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Artikel „Pauli, Reinhold“ von Alfred Stern in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 25 (1887), S. 268–273, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Pauli,_Reinhold&oldid=- (Version vom 3. Dezember 2024, 17:56 Uhr UTC)
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Band 25 (1887), S. 268–273 (Quelle).
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Pauli: Reinhold P., geb. am 25. Mai 1823 zu Berlin, † am 3. Juni 1882 zu Bremen. Sein Vater gehörte einer Familie an, aus der sich viele Abkömmlinge den theologischen Studien, wie dem Dienste der Kirche gewidmet hatten. Er bekleidete selbst eine Predigerstelle, zuerst an der Werder’schen Kirche in Berlin, dann, entschlossen sich dem Vorgehen des Kirchenregimentes im Agendenstreit nicht zu beugen, nach Aufgabe seines bisherigen Amtes, in Bremen. Die Mutter stammte aus einem Kaufmannshause, dessen Name Humbert auf hugenottischen Ursprung hindeutete. Der Knabe war erst drei Jahre alt, als die Uebersiedelung der Eltern nach Bremen stattfand. Dort in der alten Hansestadt wuchs er auf und erhielt er größtentheils seine Jugendbildung. Nur in den beiden letzten Schuljahren besuchte er das Friedrich-Wilhelms-Gymnasium seiner Vaterstadt Berlin. Auch begann er hier 1842 seine Studien, die sich besonders auf Philologie und Geschichte erstrecken. Schon als Gymnasiast hatte er bei Ranke zu hospitiren gewagt; dieser übte als akademischer Lehrer und wissenschaftliches Vorbild die tiefste Wirkung auf ihn aus. Während des einen Universitätsjahres, das er in Bonn verbrachte, fühlte er sich besonders durch Dahlmann angezogen. Am 26. Aug. 1846 erhielt er in Berlin nach Einreichung einer Dissertation De pace Antalcidea die philosophische Doctorwürde und bestand gegen Ende des Jahres das Examen vor der wissenschaftlichen Prüfungscommission. Seine Absicht war den Lehrerberuf in Preußen zu ergreifen, wo er nicht ohne Mühe die Staatsangehörigkeit wiedererlangt hatte. Aber eine Empfehlung Trendelenburg’s verschaffte ihm im Frühling 1847 eine Hauslehrerstelle in der Familie des Rechtsanwaltes Bannatyne zu Glasgow, und damit trat die Wendung seines Lebens ein, die ihn einem anderen Ziele entgegenführte. Englische Sprache und Litteratur hatte er im Verein mit Nikolaus Delius und Otto Gildemeister längst gepflegt und studirt. Englische Geschichte in ihrem Gesammtumfange von den Ursprüngen an zu durchforschen, wurde nun der Gegenstand seines unermüdlichen Strebens. Acht Jahre verweilte er jenseits des Kanals, nur ein Jahr in der anfänglichen Stellung, die übrige Zeit unter mehrfachem Wechsel des Aufenthaltes, durch Edinburg, Oxford, Cambridge, vorzüglich aber durch London gefesselt. Er mußte sich aus eigenen Mitteln erhalten und sich manche Entbehrung auflegen. In London hatte er aber das Glück, vom Beginne des Jahres 1850 an, über zwei Jahre als Privatsecretär des preußischen Gesandten, des Freiherrn v. Bunsen, in dessen Hause verweilen zu dürfen und wie ein Mitglied der Familie betrachtet zu werden. Er hat ihm selbst im dritten Bande dieses Werkes (A. D. B. III, 541 ff.) ein schönes biographisches Denkmal gesetzt und immer in freudiger Erinnerung hervorgehoben, was er jener höchst anregenden Zeit verdankte. Das Zusammensein mit dem hochgestellten und geistvollen Manne, der Verkehr mit den Größen der englischen Politik, Wissenschaft und Litteratur, die sich in den gastlichen Räumen zu Carlton-Terrace ein Stelldichein gaben, der Einblick in das bunte, wenn auch keineswegs immer erfreuliche Getriebe der großen Welt, alles das erweiterte seinen Gesichtskreis, ohne daß er sich dadurch von der hohen, ihm vorschwebenden Aufgabe hätte abziehen lassen. Um ihrer Lösung seine beste Kraft zu widmen, gab er die Stelle in Bunsen’s Hause wieder auf und fuhr fort, in Archiven und Bibliotheken den Quellen der englischen Geschichte nachzuspüren. Die erste Frucht seiner Studien wurde Bunsen gewidmet. Es war das Buch „König Aelfred und seine Stelle in der Geschichte Englands“, das bereits 1851 