ADB:Ribbeck, Otto
Ernst Friedrich Gabriel Ribbeck, S. 473). Diesen Grundsätzen entsprach des Sohnes Lebensauffassung, wenn er später erklärte: „Um so mehr hat Jeder die Pflicht, durch Tüchtigkeit und, wenn es sein kann, durch höhere Menschlichkeit sein Recht zur Theilnahme an dieser großen, leider zu gemischten Gesellschaft nachzuweisen.“ Als der Vater nach Breslau versetzt wurde, besuchte der Knabe das Friedrichsgymnasium, wo einer seiner Mitschüler der spätere preußische Cultusminister Dr. Falk war. Infolge des Vaters Versetzung nach Berlin trat 1843 der als fleißig und tüchtig bekannte Schüler in das von seinem Onkel Ferdinand geleitete Gymnasium zum Grauen Kloster ein; 1845 bezog er die Universität Berlin, wo er namentlich Boeckh und Lachmann hörte.
Ribbeck: Otto R., classischer Philologe und Universitätslehrer, † 1898. – Johannes Karl Otto R. wurde am 25. Juli 1827 in Erfurt geboren. Sein Vater, Generalsuperintendent und Schulrath, entstammte einer angesehenen Berliner Theologenfamilie pommerscher Herkunft (s. A. D. B. XXVIII, 801 f.), war vielseitig gebildet und dichterisch veranlagt. Sein ernster und strenger Charakter zeigt sich in den Lebensregeln, die er jedem seiner Söhne beim Austritte aus dem Vaterhause mitgab (Erinnerungen anIm Frühlinge des folgenden Jahres zog er mit seinem Bruder Ferdinand nach Bonn. „Fünf ganzer Tage hatte es bedurft, ehe zwei Berliner Mutterkinder 84 Meilen weit transportirt und mit Sack und Pack unter Dach und Fach gebettet wurden.“ Das umfangreiche Gebäude der Universität mit dem herrlichen Garten und der hinreißenden, unerschöpflichen Aussicht auf den majestätisch breiten Strom und die lockenden Berge erregte die Bewunderung des jungen Studenten, sowie Friedrich Ritschl’s neu erbautes Haus, ganz im [330] Freien gelegen, mit großem, sehr Schönes versprechenden Garten, und aufs Comfortabelste eingerichtet.
Bei ihm wurde Visite gemacht, da die Familie zu ihm von Erfurt und Breslau Beziehungen hatte, die Vorlesung über lateinische Grammatik und die Interpretation der Sieben vor Theben belegt, auch Welcker gehört. Ausflüge in die Umgebung boten Erholung; in den Sommerferien während einer Reise durch den Schwarzwald nach der Schweiz genossen die Brüder nichts als Glück, Zufriedenheit und Freundschaft. Jetzt wurde die Arbeit eifrig fortgesetzt. Namentlich Ritschl’s Plautuscolleg zog R. an. Endlich wurde er durch den größten „Arbeitgeber“ auf die altlateinische Tragödie als bestimmten Kreis der engeren Studien hingewiesen, die ihm nach langem und quälendem Umherstreifen Beruhigung und Concentration versprachen, auch mit goldenen Rathschlägen von ihm unterstützt, der sie gerade hierin zu geben am besten unter allen im Stande war. Sah der schüchterne Anfänger seine Schwäche und Unsicherheit ein, so ermuthigte ein anerkennendes Wort wieder zu neuem Fortschreiten. Ritschl wurde Begründer, Leiter und ewiges Vorbild des philologischen Strebens; Frau Professor nahm sich des Schützlings an, den sie als lenksam, weich und hingebend bezeichnete.
Als im Sommer des Jahres 1847 die Zeit des Scheidens vom Rhein herannahte, freute sich Otto mit dem Schwinden jedes Tages des Reichthums, den er genossen, und sah hoffnungsvoll der Zeit entgegen, „wo die große Metamorphose des einsamen Studentleins in die ansehnlicheren Gestalten eines Sohnes, Bruders, Schwagers, Neffen, Vetters vor sich gehen und die Uncultur der Civilisation wieder Platz machen werde“. Dankerfüllt schreibt er in dieser Zeit den Eltern: „Wie viel ich aber Eurer elterlichen Liebe für den Gewinn dieser drei Semester in Bonn schulde (die einen ganz unschätzbaren Einfluß auf mein ganzes Leben geübt haben), dessen werde ich Euch noch mündlich versichern. Ritschl ist einmal das A und O meiner Studien, und seine Frau meine zweite Erzieherin gewesen. Durch den Antrieb beider, hoff’ ich, wird mein künftiges Leben einen Schwung erhalten haben, der auch ohne weiteres Treten und Drehen nicht erschlaffen wird.“ Als das Sommersemester 1847 zu Ende ging, begab er sich nach Breslau, um mit der Familie dort die Hochzeit des Bruders Bernhard zu feiern.
