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Artikel „Hölder, Julius (von)“ von Eugen Schneider in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 50 (1905), S. 446–448, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:H%C3%B6lder,_Julius_von&oldid=- (Version vom 6. Oktober 2024, 00:14 Uhr UTC)
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Hölder: Julius (von) H., württembergischer Volksmann und Minister, ist am 24. März 1819 in Stuttgart als Sohn des nachmaligen Directors im Kriegsministerium Eberhard Ludwig H., eines sehr conservativen Mannes, geboren. Schon auf dem Stuttgarter Gymnasium Mitglied eines für die Freiheit und Einheit Deutschlands schwärmenden Turnvereins, betheiligte er sich auf der Hochschule zu Tübingen lebhaft an der verbotenen Burschenschaft, studirte die Rechtswissenschaft und trat 1841 in den Staatsdienst. Nach kurzer Thätigkeit in Stuttgart, wo er sich freisinnigen Männern wie Friedrich Römer und Albert Schott anschloß, wurde er nach der alten Fürstpropststadt Ellwangen versetzt. Immer mehr rückte er zur äußersten Linken; als die Wahlen zur deutschen Nationalversammlung herankamen, wurde er von dieser Seite als Ersatzmann aufgestellt. Er fiel durch und mußte sich wegen seiner Haltung von dem Justizministerium verwarnen lassen. Das Märzministerium des Jahres 1848 berief ihn mit anderen begabten Männern der Linken als Regierungsrath in das Ministerium des Innern. Das hinderte ihn nicht, im Juli bei der Trennung der Linken in den Volksverein und den gemäßigteren vaterländischen Verein mit dem ersteren zu gehen. Seine amtliche Thätigkeit [447] erstreckte sich namentlich auf die Gesetzgebung zur Ablösung der Feudallasten; auch die Ablösung der Thurn- und Taxis’schen Posten durch den Staat hat er eingeleitet. Im Frühjahr 1849, als er eben wahlfähig wurde, sandte ihn das Amt Stuttgart in die Abgeordnetenkammer. Mit aller Entschiedenheit trat er für Annahme der Reichsverfassung ein; er wurde Schriftführer des Fünfzehnerausschusses der Kammer, der die Annahme mit allen Mitteln herbeiführen sollte, hütete sich aber, als dessen Schritte die Grenze der Gesetzlichkeit zu überschreiten drohten, ein Protokoll weiter zu führen. Schon damals zeigte sich, daß er bei aller Bestimmtheit der Anschauung von Gewalt nichts wissen wollte. Das Märzministerium verschwand im October 1849; im Juli 1850 ergriff der thatkräftige Freiherr von Linden die Zügel der Regierung; er versetzte den feurigen Regierungsrath zu der politisch einflußlosen Ablösungscommission. Dieser war inzwischen bei der Wahl zur ersten constituirenden Landesversammlung im Sommer 1849 gegen den vaterlandsvereinlichen Dichter Gustav Pfizer unterlegen, aber im Februar 1850 in die zweite gewählt worden. Jetzt, im September, fiel er bei der dritten wieder durch. 1852 versuchte er es noch einmal vergeblich gegen einen Regierungscandidaten, den nachmaligen Finanzminister Renner, durchzudringen; jetzt sollte er zur Strafe wieder nach Ellwangen versetzt werden. H. nahm seine Entlassung aus dem Staatsdienste, die ihm sehr gerne ertheilt wurde (Januar 1853). Uebrigens hatte er sich von der äußersten Linken getrennt, als diese den Versuch machte, die Revolution nach Württemberg zu verpflanzen.