erschien. Nach dem Vorwort war der Plan dieser Arbeit zu Oxford entworfen, „im November des [269] inhaltschweren Jahres 1848, zu einer Zeit, da deutsche Herzen wie selten zuvor für die Erhaltung des Vaterlandes und insbesondere für das Fortbestehen desjenigen Staates erzitterten, den der Himmel zum Schutz und Hort Deutschlands bestimmt hat“. In König Aelfred sah der Verfasser eine jener rettenden, heroischen Gestalten, wie er sie seinem deutschen Vaterlande wünschte. Insofern war die Auswahl des Themas nicht ohne Zusammenhang mit den Erschütterungen der Gegenwart, die ihn auf’s tiefste ergriffen. Aber der Schüler Ranke’s ließ dies nicht auf seine Darstellung einwirken. In objectiver Weise, mit umsichtiger Kritik der Quellen erhob er die geschichtliche Persönlichkeit des großen Königs aus dem Nebel von Sagen, der sie umfloß. Das Werk wurde in’s Englische übersetzt und in Deutschland wurde es durch seinen väterlichen Freund, Lappenberg, warm begrüßt. Dieser vorzügliche Gelehrte wußte denn auch, als die Zunahme seines Augenleidens ihn zwang, auf die Fortsetzung der „Geschichte von England“ in der Heeren-Ukert’schen Sammlung zu verzichten, keinen geeigneteren Ersatzmann zu empfehlen als P. Der 3., 4. und 5. Band des Werkes (1853, 1855, 1858) trägt Pauli’s Namen und bleibt das bedeutendste Monument, das er hinterlassen hat. Er hat die Geschichte Englands durch drei und ein halbes Jahrhundert von 1154–1509 fortgeführt und dies in einer Weise, welche seine Leistung für die Engländer selbst zu einer bewundernswerthen machte. Die größte Schwierigkeit, die er durch eisernen Fleiß zu überwinden wußte, ging aus der Beschaffenheit des Quellenmaterials hervor. Noch war in England sehr wenig für kritische Sammlung und Herausgabe der mittelalterlichen Urkunden und Chroniken gethan. Er mußte vielfach die Handschriften selbst aufsuchen und machte dabei, wie man mit Recht gesagt hat, einen vorzüglichen „praktischen Cursus der Paläographie und Diplomatik“ durch. Englische Freunde nahmen sich seiner umso eifriger an, je deutlicher sie seine Begabung und Begeisterung für die Bestellung des von ihm erwählten Arbeitsfeldes erkannten, vor allen anderen Thomas Duffus Hardy, der in dem damaligen großen Towerarchive schaltete. Manche glückliche Entdeckung lohnte seine anstrengende Beschäftigung mit den vergilbten Pergamenten. Auch verdankte er ihr die einzige Unterstützung, die ihm von der Heimath her zu Theil wurde. Die Berliner Akademie bewilligte auf Pertz’ Antrag einen Beitrag, um eine Sammlung der für die deutsche Geschichte wichtigen Documente des Towerarchives zu ermöglichen. Was die mittelalterlichen Chronisten Englands betrifft, die nicht in einer bequemen monumentalen Ausgabe vorlagen, so gab P. am Schlusse jedes Bandes über sie eine fortlaufende Rechenschaft, bei deren Ablegung Gewissenhaftigkeit und Scharfsinn miteinander wetteiferten. Niemand wäre so befähigt gewesen wie er einen „englischen Wattenbach“ zu schreiben. Diese Idee, begünstigt durch die neueren trefflichen Vorarbeiten englischer Forscher, hat ihn denn auch lange beschäftigt, und noch im Frühling 1877 theilte er in einem Briefe mit, daß „jeder freie Augenblick einer Historiographie des englischen Mittelalters angehöre.“ – So große Sorgfalt er auf Sammlung und Sichtung des Rohstoffes verwandte, er war nicht der Mann darin zu ersticken. Seine Darstellung zeigte auf jeder Seite, daß er ihn zu bemeistern wußte. Einfach und würdig fesselte sie durch Klarheit und Lebendigkeit. Dem chronologischen Gefüge ordnete sich ebensowohl die Erzählung der politischen Vorgänge im engeren Sinne ein, wie die Entwickelung der schwierigen staatsrechtlichen Verhältnisse oder der Nachweis der internationalen Handelsbeziehungen. Von dem feinen Kenner und glühenden Verehrer englischer Literatur ließ sich erwarten, daß auch dies Element des Volkslebens seine volle Würdigung empfing, wie er denn sein Interesse für einen der ältesten englischen Dichter, John Gower, durch Herausgabe von dessen „Confessio Amantis“ (London, Bell and Daldy 1857, 3 Vols.) bekundete.

