzt. Seine gesammte litterarische Thätigkeit steht in engster Beziehung zu ihr. Sie hat ihn bei seinen Zeitgenossen bekannt gemacht, ehe noch der Froschmäuseler, welcher der Nachwelt seinen Namen unvergeßlich macht, erschienen war, und es darf ausgesprochen werden, daß sein Ansehen als Schulmann erst seiner Dichtung zu so schneller Verbreitung und Werthschätzung geholfen hat. Unter seiner Leitung erhob sich sein Gymnasium zur berühmtesten Schule Deutschlands, der Zuzug zu ihr, und besonders zur Prima, in der R. hunderten Unterricht ertheilte, schwellte die Zahl der Schüler zu fast unglaublicher Höhe und schon 1576 zählten die acht Classen der Schule an die 1600 Schüler. Welchen Ruf sein Unterricht besaß, zeigt, daß der bekannte Philologe Taubmann, um ihn kennen zu lernen, nach Magdeburg kam und, [91] Namen und Wissen verbergend, sich als unwissender aber lernbegieriger Schüler R. vorstellte, bei seiner anscheinenden Unwissenheit erst auf besonderes Bitten aus Rücksicht auf sein Alter Aufnahme in die Prima fand, wochenlang den Schüler spielte und erst zu allerletzt beim Abschiede sich zu erkennen gab. Die Magdeburger Schule war nach Melanchthon’s Rathschlägen eingerichtet und diese beherrschten als feste Traditionen die Schule auch zu Rollenhagen’s Zeit, der sie in seinem Sinne leitete. So hatte Melanchthon das Klassensystem, die besondere Pflege der lateinischen Versification, den Unterricht im Griechischen, die Aufführung von Schuldramen empfohlen. R. beschränkte sich jedoch nicht auf diese und andere Gegenstände, welche seine Zeit in den Vordergrund des Unterrichts stellte, sondern trug in seiner Prima und in besonderen Privatcursen außerdem über sehr mannigfache Gegenstände vor, über Hodegetik, Astrologie, Kalenderpraktik, Botanik u. a. Bedeutsamer war, daß er besonderen Werth auf den Unterricht in der deutschen Grammatik und Sprache legte und sie nach fester Regel, möglichst frei von mundartlichen Formen und Fügungen seinen Schülern einübte, denen er besonders Luther, Mathesius, Waldis und, ohne seine Wortbildung und Formlosigkeit zu billigen, Joh. Fischart zu lesen empfahl. R. hatte sich in dieser Beziehung keine leichte Aufgabe gestellt, war doch noch dreißig Jahre vor seiner Zeit das niederdeutsche die Unterrichtssprache gewesen, der sich selbst der oberdeutsche Rector Major bedienen mußte. So gehörte R. mit zu den Männern, welche die verhältnißmäßige Einheitlichkeit der Schriftsprache, die den norddeutschen Schriftstellern des 17. Jahrhunderts eigen ist, vorbereitete und möglich machte.

Von seinen Schriften stehen in engerer Beziehung zu seiner pädagogischen Wirksamkeit sein „Deutscher Donat“ (Magdeburg 1586, Eisleben 1595 u. ö.) und Ausgaben einiger Bücher des Homer (Homeri Iliadis lib. I, II et VI pro schola Magdeburgensi lat. versione adposita. Magdeb. 1573; Odysseae lib. I, II, III, in Magdeb. scholae usum, Magdeb. 1610). Eine Art Gymnasialpädagogik stellt die „Paedia quo pacto scholastica juventus sine taedio etc. ad mediocrem eruditionem manuduci possit“ dar. Dieser aus seinem Nachlasse 1619 herausgegebenen Schrift ist von ihrem Herausgeber eine Hodegetik „Commonefactio de studiis eorum qui in prima classe scholae Magdeburgensis locum habent recte instituendis“ beigegeben, die R. im Juni 1571 seinen Schülern dictirt und an der der Berliner Prediger Jac. Sommerfeld ein Plagiat begangen hatte, indem er das von ihm nachgeschriebene Heft unter dem Titel „De studiis recte instituendis, Francofurti 1600“ zum Druck gebracht und als eigene Arbeit dem Kurfürsten Joachim Friedrich gewidmet hat. In gleicher Weise sind Curse über Astrologie und Kalenderpraktik, die R. 1583 abgehalten hat, von dem Frankfurter Professor David Origanus wörtlich in seinen Ephemerides novae Brandenburgicae, Francofurti 1599 herausgegeben worden. Zweier anderer Arbeiten, deren Urheber R. war, ist in der Lebensbeschreibung seines Sohnes Gabriel bereits gedacht, nämlich der „Indischen Reisen“ und der „Wahrhaften Lügen“. Die letzteren widerlegen allerlei naturwissenschaftlichen Aberglauben, daß z. B. der Hirsch Schlangen und Krebse verspeise, der Hase ein Hermaphrodit sei u. s. w.

