Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Waldis, Burkard“ von Waldemar Kawerau in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 40 (1896), S. 701–709, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Waldis,_Burkard&oldid=- (Version vom 21. Dezember 2024, 13:16 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
Band 40 (1896), S. 701–709 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Burkard Waldis in der Wikipedia
Burkard Waldis in Wikidata
GND-Nummer 118628666
Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|40|701|709|Waldis, Burkard|Waldemar Kawerau|ADB:Waldis, Burkard}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=118628666}}    

Waldis: Burkard W., protestantischer Dramatiker und Fabeldichter des 16. Jahrhunderts. Die Heimath des vielseitig begabten, rührigen, aber auch unruhigen und durch eigene Schuld in mancherlei Ungemach verstrickten Mannes war das hessische Landstädtchen Allendorf an der Werra; seine Familie, die an [702] den Soodener Salzwerken Antheil hatte, war begütert und angesehen, was sowol durch mehrere Vermächtnisse wie durch die Wahl eines seiner Brüder zum Bürgermeister bekundet wird. Bei der Zerstörung der Stadt im J. 1637 sind leider alle die Urkunden, die über seine Jugend hätten Auskunft geben können, mit vernichtet worden und auch er selber läßt uns über die Anfänge seines Lebens völlig im Dunkel: wir wissen weder sein Geburtsjahr noch Art und Gang seiner Studien, sondern können sein Leben erst von dem Zeitpunkt ab einigermaßen verfolgen, seit er uns, fern seiner hessischen Heimath, in Riga als Franciscaner entgegentritt. Dieser Zeitpunkt ist das Jahr 1522, dasselbe Jahr, in dem in Livland die Reformation zum Siege gelangte, allerdings nicht ohne nachfolgende schwere politische Verwicklungen, die auch für den gewandten, unruhig-wühlerischen Mönch verhängnißvoll werden sollten. Am 20. October jenes Jahres schrieb der Stadtsecretär Rigas, Johann Lohmüller an Luther: Livland sei eine candidata verbi fidei geworden; ein großer Theil der Schriften Luther’s sei dorthin gelangt und finde eifrige Leser, allen voran gehe Riga, wo bereits zwei evangelische Prediger, Andreas Knöpken und Silvester Tegetmeyer, das Evangelium ausbreiteten. Er bat Luther um einen Gruß an die livländischen Glaubensgenossen, eine Bitte, die dieser im August oder September 1523 durch ein Sendschreiben erfüllte, worin er sie zur Treue auch unter den unausbleiblichen Verfolgungen ermahnte, damit sie sich nicht wieder in die egyptische Finsterniß und zum Götzendienste verführen ließen. Die Voraussetzungen für den endgültigen Sieg der reformatorischen Sache waren jedenfalls grade in Riga so günstig wie nur möglich. Der Rath begünstigte die Bewegung; dem Deutschordensmeister Walther von Plettenberg war sie wenigstens insofern willkommen, als sie die bischöfliche Macht schwächte; auch der einheimische Adel stand dem Erzstift mehr oder minder feindlich gegenüber. Dazu war der Erzbischof Jasper Linde ein von Haus aus friedfertiger, jetzt überdies alt und müde gewordener Herr, der diesen Kämpfen nicht mehr gewachsen war. So suchte er denn Hülfe bei Kaiser und Papst, indem er die drei Mönche Antonius Boemhover, Augustin Ulfelt und W. an diese absandte. Der Beginn dieser Reise wird ins Frühjahr 1523 zu setzen sein, und daß auch W. zu dieser Abordnung erkoren ward, bezeugt jedenfalls, daß er sich eines besonderen Vertrauens seiner Oberen zu erfreuen hatte. Die Bemühungen der Gesandtschaft blieben auch nicht erfolglos. Zwar Kaiser Karl V. selbst, der grade in Spanien weilte, trafen die drei Mönche aus des deutschen Reiches äußerstem Nordosten nicht an, aber sein Stellvertreter in Deutschland, Markgraf Philipp von Baden, willfahrte ihrem Gesuch und verfügte die Restituirung des Erzstifts auf Grund des Wormser Edicts, während er zugleich der Stadt die Acht androhte, falls sie in ihrer Widersetzlichkeit beharren sollte. Die Gesandten theilten diese frohe Botschaft alsbald dem Erzbischof brieflich mit und setzten sodann ihre Reise nach Rom fort. Hier währte ihr Aufenthalt bis Ostern 1524, worauf sie auf der Rückreise in Nürnberg einkehrten, damit der dort versammelte Reichstag die Befehle des kaiserlichen Statthalters bestätige. Dann zogen sie wieder der Heimath zu, wo ihnen jedoch ein schlechter Empfang zu theil werden sollte. Denn dort hatte mittlerweile die Botschaft der Gesandten den Muth der Erzbischöflichen wieder gehoben, andrerseits aber auch den Rath zu entschiedenem Handeln angetrieben; insbesondere grollte dieser natürlich den die „Bannbriefe ins Land tragenden“ Mönchen, die er deshalb bei ihrer Heimkehr kurzer Hand vom Schiffe weg aufgreifen und gefänglich verwahren ließ. Ulfelt allerdings war diesem Schicksal entgangen, da er das Schiff bereits in Dünaburg verlassen hatte; Boemhover und W. aber kamen in den Kerker, aus dem die erzbischöfliche Macht sie nicht mehr zu befreien im Stande war.

