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Artikel „Taubmann, Friedrich“ von Ludwig Julius Fränkel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 37 (1894), S. 433–440, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Taubmann,_Friedrich&oldid=- (Version vom 22. Dezember 2024, 06:25 Uhr UTC)
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Taubmann: Friedrich T., Humanist, wurde am (15. oder) 16. Mai 1565 in dem Flecken Wonsees an der Keinach, vier Stunden von Bayreuth nach Bamberg zu, geboren. Seinen Vater Marx (Markus) T., einen rechtlichen Schuster und nachherigen Ortsvorsteher, und die Mutter Barbara, geb. Hoffmann, verlor er schon im fünften, beziehentlich achten Lebensjahre, die letztere, nachdem sie ihm in einem Schneider einen wirklichen zweiten Vater gegeben, der dann übrigens bald nochmals heirathete. Beide Elternpaare haben für den Sohn, dessen Geschwister, Fabian, Schneider und später „Poppenreuthei Parmeno (Ausrufer?) concilii“, und Anna, kinderreiche Frau des Bauern Merten Lauer zu Limmersdorf, im niedern Stande verblieben, nach Maßgabe ihrer dürftigen Kräfte gesorgt. Die Stiefeltern bestimmten den zwölfjährigen Knaben zum Schneider, entschlossen sich aber, als der Anfangsunterricht des heimathlichen Lehrers auffällig anschlug, ihn in die niedere Lateinschule des Rectors Johann Codomann zu Kulmbach zu bringen. Im April 1578 erfolgte nach der Prüfung des sofort sehr lebhaft und selbstbewußt auftretenden Knaben die Aufnahme, deren Vorbedingung allerdings Unentgeltlichkeit des Unterkommens, des Unterrichts und der Lernmittel war. Rasche Auffassung ermöglichte T. 1582 den Uebertritt an das am 5. April eingeweihte Gymnasium im ehemaligen Cistercienserkloster zu Heilsbrunn, eine Gründung des Markgrafen Georg Friedrich von Ansbach. Wenn auch längst nicht in dem Grade wie in Kulmbach, so war T. auch hier zum Theil auf bettelhaften Erwerb angewiesen; nur trat an Stelle des früheren Currendesingens mehr und mehr das lateinische Andichten mit oder ohne besonderen Anlaß, was ihm fürder zur zweiten Gewohnheit ward. Er gewann damit übrigens neben dem gesuchten klingenden Lohne durch fließende Sprache und guten Vers einen Namen auf diesem damals vielbebauten Felde, ja sogar einen doppelten Dichterlorbeer. Zu den Heilsbrunner Rectoren Franz Raphael und (seit 1584) Johann Hertel, stand er nicht in einem ähnlich vertraulichen Verhältnisse wie zu Codomann, mit dem Zeit des Lebens die Brücke nie ganz abbrach. Im Herbst 1590 verließ T. die Schulbank, auf der er früh durch selbständige Verstandesäußerungen wie durch allerhand lose Streiche bekannt geworden war. Ueber ein Jahr vagirte er sodann als Gesellschafter auf mehreren fränkischen Adelsgütern, so als Instructor im v. Giech’schen Hause; doch schwieg er später über diesen Lückenbüßer-Abschnitt zwischen Mittel- und Hochschule. Kurz nach Ostern 1592 zog er, vom Ansbacher Markgrafen „auf Fürsprache vieler vornehmen Leute“ mit einem dreijährigen „ansehnlichen“ Stipendium von 80 Gulden ausgestattet, auf die Universität Wittenberg. Zwar standen die humanistischen Wissenschaften damals dort, an ihrer ehemaligen Pflanzstätte, in Pflege und Werthschätzung im Hintergrunde. Aber andererseits bot sich immerhin für T., dem es die Philologie, namentlich das Lateinstudium, angethan hatte, volle Gelegenheit dar, seiner Lieblingsneigung rüstig obzuliegen und dabei von ihr aus eine baldige Versorgung anzustreben. Er bevorzugte deshalb die Ausbildung seiner hübschen lateinischen Vorkenntnisse ganz entschieden, eignete sich daneben aus anderen Litteraturen und aus der Geschichte die ihm ergänzungshalber nothwendig oder nützlich dünkenden Dinge an und vervollkommnete die Fertigkeit der im Gelehrtenidiom abgefaßten metrischen Arbeit in erstaunlicher Weise. „Lusus duo juveniles. Martinalia et Bacchanalia“ [434] (Wittenb. 1592) und „Columbae Poeticae, sive Carminum variorum liber“ (ebd. 1593; 2. Aufl. 1594) brachten Auslesen seines Schaffens, das schon theilweise in Einzeldrucken die Feuerprobe bestanden hatte. Dagegen hat er von Wittenberger Akademikern keine nennenswerthen Einflüsse empfangen: die beiden Hellenisten Jacob Fuhrmann und Adam Theodor Siber, letzterer auch noch für Rhetorik verpflichtet, u. A. ließen ihn, der überhaupt niemals Begeisterung aus der Gelehrsamkeit gesogen hat, kalt. Er lehnte sich an die blühende niederländische Philologenschule und ihre Häupter J. J. Scaliger, J. Lipsius, Casaubon an, richtete sich aber im übrigen nach der Art des Studienbetriebs in Sachsen, wo er nun einmal Wurzel zu schlagen mit sich einig war.

