Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Reyscher, August Ludwig“ von Karl Viktor von Riecke in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 28 (1889), S. 360–368, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Reyscher,_Ludwig&oldid=- (Version vom 22. Dezember 2024, 05:44 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
<<<Vorheriger
Reypchen, Georg
Nächster>>>
Reyser, Michael
Band 28 (1889), S. 360–368 (Quelle).
August Ludwig Reyscher bei Wikisource
August Ludwig Reyscher in der Wikipedia
August Ludwig Reyscher in Wikidata
GND-Nummer 11874478X
Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|28|360|368|Reyscher, August Ludwig|Karl Viktor von Riecke|ADB:Reyscher, Ludwig}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=11874478X}}    

Reyscher: August Ludwig R., geboren am 10. Juli 1802 zu Unterriexingen an der Enz in dem württembergischen Oberamt Vaihingen, gestorben zu Cannstatt am Neckar am 1. April 1880, Rechtslehrer und Staatsmann, wohlverdient um die Geschichte, die Verfassung und das Recht seiner engeren Heimath, treu ergeben der Sache des deutschen Vaterlandes. Erziehung und den ersten Unterricht erhielt R. von dem Vater Karl Ludwig, der, ein Alters- und Studiengenosse Hegel’s und Hölderlin’s, 42 Jahre lang als Geistlicher in dem genannten Pfarrdorfe wirkte. In diesem Orte, welcher zu einem Theil zu Württemberg gehörte, zum anderen Theil ritterschaftlich war, hatten schon die beiden Vorväter das Amt eines edelmännischen Stabsamtmanns bekleidet; die Heimath der älteren Ahnen war Weinsberg. Die Mutter Reyscher’s war eine Tochter des Universitätskanzlers Le Bret (s. A. D. B. XVIII, 100). Als eine Eigenthümlichkeit in der Bildungslaufbahn des nachmaligen akademischen Lehrers darf immerhin erwähnt werden, daß R. unmittelbar nach der Confirmation d. i. [361] mit dem fünfzehnten Lebensjahre in eine „Schreibstube“ eintrat, zunächst in die Kanzlei eines Amtsschreibers und Ortsvorstehers, dann in die des Stadtschreibers in der Oberamtsstadt und von da aus auch schon 1819 die Stelle des zweiten Beamten bei dem Oberamt Gmünd, d. i. bei einem königlichen Bezirksamt, für ein Jahr provisorisch übernehmen konnte. Die angehenden Beamten sollten, dies war damals die Ansicht, vor allem den Dienst praktisch kennen und das Volk verstehen lernen. In diesem Sinne war in Altwürttemberg das „Schreiber“institut eine Pflanzschule für die Bureaukratie des Landes. Nach einem weiteren Vorbereitungsjahr, wieder unter der Leitung des Vaters, bezog R. an Ostern 1821 die Universität Tübingen zum Studium der Rechtswissenschaft. Mitglied der Burschenschaft und innerhalb dieser einem engeren Freundeskreise angehörend, zu dem u. A. auch Wilhelm Hauff zählte, eifriger Turner, kühner Reiter, tapferer Schläger, fehlte er doch in den Vorlesungen nicht und bezeichnete in späteren Jahren noch E. Schrader und K. G. Wächter als diejenigen Lehrer, denen er das Meiste dort verdankte. Gekrönt mit einem akademischen Preis und mit einem ehrenvollen Doctordiplom ausgestattet, verließ R. im August 1824 die Hochschule und trat für einige Monate, er, der spätere Volksvertreter und Mann der Freiheit, in den Posten eines Privatsecretärs bei dem württembergischen Gesandten, Staatsrath von Schmitz-Grollenburg in München ein. Es war das letzte Regierungsjahr des Königs Maximilian Josef I. von Baiern und bei Herrn v. Schmitz, dem Nestor der in München beglaubigten Diplomaten, ein lebhafter Verkehr der Collegen. Schmitz selbst damals beschäftigt mit den ersten Verhandlungen wegen der baierisch-württembergischen Zolleinigung und mit seinem Rath noch zugezogen bei der Ordnung der Verhältnisse der katholischen Kirche in Württemberg, für welche er im J. 1819 als Gesandter bei der Curie unmittelbar in Rom gewirkt hatte. Auf diese Weise bereichert durch manche Einblicke in weitere und größere Verhältnisse, welche sich Wenigen in so jungen Jahren erschließen, erhielt R. nach der Rückkehr in die Heimath und nach Erstehung seiner Referendärsprobezeit, im Mai 1826 eine Verwendung bei dem Secretariat des Justizministeriums, welche einige Monate später einen festeren Charakter annehmen sollte, als, durch die Beförderung Paul Pfizer’s (A. D. B. XXV, 669) auf eine höhere Stelle, der Posten erledigt wurde. R. zog es jedoch vor, auch jetzt noch unter der freundlichen Gönnerschaft des Justizministers Freiherrn v. Maucler (A. D. B. XX, 687), einer größeren litterarischen Unternehmung sich zuzuwenden: der Erforschung, Sichtung und Sammlung der württembergischen Rechtsquellen. So entstand der Plan zu der „Vollständigen, historisch und kritisch bearbeiteten Sammlung der Württembergischen Gesetze“, zu einem Werk, für welches R. selbst die 3 ersten Bände, enthaltend die „Staatsgrundgesetze“, die ausführliche geschichtliche Einleitung in dieselben und die gleichfalls umfangreiche Vorrede, in der Zeit von 1828 bis 1830 geliefert, für welches er aber die Verantwortung noch bis zu dessen Abschluß im J. 1851 fort zu tragen hatte, welches aber auch zuerst seinen Namen in weiteren Kreisen bekannt gemacht hat. Ihm verdankte er zunächst die Berufung auf ein Lehramt bei der Landesuniversität Tübingen, 1829, 23. Juli, als Privatdocent mit dem Titel als außerordentlicher Professor, 1831, 31. August, als wirklicher außerordentlicher und 1837, 25. Januar, als ordentlicher Professor. Er trat im Herbst 1829 das Amt an, nachdem er die letzten Wochen vorher noch zu einer Reise nach Paris benutzt hatte, wo eben das für die Restauration verhängnißvolle Ministerium Polignac an die Regierung gelangt war. Berufen wurde R. für deutsche und württembergische Rechtsgeschichte; seit seiner Anstellung als Professor umfaßte der Lehrauftrag deutsches und württembergisches Privatrecht, deutsches Staats- und Bundesrecht; statt der zuerst gelesenen Anfangscollegien über Naturrecht [362] und Rechtsencyklopädie wurde ihm 1839 Kirchenrecht übertragen; auch Institutionen und Geschichte des deutschen Privatrechts, Geschichte der württembergischen Verfassung finden sich in dem Verzeichniß seiner Vorlesungen. Redeübungen wurden in Verbindung mit der Vorlesung über Staatsrecht wiederholt veranstaltet. Als Lehrer war R. beliebt; seine Vorträge zwar mögen des unmittelbar anregenden Reizes entbehrt haben, waren aber erschöpfend, dem damaligen Stand der Wissenschaft entsprechend. Sein Freimuth, der Ausdruck einer wahrhaft unabhängigen Gesinnung, wurde von der akademischen Jugend bald erkannt und geschätzt, welcher hinwiederum der Professor das richtige Verständniß für den guten Kern und die idealen Ziele in ihrem studentischen Treiben entgegenbrachte. Das Rectoramt der Universität bekleidete R. von Ostern 1844 bis 1845. In diese Zeit fällt das gegen den Aesthetiker Friedrich Vischer eingeleitete Verfahren, dessen Antrittsrede in den Residenzkreisen Anstoß erregt hatte. Vermochte der akademische Senat von Vischer wenigstens die ihm anfangs drohende völlige Entfernung vom Amte, dagegen nicht die zweijährige Suspension von der Ausübung desselben fern zu halten, so waren Reyscher’s Bemühungen in einem zweiten, weniger bekannten Falle noch erfolgreicher, indem er einen jüngeren Collegen der katholisch-theologischen Facultät, der auf dem vorangegangenen Landtag sich zur Opposition gehalten hatte, durch die dem Ministerium gemachte Vorstellung, daß der angestrebte Frieden zwischen Staat und Kirche mit solchen Mitteln nicht zu erreichen wäre, vor der beabsichtigten Versetzung auf eine Pfarrei und überhaupt vor Weiterem bewahrt hat. Der damals bedrohte Gelehrte (Hefele) hat seither reichlich Gelegenheit gehabt und geübt, in einer hohen geistlichen Würde das Vertrauen der Regierung zu rechtfertigen. Von den litterarischen Arbeiten und Unternehmungen Reyscher’s aus dieser Zeit sind zunächst hervorzuheben: „Publicistische Versuche, mit besonderer Rücksicht auf württembergisches Staatsrecht“ 1832, „Sammlung altwürttembergischer Statutarrechte“, 1. Band 1834, „Die grundherrlichen Rechte des württembergischen Adels“ 1836, „Das gesammte“ – oder nach dem Titel der zweiten Auflage: „Das gemeine und – württembergische Privatrecht“, 3 Bände, 1837 bis 1848, endlich die von R. begründete, zuerst mit Wilda, später auch mit Beseler und zuletzt mit Stobbe herausgegebene „Zeitschrift für deutsches Recht und deutsche Rechtswissenschaft“, deren erster Band 1839, deren zwanzigster und letzter 1861 erschienen ist. In Tübingen trat R. zuerst in die Ehe im J. 1833 mit Emma, einer Tochter des Oberjustizprocurators Gmelin und Enkeltochter des Göttinger Professors Johann Friedrich G. (A. D. B. IX, 270); nach dem Tode dieser Gattin im J. 1842 vermählte R. sich zum zweiten Mal an Weihnachten 1844 mit Dorothea, der Tochter von Friedrich Christoph Dahlmann; aber auch diese Ehe wurde schon drei Jahre später, um Weihnachten 1847, durch deren frühen Tod wieder gelöst. Kurz darauf griffen die politischen Ereignisse auch in Reyscher’s Leben tief ein.