[270] Im Sommer 1855, in welchem der zweite von ihm bearbeitete Band der Geschichte von England in der Heeren-Ukert’schen Sammlung (der vierte des ganzen Werkes) erschien, verließ P. das Land, in dem er Belehrung und Freunde fürs Leben gewonnen hatte, um zu versuchen, sich an einer deutschen Universität eine feste Stellung zu erobern. Er begann seine akademische Laufbahn als Privatdocent in Bonn, las aber dort nur zwei Semester. Den Winter 1856–1857 verbrachte er auf eine Einladung des Königs Maximilian von Baiern in dem anziehenden Kreise, den dieser Monarch um sich sammelte. Ostern 1857 folgte er einer Berufung als ordentlicher Professor nach Rostock. Er konnte sich hier einen eigenen Hausstand gründen, hatte aber das Unglück seine junge Frau, Anna geborene Ulrichs aus Bremen, bald zu verlieren. Dieser schwere Schlag ließ ihn in Rostock nicht heimisch werden. Er folgte 1859 umso lieber einer Berufung nach Tübingen, als er hoffen durfte, dort einen größeren Wirkungskreis und leichteren Zugang zu den unentbehrlichen Hilfsmitteln der Arbeit zu finden. Seine Inauguralrede (Gotha 1859) behandelte den „Gang der internationalen Beziehungen zwischen Deutschland und England“. Mit dem in kritischer Zeit hier ausgesprochenen Wunsche, daß es nie gelingen möge, „die beiden alten Stützen der germanischen Welt zu trennen“, mußte der Redner ein Echo in den Herzen seiner Zuhörerschaft wachrufen. Von ausgesprochen norddeutschem Wesen faßte er an der schwäbischen Hochschule Boden. Auch gewann er hier bald ein trauliches Heim, indem er sich mit der Schwester seiner verstorbenen Frau, Elisabeth Ulrichs, verheirathete. Dieser Ehe entsprossen vier Töchter. Der akademische Beruf, zuerst in der staatswirthschaftlichen, dann in der philosophischen Facultät nahm ihn sehr in Anspruch und nöthigte ihn, sich mehr und mehr universalhistorischen Aufgaben zuzuwenden. Er bewährte sich dabei als ein äußerst anregender Lehrer, dem das Wort leicht und sicher von den Lippen floß und der die studirende Jugend immer zu fesseln wußte, wenn er auch rhetorische Künste verschmähte. Nicht weniger glückten ihm in Tübingen, wie später an anderen Orten, populäre Vorträge, welche die ganze Frische und Ursprünglichkeit seines Naturells abspiegelten. In Seminarübungen kamen aber sein reiches Wissen, sein treffliches Gedächtniß, seine unermüdliche Hilfsbereitschaft allen denen zugute, die sich ihm vertrauensvoll anschlossen. Seine Feder ruhte nicht, aber sie war zunächst kleineren Arbeiten gewidmet. Verschiedene Gründe bewogen ihn, die Fortsetzung des bis an den Anfang des sechszehnten Jahrhunderts geführten großen Werkes abzubrechen. Er hat sich später mit dem Gedanken getragen, wenigstens eine Geschichte Heinrich’s VIII. folgen zu lassen. Aber auch dieser Plan wurde nicht verwirklicht, und nur einige Monographien sowie das nach seinem Tode veröffentlichte Fragment „Die Anfänge Heinrich’s VIII.