[703] Für W. bedeuteten jene Sendung und die ihr nachfolgende Haft den entscheidenden Wendepunkt seines Lebens. Als getreuer, devoter Sohn der alten Kirche hatte er die Romfahrt angetreten, ein Andrer war er zurückgekehrt; jetzt im Kerker ward ihm „das Gefängniß von Babylon aufgethan“, so daß er die „beschorne Rotte“ verließ und sich nunmehr mit dem ganzen Eifer seines stürmischen Temperaments dem von Luther verkündeten Evangelium zuwendete. Die Eindrücke und Erfahrungen jener Romreise spiegeln sich in seinen Fabeln vielfältig wieder, und man spürt deutlich aus allen diesen gelegentlichen Aeußerungen, wie ihm dort allgemach der Nimbus der alten Kirche verblaßte und wie die schmerzliche Erfahrung: „Je neher Rom, je böser Christ“ (Esop. IV, 24) seine mönchische Devotion erschütterte. Mit staunender Bewunderung sah er die Pracht und Herrlichkeit der ewigen Stadt, aber in seiner frommen Einfalt schauderte er bei den Einblicken in das sittenlose und frivole Treiben der dortigen Geistlichkeit; andächtig betrat er in Assisi das Mutterhaus seines Ordens, aber tiefschmerzlich berührte ihn der Contrast, der ihm dort zwischen der luxuriösen Pracht dieses Hauses und dem Armuthsgelübde der Franciscaner vor Augen trat. (Esop. III, 100.) Und diese Eindrücke mußten ihm dann in Nürnberg, wo er dem Cardinal Campeggi gegenübertrat (Esop. IV, 17), nur noch verstärkt werden. Denn dieser päpstliche Legat war am wenigsten der Mann, die von ihm vertretene Sache zu fördern, vielmehr hatte in Nürnberg er vor allen die ganze Verachtung des Papstthums zu empfinden, die jetzt in weiten Schichten der Bevölkerung gang und gäbe war. Auch W. empfing von dem frivolen und würdelosen Legaten die allerübelsten Eindrücke: des Italieners frecher Spott über die Deutschen verletzte die nationale Empfindung des wackern Hessen, dem auch unter der Kutte ein gut deutsches Herz schlug; die unsauberen Possen, die der geistliche Würdenträger zum Ergötzen seiner Gäste zum besten gab, empörten ihn. So wurde je länger desto mehr der Bruch mit seiner Möncherei unvermeidlich und die nun über ihn verhängte Haft mußte die Entscheidung beschleunigen. Er erklärte seinen Uebertritt, legte die Kutte ab und fand dadurch nach wenigen Wochen die Freiheit wieder, während sein Ordensgenosse Boemhover nachweislich noch im J. 1526 im Kerker saß.