Der Eifer des Pädagogen war es, der R. zum dramatischen Dichter werden ließ. Schulordnung und Herkommen bestimmten, daß von den Schülern vor versammeltem Rathe im Rathhause und vor gesammter Bürgerschaft auf offenem Platze jährlich eine deutsche Komödie aufgeführt wurde. Es war nicht geboten, daß die Spiele originale seien, und es durften dieselben Stücke später wiederholt werden. Immerhin war Abwechslung in den Stoffen wünschenswert, und sie war nicht leicht bei der geringen Anzahl von Spielen, welche den pädagogischen [92] Anforderungen und zugleich auch den theologischen Rücksichten gerecht wurden. Schon im zweiten Jahre seines Conrectorats übernahm es R., für die nächste Komödie zu sorgen. Er nahm zu diesem Zweck das Manuscript seiner in Halberstadt aufgeführten Bearbeitung des Ziegler’schen Isaac von neuem vor, umarbeitend, umgestaltend, eine Teufels-, Narren- u. a. Rollen einfügend, erweiterte er es zu einer vollständigen Dramatisirung der biblischen Geschichte Abrahams, dagegen strich er die von Ziegler mit behandelte Werbung um Rebecka und ihre Vermählung mit Isaac. Das Ergebniß war ein Drama, so verschieden im ganzen und im einzelnen von der Ziegler’schen Immolatio Isaaci,, daß man ohne Rollenhagen’s eigenes Zeugniß in diesem seine Quelle auch bei genauerer Vergleichung nicht erkennen würde. Theologische Tendenzen drängen sich in dem Stücke nicht auf, nur im Vorwort wird die Geschichte Abrahams als ein Zeugniß, daß der Mensch aus Gnaden gerecht werde vor Gott durch den Glauben ohne Verdienst der Werke in Anspruch genommen. Der „Abraham“ ist 1569 kurz vor der Aufführung im Druck erschienen. Ein in Hildesheim 1603 erschienener Abdruck, eine dänische Bearbeitung und Aufführung in Ripen 1576 und seine starke Benutzung in Schlues Isaac (Rostock 1606) zeigen, daß das Stück bei den Zeitgenossen Anklang fand.

Sein zweites Drama, „Tobias. Eine schöne tröstliche Comödie vom heil. Ehestand“, ist 1576 gedruckt und aufgeführt. Es waren damals bei den jährlichen Aufführungen die gewöhnlich bearbeiteten biblischen Stoffe, Tobias ausgenommen, wiederholt an der Reihe gewesen. R. hatte deshalb auf Messen und bei Freunden nach einem Tobias Umfrage halten lassen, bis ihm aus Wittenberg der daselbst 1569 gedruckte Tobias des Oesterreichers Brunner (s. A. D. B. III, 447) zugesandt wurde. Das Stück gefiel ihm, nur schien es ihm zu einfach und kurz, er nahm eine durchgreifende Umarbeitung vor und schuf Brunner’s Drama gleichfalls zu einer ganz neuen Komödie um.

Das dritte Stück, welches R. für die Aufführung durch seine Schüler zurichtete, war Lonemann’s Action vom reichen Manne und Lazaro. In dieser hatte R. „die Art der Sprach und Reimen nicht allerding gefallen“ und er machte „zum Theil ein ander Werk draus“. Seine Bearbeitung erschien 1590 unter dem Titel „Vom reichen Manne und armen Lazaro, Eine deutsche Action“, wurde, bereits im nächsten Jahren „an vielen Orten gebessert“ neu aufgelegt, und 1612 und 1622 von neuem gedruckt. Beigegeben ist den Drucken „Die Leichpredigt über des reichen Mannes Begrebniß so gehalten bey der Comodia und Action, so zu Magdeburg gespilet im Monat Augusto Anno 1590“. Ein parodistisches Meisterstück. Der reiche Mann des Stückes war als Wüstling im Stile des düdeschen Slömers dargestellt, aber alle seine Fehler faßt und stellt der Leichenprediger, nach Brauch der Zeit, als Vorzüge auf, und dabei gibt sich die Predigt so ernsthaft, daß sie im gegebenen Falle wörtlich als wirkliche Leichenpredigt hätte Verwendung finden können.