Nach Berlin zurückgekehrt, trieb er archäologische Studien, bei denen er durch Gerhard unterstützt wurde. Auch Lachmann und G. Curtius hatten ihre tiefere Wirkung. Die Stürme der Revolution störten das stille Schaffen; der Student vertauschte die Feder mit der Büchse und zog auf Wache. Daneben schloß er die Arbeit ab, mit der er sich im Mai 1849 die Doctorwürde erwarb: „In tragicos Romanorum poetas. Specimen I.“
Im November begab er sich nach Bonn, um sich der Staatsprüfung zu unterziehen. Ritschl und Frau nahmen ihn freundlich auf. Gern wäre er seines Gönners Vorschlag gefolgt und hätte das Probejahr in Bonn angeschlossen; aber auf den Wunsch seiner Eltern kehrte er Ende November nach Berlin zurück und arbeitete an den Fragmenten der Tragiker weiter. Zu seiner großen Freude erlangte er die Einwilligung seiner Eltern, das Probejahr in Bonn abzulegen und hoffte hier auch mit seinem Freunde Paul Heyse zusammenzusein. Aber dieser kam nicht. Dazu gefielen ihm seine Amtsgenossen nicht. Er schreibt am 14. April 1850 seiner Mutter: „Ich bin einige Tage wie ein Träumender umhergegangen; ohne Ritschl’s rührende Freundschaft wär’ ich ganz verlassen gewesen. Am Mittwoch besuchte ich die Lehrer des Gymnasiums: wenn ich einmal so werde, so näht mich in einen Sack und werft mich in die Spree; – rheinische Schoppenphilister ohne Saft und Wissenschaft. Aber der Director [331] ist ein guter, gescheiter Mann ohne allen Amtshochmuth, ohne Adlerschwingen, aber voll Jovialität.“ Nebenher verhandelte er mit dem Director einer Privatschule wegen Uebernahme von Privatstunden. Es wäre ihm eine unendliche Freude, den Eltern mit einem Male aus der Tasche enthoben zu sein; andererseits fordert die Rücksicht auf Gesundheit, Athemholen und seine anderweiten Studien vernünftige Ueberlegung. Schwierigkeiten bei der Handhabung der Disciplin verschwanden nach angewandter Strenge. Doch blieb er nur ein halbes Jahr hier; das zweite Semester leistete er in Berlin am Joachimthal’schen Gymnasium unter Director Meineke ab. Dazu schloß er sein Werk über die Tragikerfragmente, die „Scaenicae Romanorum poesis fragmenta“ (2., erweiterte Auflage 1871/3, 3. Aufl. 1897 ff.) ab, das Ritschl dem Verleger mit warmen und für den Verfasser ehrenden Worten empfahl. Freilich ging der Letztere trotz seiner Ueberzeugung von der Richtigkeit seiner Emendationen und Erklärungen nur mit Bangen an die Veröffentlichung. Er schrieb an seinen Gönner: „Den Strich unter eine Rechnung machen, deren Zahlen mit jedem neuen Plautusstück und jedem neuesten Blick in Ihre Werkstatt unverhofft berichtigt werden, so auf Reisen zu gehen mit einer Barschaft von wechselndem Cours ist mißlich. Aber einmal muß doch dieses Experiment auch mit ins Gefecht kommen, und Sie werden mir kaum rathen zu einem späten ‚aus dem Busch‘, wenn die ganze Plautuscolonne bereits vorgerückt ist. Bis dahin könnten vielleicht sogar schon die kleinen Komiker aufgeschlossen sein, deren Bearbeitung mich immer mehr reizt, je wunderbarer sich mir diese halb aufgeschlossene und vor verfrühtem Abend zu bald in sich zusammengefaltete Knospe alter Latinität und Poesie, vormalt.“ Leider konnte er sich der „leisen, traurigen Ahnung“ nicht erwehren, daß ihm die Schule ein Grab, und kein rosenbedecktes, sein werde; trotz Kissingen und Ems erschien ihm seine Gesundheit eine „spröde und wetterwendische Donna“. Ein Herzleiden, verbunden mit einem heftigen Lungencatarrh, ließ einen Aufenthalt im Süden wünschenswerth erscheinen.
Da griff Ritschl ein. Er empfahl seinen Schützling zu einer wissenschaftlichen Reise nach Italien. Die Berliner Akademie bewilligte Mittel mit dem Auftrage, zu Virgil die Handschriften zu vergleichen. Die Freude war um so größer, als Paul Heyse, ebenfalls mit einem Auftrage zu wissenschaftlicher Arbeit, ihn begleitete, der den Freund in jenen Tagen folgendermaßen schildert: „Man hatte ihn (Ribbeck) sogar mit Sorgen die Reise nach Italien antreten sehen … Aber in dem anscheinend schwächlichen, überschlanken Körper herrschte ein energischer Geist und eine zähe Widerstandskraft. Ein ähnlicher Gegensatz von Zartheit und Festigkeit erschien auch in seinem geistigen und sittlichen Wesen; eine fast mädchenhafte Reinheit und Jungfräulichkeit der Empfindung ohne eine Spur von moralisirender Prüderie, weil das Gemeine weit hinter ihm lag, und dabei eine so mannhafte Rüstigkeit des Willens, oft bis zur Schroffheit gesteigert, daß er sich nicht besann, Menschen, die er gering achtete oder auch nur unsympathisch fand, mit verletzender Schärfe abzustoßen. Wen er aber liebte, den umfaßte und hegte er mit einer Innigkeit des Gemüths, einer Zartsinnigkeit des Ausdrucks, die unwiderstehlich waren.“
In den Briefen lesen wir die lebensvollen Berichte über die Reise, die über den Genfer See, den Simplon, die Borromäischen Inseln nach Mailand ging, wo sich die Freunde von einer verregneten Landparthie den Humor nicht verderben ließen. Nach kurzem Aufenthalte unterwegs gelangten sie in Rom an. Hier wurden die Sehenswürdigkeiten, auch die Umgebung, z. B. Tivoli, besucht. Auf dem Capitol verkehrten sie mit Braun und Henzen, auch Welcker, der als der Tiefste, Liebenswürdigste und Freundlichste von R. gerühmt wird. Kirchenrath Hase aus Jena lud zum Thee ein; Overbeck’s Atelier erregte [332] Interesse. Monte Pincio und die belebtesten Straßen gewährten reiche Abwechslung. Vor dem ernsten Theater bekam R. Respect … „Nie wieder! Und in der Oper ewig ein und dasselbe Bellini’sche Stück Elsa Walton, seit drei Wochen!“ Ueber seine Arbeiten konnte er bereits am 17. Januar 1853 melden: „Bei meiner Virgilischen Lumpensammelei scheint doch wirklich mehr herauszukommen, als ich hoffte; jedenfalls wird eine kritische Ausgabe daraus, die nach all dem Wust von Schultexten und Commentaren gut thun wird. Sprachliche Raritäten kommen bei der Gelegenheit allerhand zur Sprache; die Schulmeister werden ihren alten Virgil gar nicht wiedererkennen. Aber es gibt viel Plackerei dabei, hier und zu Hause; Teubner muß altlateinische Lettern gießen lassen; denn mit Cursivschrift kann ich meine Schätze aus vier steinalten Majuskelhandschriften nicht besudeln.“ Auch mit der Gesundheit ging’s vorwärts. Und so jubelt’s Ende Januar 1853 im Briefe an die Eltern: „Juchhe Pantzsch (d. i. der Hausarzt) und meine Studien! Das viele Fleisch, das ich aus Mangel au Gemüsemannichfaltigkeit und Compotts verzehre, schlägt mir in die Backen, an denen ich alle zwei Tage, wenn ich zum Rasiren in den Spiegel sehe, neue Vollkommenheiten entdecke. Mein Arbeiten besteht im Plänemachen für die Berliner Zukunft. Wehe der Philologie, wenn ich wieder an meinem grünen Tisch sitze und einen Laufjungen habe!“ Anfang April machen die Freunde einen Abstecher nach Neapel und Sorrent, und R. schwelgt im Genusse der entzückenden Landschaft „mitten unter schwellenden Orangen- und Citronengärten, Pfirsich-, Aepfel- und Rosenblüthen dazwischen, vor uns Meer und in der Ferne Neapel mit seinem langen Häuserschweif, hinter uns zur Lehne einen mäßig hohen Bergrücken. Es thut mir beinahe Leid, daß ich nicht ein Elendsein aus Rom mitgebracht habe, um Rechte und Pflichten zum Ausruhen hier zu haben.“ Vom 24. April arbeitete er wieder 11/2 Monate in Rom. Dann ging’s über Assisi und Perugia nach Florenz und Verona zu längeren Studien und schließlich nach Venedig, wo er auf der Bibliothek nichts zu thun fand und sich so ganz der Besichtigung und dem Studium des Volkslebens widmen konnte.