Nachdem W. endgültig die Kreuzgänge seines Klosters verlassen hatte, ergriff er ein bürgerliches Gewerbe und wurde in Riga Zinngießer. Und auch für ihn hatte allem Anscheine nach das Handwerk goldenen Boden; sein Geschäft gewann mehr und mehr an Ausdehnung, er selbst an Einfluß und Ansehen, wozu nicht zuletzt die vielen von ihm unternommenen Geschäftsreisen beitrugen, auf denen er Art und Unart seines Volkes gründlich kennen lernte und eine Welt- und Menschenkenntniß einheimste, die später insbesondere dem Fabeldichter aufs beste zu statten kam. Bei mehreren Städten, die er in seinen Fabeln erwähnt, fügt er ausdrücklich hinzu, daß er selbst dort gewesen sei: so bei Amsterdam, Lübeck, Breslau, Naumburg und Mainz, doch wird er ohne Zweifel auch viele jener anderen Orte besucht haben, in denen er die Handlung seiner Fabeln sich abspielen läßt. Daheim wurde sein Rath als der eines welterfahrenen und sachverständigen Mannes in Münzangelegenheiten wiederholt von der Obrigkeit in Anspruch genommen: er verfaßte Gutachten für den städtischen Rath und eine umfangreiche Denkschrift über die Goldwährung für den Deutschordensmeister von Plettenberg, die von sachkundiger Seite als werthvolle Quelle für die Geschichte der livländischen Münze bezeichnet wird. Zugleich entstanden jetzt die Erstlinge seiner dichterischen Thätigkeit. Am 27. Februar 1527, während eines erzbischöflichen Interregnums, ließ der „Kangeter tho Ryga“ ein Fastnachtsspiel vom verlorenen Sohne auf offenem Markte aufführen; für die rigaische Kirchenordnung steuerte er ein gereimtes „Gebedt zu Godt“ bei; [704] auch die ersten seiner Fabeln dürften jetzt schon entstanden sein. So ließ sich das neue Leben des „lieuen getruven Meisters“ aufs hoffnungsvollste an, nur daß ihn leider häuslicher Kummer dieses Lebens nicht recht froh werden ließ. Denn seine wol bald nach seinem Austritt aus dem Orden mit einer Wittwe, Barbara Schulthe aus Königsberg, geschlossene Ehe war die denkbar unglücklichste, die schließlich nach höchst unerquicklichen Auseinandersetzungen, in die uns die erhaltenen Acten einen trüben Einblick gewähren, zu einem völligen Bruch führte. Auch er war sicher nicht ohne Schuld daran, und es wäre Schönfärberei, wollte man verschweigen, daß diese Ehestandstragödie auch auf seinen Charakter einen dunkeln Schatten wirft, wenn man auch nicht alles für baare Münze zu nehmen braucht, was die Frau an Klagen über und Anklagen wider ihn zu Markte brachte. In seinen Fabeln hat diese Unglücksehe tiefe Spuren zurückgelassen; sie sind voll von zum Theil sehr bissigen Ausfällen wider die bösen Weiber, und in manchen Aeußerungen spürt man deutlich den Niederschlag des persönlich Erlebten und Erlittenen (s. besonders Esop. IV, 19 und 84).

Doch noch ein weit größeres Ungemach sollte dem unruhigen und ehrgeizigen weiland Franciscaner beschieden sein. Schon seit 1532 war die livländische Conföderation bestrebt, den bisherigen Coadjutor des Erzstifts, den Markgrafen Wilhelm, auf den erzbischöflichen Stuhl zu erheben und dadurch die Säcularisation des Erzstifts herbeizuführen. Ein Gewaltstreich des waghalsigen Markgrafen war Dank der Umsicht und Festigkeit Plettenberg’s fehlgeschlagen, um so eifriger aber wühlte die Verschwörung seitdem im Geheimen. Ihr eigentlicher Leiter war der vormalige rigaische Syndikus Johann Lohmüller, ein begabter aber charakterloser Intriguant, dem sich W. zu seinem Schaden aufs engste anschloß, indem er ihm insbesondere bei Gelegenheit seiner vielfachen Geschäftsreisen willkommene Botendienste leistete. Da ereilte ihn Weihnachten 1536 das Verhängniß. Auf einer Reise wurde er unter der Anklage unchristlicher Praktiken, heimlicher Conspiration, Meuterei und Aufruhr wider den deutschen Orden verhaftet, und die Folter sorgte dafür, daß er seinen Peinigern mancherlei Geständnisse zum Besten gab. Seine Lage war schlimm, ja nahezu verzweifelt; seine im Kerker entstandenen Psalmendichtungen lassen deutlich genug erkennen, was er dort an körperlichen und seelischen Qualen erduldete. Da aber kam ihm unerwartete Hülfe aus weiter Ferne. Schon 1538 waren seine vier Brüder aus der hessischen Heimath nach Riga gezogen, um sich, unterstützt durch den Landgrafen Philipp von Hessen, an Ort und Stelle für den Gefangenen zu verwenden. und als dieser erste Versuch fehlgeschlagen war, machten sich 1540 zwei der Brüder, Hans und Bernhard, nochmals auf die Reise, um den mittlerweile wiederholt der Tortur Unterworfenen der Haft zu entledigen. Und dies Mal blieben ihre Bemühungen nicht erfolglos. Ihren Bitten, sowie der eindringlichen Befürwortung des rigaischen Rathes und des Landgrafen Philipp gab endlich der Ordensmeister Gehör und verfügte am 21. Juli 1540 die Freilassung des schwer geprüften Mannes, der dann später den im Kerker gedichteten Psalter jenen beiden Brüdern in herzlicher Dankbarkeit widmete.