“ lehren, was man von der Ausführung des Ganzen zu erwarten gehabt haben würde. Eine Anzahl jener kleineren Arbeiten wurde unter dem Titel „Bilder aus Altengland“ (Gotha, die 1. Auflage erschien 1860, 2. Auflage 1876) vereinigt. Sie beweisen Pauli’s großes Talent für den historischen Essay, und nichts sprach mehr dafür, als daß sie in dem classischen Lande dieser Literaturgattung in Uebersetzung verbreitet wurden. Ein Programm von 1864 „Ueber Bischof Grosseteste und Adam von Marsh“ führte ihn zu einer erneuten Beschäftigung mit der Geschichte des Simon von Montfort. Diesem selbst, „dem Schöpfer des Hauses der Gemeinen“, galt die ausgezeichnete Arbeit, die er sich vornahm, seinem Lehrer Ranke zur Feier von dessen fünfzigjährigem Doctorjubiläum zu widmen (erschienen Tübingen 1867). Schon aber hatte er wieder an ein umfassendes darstellendes Werk die Hand gelegt. Salomon Hirzel gewann ihn dafür, es auf sich zu nehmen, für die „Staatengeschichte der neueren Zeit“ die Geschichte Englands zu schreiben. Sie erschien in drei Bänden (Leipzig 1864, 1867, 1875), welche den Zeitraum von [271] 1815 bis 1852 umfaßten. P. verhehlte es sich nicht, welchen Schwierigkeiten die Behandlung eines und eben dieses theilweise zeitgenössischen Stoffes begegnen würde. Es war ihm mitunter zu Muthe, als ob er „mit heißer Lava und kaum mit Material zu thun habe, das angegriffen und behauen werden kann“. Aber während der Arbeit wuchs ihm die Kraft. Als ein Mann, der Land und Leute aus eigener Anschauung kannte, alle Regungen des öffentlichen und geistigen Lebens des Inselvolkes in unablässiger Beobachtung, durch Lectüre und brieflichen Gedankenaustausch verfolgte, schrieb er nicht wie ein Stubengelehrter, sondern vereinigte Wissen und Erfahrung in seltenem Maße. Mit der Zeit erschlossen sich ihm auch ungedruckte Quellen, wie die Berichte des preußischen Gesandten in London, des Barons v. Bülow, die hinterlassenen Privatpapiere des Freiherrn v. Bunsen, Briefe Richard Cobden’s „dieses echtesten und reinsten Urhebers der Manchesterschule“. Wenn der Deutsche die neueste Geschichte Englands leidenschaftsloser zu erzählen vermochte als irgend ein Engländer, so suchte er deshalb seine warme Theilnahme an dem Wirken einzelner großer historischer Gestalten wie Canning und Peel nicht zu verbergen. Wenn der Kenner und Bewunderer der alten Grundlagen englischer Macht manche von diesen durch die unaufhaltsame demokratische Fluthwelle des neunzehnten Jahrhunderts erschüttert sah, so war er weit entfernt davon, den Unglückspropheten Recht zu geben, welche den nahen Untergang Englands voraussagten und in erster Linie das parlamentarische Regiment dafür verantwortlich machen wollten. In dem ernsten Bestreben bei großer Entschiedenheit der eigenen Ansicht sich über den Horizont der Partei zu erheben wie in dem unverdrossenen Bemühen die Wechselwirkung äußerer und innerer Politik aufzudecken, verrieth sich wieder der Schüler Ranke’s. Doch erschwerte er sich die Gruppirung des Stoffes ein wenig dadurch, daß er die Erzählung der verschiedenartigsten Vorgänge häufig dem Rahmen eines Berichtes der parlamentarischen Debatten einzufügen suchte. Auch wird sich nicht verkennen lassen, daß das Bild der socialpolitischen Kämpfe und Reformen, welches einen so großen Raum in der Darstellung der Jahre 1815–1852 einzunehmen hat, mancher Nachhilfe und Ergänzung bedarf.

