ADB:Linden, Joseph Freiherr von

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Artikel „Linden, Joseph Freiherr von“ von Eugen Schneider in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 51 (1906), S. 719–721, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Linden,_Joseph_Freiherr_von&oldid=- (Version vom 19. März 2024, 10:02 Uhr UTC)
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Linden: Joseph Freiherr von L., der Sproß eines alten katholischen Adelsgeschlechts, ist am 7. Juni 1804 als Sohn eines Assessors am Reichskammergericht geboren, der nach dessen Aufhebung nach Württemberg übersiedelte. Er studirte in Tübingen die Rechtswissenschaft, ging auf Reisen und trat dann in den Staatsdienst. Nachdem er seit 1830 als Richter in Ellwangen, Kirchheim und Ulm gewirkt hatte, wurde er 1842 zum Director des katholischen Kirchenraths ernannt; bei seiner milden, versöhnlichen Haltung gelang es ihm gegenüber den sich damals schon regenden klerikalen Ansprüchen die Rechte des Staates zu wahren. 1847 wurde er zugleich Mitglied des Staatsraths.

Von besonderer Wichtigkeit war für L., daß er 1839 von seinen Standesgenossen zum ritterschaftlichen Abgeordneten für den Landtag gewählt wurde. Seine Vielseitigkeit, Schlagfertigkeit und Redegewandtheit machten ihn bald zu einem Führer der ministeriellen Partei. Als der Sturm des Jahres 1848 kam, lenkte König Wilhelm von Württemberg, der den allgemeinen Forderungen wenigstens etwas entgegenkommen wollte, seinen Blick auf Linden als Nachfolger des strengen, etwas gewaltthätigen Ministers Schlayer. Aber der Landtag, der davon gehört hatte, wirkte dahin, daß das liberale Märzministerium ans Ruder kam. L. selbst bot der radicalen Strömung Trotz, entschloß sich aber doch, durch seinen persönlichen Einfluß den König zur unbedingten Annahme der Reichsverfassung zu bewegen, als er sah, daß nur dadurch das Uebergreifen der Revolution auf Württemberg verhindert werden konnte. Allerdings hatte er zu der Voraussetzung gerathen, daß die Annahme durch alle deutschen Fürsten erfolge. Als die Bewegung immer stärker wurde [720] und sogar das Märzministerium die Mehrheit im Landtag verlor (August 1849), zog der König wieder L. zu Rathe. Dieser hielt es für unklug, die Versuche der Verfassungsdurchsicht zu stören, die die zum ersten Mal durch allgemeine Wahlen (Gesetz vom 1. Juli 1849) erkorene eine Kammer anstellen sollte. Die Weigerung des Königs dem von Preußen angeregten Dreikönigsbündniß beizutreten, führte zum Sturz des Märzministeriums. Noch hielt sich L. zurück und überließ das Ministerium wieder Schlayer, dem es aber nicht gelang, die Kammer willfährig zu machen. Nachdem Schlayer entlassen war, trat endlich L. am 2. Juli 1850 an die Spitze des Ministeriums; er selbst übernahm darin das Innere, zeitweilig auch das Aeußere; am 20. September 1852 wurde er zum wirklichen Minister ernannt. Sofort löste L. die Kammer auf. Groß war die Ueberraschung, als er ihr nach den Neuwahlen einen Verfassungsentwurf[WS 1] vorlegte, der entschiedener liberal war, als der Schlayer’s. Er entfernte die Prinzen und Standesherrn aus der ersten Kammer, die Privilegirten aus der zweiten, führte zwar die mittelbare Wahl wieder ein, dehnte aber das Wahlrecht sehr weit aus. Zugleich enthielt der Entwurf Gleichstellung der Religionsbekenntnisse, Preßfreiheit, Zuständigkeit der Schwurgerichte bei Preßvergehen, freies Vereins- und Versammlungsrecht, Civilehe, Einsetzung eines Staatsministeriums an Stelle des Geheimeraths. Da L. sich bald darauf redlich bemühte, die Früchte der Revolutionszeit auszurotten, so begreift sich der Verdacht von Zeitgenossen und Späteren, daß es ihm mit diesem Entwurf nie Ernst gewesen sei. Der Widerstand, den die Kammer der deutschen Politik der Regierung leistete, führte zum Zwiespalt. Ein württembergischer Gesandter nahm wieder an den Sitzungen des Bundestags theil. Als wegen des Streits um Kurhessen Oesterreich Rüstungen verlangte, stellte sich L. völlig auf den Boden des Bundesprincips und löste die Kammer, die das Geld zu Rüstungen nicht bewilligte, auf, da ihr Beschluß mit der verfassungsmäßigen Stellung des Königs im Bunde nicht vereinbar sei. Ja er benützte diese Gelegenheit, um das radicale Wahlgesetz vom 1. Juli 1849 für aufgehoben zu erklären und zur Verfassung von 1819 zurückzukehren. Die Gerichte erklärten diesen Schritt für gesetzmäßig und die Kammer hat ihn später selbst gebilligt. Aber daß ihn L. damals that, beweist, daß er der Reaction ungehindert Einlaß gewähren wollte. Auch bei den Dresdener Conferenzen über die Bundesverfassung wirkte L. für Wiederherstellung, wenn auch zugleich für Einsetzung einer Nationalvertretung am Bunde; ja er ließ in Württemberg die Aufhebung der deutschen Grundrechte verkündigen, wogegen freilich die Kammer durchsetzte, daß sie nachträglich um ihre Zustimmung angegangen wurde.

