ADB:Lange, Ludwig (Philologe)

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Artikel „Lange, Ludwig“ von Gustav Emil Lothholz in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 51 (1906), S. 573–576, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Lange,_Ludwig_(Philologe)&oldid=- (Version vom 7. Dezember 2024, 06:22 Uhr UTC)
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Lange: Ludwig L. Der ausgezeichnete Philologe Christian Konrad Ludwig L. wurde am 4. März 1825 in Hannover geboren. Er war der Sohn des wohlhabenden Hofbäckers Konr. Lange in Hannover. Ludwig war der älteste Sohn von fünf Geschwistern. Die Fortschritte, welche der begabte Knabe in der Bürgerschule machte, bestimmten den Vater, den Sohn studiren zu lassen. Durch Privatunterricht wurden die Kenntnisse im Griechischen nachgeholt, so daß Ludwig Ostern 1840 in die Kleinsecunda des Lyceums seiner Vaterstadt, das unter der Leitung des hervorragenden Schulmannes Georg Friedrich Grotefend, dem der ausgezeichnete Philolog Raphael Kühner zur Seite stand, sich eines vorzüglichen Rufes erfreute, Aufnahme fand. (Vgl. A. D. B. IX, 765, XVII, 353 und Friedr. Kohlrausch, Erinnerungen aus meinem Leben. Hannover 1863, S. 271 ff., Conrad Bursian, Gesch. der classischen Philologie II, 784, 835 u. 771. Für die nachfolgende Biographie ist der von dem Prof. Neumann veröffentlichte Nekrolog: Ludwig Lange, Berlin 1886, neben persönlichen Begegnungen in der vorliegenden Arbeit vorwiegend benutzt worden.) Im Griechischen machte L. so erhebliche Fortschritte, daß ihm Kühner, an den sich der strebsame Schüler besonders angeschlossen hatte, die Correctur seiner griechischen Schulgrammatik anvertrauen konnte. Lange’s erste selbständige Arbeit war ein ausführliches Wörterverzeichniß zu Kühner’s lateinische Elementargrammatik 1841, auch sonst war er seinem Lehrer, der schriftstellerisch sehr thätig war, bei Correcturen sehr behülflich. Lehrer und Schüler blieben zeitlebens in freundschaftlichen Beziehungen. Lange’s „Hyginus“ ist Kühner gewidmet, R. Kühner eignete ihm seine große lateinische Grammatik zu; seinem Lehrer Grotefend dedicirte L., an dessen Studien anknüpfend, die „Tabula Bantina“. Michaelis 1843 bezog L. die Georgia Augusta. Göttingen hatte immer ausgezeichnete Lehrer in der Wissenschaft, der er sich widmen wollte. Von seinen Lehrern Grotefend und Kühner mit guten Empfehlungen ausgestattet, zog er nach der hannöverschen Hochschule und schloß sich hier besonders an den trefflichen C. Fr. Hermann an, als dessen Schüler er sich immer bekannte. Bei ihm hörte er alle Vorlesungen, doch versäumte er nicht, auch an Wieseler’s, v. Leutsch’s, Hoeck’s, Schneidewin’s, Lotze’s, Ritter’s Collegien theil zu nehmen. Man kann sich wohl denken, daß der Wissensdurst des begabten Jünglings in den Unterweisungen solcher Gelehrten volle Befriedigung fand. Von einem richtigen Gefühl wurde L. geleitet, daß er im Winter 1844/5 das Studium des Sanskrit zu betreiben anfing, denn nur durch Kenntniß dieser wichtigen Sprache konnte ein gründliches Verständniß des Sprachbaues überhaupt erzielt werden. Förderlich war ihm, daß Prof. Benfey sich mit seinen Schülern, die für das Erlernen des Sanskrit Interesse hatten, sehr viel Mühe gab. Von Juni 1844 bis Ende März 1845 arbeitete der junge Philolog an einer von dem Professor Hoeck gestellten Preisaufgabe über das Kriegswesen der spätrömischen Zeit. Zu Pfingsten 1846 empfing er im elterlichen Hause zu Hannover die freudige Kunde, daß er in ehrenvoller Weise den Preis für seine Leistung davongetragen habe. Das Urtheil der Facultät über die Arbeit, die noch in diesem Jahre unter dem Titel: „Historia mutationum rei militaris Romanorum“ gedruckt wurde, lautete außerordentlich günstig. Eine wichtige Folge dieses Sieges war es, daß der bis dahin schüchterne Jüngling mehr Selbstvertrauen