Da ihn der Genuß der von seinem Landesherrn ausgeworfenen Verleihung sorgenfrei gemacht hatte und der Weizen der Gelegenheitspoesie üppiger und üppiger grünte, konnte er schon das Baccalaureat der schönen Wissenschaften nach dem dritten Semester, das Magisterium nach dem unerläßlichen Triennium erreichen, womit auf Grund des vortrefflichen Examens die Erlaubniß, Vorlesungen zu halten, verknüpft war. Sogleich erhielt er nun auch eines der vier von Kurfürst Christian I. für magistri artium liberalium gestifteten Stipendien und bewarb sich 1595 um Uebertragung der selbständig gar nicht vorhandenen Professur der Poesie. Die verwunderte Facultät wies ihn zwar ab, da dieser Weg allem Brauche widerspreche, diese Professur besetzt und eine zweite überflüssig und aus Geldmangel unmöglich sei. Auf Taubmann’s Antwort, daß Siber die Poesie mit Rhetorik und Griechisch vereinige und jedes Fach gesondert vertreten sein müsse, für das erstgenannte er aber selbst nach des Beauftragten eigenem Erachten gewiß geeigneter erscheine als dieser, hielt die Facultät trotz des gutmüthig uneigennützigen Siber Unterstützung ihren Beschluß aufrecht. Da ging T. seinen ihm noch gewogener gewordenen Markgrafen Georg Friedrich behufs bezüglicher Verwendung bei dem Administrator Kursachsens, Herzog Friedrich Wilhelm von Weimar, an, und der Letztere forderte nach Anhörung seiner Räthe in einem Edicte die Universität auf, Taubmann’s Gesuch zu willfahren, und bereits am 18. October bestätigte die Regierung die nunmehr seitens der Facultät vollzogene Ernennung, die freilich bloß 130 Goldgulden Baarbesoldung begleiten konnten. Damit hatte T. das Ziel seiner Sehnsucht erklommen, und er hat auf seinem Posten eine umfängliche Wirksamkeit entfaltet, als akademischer Lehrer, der auch, bei seinen Collegen, denen sein Einfluß an hoher und höchster Stelle Manches auswirkte, trotz der älteren Vorgänge wohlgelitten, die Würden der Hochschule (1601, 1607, 1612 Decan, 1608 Prorector; auch, einflußloser Vertreter auf dem Landtage zu Dresden) mit Eifer versah, als Berather der studirenden Jugend und Besserer ihres Wandels, als thätiger Latinist, besonders Erklärer und Herausgeber, und neulateinischer Poet, als unermüdlicher Heger gedeihlicher Beziehungen zum herzoglich- und kurfürstlich-sächsischen Hofe. Seine Verhältnisse waren trotz der verschiedenfachen reichen Einnahmequellen, die er durch unablässiges, geschickt eingekleidetes Ergattern von allerlei fürstlichen Geschenken beträchtlich mehrte, niemals glänzend. Im Gegentheil, er führte ein sehr einfaches Haus und kam, trotzdem die vielen ihm gespendeten Pokale u. dergl. alsbald in laufende Münze umgesetzt wurden, nicht zu einem Nothpfennig. Auch bei der Ehe, die er am 18. Mai 1596 mit Elisabeth, jüngster Tochter des Kleinbürgers und Krämers Johann Matthäi, einging, nachdem er, des Collegen Siber Brautwerber, sie diesem weggefischt hatte, scheint er sich in diesem Punkte geirrt zu haben. Von seinen drei Söhnen und zwei Töchtern überlebten ihn nur der Erstgeborene, Christian (s. u.), und Elisabeth, 1632 zu Wittenberg als Braut des Hallischen Juristen Dr. Gottfried Knoch gestorben. Mit dem Tode des Ersteren starb seine Nachkommenschaft aus.