Den Dramen schließen sich seine Terenzargumente an: „Terentius. Wie des Terentij sechs Lateinische Comödien angeordent und in der Magdeburgischen Schulen im Früling des MDXCII. Jahrs zugleich sein gespielt worden. Magdeburg 1592.“ Es sind gereimte Inhaltsangaben, die vor der Aufführung der lateinischen Stücke gesprochen wurden, für die Zuhörer bestimmt, die des Latein unkundig waren.

Gemeinsam ist den drei Dramen, die von R. hinterlassen sind, daß er sie aus kürzeren Stücken anderer Verfasser umgearbeitet hat, freilich in einer so durchgreifenden Weise, daß sie vollständig neue Werke wurden. Bei der Umarbeitung fällt sofort außer der Anschwellung des äußeren Umfanges eines in die Augen: R. hat um möglichst viele Schüler agiren zu lassen, die Zahl der [93] redenden wie stummen Rollen über alles Maaß vermehrt, im Abraham agirten über 50 Schüler, von denen 39 sprechende Rollen hatten, im Tobias wie Lazarus weit über hundert. Ferner zeigt sich eine Vorliebe für die Entfaltung von Schaugepränge und die Verwendung von Requisiten, die erfahrungsmäßig auf naive Zuschauer Eindruck machen, wie er auch empfahl die Rollen des Isaac und Ismael nicht durch Knaben, die ihrem wirklichen Alter entsprachen, sondern, weil dadurch die Zuschauer mehr gerührt würden, durch Schüler jüngeren Alters agiren zu lassen. Im Abraham tritt der scenische Apparat noch bescheiden auf, doch erscheinen bereits lebende Thiere, ein Esel und ein Lamm, in der Action, der Scheiterhaufen wird vor den Augen der Zuschauer aufgeschichtet und Isaac auf demselben gefesselt. Im Tobias wird eine Trauung nach jüdischem Ritus, unter Beobachtung aller Ceremonien vorgenommen, und es erscheinen Chöre tanzender Knaben und Mädchen. Im Lazarus geht sogar ein ganzer Leichenzug mit allem zugehörigen Pomp über die Scene. Erschien R. einerseits die Entfaltung derartiger Scenen als das Hauptmittel der dramatischen Kunst, so weiß anderseits R., der sich an den biblischen Bericht streng bindend ihm auch die Motivirungen entnimmt, seine Personen, wo Eltern- und Kindesliebe zum Ausdruck kommen, mit wahrer Empfindung zu beseelen.

