ADB:Osiander, Lucas (evangelischer Theologe)

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Osiander, Lucas (I.)“ von Theodor Schott in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 24 (1887), S. 493–495, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Osiander,_Lucas_(evangelischer_Theologe)&oldid=- (Version vom 21. November 2024, 22:43 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
Band 24 (1887), S. 493–495 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Lucas Osiander der Ältere in der Wikipedia
Lucas Osiander der Ältere in Wikidata
GND-Nummer 11955111X
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|24|493|495|Osiander, Lucas (I.)|Theodor Schott|ADB:Osiander, Lucas (evangelischer Theologe)}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=11955111X}}    

Osiander: Lucas (I.) O., geb. am 16. December 1534 in Nürnberg, Sohn von Andreas O. (s. o. S. 473) und der Katharine Preu, † am 17. September 1604 in Stuttgart, würtembergischer Hofprediger. 1549 war er mit seinem Vater nach Königsberg gezogen, nach dessen Tode kam er 1553 nach Würtemberg, ohne daß mit Sicherheit angegeben werden kann, auf wessen Veranlassung dies geschah. Bei den vielfachen engen Beziehungen zwischen Herzog Albrecht von Preußen und Herzog Christoph von Würtemberg liegt die Vermuthung nahe, daß der erstere treulich sorgend für die zahlreiche Familie seines Hofpredigers, die Uebersiedlung nach Würtemberg und den Schutz Herzog Christophs vermittelte. Nach kurzem Studium wurde der sehr begabte und fleißige Theologe Diakonus in Göppingen (1555), er blieb von dort an im würtembergischen Kirchendienst und wurde der Stammvater einer sehr hervorragenden, gegenwärtig noch blühenden Theologenfamilie, deren Glieder 1½ Jahrhunderte hindurch in beinahe ununterbrochener Folge die wichtigsten und höchsten kirchlichen und theologischen Stellen innehatten und auf die ganze Entwickelung des religiösen und kirchlichen Lebens, auf die Ausgestaltung und Eigenthümlichkeit der würtembergischen Theologie den größten Einfluß hatten, auch bei der Durchdringung der politischen und kirchlichen Verhältnisse in Würtemberg für die Regierung des Landes bedeutungsvoll waren. Familienverbindungen, bei dem schwäbischen Zusammenhalten mit Vorliebe gepflegt, trugen ebenfalls dazu bei, den Grund dieses aufstrebenden Hauses fest zu legen, es sei nur an Jakob Andreä, seinen Schwager und Collegen in Göppingen erinnert. Rasch erstieg O. die Stufenleiter der kirchlichen Würden in seinem neuen Vaterlande bis zur höchsten, 1557 wurde er Superintendent in Blaubeuren, 1562 Stadtpfarrer an der Leonhardskirche zu Stuttgart, 1567 Hofprediger und Mitglied des Consistoriums; die beinahe 30 Jahre, während welcher er diese Stellung bekleidete, waren seine Blüthezeit, und seine Wirksamkeit in derselben war mit entscheidend für die Gestaltung des Protestantismus in Deutschland. Er war der Lehrer Herzog Ludwigs, dem er alle Morgen ein Capitel aus der Bibel, ein Stück der Augsburgischen und der würtembergischen Confession erklären mußte, nach dessen Regierungsantritt (1568) bis zu des Fürsten Tode (1593) sein einflußreicher Rathgeber und Liebling, der auch bei den letzten Augenblicken des jäh dahingerafften Fürsten zugegen war. Die Vorliebe des jungen Regenten für die Theologie, im Charakter der Zeit liegend und ein Erbstück seines Vaters Christoph, wurde durch den gelehrten, disputirgewandten, in allen Feinheiten der aufkommenden protestantischen Scholastik trefflich beschlagenen und eifrigen Gottesgelehrten merklich gefördert, bei dem Zustandekommen und bei der Einführung der Concordienformel, in welcher die lutherische Lehrentwickelung zur Ruhe gelangte, waren Andreä und er die am meisten betheiligten würtembergischen Theologen. 