[435] Taubmann’s Ruf in seiner Zeit und ein großer Theil der Fortdauer seines Namens beruht wesentlich auf der Stellung, die er zu seinen sächsischen Landesfürsten einnahm. Es ist diese ungefähr ebenso oft als die eines der damals üblichen Hofnarren betrachtet worden, wie andere den gelehrten und geistreichen Mann von dem Vorwurfe, er habe sich direct zum officiellen Haussclaven des Weimarer und Dresdener Hofes erniedrigt, völlig rein waschen wollen. Beides wird zu blind behauptet. Das gleichzeitige Wirken eines ordentlichen Universitätsprofessors als ständiger Possenreißer zum Gaudium derselben Herrscher, die ihn in seiner erstgenannten Stellung ununterbrochen mit Gnaden in Wort und Werk bedenken, erscheint auch in jenen Tagen ausgeschlossen. Andererseits waltete T. unleugbar, sowohl bei zufälliger Anwesenheit, als auch auf eigens ergangene Berufung, mit Laune seines Amtes als der Kurfürsten „kurtzweiliger Rath“, wie er wirklich ihrerseits mehrfach benannt und angeredet wird. Noch im Momente der Anstellung in Wittenberg meldete er sich Dankes halber bei dem Weimarer Herzog, der damals sämmtliche Wettiner Länder regierte, und seitdem sind seine Beziehungen zu dem Herrscherhause immer enger und fester geworden. Bei Christian II., einem lebenslustigen, wenig ernst strebenden Jünglinge, und auch noch bei Johann Georg I. stand T. in sicherer hoher Gunst, einige kleine Mißverständnisse abgerechnet, die, eben auch den Charakter der Stellung als ziemlich unabhängig und keineswegs harlekinartig erweisend, durch Taubmann’s Humor und Geschick binnen kurzem stets wieder ins Gleichgewicht gebracht wurden. Und in der That, an solchen jederzeit verfügbaren Einfällen des angeborenen Mutterwitzes, wie an fein ausgetüftelten Späßen schwereren Kalibers, die oft mit entlegenem Rüstzeug der Wissenschaft aufgebaut wurden, war er unerschöpflich. Mögen auch sogar von den zahllosen Anekdoten, die selbst seine kritischeren Biographen gelten lassen, noch viele erst nachträglich seiner rastlosen Erfindungsgabe untergeschoben sein, seinem Conto verbleibt eine erstaunliche Fülle ergötzlicher Scherzworte, die oft genug Situationen, nicht zuletzt heikle und nichtkomische, schlagend erfassen und launig erläutern. Die Schuld vieler dabei einschleichenden Derb- und Rohheiten fällt dem Zeitgeiste zur Last, obzwar in T. selbst kaum je Gemüthstiefe und gediegenerer ästhetischer Sinn stärker hervorbrachen. Damit ist schon die Richtung seines litterarischen Schaffens bestimmt, sowohl was die eigenen Erzeugnisse anlangt, als bezüglich des Verständnisses und der Auslegung älterer fremder Leistungen. Als selbständiger lateinischer Poet erntete T. schon früh großen Ruhm, so zwar, daß sein Aufstieg zum Gelehrtenolymp auf dem Parnaß etliche Male Station machte. Unstreitig besaß er bestechende Formgewandtheit, wohlthuenden Wechsel des Ausdrucks, vollste Geläufigkeit und Herrschaft in der Sprache und die Kunst, alltägliche Stoffe munter und originell anzugreifen und packend zuzuspitzen. In jener arg nüchternen Zeit liegt kein Mangel in den bisweilen unsauberen Schnurren, die die Hauptmasse seiner Versbündel verbrämen. Seiner ganzen Eigenart gemäß zum Improvisiren geneigt und häufig wirklich am Setzerkasten den Rhythmus formend, war er gleichwohl auch ohne Feilen unter den Zeitgenossen der erste Künstler in lateinischen Versen. Von den beiden angeführten Auslesen jugendlicher Sprößlinge nahm er die erste ganz, die zweite zum Theil in „Melodaesia siue Epulum Musaeum. In quo, praeter recens apparatus lautiores iterum apponuntur quam plurimae de fugitivis olim columbis poeticis: Et vnà eduntur Ludi juveniles. Martinalia et Bacchanalia cum productione Gynaecei“ (zuerst 1597; 1604, 1616, 1622, 1634) auf, worin somit, da die 1596 erschienenen „Amores“ sowie das ebenfalls schon einzeln gedruckte „Gynaeceum“ verbessert auch hineinkamen, alle Früchte, die man kosten muß, um ein klares Urtheil zu liefern, gesammelt sind. Der 614 Seiten starke, den beiden Gönnern Friedrich Wilhelm [436] von Sachsen und Georg Friedrich von Brandenburg-Ansbach gewidmete Band enthält: ’Sacrorum Libri II, Bellum Angel(icum) Librorum III, Amores et delitiae, Anacreon Latinus, Epicorum Libri II, Lyricorum Liber I, Phaleucorum Libri II, Elegiarum Liber I, Epigrammatum Libri IV, Philotesia, Iuvenilia, Epistolae aliquot‘. 