Nach Berlin zurückgekehrt, trat er als Mitglied in das Königliche Seminar für Gelehrtenschulen ein und hatte einige Stunden zu erthei1en. Daneben verarbeitete er die Ergebnisse der Reise. Hier verlobte er sich mit der zweiten Tochter, Emma, des durch die Gradmessungsarbeiten bekannten Generals Baeyer. Nachdem die Hochzeit am 23. September 1854 in Berlin stattgefunden hatte, siedelte das junge Paar nach Elberfeld über, wohin Ritschl seinen Schüler in die zweite ordentliche Lehrerstelle am Gymnasium empfohlen hatte. Dieser arbeitete hier fleißig an den Fragmenten der Komiker, die er 1855 veröffentlichen konnte. Doch stand er auch hier unter einem gewissen Drucke, sodaß es ihm als eine Erlösung aus einem Verließ erschien, als im Frühlinge des Jahres 1856 an ihn der Ruf des Regierungsraths des Kantons Bern kam, die außerordentliche Professur der classischen Philologie an der dortigen Universität zu übernehmen. 1859 rückte er in die ordentliche Professur ein; auch wurden ihm die Unterrichtsstunden, die er in den oberen Classen der Kantonsschule zu ertheilen hatte, herabgemindert. War schon bei der Annahme dieser Professur die innere Stimme entscheidend gewesen, „die schon oft leise und bald mürrisch, bald resignirt, jetzt aber trompetenhaft schmetternd“ ihm zuredete, die Pädagogik hintan zu lassen, sowie die Erkenntniß, daß er „in der Philologie mehr und Eigenthümlicheres leisten könne, als in der Schulzucht“, so ging er 1861 an die Universität Basel schweren Herzens, aber in der Hoffnung über, einen noch günstigeren Boden für seine Bestrebungen zu erhalten. Wenn auch hier ein Typhusleiden ihm lästig wurde, so war doch die [333] Thätigkeit in der Prima des Gymnasiums wie an der Universität eine recht befriedigende. Mit Jakob Burckhardt trat er in ein freundschaftliches Verhältniß; auch brachte der nachbarliche Verkehr mit Köchly in Zürich, Hermann Usener in Bern und Franz Bücheler in Freiburg im Breisgau manche Anregung.
Als R. 1862 von zwei gleichzeitigen Berufungen nach Marburg und Kiel die letztere annahm, trat er zunächst in eine ruhige, stille Idylle kleinstädtischen Lebens ein, bis die politische Bewegung große Umwandlungen zur Folge hatte. Am 21. November 1863, nach dem Tode des Königs von Dänemark, meldete er an Ritschl: „Soeben erhalten sämmtliche hiesige Beamte von Kopenhagen das Eidesformular, in drei Tagen einzusenden. Was unsererseits zu thun ist, wird heute abend berathen. Die Sache liegt sehr klar: hätte der verehrungswürdige deutsche Bund heute einen festen Beschluß über Anerkennung oder Nichtanerkennung gefaßt, so hätten wir diesem einfach zu folgen, unbekümmert um die Folgen. Ob aber eine solche Norm zur Hand sein wird, ist sehr zu bezweifeln. So ist nur zu wünschen, daß unsere Corporation einmüthig und als Gesammtheit thut, was sie als solche verantworten kann. Auf eine ehrenhafte Lösung der Frage habe ich fast keine Hoffnung. Vedremo.“ Am folgenden Tage berichtete er, daß alle ordentlichen Professoren mit drei Ausnahmen in einer Eingabe um Aufschub der Eidesforderung zu bitten beschlossen, außerdem 48 Kieler Beamte, darunter auch viele Universitätslehrer, sich geeinigt haben, den geforderten Eid vor der Hand nicht zu leisten. „Natürlich habe ich auch hieran mich betheiligt mit den honettesten meiner Collegen, z. B. auch Gutschmid. Die Folge unter dem Ministerium Hall kann nur die Absetzung sein resp. Landesverweisung der nicht Heimathberechtigten (zu denen ich zufälligerweise noch gehöre; der Reichsrath verleiht das Indigenat, und jeder Neuberufene erhält es. Man läßt sich aber Zeit). Ob nun vom Bunde Hülfe und eine restitutio in integrum zu erwarten ist, weiß er schwerlich selbst. Man muß auf alles gefaßt sein, auch darauf also, daß das Kieler Intermezzo ein Ende hat und man von neuem auf den Markt gesetzt wird.“
Als das Land von Preußen besetzt wurde, hatten eine Reihe militärischer und Civilverwaltungsbehörden in Kiel ihren Sitz, theils dauernd, theils vorübergehend. Freilich ersetzten dem Professor die Preußenfreunde nicht immer, was er an den Augustenburgern verloren hatte. Der deutsch-französische Krieg führte wieder Veränderungen herbei. Mit größtem Interesse verfolgte er ihn. Bereits nach den ersten Erfolgen schreibt er an Heinrich v. Treitschke: „Zwar unsägliche Trauer hat er schon über unser Volk gebracht, und unberechenbar ist, wie viele Opfer er noch fordern wird; und doch ist es wie ein neues Leben, zu dem wir erwacht sind, als hätte ein wunderbares Bild, ein umgekehrter Peliaskessel unsere Glieder zu einem ungeahnten heroischen Prachtbau umgeschaffen und ihnen einen göttlichen Athem eingehaucht. Aber das Schönste dabei ist, daß alles so ganz mit natürlichen Dingen zugeht. Wir wissen, welcher strengen Zucht wir diese Früchte verdanken, und das wird uns vor Uebermuth bewahren, aber auch vor Kleinmuth und Blödigkeit, hoff’ ich.“ Er preist Heinrich v. Treitschke glücklich, der auf den Wogen der Geschichte schwimme, „während wir Noth haben, daß uns unsere Grubenlichter nicht gar vor dem scharfen Sturmwinde auslöschen“.