1576 verfaßte er mit Balthasar Bidembach die sogenannte „Maulbronner Formel“, die „Grundlage der Concordienformel“, deren 2 Theile, die Epitome und solida declaratio, er ins Lateinische übersetzte, im Auftrag seines Herzogs machte er verschiedene Reisen, um Reichsstädte und Fürsten zur Annahme derselben zu bestimmen. An dem eigenthümlichen Briefwechsel, welchen die würtembergischen Theologen mit dem Patriarchen Jeremias von Constantinopel 1577 anknüpften, um an der griechischen Kirche eine Stütze gegen das Papstthum zu haben, nahm er Antheil, ebenso an den mancherlei Religionsgesprächen, in welchen nach der Anschauung [494] und Hoffnung der Zeit die theologischen und confessionellen Gegensätze vereinigt oder überwunden und damit vernichtet werden sollten, welche Hoffnungen sich regelmäßig nicht erfüllten; der tüchtige Theologe, „über die Maßen mächtig zu ermahnen und zu lehren“, war sehr geeignet dazu und die Disputationskraft und -Kunst pflanzte sich als hervorragendes Erbstück fort in der Osiandrischen Familie. 1564 war er Schriftführer bei den Maulbronner Gesprächen, 1579 verhandelte er mit Weiß in Heidelberg, Mai 1586 mit Th. Beza in Mömpelgard, 1594 zu Regensburg mit S. Huber; 1590 fand in Stuttgart in Gegenwart des Herzogs Ludwig von Würtemberg und des Herzogs Wilhelm von Baiern eine Disputation statt zwischen O. und dem Jesuiten Gregor v. Valencia, welcher im Gefolge des Baiernfürsten war, über die Lehre von der Rechtfertigung, sowie: ob in Glaubenssachen der Papst oder die Schrift Richter sei. Gewandt im Rathe, diente er auch zu diplomatischen Sendungen, so wurde er 1582 auf den Reichstag in Augsburg, 1583 zum Erzbischof Gebhard von Köln gesandt, als dieser die Reformation einführen wollte. Daß er bei Universitätsangelegenheiten und bei allem, was mit theologischen Dingen zusammenhing, um Rath gefragt wurde, verstand sich von selbst. Ueber die Einführung des Gregorianischen Kalenders gab er ein sehr abfälliges Urtheil; der Haß gegen das Papstthum – der Streit sei nicht wichtiger als das filzige Haar eines alten Bauern zu kämmen – ging dabei Hand in Hand mit seinem Glauben an das nahe bevorstehende Ende der Welt. Mit dem Tode von Herzog Ludwig († 1593) verlor O. seine einflußreiche Stellung; der selbständige prachtliebende Herzog Friedrich war keineswegs geneigt, die bevormundende Sprache seines Hofpredigers, welcher den Hofleuten ebenso gut das Gewissen schärfen wollte als das anderer Menschen, lange zu dulden, er versetzte ihn an die Stiftspredigerstelle in Stuttgart. Zu einem noch ernsteren Streite kam es, als der Herzog den Juden Freiheiten und Vergünstigungen im Rechte der Niederlassung, in Handel und Wandel im Herzogthum einräumen wollte, welche in starkem Gegensatze standen zu den bisherigen Beschränkungen; bei den bekannten alchymistischen Neigungen des Herzogs und der damit zusammenhängenden Furcht vor Verschwendung war das Mißtrauen des ständischen Ausschusses, zu welchem auch O. gehörte, nicht ungegründet. In einem Briefe an den Herzog hob O. neben dem Haß der Juden gegen das Christenthum auch ihre Magie hervor, der Herzog durch den allzu freimüthigen