Das Vorwort zum zweiten Bande dieses Werkes datirt noch von Tübingen. Der Verfasser erklärt hier, daß „eine ihm in jeder Beziehung ungemein erwünschte Muße“ den Abschluß des Bandes möglich gemacht habe. Er spielt damit auf ein Lebensereigniß an, das mit den gewaltigen Ereignissen des Völkerlebens in Zusammenhang stand und seinen Weggang aus Würtemberg zur Folge hatte. Während des Krieges von 1866 stand er mit allen seinen Wünschen und Hoffnungen auf preußischer Seite. Er gab seinem erregten Gefühl alsbald lebhaften Ausdruck in einem Artikel „Würtemberg und die Bundeskatastrophe“, der im Augusthefte der preußischen Jahrbücher erschien. Die würtembergische Regierung glaubte sich durch diesen Artikel verletzt, zu dessen Urheberschaft sich P. ohne Zögern bekannte. Der Cultusminister, nachdem er vergeblich auf eine Mitwirkung des Senates der Universität in dieser Sache gerechnet hatte, schlug gegen P. ein disciplinäres Verfahren ein. Er wurde, mit Belassung von Rang und Gehalt, an das niedere evangelische Seminar zu Schönthal versetzt. P. nahm sofort seine Entlassung, blieb aber noch den Winter in Tübingen wohnen. Im Frühling 1867 gab ihn eine Berufung nach Marburg dem akademischen Lehrstuhl zurück. Als Vertreter dieser Universität im preußischen Herrenhause hat er auch einigen Sitzungen desselben beigewohnt. Aus eben dieser Marburger Zeit stammt die Herausgabe der „Aufsätze zur englischen Geschichte“ (Leipzig 1869), die eine neue Reihe lebensvoller Bilder, wie er sie in Vorträgen, Abhandlungen und Essays gestaltet hatte, vorführten. Ein Aufsatz über Irland, zu dessen Abfassung ihn früher eine Wanderfahrt durch die grüne Insel angeregt hatte, nimmt nach [272] Umfang und Inhalt die erste Stelle ein. Im Frühling 1870 vertauschte P. Marburg mit Göttingen, wo eine geschichtliche Professur durch Havemann’s Tod erledigt war. Er wurde damit auf den denkbar günstigsten Boden verpflanzt, an die Hochschule, die seit ihrer Entstehung deutsch-englische Beziehungen mit Vorliebe gepflegt, an die Seite von Georg Waitz gestellt, der die historischen Studien hier zur höchsten Blüthe gebracht hatte. Die herrliche Bibliothek, für Pauli’s Specialfach besonders reich und ihre Verwaltung stets bereit auf seine Wünsche einzugehen, um Lücken auszufüllen, gewährten ihm die beste Unterstützung. Ein überaus rascher Arbeiter, führte er nicht nur früher Begonnenes fort, sondern lieferte unablässig zahlreichen englischen und deutschen Zeitschriften und Sammelwerken neben kritischen Referaten gesuchte selbständige Beiträge. Es war ihm Bedürfniß nicht nur in sprudelnder Unterhaltung über Fragen der Wissenschaft und des Lebens, die ihn beschäftigten, sich auszusprechen, sondern auch darüber durch den Druck zu einem größeren Publicum zu reden. Er fühlte sich, wie er einmal sagte, nur glücklich, wenn er mehrere Bolzen in der Esse habe. Man begreift es, daß bei einer so ausgedehnten schriftstellerischen Thätigkeit mitunter die letzte Feile nicht angesetzt werden konnte, und daß bei dem Feuer seines Temperaments manches kühne Gleichniß, auch mancher Kraftausdruck mitunterlief, der nicht nach dem Geschmacke eines jeden Lesers sein konnte. Niemals litt indessen die Solidität des Inhaltes unter der Schnelligkeit des Schreibens oder unter der Lebhaftigkeit des Schreibers. Auch zogen ihn Gegenstände strenger Forschung immer wieder von den leichteren Aufgaben populärer Darstellung zurück. Die Gründung des Hansischen Geschichtsvereins veranlaßte ihn, an die Studien seiner Jugend wieder anzuknüpfen, in denen er sich so häufig mit den commerciellen Beziehungen der Hansestädte und des mittelalterlichen Englands beschäftigt hatte. Er verfolgte das Aufblühen dieses Vereins mit reger Theilnahme, wurde Mitglied seines Vorstandes und eifriger