Bei der Tübinger, von Uhland verfaßten Adresse vom 2. März 1848, in welcher die Ausbildung der Gesammtverfassung Deutschlands im Sinn eines Bundesstaats mit Volksvertretung, die Revision der württembergischen Verfassung unter Herstellung einer ungemischt aus Volkswahlen hervorgehenden Abgeordnetenkammer, die Preßfreiheit, das Vereins- und Versammlungsrecht, Volksbewaffnung zur Sicherstellung gegen einen möglichen äußeren Feind, Oeffentlichkeit und Mündlichkeit der Rechtspflege u. A. gewünscht wurden, war R. wesentlich mit betheiligt. Auch am Vorparlament hatte er theilgenommen. Er unterlag bei der Wahl zum Parlament, erhielt dagegen im Herbst 1848 von dem Oberamtsbezirk Mergentheim das Mandat in die württembergische Abgeordnetenkammer. Auf dem sogenannten langen Landtag vom September 1848 bis August 1849 [363] war R. insbesondere als Mitglied der Commission für die Ablösungsgesetze und in der Kammer bei Berathung des Hauptfinanzetats thätig. Eine allgemeinere geschichtliche Bedeutung gewann in dem Reichsverfassungssturm vom April 1849 seine Betheiligung an der sog. Fünfzehner-Commission der Kammer. Das württembergische Märzministerium, mit Römer an der Spitze, wollte die vollständige und unverweilte Anerkennung der Reichsverfassung bei dem Könige durchsetzen; dieser jedoch verweigerte sie. Dem hierauf eingereichten Entlassungsgesuch der Minister wurde nicht stattgegeben und auf eine am 20. April durch eine Kammerdeputation persönlich vorgetragene Adresse, welche R. verfaßt hatte, von dem König Wilhelm erwidert: „Die deutsche Verfassung werde ich in meinem Lande durchführen, wie ich die Grundrechte zuerst eingeführt habe; aber dem Hause Hohenzollern unterwerfe ich mich nicht.“ In der Frühe des 23. April verlegte der Hof die Residenz von Stuttgart nach Ludwigsburg. Damit wurde die Krisis eine bedenkliche. Von zwei Seiten, von der des Hofs und von Seiten der Radicalen, sollen weitergehende Schritte erwogen worden sein: die Absicht des Königs sei gewesen, sich ins Ausland zu begeben, er habe eine Zeitlang auf einen militärischen Rückhalt bei einer Nachbarregierung gehofft; die radicale Partei dagegen steuerte auf eine Art Absetzung des Königs, auf die Einsetzung einer provisorischen Regierung los, was auch Schoder ziemlich deutlich in der Kammer öffentlich angekündigt hat. „Die Kammer ließ sich aber“, schreibt R. in seinen „Erinnerungen“ S. 148, „trotz der Unruhe, die sie umgab, nicht zu einem ungesetzlichen Schritt verleiten. Indessen wurde am 23. April eine Commission von 15 Mitgliedern niedergesetzt zu fortlaufender Berathung und Berichterstattung während der politischen Krisis. Da ich zufällig die meisten Stimmen hatte (65), so wählte mich die Commission zum Vorstande. Man hat diese Fünfzehnercommission später als einen Revolutionsausschuß verschrieen und besonders mir aus der Theilnahme an derselben einen Vorwurf gemacht. Mit Unrecht! Dadurch, daß die einflußreichsten Mitglieder der Kammer, und zwar aus verschiedenen Parteien, in dieser Commission vereinigt waren, wurde allerdings das Ansehen derselben gehoben und ein übereinstimmendes Handeln der Kammer selbst vorbereitet. Darin lag aber zugleich eine Bürgschaft, daß nicht zu weit gegriffen werde. In der That hat eine der Verfassung oder den Gesetzen widerstreitende Thätigkeit, namentlich ein Verkehr der Commission mit Deputationen oder Volksausschüssen, nicht stattgefunden. Die Minister wurden zu den wichtigsten Sitzungen stets eingeladen. Der Inhalt unserer Berathungen blieb kein Geheimniß. Die Protokolle, geführt von Hölder, (gest. als Minister des Innern 1887), sind in der ständischen Registratur aufbewahrt.