Ton aufs äußerste gereizt, verlangte eine fußfällige Abbitte, welche O. nicht leistete, sondern erklärte, lieber solle man ihm seinen Kopf auf offenem Markte herabschlagen. Der Herzog entsetzte ihn sowol seiner Predigerstelle als der Prälatur Adelsberg, welche ihm 1596 übertragen worden war. 1598 nahm nun O. eine Predigerstelle in der Reichsstadt Eßlingen an. 1603 erhielt er wegen schwacher Leibesbeschaffenheit seine Entlassung; bald nach seiner Rückkehr nach Stuttgart lähmte ihn ein Schlaganfall, nach langem Leiden starb er am 17. September 1604 und wurde zwei Tage nachher in der Stiftskirche begraben. Seine Frau Margarethe geb. Entringer, welche von ihrem ersten Manne Caspar Lyser einen Sohn Polykarp mit in die Ehe brachte (1555), verlor er am 16. Januar 1566; seine zweite Frau war Tabitha Engel, von welcher erzählt wird, daß sie sehr häufig gegen Ende ihres Lebens wöchentlich das heilige Abendmahl genoß; seine drei Söhne wurden alle Theologen, wie auch seine Töchter sich an Theologen verheiratheten. O. war ein sehr fruchtbarer theologischer Schriftsteller, welcher die theologische Doctorwürde, zu der ihn 1564 Heerbrand creirte, wohl verdiente; aber auch lobende Worte der Leichenrede: daß er die reine Lehre mit vielen in den Druck verfertigten Schriften gegen die päpstlichen Scribenten, Sacramentirer, Calvinisten, Schwenkfelder, gegen Puccius, Huber etc. vertheidigt habe, geben von seiner umfangreichen Thätigkeit sowie von der Art derselben ein charakteristisches treffendes [495] Bild. Ein Verzeichniß seiner zahlreichen Schriften gibt Fischlin, Memoria theolog. Wirtemberg., hier seien hauptsächlich angeführt sein „Lateinischer Commentar über die ganze Bibel“, 1573–1585; „De praedestinatione“, 1597; „De studiis verbi divini ministrorum“, 1733; die polemischen, und ihre Zahl ist nicht klein, sind gerichtet gegen die Zwingli’schen Irrthümer, Schwenkfeld, Johann Naß, Jakob Feucht, die Prediger zu Heidelberg, die Jesuiten, die „Giftspinnen G. Scherer und Chr. Rosenbusch“, den „aufgeblasenen Goliath“ Joh. Pistorius, Sam. Huber etc. Auch als Kirchenhistoriker machte er sich einen ehrenvollen Namen durch einen Auszug aus den Magdeburger Centurien und durch die Fortsetzung derselben bis zum Jahre 1600, „Epitome historiae ecclesiasticae“, 1592–1604, worin auch seiner eigenen Thätigkeit, z. B. beim Mömpelgarder Gespräch, ausführlich gedacht ist. Ein tüchtiger Prediger, machte er sich besonders bekannt durch seine „Bauernpostille“, 1609, entstanden aus Predigten, welche er der kleinen Filialgemeinde Hundsholz hielt; weit entfernt von der skurrilen Popularität Abrahams a St. Clara enthält sie, einfach gehalten, evangelische Predigten, nicht mit spitzigen Disputationen oder Historien aus heidnischen Scribenten geziert, auch nicht kanzleiisch geredet, sondern in wohlbekannten Worten so gesetzt, daß der Zuhörer denken muß, der Pfarrer rede mit ihm ganz allein. Ein bleibendes Verdienst erwarb sich der gute Musiker dadurch, daß er die folgenschwere Neuerung anbahnte, beim Choralgesang die führende Stimme, welche bis dahin der Tenor innegehabt, dem Diskant zu übertragen; er wollte, daß die ganze Gemeinde durchaus mitsingen könne, setzte auch 50 geistliche Lieder und Psalmen so (1586) und gab die Anweisung, daß der Schülerchor zwar mehrstimmig singen, aber in Mensur und Takt sich nach der Gemeinde richten solle.

Leichenrede von Joh. Magirus, 1604. – Köstlin, Geschichte der Musik. – Stälin.