Sein Geschäft war zerstört, seine Gesundheit zerrüttet; so schüttelte er denn den Staub Rigas von seinen Füßen und zog mit seinen Brüdern Hans und Bernhard in die Heimath zurück, um sich dort abermals ein neues Leben aufzubauen. Zunächst suchte er in Allendorf bei den Verwandten seinen durch die Qualen des Gefängnisses geschwächten Körper zu kräftigen, worauf er sich für das Wintersemester 1541 in Wittenberg als Burchardus Vualdis Hessus inscribiren ließ, um bei Luther nochmals in die Schule zu gehen und sich für ein evangelisches Pfarramt vorzubereiten. Doch nicht so rasch, wie er wol wünschen [705] mochte, sollte ihm die Anstellung im hessischen Kirchendienste zu theil werden, so daß ihm nach seiner Rückkehr aus Wittenberg zunächst noch eine längere Wartezeit in der Heimath beschieden war. Aber es lag nicht in seiner Art, am Markte müssig zu stehen, vielmehr begann er nunmehr eine überaus rührige litterarische Thätigkeit. Zunächst rief ihn der eben ausgebrochene Schmalkaldische Krieg wider den verhaßten Welfenherzog Heinz von Wolfenbüttel auf den Kampfplatz, indem auch er diesem „mordlustigen Lykaon“ mit etlichen derben Pamphleten zu Leibe rückte, durch die er zugleich am besten seinem Landesherrn, dem Landgrafen Philipp, seinen Dank bethätigen und sich der ferneren Gunst dieses Fürsten versichern konnte; im nächsten Jahre, 1543, folgte jenen vier Streitgedichten ein gereimtes Pamphlet gegen die katholische Geistlichkeit: „Ein warhafftige Historien von Zweyen Mewssen, So die pfaffen jm Hüttenberge bey Wetzfalar haben verbrennen lassen, Darumb das sie ein Monstrantzen Sacrament gefressen hatten“, ein Gedicht, in dem ein Hauch von Fischart’s groteskem Humor zu verspüren ist, und außerdem ein von ihm mit Reimen versehenes Bilderbuch: „URsprung vnd Herkummen der zwölff ersten alten König vnd Fürsten Deutscher Nation“, dem ein „Lobspruch der alten Deutschen“ angehängt ist, dessen warme vaterländische Gesinnung uns daran erinnert, wie vordem schon der Mönch dieselbe Gesinnung dem Hohn eines Italieners gegenüber bethätigte. Daneben mehrte sich der Vorrath seiner Fabeln, die er dann 1548 mit einer Widmung an den Bürgermeister der Stadt Riga, Johann Butte, erscheinen ließ. Doch war ihm, ehe er den „Esopus“ herausgab, mittlerweile auch die ersehnte Pfarre zu theil geworden. Im J. 1544 war die zwei Stunden von Allendorf entfernte Propstei Abterode durch den Tod des Pfarrers Christ. Thiele erledigt worden, worauf W. als dessen Nachfolger in die reiche Pfründe einrückte. Damit stand der ehemalige Franciscanermönch nach einem stürmereichen Leben am Ziel seiner Wünsche; er hatte nun in der Heimath ein Arbeitsfeld gefunden und wiederholte dankbar das Wort des Psalmisten: „Mutatio est dexterae excelsi“, ein Wort, das seitdem der Wahlspruch seines Lebens geblieben ist. Mit großem Ernst, Fleiß und Eifer, wie ihm seine Gemeinde später bezeugte, verwaltete er sein Pfarramt, so lange die Kräfte des Gealterten und Kranken es gestatteten; auch schloß er nunmehr, nachdem die Vergangenheit abgethan war, trotz der üblen Erfahrungen in seiner ersten Ehe, noch einen zweiten Ehebund mit der Wittwe des Pfarrers Heistermann zu Hofgeismar, die ihm eine Tochter erster Ehe zubrachte, deren Mann, der Pfarrer Balthasar Hiltbrandt, ihm später in seinem