Waren die aufgezählten Werke aus Anlaß pädagogischer Wirksamkeit entstanden, so hatte trotz seiner didaktischen Richtung einen anderen Ursprung das Werk, das Rollenhagen’s Namen in der Litteraturgeschichte fortleben läßt, sein berühmter Froschmeuseler. Seinem Abschlusse nach ist es das letzte seiner Werke, seiner ersten Anlage nach das früheste. Die Vorrede belehrt, wie es entstanden ist. Als R. Student war, hatte Veit Ortel von Winsheim 1566 über die homerische Batrachomyomachia gelesen und dieser Dichtung zum Lobe ausgesprochen, daß eine so schlichte Handlung in keiner Sprache so künstlich, zierlich, prächtig und anmuthig könne vorgetragen werden, wenn man gleich alle Poeten in der ganzen Welt sollte zusammensetzen. Hierdurch fühlten sich einige seiner Zuhörer und unter ihnen R. gleichsam zu einem „scherzhaften Poetenkrieg“ angereizt und bearbeiteten nach ihres Lehrers Erklärung die Batrachomyomachie in lateinischer, französischer und deutscher Sprache. Ortel hatte an diesen Versuchen, zu deren Fortsetzung er ermunterte, großes Wohlgefallen und gab R. Anleitung, wie er Rathschläge über Staatsregiment und Kriegführung hineinarbeiten und aus der Dichtung „eine förmliche deutsche Lection gleichsam einer Contrafactur“ der Zeit machen könnte. Diesen Rathschlägen entsprach R. und arbeitete erweiternd und bessernd fortgesetzt bis zum Tode seines Lehrers im J. 1570 an seiner Dichtung. Später ließ er sie liegen und zog sie erst nach langen Jahren wieder hervor, um sie dem Urtheile gelehrter Freunde zu unterbreiten. Als diese der Veröffentlichung zustimmten als eines Buches, das der Jugend von Nutzen sein würde, gab R. das von neuem überarbeitete, über 20 000 Verszeilen umfassende Werk 1595 unter dem Titel „Froschmeuseler. Der Frösch vnd Meuse wunderbare Hoffhaltunge, der Frölichen auch zur Weyßheit vnd Regimenten erzogenen Jugend zur anmutigen aber sehr nützlichen Leer u. s. w. Magdeburgk 1595. 8“ in den Druck. Seinen Namen nennt die erste Ausgabe nicht, sondern die Widmung an den Statthalter Heinrich Ranzaw (s. A. D. B. XXVII, 278) ist „Marcus Hüpfinßholtz von Meusebach, der Jungen Frösch Vorsinger vnd Calmeuser im alten Mäschenwigk“ unterzeichnet.

Der Froschmeuseler ist aus einer Nachahmung der Batrachomyomachie entstanden, ohne daß diese das Vorbild bei den nachfolgenden Umarbeitungen geblieben ist. Kaum können zwei Werke in einem größeren Gegensatze stehen. Der griechische Dichter besang den Krieg der Frösche und Mäuse mit der feierlichen Miene und in der epischen Phraseologie eines Rhapsoden, als wenn er von [94] Kämpfen der Herren zu berichten hätte, und diese Parodie des Epos ist gerade das, was seiner Dichtung ihren Reiz gibt. Der Froschmeuseler ist frei von jedem parodistischen Zuge, kannte ja doch auch jene Zeit kein deutsches Epos, dessen Manier dem Dichter herhalten konnte, selbst wenn er den parodistischen Charakter der griechischen Dichtung erkannt hätte und ihn nachzuahmen willens gewesen wäre. Nicht mehr als den Rahmen, in den R. allerlei didaktischen Inhalt goß, bot ihm die Batrachomyomachie. Nur zu Anfang und Ende seines Werkes gibt er ihre Erzählung in breiter Umschreibung wieder, und nicht mit dem scheinbaren Ernst des Parodisten, sondern mit dem wirklichen des didaktischen Fabulisten. Vielmehr ist es ein deutsches Werk, das ihm als Vorbild vor Augen stand, der alte Reinke Vos, freilich in der irrigen, durch die protestantische Glossirung geförderten Auffassung desselben, die er mit seinen Zeitgenossen theilte. welche in dieser Thierepopöe „das gantze politische Hoffregimente und das Römische Basthumb überauß weißlich und künstlich beschrieben“ fanden. So wollte auch R. seine Dichtung als Vermummung in ihm enthaltener Lehren aufgefaßt sehen. Aber selbst wenn der Dichter des Reinke denselben verfaßt hätte, um durch ihn zu belehren, so ist doch seine Dichtung ganz Handlung und die Lehren sind als solche nicht ausgesprochen. Bei R. findet das Umgekehrte statt. Das Wenige, was der Froschmeuseler an Handlung enthält, dient nur dazu, äußerlichen Anlaß zu lehrhaften Ausführungen zu geben. Sind die Thiere des Reinke Voß mit menschlicher Vernunft und Sprache begabt, so sind sie im Gegensatz zu ihm im Froschmeuseler zugleich allegorische Vertreter bestimmter Menschenclassen und sogar einzelner historischer Personen, der Papst tritt als Schildkröte Beißkopf, Luther als Frosch Elbmarx, der spanische König als Storch auf. Um belehrende Ausführungen einzuschalten, ergriff R. das bequemste Mittel, er legte sie den Thieren in den Mund, und er scheute sich hierbei nicht, den Fortgang der Erzählung durch das übertriebenste Einschachtlungssystem zu unterbrechen. Seine Zeit war an dieses in viele ihrer Volksbücher aus orientalischen Vorbildern eingedrungene Uebermaß der Einschachtelung gewöhnt, und die Hervorkehrung des Lehrhaften, das den Froschmeuseler zu einer gereimten Anleitung zur Politik machen sollte, mußte einem Jahrhundert gerecht sein, das seinen gelesensten Roman als Lehrbuch des höfischen Anstandes schätzte. Ja, diese Verbindung von Didaktik und Dichtung war es, was dem Froschmeuseler den Beifall jener Zeit mit errang. Die Dichtungen, die das 16. Jahrhundert erfüllten, waren Lied, Satire, Fabel und Reimspruch. Nachdem an den Einzelsprüchen sich die Zeit gesättigt hatte, bot der Froschmeuseler, der übrigens viele ältere Sprüche, besonders aus dem niederdeutschen Reimbüchlein oder der protestantischen Glosse zum Reinke Vos wörtlich wiedergibt, den Reiz, Lehren und Gemeinplätze im wenn auch noch so lockeren Zusammenhange einer Erzählung zu finden. Und das ist gerade die litteraturgeschichtliche Stellung des Froschmeuselers, daß er an die Satire und Spruchpoesie des 16. Jahrhunderts anknüpfend und sie zusammenfassend von ihr und der poetischen Kleinarbeit überhaupt in einem großen in Sprache und Auffassung volksthümlichen Werke hinüberlenkt und hinüberleitet zu der kunstgemäßeren Dichtung des 17. Jahrhunderts.