Auch sonst gab es mancherlei bewegtes Leben in diesem Jahre. Im September 1869 fand die Philologenversammlung in Kiel statt, die er mit den gründlichen „Beiträgen zur Lehre von den lateinischen Partikeln“ begrüßte! Dazu war er als Professor eloquentiae mit reicher Arbeit belastet, aber auch [334] mit Anerkennung belohnt, die dazu beitrug, die angeborene Schüchternheit und Scheu abzustreifen.
Die Lehrthätigkeit war erfreulich. Zunächst blieb die Zahl der Hörer hinter der in Basel zurück. Dazu wurde den Schleswigern das Studium in Kiel nicht nur nicht angerechnet, sondern bei Anstellungen geradezu nachgetragen. Aber bald wurde es anders. Schon im Mai 1868 schreibt er: „Meine Auditorien haben sich doch nach hiesigen bescheidenen Verhältnissen für diesen Sommer ganz ordentlich gefüllt, sodaß ich mit meiner Wirksamkeit zufriedener sein kann, als ich es je war, wobei immer noch die Bäume viel Luft haben, ehe sie in den Himmel wachsen.“ Tüchtige Schüler stellten sich ein, vor allen hervorragend Erwin Rohde, der durch die Vorlesung über die griechische Tragödie, die Seminarübungen, die Preisaufgabe über Pollux, die Beförderung der Habilitation, wie die Besonderheiten seines nach Anlage und Erziehung eigenthümlich entwickelten Charakters für den Lehrer und Gönner gewonnen und auf sein Leben zur Dankbarkeit verpflichtet wurde. Trotz mancher Verschiedenheiten der Auffassung, z. B. auf dem Gebiete der Politik, trat ihm der Förderer schon in Kiel als Freund nahe. R. berichtet darüber: „Keine Woche verging, in der wir nicht wenigstens einmal bis tief in die Nacht bei Gesprächen zusammengesessen hätten, welche so ziemlich alle Seiten allgemein menschlicher Interessen berührten. Seine umfangreiche Bildung und die ungewöhnlich früh entwickelte Kraft und Schärfe seines Urtheils, sein Verständniß für Kunst und Poesie, kurz alle seine intellectuellen Eigenschaften, so glänzend sie sind, hätten mich indessen auf die Dauer nicht gefesselt, wenn nicht der Adel seiner ethischen Natur und die Reinheit seines Gemüthes eine tiefe Zuneigung zu ihm in mir begründet hätte.“
Von den Amtsgenossen traten Ribbeck Weinhold, v. Gutschmid, Justi, Dilthey und Heinrich v. Treitschke näher, dessen erfolgreicher politischer und socialer Einfluß in einem Briefe vom 4. November 1866 unter Hervorhebung der eigenen Anschauung von R. eingehend geschildert wird. In dem zweistündigen Colleg über die Jahre 1848–50 standen die Zuhörer, als der Briefschreiber hospitirte, weit bis auf den Flur heraus. Der Oberpräsident, der General v. Rosenberg, die ganze Regierung, viele Professoren u. s. w. waren da und folgten dem staunenswerth leichten, eindringlichen und anregenden Vortrage mit höchstem Interesse. Der Redner sprach über die französische Julimonarchie und gab ein reiches Zeitgemälde, in dem politische, sociale, litterarische Zustände anschaulich und geistvoll zusammengedrängt waren. „Zu v. Treitschke’s Begrüßung hat unser Freund Forchhammer sich gemüßigt gesehen, eine sehr langweilige doctrinäre Broschüre: ‚Bundestaat und Freiheitsstaat‘ zu schreiben … Durch so schiefe Parallelen, wie er sie zwischen Deutschland und Griechenland zieht, könnte einem die Erinnerung an alte Geschichte fast verleidet werden. Man hat ihm ganz richtig erwidert: wir hätten nun lange genug die Griechen ohne Erfolg nachgeahmt, wollten es einmal mit den Römern versuchen. Auf die thatsächlichen Verhältnisse der Gegenwart wird auch nicht mit einer Silbe Rücksicht genommen.“
Eine überaus fruchtbare und wissenschaftliche Thätigkeit fällt in das Kieler Jahrzehnt. Vorwiegend galt sie nach wie vor der römischen Poesie. Für die Symbola philologorum Bonnensium zu Ritschl’s Jubiläum 1864 schrieb er die Abhandlung: „De Juvenalis satira sexta“, der im Jahre darauf „Der echte und der unechte Juvenal“ folgte. Auch Catull, Tibull und Properz, dazu Horaz wandte er sein Interesse zu. 1866 erschienen die „Prolegomena“ zu Virgil, die ihn ausgiebig in Anspruch genommen hatten, zwei Jahre später die „Appendix Virgiliana“. Die Vorarbeiten zur Geschichte der römischen Tragödie [335] waren im October 1870 so weit gediehen, daß er wegen der Drucklegung in Verhandlung treten konnte. Daneben trieb er eingehende Studien auf dem Gebiete der griechischen Litteratur. Den Charakteren des Theophrast ging er mit feinem Verständnisse nach; 1869 erschien die Schrift „Anfänge und Entwicklung des Dionysoscultus in Attika“; über Sophokles hatte er ein Jahr vorher einen Vortrag in der Harmonie gehalten; der „Philocteta des Accius“ gehörte in dieses Gebiet.