Amte treulich zur Seite stand. Und mit Fleiß und Eifer nutzte er auch bis zuletzt seine Muße aus. Zunächst folgte dem „Esopus“ 1551 eine bänkelsängerische „neue Zeitung“ über eine grausige, in Weidenhausen geschehene Mordthat; 1553 erschien der bereits im Kerker zu Riga begonnene Psalter und noch im gleichen Jahre die wohl im Auftrage des Verlegers Christian Egenolff zu Frankfurt a. M. von ihm besorgte Neubearbeitung des Theuerdank, in der er, wie er selber in der Widmung bemerkte, „etlich tausend par Verse auf Erforderung der Not hinzugemacht, auch etliche umgeschmiedet und verbessert“ hatte. Im folgenden Jahre beschäftigte ihn im Auftrage des Landgrafen Philipp die umschreibende Verdeutschung von Thomas Naogeorg’s, dieses leidenschaftlichsten Pamphletisten des Lutherthums, großer Caricatur „Regnum papisticum“, die er am 1. Juli 1554 des Landgrafen Nebengemahlin, Margarethe von der Sal, zueignete, die jedoch erst 1555 gedruckt wurde, und noch mit erlöschender Lebenskraft verdeutschte er endlich die Bibelargumente des Rud. Gualtherus, deren lateinische Distichen er in deutsche Reimpaare umschmolz, die allerdings gründlich hart und ungelenk gerathen sind. Diese „Summarien vber die gantz Bibel“ erschienen 1556, in demselben Jahre, das wir wol als sein Todesjahr betrachten [706] dürfen. Eine vielleicht durch einen Schlaganfall veranlaßte Schwäche machte ihn plötzlich unfähig, sein Amt weiter zu verwalten, so daß ihm im August jenes Jahres die Gemeinde in seinem Schwiegersohn Hiltbrandt einen Nachfolger geben mußte; 1557 erscheint dieser bereits in den Urkunden als Pfarrer von Abterode, so daß W. wol schon damals gestorben war. Sicher allerdings steht das Datum seines Abscheidens so wenig fest wie das seiner Geburt; das letzte Zeugniß über ihn ist ein Schreiben seiner Gemeinde vom 3. August 1556, in dem sie vom Zentgrafen Hans Koch die Bestätigung seines Nachfolgers erbat und worin sie ihm dankbar nachrühmte, daß er in seinem Amte keinen Fleiß gespart, sondern allezeit „mit großen ernst, vleiß vnd eiver“ Gottes Wort verkündigt habe.

Von den litterarischen Arbeiten des W. ist manches nur von untergeordneter Bedeutung und die Kraft und Frische seines ersten Wurfs hat er später nicht wieder erreichen können. Seine wenigen geistlichen Lieder sind kaum mehr als gutgemeinte Reimereien und das gleiche gilt von dem „etwas pritschmeisterlichen“ Poem vom Ursprung der ersten zwölf alten Könige deutscher Nation sowie von der „erschrecklichen historie, Wie ein weib jre vier kinder tyranniglichen ermordet, vnd sich selbst auch vmbbracht hat“. Seine weitschweifige Neubearbeitung des Theuerdank hat nur für die Nachgeschichte dieses unpoetischen allegorischen Epos Bedeutung, und seine verdeutschten Bibelargumente können höchstens als Zeugniß für die Abnahme seiner geistigen Kräfte ein gewisses biographisches Interesse in Anspruch nehmen. Bedeutsamer sind diejenigen seiner Arbeiten, die in das Gebiet der protestantischen Polemik fallen: hierher gehört die mit gutem Humor erzählte, an ähnliche antipapistische Stücke in seinen Fabeln anklingende „wahrhafftige Historien von Zweyen Mewsen“; hierher gehören ferner seine wuchtigen Streitgedichte gegen Heinz von Wolfenbüttel, die als Stimmungsbilder jener tief aufgewühlten Zeit immer ihren