ADB:Ritter, Heinrich
Schleiermacher einen entscheidenden Einfluß auf ihn ausübte. Im J. 1815 machte er als Freiwilliger den Befreiungskrieg mit und 1817 promovirte er in Halle mit einer Dissertation „De inscitia humana“, worauf er sofort sich in Berlin als Privatdocent habilitirte, wobei er an die Abhandlung „Ueber die Bildung des Philosophen durch die Geschichte der Philosophie“ (1817) die Herausgabe einer von der Berliner Akademie gekrönten Preisschrift (über das Verhältniß des Cartesianismus zum Spinozismus) knüpfte, welche er noch als Student verfaßt hatte. Er las über Logik und über Geschichte der Philosophie und erhielt 1824 eine außerordentliche Professur; auch wurde er im Hinblick auf seine historische Richtung (1832) von der Berliner Akademie unter ihre Mitglieder aufgenommen. Im J. 1833 folgte er als Ordinarius einem Rufe nach Kiel und von dort ging er 1837 in gleicher Eigenschaft nach Göttingen, wo er bis an sein Lebensende wirkte. Seine litterarische Laufbahn begann er mit Einzeluntersuchungen, welche für die damalige Zeit ganz verdienstlich waren, nämlich: „Ueber die Lehre des Empedokles“ (1820 in Wolf’s Analekten), „Geschichte der jonischen Philosophie“ (1821), „Geschichte der pythagoreischen Philosophie“ (1826), „Ueber die Philosophie der megarischen [674] Schule“ (im Rhein. Museum, Jahrg. 2). Daneben erschienen auch „Vorlesungen zur Einleitung in die Logik“ (1823), „Abriß der philosophischen Logik“ (1824, 2. Aufl. 1829), wobei der Standpunkt Schleiermacher’s zu Grund gelegt ist, und ferner „Die Halbkantianer und der Pantheismus“ (1827). Hierauf aber folgte das große umfassende Werk „Geschichte der Philosophie“ (12 Bände, 1829–53; 2. Aufl. der vier ersten Bände 1836–38), welches mit der unmittelbar vor Kant vorhergehenden Zeit schließt und innerhalb dieser Beschränkung die ausführlichste Darstellung ist, welche wir besitzen; durch das Ganze zieht sich eine gewisse Schleiermacher’sche Einseitigkeit, vermöge deren es R. nicht vermochte, irgend aristotelischen Strömungen gerecht zu werden, und auch im Einzelnen zeigen sich, besonders im Mittelalter, manche Flüchtigkeiten und schiefe Auffassungen, so daß für genauere Forschung noch Mancherlei zu thun übrig blieb. Gemeinschaftlich mit Preller, welcher aber den Hauptantheil hatte, bearbeitete er „Historia philosophiae graeco-romanae ex fontium locis contexta“ (1838, 5. Aufl. 1875), auch gab er (1839) aus Schleiermacher’s handschriftlichem Nachlasse die Geschichte der Philosophie heraus. Unter dem Titel „Die christliche Philosophie nach ihrem Begriffe, ihren äußeren Verhältnissen und ihrer Geschichte bis auf die neuesten Zeiten“ (2 Bände 1858 f.) erschien ein Auszug aus den betreffenden Bänden des größeren Werkes nebst einer auf die Neuzeit fortgeführten Ergänzung und in Raumer’s Historisches Taschenbuch (1856) lieferte R. eine „Kurze Uebersicht über die Geschichte der Philosophie“. Zu diesen geschichtlichen Arbeiten kamen noch anderweitige Schriften, nämlich: „Ueber das Verhältniß der Philosophie zum Leben“ (1835), „Ueber die Erkenntniß Gottes in der Welt“ (1836), „Ueber das Böse“ (1839, veranlaßt durch Julius Müller „Ueber die Sünde“); unter dem Titel „Kleine philosophische Schriften“ (2 Bände 1839) gab er eine Darlegung der Principien der Rechtsphilosophie und der Aesthetik; wenig Beifall fanden die drei kleineren Arbeiten „Ueber unsere Kenntniß der arabischen Philosophie“ (1844), „Ueber Emanationslehre“ (1847) und insbesondere „Ueber Lessing’s philosophische und religiöse Grundsätze“ (1847). Es folgten noch „Versuch zur Verständigung über die neueste Philosophie seit Kant“ (1853), „System der Logik und Metaphysik“ (1856), „Encyclopädie der philosophischen Wissenschaften“ (3 Bde. 1862–64), ferner die populäre Schrift „Unsterblichkeit“ (1863, 2. Aufl. 1866), sodann „Ernst Renan über die Naturwissenschaft und die Geschichte mit den Randbemerkungen eines deutschen Philosophen“ (1865) und „Philosophische Paradoxa“ (1867), worin er den Standpunkt vertrat, daß die Welt schlechthin gut sei. Aus seinem Nachlasse veröffentlichte Peipers „Das Böse und seine Folgen“ (1869, 2. Aufl. 1876). Die eigenen philosophischen Ansichten Ritter’s weisen nicht auf ein einheitliches selbständiges Princip zurück, sondern ein gewisser Eklekticismus verträgt sich bei ihm mit seiner Neigung zu Schleiermacher, und es fehlt an fester Folgerichtigkeit des Ganzen und der einzelnen Zweige der Philosophie, indem er in theologisirender Weise eine Vereinbarung verschiedener Anschauungen versucht und hiebei nicht nur die Wirklichkeit einer göttlichen Offenbarung, sondern sogar das Auftreten der Wunder zu rechtfertigen unternimmt.
Ritter: August Heinrich R., geboren in Zerbst am 21. November 1791, † am 3. Februar 1869 in Göttingen, besuchte das Gymnasium seiner Geburtsstadt und studirte hierauf 1811–15 Theologie und Philosophie an den Universitäten Halle, Göttingen und Berlin, woselbst