Seine Gesundheit war in dieser Zeit nicht fest; im October unterzog er sich einer Operation, von der er sich langsam erholte; auch sonst fühlte er sich nicht voll befriedigt. So kam es, daß er einen Ruf nach Heidelberg gern annahm. „Es ist mir beinahe so zu Muthe, wie damals, als ich aus der Kerkerhaft Elberfelds in die Schweiz entkam“. Im Herbste 1872 siedelte er nach Heidelberg über und bezog eine schöne Wohnung mit prächtigem Garten und entzückender Aussicht auf das Schloß. Die neue Aufgabe regte ihn an und der Blick in eine bessere Zukunft that ihm wohl. Die Audienzen in Karlsruhe hinterließen in ihm einen persönlich sehr angenehmen Eindruck. Ueber gewisse Schwierigkeiten seiner Stellung gab er sich keinen Illusionen hin. In einem Briefe an seinen Schwiegervater bezeichnete er die neue Thätigkeit als ein ziemlich wüstes und ödes Feld, das aber noch urbar zu machen sei. Der Zuhörerkreis war nicht größer als in Kiel, ließ es aber von Anfang an an Aufmerksamkeit und gutem Willen nicht fehlen. Ein Engländer, Belgier und Schweizer gab ihm die Hoffnung, daß sich mit der Zeit das Ausland vielleicht noch ein wenig stärker an den philologischen Studien betheiligen werde. Manches war verheißungsvoll: Mit Köchly hatte er sich „schon sehr amikabel verständigt“ und hoffte ihn allmählich etwas von seiner hier und da gar zu schulmeisterlichen Methode abzubringen oder wenigstens ihr heilsam entgegenzuwirken.“ So schreibt er am 4. November 1872; auch noch eine Woche später berichtete er freundlich über ihn: „Mein Specialcollege Köchly wohnt mir vis-à-vis; wir duzen uns und besuchen uns zu abendlichen philologischen Plaudereien; zu männlichen Gesellschaften am dritten Orte holen wir uns ab, trinken unsern Wein zusammen und machen alle amtlichen Geschäfte in vertraulichstem Einvernehmen miteinander ab.“ Aber bereits Ende December meldete er unter dem Ausdrucke des Bedauerns, daß die Verständigung gescheitert sei. Der Streit betraf den Betrieb des Seminars auf Grund eines sieben Jahre früher von Köchly entworfenen Statuts, „welches in umständlichst pedantischer Weise“ – so schreibt R. – „die einzelnen Uebungen specialisirt, dabei über Exercitien, welche für Gymnasialschüler passen, die Freiheit wissenschaftlicher Arbeit ganz in den Hintergrund stellt, überhaupt das philologische Studium zu einer formalen Dressur macht, das Niveau der Studenten auf das einer Gymnasialprima herabdrückt. Demnach fand ich denn auch ein sehr bedeutendes Deficit an wissenschaftlichem Sinn und Selbständigkeit bei den Studenten vor, das mich im Anfang tief deprimirte.“ Schließlich entschied auf die Berichte beider Parteien das Cultusministerium in Karlsruhe. Befriedigt schreibt R. darüber: „Der Urtheilsspruch ist ein salomonischer: der Seminarsäugling ist halbirt dergestalt, daß wir (wie überall geschieht) Semester um Semester mit Ober- und Unterseminar wechseln und beiderseitig thun, was wir Lust haben. Da aber, abweichend vom Statut und meinen Anträgen entsprechend, bestimmte Dinge (die sich anderswo von selbst verstehn) als zulässig erklärt sind, hoffe ich meinen δεξιόσειρος mit der Zeit doch selbst in meine Bahn hineinzuziehen. Natürlich habe ich ihm gleich nach dem Siege die Versöhnungshand geboten, die er auch formell angenommen hat, sodaß wenigstens ein äußerlich anständiges Verhältniß gewahrt ist.“ Die taktvolle und entgegenkommende [336] Behandlungsweise der Angelegenheit durch den Minister Jolly wurde von R. anerkannt und gerühmt.
Ein anderer Streit brach während seines Decanats aus. Er wurde dadurch hervorgerufen, daß der Oberbibliothekar über Paläographie lesen wollte, und R., ohne die Facultät zu fragen, das Gesuch beim Senate befürwortete; er gewann an Heftigkeit, als der Decan in einem scharf ausgefallenen Umlaufschreiben gegen die Art der an seinem Verfahren geübten Kritik protestirte. Wohl wurde vermittelt; doch ließ sich R. von seinem Decanate entbinden, dachte wohl gar an einen Weggang von Heidelberg und verhandelte mit Jena; Jolly’s Eingreifen zeigte ihm, welchen Werth die Regierung auf sein Bleiben lege, und so gab er seinen Groll auf.
Dazu bestimmten ihn die Vorzüge Heidelbergs, die er wohl zu würdigen wußte. Sein für die Natur aufgeschlossener Sinn hatte Freude an den landschaftlichen Schönheiten der näheren und weiteren Umgebung, die er unter der kundigen Führung Hausrath’s dankbar und fröhlich durchwanderte. Zum ersten Male wurde die Schweiz besucht; eine wissenschaftliche Fahrt richtete sich nach Paris.
Im Gegensatze zu dem stillen und eingezogenen Kieler Leben wurde die Arbeit durch künstlerische Genüsse, Concerte und Leseabende unterbrochen, die ihm nicht nur ein Vergnügen, sondern eine Erhebung waren. So meldete er dem Kieler Freunde Karl Weinhold: „Gesellig hat sich unser Leben ganz angenehm gestaltet; man geht gemeinsam spazieren, um bei irgend einem angenehmen Schoppen Anker zu werfen. Musik wird viel gemacht und gute auf mannichfachen Instrumenten, sogar neuerfundenen. Es gibt Sonntagsmatineen und musikalische Soireen, vor und nach dem Essen, Komödien, Singspiele, was Sie wollen. In diesem, unserem Engeren kennt man die Rache nicht, vergißt die Schrecken der Majorität und die ohnmächtigen Zuckungen überwundener Drachen“.