Werth behalten werden, und hierher gehört endlich auch seine Uebersetzung von Naogeorg’s „Päpstisch Reych“, die gleichfalls sittengeschichtlich höchst lehrreich und überdies als eine von Fischart fleißig benutzte Quelle zu beachten ist. Immerhin aber steckt in alledem nichts besonders Eigenthümliches und in poetischem Betracht ist das Alles ziemlich geringwerthig. Dagegen haben wir drei Werke, die weit darüber hinausragen und durch die W. immer eine eigenthümliche und hervorragende Position innerhalb der deutschen Litteratur des 16. Jahrhunderts behaupten wird. Das erste und bedeutendste ist auch zeitlich sein erstes, mit dem der „Kangeter tho Ryga“ im Jahre 1527 seine Mitbürger überraschte: „De parabell vam vorlorn Szohn“, ein auf offenem Markte agirtes Fastnachtsspiel, worin er das biblische Gleichniß zu einer wuchtigen dramatischen Satire in niederdeutscher Mundart gestaltete, indem er den Gegensatz zwischen beiden Brüdern im Sinne der protestantischen Lehre von der Rechtfertigung durch den Glauben ausdeutete. Sein Stück steht an der Spitze einer langen Reihe von Dramen, die das gleiche biblische Gleichniß behandeln, dessen fleißige Verwerthung in dem pädagogischen Zuge der Zeit seine Erklärung findet; allerdings wurde für alle diese späteren Dramen nicht sein, wie es scheint, rasch in Vergessenheit gerathenes Fastnachtsspiel, sondern der lateinische „Acolastus“ des Gnapheus zum typischen Vorbild. Dieser „Acolastus“ des Niederländers, der ein Jahr nach dem „verlorenen Sohne“ entstand, ist ohne Frage das bedeutendste Werk dieser ganzen Dramengruppe und in seinem weitreichenden Einfluß auf die litterarische Production fast ohne Beispiel. Die kirchlich-polemische Tendenz tritt hier fast ganz zurück, ja der Autor lehnte sie im Prolog ausdrücklich ab, während in dem Stück des W. eben diese Tendenz das eigentlich charakteristische ist: die ganze Handlung ist von jener Idee der Rechtfertigung [707] getragen und der Dichter wußte dieser Auffassung einen so energischen und überzeugenden Ausdruck zu geben, daß man deutlich spürt, wie tief er selber von diesen Gedanken ergriffen war. Freilich ließ sich ja die Umsetzung dieses religiösen Grundgedankens in dramatische Handlung nicht ohne mancherlei Gewaltsamkeiten vollziehen, und es wird für uns immer einen etwas befremdlichen Eindruck behalten, wenn zu guterletzt der als Mönch erscheinende ältere Sohn sich als die katholische, der Wirth einer höchst bedenklichen Herberge sich als die evangelische Kirche entpuppt; aber sowol diese Gewaltsamkeiten, wie die paar geschmacklosen Derbheiten in Handlung und Dialog fallen gegenüber der in diesem Stücke waltenden Kraft, Frische und Anschaulichkeit nur wenig ins Gewicht und können an dem Urtheil nichts ändern, daß uns in diesem „Verlorenen Sohne“ eines der eigenthümlichsten und packendsten Dramen der Reformationszeit erhalten ist. Auch inbezug auf Sprache und metrische Behandlung bietet das Stück ein besonderes Interesse dar. Fraglich allerdings bleibt immer noch, wie weit es wirklich Original ist, und man wird in anbetracht der mancherlei Uebereinstimmungen mit dem „Acolastus“ die Vermuthung nicht von der Hand weisen können, daß beiden eine gemeinsame Vorlage, ein bisher noch nicht ermitteltes lateinisches Drama sacrum, zu Grunde liegt.