1610 folgten „Schediasmata Poetica innovata“, in deren Geleitswort der mittlerweile allerseits anerkannte Verfasser schreiben durfte: „Iamdiu factum est, postquam Militem professus sum in hac, ut sic dicam, Togata vel potius Litterata Militia: atque Censoribus (ausim et hoc dicere) in Armilustrio non improbatus“. Die Vorrede Ad Lectorem notirt mit Genugthuung: „Et sciunt Operae nostrates, quam saepe non e charta, sed ex ore meo versiculos typis suis condiderint“. Das Werk umfaßt: Sacrorum libri III, Epicorum l. II, Elegiarum l. II, Lyricorum Liber Singularis, Anacreon Latinus, Phaleucorum l. II, Epigrammatum l. III. Unbedeutenderes leimte der Sohn 1616 als Taubmann’s „Posthuma schediasmata“ aneinander, deren 2. Ausgabe (1619) 1623 mit Ladenhütern der Schediasmata von 1610 in einer Titelauflage zusammengeschweißt wurden. Der 1613 zu Wittenberg erschienene metrische Umguß des 103. Psalms stammt, obwohl Taubmann’s Namen tragend, von einem seiner Schüler, die 11 beigegebenen andern lateinischen Uebersetzungen aber aus seiner Auswahl. Deutsche Verse hat er im Zusammenhange nie geschmiedet, und so bot denn auch eine fremde Hand die (bisher übersehenen) acht Quartblätter folgenden Titels: „Hertzliche Glückwünschunge zur Friedmachung deß löbblichen Hauses Sachsen vnd Brandenburg, mit deß gantzen Christlichen Kreisses vorschub vnd besten vollenzogen zu Jutrobock den 21. Martij Anno Christi 1611 … Aus deß Herrn Friderici Taubmanni, Professoris vnd Poetae zu Wittenbergk Lateinischem Heroico in Deutsche Reimen vbersetzet. Zu Magdeburgk Anno 1611.“ Zeigen doch selbst seine gewöhnlichsten Kalauer mit verschwindenden Ausnahmen lateinisches Gewand.

Kein Wunder. Die hergebrachte Mundart der Wissenschaft war ihm die zweite Muttersprache. Er handhabte sie aber auch mit ganzer Sicherheit, und es ist kindisches Beginnen, ihm eine nicht gerade Ciceronianische Wendung, die ihm nicht etwa unbewußt hie und da entschlüpft, mit dem Rothstift vorzurücken, wie es sein Verehrer Oertel unter kleinlicher Buchstabenwägung thut. Als Professor Poeseos kam T. die Pflicht zu, die periodischen Universitätsschriften, die Programmata, Intimationes, Carmina auszufertigen, und so muß es ihm, dem überaus sattelfesten Latinisten, eine ganz besondere Wonne gewesen sein, als er als Oberhaupt der Universität 1608 die gesammten Testimonia der Studenten – 365 inscribirte er – zu erledigen hatte. Er ließ alle seine amtlichen Aetenstücke im nächsten Jahre drucken: „Frid. Taubmani Rectoris Otium Semestre Publicum. Eiusdem oratiuncula de Hercule Academico, adfecta tamen magis, quàm perfecta“ (Gießen 1609, Wittenb. 1610); diese Universitätschronik gewährt bei Gelegenheit, namentlich in der Stadt und Stadtrath von Kulmbach zugeeigneten oratiuncula – einem Füllsel ähnlich den Anhängseln anderer Taubmann’scher Schriften – verschiedene autobiographische Daten. An wirklich fachphilologischen Arbeiten Taubmann’s sind drei zu nennen. 1602 gab er im Anschluß an die dem Wittenberger Doctoranden Christoph Knopf bei der Vertheidigung seiner Thesen (März 1602) bereitete Opposition heraus: „Dissertatio de lingva latina. Cum epeisodio, ac Novitio Poëtarum Veteramentario. Itemque Larvis Laureatis“. Sechs Auflagen sprechen für das Anziehende des Inhalts dieser präcisen und gediegenen Polemik, die den einseitigen Ciceronianismus bekämpfte und für die Uebung eines gewählten und sinnvollen Lateins später Gemeingut gewordene Grundsätze fixirte. Die jüngeren Ausgaben corrigiren viele Flüchtigkeiten der ersten eiligen Niederschrift, deren Abdruck von Versehen wimmelte. Seine Gegner [437] bestritten ihm freilich wiederholt die Befugniß, über das Lateinschreiben Anderer abzuurtheilen oder gar eigene Gesetze zu formuliren. Sein Ausdruck und Stil seien eben nicht classisch, sondern strotzten von Archaismen, poetischen Licenzen, Neologismen. Und es ist richtig, daß ein Körnchen Wahrheit in dieser Behauptung steckt. Taubmann’s Lieblingsautor (meum poeticum cor) war von früh an Plautus. An ihm hatte er sich seine philologischen Sporen verdient, ihn tractirte er auf dem Katheder und am Studirtisch, ihm widmete er sein fachmännisches Hauptwerk. Nach langen Vorbereitungen erblickte 1605 der dicke Quartant (1306 Seiten außer den ausführlichen Indices) „M. Acci [sic!] Plauti Lat. Comoediae facilè principis fabulae XX. superstites, Cum novo et luculento commentario doctorum virorum, operâ Friderici Taubmani, Professoris Acad.