Seine Lehrerfolge zeigten sich mehr und mehr. Als ihm Erwin Rohde sein Buch über den griechischen Roman gewidmet hatte, schrieb er an seinen Bruder: „Nicht wenig erfreut mich meines Freundes Rohde schönes neues Buch über den griechischen Roman, auf dessen Dedikation ich stolz bin. Er ist eine der bedeutendsten Arbeiten auf dem Gebiete der Litteraturgeschichte, umfassende, gründlichste Gelehrsamkeit, exakte Forschung, treffender Scharfsinn, glänzende Darstellung, Gedankentiefe, Phantasie und eine liebenswürdige, edle, gemüthvolle Persönlichkeit in seltener Weise vereinigend. Es ist eine imposante Arbeit, die sich aus der Masse litteraturgeschichtlicher Schreibereien heraushebt, wie ein lebendiger Mensch unter blutlosen Schatten. Du mußt es studieren und weiter empfehlen“.
Mit wissenschaftlichen Arbeiten war R. in Heidelberg eifrig beschäftigt. Die Fragmente der Komiker erschienen 1873 in zweiter Auflage. Im Jahre darauf wurde „Die Römische Tragödie im Zeitalter der Republik“ abgeschlossen und 1875 veröffentlicht. Dazu kamen Ergebnisse der Forschung über Dracontius, Dialogus de oratoribus, Apulejus de deo Socratis, Lucilius, „Neue Bemerkungen zum Miles gloriosus“. Als Früchte seiner Beschäftigung mit den Griechen erschienen Studien zu Euripides, sowie über „Einige historische Dramen der Griechen“. Ein populärer Vortrag über „Die bukolische Dichtung der Griechen“ ist in überarbeiteter Gestalt in die „Reden und Vorträge“ unter der Ueberschrift „Die Idyllen des Theokrit“ aufgenommen. Hausrath berichtet aus eigener Anschauung über den Erfolg: „Aus diesem dankbaren Stoffe schüttete der Redner eine solche Fülle idyllischer Bilder über die aufmerksamen Zuhörer aus, daß diese den Eindruck mitnahmen, die Zeit der [337] philologischen Dürre ist vorüber, und nun wird, wie in den Tagen von Voß und Creuzer, auch die Poesie des Alterthums wieder zu ihrem Rechte kommen“.
Schwer hat ihn Friedrich Ritschl’s Tod getroffen. Je mehr Zeit darüber hinging, je mehr, fürchtete er, würde er ihn vermissen. Wenige Tage vorher hatte er noch einen mit voller Frische und Schärfe des Geistes geschriebenen Aufsatz von seinem verehrten Lehrer erhalten. Kaum hatte er ihm seine Freude darüber ausgedrückt, als ein unleserlicher, zitteriger Klagezettel von ihm kam, der dem treuen Schüler ins Herz schnitt, und wenige Tage darauf überraschte ihn die Depesche von des Meisters Tode. Er eilte zur Beerdigung und widmete „dem unersetzlichen Lehrer“ am Sarge tiefempfundene Worte, die selbstbewußt ausklingen: „So sind wir nun wahrlich verwaist, – aber nicht verlassen! Denn Du hast uns erzogen, Du Unvergeßlicher, zur Selbständigkeit, Du hast uns gelehrt, nicht zu schwören auf die Worte des Meisters, sondern unermüdlich mit- und nachzuarbeiten. Und dieser Dein guter Geist walte über das Grab hinaus unter uns, ihm geloben wir unvergängliche Treue“ (Reden u. Vorträge S. 287).
Als er kurz darauf nach Leipzig berufen wurde, eröffnete sich ihm eine von seinem Vorgänger, Meister und Freunde vorbereitete, einflußreiche und tiefgehende Wirksamkeit im Colleg, im Seminar wie in der Societät. Der Kreis der Zuhörer war nicht nur der Zahl nach dem Heidelberger weit überlegen; hervorragend tüchtige Kräfte, so Karl Buresch, meldeten sich zur Mitarbeit; er trat ihnen wissenschaftlich und, von seiner Frau unterstützt, gesellig näher. So stand er bald in einer in höchstem Maße befriedigenden Amtsthätigkeit. Das Decanat verwaltete er 1882/83, das Rectorat in dem für Deutschland so wichtigen Jahre 1887/88. Als Vertreter der Universität wohnte er in Amtstracht der Beisetzung Kaiser Wilhelm’s bei und gab ihm das letzte Geleit auf der stolzen via triumphalis, die in eine düstere Straße des Todes verwandelt war. „Statt der heiteren Himmelssonne, welche des Kaisers Ehren- und Glückstage so oft freundlich verk1ärt hatte, umflorte Flammen und finstere Rauchwolken, die ein schwerer eisiger Hauch auf den Boden herabdrückte, als ob der Hades seine Herrschaft bezeugen wollte.“ Unter dem gewaltigen Eindrucke dieser Feier hielt er am 22. März in der Aula der Universität die Gedächtnißrede.
Da die feierliche Grundsteinlegung zum Reichsgerichtsgebäude in Gegenwart des deutschen Kaisers und Königs von Sachsen am 31. October, dem Tage des Rectorwechsels, stattfand, mußte letzterer verschoben werden und R. verlebte diesen „interessanten Tag, an dem man viel zu sehen und zu hören bekam und sich viel denken konnte“ „in der vollen Rectorpracht …, im offenen Wagen, auf Bahnhöfen, auf dem Festplatz zur Seite des Kaiserzeltes und beim Dejeuner“.