“ Zunächst wurde die Krisis beendigt durch die am 24. April erfolgte, am 25. der Kammer von dem Gesammtministerium eröffnete unumwundene königliche Anerkennung der Reichsverfassung, einschließlich der Bestimmungen über das Reichsoberhaupt. Was diesen Entschluß bei dem Könige erwirkt hat, ob die eindringlichen Vorstellungen der Märzminister, welche andernfalls sich der Gefahr gegenüber sahen, weiter nach links gedrängt zu werden (vgl. „Die Gegenwart“, eine Wochenschrift, 1884, S. 105), oder die Bemühungen des ritterschaftlichen Abgeordneten Freiherrn v. Linden bei dem König unmittelbar oder das Versagen des nach unten demokratisch unterwühlten, in seinen Spitzen streng verfassungstreuen Militärs, wird jetzt kaum mehr sicher festzustellen sein. Es war eine der bittersten Stunden im Leben des Königs Wilhelm, die er niemals überwunden hat. Auch R. sollte dies später zu fühlen bekommen. Und doch muß man diesem Recht geben, wenn er in seinen „Erinnerungen“ schreibt: „Das Zusammenhalten des Ministeriums mit der Kammer und die schließliche Nachgiebigkeit der Krone haben damals das Land vor einer großen Verwirrung bewahrt. Nicht bloß die augenblickliche [364] Erregung wurde dadurch beschwichtigt, die Folge war auch, daß die Mehrheit der Kammer den späteren Versuchen, das Land in eine Umsturzbewegung zu verwickeln, Hand in Hand mit dem verfassungstreuen Ministerium entgegentrat.“ R. hat dabei die Reutlinger Volksversammlung vom 28. Mai 1849 und die mit der Uebersiedlung des Frankfurter Parlaments nach Stuttgart in Verbindung stehenden Vorgänge im Auge. Auf jener war das Bestreben dahin gegangen, die Revolution aus der bairischen Pfalz und aus Baden auch nach Württemberg herüberzuleiten. Das Rumpfparlament aber stellte gleich durch einen seiner ersten Beschlüsse am 8. Juni 1849, durch die Wahl einer Reichsregentschaft von 5 Mitgliedern, die Regierung und die Kammer abermals vor eine wichtige Entscheidung. Auch in diesen Fragen war R. als Vorstand der noch fortdauernden Fünfzehnercommission und Berichterstatter der staatsrechtlichen Commission vor anderen berufen seine Person einzusetzen, indem er treu und fest dem Ministerium Römer zur Seite blieb. Dies schloß nicht aus, daß R. es war, welcher den Antrag auf eine genaue Untersuchung der Vorgänge bei der Sprengung des Rumpfparlaments am 18. Juni 1849 eingebracht hat. Das Ergebniß der Untersuchung aber war „keine dem Ministerium oder dem von ihm dem Militär beigegebenen Civilcommissär zur Last fallende Verschuldung“. Bei den folgenden drei verfassungsberathenden Landesversammlungen vom 1. bis bis 22. December 1849, 15. März bis 3. Juli und 4. October bis 6. November 1850 zählte R. zu der ungefähr 15 Mitglieder umfassenden Minderheit, den Freunden des am 28. October 1849 abgetretenen Märzministeriums, welcher Minderheit auf der linken Seite 40 bis 50 Stimmen, auf der rechten einige wenige Ministerielle gegenüberstanden. Nachdem wie die beiden ersten, so auch die dritte jener zunächst zur Revision der Landesverfassung berufenen Versammlungen, und zwar diese wegen der Verweigerung der Geldmittel zum Zweck einer kriegerischen Aufstellung gegen Preußen in Kurhessen, aufgelöst worden war, mit dem Vorbehalt weiterer Verfügung zum Wohl des Landes auf Grund des § 89 der Verfassung, hatte die Landesversammlung in den von ihr noch gewählten ständischen Ausschuß auch R. berufen. Selbst diesen Ausschuß wollte die Regierung, das seit 2. Juli 1850 im Amte befindliche Ministerium Linden, nicht anerkennen. Seine Mitglieder wurden sogar wegen der von ihnen erhobenen Vorstellung gegen weitere verfassungswidrige Schritte der Regierung in eine Untersuchung gezogen, welche freilich durch gerichtlichen Beschluß vom 3. Mai 1851 wieder eingestellt werden mußte, unter Ueberweisung der