und Muth gewann. Das studentische Treiben hatte für den wissenschaftlich so strebsamen [574] Philologen keinen Reiz; Wenige gleichgestimmte Freunde, die späteren Gymnasialdirectoren G. Schmidt, Lattmann und Ruprecht, bildeten seinen Umgang. An den Bestrebungen des sogenannten Progresses, einer Studentenverbindung, die auf eine Gleichberechtigung der Musensöhne im Gegensatz zu den Privilegien der Verbindungen hinarbeitete, betheiligte sich L. lebhaft; er wurde sogar zum Präsidenten des Progresses gewählt. Schon im J. 1846 faßte L. den Entschluß, besonders auch von seinen Lehrern, die seinen Fleiß und seine Begabung hoch schätzten, dazu ermahnt, an der Universität sich niederzulassen, doch im Falle eines Mißerfolges der akademischen Laufbahn beabsichtigte er auch, sich der Oberlehrerprüfung zu unterziehen. Vor allem gedachte er auf einer größeren Reise seine Welt- und Lebensanschauung zu bereichern und dann sich an der Landesuniversität zu habilitiren. In den Herbstferien des Jahres 1846 ging L. nach Wolfenbüttel, um auf der dortigen Bibliothek für eine neue Ausgabe des „Hyginus de munitionibus castrorum“ die nöthigen Collationen anzustellen. „Prolegomena“ zum „Hyginus“ lieferte er 1847 als Doctordissertation und 1848 veröffentlichte er die Ausgabe: „Hygini gramatici liber de munitionibus castrorum“ (geschr. wahrscheinlich im 3. Jahrh.), ed. L. Lange, Göttingen 1848. (Vgl. Bernhardy, röm. L.G. IV. Ausgabe S. 840, Teuffel, röm. L.G. § 321, A. 1., Schanz, röm. L.G. § 501, Lange, Gött. gel. Anz. 1853, S. 530.) Am 21. August 1847 hatte L. promovirt und am 11. December bestand er sein Staatsexamen, wie nach seinen angelegentlichen Studien nicht anders zu erwarten war, ausgezeichnet. Nachdem der junge Philolog seine Gelehrsamkeit in den Prüfungen bewährt hatte, trat er eine größere Reise an, die er anfänglich sogar nach Italien auszudehnen gedachte, aber die Krankheit des Vaters ließ den Plan nicht zur Ausführung kommen, erst in den letzten Jahren seines Lebens hat er Italien gesehen. Die Reise, wie sie 1848 wirklich ausgeführt wurde, galt dem Besuche der großen deutschen Universitäten. Vom Februar bis zum Juli 1848 hat er Berlin, Leipzig, Dresden, München und Bonn besucht. Ueberall fand er hier Meister seines Faches, in deren Vorlesungen er hospitirte. In Berlin waren es vor allem Aug. Böckh, Carl Lachmann, Ed. Gerhard, Franz Bopp, Theodor Panofka, Leop. Ranke, Carl Ritter, die ihn lebhaft interessirten, an die er durch seine Göttinger Lehrer empfohlen war. Die Sammlungen des Museums wurden fleißig besucht. Auf der Rückreise nahm er seinen Weg über Bonn, um hier das philologische Zweigestirn Friedr. Gottlieb Welcker und Friedrich Ritschl zu hören. (Vgl. das Leben Friedr. Gottl. Welcker’s von Reinhard Kekulé, Leipzig 1880, und die meisterhafte Biographie Friedr. Ritschl’s, die O. Ribbeck in 2 Bd. 1879–81, Leipzig, veröffentlicht hat: Fr. Ritschl, eine wissenschaftliche Biographie von L. Müller, Berlin 1877.) Er bedauerte aufs lebhafteste, daß er nicht auch in Bonn unter zwei solchen Meistern seines Faches, wie Welcker und Ritschl waren, einen Theil seiner Studienzeit verbracht habe. In Berlin war er Zeuge der Märzrevolution. Wichtig für die Entwicklung seiner politischen Anschauungen war es, daß L. in Berlin im Gegensatze von seinen hannöverschen Anschauungen empfand, wie in Preußen ganz andere Kräfte thätig waren, die auf eine machtvolle zukünftige Stellung in Deutschland, ja in Europa hindeuteten. L. gehörte seiner politischen Ueberzeugung nach zu den maaßvollen Conservativen. Nach der Reise, die er ebenfalls dazu benutzt hatte, die theoretischen und praktischen Seiten des Alterthums kennen zu lernen, habilitirte er sich im Juni 1849 in Göttingen in der philosophischen Facultät für Sprach- und Alterthumswissenschaft. Kurz nachher trat er bei der