Der neuen Kammer legte L. im Januar 1851 einen Verfassungsentwurf vor, der dem Grundbesitz große Rechte einräumte und neben Vertretern desselben und der Kirchen die königlichen Prinzen und eine Anzahl „vom König zu bestimmender Mitglieder“ in der ersten Kammer vereinigte, während die zweite nur aus den durch 3 Wahlmännerclassen gewählten Abgeordneten der Oberämter bestehen sollte. Daß dieser Entwurf damals nicht Gesetz werden konnte, war selbstverständlich, er sollte nur den gänzlichen Rückzug der Regierung bemänteln. Sie erklärte denn auch bald genug, daß die öffentlichen Verhältnisse Deutschlands eine bestimmtere Richtung und Gestalt gewonnen haben, deren Ergebnisse der einzelne Bundesstaat anerkennen müsse; das Bedürfniß einer Totalrevision der Verfassung werde unter den jetzigen Verhältnissen mit Grund bezweifelt. „Die Wiederaufrichtung der alten Verfassung“, sagt D. Fr. Strauß, „wurde der Handhabung eines Ministeriums anvertraut, das ihre Befruchtung und weitere Ausbildung im Sinne der neuen Bedürfnisse [721] möglichst zu hintertreiben wußte und auf dem letzten Abschnitt der Regierung des Königs wie ein lähmendes Bleigewicht lastete“. Dazu kamen mancherlei Strafversetzungen und sonstige persönliche Maßregeln, die den Druck der Regierung empfinden ließen.

Die Kammer kämpfte nach Kräften. Sie verwarf ein Gesetz, das die Entschädigungen für abgelöste Gefälle und Zehnten erhöhen sollte, eine Gemeindeordnung, die eine staatliche Bestätigung der Gemeinderäthe einführen wollte. Auch das Concordat mit dem päpstlichen Stuhle, für das L. lebhaft eintrat, scheiterte an ihrem Widerstand. Doch ist nicht zu vergessen, daß die Gewährung der Gewerbefreiheit, die Einführung der Handelskammer, die Feldregulirung, die Ablösung des Postregals von Thurn und Taxis auch in diese Zeit fallen. Als Minister war L. durch und durch ein Mann der alten Schule, gewissenhaft und streng das Hergebrachte festhaltend und durchsetzend, dabei persönlich makellos und wohlwollend.

Bald nach König Wilhelm’s Tod wurde L. (21. Septbr. 1864) in den Ruhestand versetzt. Im December 1865 wurde er noch Gesandter beim Bundestag und machte dessen Erlöschen mit. Die Wendung der deutschen Sache riß L. mit sich. Schon 1868 als Zollbundesrath in Berlin erkannte er an, wie eine Gesammtvertretung des deutschen Volkes gegenüber particularistischer Selbstsucht der Regierungen das allgemein Beste zu fördern geeignet sei. 1870 erklärte er sich auf Anfrage bereit eine Präfektur in Frankreich zu übernehmen. Er erhielt das Departement der Marne zugewiesen und zeichnete sich bei seiner Verwaltung durch feinen Takt und Menschenkenntniß aus. Mit jugendlicher Begeisterung erstattete er in der Kammer der Standesherrn, der er seit 1868 als sehr geschätztes auf Lebenszeit ernanntes Mitglied angehörte, den Bericht über den Eintritt Württembergs in das Deutsche Reich. Er wurde allmählich ein warmer Förderer des staatlichen Fortschritts und hob immer wieder den nationalen Gesichtspunkt hervor. Nur einmal noch regte sich der alte Geist: als der Aesthetiker Fr. Vischer seinem Freunde D. Fr. Strauß eine Gedenkrede gehalten hatte, verlangte L., freilich ohne Erfolg, seine Maßregelung. Im ganzen war er versöhnt mit dem Gang, den die Dinge auf dem Gebiet der Cultur, wie der Politik genommen hatten, und die Oeffentlichkeit mit ihm.

Unter seinen Standesgenossen war L. hochgeehrt, er war viele Jahre Vorstand des St. Georgen-Vereins. Sein Privatleben war sehr glücklich; mit seiner Gemahlin Emma Freiin v. Warthausen durfte er über 60 Jahre verbunden sein. Als seine Kräfte schwanden, zog er sich 1893 von der Kammer der Standesherren zurück und lebte ganz auf seinem Rittergut Neunthausen im Schwarzwald. Der Tod überraschte ihn am 31. Mai 1895 bei einem Besuch seiner Tochter auf Gut Hebsack bei Freiburg i. B.

Schwäbische Kronik 1895, Nr. 128. – v. Pflugk-Harttung, Das württemb. Ministerium Linden (Histor. Taschenbuch 6. Folge, 7. Jahrg. S. 1) und Die Anfänge des württ. Ministeriums Linden (Historische Zeitschrift 17, 30). – E. Schneider, Württembergische Geschichte S. 466 ff.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Verfassungsentwuf