“ (o. O. u. J.). Aber dieser unförmliche und unübersichtliche Wust von ungleichmäßigen Textstücken und massigen Erklärungsversuchen ergab sich gar bald als eine Compilation aus den verschiedenartigsten Vor- und Mitarbeitern. Von ernstlicher Prüfung der Codices, von reinlicher Sichtung der Lesarten keine Spur; ebensowenig ist die Rede von einem selbständigen Entscheid über die neben einander herlaufenden Auslegernoten. Dieses durchsichtige Plagiat, obschon weder im Titel noch in der vorausliegenden Umfrage bei Capacitäten der eklektische Charakter des Unternehmens verdunkelt wurde, erregte solches Kopfschütteln, ja mancherseits solche Entrüstung, daß der „Verfasser“ dieser neunjährigen Arbeit seinen Verleger Z. Schürer vermochte, die gesammte „Restauflage“, d. h. über zwei Drittel der Exemplare einzustampfen und durch eine revidirte zu ersetzen. Allerdings entschuldigte sich T. sowohl bei dieser, die endlich 1612 unter weitschweifiger Aufschrift hervortrat, wie schon nach den auf die erste herniederregnenden Angriffen für die erstaunliche Unselbständigkeit mit der vorgeschützten Absicht, den augenblicklichen Stand der Plautus-Forschung für sächsische Interessenten durch Mittheilung des gesammten exegetischen Apparats anschaulich zu machen und so die Theilnahme nach Kräften zu heben. In der That beruht der Werth der Taubmann’schen Edition in dem außerordentlichen Reichthume der commentatorischen Parallelen (auch in J. Gruter’s Ausgabe, Straßb. 1621); nach dieser Hinsicht mag sie heute noch mehr als geschichtliche Aufmerksamkeit beanspruchen. Die zweite Ausgabe war textlich viel sorgsamer und übertraf in Correctheit, Typenwahl und Ausstattung die über alle Maaßen liederliche erste erklecklich. Die Herausgeberthätigkeit, die er 1602 seinem andern Herzensdichter, dem Vergil, zuwendete, zeugte nichts Beachtlicheres. Auch „Publ. Virgilii Maronis, non tironis, ut videtur, sed adulti perfectique Poetae opus Culex: at nunc libro Commentario etc.“ (Wittenb. 1609) beruhte bloß auf flüchtiger Aneinanderfügung der von Anderen gesammelten Materialien. Der geringe Anklang bewog den Verleger Helwich, die Ausgabe des gleichfalls pseudo-vergilschen „Ciris“, deren Drucklegung kurz darauf fertig war, gar nicht auf den Markt zu bringen. Trotzdem schnitt T. danach Commentare zu den Bucolica und Georgica sowie zur Aeneide mit ähnlichem Recept zurecht, indem er auf dem Boden von dem römischen Vergildruck von 1469 und dem Brixen’schen von 1473, die er beide besaß, sowie allermöglichen Erklärern des 16. Jahrhunderts eine Handausgabe herstellen wollte. Verständig bewahrte er diese Stoppeleien im Pulte, und erst des Sohnes Kindesstolz und des Buchhändlers Schürer Speculation – dieser reihte einfach die lagernden Exemplare von Ciris und Culex mit frischen Titelblättern hier ein – erwiesen mit „P. Virgilii Maronis Opera omnia: Bucolica, Georgica, Aeneis; Ciris et Culex: Cum Commentario Frid. Taubmanni. Curante et edente Christiano Taubmanno“ (1618) dem Abschreibefleiße Taubmann’s einen unvorsichtigen Gefallen. Ja, 1626 grub derselbe Drucker aus dem Nachlasse die Erneuerung der auch Vergil zugeschriebenen Idylle Moretum aus: „Incerti [438] auctoris Moretum cum commentario Frid. Taubmanni“. Für die Oeffentlichkeit eingeleitet hat T. ferner seines Lehrers Christian Becman „manuductio ad linguam latinam“ (Wittenb. 