Kosten auf die Staatskasse. R. aber, der sich durch die von ihm in diesen bewegten Jahren stets bewiesene unabhängige Denkart zuletzt den Haß von beiden Seiten, der Demokratie und der Reaction, zugezogen hatte, erhielt zu seiner und zur allgemeinen Ueberraschung am 31. März 1851 seine Versetzung auf eine Rathsstelle bei der Kreisregierung in Ulm unter ganz nichtigen Vorwänden, – ein Verfahren, das in gleich absoluter, dabei recht ungeschickter Weise im J. 1845 gegen Robert Mohl, im J. 1866 nochmals gegen Reinhold Pauli (A. D. B. XXII, 749, XXV, 271) eingeschlagen wurde und dem erst neuerdings durch Art. 19 des Beamtengesetzes vom 28. Juni 1876 für die Zukunft vorgebeugt worden ist. Es scheint, daß der persönliche Groll des Königs gegen R. dabei wohl mitgewirkt hat. Dessen Thätigkeit in der Fünfzehnercommission war unvergessen. Dazu kam folgender Vorfall: ein Jahr zuvor war in der „Deutschen Zeitung“ eine Correspondenz gestanden, welche in Stuttgart unangenehm berührte. Durch den Cabinetschef ließ der König bei R. anfragen, ob er der Verfasser sei, wobei ausdrücklich an seine Wahrheitsliebe und an seinen Muth appellirt wurde. R., welcher der Verfasser nicht war, erwiederte, auf eine so gestellte, einen Zweifel in die Aufrichtigkeit seiner Gesinnung aussprechende Frage [365] habe er den Muth und die Ehre, nicht zu antworten. – Auf die Eröffnung von seiner Versetzung erbat sich R., welchem wenigstens das Vertrauen seines Wahlkreises ungetrübt erhalten blieb, zunächst Urlaub, um seinen Sitz in der jetzt nach den früheren verfassungsmäßigen Bestimmungen wieder gewählten Abgeordnetenkammer einnehmen zu können. Als ihm aber der Urlaub verweigert wurde, nahm und erhielt er seine Entlassung, 5.–6. Mai 1851 (vgl. die Schrift: „Drei verfassungsberathende Landesversammlungen und mein Austritt aus dem Staatsdienste“ 1851). Im Munde seiner Freunde ist er darum doch stets der „Professor“ R. geblieben. Von Anträgen anderer Universitäten, welche ihm die Fortsetzung seiner Lehrthätigkeit ermöglicht hätten, vermochte ihn keiner ganz zu befriedigen. Er wählte deshalb den Beruf eines Rechtsanwalts und siedelte von Tübingen zuerst nach Stuttgart, dann 1853 nach Cannstatt über. Als Rechtslehrer hatte R. Fühlung mit der Rechtspraxis gesucht und darum 1845 den Vorsitz im Handelsschiedsgericht zu Reutlingen gerne übernommen. Jetzt gab ihm die Thätigkeit als Anwalt nicht selten Anregung zu weiteren wissenschaftlichen Arbeiten, von denen nur genannt werden sollen: „Der Rechtsstreit zwischen den Verwandten des zu Paris gestorbenen Karl Friedrich von Mecklenburg, Erbfolgerecht, zunächst gerichtliche Zuständigkeit und den Wohnsitz des Erblassers betreffend“, als Handschrift gedruckt Stuttgart 1856, „Rechtliches Gutachten in Betreff der Holzgerechtigkeiten der vormaligen Klosterorte Königsbronn, Itzelberg u. s. w.“ 1857, „Die Rechte des Staats an den Domänen und Kammergütern nach dem deutschen Staatsrecht und den Landesgesetzen, insbesondere der sächsischen Lande“, Leipzig 1863, „Der Rechtsstreit über das Eigenthum an den Domänen des Herzogthums Sachsen-Meiningen“, Leipzig 1865. R. hatte als Advocat meist gutächtlichen Rath zu ertheilen, die unmittelbare Vertretung einer Partei vor Gericht unternahm er nur selten. Die Redaction der Zeitschrift für Deutsches Recht und die Bearbeitung von Aufsätzen für diese erforderte gleichfalls noch bis 1861 viel Zeit und Arbeit. Auch in der Abgeordnetenkammer blieb er thätig; diese ehrte ihn besonders durch die Wahl in den weiteren ständischen Ausschuß und in eine Reihe von Commissionen, von welchen vier ihm den Vorsitz übertrugen. Gesundheitsrücksichten veranlaßten ihn, am 11. Juli 1855 das Mandat für den Oberamtsbezirk