kgl. Universitätsbibliothek als Accessist ein, um die Benutzung der Bücherschätze der vortrefflichen Bibliothek in ausgedehnter Weise zu gewinnen. Im [575] J. 1850 erfolgte seine Ernennung zum Assessor der philosophischen Facultät und 1853 wurde er außerordentlicher Professor. Sechs Jahre hatte er in Göttingen Vorlesungen gehalten, als er im März 1855 als Nachfolger von Georg Curtius, der einer Berufung nach Kiel folgte, die ordentliche Professur der classischen Philologie an der Prager Universität übernahm. (Vgl. Georg Curtius. Eine Charakteristik v. E. Windisch, Berlin 1887, und Ausgew. Reden u. Vorträge v. Georg Curtius. Leipzig 1886.) G. Curtius, der damals schon auf der Höhe seiner Laufbahn stand, zu ersetzen, war für L. keine leichte Aufgabe. Es wurde ihm auch sehr schwer, aus einem Freundeskreise, der so anregenden Verkehr bot, wie die Gelehrten O. E. Hartmann, Aegidi, Dieckhoff, Esmarch, Leuckardt, Löher u. A., auszuscheiden. Unter seinen Zuhörern finden wir spätere Gelehrte, wie Aug. Fick, Leo Meyer, A. Müller, Ludw. Schwabe, Edw. Wölflin u. A. Besonders befreundet war L. mit der Familie des Verlagsbuchhändlers Ruprecht. Hier lernte er 1851 seine spätere Gattin kennen, die Tochter des Gymnasialdirectors und Domherrn Blume in Wesel. In Prag entwickelte er mit Georg Bippart, der freilich in seiner religiösen und wissenschaftlichen Richtung ganz anders geartet war, eine reiche, besonders den österreichischen Schulen zugute kommende Thätigkeit. Es war natürlich, daß L. mit Bonitz in Wien, dem die Reform der Gymnasien besonders am Herzen lag, in nähere Beziehung trat. Die Thätigkeit Lange’s war eine tief eingreifende, die Leitung des philologischen Seminars, die er mit Bippard gemeinsam hatte, und die Vorlesungen nahmen ihn sehr in Anspruch. In den vier Jahren seiner Wirksamkeit in Prag hat er neun systematische und sieben exegetische Vorlesungen gehalten. Die Studenten erkannten gar bald, daß sie durch die Gelehrsamkeit Lange’s sehr gefördert wurden. In dem Collegium über römische Staatsverfassung belief sich die Zahl der Zuhörer auf 154. Auch der gesellige Verkehr mit dem Sprachforscher Aug. Schleicher (vgl. Lehmann, Aug. Schleicher. Skizze. Leipzig 1870, Conr. Bursian, Gesch. der classischen Philologie, S. 849, 978, 996), mit dem von Jena nach Prag berufenen Juristen Chambon und dem Zoologen Stein war angenehm, aber die nationalen und confessionellen Gegensätze brachten doch manche Mißstimmung, so daß L. gern den 1859 an ihn ergangenen Ruf nach der kleineren hessischen Hochschule Gießen annahm. Hier hat er 12 Jahre eine segensreiche Wirksamkeit durch seine Vorlesungen und als Leiter des philologischen Seminars geübt, auch die persönlichen Beziehungen, in die er besonders mit dem geistreichen Verfasser des Geistes des römischen Rechts, Jhering, und mit andern Amtsgenossen, seinen früheren Schülern Ludwig Schwabe und Ed. Lübbert, trat, waren sehr zusagend. Im J. 1864 stellte ihn das Vertrauen seiner Collegen als Rector an die Spitze der Hochschule. L., der im Jahre 1866 im Gegensatze zu der in Süddeutschland hervortretenden Stimmung mit seinen Sympathien auf preußischer Seite stand, hatte deshalb in seiner Stellung keine Unannehmlichkeiten zu erleiden. Durch seine Vorlesungen und durch die Seminarübungen hat er auf die gründliche philologische Bildung der Gymnasiallehrer in Hessen sehr heilsam gewirkt. Durch seine in das Gebiet der griechischen Grammatik einschlagenden Recensionen, z. B. der 2. Aufl. der griechischen Schulgrammatik von Wilh. Bäumlein (Zeitschrift f. d. österr. Gymn. 1858, 1. Hft., S. 28 fg., der Schulgrammatik von Georg Curtius, Jahrb. 