H. ließ sich in seiner Heimathstadt als Rechtsanwalt nieder und widmete zugleich seine Dienste der Stuttgarter allgemeinen Rentenanstalt, die ihm sehr viel zu verdanken hat. Bald durfte er in den Bürgerausschuß, 1863 in den Gemeinderath der Stadt eintreten und erwarb sich das allgemeine Vertrauen seiner Mitbürger. Die erwünschte Gelegenheit, sich wieder am politischen Leben zu betheiligen, bot ihm die Wahl in die Landtage von 1856–1868 durch das Oberamt Besigheim, dann bis 1881 durch Göppingen. Es gelang seinem vermittelnden Wesen, die Altliberalen und die Demokraten zur Abwehr reactionärer Bestrebungen zu vereinigen. Er gehörte zu denjenigen, die 1857 das Concordat mit dem päpstlichen Stuhle lebhaft bekämpften. Sein Hauptsieg war die Ablehnung einer Nachtragsentschädigung für die Standesherren wegen ihrer durch die Ablösungsgesetzgebung erlittenen Verluste und die Annahme des Complexlastengesetzes von 1865, die eine große Anzahl von Grundbesitzern des Landes zur Widmung eines Pocals an ihn begeisterte mit der Inschrift: Der freie Bauer dem Bannerträger seiner Entfesselung. Hatte H. zuerst die Neugestaltung Deutschlands durch eine Bundesreform erhofft, so erklärte er sich 1861 für den Nationalverein und gehörte zu den Gründern und Ausschußmitgliedern des zuerst 1862 in Weimar zusammengetretenen deutschen Abgeordnetentags, der in den Kammern für den nationalen Gedanken wirken wollte. Der Frankfurter Tag von 1863, bei dem der Nationalverein zusammen mit dem großdeutschen Reformverein für die Rechte des Augustenburgers auf Schleswig-Holstein eintrat, vereinigte noch einmal auch die württembergischen Parteien. Im März 1864 trat die endgiltige Spaltung ein, da H. mit seinen Freunden immer mehr die Lösung der deutschen Frage bei Preußen suchte. Er war einer der wenigen, die 1866 gegen die Bewilligung von Mitteln zum Krieg stimmten. Als im Sommer dieses Jahres die deutsche Partei in Württemberg erstand, war H. ihr gegebener Führer und blieb es, bis er Kammerpräsident wurde. Er war 1867 die Hauptstütze der Regierung in der Kammer bei Annahme der Verträge mit Preußen. Bei den Zollparlamentswahlen von 1868 ist H. mit seiner ganzen Partei unterlegen. Im December 1870 erlebte [448] er die Genugthuung, daß er als Berichterstatter im Landtag den Eintritt Württembergs in das Deutsche Reich begründen durfte. Dem ersten Reichstag gehörte H. als Abgeordneter des 10. württembergischen Wahlkreises an; 1875 und 1878 wurde er in Stuttgart gewählt. Er trat der nationalliberalen Partei bei, trennte sich aber 1879 mit Völk und Schauß von ihr wegen ihrer Spaltung in der Zollpolitik.

Die Errichtung des Reichs erhöhte natürlich Hölder’s Einfluß in der Heimath. 1872 wurde er zum Vicepräsidenten, 1875 zum Präsidenten der Abgeordnetenkammer ernannt. Am 18. October 1881 erfolgte seine Berufung zum Minister des Innern. Das Land erwartete von ihm, daß er an die Fragen der Veränderung der Verfassung und der Verwaltung Württembergs mit Entschiedenheit herantrete und in dem von ihm als Abgeordneten vertretenen Sinne behandle. Zu Stande gekommen sind unter seiner Leitung außer einigen Ausführungsgesetzen solche über Farrenhaltung, Gemeindeangehörigkeit, Feldbereinigung sowie eine Feuerlöschordnung. In der Frage der Verfassungsänderung fehlte ihm selbst noch ein bestimmter Plan, umsomehr als die Leitung hierin nicht ihm zukam; entschieden lehnte er die Verwandlung der zweiten Kammer in eine reine Volkskammer ab und dachte an eine Vermehrung der ersten durch weitere lebenslängliche und erbliche Mitglieder. Auch die Verwaltungsordnung stand nicht in festen Zügen vor ihm; doch wurde ein Entwurf derselben ausgearbeitet. Sie zerfiel in eine Gemeinde- und Bezirksordnung. Die erstere behielt die Lebenslänglichkeit der Ortsvorsteher bei und wies den Höchstbesteuerten Sitze im Gemeinderath zu. Von den beiden bürgerlichen Collegien, Gemeinderath und Bürgerausschuß, sollte der letztere als der zweiten Kammer entsprechend den Haupteinfluß ausüben. Die Bezirksordnung beließ die Verwaltung den Amtskörperschaften und räumte auch in diesen den Höchstbesteuerten Rechte ein. Für den staatlichen Theil der Verwaltung sollte ein Bezirksrath dem Oberamtmann an die Seite gesetzt werden. Ein Lieblingsgedanke Hölder’s war, die vier Kreisregierungen des Landes aufzuheben und dafür vier bis sechs Oberämter zu einem Bezirk zusammenzufassen. Der Tod Hölder’s, der am 30. April 1887 nach längerem Leiden erfolgte, verhinderte die Weiterberathung der Entwürfe.

Auf seinem Grabe erhebt sich ein Denkmal mit der Inschrift: Julius Hölder, dem schwäbischen Volksmann, dem Vorkämpfer für Deutschlands Einheit, von den Freunden. Ein glühender Vaterlandsfreund, ein reiner Charakter, ein vertrauenswürdiger Führer nimmt H. einen Ehrenplatz in der Geschichte der deutschen Einheitsbestrebungen ein; ein tüchtiger und ehrlicher, dabei behaglicher und etwas schwerfälliger Kernschwabe war er mehr da am Platze und ist mehr nur da verstanden worden, wo ihm verwandte Gesinnung entgegentrat.

Handschriftliche Aufzeichnungen. – W. Lang, J. Hölder (Preußische Jahrbücher 1888, S. 213 ff. = Von und aus Schwaben, Heft 6). – Schwäbische Kronik 1887, S. 1573.