Mergentheim niederzulegen. Als jedoch das im J. 1857 zwischen der württembergischen Regierung und der Curie zustande gekommene Concordat mehr und mehr Beunruhigung in dem zu zwei Drittheilen evangelischen Lande erregte und die Frage jetzt vor den Ständen zur Erörterung gebracht werden sollte, erinnerte die Wählerschaft der gerade erledigten Abgeordnetenstelle der Stadt Stuttgart im September 1858 sich Reyscher’s, welcher in einer auf seine früheren kirchenrechtlichen Studien zurückgreifenden Schrift: „Das österreichische und das württembergische Concordat nebst den separaten Zugeständnissen, verglichen und beleuchtet“, 1858, die Bedenken dargelegt hatte, die das getroffene Abkommen principiell und in seinen einzelnen Bestimmungen, an einzelnen Stellen sogar wegen der fehlenden Uebereinstimmung zwischen dem deutschen und dem lateinischen Texte bei ihm erregte. „Das kanonische Recht solle damit in einem Umfang eingeführt werden, wie es niemals bei uns bestanden.“ Am 16. März 1861 fiel in der Kammer der Abgeordneten die Entscheidung gegen die Vereinbarung mit der Curie. Der Vorstand des Cultdepartements Rümelin nahm die Entlassung. Seinen Nachfolger Golther unterstütze R. darauf bei den Bemühungen, die staatsrechtlichen Verhältnisse der katholischen Kirche auf gesetzlichem Wege zu regeln, in allen wesentlichen Punkten. Vor dem Schlusse der diesbezüglichen ständischen Verhandlungen wußte R. es durchzusetzen, daß eine nun auch die mehr autonome Stellung der evangelischen Kirche bezweckende Eingabe von nahezu 100 evangelischen [366] Geistlichen der Regierung wenigstens zur Kenntnißnahme überwiesen wurde. Nach dem Schlusse des Landtages im J. 1862 fast einstimmig von der Stadt Stuttgart wieder gewählt, sah R. im December 1863 abermals durch eine Krankheit sich genöthigt, auf den Abgeordnetensitz zu verzichten.

Die Pflichten gegen das engere Vaterland hat R., wie das bisher Mitgetheilte zeigt, redlich erfüllt. Ein großer Theil seiner Schriften, seine ganze Lehrthätigkeit, sie bezogen sich auf das Recht und die Geschichte Württembergs. Die Theilnahme an den Arbeiten von 7 Landtagen und nach diesen noch im Frühjahr 1869 an der ersten evangelischen Landessynode zeugt genügend für seine Anhänglichkeit an die schwäbische Heimath. Aber noch höher stand ihm doch die Ehre, Freiheit und Einheit Deutschlands. Schon sein im Auftrag der Tübinger Juristenfacultät abgegebenes Rechtsgutachten in der hannoverschen Verfassungsfrage hatte zu Ende der dreißiger Jahre seinen Namen in alle deutschen Lande hinausgetragen. Und wenn die tapfere That der Göttinger Sieben im J. 1837 zuerst wieder in Deutschland den Sinn für die allgemeinen vaterländischen Dinge geweckt hat, so klang bei R. diese Saite fortan harmonisch mit, wo sie angeschlagen wurde. So ist auch seine Auffassung des Deutschen Rechts zu verstehen. Der Zweck seiner Zeitschrift insbesondere war, „nicht bloß einen Vereinigungspunkt für Untersuchungen im Gebiet des einheimischen Deutschen Rechts abzugeben, sondern auch zur Förderung eines nationalen Rechtsstudiums und damit zur Gründung einer vaterländischen Rechtswissenschaft mitzuwirken“. Auch die Germanistenversammlungen in den vierziger Jahren gewinnen, in solchem Lichte betrachtet, ein besonderes Ansehen, und R. ist es gewesen, der ihren Gedanken zuerst erfaßt hatte, auf dessen Betreiben wesentlich die erste im J. 1846 zu Frankfurt a. M. zu stande gekommen war. Wo von da an eine der großen Fragen aufgetaucht ist, an denen der vaterländische Sinn wach erhalten wurde, aus welchen nach und nach die deutsche Einheit herausgewachsen ist: die schleswig-holsteinische Angelegenheit nach dem offenen Brief des Königs Christian VIII. von Dänemark vom 8. Juli 