67, 35–45), durch andere im Philologus, in den Göttinger gelehrten Anzeigen, in den Jahrb. für classische Philol. veröffentlichte Besprechungen von neuen Büchern, vor allem aber durch die im J. 1856 in der Weidmannschen Buchhandlung erschienenen römischen Alterthümer (I. Bd. 1856, II. Bd. [576] 1862, III. Bd. 1871) hatte er seinen gelehrten Ruf so begründet, daß im J. 1871 (Ostern) der ehrenvolle Ruf an ihn erging, an der Seite Friedr. Ritschl’s und Georg Curtius’ die realen Seiten der Alterthumswissenschaft an der berühmten, vielbesuchten Hochschule in Leipzig zu vertreten. Es war natürlich, daß ein Gelehrter von der Bedeutung Ludwig Lange’s auch ordentliches Mitglied der königlich sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften wurde. Leipzig war die letzte Station der erfolgreichen akademischen Thätigkeit Lange’s. Er fand an der durch so große Philologen vertretenen Universität ein reiches Arbeitsfeld. Endlich im Herbst 1874 unternahm er die längst geplante Reise nach Italien, die für den Verfasser der römischen Alterthümer eine ganz besondere Bedeutung haben mußte. Vielleicht hatte L. sich durch Ueberanstrengung den Typhus zugezogen; leider konnte er sich nicht so schonen, wie es wohl nöthig gewesen wäre, da am 8.–9. November 1876 der Heimgang Friedrich Ritschl’s ihm neue Geschäfte brachte. Die Wirksamkeit, die L. in Leipzig gefunden, sagte ihm trotz der Arbeitslast sehr zu, so daß er 1875–1880 den Höhepunkt seiner akademischen Thätigkeit erreicht hatte. Am 31. October wurde er Rector der Universität und im Sommer 1880 ernannte ihn der König von Sachsen zum Geh. Hofrath. Nach Ritschl’s Tode wurde L. die Leitung des russischen Seminars angetragen, die er aber, schon mit Arbeiten überhäuft, ablehnte. Im Frühjahr 1880 konnte L. mit Befriedigung die Feier seines 25 Jahre lang verwalteten Ordinariats in der philosophischen Facultät begehen, ein Vierteljahrhundert voll von Arbeit und reich an Anerkennung lag hinter ihm. Im Frühjahr und Herbst suchte er durch Erholungsreisen seine angegriffene Gesundheit zu stärken. Obwol seine Familie ihn bat, sich von seiner amtlichen Thätigkeit zurückzuziehen, so war der an Thätigkeit gewöhnte Gelehrte doch nur zu bewegen, seine Entlassung aus der Prüfungscommission zu nehmen und für das Jahr 1885 einen halbjährigen Urlaub nachzusuchen, um neue Kräfte für weiteres Wirken zu sammeln. Auf seiner Rückkehr aber erlitt er in Freiburg einen neuen Krankheitsanfall, von dem er sich in Gießen und Leipzig nicht wieder erholen sollte. Kurz vor seinem eigenen Heimgang erfuhr er noch den am 12. August 1885 in Hermsdorf bei Warmbrunn erfolgten Tod des überaus trefflichen Georg Curtius, und am 18. August desselben Jahres schloß er, von den Seinigen und von allen, die seine Verdienste um die Wissenschaft zu würdigen wußten, tief betrauert, seine Augen. Lange’s Verdienste um die Alterthumswissenschaft sind erheblich. Er war es, der, wie Georg Curtius, es für eine Forderung der Wissenschaft hielt, die Resultate der vergleichenden Sprachwissenschaft auch auf die alten Sprachen anzuwenden, die Recensionen von G. Curtius’ griechischer Grammatik und des inhaltreichen Buches der griechischen Etymologie legen davon Zeugniß ab. Wie gründliche grammatische Studien L. getrieben hatte, das beweisen u. a. die beiden in den Jahren 1872 und 73 erschienenen Abhandlungen der philologisch historischen Classe der k. s. Gesellschaft der Wissenschaften über den homerischen Gebrauch der Partikel εἰ und εἴ κεν (ἄν). Lange’s Hauptwerk sind entschieden die in drei Bänden schon in mehreren Auflagen in der Weidmann’schen Buchhandlung erschienenen „Römischen Alterthümer“ und viele das griechische und römische Alterthum betreffende Abhandlungen und Recensionen. Ein wie fleißiger Gelehrter L. gewesen ist, ersieht man am deutlichsten aus dem dem Nekrolog Lange’s von Prof. K. Joh. Neumann beigegebenen Verzeichnisse (S. 28–33) seiner Schriften. Die in zwei Bänden 1887 in Göttingen erschienenen „Kleinen Schriften“ Lange’s liefern den Beweis von seiner gründlichen Gelehrsamkeit.