Außer dem Froschmeuseler und den oben genannten Dramen dürfen R. noch zwei ziemlich unbedeutende Reimwerke zugeschrieben werden: „Der Hinckende Both, schla jhn die Gicht, Ist kommen, bringt viel andern Bericht. 1589“ (neuer Abdruck 1590) und „Der post Reuter bin ich genant, dem Hinckenden Boten wol bekandt 1590“ (neu abgedruckt 1591). Beides sind gereimte Berichte über die bemerkenswerthesten Begebnisse, die sich während der Jahre 1588 und 1589 in den einzelnen Staaten Europas zugetragen hatten.

Für die Würdigung Rollenhagen’s als Dichter ergeben seine Werke, daß es [95] ihm an eigentlich schöpferischer Kraft gefehlt hat, er lehnt sich überall an gegebene Entwürfe und Stoffe an, das übernommene breit und sauber im einzelnen ausführend. Er gleicht einem Baumanne, der sich darauf beschränkt, ältere Häuser umzubauen und zu erweitern. Der Geist, der seine Dichtung beseelt, ist der des Bürgerthums der norddeutschen Städte. Nüchtern, jeder Ueberschwenglichkeit abhold, gibt er Regungen des Gefühlslebens kaum Ausdruck. Maßgebend ist ihm vor allem sein Glaubensstandpunkt, im übrigen ist sein Sinn auch in der Dichtung auf das Nützliche und praktisch Zweckmäßige gerichtet. Das bürgerliche Leben in seinen mannigfaltigen Thätigkeiten und Aeußerungen hat er gut beobachtet und gut entworfene Bilder aus demselben flicht er gern in seine Dichtungen ein. Bei aller Breite weiß er doch gut zu erzählen und zu schildern, Unvolksthümliche Gelehrsamkeit meidet er, und wie er den Froschmäusekrieg an die dem Harze entfließende Selke legt, so tragen auch sonst in seinen Dichtungen Schauplatz, Gestalten, Vorgänge und Gedanken das Gepräge seiner Zeit und seines Vaterlandes.

Hauptquelle seiner Biographie ist die Leichenpredigt A. Burckhart’s „ἈΝΑΛΥΣΑI Rollenhagianum. Magdeburg 1609.“ Die ältere fast werthlose biographische Litteratur bei Jördens, Lexikon deutscher Dichter Bd. 4. – Lütcke, Leben des Georg Rollenhagen. Berlin 1846/47 (Programme). – Froschmeuseler. Herausg. von K. Goedeke, Leipzig 1876. Einleitung. – Goedeke. Grundriß. 2. Aufl. II. S. 508 ff. – Neue Quellen für die Biographie und Untersuchungen über R. in den Geschichtsblättern für Magdeburg, Jahrg. 24.