1608), die der Verfasser ihm nur zur Durchsicht vorgelegt hatte und 1619 selbst herausgab, sowie „Ausonii Popmae de differentiis verborum libri IV, et de usu antiquae locutiones: editi cura Bartholomaei Musculi“ (Gießen 1609), wozu ihn beide Mal wohl seine gleichzeitigen eigenen stilistischen Untersuchungen trieben. Allerlei Bagatellen verwandter Art gehen da und dort noch unter seinem Namen als Deckschild, jedoch mit zweifelhaftem Anrecht. Man zollte ja seinen reichen, wenn auch nicht eben tiefen Kenntnissen in der lateinischen Philologie damals starke Anerkennung, und dies zwar nach Gebühr. Nur Zweierlei dürfen wir dabei nicht vergessen. Den von ihm bewunderten holländischen Meistern gegenüber war T. „ein armseliger Stümper“ – Scaliger legt man die Worte „Taubmann est un fou, un pauvre prestre, son Plaute ne sera pas grand cas“ in den Mund –, und der Begriff Philologie kann bei allem T. gespendeten relativen Lobe stets nur vom damaligen Standpunkte aus betrachtet werden.

Daß T. von Anfang an bemüht war, seine Sprach- und Litteraturkenntnisse über den Kreis des Universitätserfordernisses zu erweitern, stellt ihm daneben ein schönes Zeugniß für das das Brotfach überflügelnde Interesse aus. Mit englischen Geschichtswerken, wenn auch nur lateinisch abgefaßten, hat er sich vielfach beschäftigt (Hector Boethius’ Scotorum historia, Thomas Morus’ Historia Richardi III, John Kaye’s Historia Cantabrigiensis academiae, George Lilly’s Elogia virorum illustrium). Dem Italienischen stand er ersichtlich näher und spricht sich über altitalienische Lyrik nach Bernardo di Giunta’s Sammlung (1528), rühmend über Dante, noch sympathischer über Boccaccio und gar Macchiavelli aus, berichtet freudig vom Erwerb einer Bojardo-Ausgabe und durchsiebt Torquato Tasso eingehend auf die von ihm behauptete grenzenlose Anlehnung an die antiken Epiker. Dagegen ist die beträchtliche Vorliebe für die mittelhochdeutsche Dichtung, die man bei ihm, auf den Auslassungen an seinen Freund Goldast (s. A. D. B. IX, 327), deren Wiedererwecker, fußend, voraussetzt, nach seiner anderweitigen Bezeichnung der Vergleichung der mittelalterlichen mit der altclassischen Poesie als „desipientia“ zu berichtigen. Von anderen Wissenszweigen hielt er wenig, namentlich von der theoretischen Philosophie, da er selbst nur praktische Lebensklugheit gelten ließ, und war sogar im Griechischen schwächlich bewandert; dagegen hat er immer für alles Sonderbare einen regen Blick bekundet und z. B. außer dem Spintisiren in anderen pathologischen Problemen das Geheimniß der Geschlechtsbestimmung bei der Begattung einem Mediciner gegenüber erörtert. Alles in Allem: Ein Polyhistor, wie sie die Renaissance genugsam sah, war T. keineswegs; dazu mangelte ihm vor allem die Breite der Unterlagen. Dafür hat er aber in einer Zeit, da in dem Stammlande des reformatorischen Humanismus die Lust und die Luft aus den classicistischen Studien zu schwinden drohten, die Hingabe an diese eifrig gefördert und ist selbst mit gutem Beispiele vorangeschritten. Keine Minute seiner kostbaren Muße erlahmte er darin, die Hochhaltung des antiken Erbes zu empfehlen. Er war dabei von den vielfältigen Wahngebilden seiner Epoche fast ganz frei und hat sogar furchtlos allgemeine Irrthümer bloßgelegt und lächerlich gemacht. Endlich geziemt Taubmann’s Veröffentlichungen noch eine andersartige Beachtung. Seine dickleibigen Sammlungen lateinischer Gelegenheitsdichtungen, seine ausgesponnenen Vor- und Nachreden, Anhänge, Sendschreiben u. s. w. bieten eine unendliche, noch völlig unverwerthete Fülle wichtigen Materials zur deutschen Gelehrtengeschichte am Ausgange des 16. und Anfange des 17. Jahrhunderts. Die an Freunde, Collegen, Gönner gerichteten abwechslungsreichen Metren – [439] Hexameter, Distichen, horazische und freiere Maaße – enthalten äußerst viele Anspielungen auf Lebensereignisse und -umstände der Adressaten und Bekannten. Auch Zeitbegebenheiten, wie Türkenkrieg u. Aehnl., verflicht T. geschickt öfters in die apostrophischen Verse. Christoph Coler, Janus Gruter, Johann Codomann, Johannes Sturm, Johannes Weidner, Justus Lipsius, Matthäus Chyträus, Paulus Melissus, Tycho de Brahe und ungezählte andere zeitgenössische Gelehrte und Schöngeister erscheinen hier als Taubmann’s Correspondenten, und dieser Zusammenhang klärt auch über Taubmann’s Wesen und Auftreten in mancherlei Betracht auf.