Die zweite hervorragende und zugleich die populärste unter den Schriften des W. sind seine Fabeln, die er jedenfalls schon in Riga (vielleicht schon vor 1533) begann und dann später in Hessen vollendete. Schon vor „etlichen Jahren“, schrieb er in der vom 12. Februar 1548 datirten Zueignungsschrift an den rigaischen Bürgermeister Johann Butte, habe er angefangen, sich in den Fabeln Esopi zu bemühen und begonnen, sie „auß dem Latein inn unser deutsche Sprachen zu bringen“; aber „vielerley vnfelle, widerstand vnd leibs gebrechen“, die „fehrlichen Kriegshendel“ u. a. hätten die Arbeit bisher aufgehalten. Nun aber habe er die Fabeln Esopi, „wie er sie im Latein funden“, in drei Bücher von je hundert Fabeln vereinigt und dazu noch hundert neuer Fabeln sammt ihrer „kurtzen deutung“ als viertes Buch hinzugefügt. Seine Quelle war die Fabelsammlung des Martinus Dorpius (s. über diese W. Braune’s Einleitung zum Neudruck der Fabeln des Erasmus Alberus. Halle 1892, S. XXX fg.), von der ihm ein Exemplar der seit 1520 um die Fabeln des Abstemius, des Laurentius Valla und des Rimicius erweiterten und dadurch von ursprünglich 140 auf 373 Nummern angewachsenen Fassung vorlag. Er schloß sich seiner Quelle sehr genau, auch hinsichtlich der Reihenfolge an: so entspricht Esopus I–II, 31 dem ursprünglichen Bestande jener Sammlung, während II, 32 bis III, 83 die Fabeln des jüngeren Theiles enthalten; der Rest sind theils Schwänke oder Schildbürgerstreiche oder auch eigene Erlebnisse, theils da und dort entlehnte Fabeln, zu denen an näheren oder ferneren Parallelen kein Mangel ist. Auch die vita Aesopi entnahm W. der Sammlung des Dorpius und übertrug sie in Verse, während Alberus für sein in Prosa geschriebenes Leben Aesop’s den von Joachim Camerarius bearbeiteten lateinischen Aesop benutzte, der zuerst 1538 erschienen war. Beide, W. und Alberus, folgten mit ihren Fabeln dem Zuge der Zeit, die eine ganz besondere Vorliebe für die äsopische Fabel besaß, da sich hier das Lehrhafte mit der harmlos-naiven Freude am Stofflichen der Dichtung am bequemsten vereinigte. W. schloß sich anfänglich ziemlich eng an seine Quellen an, fand aber je länger desto mehr eine immer größere Freiheit und Sicherheit, wenn er auch nur selten jene dramatische Belebung und poetische Anmuth erreichte, die den meisten Fabeln des Alberus eigenthümlich sind. Er zeigt sich als belesenen Mann; er citirt mit Vorliebe Horaz und Ovid, gelegentlich auch die Aulularia des Plautus; aber doch weit stärker noch als seine Gelehrsamkeit sind seine volksthümlichen Neigungen, seine praktischen Erfahrungen und die feine Beobachtung [708] der nächstliegenden Wirklichkeit. Er hat für die sittlichen Schäden der Zeit, aber auch für des Volkes Tüchtigkeit einen offenen Blick und immer zeugt die moralische Nutzanwendung seiner Fabeln von gesunder, wackerer Gesinnung und treffendem Urtheil. Und neben den Römern ist ihm auch die deutsche Volkslitteratur nicht fremd geblieben; er kennt Freidank’s „altes Gedicht“ und das Volksbuch von Salomo und Marcolf, und erstaunlich groß ist die Zahl der Sprichwörter und sprichwörtlichen Redensarten, die in seinem Esopus enthalten sind. Nicht selten freilich ist er gar zu redselig und weitschweifig und bringt dadurch selber manches Stück um seine beste Wirkung; ein recht ansehnlicher Theil der 400 Fabeln jedoch erfreut durch die lebendige Darstellung und Schilderung sowie durch den kernigen Humor und die echt deutsche Gesinnung, von denen sie durchleuchtet sind. Besonders eigenthümlich ist der Sammlung die scharf ausgeprägte polemische Tendenz gegen die römische Kirche und die römischen Pfaffen insonderheit, eine Tendenz, die zumal im vierten Buche vorwaltet und der zu Liebe W. keinen Anstand nimmt, selbst die allerbösesten und pikantesten Pfaffengeschichten mit aufzutischen. In diesem Punkte war der ehemalige Franciscaner überhaupt nicht prüde und mit seiner Versicherung in der Vorrede, daß er bei seinen Fabeln immer auf „die zarten keuschen oren der lieben jugent“ Rücksicht genommen habe, nahm er es in dem Buche selber nicht allzu gewissenhaft. Denn auch abgesehen von jenen Pfaffengeschichten ist in seinem Esopus an recht obscönen Schwänken kein Mangel, während die Fabeln des Erasmus Alberus von allem Unsaubern und Lasciven völlig frei sind.