Neben dieser zeitraubenden und anstrengenden Amtsarbeit schuf er eine Reihe wissenschaftlicher Werke, die durch Methode und Gehalt unsere Zeit überdauern und über den Kreis der Philologen hinaus Interesse erregen werden. Große Anerkennung fand das biographische Musterwerk „Friedrich Wilhelm Ritschl. Ein Beitrag zur Geschichte der Philologie“, dessen zwei stattliche Bände schnell auf einander folgten (1879/81) und über den engeren Rahmen der Aufgabe hinausreichend die Entwicklung der deutschen Philologie im 19. Jahrhundert mit meisterhafter Beherrschung des Stoffes und in fesselnder Form darstellten. Ein Jahrzehnt später erschien die lang vorbereitete, oft aufgeschobene und endlich schnell hingeworfene dreibändige „Geschichte der römischen Dichtung“ (1887/92, Bd. I 1894 in zweiter Auflage). [338] Auch hier wirkte er durch die künstlerische Gestaltung des oft spröden Gegenstandes, mehr noch aber durch das stimmungsvolle Eingehen auf die charakteristischen Eigenthümlichkeiten der einzelnen Dichter. Er hatte auf die große und schwierige Aufgabe bereits bei Antritt seines Rectorats im J. 1887 mit seiner Rede über die „Aufgaben und Ziele einer antiken Literaturgeschichte“ hingewiesen. Auch die Prorectoratsrede zur Nachfeier von Königs Geburtstag am 30. April 1889 über den „Lobpreis von Fürsten und Helden bei Griechen und Römern“ fand große Anerkennung.
Ueberhaupt wurden ihm reiche Ehren zu Theil. Zum 60. Geburtstage wurden ihm die „Commentationes Ribbeckianae“ gewidmet, zum 70. seine von Seffner geschaffene Büste gestiftet. Dankbar berichtete er über diesen Festtag seinem Freunde Hausrath: „Sie haben mich mit einer solchen Fülle wohlthuender Liebeserweisungen überschüttet, daß auch mein Dank überströmt und sich nicht länger zurückhalten lassen will. Das Glück, Freunde wie Sie zur Seite zu haben, wirft auf den Rest meines Lebens einen sonnigen Glanz. Ich will mich bemühen, es noch auf meine alten Tage zu verdienen und jedenfalls zu genießen. An Ehrungen und Liebeserweisungen hat es nicht gefehlt, auch die Schweiz hat mir ein gutes Andenken bewahrt. Ein anonymes Telegramm aus Heidelberg, sicher von Rohde, lautet: salve, philologorum lumen! Macte viridi senecta! Perge porro! Scande recta floridum cacumen! Poeta laureatus te salutat. Wollen Sie ihm meinen anerkennenden Dank für diese poetische Leistung, wenn er sich dazu bekennt, übermitteln?“
R. war Secretär der sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften und gab bei ihrem 50jährigen Jubiläum einen fein abgewogenen Bericht über die Arbeiten der verewigten Mitglieder der philologisch-historischen Classe; als Mitglied gehörte er der Petersburger, Göttinger und Berliner Akademie an. Er besaß den Comthur vom königlich sächsischen Verdienstorden, den bairischen Maximiliansorden für Kunst und Wissenschaft, den griechischen Erlöserorden.
Im September 1897 führte er mit Martin Wohlrab den Vorsitz auf der Dresdner Philologenversammlung. Hier schien er noch in voller Manneskraft zu stehen; aber bald darauf befiel ihn große Müdigkeit und schwere Krankheit, gegen die er tapfer ankämpfte. Im Januar 1898 hielt er zwei Vorlesungen, dann brach er zusammen. Die Hoffnung, Genesung in Bad Nauheim zu finden, ging nicht in Erfüllung. Er starb am 18. Juli 1898. Bei der Trauerfeier am 21. Juli in der Johanniskirche sprach Rietschel, Wachsmuth und Wiedemann, ältere und jüngere Schüler. Auf dem Johannesfriedhofe wurde er beerdigt. Sein Grab schmückt ein Relief nach Seffner’s Büste.
Worin bestand Ribbeck’s Bedeutung? Zunächst in seiner Wirksamkeit als Lehrer, in der ersten Zeit an Gymnasien. Strenge Anforderungen stellte er an die Schüler; wohl nicht nur der ehemalige Elberfelder Primaner rief ihm mit Behagen die Blutbäder ins Gedächtniß, die der schändliche Censor über die Hefte ausgegossen hatte, und die scharfen lateinischen Noten, die er unter die Arbeiten schrieb. Aber die Fortschritte und Erfolge fanden Anerkennung und R. erklärte: „Dergleichen Bekenntnisse dankbarer Seelen entschädigen für viele Stunden stiller Wuth und Empörung“. Auch zur Hebung und Organisirung des höheren Lehrerstandes hat er seinen Theil beigetragen. In Bern gründete er den Verein Schweizer Gymnasiallehrer (28. Jahresbericht des Vereins Schweizerischer Gymnasiallehrer S. 8), ferner mit Fäsi, Koechly und Rauchenstein das Neue Schweizer Museum, das eine gemeinnützige, die Früchte wissenschaftlicher Forschung ins rechte Licht setzende Richtung einhalten sollte; nach Ritschl’s Tode war er Mitherausgeber des „Rheinischen Museums“. Als Kieler Professor bekundete er Interesse für den [339] Wiese’schen Lehrplan, in Heidelberg gehörte er dem badischen Oberschulrathe an, während der Leipziger Zeit ließ er sich als königlicher Prüfungscommissar bei den Reifeprüfungen der Gymnasien verwenden, wo sich sein Interesse wesentlich den classischen Fächern zuwandte. Welchen tiefgreifenden Einfluß er als Universitätslehrer, namentlich in den philologischen Seminaren aus übte, ist bereits oben ausgeführt worden.
Als Redner zeichnete er sich durch Glanz der Sprache, Vornehmheit der Gesinnung, fachliche Gründlichkeit und große Gesichtspunkte bereits in Kiel aus, wo er das Amt eines Professor eloquentiae bekleidete. Bei der Schilderung der Vergangenheit ließ er auf die bewegte Gegenwart charakteristische Lichter fallen. 1864 behandelte er die Hybris; am 22. März 1867, wo die Angehörigen der Universität zum ersten Male als Bürger des mächtigsten deutschen Bundesstaates den Geburtstag ihres Landesherrn feierten, Griechenland und Deutschland. Freudig hob er seinen Standpunkt hervor: „Nach einer langen Vergangenheit einer vormals milden, dann immer drückender und unwürdiger sich gestaltenden Fremdherrschaft, nach Jahren trüber Schwankungen gibt der Blick auf die nun endlich fest und unwiderruflich geordnete Stellung unseres Landes Beruhigung und neue Spannkraft“. Auch die Leipziger Vorträge machten einen tiefen Eindruck, ebenso wie die Gedächtnißreden, die in den „Reden und Vorträgen“ uns erhalten sind.