Gerade im Verkehre gab sich Taubmann’s überaus ursprüngliche und eigenthümlich ausgebaute Natur deutlich und fand, je nach dem Charakter und der Anpassungsfähigkeit des Partners, eine reichhaltige Mannichfaltigkeit des Ausdrucks. Wenn auch seine bezeichnendste Eigenschaft, der pointirte, aus der Momentsituation entkeimte Mutterwitz nicht eben in sonderlichen Spielarten schillert, die Lebendigkeit seines Temperaments und die Beweglichkeit seines Denkens und Redens gelangt in erheblich auf- und absteigender Linie zur Erscheinung. Im ganzen gutmüthig von Haus aus, aber durch Entbehrungen der Jugend und den späteren Verstellungszwang zum Gesellschaftsmenschen erzogen, war er gleichwohl bis zuletzt von jeder Bitterkeit entfernt und setzte sich bewußt, aber der Umgebung unmerklich, über manche Drangsal, die er durchkostete, hinweg. Er konnte so wenig in Erinnerungen schwelgen, keine feste Gesundheit, kein eingewurzelter Ruhm winkte, nicht einmal ein ruhiges aufs Altentheil – unter arg erschwerenden Bedingungen verwilligte ihm der Kurfürst am Ende den theuern Ankauf(!) eines Landgütchens – zurückgezogenes Alter oder eine Versorgung seiner engsten Familie. Unentwegt hielt er trotz alledem unter mannichfachen Demüthigungen und Enttäuschungen den Kopf aufrecht, blieb aufgeräumt bis zur letzten Stunde und bewahrte seine Heiterkeit, auch wo es ihm wehmuthsvoll genug ums Herz sein mußte. Er wird als ziemlich freigebig geschildert, und man mag dies gern glauben, wo in seinem Hause zwar gut und bequem, doch keineswegs luxuriös gelebt wurde und dennoch seine großen Einnahmen stets nur einen mäßigen Bodensatz übrig ließen. Es scheint dieser Zug auch mit seiner ganzen Art zu stimmen. Milde war sein Gemüth, und fast harmlos darf man ihn nennen, der so oft in Ernst und Scherz als Scharfschütz zu Felde zog. Deshalb beurtheile man auch seine sogenannten Copirarbeiten von einem weniger strengen Standpunkte; T. hat sich wohl niemals als Forscher gebläht, wie so viele Nullen neben ihm, wie er überhaupt Arroganz tödtlich haßte und sie auch selbst nie zur Schau trug. So ist er auch in vollem Frieden mit der Welt, einig mit sich selbst, klaglos und ohne Aufbäumen wider des Schicksals Allgewalt geschieden. Daß Podagra und Handgicht bei T. eine Folge übertriebenen Weingenusses gewesen seien, verleumdet den stets vollbewußt handelnden Mann. Im 47. Jahre begannen plagende Unterleibsbeschwerden, und seit Januar 1613 wuchsen die Schmerzen dermaßen, daß er rasch abfiel und nach harten Leidenswochen am 24. März vor 3 Uhr früh klaren und festen Geistes starb. Ein überstattliches Begräbniß, an dem Universität und Stadt Wittenberg, Vertreter von Hof und Regierung, die Behörden, fremde Abgesandte theil nahmen, ward diesem kuriosen Menschen ausgerichtet, den Leichenprediger und der officielle akademische Trauerredner, sein Freund Erasmus Schmied(t), bewundernd priesen und verherrlichten als Frommen – als den er sich wirklich stets bethätigt –, als unvergleichlichen Poeten und Philologen, als eine Leuchte Germaniens. Schwer wog sein Verlust für Wittenbergs alma mater.