Die dritte Arbeit des W. endlich, die bleibenden Werth besitzt, ist „Der Psalter, In Newe Gesangsweise, vnd künstliche Reimen gebracht“, den er schon während seiner Kerkerhaft in Riga begonnen und alsdann in Abterode vollendet hatte, von wo er ihn am letzten Februar 1552 mit einer biographisch überaus werthvollen Zuschrift seinen Brüdern Hans und Bernhard zueignete. In eigenen schmerzlichen Erfahrungen war ihm die in den Psalmen des königlichen Sängers waltende Poesie der Furcht und Trauer, des Trostes und der Hoffnung aufgegangen, und wie Luther vom Psalter bezeugte: „Alles, was ein andächtiges Herz mag zu beten wünschen, da findet es seine Psalmen und Worte zu, so eben und lieblich, daß kein Mensch, ja alle Menschen nicht mögen so gute Weise, Wort und Andacht erdenken“, so äußerte auch er am Schluß jener Zuschrift: „Dann die Psalmen gemeynlich der art vnd natur sind, daß sie dem menschen im glück vnd vnglück das hertz vnd die affecten rüren, vnd wie die selbigen gestelt vnd gethan sein, wie in einem spiegel anzeygen vnd dargeben, wie solchs alles wol wissen, alle die in fährlichkeyt gesteckt, vnd die psalmen in nöten vnd anfechtungen gebraucht haben“. Und eben dieses subjective Element gibt seinem Psalter sein eigenthümliches Gepräge und verleiht ihm eine Wärme und Innigkeit, die den meisten übrigen Psalmendichtungen der Zeit mangelten. Natürlich sind nicht alle Stücke gleichwerthig, sondern es läuft auch hier manche rein handwerksmäßige Reimerei mit unter; aber der größere Theil der Lieder ist ausgezeichnet durch Tiefe und Wärme der Empfindung und durch eine Kraft der Sprache, die nur gelegentlich durch das Streben nach kunstreichen Formen beeinträchtigt wird.

Gemeinsam ist diesen drei Arbeiten ihre gut lutherische und protestantische Gesinnung. In seinem Fastnachtsspiel versuchte W., den Kernpunkt der evangelischen Lehre, die Rechtfertigung durch den Glauben im Gegensatz zur römischen Werkgerechtigkeit dramatisch zu gestalten; in seinen Fabeln polemisirte er, theils harmlos spottend, theils mit wahrhaft ingrimmigem Humor gegen einzelne Stücke der römischen Lehre und stellte insonderheit der römischen Geistlichkeit ungeistliches Leben an den Pranger; im Psalter endlich sprach er schlicht und einfältig und frei von aller Polemik seinen eigenen Glauben aus, nicht als [709] dogmatisches Bekenntniß, sondern als Niederschlag persönlicher religiöser Erfahrungen, als ein selbständig erworbenes Gut. So gewinnen wir grade aus diesen drei Werken ein lebendiges Bild dieses tüchtigen Mitstreiters für das Werk der Reformation, das Bild eines tapferen und frommen Mannes, dem alle Wechselfälle seines bewegten Lebens den schwer erkämpften Frieden seiner Seele nicht wieder erschüttern konnten.

Goedeke, Grundriß² II, 451–453. – G. Milchsack, Burkard Waldis. Halle 1881 (eine Arbeit, die die älteren Biographien entbehrlich macht). – Zur Reformationsgeschichte Rigas: Luthers Werke. Weim. Ausg. XII, 143–146. – Neudrucke: Der verlorene Sohn, hrsg. von G. Milchsack. Halle 1881 (dazu Anz. f. d. Alt. VII, 416). Dieser Neudruck wiederholt von R. Froning: Das Drama d. Reformationszeit (Dtsch.-Nat.-Litt. XXII). Stuttg. o. J. S. 31–100. – Ueber den Stoff vgl. die Monographien von H. Holstein (Halle 1880) und F. Spengler (Iglau 1886), sowie J. Bolte’s Einleitung zum Neudruck des Acolastus (Berlin 1891); über Waldis’ „Verlorenen Sohn“: H. Holstein, Die Reformation im Spiegelbilde der dramatischen Litteratur des 16. Jahrhunderts. Halle 1886, S. 150–154. (Vgl. auch J. Janssen, Geschichte des deutschen Volkes VI, 287–291.) – Streitgedichte gegen Herzog Heinrich den Jüngeren von Braunschweig. Hrsg. von F. Koldewey. Halle 1883. Dazu: F. Koldewey, Heinz von Wolfenbüttel. Halle 1883. – Esopus. Hrsg. von H. Kurz. Leipzig 1862 und von J. Tittmann. Leipzig 1882. (Dazu: Liebrecht Germania VII, 501 fg.)