Mitarbeiter an den „Hansischen Geschichtsblättern“. Als der Verein 1878 in Göttingen tagte, empfing er die Edition eines merkwürdigen, für die Geschichte des Handels und der Volkswirthschaft werthvollen Gedichtes „The Libell Of English Policye 1436“ durch W. Hertzberg (Text und metrische Uebersetzung, Leipzig 1878), zu der P. die geschichtliche Einleitung geschrieben hatte. Seine Thätigkeit für die Monumenta Germaniae historica, bei seinem ersten Aufenthalt in der Fremde begonnen und bei wiederholten Besuchen Englands fortgesetzt, kam dem großen Unternehmen sehr zu statten. Während er sich mit dem Gedanken trug, die Regierung Heinrich’s VIII. als ein Ganzes darzustellen, die englische Historiographie des Mittelalters im Zusammenhang zu behandeln, drängte sich ein anderes Thema vor, das ihn aufs höchste anzog, die Geschichte der Erwerbung der englischen Krone durch das Haus Hannover. Er erhielt für die Bearbeitung desselben sehr werthvolle archivalische Materialien. Einiges von dem, was er aus ihnen noch verwerthen konnte, ist nebst jenem Fragment „Die Anfänge Heinrichs VIII“, Artikeln aus den Preußischen Jahrbüchern, aus der Zeitschrift Im neuen Reich u. a. m. in seinen „Aufsätzen zur englischen Geschichte. Neue Folge, herausgegeben von Otto Hartwig“ (Leipzig 1883) wiederabgedruckt.

In rastlosem Schaffensdrang sich mittheilend und mit den Freunden jenseits des Kanals immer in Verbindung, war er der berufene Vermittler englischer und deutscher Geschichtswissenschaft. Und diese Vermittlerstelle dehnte sich selbst über das wissenschaftliche Gebiet aus. „Was England an echt germanischen Substanzen bewahrt hat, auf dem Boden der Urheimath wieder fruchtbar zu machen“, daran wollte er zu seinem Theile in Wort und Schrift mitarbeiten. So begeistert er als deutscher Patriot den Ereignissen 1870 zujubelte, er vergaß darüber nicht, was Deutschland noch immer von anderen Völkern lernen könne. Ueberhaupt [273] ließ er sich niemals durch eine herrschende Strömung in der Selbständigkeit seines Urtheils über die öffentlichen Angelegenheiten beirren, so wenig wie er gewillt war, als Gelehrter sich in den Bann einer Clique zu begeben. Mannhaft, freimüthig und von unbestechlicher Wahrheitsliebe konnte er sich nicht selten scharf und kräftig aussprechen. Aber es war ihm immer um die Sache zu thun. Ein vortrefflicher Gesellschafter, ein gastfreier Hausherr, wohl erfahren in der Führung von Ehrenämtern, weltmännisch gewandt, Freund der Künste, und für Humor wie Witz gleichempfänglich, ließ er oft vergessen, daß er dem Lehrstande angehörte, und Unkundige mochten etwas Militärisches in seiner strammen Haltung finden. Indessen begann der bis dahin Rüstige gegen Ende der siebziger Jahre über seinen Gesundheitszustand zu klagen. Allmählich entwickelte sich ein Leiden, das sich besonders in gichtischen Anfällen äußerte. Er nahm noch 1882 an der Pfingstversammlung des Hansischen Geschichtsvereins zu Hannover Theil. Von dort reiste er zu einem Familienfeste nach Bremen. In der Nacht vom 2. auf den 3. Juni machte daselbst ein Schlaganfall seinem Leben ein Ende.

Abgesehen von Nekrologen in Zeitungen s. F. Frensdorff: Reinhold Pauli. Rede gehalten in der öffentlichen Sitzung der k. Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen (Bd. 29 der Abhandlungen der K. G. d. W.) Göttingen, 1882. – Derselbe: Deutsche Rundschau. Bd. 34. Januar–März 1883. – Otto Hartwig: Zur Erinnerung an R. Pauli, in Pauli’s von O. H. heraus gegebenen Aufsätzen zur englischen Geschichte. Neue Folge. Leipzig 1883. – L. Weiland: Zum Andenken an R. Pauli in den Hansischen Geschichtsblättern, Jahrgang 1883, Leipzig 1884. – Giesebrecht: Nekrolog auf R. Pauli in den Sitzungsberichten der k. bairischen Akademie d. W. 1883. Philos.-hist. Classe.