Mit Freude und Stolz rühmte er sich, ein Philologe zu sein. Mochten Andere verzweifeln, er war stolz auf die Erfolge, Leistungen und Aufgaben seiner Zeit. „Wenn die Welt nicht so materialistisch wäre, so wäre die Philologie doch gerade jetzt eine wahre Freude, wo die neuen und echten Funde überall wie die Frühlingsblumen aus der Erde schießen. Vorgestern habe ich den jüngsten Aristoteles auf einen Sitz verschlungen. Und die 700 Mimiamben[WS 1], die uns versprochen sind, und der Antiopeschluß!“ In der Vorlesung über die Geschichte der Philologie zeichnete er das Ideal des Philologen. „Vor allem predigte er seinen Hörern die Verpflichtung und das Recht ein ganzer Mensch zu sein. Das war das alte Evangelium des Humanismus. Bei diesen schlichten, warmen Worten des Lehrers kam eine wahre Feiertagsstimmung über seine Hörer, die sich schließlich in einen elementaren Beifallssturm umsetzte.“ Wie er im Machtgefühle der philologischen Methode lebte und arbeitete, ist oft gerühmt worden. Die Fülle seines Wissens zeigte sich im freien Vortrage, wie bei der Berathung seiner Schüler. Die Kritik war scharf und kühn, von starkem Selbstgefühl getragen, schoß wohl auch, so in der Beurtheilung von Juvenal und Horaz, über das Ziel hinaus (Wachsmuth, S. 186–188). Für das Zustandekommen des Thesaurus linguae latinae setzte er noch in den letzten Jahren seines Lebens seine ganze Kraft ein.
Als Schriftsteller durfte er auf reiche Erfolge in aufsteigender Linie zurückblicken. Die ihm eigenthümlichen Eigenschaften traten im Alter nicht zurück, sie schienen sich in den Leipziger Jahren mit ihren epochemachenden Leistungen erst recht zu entfalten. So war es auch mit dem Stil. Mit Recht hob Wachsmuth hervor: „Von Anfang an freilich ist seiner Schreibweise Sinn für feine Nüancirung des Ausdrucks, Reichthum an glücklichen Wendungen und Bildern, freiste Herrschaft über die Sprachmittel eigen; aber – wenn ich mich nicht täusche – nahm sie doch an Mannichfaltigkeit und Biegsamkeit, an Kraft und Plastik, an Anmuth und Reiz mit den Jahren immer noch zu.“ Leider ist er nicht dazu gekommen, seine Studien zur Geschichte des lateinischen Stils fortzusetzen.
Als Mensch und Charakter war er eine ganze Persönlichkeit, auf die die Antike tiefen Einfluß gehabt hatte. War er gegen Fremde zurückhaltend, [340] so wurde andererseits die Anhänglichkeit und Treue gegenüber denen gerühmt, die sich seiner Werthschätzung erfreuten. Was er seinen Schülern gewesen, ist schon oben hervorgehoben worden; seine Beziehungen zu Freunden hat mit einer Fülle kleiner Züge Hausrath geschildert. Sein feinsinnig ausgestattetes Heim war der beste Beweis für sein Kunstverständniß; es trat auch in der Pflege moderner Litteratur hervor, deren Hauptvertreter er genau kannte und in ihrem Schaffen verfolgte.
Was einst einer seiner bedeutendsten Schüler ausgesprochen, das bezeugen zahlreiche Jünger der Philologie, die Universitäten und Seminare, an denen er wirkte: „Ich bin ihm doch viel und auf immer schuldig. Ein edler Mensch!“
- (Emma Ribbeck) Otto Ribbeck. Ein Bild seines Lebens aus seinen Briefen 1846–1898. Mit zwei Porträts nach Zeichnungen von Paul Heyse. Stuttgart 1901. – A. Hausrath, Erinnerungen an Gelehrte und Künstler der badischen Heimath. Leipzig 1902, S. 31–98: Otto Ribbeck (unter dem Titel: Alte Bekannte. Gedächtnißblätter, III). – Erinnerungen an Ernst Friedrich Gabriel Ribbeck. Herausgegeben von seinen Söhnen. Als Manuscript gedruckt. Berlin 1863. – Wachsmuth, Worte zum Gedächtniß von O. Ribbeck. Gesprochen in der Gesammtsitzung der beiden Classen der kgl. sächs. Gesellschaft der Wissenschaften zu Leipzig am 14. November 1898, in: Berichte über die Verhandlungen der Kgl. Sächs. Ges. d. W. zu Leipzig. Philologisch-histor. Classe, 50. Bd. 1898, I, 177–196 (auch als Separatabdruck erschienen). – R. Opitz, Johannes Karl Otto Ribbeck, in A. Bettelheim, Biographisches Jahrbuch u. Deutscher Nekrolog, III. Bd. Berlin 1900, S. 271–283. – W. Dilthey, Otto Ribbeck, in der Deutschen Rundschau. Herausgegeben von Julius Rodenberg. Band LXXXXVI (Juli–September 1898). Berlin, S. 450–454. -– E. von Wölfflin im Archiv für lateinische Lexikographie. 1899, Heft 2, S. 298 f. – Brockhaus’ Konversationslexikon, 14. Aufl. 13. Band (Leipzig 1895), S. 841. – Berichte über die Verhandlungen der Kgl. Sächs. Ges. d. W. zu Leipzig. Philologisch-histor. Classe, 50. Bd. 1898. Leipzig, S. V. – Leipziger Tageblatt u. Anzeiger, 19. Juli 1898, Nr. 360, Morgenausgabe, 2. Beil. – O. Crusius, in der Beilage der (Münchner) Allgem. Zeitung 1898, Nr. 180. – Nationalzeitung 1898, Nr. 415. – P. Heyse, Jugenderinnerungen und Bekenntnisse, S. 113 f. – Th. Fontane, Der Tunnel über der Spree, in der Deutschen Rundschau, Bd. LXXXVII (1896), S. 160 ff.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: Miriamben