Will man das Material zu Taubmann’s Biographie und Charakteristik vollständig haben, so darf man die Mühe sorgfältiger Kritik eines schier unendlichen [440] Anekdotenwustes nicht scheuen. Diese Unmasse von Schnurren aller Art ward bereits 1618 krystallisirt in „Beschreibunge des Lebens des berühmten Poetens Friderici Taubmanni benebst mancherlei artigen Geschichten, so sich in Wittenbergk die Leute erzählen“ (Dresden), aufgewärmt in „Taubmannus redivivus et defensus“ (Helmstädt 1699), endlich seit 1702 in den „Taubmanniana Oder Des Sinnreichen Poetens, Friederich Taubmanns Nachdenckliches Leben, Scharffsinnige Sprüche, Kluge Hof- und schertzhaffte Studenten-Reden, wie auch dessen Denckwürdige Gedichte, artige Begebenheiten, Und was dem allen gleichförmig“ in vielen unveränderten Abdrücken bis 1746 verbreitet. Eine große Anzahl Ulkereien sind hier T. aufgebürdet, die schon längst vorher von Till Eulenspiegel, Claus Narr, Neithart („Erdbeere“, Schwerhörigkeit, vgl. Flögel, Geschichte d. Hofnarren S. 266 A. h) u. a. erzählt wurden (vgl. z. B. Archiv f. Litteraturgesch. XII, 314 f.). So fließt hier bloß eine trübe Quelle, deren Wasser dünn filtrirt werden muß. Bedeutender Werth kommt den Arbeiten von Taubmann’s Collegen Erasmus Schmied zu, von dem auch eine noch ungedruckte Biographie vorhanden ist. Ziemlich einseitig verhimmelnd gehen Oertel in seiner mit alten und neuen biographischen Notizen ausgestatteten Auswahl der „Taubmanniana“ (München 1831), F. A. Ebert (Leben und Verdienste F. Taubmann’s, Eisenberg 1815), Genthe (Fr. T. als Mensch und Gelehrter, Lpz. 1859; oberflächlich), sowie die an Irrthümern reiche „Narratio de Friderico Taubmanno adolescente“ von H. L. Schmitt (Weilbg. 1858; 2. Ausg. Lpz. 1861) vor. F. W. Ebeling hat in seinem auf mehrfachen archivalischen Nachforschungen und einer Durchsicht des ganzen lebensgeschichtlichen Materials, freilich Taubmann’s Schriften nicht voll ausschöpfenden Buche „Zur Geschichte der Hofnarren. Friedrich Taubmann. Ein Culturbild, zumeist nach handschriftlichen Quellen“ (seit 1883 mehrere Ausgaben) durch Einflechtung von allerlei abgelegenen Dingen die ohnehin durch vielerlei Nebentendenzen verschobene Anschauung noch mehr verwischt. Trotzdem wird darin sehr viel neuer Stoff dargeboten, der im einzelnen willkommene Verwerthung findet. An den genannten Stellen ist fast Alles angeführt, wo sonst Taubmann’s gedacht oder Notizen über sein Wirken beigebracht werden. Goedeke, Grundriß z. G. d. d. D. ² II, S. 112, Grässe, Lehrbuch einer allgemeinen Litterärgeschichte III 1, S. 368 Note 30 sind für das Bibliographische und die Monographien zu vergleichen; ferner Flögel, Gesch. der Hofnarren, S. 288–292. Für die altdeutschen Sympathien s. W. Grimm, Die deutsche Heldensage ³ S. 362 Anm. 1 und Sokolowsky, Das Aufblühen des altdeutschen Minnesangs in der neueren deutschen Litteratur I (Jenens. Diss. 1891), S. 9 ff. u. 26. F. Balduinus’ „Leichpredigt bey Leichbegengnus d. Hrn. Friderici Taubmanni“ (Wittenb. 1613) und F. Brandt’s „Gläntzende Tauben-Flügel, d. i. Ausführlicher Bericht, von den Leben und Todt Hrn. Friedrich Taubmanns“ (Kopenh. 1675) bieten ebensowenig Material als S. v. Cyrene, Taubmann’s Leben, Anekdoten, wizzige Einfälle (Par. 1797). Eine abschließende und kritische Biographie fehlt noch, wäre übrigens ebenso verdienstlich wie schwierig. – Taubmann’s Erstgeborener, Christian, geboren am 27. September 1597, erhielt tüchtige Hauslehrer, von den sächsischen Kurfürsten reiche Stipendien, studirte Jura und starb als Professor der Rechte zu Wittenberg am 28./29. November 1651. Als Gelehrter ist er bedeutungslos. Vgl. besonders August Bucher’s Gedächtnißrede in dessen „Dissertationes academicae“ (1679), S. 840 bis 843; Jöcher IV, 1023, Oertel a. a. O. S. 44–48 u. 62, Ebeling a. a. O. S. 67, 94, 95, 99, 102, 128, 140, 156 f., 209.