1846, die Berufung des vereinigten Landtages in Preußen durch die Verfassung vom 3. Februar 1847, das Vorparlament in Frankfurt a. M. vom 31. März bis 3. April 1848, die Wahlen für die deutsche Nationalversammlung im Frühjahr 1848, später der Verfassungsstreit in Kurhessen, da war stets R. mit auf dem Plan und bereit, über die rechtliche und nationale Bedeutung dieser Fragen Licht und Klarheit unter den weniger Eingeweihten zu verbreiten. Als nach der Uebernahme der Regentschaft in Preußen durch den nachmaligen Kaiser Wilhelm I. am 9. October 1858 und nach dem durch den Frieden von Villafranca am 11. Juli 1859 vorschnell beendigten Krieg zwischen Oesterreich und Frankreich die Hoffnungen auf eine nationale Entwicklung in Deutschland neu sich belebten, war es von den Württembergern wieder zuerst R., der 1859 mit Heinrich v. Gagern, Gervinus, Häusser u. A. bei dem Comité für ein Nationaldenkmal des Reichsfreiherrn Karl vom Stein sich betheiligte und neben Rudolf v. Bennigsen, Schulze-Delitzsch, Karl Brater in den Ausschuß des neu gegründeten Nationalvereins eintrat. Zum Steindenkmal hat auch König Wilhelm von Württemberg einen Beitrag von 1000 Gulden gespendet. Der Nationalverein aber bildete hier lange Zeit noch bei der Regierung und bei der Bevölkerung einen Gegenstand des Mißtrauens, Beamten gegenüber selbst der Verfolgung. Erst 1861 gewann der Verein mehr Anhänger in Württemberg. Nun konnte R., wie seine Gesundheitsverhältnisse es wünschenswerth machten, wenigstens von dem Wirken im Ausschusse eher sich zurückziehen, in dessen Auftrag er u. A. noch im J. 1861 eine Schrift über die Bundeskriegsverfassung veröffentlicht hatte. Im Jahr 1866 jedoch ließ es den alten Publicisten nicht ruhen; er mußte in einer Reihe von Artikeln, welche zuerst in der Schwäbischen [367] Volkszeitung, später erweitert und wiederholt aufgelegt in einer eigenen Broschüre erschienen sind, über „Die Ursachen des Deutschen Kriegs und dessen staatsrechtlichen Folgen“ auch seine Ansichten im Gegensatz zu denen der Mehrzahl seiner leidenschaftlich erregten Stammesgenossen offen kundgeben. In dem Zollparlament fand R. so wenig einen Platz, als irgend ein anderes Mitglied der deutschen Partei in Württemberg. Doch war ihm beschieden, Größeres mit zu erleben, das einige und geeinte Deutschland, Kaiser und Reich wieder erstehen zu sehen und in den ersten deutschen Reichstag als Vertreter seines Heimathbezirks mit einziehen zu dürfen. Gesprochen hat er dort nur dreimal. Mit großer Aufmerksamkeit folgte er den für die Neugestaltung des Reichs so wichtigen Verhandlungen der ersten Session bis zu deren Ende, wo er freudig bewegt in Berlin am 16. Juni 1871 dem Triumphzug der aus dem Kriege mit Frankreich heimkehrenden Truppen als Zeuge anwohnte. Glücklich darüber, in seinen alten Tagen erfüllt zu sehen, wofür er als Jüngling geschwärmt, als Mann gestritten hatte, trat er, durch die Wiederkehr der älteren Leiden ernstlicher gemahnt, am 12. Mai 1872 von dem parlamentarischen Kampfplatz entgültig ab. Kurze Zeit nachher gab er auch den Beruf als Rechtsanwalt auf. Eine seiner letzten Handlungen in dieser Eigenschaft war die Abfassung des Testaments der Königin-Mutter Pauline, welche ihn, den noch König Wilhelm als einen unabhängigen Mann bezeichnet und zu welchem die hohe Frau das meiste Vertrauen habe, zu sich rufen ließ, um ihre letzte Willensmeinung ihm kund zu thun. Auch hierin lag eine versöhnende, alle Theile ehrende Ausgleichung für frühere bittere Erfahrungen. – Das Verzeichniß der wissenschaftlichen und politischen Schriften Reyscher’s umfaßt, ohne Einrechnung der kleineren Recensionen und biographischen Arbeiten, 80 Nummern. In seiner letzten Mußezeit bearbeitete er noch für die Allgemeine Deutsche Biographie die Artikel über Johann Friedrich v. Cotta (IV S. 526) und Christian Gottfried Elben (VI S. 1). Außerdem entstand in diesen Jahren als Erweiterung des von ihm 1869 für die Familie verfaßten und gedruckten Familienbuchs das umfangreiche Manuscript der „Erinnerungen aus alter und neuer Zeit von A. L. Reyscher“, das bis zum Jahr 1878 fortgeführt ist und die Hauptgrundlage für das von dem Verfasser gegenwärtigen Artikels im J. 1884 herausgegebene, in der akademischen Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr zu Freiburg i. Br. und Tübingen erschienene Buch gleichen Titels bildet. Am 6. October 1874 beging R. die Feier seines Doctorjubiläums; es war gewissermaßen sein Abschied vom öffentlichen Leben. Fortan gehörte er fast ausschließlich seinen Kindern an, von welchen zwei die Wohnung mit ihm theilten, zwei Töchter am gleichen Orte den eigenen Herd gegründet hatten. R. hat in seinem Leben manche Krankheit durchgemacht, ist oft längere Zeit leidend gewesen; – schon 1841 feierten die Studirenden seine Genesung mit einem Fackelzug. Er erhielt sich aber durch eine einfache Lebensweise, durch viele körperliche Bewegung und, wenn es ernster zu werden drohte, durch Wasserkuren. Den Pindar’schen Spruch, daß Wasser das Beste sei, findet man öfter in seinen Aufzeichnungen. Bald zur Wiederherstellung der angegriffenen Gesundheit, bald zur Erholung und Stärkung, bald auch nur zum Studium von fremder Art und Sitte, dann wieder zum Naturgenuß wurde gar manche Reise ausgeführt, und den Zug aufs Land hinaus, zum Begehen von Feldern und Wäldern, zum Verkehr mit dem Volke hat er von seiner Kindheit an behalten. Sein Aeußeres blieb lange unverändert das eines kräftigen frischen Mannes; daß er in den Jahren schon weiter vorgerückt sei, ließ dasselbe nicht ahnen. Erst seitdem ihn vom September 1877 an Schwindelanfälle immer häufiger heimsuchten, machte sich das Greisenalter in seinem Aussehen kenntlich. Doch erhielt sich seine aufrechte Haltung, sein Gedächtniß, die Klarheit des Geistes bis zu seinem Tode, der um die Mittagstunde [368] des 1. April 1880 fast plötzlich an ihn herantrat. Ein interessantes reiches Leben hat damit sein Ende erreicht, auf welches aber auch der Goethe’sche Wahlspruch paßt, den er selbst an die Spitze seiner Erinnerungen gestellt hat: „Nur der verdient die Freiheit und das Leben, der täglich sie erobern muß.“ R. war eine edel angelegte Natur mit einem Zug zum Idealen, wenn schon die menschliche Unvollkommenheit auch bei ihm sich fühlbar machte. Ein Grundzug seines Wesens war die volle Hingabe ans Vaterland. Wahrheit und Recht gingen ihm über Alles und bedingten seine Unabhängigkeit und Selbständigkeit auch gegenüber von politischen Rücksichten und Parteitaktik. „Ich liebte zu wenig den Schein und zu sehr die eigene Freiheit, um mich absonderlichen Parteizwecken und Clubbeschlüssen ein für allemal unterzuordnen.“ Fest in den eigenen Grundsätzen und bereit, dafür einzustehen, blieb er duldsam gegen Andersdenkende; Gelehrtendünkel war ihm fremd. Den Freunden bewahrte er Treue, seine Liebe gehörte der Familie. Wohl bewußt der Vergänglichkeit alles Irdischen, vertraute er gläubig auf die Fügungen der göttlichen Vorsehung. Wir schließen mit den letzten Worten seiner „Lebenserinnerungen“: „Noch halte ich mich aufrecht und folge mit Theilnahme der weiteren Entwicklung unserer vaterländischen Angelegenheiten. Aber ich weiß auch, daß es ein Ende mit mir nehmen wird, daß das Leben ein Ziel hat und ich davon muß. Einstweilen preise ich meinen Schöpfer, der mir bisher Kräfte gegeben hat, und danke ihm besonders dafür: „Daß ich in Glück und Unglücksschein – Stets konnte guten Muthes sein!“